Zum vokalen Ausdruck von Emotionen beim Dolmetschen von

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D O L M E T S C H E N
Zum vokalen Ausdruck von Emotionen
beim Dolmetschen von Deutsch
in Deutsche Gebärdensprache
Eine experimentelle Untersuchung
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Beim Dolmetschen von Deutsch
in Deutsche Gebärdensprache
geht es neben dem Dolmetschen
des konkret Gesagten auch darum, die Art und Weise der Äußerung zu transportieren. Je nachdem um welches Dolmetschsetting es sich handelt und wer die
beteiligten Personen sind, spielt
die begleitende nonverbale Kommunikation eine entscheidende
Rolle – fundamentale Bedeutung
kommt ihr beim Ausdruck von
Emotionen zu. Dieser Aspekt des
Gebärdensprachdolmetschens
und die Frage, wie Dolmetscherinnen mit ihm umgehen, ist Thema des folgenden Artikels, der auf
meiner Diplomarbeit im Fach Gebärdensprachdolmetschen beruht.1
1. EINLEITUNG
G
ebärdensprachdolmetscherinnen2 setzen in ihrem Berufsalltag häufig ihre Stimme
ein und müssen Stimmen entschlüsseln können. Besonders bedeutsam wird die Stimme beim Ausdruck von Emotionen. Neben direkten emotionalen Äußerungen („Mir
geht’s heute überhaupt nicht gut.“)
kann in der gleichen Situation auch
ein neutralerer Satz („Mir geht’s
ganz okay.“) geäußert werden, der
jedoch vokal, d.h. durch die Stimme und Sprechweise, Auskunft über
den wahren Zustand des Sprechers
gibt. Laut- und Gebärdensprachen
liegen unterschiedliche Sprachmodalitäten zugrunde, die auch die
nonverbale Kommunikation beeinflussen. So fällt bei Gebärdensprachen der auditive Kanal weg, während dem visuellen Kanal eine
Schlüsselrolle zukommt. Beim Dolmetschen von Deutsch in Deutsche
Gebärdensprache (DGS) ist der Input nonverbaler Kommunikation
für die Dolmetscherin aufgrund des
notwendigen Blickkontakts mit der
gehörlosen Rezipientin eingeschränkt. Von der nonverbalen
Kommunikation des Sprechers
kann sie hauptsächlich die vokalen,
d.h. über die Stimme und Sprechweise vermittelten, nonverbalen Informationen wahrnehmen, für die
sie eine gebärdensprachliche Entsprechung finden muss. Somit ist
beim Dolmetschen von Deutsch in
DGS die nonverbale Kommunikation stark beeinträchtigt und stellt
hohe Anforderungen an die Dolmetscherin, da die von der gehörlosen Rezipientin nicht wahrnehmbaren vokalen Parameter des Ausgangstextproduzenten in Gebärdensprache übertragen werden
müssen. Dabei stellen sich unterschiedliche Fragen:
l Traut die Dolmetscherin ihrem
subjektiv wahrgenommenen
Stimm- und Sprecheindruck oder
bleibt sie beim Dolmetschen im
Zweifelsfall etwas neutraler, da
die bspw. negative Konnotation
lediglich vokal ausgedrückt, aber
nicht direkt geäußert wird?
l Wenn sie sich auf ihre Wahrnehmung verlässt, steht sie vor der
Entscheidung, den emotionalen
Gehalt entweder lexikalisch auszudrücken oder andere gebärdensprachliche Mittel einzusetzen. Welche gebärdensprachlichen Ausdrucksmittel stehen ihr
hierfür zur Verfügung?
Bisher gibt es wenig Literatur, die
sich mit dieser Problematik auseinander setzt. Ich bin diesen Fragen
im Rahmen meiner Diplomarbeit
mittels einer Untersuchung nachgegangen, die ich hier vorstellen
möchte. Ziel der Untersuchung war
es, Dolmetscherinnen beim Dolmetschen emotionaler Inhalte, die
stark auf der vokalen Ebene ausgedrückt werden, zu beobachten und
die gebärdensprachlichen Ergebnisse anschließend zu analysieren.
Dabei war es für mich von besonderem Interesse, auf welchen Sprachebenen der DGS die vokal ausgedrückten Emotionen wiederzufinden sind. Weiterhin habe ich die
Dolmetscherinnen nach ihrer Vorgehensweise befragt – danach, worauf sie bei ihren Übersetzungen die
Schwerpunkte legen – und nach ihren Erfahrungen mit dem Dolmetschen von vokal ausgedrückten
Emotionen.
Im Rahmen dieses Artikels werde ich zunächst auf die Begriffe verbale und nonverbale Kommunikation eingehen und darauf, inwieweit sie tatsächlich deutlich voneinander abgegrenzt werden können.
Es folgt eine Betrachtung des nonverbalen Ausdrucks von Emotio-
1) Für die stets motivierende Begleitung meiner Diplomarbeit möchte ich mich ganz herzlich
bei Prof. Dr. Renate Fischer bedanken!
2) Im Folgenden verwende ich der Einfachheit halber den Ausdruck Dolmetscherinnen, meine damit jedoch Gebärdensprachdolmetscherinnen. Aufgrund des hohen Anteils an Frauen
in dieser Berufsgruppe verwende ich die weibliche Form der Berufsbezeichnung, in der die
männlichen Kollegen selbstverständlich mit eingeschlossen sind. Um der Diversität Rechnung zu tragen, mache ich ansonsten sowohl von der männlichen wie auch von der weiblichen Form Gebrauch.
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VON ANTJE SCHIDLOWSKI
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nen. Da Laut- und Gebärdensprachen unterschiedliche Sprachmodalitäten zugrunde liegen, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer
nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten. Von besonderem Interesse ist
der nonverbale Ausdruck von Emotionen in Gebärdensprachen, da eine Aufteilung in verbale und nonverbale Kommunikationskanäle
hier schwieriger zu treffen ist als in
Lautsprachen. Im Anschluss an die
theoretischen Ausführungen werde
ich die Untersuchung vorstellen.
Neben der Fragestellung und Zielsetzung wird das von mir entwickelte Analyseinstrumentarium näher
erläutert. Es folgen die methodische
Umsetzung, die Auswertung und
die Ergebnisse der Untersuchung.
Der Fokus bei der Betrachtung der
Ergebnisse liegt auf ihrer Relevanz
für die Arbeitspraxis von Dolmetscherinnen. Weiterhin gehe ich darauf ein, welche Konsequenzen sich
daraus für die Aus- und Weiterbildung von Dolmetscherinnen ergeben.
2. NONVERBALE KOMMUNIKATION BEIM GEBÄRDENSPRACHDOLMETSCHEN
2.1. Verbale und nonverbale
Kommunikation
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D
er Begriff nonverbale Kommunikation bezeichnet den
Bereich der Kommunikation,
der nicht auf Sprache beruht. Dazu
zählt Bußmann die „Gesamtheit der
in zwischenmenschlichen Kommunikationsprozessen auftretenden
nicht-sprachlichen Phänomene“
(Bußmann 2002, 473). Diese Phänomene werden nochmals unterteilt in vokale Mittel wie bspw. Laut-
stärke der Stimme, Stimmlage, Hüsteln usw., und in nicht-lautliche
Phänomene, zu denen nach Bußmann Mimik, Gestik, Körperhaltung, Blickkontakt, äußere Erscheinung und Kleidung gehören. Eine
solche Einteilung findet sich, teilweise ergänzt durch weitere Parameter wie Raumverhalten, Berührung und Umgebung, in der Literatur zu nonverbaler Kommunikation
wieder (vgl. Richmond & McCroskey 2000, 13; Burgoon 1996, 18f.).
Viele Linguisten haben sich mit
der Frage beschäftigt, inwieweit
nonverbale Kommunikation als ein
integraler Teil von Sprache zu begreifen ist oder aber lediglich
sprachunterstützende Funktion erfüllt (s. bspw. Pike 1971; Kolschanski 1978; Argyle 1979; Scherer 1984;
Arndt & Janney 1987; Kendon 2000;
McNeill 2000). Während in älterer
Literatur deutlich zwischen verbal
und nonverbal und somit zur Sprache gehörig oder sprachunterstützend unterschieden wird, findet
sich in der neueren Literatur ein anderer Ansatz. So bezeichnet bspw.
Burgoon verbale und nonverbale
Codes als ein „indivisible communication system [...]. To treat them
as independent systems is therefore
an artificial and counterproductive
distinction“ (Burgoon 1996, 161).
Die Entwicklung, nonverbale Kommunikation nicht länger unabhängig vom verbalen Anteil der Sprache zu sehen, sondern beide als Teil
eines Ganzen, nämlich Sprache, zu
begreifen, geht bezüglich der Gestik noch weiter. McNeill vertritt die
Annahme, dass gestischen und
sprachlichen Äußerungen derselbe
Prozess der Äußerungsbildung zugrunde liegt. Im Rahmen dieses Prozesses komme es zuerst zur Entstehung eines Bildes, das in einem
nächsten Schritt in eine komplexe
Struktur transformiert werde, die
sowohl Gesten wie auch linguistische Strukturen beinhalte (vgl.
McNeill 1992, 29f.). Die Überzeugung, dass Gesten wie auch andere
nonverbale Kommunikationsanteile einen Teil der Sprache ausmachen, wird jedoch bis heute nicht
von allen Linguisten geteilt. Es
bleibt abzuwarten, inwieweit der
Ansatz, verbale und nonverbale
Kommunikation nicht länger getrennt voneinander zu sehen, sondern nonverbale Kommunikation
als einen integralen Teil von Sprache zu begreifen, sich in der Linguistik durchsetzt. Aus Gründen der
Pragmatik verwende ich an dieser
Stelle weiterhin die Termini verbale
und nonverbale Kommunikation.
