I Klänge, Töne, Musik: die Vielfalt entdecken klangvoll-tönend-musikalisch Es ist so spannend wie die Entdeckung eines neuen Kontinents: das Öffnen der Tür zur Welt der Klänge, der Töne und der Musik. Klänge, Töne und Musik gehören zu unserem Leben – sie bereichern unser Leben und sie sind Teil unserer Gesamtentwicklung. Sie bieten einen individuellen Spiel-Raum zum gemeinsamen Erleben und Erfahren. Als Projektionsfläche für nicht nur klingende Themen, bieten sie Wege aus der Sprachlosigkeit und schaffen Raum für interessante Erfahrungen. 9 Klänge, Töne und Musik sind elementar Das Leben ist Klang, sind Töne, ist Musik. Zum Leben brauchen wir Klänge, Töne und Musik. Von den ersten Klängen und Tönen im Mutterleib an. Vom ersten Schrei an erweitern wir unser Repertoire an stimmlichen Äußerungen. Es gibt keinen Menschen auf dieser Erde, der sich der Anziehungskraft von Klängen, Tönen und Musik, in welcher Form sie sich auch immer präsentieren mögen, entziehen kann. Ob Auslöser vielfältiger Gefühle oder hoher Unterhaltungswert: sie begleiten uns täglich und sie begleiten uns ein Leben lang. In allen Kulturen und Religionen haben sie einen festen Platz. 10 Klänge, Töne und Musik sind multisensoriell Der Mensch ist multisensoriell. Er nimmt wahr mittels seiner Sinne: hören, sehen, schmecken, riechen, fühlen. Über den spielerischen Umgang mit Tönen und Klängen werden primäre Kräfte freigelegt. Klänge, Töne und Musik sind Medium, sind Weg und Ziel zugleich. Sie ermöglichen ein Gefühl der Sicherheit und der Geborgenheit und sie machen Mut für neue, bisher unbekannte Erlebnisinhalte. ­Klänge, Töne und Musik wirken ordnend und formend auf die inneren Kräfte des Menschen, denn Wohlfühlen und Gesundheit sind Zustände innerer Harmonie. 11 Klänge, Töne und Musik sind integrativ Sie können Identität schaffen und Brücken bauen: Klänge, Töne und Musik kennen keine Grenzen. Die Teamfähigkeit wird beim Umgang mit allen Dreien spielerisch gefördert. Es ist die Erfahrung, etwas musikalisch Erlebtes mit anderen zu teilen, sich auf andere einzustellen. An dem Phänomen der Klänge und der Töne teilzunehmen wird niemand ausgeschlossen. Jeder Mensch kann Klänge, Töne und Musik wahrnehmen. In ihnen werden Sozialisierungs-, Gemeinschafts- und Kommunikationsprozesse erlebt. Immer steht der Mensch im Vordergrund und nicht seine Herkunft. Besonders bei den herausfordernden und brisanten Fragen der Migration wird durch gemeinsames Erleben von Musik Respekt, Toleranz, Sozialverhalten und soziale Kompetenz gefördert. Hier steht Musik in seiner ganzen Vielfalt zur Verfügung: die der eigenen Kultur und die der fremden Kultur. 12 Klänge, Töne und Musik sind spielerisch Klänge, Töne und Musik sind Spiel, sind Interaktion und Lebensfreude. Durch das freie Spiel entwickeln Kinder und Jugendliche eine natürliche und persönliche Erfahrung zu allem was klingt. Musik wird immer gespielt. Alleine oder mit anderen zusammen. Egal um welche Stilrichtung es sich handelt, kann Musik nur erklingen wenn sie gespielt wird. Wenn wir musizieren, spielen wir. Spielenderweise mit Klängen, Tönen und Musik umgehen: in einer Welt, in der das Rationale überhand nimmt, ist dies lebensnotwendig. In einer Zeit allgegenwärtiger Geräuschquellen, bietet die Beschäftigung mit Klängen, Tönen und Klängen einen Gegenpol zum passiven Hören. 