Wissenschaftliches Arbeiten Teil 4: Definitionen und Logik Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 03.05.2010 1 Literatur [4-1] Detel, Wolfgang: Grundkurs Philosophie. Band I: Logik, Reclam, 2007 [4-2] Huene-Hoyningen, Paul: Formale Logik. Eine philosophische Einführung. Reclam, 1988 Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 2 Zitierte Literatur [4-A] Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Bd I, Suhrkamp, 2. Auflage, 1999 [4-B] Hübner, Kurt: Kritik der wissenschaftlichen Vernunft. AlberBroschur, 3. Auflage, 1986 [4-C] Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. Suhrkamp, Werksausgabe Band 1, 6. Auflage, 1989 [4-D] Kant, Immanuel: Schriften zur Naturphilosophie. Suhrkamp, Werksausgabe Band 9, 1977 [4-E] Popper, Karl R.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 2. Band, Bern, 1970 Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 3 Einführung • Logik handelt von Begriffen, Urteilen und Schlüssen. • Die Bedingungen für die Korrektheit der Verknüpfungen dieser drei ist Thema der Logik. • Logik ist kein Mittel zur Erkenntnis. • Logik prüft nicht den Wahrheitsgehalt von Aussagen. • Logik definiert nicht, was "wahr" bedeutet. Ihr ist es egal, was "wahr" und "falsch" bedeuten. • Logik beschreibt die korrekten Übergänge von Aussagen. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 4 Geschichte • Die klassische Logik geht auf Aristoteles zurück. • Bis auf ein paar Kleinigkeiten blieb sie so bis ins 19. Jahrhundert, genauer bis Gottlob Frege. • Die "neue" Logik entstand durch Personen wie – – – – Gottlob F. Frege (1848-1925) Bertrand Russell (1872-1970) Rudolf Carnap (1891-1970) Kurt Gödel (1906-1978) • Die "neue" Logik ist stark formalisiert und mathematisiert. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 5 Klassische Logik • Die Klassische Logik besteht aus der – Lehre vom Begriff – Lehre vom Urteil (heute: Aussage) – Lehre von den Schlüssen • Die Moderne Logik – ordnet das alte Schema etwas um – verallgemeinert es – formalisiert alles, d.h. Abstraktion von Semantik und Pragmatik: Kalküle Im folgenden wird entlang der Struktur der klassischen Logik - bis auf die Formalisierung - vorgegangen und am Ende die modernen Erweiterungen erwähnt. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 6 Grundsätze der klassischen Logik • Satz der Identität: (Metasprachlicher Satz) Jedes gleich lautende Zeichen wird im gesamten Kontext in derselben Bedeutung verwendet. • Satz des Widerspruchs: Eine Bejahung und eine Verneinung sind nicht gleichzeitig zulässig. • Satz vom ausgeschlossenen Dritten: Tertium non datur Bezug auf die 2-wertige Logik: Derselbe Ausdruck ist entweder wahr oder falsch, etwas Drittes ist nicht möglich. • Satz vom zureichenden Grund: Alles hat eine Ursache oder geschieht aus einem bestimmten Grund. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 7 Bemerkungen • Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten wird u.a. von den Intuitionisten in der Mathematik und von der Erlanger Schule deshalb abgelehnt, weil er nicht für alle Fälle plausibel gemacht werden kann. • Anhänger dieser Position akzeptieren u.a. keine indirekten Beweise. • In der Informatik, genauer in der KI, wird dieses Problem mit der "Closed world-Assumption" problematisiert: Nur innerhalb einer endlichen Welt gilt das Tertium non datur korrekt. Aber: das sind Minderheitenpositionen (die trotzdem korrekt sein können). Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 8 Satz vom zureichenden Grund I • Ons ≈ das Sein - das, was wirklich existiert • Ontologie = Lehre vom Sein bzw. den wirklich existenten Dingen als Teilgebiet der Erkenntnistheorie • ontologisch ≈ Gebunden an etwas Wirkliches • Für die Klassiker war die Logik ontologisch und nicht einfach nur eine Rede ohne Wirklichkeitsbezug. • Daher war der Satz vom zureichenden Grund ein Prinzip der Logik - heute wird dies abgelehnt und diese Ablehnung noch in einer Formalisierung radikalisiert. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 9 Satz vom zureichenden Grund II • Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) "das andere Prinzip ist das des bestimmenden Grundes, wonach nichts geschieht, ohne daß es eine Ursache oder wenigstens einen bestimmten Grund gibt" [4-A, §44, S.273] • Auch für Immanuel Kant (1724-1804) war die Kausalität ein Grundprinzip: "Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetz der Verknüpfung der Ursache und Wirkung" [KrV B 232] Die Gegner: • Für David Hume (1711-1776) war Kausalität nur eine Gewohnheit. • Für Heisenberg, Bohr und von Weizsäcker (Kopenhagener Schule) gibt es keine Kausalität, jedenfalls in der Quantentheorie. Siehe dazu das 2. Kapitel von [4-B]. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 10 Aussagenlogik - 1. Teil I • Deskriptive Aussage = Aussage als Teil eines erfolgreichen assertiven Sprechakts. • Ein Sprechakt ist ein Handeln durch Sprechen. In der Sprechakttheorie wird dies ausgearbeitet (Austin, Searle). • Assertiv bedeutet, dass etwas einer Sache zugeordnet wird. • Jeder deskriptiven Aussage kann immer nur eine von zwei Möglichkeiten zugeordnet werden: "wahr" oder "falsch". Es spielt keine Rolle, ob diese Zuordnung korrekt ist. • Abstraktionsschritt: – Die Aussagen werden als nicht weiter zerlegbar angesehen. – Ob es sich tatsächlich um etwas handelt, von dem sinnvoll gesagt werden kann, ob es wahr oder falsch ist, spielt keine Rolle. – Daher können formal statt Aussagen auch Bedingungen oder Prädikate benutzt werden. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 11 Aussagenlogik - 1. Teil II • Aussagenvariable = Platzhalter für Elementaraussage, Prädikat(or) oder Bedingung • Aussagenform = Ausdrücke mit Aussagenvariablen verknüpft mit Junktoren und Konstanten. Beispiel: Karl ist ein Schlawiner. [Aussage] K ist S [Aussagenform] Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 12 Logische Operatoren / Junktoren Zeichen Erläuterung Umgangssprachlich "∧" Logisches Und (Konjunktion) und "∨" Logisches Oder (Disjunktion) oder "¬" Logische Negation nicht "|" Negiertes Und (Sheffer-Strich) "∇" Negiertes Oder "⊕" Exklusives Oder entweder - oder "⇒" Implikation (Subjunktion) wenn - dann " ⇔" Äquivalenz (Bijunktion) genau dann - wenn Statt " ⇔ " kann auch " = " geschrieben werden. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 13 Lehre vom Begriff • Individualbegriffe (singuläre Termini) Diese Begriffe meinen etwas Einzelnes: – Namen, z. B. "Karl der Große" – Hinweisende Kennzeichnung, z. B. "dieses Auto da" – Umschreibungen von Dingen, z.B. "der Stein, über den ich stolperte" • Universalbegriffe (generelle Termini) Diese Begriffe beschreiben gemeinsame Eigenschaften vieler Individuen, z.B. Säugetiere, Kreidestück, Auto, rot, klein • Universalbegriffe lassen sich hierarchisch ordnen: Unterbegriffe desselben Knotens (Oberbegriffs) unterscheiden sich durch mindestens eine Eigenschaft, während der Oberbegriff das Gemeinsame aller Unterbegriffe darstellt. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 14 Festlegen von Begriffen • Begriffe werden festgelegt (Definition): Das-festzulegende = Das-was-festlegt Definiendum = Definiens Z.B. "Junggeselle = Unverheirateter junger Mann" Definition = Festlegung der Bedeutung eines Begriffs • Begriffe werden erläutert (Explikation): Das-zu-erläuternde Explicandum ≈ Das-was-erläutert ≈ Explikat (Explicans) Z.B. Schmerz ≈ unangenehme Empfindung Explikation = Umschreibende Erläuterung der Bedeutung eines Begriffs Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 15 Definieren als Sprechakt (Moderne Version) Definitionen und Explikationen sind deklarative Sprechakte mit folgenden Konsequenzen: • • • • Sie Sie Sie Sie sind weder falsch noch wahr oder richtig. sind keine Aussagen. sind nützlich oder nicht nützlich. verpflichten anschließend – den Sprechenden das Festgelegte entsprechend des Aktes zu übereinstimmend benutzen – den Hörenden das Geäußerte entsprechend dem Akt zu interpretieren • Sie entscheiden über das Verständnis. Dies betrifft die heutige moderne Auffassung, die Realdefinitionen ablehnt. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 16 Weitere Definitionen • Konzept ≈ Zusammenfassung des Wesentlichen, des Kerns (lat. concipere: zusammenfassen) • Abstraktion ≈ Weglassen des aus der Sicht des Zwecks Unwichtigen (lat. abstrahere: weglassen) • Semantik = Bedeutung • Bedeutung ≈ Das, was in einer Äußerung ausgedrückt wird • Synonym = Verschiedene Worte mit derselben Bedeutung Z.B. Semantik / Bedeutung oder Schlips / Krawatte • Homonym = Äquivokation = Dasselbe Wort mit verschiedenen Bedeutungen Z.B. "Schloss": Fahrradschloss und Königsschloss, oder Tau Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 17 Nominaldefinition • Nominaldefinition = Rückführung auf einen oder mehrere Begriffe, so dass das Definiendum durch das Definiens ohne Bedeutungsveränderung bei allen Benutzungen ersetzt werden kann Nominaldefinitionen sind bloße sprachliche Festsetzungen ohne jeden ontologischen Bezug. Beispiele – RE = Rosa Elefant – Studentin = Frau, die an einer Universität oder Fachhochschule immatrikuliert ist • Derartige Definitionen sind häufig eine Verdeutlichung der Semantik. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 18 Verbaldefinition • Verbaldefinition = Erläuterung des Begriffs anhand seiner ethymologischen Herkunft Beispiel: Abstrahieren kommt vom Lateinischen abstrahere und das heißt Weglassen. Schlechte Definition, weil viel unklar bzw. implizit gelassen wird Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 19 Realdefinition • Realdefinition = Eine Sache beschreibend festlegen Realdefinitionen müssen so gewählt werden, dass das Definiendum tatsächlich die in der Definition angegebenen Eigenschaften besitzt, d.h. es besteht ein ontologischer Bezug. • Es wird ein deklarativer und ein assertiver Akt vollzogen. Daher sind diese Definitionen richtig oder falsch. Eine Realdefinition behauptet, dass es tatsächlich Dinge entsprechend der Definition gibt. Eine wichtige Bedingung für eine Realdefinition ist, dass das Definiens das "Wesen" des Definiendum wiedergibt. Aber was ist das Wesen einer Sache? Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 20 Was ist das Wesen einer Sache? I • Bei Aristoteles ist das Wesen das Wassein einer Sache. • Zum Wesen einer Sache sagt u.a. Immanuel Kant: "Wesen ist das erste innere Prinzip alles dessen, was zur Möglichkeit eines Dinges gehört" [4-D, A III] Für Kant ist die Weise des Gegebenseins der Sache für das Bewusstsein wichtig, für Aristoteles die Sache selbst. Aus der Sicht der Logik ist die Art der Definition vollkommen unerheblich, jedenfalls wenn die moderne nicht-ontologische Auffassung eingenommen wird. Aus der Sicht der Wissenschaft, die inhaltlich arbeitet, besteht hier echter Klärungsbedarf. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 21 Was ist das Wesen einer Sache? II • Begriffsrealismus bedeutet, dass es einen Gegenstand bzw. einen Sachverhalt gibt, der die angegebenen Eigenschaften des Definiens besitzt. Beispiele: – Karl der Große = Person lebend zum Beginn des Mittelalters – Schneewittchen = Frau, die die sieben Zwerge kannte • Fragen – Sind die beiden obigen Definitionen korrekt? – Sind die definierten Wörter sinnvoll? Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 22 Was ist das Wesen einer Sache? III • Besser ist wohl von Sprachspielen (Wittgenstein) zu sprechen, ohne damit gleichzeitig einen ontologischen Bezug zu meinen (der aber behauptet werden kann). • Sprachspiel X ≈ Kontext aller in der Sprachgemeinschaft anerkannter Verwendungen von X. • Wesen von Y = Summe der notwendigen und hinreichenden Eigenschaften von Y innerhalb des betreffenden Sprachspiels Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 23 Beispiel Sauerstoff = Chemisches Element mit der Ordnungszahl 8, Metall, Atomgewicht ist 15.9994 • Als Nominaldefinition ist dies vielleicht in Ordnung, obwohl Sauerstoff kein Metall ist, d.h. hier wird etwas definiert, was es in dieser Form in der Chemie nicht gibt. Diese Nominaldefinition ist deshalb wohl auch nicht nützlich, wohl aber formal korrekt. • Als Realdefinition ist dies falsch, weil Sauerstoff kein Metall ist. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 24 Weitere Definitionsarten • Operationale Definition ≈ Definition mittels einer Formel oder eines Messverfahrens Beispiel: Kinetische Energie = (m/2)*v2 Nachteil dieser Definitionsart ist das Problem, dass bei eigentlich „äquivalenten Begriffen“, die auf unterschiedlichen Messverfahren beruhen, die Äquivalenz nicht erkennbar ist. • Dann gibt es noch weitere Arten.... Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 25 Explikation I • Sinn der Explikation: Einen unklaren Begriff durch etwas Klareres klären, ohne es dadurch vollständig und endgültig festzulegen • Beispiele – Schmerz ≈ Inneres unangenehmes Empfinden – Wissen ≈ Kenntnis, um anders oder besser handeln zu können – Seele ≈ Das, was ein Lebewesen belebt – Gott ≈ Die Quelle von allem, was existiert • An diesen Beispielen kann erkannt werden: – Explikationen sollen erste Näherungen sein. – Explikationen können einzelne Aspekte ohne andere auszuschließen besonders thematisieren. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 26 Explikation II • Bei der Explikation geht es nicht unbedingt um bedeutungsneutrale Ersetzbarkeit: Das Explikat kann durchaus "mehr" Semantik als das Explicandum haben, aber auch "weniger" Semantik. • Dieses "Mehr" kann zu Fruchtbarkeit im Sinne von weiteren Gedanken oder Thesen führen. • Das Explikat sollte aber entsprechend dem Gebrauch genügend ähnlich dem Explicandum sein - ähnlich wie in einer Realdefinition. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 27 Explikation III • Eine Sonderform der Explikation ist die Erläuterung eines Begriffs durch Beispiele: – – – – – Beispiele typischer Verwendung Gegenbeispiele dazu Beispiele in anderen Kontexten, z.B. zynisch, witzig, albernd Beispiele für Grenzfälle sinnvoller Anwendungen Beispiele für Analogien oder Metaphern • Diese Form drückt den Sprachspielcharakter von Begriffen sehr gut aus. • Dies ist aber in den "exakten" Wissenschaften verpönt. • Aber: Dies ist wohl die einzige mehr oder weniger umfassende Annäherung an einen Begriff ohne eine Verarmung. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 28 Einige Explikationen • Sache = Gegenstand = Objekt ≈ etwas, von dem sinnvoll geredet werden kann • Sachverhalt = Situation ≈ Mehrere in Beziehung stehende betrachtete Sachen • Zeichen = Wort ≈ das, was bei der sprachlichen Kommunikation wahrnehmbar ist (Zeichen wird hier als rein syntaktisch verstanden) Mit dieser Explikation von Sache kann auch über Unmögliches, Zukünftiges oder Fiktives sinnvoll geredet werden. Würde Sache durch einen Bezug definiert werden, gäbe es hierbei Probleme. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 29 Regeln für das Definieren • Im Falle von Realdefinitionen und nützlichen Nomimaldefinitionen gilt das Gebot der Ähnlichkeit: Definiendum und Definiens sollten innerhalb des betreffenden Sprachgebrauchs hinreichend ähnlich sein. • Grundsätzlich gilt das Zirkelverbot: Kein Definiendum darf sich als Teil seines Definiens voraussetzen. Bei rekursiven Definitionen muss es immer einen Weg ohne Rekursion geben. Analog gilt dies im abgeschwächten Maße auch für Explikationen. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 30 Der Anfang I • Aufgrund des Zirkelverbots muss es Begriffe geben, die nicht zirkelfrei definiert werden können. • Diese Begriffe mögen Grundbegriffe heißen. • Diese können nur – durch Explikationen, insbesondere durch "außersprachliche" Handlungen, z. B. durch Zeige-Handlungen – durch implizite Definitionen festgelegt, besser: eingegrenzt werden. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 31 Der Anfang II - Trilemma Es zeigt sich, dass die Grundbegriffe durch folgende drei Möglichkeiten festgelegt werden könnten: • Dogmatische Festlegung • Zirkel • Infiniten Regress Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 32 Prädikat / Prädikator • Begriff ≈ Sprachspiel mit folgenden Aspekten – Zeichen (Syntax) – Semantik, Bedeutung (was ausgedrückt wird) – Pragmatik (was bewirkt wird, was den Kontext bildet, Intention: was gewollt wird) – Intension (Begriffsinhalt) – Extension (Begriffsumfang) • Prädikat = Prädikator = Etwas, was einen Begriff meint, und von dem sinnvoll ein Zutreffen bzw. Nicht-Zutreffen in einer Situation gesagt werden kann Beispiel: ist gerade Zahl Entschuldigung! Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik [Prädikator] [kein Prädikator] 33 Weitere Auffassungen über "Bedeutung" Es gibt noch andere Auffassungen über "Bedeutung": • Die Bedeutung ist eine psychische Vorstellung über die gemeinte Sache bzw. gemeinten Sachverhalt. • Bedeutung ist das, auf das referenziert, als Bezug genommen wird. • Bedeutung ist das, was durch das Zeichen ausgedrückt wird. • Ein Begriff ist ein Abstraktor, der als Bedeutung das Gemeinsame aller seiner sinnvollen Anwendungen besitzt. Die Position von Wittgenstein: Die Bedeutung eines Zeichens ist dessen Gebrauch. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 34 Extension und Intension I • Extension = Begriffsumfang = Klasse aller Objekte bzw. Sachverhalte der Verwendung, denen das Prädikat in richtiger Weise zugesprochen werden kann • Zusprechen eines Prädikats P an x = Das Urteil fällen, dass – – – – das Objekt x die Eigenschaft P hat. dem Objekt x die Eigenschaft P zukommt. das Objekt x unter den Begriff P fällt. das Objekt x vom Begriff P umfasst wird. • Beispiele: – Extension(Kuh) = Klasse aller Kühe, z. B. Emma, Klara etc. Aber nicht Rudolf, denn Rudolf ist ein Rentier – Extension(Mensch) = Klasse aller Menschen, z. B. Sokrates Aber nicht Hannibal, denn Hannibal ist ein Kater Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 35 Extension und Intension II • Intension = Menge aller Eigenschaften der Objekte der Extension Beispiele – Mensch: { Vernünftig, Säugetier } – Fisch: { Lebewesen, kein Säuger, lebt im Wasser } • Die Intension kann durch einen logischen Ausdruck formuliert werden, der als Bedingung für die Klasse der extensionalen Objekte fungiert. • Dieser Ausdruck ist ein guter Kandidat für das Definiens. • Besteht eine Begriffshierarchie, so kann ein Begriff und damit seine Intension mit dem nächsten Oberbegriff und den von diesen unterscheidenden Merkmalen definiert werden. Nicht mit Intention verwechseln: Dies bedeutet das Gewollte/Beabsichtigte. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 36 Konnotationen Intension und Extension bilden zusammen die Semantik, sofern Konnotationen ignoriert werden. Konnotation ≈ weitere meist wertende Ergänzung der Semantik Ausdruck von Pragmatik (Umfeld) Beispiel: Schlips: Krawatte: privat, im Freundeskreis, Proletarier fein, offizielle Anlässe, Akademiker Obwohl es Synonyme sind, sind es doch keine.... Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 37 Noch weitere Beispiele Besteht ein Unterschied zwischen folgenden Synonymen? (1) Samstag (2) Morgenstern Sonnabend Abendstern Offenbar besteht eine extensionale Gleichheit, die bei (1) eine rein sprachliche Konvention ist, aber bei (2) das empirische Wissen voraussetzt, dass es sich in beiden Fällen um die Venus handelt. (Nebenbei: Es handelt es sich nicht um einen Stern...) (3) Paarzeher Wiederkäuer sind intensional unterschiedlich, aber extensional gleich. Damit sind es keine Synonyme. Gilt das auch für unsere Venus? Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 38 Präzision I Wenn Sprache nicht stimmt, dann ist das, was gesagt wird nicht das, was gemeint ist. Ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, so kommen keine guten Werke zustande. Konfuzius (551-479 v. Chr.) Die Idee, dass die Genauigkeit der Wissenschaft oder der wissenschaftlichen Sprache von der Genauigkeit dieser Begriffe abhängt, ist sicher sehr plausibel, aber ich halte sie nichts desto weniger für ein bloßes Vorurteil. Popper [4-E, S.27] Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 39 Präzision II • Vagheit = Unklarheit von einem Objekt feststellen zu können, ob es zur Extension gehört oder nicht • Mehrdeutigkeit = Umfang der Anwendungen eines Begriffes in nicht intendierten Situationen d.h. die Extension ist zu groß • Präzision = Geringe Vagheit und geringe Mehrdeutigkeit Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 40 Beispiel I Junggeselle = männlich ∧ unverheiratet ∧ jung Junggeselle(x) = männlich(x) ∧ unverheiratet(x) ∧ jung(x) Ist das vage? Ist ein 4 jähriger Junge ein Junggeselle? Ist ein 90 jähriger Herr ein Junggeselle? jung(x) = Alter(x) >= 18 Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 41 Beispiel II Ist das mehrdeutig? Ist der Papst ein Junggeselle? Ist ein Witwer ein Junggeselle? Junggeselle(x) = männlich(x) ∧ heiratsfähig(x) ∧ ¬ war-verheiratet(x) heiratsfähig(x) = (Alter(x) >= 18) ∧ ¬ Heiratsverbot(x) Dies ist gleichzeitig ein Beispiel einer logischen Rekonstruktion. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 42 Logische Rekonstruktion • Rekonstruktion ≈ Interpretierende Nachbildung einer Sache • Logische Rekonstruktion ≈ Rekonstruktion mit den Mitteln der Logik bzw. unter Verwendung von Prädikaten • Jede Rekonstruktion ist immer eine Interpretation, die nie die volle Fülle der interpretierten Sache einfangen kann. • Sprachliche Dinge sind nie reale Dinge, oder: Dinge in einem anderen Modus. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 43 Nutzen und Beachtung von Definitionen • Wenn ein Begriff von einem Autor nicht definiert wird, so muss angenommen werden, dass der Autor diesen Begriff innerhalb dessen Kontext umgangssprachlich oder gewöhnlich meint. • Diese Interpretation ist positiv, also zugunsten der Autors durchzuführen. • Anders formuliert: Bemühen Sie sich zuallererst den Anderen zu verstehen. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 44 Lehre vom Urteil • Urteil = Satz, der einen Sachverhalt ausdrückt Aussage = Urteil • Im Urteil werden Begriffe zu einem Satz, einer Aussage verknüpft: – Subjekt = Über diesen Begriff wird im Urteil etwas ausgesagt. – Prädikat = Mit diesem Begriff wird etwas ausgesagt. – "Subjekt S ist Prädikat P" oder "S ε P" oder P(S) – "ist" ist eine verbindende Kopula • Die Aussageform "S ε P" ist hierbei die einfachste; die Formen ergeben sich durch Anwendung von verschiedenen Merkmalen Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 45 Lehre von den Schlüssen (Syllogistik) "Ein Syllogismus ist eine Überlegung, bei der, wenn bestimmte Voraussetzungen gesetzt sind, etwas von diesen verschiedenes mit Notwendigkeit aus ihrer Beschaffenheit folgt." Aristoteles, Analytica Priorara I, 4.25b • Urteil ist eine Verknüpfung von Begriffen. • Ein Schluss ist eine Verknüpfung von Urteilen. • Ein Schluss besteht aus: – 1. Prämisse (Obersatz, Proposition) – 2. Prämisse (Untersatz, Proposition) – Schlusssatz (Konklusion) • Die Sätze haben immer ein Prädikat P, einen den Prämissen gemeinsamen Mittelbegriff M und ein Subjekt S. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 46 Ein Beispiel (1) Alle Menschen sind sterblich. (2) Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich. Subjekt S: Prädikat P: Mittelbegriff M: Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik Sokrates sterblich Mensch 47 Meta-Ebenen I • Sätze wie "Alle Menschen sind sterblich" gehören zur Objektsprache. • Sätze über Sätze der Objektsprache gehören zur Meta-Sprache, z.B. Der Satz "Alle Menschen sind sterblich" ist falsch. • Einen Ausdruck anwenden heißt diesen Ausdruck direkt meinen. • Einen Ausdruck erwähnen heißt über diesen Ausdruck etwas meinen - dargestellt durch Klammerung mit "“. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 48 Meta-Ebenen II • Objektsprachliche Aussageform = Aussageform mit Satzvariablen und Junktoren Beispiel: A ∧ B • Metasprachliche Aussageform = Aussageform mit objektsprachlichen Aussageformen, Satzvariablen und Junktoren Beispiel: "A ∧ B" ⇔ "B ∧ A" oder: A ∧ B = B ∧ A • Äquivalenz (⇔) ist die logische Gleichheit zwischen zwei Sätzen bzw. Satzformen auf der Meta-Ebene. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 49 Beispiele "Was ich jetzt sage, ist falsch" oder "Jetzt lüge ich" führt zu einem inneren Widerspruch Hier sind zwei sprachliche Ebenen gemischt. "Der folgende Satz ist wahr: 'Ich lüge'" führt zu keinem Widerspruch, denn der 2. Satz bezieht sich nicht auf den vorderen Teil (und umgekehrt). Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 50 Implikation • Die Implikation (⇒) ist eine Wenn-Dann-Verknüpfung, die zwei Aussagen samt Junktoren verbindet (Meta-Sprache) z. B. "Wenn es regnet, dann wird die Straße nass." Deutlicher: Wenn "Es regnet", dann "Straße wird nass". • Die Implikation (->) ist eine Wenn-Dann-Verknüpfung zwischen Aussagenvariablen samt Junktoren. Satz Erläuterung A -> B ⇔ ¬B -> ¬A Kontrapositionssatz (A -> B) ∧ A ⇔ B Modus ponens (A -> B) ∧ ¬B ⇔ ¬A Modus tollens (A -> B) ∧ (B -> C) ⇔ (A -> C) Modus barbara ⇔ bedeutet Äquivalenz, ⇒ bedeutet Implikation Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 51 Was ist die moderne Logik? • Die moderne Logik formalisiert die klassische. Dabei wird alles etwas umsortiert. • Es werden Axiomensysteme sowie Regeln zur Transformation der Formen benutzt, so dass auf die Technik der Wahrheitstabellen bzw. Merksätze verzichtet werden kann. • Es gibt verschiedene Logiken, z. B. – – – – – – – – Aussagenlogik (wie oben, einfache Sätze) Prädikatenlogik (Aussagenlogik + All- und Existenzaussagen) Modallogiken ("Notwendig", "Möglich") Fuzzy-Logik (Schlussfolgern mit einem "unscharfen" Zustand) Deontische Logiken ("Erlaubt", "Verboten") Epistemische Logiken ("Wissen", "Glauben") Zeitlogik über zeitlichen Zusammenhänge ("vorher", ""nachher") etc. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 52 Induktiver Schluss Es wird von Einzelaussagen (Fällen) auf eine allgemeine Aussage geschlossen. • Dieser Schluss ist logisch falsch und daher hypothetisch. • Sonderformen der Induktion: – Analogie-Schlüsse – Statistische Schlüsse – Schlussfolgern mit Bilder oder Metaphern • Streng genommen sind das alles keine Schlüsse. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 53 Deduktiver Schluss Es wird von Allgemeinaussagen auf eine individuelle Aussage geschlossen. • Dieser Schluss ist logisch korrekt, aber mehr auch nicht. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 54 Analytisch - Synthetisch I • Ein Urteil ist analytisch, wenn der Begriff des Prädikats im Begriff des Subjekts enthalten ist. [I. Kant] Beispiel: Dieser Junggeselle ist unverheiratet. • Ein Urteil ist synthetisch, wenn der Begriff des Prädikats außerhalb des Begriffs des Subjekts ist. [I. Kant] Beispiel: Alle Menschen sind vernünftig. Einige Philosophen, wie z.B. Quine, halten diese Unterscheidung für falsch. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 55 Analytisch - Synthetisch II • Analytische Aussagen lassen sich anhand der Definition (in welcher der dargestellten Formen auch immer) auf Wahrheit prüfen. • Die Negation analytischer Aussagen ist immer falsch. • Eine Aussage, die weder analytisch noch kontradiktorisch ist, wird synthetisch genannt. • Alle empirisch sinnvollen Aussagen sind synthetisch. Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 56 a priori - a posteriori • a posteriori = empirisch ≈ auf Erfahrung sich stützend • a priori ≈ vor der Erfahrung liegend, Erfahrung möglich machend • a priorische Erkenntnis ist nach I. Kant – "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig", – "vor sich selbst klar und gewiß", – durch "Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit" gekennzeichnet Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 57 Nun etwas Entspannung... Wissenschaftliches Arbeiten – SS2010 - Teil 4/Logik 58