Lautsprachen und Gebärdensprachen liegen unterschiedliche
Sprachmodalitäten zugrunde, die
sich auch auf die nonverbale Kommunikation auswirken. Lautsprachen werden primär akustisch
wahrgenommen. Inwieweit Gestik,
Mimik, Raumverhalten und andere
so genannte nonverbale Sprachanteile zu den Lautsprachen zu zählen
sind, ist wie oben dargestellt umstritten. Der visuelle Eindruck spielt
zwar, vor allem in Hinblick auf die
Kommunikation in face-to-face-Situationen, ebenfalls eine Rolle, er
ist jedoch nicht notwendig. Dies
zeigt sich deutlich bei Telefongesprächen, die trotz des fehlenden
visuellen Eindrucks reibungslos ablaufen und als normale Kommunikationsform empfunden werden. In
Gebärdensprachen ist die visuelle
Wahrnehmung von primärer Bedeutung, ohne einen visuellen Eindruck des Gesprächspartners ist hier
keine Kommunikation möglich.
Die akustische Komponente hinge-
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und nonverbalen Kommunikationsanteilen in Gebärdensprachen
schwieriger ist als in Lautsprachen,
denn „sowohl linguistische wie
auch nonverbale Informationen
werden über dieselben Kanäle übertragen. Bei den nichtmanuellen Signalen, die in der Gebärdensprache
verwendet werden, handelt es sich
um die Haltung und Bewegung des
Oberkörpers und des Kopfes, die
Blickrichtung, spezifische Gesichtsausdrücke und Mundbilder“ (Boyes
Braem 1995, 97).
Im Vorwort der 3. Auflage ihres
Buches Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung weist
Boyes Braem darauf hin, dass früher
davon ausgegangen wurde, nichtverbale Kommunikation werde in
Gebärdensprache nonmanuell vermittelt. Mindestens zwei Studien
(Reilly et al. 1992 und Jauch 1994)
zeigten jedoch inzwischen, dass neben den nichtmanuellen Körpersignalen zum Ausdruck nonverbaler
Kommunikation auch die Größe
der Gebärden und ihre Ausführungshöhe eine Rolle spielten (vgl.
Boyes Braem 1995, 3). Die nonverbalen, nicht-sprachlichen Kommunikationsanteile finden sich folglich in allen von ihr genannten Bereichen wieder, nämlich im manuellen Ausdruck, im Gesichtsausdruck und im körperlichen Gesamtausdruck.3
Die für Lautsprachen typischen
Ausdrucksarten nonverbaler Kom-
3) Nähere Ausführungen dazu siehe Schidlowski 2004, 20ff.
4) Prosodie wird von Bußmann definiert als die „Gesamtheit spezifischer sprachlicher Eigenschaften wie Akzent, Intonation, Quantität, (Sprech-) Pausen. [...] Zur P. zählt auch die
Untersuchung von Sprechtempo und Sprechrhythmus“ (Bußmann 2002, 542).
5) „[D]er Begriff G.[efühle] oder Emotion läßt sich nicht definieren, sondern nur umschreiben [...]. G. sind Erlebnisse wie z.B. Freude, Ärger, Mitleid, Abscheu u. dgl.“ (Häcker 1998,
307). Ich verwende im Folgenden stets den Begriff Emotion, und verstehe darunter die von
Häcker aufgeführten Erlebnisse.
munikation, wie beispielsweise
lautliche Prosodie4, gibt es in dieser
Form in Gebärdensprachen nicht.
Durch die Beteiligung des gesamten
Körpers am Sprachausdruck und die
optionale Nutzung des Gebärdenraumes stehen jedoch andere Möglichkeiten für den Ausdruck nonverbaler Kommunikation zur Verfügung, die wiederum Lautsprachen nicht zugänglich sind. Dies
lässt die Schlussfolgerung zu, dass
nonverbale Kommunikation in beiden Sprachen ausgedrückt werden
kann und sich lediglich in der Wahl
der verwendeten Ausdrucksmittel
unterscheidet.
2.2. Nonverbaler Ausdruck von
Emotionen in Laut- und Gebärdensprachen
I
n Lautsprachen werden nonverbal ausgedrückte Emotionen5 auf
unterschiedliche Weise vermittelt: über die Mimik und Gestik,
mittels vokaler Parameter, durch
die Körperhaltung usw. Gehörlose
können große Teile dieser nonverbalen Informationen entschlüsseln,
lediglich die vokal ausgedrückten
Emotionen entgehen ihnen vollständig. Aus diesem Grunde werde
ich mich bei der Betrachtung des
nonverbalen Ausdrucks von Emotionen in Lautsprachen auf die vokalen Phänomene konzentrieren.
Eckert und Laver illustrieren
den Zusammenhang zwischen einer empfundenen Emotion und deren physiologischen Auswirkungen, wenn sie feststellen, dass „allgemein-menschliche Phänomene –
wie Angst, die sich beklemmend auf
Brust und Atmung auswirkt, Ekel,
der uns die Kehle zuschnürt, Wohligkeit, die entspannend wirkt –
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gen fällt weg. Die Sprachproduktion
unterscheidet sich ebenfalls grundlegend: Bei den Lautsprachen erzeugt der Stimmapparat Laute, aus
denen Wörter entstehen, welche
die Sprache bilden. Gebärden setzen sich zusammen aus Bewegungen der Hände und Arme, des Oberkörpers und des Kopfes und einer
ausgeprägten Mimik. Somit stehen
Gebärdenden mehrere Artikulatoren für die Sprachproduktion zur
Verfügung, die zumeist simultan
eingesetzt werden. Diese fundamentalen Unterschiede wirken sich
auch auf den Bereich der nonverbalen bzw. nichtsprachlichen Kommunikation in Laut- und Gebärdensprachen aus. Die vokale Kommunikation, zu der bspw. die Tonhöhe, die Klangfarbe, das Sprechtempo und der Sprechrhythmus gehören, kann nur akustisch wahrgenommen werden und ist somit ein
Charakteristikum von Lautsprachen. Unterschiede finden sich
ebenfalls im Bereich der Gestik und
Mimik: In Lautsprachen begleiten
Gestik und Mimik die verbalen Äußerungen, während Gebärdensprachen per se visuell-gestische Sprachen sind, in denen gebärdete Äußerungen, begleitet von der Mimik
und dem körperlichen Gesamtausdruck, den verbalen Inhalten der
Lautsprachen entsprechen.
Boyes Braem betont in diesem
Zusammenhang, dass die Unterscheidung zwischen linguistischen
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auch in der Stimme ihren Ausdruck
finden“ (Eckert & Laver 1994, 162).
Befänden wir uns in einem stark gefühlsbetonten Zustand, den wir
nicht preisgeben wollten, so sei es
möglich, dass die Stimme unsere
Gefühle dennoch verrate, da an der
Stimmerzeugung über 100 Muskeln
beteiligt seien, die in ihrer Funktion
perfekt aufeinander abgestimmt
werden müssten (vgl. Eckert & Laver 1994, 6). Sie stellen schließlich
fest: „Die Stimme ist der Ausdruck
von Stimmungen. Sie spiegelt wie
kaum ein anderes menschliches
Phänomen unsere Gefühle wieder
[sic]. Das menschliche Ohr ist bestens gerüstet, im Bereich der stimmlichen Frequenzen selbst die feinsten akustischen Unterschiede wahrzunehmen“ (Eckert & Laver 1994,
161).
Es scheint ein allgemeines Bewusstsein um die emotionale Ausdruckskraft der Stimme zu bestehen, was sich auch in ihrem
bewussten Einsatz als Stilmittel in
der Darstellenden Kunst, wie Theater und Film, widerspiegelt.
Die Betrachtung des nonverbalen Ausdrucks von Emotionen in
Gebärdensprachen gestaltet sich
aufgrund der nicht eindeutigen
Aufteilung in verbales und nonverbales Verhalten schwieriger als in
Lautsprachen (vgl. Johnston 1996,
65) und es ist derzeit noch unklar,
über welche Kommunikationskanäle und auf welche Art und Weise
nonverbales Verhalten geäußert
wird. In der vorhandenen Literatur
werden die drei nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten – manueller
Ausdruck, Gesichtsausdruck und
körperlicher Gesamtausdruck –
auch im Zusammenhang mit dem
Ausdruck von Emotionen genannt.
Einigkeit besteht hinsichtlich der
wichtigen Rolle des Gesichtsausdrucks beim nonverbalen Ausdruck
von Emotionen in Gebärdensprachen. Daneben werden über die
Hände affektive Informationen
übermittelt, wenn auch in geringerem Maße (vgl. Reilly et al. 1992,
123; Jauch 1994, 23). Johnston
führt zudem die Körperhaltung als
Träger von Emotionen an (vgl.
Johnston 1996, 77). Reilly et al. stellen fest, dass zwei der fünf Kanäle,
die in Gebärdensprachen linguistische Funktionen übernehmen 6,
nämlich Gesicht und Hände, auch
affektive Informationen übermitteln. Sie stellen die Vermutung an,
dass möglicherweise die anderen
Kanäle ebenfalls affektive Informationen übertragen (vgl. Reilly et al.
1992, 124f.).
„Thus, rather than surprising
us, the diffusion of affective prosody across channels in ASL would follow as a natural consequence of the
nature of emotion. What is extraordinary about signed languages is
that there is a distribution of linguistic information across channels
that results in the integration of affect and language across multiple
channels simultaneously“ (Reilly et
al. 1992, 125).
Diese Vermutung klingt m.E.
plausibel und sollte in Zukunft
überprüft werden.
2.3. Gebärdensprachdolmetschen
D
ie unterschiedlichen Sprachmodalitäten von Laut- und
Gebärdensprachen wirken
sich auf das Gebärdensprachdolmetschen aus. Metzger weist auf die
besonderen Charakteristika beim
Dolmetschen zwischen zwei Spra-
chen mit unterschiedlichen Sprachmodalitäten hin: „While spokenspoken or signed-signed language
interpreters deal with participants
who are presumably not fluent in
one another’s languages, interpreters who work in signed-spoken
language settings encounter a
unique phenomenon. That is, the
interlocutors not only cannot understand the other language, but
even prosodic information, or the
fact that an utterance has occured
at all might be totally unknown to a
participant without the interpreter’s contributions“ (Metzger 1999,
180).