13 Klänge, Töne und Musik sind einzigartig Klänge, Töne und Musik ist das Vertraut machen mit Zeitfolge, mit Kreativität, mit Rhythmus und mit Bewegung. Ihrem Wesen nach sind Klänge, Töne und Musik vergänglich und leben immer aus dem gerade ablaufenden Augenblick heraus. Sie werden hervorgebracht, führen in eine eigene Welt und verschwinden wieder. Die Beschäftigung mit Klängen, Tönen und Musik ist das Vertraut machen mit der gesamten Palette der Gefühlswelt. Es ist der wertfreie Umgang mit Klängen und Tönen, die das Bewusstmachen einer, in jedem Menschen vorhandenen, Musikalität ermöglicht. 14 Klänge, Töne und Musik sind dialogisch Ausschlaggebend bei allen Formen von gemeinsamem Tun im musikalisch-spielerischen, ist immer der Dialog. Über Klänge, Töne und Musik kann man mit anderen Menschen in Kontakt treten. Musikalischer Dialog kann zum Beispiel bei einem kleinen Kind bedeuten, ihm etwas vorzusingen oder es im Rhythmus eines Liedes zu wiegen. Musikalischer Dialog ermöglicht, in einen direkten Kontakt zur eigenen Person, zu anderen Menschen und zur Umwelt zu treten. Entscheidend dabei: Über- oder Unterforderung verhindert Entwicklung. 15 Klänge, Töne, Musik: hören, spielen, tun – spüren, erleben, beobachten Klänge, Töne und Musik motivieren, stimulieren und animieren. Klänge, Töne, Musik, das ist Akustik, Vibration, Bewegung und Sinneserfahrung, Melodik und Rhythmus. Das Klangbuch will anregen zum Tun, zum Ausprobieren und zum Spielen. Dabei ist der Umgang mit Tönen, Klängen, und Musik keine Frage der Begabung. Musik entsteht immer im Dialog. In Dialog mit anderen treten und dabei Resonanz finden. Jeder Mensch ist musikalisch, drückt sich durch Klänge aus und teilt sich durch Klänge mit. Ein „unmusikalisch“ gibt es nicht, sondern ist nur eine Ausrede von Erwachsenen. Ein Kind würde nie auf die Idee kommen sich als unmusikalisch bezeichnen. Alle Kinder haben Freude an Klängen, Lust an Bewegung und ein ungezwungenes Interesse sich akustisch auszudrücken. Kinder aller Kulturen haben von frühester Kindheit an, die grundlegende Voraussetzung, Klänge zu erforschen und mit Musik spielerisch umzugehen. Kinder sind in ihrer Spielweise am ursprünglichsten und sie sind auch die ursprünglichsten Musiker. Indem wir (auch als Erwachsene weiterhin) Musik machen, erhalten wir uns diese kindliche Fähigkeit. Was speziell Erwachsene tun können: sich die kindliche Freude an Klangereignissen zu erhalten und diese in den Alltag zu integrieren. Das eigentliche Problem dabei ist nicht das „Nicht Können“, sondern das „Sich Nicht Trauen“. Spielen dürfen – musizieren kön16 nen: beides sind Fähigkeiten, die wir uns über die Kindheit hinaus bewahren müssen. Im Klangbuch geht es auch um diese kindliche Freude an Klangphänomenen. Klangphänomene, die keine musikalischen Vorkenntnisse verlangen. Und es geht um Neugierde und die Bereitschaft, sich auf das Abenteuer der Klänge, Töne und Musik einzulassen. Bei den im Klangbuch zusammengestellten Klangexperimenten wird schnell deutlich, dass wir alle ein un-erhört großes Repertoire an schöpferischem Ideenreichtum besitzen. Um dieses zum Klingen zu bringen, bedarf es nur eines kleinen Schrittes über den „das traue ich mir nicht zu – Schatten“ zu springen. Dabei ist nur eine kleine Hilfestellung nötig, um diesen Schritt zu machen. Für einen Augenblick können wir Leistungsdenken und Erfolgszwang vergessen, vorgefertigte Regeln und das subjektive Empfinden von Gefallen und Nichtgefallen in den Hintergrund schieben. Sich von diesen Normen frei zum machen: das ist