MeinungFront und Debatte 11.06.12//Nr. Nr.259 133//Seite Seite12 1 / Teil 01 05.11.16 # ! NZZ AG BÖRSEN Nato, EUUND undMÄRKTE gemeinsame Verteidigungspolitik Brexit und der Fluch von Suez Investoren wetten auf Lockerungen Investoren in den USA bringen sich zurzeit in Position, um von einer weiteren quantitativen geldpolitischen Lockerung zu profitieren. Seite 21 Gastkommentar von DANIEL KEOHANE Vor sechzig Jahren intervenierten französische und britische Truppen am Suezkanal, um die Verstaatlichung des Kanals durch den ägyptischen Führer Gamal Abdel Nasser rückgängig zu machen. Nach nur wenigen Tagen musste die britisch-französische Operation jedoch auf Druck der Vereinigten Staaten gestoppt werden. Die Suezkrise schuf einen Graben zwischen London und Paris, der seither wie ein Fluch über der Nato und der Europäischen Union lastet – und den der bevorstehende britische Austritt aus der EU nur weiter vertiefen wird. Angesichts der vielen sicherheitspolitischen Herausforderungen, von einem unberechenbaren Russland über Kriege im Mittleren Osten bis hin zu einem selbstbewussteren China, kann sich der Westen strategische Dissonanzen zwischen Frankreich und Grossbritannien schlicht nicht leisten. Franzosen und Briten zogen diametral entgegengesetzte Lehren aus der Suezkrise. Während Grossbritannien schwor, niemals mehr von der Seite der USA zu weichen, lernte Frankreich, im Zweifel weder dem Vereinigten Königreich zu trauen, noch sich auf die Vereinigten Staaten zu verlassen. Beide Seiten dachten in grossen Linien. So schlug der britische Premierminister Harold Macmillan vor, dass die Briten die nun mächtigen Amerikaner beraten würden wie einst die antiken Griechen die Römer. Frankreichs Präsident Charles de Gaulle hingegen bevorzugte das Bild der Spartaner, die dem Perserreich trotzten. De Gaulle verhinderte den britischen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der späteren EU, entwickelte eine unabhängige nukleare Abschreckung und löste Frankreich aus der Militärintegration der Nato. Dieser französisch-britische Bruch ist seither nie ganz verheilt. Die gegenwärtigen Debatten im transatlantischen Verteidigungsbündnis und in der EU reflektieren diese Entwicklung von einer Entente cordiale zu einer «Entente glaciale». Auch wenn es 1998 in Saint-Malo zu einer Annäherung in verteidigungspolitischen Grundsatzfragen kam, die der europäischen Sicherheitspolitik wichtige Impulse gab, entzweite der Irakkrieg von 2003 Paris und London wieder auf Jahre hinaus und behinderte eine Kooperation zwischen Nato und EU. Regierungswechsel führten in beiden Ländern zum Wunsch, die Beziehungen zu reparieren. Präsident Nicolas Sarkozy machte de Gaulles Entscheid rückgängig und liess Frankreich 2009 in die Militärstrukturen der Nato zurückkehren. Ein Jahr später vereinbarten Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron in Lancaster House zudem, die militärische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Britannien zu vertiefen – eine Kooperation, die bis heute anhält. Auch mit Blick auf Operationen waren London und Paris nun bereit, gemeinsam militärisch zu handeln, und drängten den Westen Anfang 2011 zu einer Intervention in Libyen. Für einen kurzen Moment schien der Fluch von Suez gebannt. Letztlich aber konnte Paris London nie von den Vorzügen einer gemeinsamen europäischen Verteidigung überzeugen. Unter erheblichem Druck von euroskeptischen Parlamentariern wollte London keinem Vorschlag zustimmen, der auch nur annähernd die Perspektive einer «EU-Armee» eröffnete. Seit der Brexit-Entscheidung im Juni 2016 wirkt der Fluch von Suez wieder mit Macht. Hatte der britische Verteidigungsminister Michael Fallon Anfang September betont, dass es im Interesse des Westens sei, eine Duplizierung von Nato-Strukturen in der EU zu vermeiden, so verkündete Frankreichs Präsident François Hollande in einer Rede am 6. Oktober, Europa könne sich nicht ewig auf die Schutzgarantie der USA verlassen. Die Europäer müssten begreifen, «dass sie eine politische Macht mit einer Verteidigungsfähigkeit sein müssen». Sollten sich diese Positionen Frankreichs und Grossbritanniens weiter verhärten, würde die Kooperation von Nato und EU auf absehbare Zeit erheblich belastet werden. Vielleicht gibt es jedoch auch eine Alternative. So wie Präsident Dwight D. Eisenhower 1956 das französisch-britische Abenteuer in Ägypten beendete, wird auch die Haltung des nächsten amerikanischen Präsidenten entscheidend sein. Die USA brauchen Verbündete wie Grossbritannien, die vital zur militärischen Handlungsfähigkeit der Nato beitragen. Sie brauchen aber auch Frankreich, das, falls nötig, auch ohne die USA, allein oder im Rahmen der EU handlungsfähig ist. Der nächste Amtsinhaber im Weissen Haus wäre daher gut beraten, auf eine Annäherung der Perspektiven von London und Paris und eine Klärung des Verhältnisses von EU-Verteidigungspolitik und Nato hinzuwirken. Der Fluch von Suez wird erst dann gebannt sein, wenn Frankreich und Grossbritannien erkennen, dass sie letztlich beide recht haben. Daniel Keohane ist Senior Researcher am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.