Neben den von Metzger genannten nicht wahrgenommenen
prosodischen Informationen bestehen auch hinsichtlich der Gestik
und Mimik Unterschiede zwischen
Laut- und Gebärdensprachen. Da
sich die nonverbalen Ausdrucksmittel der beiden Sprachmodalitäten
unterscheiden, ist unklar, ob Verwender von Gebärdensprachen und
Lautsprachen die nonverbalen Ausdrucksmittel der jeweils anderen
Sprachmodalität
entschlüsseln
können. Gebärdensprachdolmetscherinnen kommt somit in einer
Kommunikationssituation eine
wichtige Rolle zu, da die Person, für
die sie dolmetscht, die nonverbale
Kommunikation der jeweils anderen nicht oder nur ungenügend
wahrnehmen und deuten kann. Die
Dolmetscherin selbst hat ebenfalls
eine eingeschränkte Wahrnehmung der nonverbalen Kommunikation, da sie beim Dolmetschen
von Deutsch in DGS den Blickkon-
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6) Reilly et al. beziehen sich auf die von Baker und Padden 1978 genannten Kommunikationskanäle: die Hände und Arme, der Kopf,
das Gesicht, die Augen und die Körperhaltung und -orientierung
(vgl. Baker & Padden 1978, 29).
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3. UNTERSUCHUNG ZUM VOKALEN AUSDRUCK VON EMOTIONEN BEIM DOLMETSCHEN VON
DEUTSCH IN DEUTSCHE GEBÄRDENSPRACHE
3.1. Fragestellung und Zielsetzung
I
n Lautsprachen werden emotionale Inhalte und persönliche Befindlichkeiten in hohem Maße
über den Stimmklang und die
Sprechweise vermittelt. Neben dem
tatsächlich geäußerten Inhalt orientieren sich die Rezipientinnen entscheidend an dem, was durch die
Stimme mitklingt. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Ironie, die
nicht funktionieren würde, wenn
wir nicht in starkem Maße vokale
Parameter in unsere Interpretation
des Geäußerten miteinbeziehen
würden. Die wichtige Rolle vokaler
Parameter in Lautsprache in Verbindung mit ihrem Nicht-Vorhandensein in Gebärdensprache eröffnet
die Frage, wie Dolmetscherinnen
bei ihrer Arbeit mit diesem Problem
umgehen.
Ziel der von mir durchgeführten Untersuchung ist es, fünf Dolmetscherinnen dabei zu beobachten, wie sie fünf durch den Stimmklang und die Sprechweise stark
emotional gefärbte Ausgangstexte
in Gebärdensprache umsetzen und
zu untersuchen, welche gebärdensprachlichen Mittel dabei eingesetzt werden. Die Untersuchung
wird sich dabei auf die Verdolmetschung des letzten lautsprachlichen
Satzes konzentrieren. Dieser ist bei
allen fünf Texten im Wortlaut identisch und unterscheidet sich nur
durch den vokalen Ausdruck der jeweils unterliegenden Emotion. Anschließend habe ich mit allen Dolmetscherinnen ein qualitatives
Interview geführt, durch das ihre jeweiligen Ziele, Vorgehensweisen
und Vorstellungen bezüglich der
Thematik deutlich werden. Auf der
Grundlage der in der Fachliteratur
genannten Entsprechungen vokaler Ausdrucksmittel in Gebärdensprache und unter Berücksichtigung der Aufnahmen der Dolmetscherinnen habe ich ein Instrumentarium entwickelt, das bei der Auswertung der Verdolmetschungen
angewandt werden soll. Aufgrund
des vorhandenen Bewusstseins um
die Bedeutung der Mimik beim Ausdruck von Emotionen und der
Schwierigkeit ihrer Transkription,
habe ich mich gegen die Mimik sowie Körperhaltung und -orientierung als Untersuchungsparameter
entschieden. Bezüglich des nonverbalen Ausdrucks von Emotionen
liegt die Konzentration statt dessen
auf der bisher weitaus weniger
untersuchten manuellen Ebene.
Daneben besteht die Möglichkeit,
dass Dolmetscherinnen im Deutschen vokal vermittelte Emotionen
in Gebärdensprache nicht nonverbal, sondern verbal bzw. lexikalisch
realisieren. Einen zweiten Untersuchungsschwerpunkt neben den manuell-prosodischen Aspekten bilden somit die lexikalischen Aspekte. Mittels des Untersuchungsinstrumentariums werden die gebärdensprachlichen Produktionen der
Dolmetscherinnen analysiert und
ausgewertet und die in den Interviews von den Dolmetscherinnen
geäußerten Ansichten dargelegt.
3.2. Analyseinstrumentarium
3.2.1. MANUELL-PROSODISCHE ASPEKTE
B
ei der Auswahl möglicher manuell-prosodischer Untersuchungsparameter orientiere
ich mich im Folgenden an der Studie von Reilly et al. von 1992, die
als Ergebnis festhalten, dass über
den manuellen Kanal neben den
segmentalen auch suprasegmentale Anteile von Gebärdensprache
vermittelt werden: „aspects of manual signing also contribute reliably emotional information“
(Reilly et al. 1992, 123). In Anlehnung an diese Untersuchung greife
ich die folgenden Untersuchungsparameter auf: Satzproduktionsdauer, Größe der Gebärden und
Ausführungshöhe in Relation zum
Körper. Daneben gehe ich auf die
Verwendung doppelhändiger Gebärden ein.
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takt mit der gehörlosen Rezipientin
aufrechterhalten muss und deshalb
die Sprecherin nicht oder nur kurz
ansehen kann. Deren Gestik, Mimik, Körperhaltung etc. kann nur
eingeschränkt wahrgenommen
werden, und die Dolmetscherin
baut ihre Verdolmetschung in Bezug auf nonverbale Kommunikation hauptsächlich auf die vokal
vermittelten nonverbalen Informationen auf. Hinsichtlich der gebärdensprachlichen Entsprechungen
vokaler Ausdrucksmittel ist sie jedoch weitgehend auf sich alleine
gestellt, da sich bisher nur wenige
Linguisten und Linguistinnen dieses Themas angenommen haben
und auch im Bereich der Translationswissenschaft keine Erkenntnisse hierzu vorliegen. Somit fehlen den Dolmetscherinnen notwendige Orientierungshilfen und sie
sind darauf angewiesen, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln.
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l Satzproduktionsdauer
Reilly et al. stellen bezüglich der
Satzproduktionsdauer fest, dass bei
Traurigkeit als zugrunde liegender
Emotion langsamer gebärdet wird
und dass von Zorn geprägte Äußerungen kürzer sind. Hier gilt es zu
überprüfen, ob sich solche Unterschiede auch bei den Dolmetscherinnen wiederfinden. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass
Dolmetscherinnen nicht selbst ihr
Tempo bestimmen können, sondern vom Sprecher des Ausgangstextes abhängig sind, an den sie sich
zwangsläufig im Tempo anpassen
müssen. Insofern muss die durch
das Sprechtempo bedingte Satzproduktionsdauer mit der des Sprechers des Ausgangstextes in Relation gestellt werden. Beim letzten
Satz haben die Dolmetscherinnen
die Möglichkeit, noch weiter zu gebärden, nachdem der Sprecher seinen Satz beendet hat, gleichzeitig
wird in diesem Moment die Größe
des Timelags für die Rezipienten besonders offensichtlich, was die Dolmetscherinnen teilweise als unangenehm empfinden. So äußert Dolmetscherin C bspw.: „Man will ja
auch nicht viel länger brauchen als
der Redner“. Die Satzproduktionsdauer ist also ein Parameter, bei dessen Untersuchung die besonderen
Charakteristika einer gedolmetschten Situation berücksichtigt werden
müssen, da das Sprechtempo der
Dolmetscherinnen voraussichtlich
von den lautsprachlichen Aufnahmen der fünf vorgegebenen Texte
beeinflusst ist. In der Auswertung
gilt es zu klären, inwieweit diese Annahme tatsächlich zutrifft.
l Größe der Gebärden und Ausführungshöhe in Relation zum Körper
Die Gebärdengröße und die Ausfüh-
rungshöhe werden von Reilly et al.
anhand eines Gebärdenfensters ermittelt, das durch den höchsten
und den tiefsten und den am weitesten rechts bzw. links liegenden
Punkt der ausgeführten Gebärde in
Relation zum Kinn beschrieben
wird. Die anhand dieses Fensters ermittelte Größe unterscheidet sich
wiederum in charakteristischer
Weise bei zugrunde liegender Traurigkeit und bei zugrunde liegendem
Zorn; bezüglich der Ausführungshöhe unterscheidet sich die Ausführung bei zugrunde liegender Traurigkeit von allen anderen untersuchten Emotionen.
Bei dem für die Auswertung zur
Verfügung stehenden Material soll
überprüft werden, inwieweit Gebärdengröße und Ausführungshöhe
bei den einzelnen Aufnahmen der
Dolmetscherinnen variieren und so
möglicherweise die zugrunde liegenden Emotionen verstärkt zum
Ausdruck gebracht werden.
l Verwendung doppelhändiger Gebärden
Nespor und Sandler sowie Heßmann weisen auf die prosodischen
Möglichkeiten hin, die sich durch
den optionalen Einsatz der nichtdominanten Hand ergeben (vgl.
Nespor & Sandler 1999, 172; Heßmann 2001, 57). In einem Seminar
an der Universität Hamburg7 wurden doppelhändig ausgeführte Gebärden als charakteristisch für einen durchschlagkräftigen und
selbstbewussten Gebärdenstil, wie
er bei politischen Reden auftritt, gesehen.
Inwieweit doppelhändig ausgeführte Gebärden bei einzelnen
Emotionen gehäuft auftreten, und
wenn ja bei welchen, gilt es zu
untersuchen.
3.2.2. LEXIKALISCHE ASPEKTE
E
s bestehen unterschiedliche
Möglichkeiten, die im Deutschen vokal ausgedrückten
Emotionen in Deutscher Gebärdensprache lexikalisch zu realisieren.