der Einstieg in die schöpferische Betätigung mit Klängen, Tönen und Musik. Um „Un-erhörtes“ möglich zu machen und kreative Prozesse in Gang zu setzten, steht nicht das hörbare Ergebnis im Mittelpunkt. Es ist vielmehr ein Rendezvous mit Klängen, Tönen und Musik, das zu einer ureigensten musikalischen Zufriedenheit führt. Freude und Spaß am Tun stehen im Vordergrund. Hierbei ist ganz wichtig: man kann diese oder jene Klänge und Töne oder Musik mögen, oder nicht mögen – sie als falsch zu bewerten gibt es nicht. Frei von der Angst beim Musik machen Fehler zu machen: das ist das Spiel mit Klängen und Tönen. Musik wird zu einem erfüllenden, umfassenden und befriedigenden Erlebnis. Es ist der Weg zum „ich traue mir das zu – das macht mir Spaß – das kann ich – Bewusstsein“. 17 18 19 II Klangerfahrungen Hören ist die Basis „Das Ohr ist das Tor zur Seele“, besagt ein indisches Sprichwort. Sehr zutreffend ist auch der Satz von Joachim Ernst Berendt: „Das Auge bringt den Menschen in die Welt, das Ohr bringt die Welt in den Menschen“. Unser Hörorgan ist mit Abstand das filigranste und empfindsamste Sinnesorgan überhaupt. Selbst Geräusche, die einige Meter entfernt von uns auftreten, lassen sich mit dem „Fernsinn“ Gehör wahrnehmen. Und auch „um die Ecke“ hören ist kein Problem. Darüber hinaus ist das menschliche Ohr ein regelrechtes Meisterwerk. In einem sehr breiten Bereich von 20 bis 130 Dezibel kann es bis zu 400.000 verschiedene Geräusche voneinander unterscheiden. Des Weiteren kann das Gehör unterscheiden, aus welcher Richtung das Geräusch kommt und es kann gleichzeitig die Veränderung des Quellenstandortes, des Lautpegels, der Tonhöhe und der Klangfarbe registrieren. 20 Unser Hörorgan ist jedoch nicht nur äußerst empfindsam, es ist auch unser am frühesten entwickeltes Sinnesorgan. Bereits lange vor der Geburt, ab der sechsten Woche, ist das Äußere Ohr, das Mittel- und das Innenohr angelegt. In der 18. Woche ist das Corti-Organ reaktionsfähig, was bedeutet, dass wir im Mutterleib ab dem vierten Monat in der Lage sind, zu hören. Gefiltert durch das Fruchtwasser, dringt alles Hörbare als Obertöne an unsere Ohren. Neben den mütterlichen Herztönen, gibt es eine ganze Reihe von Höreindrücken. Dabei handelt es sich um Geräusche, die von der Magen-Darmregion, dem Puls, sowie der Atmung der Mutter stammen. Es sind Geräusche, vor allem der Hauptarterien, welche die Placenta und den Uterus versorgen. Und es ist natürlich die Stimme der Mutter, beim Sprechen und beim Singen. Was mehrere Tage nach der Geburt auf unsere Ohren einwirkt, ist so etwas wie eine zweite, eine akustische Geburt. Haben wir bis zu diesem Zeitpunkt alles Akustische als Obertöne gehört, nehmen wir ab diesem Zeitpunkt an der „real existierenden Hörwelt“ sehr breitgefächert teil. Es zischt und brummt, es tönt und klingt. Die akustische Umwelt, diese gesamte Bandbreite von allem Hörbaren, erstreckt sich von alltäglichen Geräuschen, bis hin zum großen und sehr vielfältigen Bereich der Töne, der Klänge und der Musik. Ob wir sie unbewusst über uns ergehen lassen, ob sie uns ständig oder nur zeitweise beeinflusst, oder ob wir sie ganz bewusst wahrnehmen: die akustische Umwelt ist ständig um uns herum. Geräusche, Klänge, Lautes und Leises, Ungewohntes, Unvorhersehbares, Geordnetes, Verzerrtes, Harmonisches, Chaotisches: alle diese Hörangebote prägen uns. Doch das Hören ist nicht nur ein Sinn zur Wahrnehmung. Hören können heißt