So können bspw. Gesten oder Spezialgebärden zum Ausdruck von
Emotionen eingesetzt werden. Daneben gibt es die Möglichkeit lexikalischer Konkretisierungen, indem bspw. die Dolmetscherin die
vokal vermittelte Emotion in DGS
anhand eines eingefügten Adjektivs
benennt. Weiterhin können zuvor
bereits genannte Inhalte zur Intensivierung nochmals wiederholt
werden, in vollem Bewusstsein dessen, dass eine solche Wiederholung
im lautsprachlichen Ausgangstext
nicht vorgenommen wird.
l Verwendung von Gesten
Für Lautsprachen wird die Verwendung von Gesten beim nonverbalen Ausdruck von Emotionen beschrieben. Eine Schwierigkeit bezüglich der Gestik in Gebärdensprachen besteht darin, dass die Unterscheidung zwischen einer Gebärde
und einer Geste oftmals schwierig
ist und von verschiedenen Autoren
unterschiedliche Klassifizierungen
vorgenommen werden (vgl. Emmorey 1998, 16; Heßmann 2001, 76f.).
Ich orientiere mich im Weiteren an
den von Heßmann vorgenommenen Einordnungen. Er bezeichnet
die Gesten Hörender, die von Ge-
7) Seminar „Alltag: Politik II: Wahlen“ im SS 2002; Seminarleitung: Meike Vaupel und
Knut Weinmeister.
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l Verwendung von Spezialgebärden
Eine in der Fachliteratur wenig beachtete Kategorie von Gebärden
sind die so genannten Spezialgebärden. Als solche bezeichnet werden
sie in den Sprachlehrveranstaltungen zur Deutschen Gebärdensprache an der Universität Hamburg
und in den dort verwendeten Lehrbüchern (s. Beeken et al. 2002, 139).
An anderer Stelle werden sie unter
der Bezeichnung „idiomatische Gebärden“ (Ebbinghaus & Heßmann
1989, 200) aufgeführt. Die sich
durch ihren idiomatischen Charakter auszeichnenden Spezialgebärden eignen sich unter Umständen
in besonderer Weise für den Ausdruck von Emotionen.
Inwieweit dies tatsächlich zutrifft und sie in den Verdolmetschungen in verstärktem Maße eingesetzt werden, soll ein weiterer
Untersuchungsaspekt sein.
l Lexikalische Konkretisierungen
durch Adjektive
Weiterhin soll untersucht werden,
ob die Dolmetscherinnen affektive
Informationen, die nur auf der vokalen Ebene ausgedrückt werden,
in Gebärdensprache möglicherweise lexikalisch ausdrücken. Hier
bietet sich eine Untersuchung der
Verdolmetschung des dritten Teils
des letzten Satzes einer jeden Aufnahme an („was für ein Tag!“). Dieser Ausspruch erhält durch die
unterschiedlichen vokalen Parameter jeweils eine andere Bedeutung,
die jedoch lediglich nonverbal ausgedrückt wird. Hier besteht die
Möglichkeit, dass die Dolmetscherinnen die zugrunde liegende Emotion nicht nonverbal bzw. nichtsprachlich ausdrücken, sondern
dies auf lexikalischer Ebene geschieht – etwa durch Einfügen eines Adjektivs, das die jeweilige Qualität des Tages benennt.
l Wiederholung von Inhalten
Neben dem Einfügen von Adjekti-
8) Die Gebärden werden in Form von Glossen wiedergegeben. Eine Glosse ist ein in Großbuchstaben gesetztes deutsches Wort, das als Erinnerungshilfe für die gemeinte Gebärde
fungiert, jedoch keine Übersetzung darstellt (s. auch Heßmann 2001, 43).
VOGEL-ZEIGEN beschreibt Heßmann wie folgt: „Der Zeigefinger der Zeigehand (Fläche hinten, Kante innen) tippt zweimal gegen die Stirn“ (Heßmann 2001, 355).
9) „Der Zeigefinger der Zeigehand (Fläche hinten, Kante innen) berührt das Kinn“ (Heßmann 2001, 285).
10) Für detaillierte Angaben zur Methodik s. Schidlowski 2004, 59ff.
ven können zuvor bereits genannte
Inhalte nochmals aufgegriffen werden, um die lautsprachlich vokal
ausgedrückte Emotion für die Rezipientin durch Wiederholung des
emotionalisierenden Sachverhalts
deutlich zu vermitteln. Eine solche
Vorgehensweise ist beim mittleren
Teil des letzten Satzes der aufgenommenen Texte denkbar („sag’
das nochmal“).
Die Verdolmetschungen werden unter diesem Aspekt betrachtet
und ich werde untersuchen, ob die
Dolmetscherinnen von dieser Strategie bei bestimmten Emotionen
gehäuft Gebrauch machen.
3.3. Methodik10
3.3.1. HERSTELLUNG UND BEURTEILUNG
DES LAUTSPRACHLICHEN AUSGANGSMATERIALS
D
as lautsprachliche Ausgangsmaterial sollte aus stark emotional gefärbten, umgangssprachlich vorgetragenen Texten
bestehen, in denen eine Person einer imaginären zweiten Person von
ihren Erlebnissen berichtet. Jedem
der Texte sollte primär eine Emotion zugrunde liegen und alle fünf
Texte aus Gründen der besseren
Vergleichbarkeit eine auf der Wortebene gleichbleibende, in einen
Kontext eingebundene Passage enthalten, die sich nur vokal unterscheidet. Das Einbetten in einen
Kontext hat den Zweck, den Aufbau
einer Emotion zu ermöglichen. Da
mir solches Material nicht vorlag,
entschied ich mich dafür, selbst entsprechende Texte zu formulieren
und sie von einem Schauspieler
sprechen zu lassen. Die Anzahl der
Emotionen beschränkte ich auf
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hörlosen ebenfalls verwendet werden und eine festgelegte Form und
Bedeutung haben, als Gebärden, so
etwa das VOGEL-ZEIGEN8 (vgl.
Heßmann 2001, 76). Aufgrund der
nicht eindeutigen Unterscheidung
zwischen einer Geste und einer
konventionellen Gebärde, ordnet
Heßmann einige der Gebärden bzw.
Gesten des von ihm erhobenen Datenkorpus der Kategorie „Gestisch
motivierte Gebärden“ (Heßmann
2001, 77) zu, wie bspw. NACHDENKLICH9. Weiterhin fungierten
Gesten als Teil eines gesamt-körperlichen Ausdrucksverhaltens, wie es
bei Rollenübernahmen vorkomme
(vgl. Heßmann 2001, 76f.).
Die Verdolmetschungen werden hinsichtlich der Verwendung
von Gesten untersucht, dabei ist es
von Interesse, ob zum Ausdruck einzelner Emotionen verstärkt Gesten
eingesetzt werden.
D O L M E T S C H E N
Fünf Texte, die primär jeweils eine Emotion ausdrücken
DZ 69/05
fünf: Traurigkeit, Wut, Freude,
Überraschung und Angst.
Eine im Wortlaut identische
Passage, die in allen fünf Texten in
gleicher Weise vorkommt, stellt im
Hinblick auf eine Verdolmetschung
in DGS einen konstanten Faktor dar
und wirft die Frage auf, ob diese
Konstante in Gebärdensprache in
gleicher Weise auf der lexikalischen
Ebene zu finden sein wird. In Anlehnung an eine von Tischer durchgeführte Untersuchung übernahm
ich, in leicht veränderter Form, drei
im Wortlaut gleichbleibende Standardsätze, die auf unterschiedliche
Emotionen angewendet werden
können (vgl. Tischer 1993, 121). Somit bestand die Vorlage für das lautsprachliche Ausgangsmaterial aus
fünf unterschiedlichen Texten, denen primär jeweils eine Emotion
zugrunde liegt. Der letzte Satz eines
jeden Textes lautet: „Ich konnt’s
echt nicht glauben und meinte nur:
‚Sag’ das nochmal‘ und dachte, was
für ein Tag!“
Um zu prüfen, ob die zugrunde
liegenden Emotionen erkannt werden, wurden die fünf Tonaufnahmen zehn Personen11 vorgespielt,
die mit Hilfe eines Fragebogens beurteilen sollten, welche Emotion jeweils vorherrschend ist: Den Tonaufnahmen konnte größtenteils eine eindeutige Emotionsbezeichnung zugewiesen werden (lediglich
bei der Aufnahme für die Emotion
Angst wurde diese nur teilweise erkannt und häufig Verzweiflung als
zugrunde liegende Emotion genannt). Dies qualifiziert die Tonaufnahmen als sehr geeignetes lautsprachliches Ausgangsmaterial für
11) Bei den befragten Personen handelte es
sich um sieben Frauen und drei Männer im
Alter von 26 bis 69 Jahren.
1. Traurigkeit
„Hab‘ ich dir eigentlich von meiner Katze erzählt? Ich war neulich in Urlaub und in der
Zeit sollte eine Freundin auf sie aufpassen. Das hatte ich schon öfter so gemacht und
es hat immer gut geklappt. Diesmal war meine Katze aber irgendwie komisch als ich
am Vorbereiten und Packen war. Sie strich mir die ganze Zeit um die Beine und sprang
immer wieder in den halbgepackten Koffer rein. Auch beim Verabschieden benahm
sie sich anders als sonst, wollte viel gestreichelt werden und maunzte ganz kläglich. Im
Urlaub war ich irgendwie unruhig deswegen und hab‘ mir überlegt, ich rufe meine
Freundin einfach mal an, quasi, um mir bestätigen zu lassen, dass alles okay ist. Und
am Telefon erfahre ich dann von ihr, dass meine Katze am Tag nachdem ich abgefahren bin gestorben ist. Ich konnt’s echt nicht glauben und meinte nur: ‚Sag‘ das nochmal!‘ und dachte, was für ein Tag!“
2. Wut
„Weißt du schon das Neuste von Peter? Also mein ehemaliger Mitbewohner Peter, der,
der mich auf der 540-Euro-Telefonrechnung sitzen gelassen hat. Ich hab‘ ihn ständig
angerufen, Briefe und E-Mails geschrieben, um an mein Geld zu kommen, aber er
wich mir immer wieder aus. Als ich ihn dann zufälligerweise mal traf, versuchte ich es
auch auf die Mitleidstour, nämlich dass ich nicht wüsste, wovon ich diesen Monat leben soll und so. Er zeigte sich dann recht kooperativ, sagte, er habe das Geld bisher
selber einfach nicht gehabt, wir könnten uns aber Mittwoch treffen und er würde es
mir dann geben. Nachdem er am Mittwoch nach zehn Minuten noch nicht da war, hatte ich schon die Befürchtung, dass er nicht mehr kommen würde. Ich wartete noch eine Viertelstunde auf ihn, rief ihn dann an, hörte jedoch nur die Ansage ‚Kein Anschluss
unter dieser Nummer‘. Von einem Bekannten erfuhr ich dann, dass Peter am Wochenende nach Stuttgart gezogen sei, was er auch schon länger geplant habe. Ich konnt’s
echt nicht glauben und meinte nur: ‚Sag‘ das nochmal!‘ und dachte, was für ein Tag!“
3. Freude
„Dieses Jahr sah‘s bei mir finanziell echt schlecht aus, ich hatte wenig Aufträge und
musste dazu noch 6000,- Euro Steuern für das letzte Jahr nachzahlen. Damit war klar,
dass ich einen Urlaub vergessen konnte. Dabei hatte ich das Gefühl, so richtig urlaubsreif zu sein. Als ich vorgestern Abend nach Hause kam, erzählte mir mein Mitbewohner dann, dass ein Anruf von einer Zeitschrift gekommen sei, bei der ich vor längerer Zeit bei einem Gewinnspiel mitgemacht hatte. Ich sei die Hauptgewinnerin: Zwei
Wochen Malediven mit Vollpension inklusive Tauchkurs für zwei Personen! Ich konnt’s
echt nicht glauben und meinte nur: ‚Sag‘ das nochmal!‘ und dachte, was für ein Tag!“
4. Überraschung
„Du glaubst gar nicht, was mir im Urlaub passiert ist! Ich war mit einem Freund zusammen in Thailand, wo wir zuerst ein paar Tage am Strand waren und danach mehrere Touren durch den Dschungel unternommen haben. Das war total interessant,
weil es dort enorm viel zu sehen gab: Riesengroße Schmetterlinge in allen möglichen
Farben, exotische Vögel, gefährlich aussehende Spinnen und natürlich ganz viele
Pflanzen, die ich noch nie gesehen hatte. Auf einer Tour drehte sich mein Freund, der
vorne lief, plötzlich um und flüsterte mir zu, dass auf einer Lichtung etwa 20 Meter vor
uns zwei Elephanten ständen. Ich konnt’s echt nicht glauben und meinte nur: ‚Sag‘ das
nochmal!‘ und dachte, was für ein Tag!“
5. Angst
„Ich habe letztes Jahr schon versucht, mein Jura-Staatsexamen zu machen, bin aber
durchgefallen. Obwohl ich wusste, dass ich jetzt nur noch eine Chance habe, hab‘ ich
das anfangs noch ganz gut weggesteckt, aber je näher der neue Termin rückt, desto
mehr Horror bekomme ich davor. Nachts träume ich immer wieder von dem Prüfer,
bei dem ich damals das Gefühl hatte, er mag mich überhaupt nicht und der mit einem
arroganten Lächeln meinen stotternden Ausführungen zuhörte, um mir danach in
lehrmeisterlichem Ton zu sagen, dass ein erfolgreicher Jurist während seines Studiums
eben doch mehr tun müsse, als ein paar Scheine zusammenzusammeln. Regelmäßig
wache ich nachts schweißgebadet auf, sehe sein hämisch grinsendes Gesicht vor mir
und es dauert ewig, bis ich mich beruhigt habe und wieder einschlafen kann. Heute
ruft mich dann eine Kommilitonin an und erzählt mir, dass wir beide als Zweitprüfer
wieder diesen Prüfer haben. Ich konnt’s echt nicht glauben und meinte nur: ‚Sag‘ das
nochmal!‘ und dachte, was für ein Tag!“
97
eine Verdolmetschung in DGS. Es
ist davon auszugehen, dass die Aufnahmen von den Dolmetscherinnen in ähnlicher Weise rezipiert
werden; ihre Aufgabe wird es sein,
die erkannten Emotionen adäquat
in DGS zu übertragen.
3.3.2. DOLMETSCHEN DES LAUTSPRACHLICHEN AUSGANGSMATERIALS IN DGS
98
D
as Ausgangsmaterial wurde
von fünf Dolmetscherinnen12 simultan in Deutsche
Gebärdensprache gedolmetscht, so
dass insgesamt 25 gebärdensprachliche Aufnahmen entstanden. Die
Dolmetscherinnen wurden im Vorfeld über den Untersuchungsgegenstand informiert. Ihnen wurde mitgeteilt, dass untersucht wird, wie
vokal ausgedrückte Emotionen in
DGS übertragen werden. Sie wussten, dass sie fünf alltagssprachliche
Tonaufnahmen von je ca. einer Minute Länge hören würden, die ein
hohes Maß an Emotionalität aufweisen. Dabei waren ihnen jedoch
weder die Texte zuvor bekannt
noch wussten sie von dem im Wortlaut gleichbleibenden Satz am Ende
jeder Aufnahme. Außerdem war ihnen zuvor nicht bekannt, um welche Emotionen es sich handeln sollte. Die Aufnahmen fanden im Videostudio des Instituts für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser zwischen August
und Oktober 2003 statt.
3.3.3. DURCHFÜHRUNG DER INTERVIEWS
I
m Anschluss an die Videoaufnahmen habe ich mit jeder Dolmetscherin ein qualitatives Interview
geführt. Eine grobe Struktur war dadurch vorgegeben, dass ich mit den
Dolmetscherinnen zusammen die
Videoaufnahmen nochmals angesehen habe. Die Dauer der Interviews betrug einschließlich des Ansehens der Aufnahmen zwischen 40
und 75 Minuten.
3.3.4. VORGEHENSWEISE BEI DER AUSWERTUNG
D
ie 25 gebärdensprachlichen
Aufnahmen (fünf Aufnahmen von fünf Dolmetscherinnen) wurden mittels des in von
mir entwickelten Untersuchungsinstrumentariums analysiert und
ausgewertet. Die Auswertung konzentrierte sich auf die Verdolmetschung des letzten Satzes der lautsprachlichen Aufnahme, da dieser
auf der verbalen Ebene bei den fünf
Aufnahmen immer gleich war und
sich nur durch die vokalen Parameter unterschied. An diesem Punkt
der gebärdensprachlichen Aufnahme war im Übrigen davon auszugehen, dass die Dolmetscherinnen
aufgrund des vorangegangenen Inhalts und des Einsatzes vokaler Mittel durch den Schauspieler die zugrunde liegende Emotion erkannt
hatten. Die Verdolmetschung dieses letztes Satzes bestand in der
12) Zwei der fünf Dolmetscherinnen besitzen ein Diplom im Fach Gebärdensprachdolmetschen, zwei haben eine staatliche Prüfung abgelegt. Die Berufserfahrung der Dolmetscherinnen liegt zwischen fünf und 20 Jahren, zwei Dolmetscherinnen sind Kinder gehörloser Eltern.
13) Da bei der Aufnahme mit der intendierten Emotion Angst häufig auch Verzweiflung als
erkannte Emotion genannt wurde, bezeichne ich sie als „Angst“/„Verzweiflung“ (A/V).
DGS-Verdolmetschung nicht immer nur aus einem Satz und wird
von mir im Folgenden als letzte Äußerung der Dolmetscherinnen bezeichnet.
Bei der Auswertung der manuell-prosodischen und der manuellen Aspekte bin ich folgendermaßen vorgegangen: Zuerst wurden die einzelnen Aspekte hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden
Emotionen untersucht. Anschließend wurden die Aufnahmen der
einzelnen Dolmetscherinnen betrachtet und mit den Aufnahmen
der anderen Dolmetscherinnen verglichen. Soweit sie sich in den Interviews zu den einzelnen Aspekten
äußern, werde ich dies in dem jeweiligen Kontext mit einbringen.
Die Aufnahmen wurden nach denen ihnen zugrunde liegenden
Emotionen benannt13 und mit den
großgeschriebenen Anfangsbuchstaben abgekürzt, danach folgt das
Kürzel der Dolmetscherinnen. So
handelt es sich bei FR: A um die Aufnahme „Freude“ von Dolmetscherin A.
Die Messungen zur Produktionslänge des letztes Satzes wurden
anhand des Timecodes vorgenommen. Eine Schwierigkeit beim Messen der Gebärdengröße und der
Ausführungshöhe war der unterschiedliche Abstand der Dolmetscherinnen zur Videokamera. Dadurch war lediglich ein intraindividueller Vergleich möglich, d.h. die
fünf Aufnahmen einer Dolmetscherin konnten miteinander verglichen werden, nicht jedoch ein
interindividueller Vergleich, bei
dem die Aufnahmen aller Dolmetscherinnen betrachtet werden. Die
Messungen zur Gebärdengröße und
zur Ausführungshöhe wurden
mittels eines mit dem Computer-
DZ 69/05
D O L M E T S C H E N
D O L M E T S C H E N
programm Photoshop auf die
Videoaufnahmen aufgetragenen
Gitternetzes vorgenommen, das
kleine Kästchen von gleicher Höhe
und Breite bildet.
3.4. Auswertung
DZ 69/05
3.4.1. MANUELL-PROSODISCHE ASPEKTE
l Satzproduktionsdauer
Der Sprecher sowie alle Dolmetscherinnen variieren hinsichtlich
ihrer Produktionsdauer der jeweils
letzten Äußerung. Beim Sprecher
liegt die Differenz zwischen der
höchsten und der niedrigsten Produktionsdauer bei fünf Sekunden,
bei den Dolmetscherinnen finden
sich ähnliche Differenzen. Eine
Ausnahme bildet Dolmetscherin D,
deren maximale Differenz neun Sekunden beträgt.
„Traurigkeit“: Höchste Produktionsdauer, obwohl die Produktionsdauer dieser Aufnahme bei
den Dolmetscherinnen sehr unterschiedlich ist und von der des Sprechers um plus vier bis minus zwei
Sekunden abweicht.