vor allem: offen sein zum Kommunizieren. Hörend begegnen wir der Welt, hörend entwickelt sich unser Gehör. Insbesondere auf der sozialen und der emotionalen Ebene, ist das Hören eine der wichtigsten Voraussetzungen für gemeinsames Tun. Setzt es doch voraus, dass Menschen aufeinander hören können: hören – zuhören – dazugehören. Unsere Ohren müssen aber auch beschützt werden. Besonders alarmierend ist eine Entwicklung, die sich seit geraumer Zeit mehr und mehr in unser aller Leben einschleicht: noise pollution. Was die Amerikaner noise pollution nennen, bedeutet auf neudeutsch so viel wie Verschmutzung der Umwelt durch Lärm. Dabei steigt das Ausmaß der akustischen Beeinflussung durch Höreindrücke von Tag zu Tag. Unsere Ohren sind ständig, auch während wir schlafen, den unter21 schiedlichsten Höreindrücken ausgesetzt. Im Gegensatz zu unseren Augen, die wir schließen können, oder mit denen wir wegsehen können, sind unsere Ohren ständig „auf Empfang“ gestellt. Bereits jeder vierte Jugendliche hat nicht heilbare Hörschäden, hervorgerufen durch zu laute, und vor allem durch permanente Beschallung. Eine der Ursachen von Hörschäden bei Jugendlichen sind Discobesuche und, vor allem bei kleinen Kindern, lautes Spielzeug. Besonders erschreckend zu beobachten ist dabei, wie ungeheuer schnell der qualitativ und quantitativ zunehmende Einfluss der akustischen Umwelt zunimmt, und mit welcher Passivität dieser wachsende Lärm hingenommen wird. Lärm wird geradezu gesucht. Musikberieselung von morgens bis abends: eine künstliche Hör-Welt mit CD Player, Handy Tönen, Sound Blaster. Wenn diese künstliche Welt übermächtig wird, wenn authentische Erfahrungen kaum noch eine Bedeutung haben, finden sich Kinder und Jugendliche im realen Leben kaum mehr zurecht. In dieser immer lauter werdenden Welt ist es nicht verwunderlich, dass unser Hörvermögen besonderen Gefahren ausgesetzt ist. Hörsturz, Tinnitus und Hörschädigungen sind die Kehrseite unseres „un-erhörten“ Lebensstils. Dramatische Appelle, doch bitteschön alles ein wenig leiser zu gestalten, sind vor allem bei Jugendlichen kein erfolgreicher Weg das Hörverhalten nachhaltig zu verändern. Auch moralisch untermauerte Ermahnungen treffen meist nur auf taube Ohren. Jugendliche können nur motiviert werden, sich mit dem Thema Hören und Lärm auseinander zu setzen, wenn sie bei „ihrer“ Musik, in ihrer reizüberflu­ teten Welt abgeholt werden. Es muss vermittelt werden, dass ­Hören eine spannende und interessante Erfahrung ist, die sich nicht nur auf die Lautstärke beschränkt. Es muss dazu motiviert werden, dass Hören eine Fülle von Erlebnissen bietet. Ziel ist die Erfahrung, dass Hören nicht nur passives Konsumieren bedeutet, sondern dass Hören durch das Produzieren von Tönen und Klängen selbst gestaltet werden kann. Ziel ist es, das Interesse an allem Hörbaren zu ­wecken. Nur so wird die Möglichkeit gegeben, dass sich langfristig ein Hörbewusstsein entwickeln kann. Hören und Zuhören muss (wieder) gelernt werden. Eine Schulung des Hörens geht nur, wenn mit einer positiven Grundeinstellung auf alles Hörbare eingegangen wird. Hörenswert: wert, dass wir bewusst hören. Hörenswert: das sollten uns unsere Ohren wert sein. 22 Auch das ist Hören. Für den einen ist es nur Krach: das Geräusch eines Automotors. Für den anderen ist es Musik in seinen Ohren: der blubbernde Klang eines V 8 Motors in einem `76 Cadillac: Fazit: Hören ist immer a u c h Geschmackssache. 23