„Angst“/„Verzweiflung“: Die
Produktionslängen der Dolmetscherinnen sind hier wiederum
unterschiedlich und weichen um
plus minus zwei Sekunden von der
des Sprechers ab (nicht berücksichtigt wird die Aufnahme von Dolmetscherin E, die sich bei der letzten Äußerung vergebärdet).
„Wut“, „Freude“, „Überraschung“: Hier orientieren sich die
Dolmetscherinnen bezüglich der
Produktionslänge stark am Sprecher.
Die Produktionsdauer hängt
stark von der Anzahl der verwendeten Gebärden und vom Tempo ab.
Zum Tempo haben sich zwei Dolmetscherinnen in den Interviews
geäußert. So nennt Dolmetscherin
A das Tempo als einen Parameter,
der den vokalen Parametern in
Lautsprachen entspreche. Weiterhin erwähnt sie als einen Teil nonverbaler Gliederungssignale eingefrorene Gebärden, d.h. das Beibehalten von Gebärden oder auch von
Körperhaltungen über eine Äußerung hinaus. Da hierzu Zeit benötigt wird, wirkt sich dieses Stilmittel
m.E. auch auf die Produktionsdauer
aus. Sowohl Dolmetscherin A als
auch Dolmetscherin D verbinden
zudem die Emotion Traurigkeit mit
einem geringen Tempo; Dolmetscherin D sagt, dass sie bei Aufregung schneller gebärde.
l Größe der Gebärden
Eine von den Dolmetscherinnen
häufig verwendete Gebärde ist TAG
im letzten Teil des letzten Satzes
(was für ein Tag!“). Da die Dolmetscherinnen die Gebärde TAG in 18
von 25 Aufnahmen verwenden,
wird die Gebärdengröße anhand
dieser Gebärde untersucht. Dabei
habe ich sowohl die horizontale wie
die vertikale Gebärdenausdehnung
berücksichtigt. Es zeigt sich, dass die
Dolmetscherinnen in unterschiedlichem Maße in ihrer Gebärdengröße variieren. Bei Dolmetscherin C
ist die horizontale Ausdehnung der
Gebärde TAG immer gleich groß
und auch bei der vertikalen Ausdehnung zeigt sie nur bei den Aufnahmen „Überraschung“ und
„Angst“/„Verzweiflung“ eine geringe Größendifferenz. Die Dolmetscherinnen A, D und E variieren wesentlich stärker in ihrer horizontalen und vertikalen Ausdehnung, bei
ihnen sind die größeren Unterschiede in der vertikalen Ebene im
Vergleich zu der horizontalen Ebene auffallend. Die großen Varianzen bezüglich der vertikalen Ausdehnung deuten darauf hin, dass es
sich hierbei möglicherweise um einen Parameter handelt, von dem
die Dolmetscherinnen intensiv Gebrauch machen. Die Gebärdengröße ist also ein Stilmittel, das von einigen Dolmetscherinnen zum Ausdruck von Emotionen eingesetzt
wird. Vor allem bei der Aufnahme
„Freude“ wird sehr groß gebärdet.
Bei der Aufnahme „Wut“ lässt sich
lediglich feststellen, dass die Dolmetscherin, von der diesbezügliche
Werte vorliegen, hier am größten
gebärdet.
Die interindividuelle Spanne
bezüglich der Ausdehnung der Gebärde TAG ist bei „Traurigkeit“ am
größten. Die im Schnitt geringsten
Werte finden sich bei „Angst“/„Verzweiflung“.
In den Interviews äußerten sich
die Dolmetscherinnen ebenfalls zur
Gebärdengröße. So wird gesagt,
dass eine große Gebärdenausführung großer Lautstärke entspricht
(B), kleine Gebärden hingegen das
Äquivalent zu einer geringen Lautstärke seien, wie Dolmetscherin D
anhand eines Erlebnisses näher ausführt: „Neulich [...] hat eine ganz
leise und ganz fistelig und ganz
ganz verwaschen geredet und da habe ich, sozusagen um dem Gehörlosen zu zeigen, was gerade abgeht,
ganz klein gebärdet und direkt nur
vor der Brust und auch ganz wenig
Raum genommen und ganz wenig
Lokalitäten benutzt, weil ihre Stimme auch ganz traurig und verwaschen war und da ist auch wenig
Modulation drin und was soll man
da machen? Das habe ich genau so
übertragen und war ganz traurig,
dass der Gehörlose sozusagen nicht
99
D O L M E T S C H E N
l Ausführungshöhe in Relation zum
Körper
Die Untersuchung zur Ausführungshöhe stützte sich auf die bereits hinsichtlich ihrer Ausführungsgröße untersuchte Gebärde
TAG. Neben ihrer häufigen Verwendung handelt es sich um eine von
ihrer Ausführungsstelle her relativ
flexible Gebärde, da sie nicht an einem bestimmten Punkt des Körpers
ansetzt. Gemessen wurden der
höchste und der niedrigste Punkt
der Gebärde TAG. Als konstanter
Vergleichspunkt diente dabei das
Kinn, das als Nullpunkt fungierte.
Dabei ist festzustellen, dass es sowohl hinsichtlich des höchsten als
auch des niedrigsten Punktes der
Gebärde TAG bei allen Dolmetsche-
rinnen zu Unterschieden in der Ausführungshöhe kommt. Bei „Freude“ zeigen drei der vier Dolmetscherinnen ihre höchste Ausführungshöhe, die auf bzw. über dem
Kinnniveau liegt und somit für die
Gebärde TAG erstaunlich hoch ist.
Es sind somit Unterschiede bezüglich der Ausführungshöhe festzustellen, es bleibt jedoch unklar, ob
diese Unterschiede das Ergebnis der
großen vertikalen Ausdehnung der
Gebärde TAG bei den einzelnen
Emotionen sind oder tatsächlich
durch die Ausführungshöhe selbst
bestimmt werden. Die Invarianz
von Dolmetscherin C bezüglich der
vertikalen Gebärdengröße deutet
bei der Emotion Wut jedoch auf eine niedrigere Ausführungshöhe
hin. Bei der Aufnahme „Freude“
werden zwar hohe Ausführungswerte gemessen, die tiefsten Werte
differieren allerdings nicht von den
tiefsten Werten der anderen Emotionen (abgesehen von der Aufnahme „Wut“). Möglicherweise ist die
maximale Ausführungshöhe hier
durch die große vertikale Ausdehnung der Gebärde TAG bei „Freude“ bedingt. Die Dolmetscherinnen
äußerten sich in den Interviews
nicht zur Ausführungshöhe.
l Verwendung doppelhändiger Gebärden
Einhändige Gebärden werden ohne
Beteiligung der anderen Hand ausgeführt, bei doppelhändigen Gebärden „haben [beide Hände] die gleiche Handform und bewegen sich gemeinsam (parallel, symmetrisch
oder alternierend) bei der Ausfüh-
rung der Gebärde“ (Heßmann 2001,
155). Bei der Einordnung in einhändige und doppelhändige Gebärden
orientierte ich mich an dem umfangreichen Verzeichnis zur Deutschen Gebärdensprache in Heßmann (2001). Die von den Dolmetscherinnen A–E doppelhändig ausgeführten Gebärden wurden von
mir gemäß den Kategorien Heßmanns in einhändige und sowohl
ein- als auch doppelhändig beschriebene Gebärden unterteilt. Die per se
doppelhändigen Gebärden wurden
nicht erfasst, da eine doppelhändige
Ausführung hier keine optionale
Möglichkeit darstellt, sondern in der
Gebärde selbst begründet liegt.
Auffallend ist die große Anzahl
doppelhändiger Gebärden, die Erstaunen, Entrüstung oder Bekräftigung ausdrücken (z.B. GEWALTIG14, UNMÖGLICH, STIMMT). Alle fünf Dolmetscherinnen setzen
doppelhändig ausgeführte Gebärden in ihren Verdolmetschungen
ein, jedoch in unterschiedlichem
Maße. Dabei verwendet Dolmetscherin D mit den meisten doppelhändig ausgeführten Gebärden
dreimal so viele wie Dolmetscherin
E, welche die wenigsten doppelhändigen Gebärden einsetzt. Bezüglich
der unterschiedlichen Emotionen
finden sich weniger doppelhändig
ausgeführte Gebärden bei den Emotionen Traurigkeit und Angst/Verzweiflung als bei Wut, Freude und
Überraschung, bei denen im Durchschnitt von den Dolmetscherinnen
jeweils die gleiche Anzahl doppelhändig ausgeführter Gebärden eingesetzt werden.
14) GEWALTIG steht als Glosse für die auf Schulterhöhe erhobene, sich hin und her bewegende Faust der rechten Hand (s. auch Heßmann 2001, 232), häufig ist die Gebärde von einer durch aufgeblasene Wangen charakterisierte Mundmimik oder vom Mundbild „boah“
begleitet.
DZ 69/05
100
zu schätzen wusste, was ich da gemacht habe, er hat immer ein bisschen abwesend geguckt, ist
zwischendurch auch fast eingeschlafen. Dann aber zwei Stunden
später meinte er, na, das war doch
diese komische Frau vorhin, da wo
du so klein gebärdet hast, die so eine leise Stimme hatte, und da dachte ich, wunderbar, super, er hat also
tatsächlich mitgekriegt, was ich
mittransportieren wollte!“
Darüber hinaus verbinden alle
Dolmetscherinnen einzelne Emotionen und Charakterzüge, wie etwa Aufregung, Wut, Forschheit
oder Bestimmtheit, mit einer großen Gebärdenausführung und andere, wie Traurigkeit oder Schüchternheit, mit einer kleinen Gebärdenausführung. Dolmetscherin D
merkte an, dass sie emotionale Inhalte generell größer gebärde und
äußerte aus diesem Grunde den
Wunsch, während der Videoaufnahmen stehen zu dürfen, da sie so
ausdrucksstärker gebärden könne.
D O L M E T S C H E N
Im Interview äußerte sich Dolmetscherin E zu einhändiger versus
doppelhändiger Gebärdenausführung: Sie vermutet, dass jemand,
der schüchtern oder verhalten sei,
möglicherweise nur eine Hand benutzt, während bei einer forschen
und mit Nachdruck getätigten Äußerung beide Hände eingesetzt werden.
DZ 69/05
3.4.2. LEXIKALISCHE ASPEKTE
l Verwendung von Gesten
Gesten, zu denen ich hier auch die
von Heßmann als gestisch motivierte Gebärden bezeichneten Handbewegungen zähle, werden von allen
Dolmetscherinnen eingesetzt. Die
mit vierzehnmal mit Abstand am
häufigsten verwendete Geste ist die
so genannte Offene-Hand-Geste15
(Heßmann 2001, 78). Neben dieser
und zwei weiteren eher neutral einzustufenden Gesten, die sowohl in
negativen wie in positiven Zusammenhängen eingesetzt werden,
dienen die verwendeten Gesten
dem Ausdruck von Emotionen. Dabei drückt nur eine Geste eine positive Emotion aus (ZITTERN16 aufgrund von Freude in FR: C), alle anderen haben eine negative Konnotation.
Einige Dolmetscherinnen machen häufig Gebrauch von Gesten,
andere dagegen verwenden sehr
wenige. Interessant ist die Beobachtung, dass die Dolmetscherinnen,
welche die meisten Gesten verwenden (A und E), zu etwa zwei Dritteln
die „Offene-Hand-Geste“ verwenden, während die anderen Dolmetscherinnen diese weitaus weniger
einsetzen. Das deutlichste Ergebnis
ist die große Anzahl verwendeter
Gesten in Zusammenhang mit
Traurigkeit und die wenigen Gesten, die bei der Aufnahme „Wut“
verwendet werden. Auffallend ist
bei dieser Aufnahme weiterhin die
fast ausschließliche Verwendung
der „Offene-Hand-Geste“.
Die einzelnen Dolmetscherinnen unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Anzahl der von ihnen
verwendeten Gesten als auch in der
Art der Gesten. In den Interviews
äußerten sich die Dolmetscherinnen nicht zum Gebrauch von Gesten als Ausdruck von Emotionen.
l Verwendung von Spezialgebärden
Spezialgebärden werden nur dreimal und damit sehr selten eingesetzt. Bei der Aufnahme „Traurigkeit“ verwendet Dolmetscherin A
die Spezialgebärde AUS17 und Dolmetscherin E MERKWÜRDIG18, bei
„Angst“/„Verzweiflung“ verwendet
Dolmetscherin C KINN-FÄLLTRUNTER19.
Im Interview äußert Dolmetscherin A, dass sie sich gut vorstellen
könne, „dass das so ist, dass man versucht sich am Stimmklang zu orientieren und dann vielleicht eher Spezialgebärden benutzt, die sehr eindeutig eine Gefühlslage wiedergeben. Die sind einfach nicht missver-
ständlich, da werden sehr deutlich
diese Trauergefühle, diese Betroffenheitsgefühle oder so etwas rübergebracht, auch weil die für den Fall nur
diese eine Bedeutung haben.“
Dolmetscherin C sagt, dass sie
bei Intonation als erstes an Mimik
denke und „auf keinen Fall zuerst
an Spezialgebärden, obwohl die natürlich helfen, in kurzer Zeit viel rüberzubringen“, räumt jedoch ein,
dass diese gut für die Vermittlung
von Stimmungen und auch Emotionen geeignet seien. Dolmetscherin E betont gleichfalls, dass Spezialgebärden kurz und prägnant emotionale Zustände vermittelten. Eine
andere Einschätzung von Spezialgebärden hat Dolmetscherin D, für
die deren Verwendung eng mit dem
gewählten Sprachregister zusammenhängt: „Je besser ich jemanden kenne oder je kumpelhaftfamiliärer oder je weniger elaboriert
der Code ist, desto mehr mache ich
solche Spezialgebärden.“ Sie weist
jedoch darauf hin, dass ein solcher
„familiärer Stil“ stärker von Emotionen geprägt sei.
Die Dolmetscherinnen betonen also vor allem die Prägnanz von
Spezialgebärden, die es ermögliche,
durch nur eine Gebärde einen be-
15) „[Sie] besteht aus einem kurzen Halten der mit den Handflächen nach oben weisenden
geöffneten Hände bzw. einer entsprechenden Aufwärtsdrehung der Hände. Offenbar handelt es sich um den Ausdruck einer abwartenden, den eigenen unfertigen Gedanken nachhängenden, das Gegenüber zu Meinungsbildung oder Reaktion einladenden Haltung. Ein
solches gestisches Innehalten steht häufig am Ende eines Satzes und markiert dann gleichsam den Abschluß eines Gedankens“ (Heßmann 2001, 78).
16) Die angewinkelten Arme mit Fausthandform gehen mit kurzen Bewegungen hin und
her.
17) Die geöffnete Pfötchenhand wird an der schwachen Körperseite (Fläche unten, Kante
vorne) geschlossen.
18) MERKWÜRDIG ist formengleich mit Heßmanns SENSATION: „Die Zeigehand (Fläche
hinten, Kante innen) geht an der Handfläche der schwachen Flachhand (Fläche hinten,
Kante unten) vorbei nach oben“ (Heßmann 2001, 322). Ich führe die Gebärde aufgrund
der unterschiedlich beschriebenen Bedeutung jedoch extra auf.
19) Die Krallenhand (Fläche oben) fällt vom Kinn ausgehend nach unten.
101
stimmten Eindruck bei der Rezipientin hervorzurufen. Da viele
Spezialgebärden emotionale Zustände ausdrücken, scheinen sie
sich somit für die Vermittlung von
Emotionen zu eignen.
102
l Lexikalische Konkretisierungen
durch Adjektive
Der Ausspruch „was für ein Tag!“
am Ende des letzten Satzes erschließt sich im Deutschen zu großen Teilen über prosodische Mittel,
während er auf lexikalischer Ebene
emotional indifferent bleibt. Hier
stellt sich die Frage, ob die im Deutschen bestehende lexikalische Formengleichheit in Gebärdensprache
ebenfalls wiederzufinden ist und
wie die von den jeweiligen Emotionen abhängigen prosodischen Unterschiede in Gebärdensprache gedolmetscht werden.
Es lässt sich eindeutig feststellen, dass die Äußerungen am Ende
jeder Aufnahme in den gebärdensprachlichen Versionen keine lexikalische Formengleichheit aufweisen: Sowohl beim interindividuellen Vergleich der fünf Dolmetscherinnen als auch beim intraindividuellen Vergleich der Verdolmetschungen liegen Unterschiede auf
lexikalischer Ebene vor. In diesem
Zusammenhang muss darauf verwiesen werden, dass beim Dolmetschen Form und Inhalt des Inputs
voneinander getrennt werden, um
den Inhalt anschließend in einer
der Zielsprache angemessenen
Form zu verpacken. Da Prosodie in
Gebärden- und Lautsprachen unterschiedlich ausgedrückt wird, ist dieses Ergebnis nicht erstaunlich. Die
viermalige Wiederholung der letzten Äußerung war den Dolmetscherinnen zuvor nicht bekannt, so dass
der mögliche Anspruch, auch in Ge-
bärdensprache eine Formengleichheit zu wahren, erst im Laufe des
Dolmetschens aufkommen konnte.
Bei der Mehrzahl der Aufnahmen fügen die Dolmetscherinnen
distinkte Adjektive ein, welche die
in den Tonaufnahmen prosodisch
ausgedrückten Emotionen deutlich
benennen, so bspw. SCHLIMM
HEUTE TAG SCHLIMM (A/V: C),
und die eindeutig als positiv oder
negativ eingeordnet werden können. Lediglich Dolmetscherin A verzichtet bei einer Aufnahme darauf,
ein Adjektiv einzufügen, indem sie
gebärdet: SELBST SAGEN WAS TAG
mit dem Mundbild selbst sag was für
ein Tag (WU: A). Neben den beiden
Möglichkeiten, in denen die Emotion entweder eindeutig benannt
oder nicht benannt wird, gibt es
noch eine dritte Möglichkeit, nämlich das Einfügen eines semantisch
indifferenten Adjektivs. Davon
macht Dolmetscherin E bei der Aufnahme „Traurigkeit“ Gebrauch
(MERKWÜRDIG TAG MERKWÜRDIG). Das Bild bei den einzelnen
Emotionen unterscheidet sich nur
geringfügig, lediglich für die Aufnahme „Wut“ stellt sich das Ergebnis anders dar, da hier nur zwei Dolmetscherinnen semantisch distinkte Adjektive verwenden, während
die anderen sich in ihrer Verdolmetschung teilweise sehr stark von
der lautsprachlichen Satzstruktur
lösen und demzufolge etwas anderes gebärden.
Es lässt sich somit feststellen,
dass die im Deutschen bestehende
lexikalische Formengleichheit in
den Verdolmetschungen nicht
wiederzufinden ist. Während die
zugrunde liegende Emotion bei
„was für ein Tag!“ im Deutschen
mittels Prosodie ausgedrückt wird,
machen die Dolmetscherinnen fast
ausschließlich von semantisch distinkten Adjektiven Gebrauch. Dolmetscherin D äußert als Einzige das
Bestreben nach lexikalischer Formengleichheit in der gebärdensprachlichen Umsetzung: „Dieses
‚sag’ das nochmal, was für ein Tag!‘
habe ich nie gleich gebärdet und
wenn ich es vorher gewusst hätte,
hätte ich mir was zurecht gelegt und
je nach Stimmung dann angepasst,
so dass auch der Gehörlose gemerkt
hätte, dass es in der Lautsprache immer der gleiche Satz ist, also nicht
nur der gleiche Inhalt, sondern immer auch die gleiche Formulierung.
[...] wenn gleiche Form in der Lautsprache besteht, darf man ruhig
auch gleiche Form in der Gebärdensprache benutzen.“
Sie verwendet, nachdem sie die
im Deutschen bestehende Formengleichheit erkannt hat, so auch
zweimal semantisch indifferente
Adjektive mit fast identischen Gebärdenabfolgen: HEUTE GEWALTIG TAG (FR) und GEWALTIG HEUTE TAG GEWALTIG (ÜB).
Mit ihrer Ansicht unterscheidet
sich Dolmetscherin D von den anderen Dolmetscherinnen, die ein
solches Bestreben nicht äußern.
Dolmetscherin C ist es vielmehr
wichtig, sich von der lautsprachlichen Form zu lösen und ihr Ziel
besteht darin, den Inhalt in eine der
DGS angemessene Form zu verpacken, dabei spiele die lautsprachliche Formengleichheit für sie keine
Rolle. Bezüglich des ebenfalls immer wiederkehrenden Ausspruchs
„sag’ das nochmal“ äußert sie bspw.
nach Ansicht ihrer dritten Videoaufnahme (FR): „Bis dahin habe
auch ich begriffen, dass das jetzt jedes Mal kommt und dann hat man
vielleicht auch den Mut, sich davon
zu lösen und zu sagen, das ist ei-
DZ 69/05
D O L M E T S C H E N
D O L M E T S C H E N
gentlich nicht wichtig“. Sie setzt als
Einzige durchgängig bei allen Videoaufnahmen die jeweilige Emotion deutlich benennende Adjektive ein.
l Wiederholung von Inhalten
Bei der Äußerung „Ich konnt’s echt
nicht glauben und meinte nur: ‚Sag’
das nochmal‘“ besteht die Möglichkeit, das Emotionen auslösende Ereignis noch einmal zu wiederholen.
So gebärdet bspw. Dolmetscherin C
bei der Aufnahme „Traurigkeit“:
KÖNNEN-NICHT GLAUBEN WAHR
MEINE KATZE TOT, BESCHEID
WAS NOCHMAL TELEFON sie-BESCHEID-ich. Das Wiederholen
könnte eine Möglichkeit darstellen,
die im Deutschen prosodisch ausgedrückte Emotion gebärdensprachlich zu vermitteln. Von dieser Dolmetschstrategie wird jedoch
nur wenig Gebrauch gemacht und
ihr Einsatz ist stark personenspezifisch. Dolmetscherin C bedient sich
häufiger dieses Stilmittels, begründet dies jedoch nicht mit einer gewünschten Intensivierung von
Emotionen. Für sie stellt das Wiederholen ein gebärdensprachliches
Pendant des ihres Erachtens typisch
lautsprachlichen Ausdrucks „sag’
das nochmal“ dar.
3.5. Ergebnisse der Untersuchung
DZ 69/05
D
ie von mir erstellten Ausgangstexte, gesprochen von einem
professionellen Schauspieler,
wurden von zehn Probanden beurteilt und die darin ausgedrückten
Emotionen bis auf eine eindeutig
erkannt. Dies qualifizierte die Tonaufnahmen im Rahmen dieser
Untersuchung als Ausgangsmaterial
für eine Verdolmetschung in DGS.
Trotz der guten Beurteilung muss
jedoch berücksichtigt werden, dass
es sich nicht um authentisches
Datenmaterial handelt. In der von
mir durchgeführten Untersuchung
wurde in einem zweiten Schritt das
sprachliche Ausgangsmaterial in einer wiederum nicht-authentischen
Situation von den Dolmetscherinnen simultan in DGS gedolmetscht.
Diese doppelte Simulation liegt also dem gedolmetschten Datenmaterial zugrunde und muss bei der
Betrachtung der Ergebnisse berücksichtigt werden. Ferner basieren die
erhobenen Daten auf der Verdolmetschung lediglich eines lautsprachlichen Satzes durch fünf Dolmetscherinnen – es handelt sich somit um einen kleinen Datenkorpus.
Trotzdem geben die Ergebnisse der
Untersuchung Aufschluss darüber,
wie Dolmetscherinnen vokal ausgedrückte Emotionen in DGS umsetzen und es wird deutlich, in welchen Bereichen weiterführende
Untersuchungen von großem Interesse wären.
Es zeigt sich, dass die einzelnen
Dolmetscherinnen zum Ausdruck
von Emotionen unterschiedliche
manuell-prosodische und lexikalische Mittel einsetzen bzw. in unterschiedlichem Maße Gebrauch von
den verschiedenen Mitteln machen. Bezüglich der manuell-prosodischen Untersuchungsaspekte
wird festgestellt, dass die Satzproduktionsdauer, wie schon zuvor
vermutet, eng mit der des Sprechers
zusammenhängt; bei zwei Aufnahmen (TR, A/V) wird jedoch davon
abgewichen. Interessante Ergebnisse finden sich hinsichtlich der
Gebärdengröße, die bei den einzelnen Emotionen stark variiert und
somit durchaus als Mittel zum Aus-
druck von Emotionen eingesetzt
wird. Eine Dolmetscherin zeigt
allerdings keine nennenswerten Variationen bezüglich der Gebärdengröße. Die Ausführungshöhe
scheint sich bei der Emotion Wut
nach unten zu verschieben. Der
Einsatz doppelhändig ausgeführter
Gebärden variiert ebenfalls je nach
ausgedrückter Emotion. Weit mehr
hängt die doppelhändige Ausführung jedoch von den einzelnen Dolmetscherinnen ab, bei Einzelnen
sind deutliche Präferenzen für dieses Stilmittel zu erkennen. Gleiches
gilt bei den lexikalischen Aspekten
für die Verwendung von Gesten, die
ebenfalls stark von Dolmetscherin
zu Dolmetscherin variiert, darüber
hinaus werden Gesten jedoch auch
emotionsspezifisch in teilweise sehr
großem und teilweise geringem
Umfang eingesetzt. Ein verstärkter
Einsatz von Spezialgebärden zum
Ausdruck von Emotionen konnte
nicht festgestellt werden. Dagegen
bedienen sich die Dolmetscherinnen in großem Maße des Verfahrens, die im Deutschen prosodisch
ausgedrückten Emotionen in DGS
lexikalisch auszudrücken, indem
sie distinkte Adjektive hinzufügen.
Auf der lexikalischen Ebene besteht
weiterhin die Möglichkeit, den zuvor genannten Inhalt nochmals zu
wiederholen. Davon macht überwiegend Dolmetscherin C Gebrauch, was auf einen personenspezifischen Einsatz dieses Mittels hindeutet.
4. AUSBLICK
D
as Gebärdensprachdolmetschen stellt eine besondere
Kommunikationssituation
dar, in welcher der Dolmetscherin
103
D O L M E T S C H E N
Forderung des Lautsprachendolmetschers Sergio Viaggio an, dass
die Verdolmetschung nonverbaler
Sprachanteile bereits während der
Ausbildung vermittelt werden
müsste (vgl. Viaggio 1997, 291). Die
an meiner Untersuchung beteiligten Dolmetscherinnen gehen in
den Interviews darauf ein, diesbezüglich zu wenig in ihren Ausbildungen gelernt zu haben. Davon
sind nicht nur die unterschiedlichen Ausbildungsgänge für Gebärdensprachdolmetschen in Deutschland, sondern auch in den USA betroffen: Es sei allgemein bekannt,
dass in der Ausbildung von Dolmetscherinnen der Fokus auf dem konkreten Inhalt der Äußerung liege
und weniger auf ihrer Expressivität
(vgl. Varma 1998, 8). In diesem Zusammenhang gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die Erforschung
der Gebärdensprache erst Mitte des
20. Jahrhunderts begann und es im
Vergleich zu Lautsprachen bis heute noch wenige Erkenntnisse hinsichtlich nonverbaler Ausdrucksmöglichkeiten in Gebärdensprachen gibt. Dies ist möglicherweise
ein Grund für die in meiner Untersuchung festgestellten sehr unterschiedlichen Verdolmetschungen
vokal ausgedrückter Emotionen.
Die spontane Bereitschaft der
fünf Dolmetscherinnen, bei der
Untersuchung mitzuwirken, spiegelt
das große Interesse der Profession an
Erkenntnissen hinsichtlich der Thematik wider.20 Die hier vorgestellte
explorative Untersuchung stellt eine
erste Annäherung an die Verdolmetschung nonverbaler Kommunikationsanteile von Deutsch in Deutsche Gebärdensprache dar. Meines
20) An dieser Stelle möchte ich mich nochmals herzlich bei den mitwirkenden Dolmetscherinnen bedanken, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre!
Erachtens wäre es für die Theorie
und Praxis des Gebärdensprachdolmetschens von großer Relevanz, einzelne von mir untersuchte Aspekte
in einer größer angelegten Studie
vertiefend zu untersuchen.
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eine wichtige Rolle zukommt, da
nur durch sie der Kommunikationsfluss gewährleistet ist und sie durch
ihr Handeln die Situation stark beeinflussen kann. Erschwerend
kommt hinzu, dass Sender und
Empfänger nur Teile der nonverbalen Kommunikation der jeweils anderen Partei wahrnehmen können.
Da der Bereich der vokalen Kommunikation für Gehörlose nicht zu
erschließen ist und emotionale Befindlichkeiten in besonderem Maße vokal ausgedrückt werden,
kommt der Dolmetscherin eine
Schlüsselfunktion für das Gelingen
der Kommunikation zu. Diese Verantwortung ist den Dolmetscherinnen bewusst, wie die folgende Äußerung von Dolmetscherin A zeigt:
„Der Großteil an Beziehungen, die
zwischen Leuten aufgebaut werden
im Gespräch, finde ich, läuft über
Emotionen oder über die Art und
Weise wie du dich ausdrückst.“
Gleichzeitig stellt das Erlernen nonverbaler Sprachanteile beim Zweitspracherwerb in besonderem Maße
eine Schwierigkeit und somit auch
Herausforderung dar. Laut Boyes
Braem beobachten Gebärdensprachdozenten, dass Hörende, die
Gebärdensprache als Zweitsprache
erlernt haben, Lexikon, Phonologie
und Grammatik größtenteils beherrschen, ihnen aber der richtige
Gebärdenrhythmus fehle und sie
dadurch schwer zu verstehen seien
(vgl. Boyes Braem 1999, 177).
Nonverbale
Komponenten
nehmen eine entscheidende Rolle
im Kommunikationsablauf ein,
und so auch in der besonderen
Kommunikationssituation des Dolmetschens. Ich schließe mich der
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Verfasserin
Antje Schidlowski hat an der Universität Hamburg Gebärdensprachdolmetschen studiert und absolviert derzeit ihre Diplomprüfung
Kontakt
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