Storytelling at its Best Dinge, die Marketeers von Weihnachten lernen können Sven Reinecke „Content Marketing“ – so lautet eines der aktuellen Schlagworte der Marketinglandschaft. Frei nach dem Motto „Inhalt statt Hülse“ (Christian Belz) geht es darum, keine illusionären „Pseudowelten“ aufzubauen, sondern einzigartige Botschaften mit Gehalt zu vermitteln. Das dazu beliebteste Mittel der Wahl ist „Storytelling“. Geschichten erhöhen Authentizität und Unverwechselbarkeit: Familienunternehmen unterstreichen ihre Tradition, Marken präsentieren sich sagenumworben und geheimnisvoll (Stichwort: die geheimen Coca-Cola-Zutaten oder das Rezepturgeheimnis des Appenzeller Käse). Geschichten sind meist leicht zu verstehen und ermöglichen es, in einer multimedialen und vernetzten Welt Aufmerksamkeit zu generieren – mehr noch: Geschichten begeistern, inspirieren und involvieren. Das Christentum hat mit der Weihnachtsgeschichte keineswegs das Geschichtenerzählen erfunden. Dieses ist bereits über 40‘000 Jahre alt (Höhlenzeichnungen) und wurde im Altertum durch Mythologien, Sagen und später durch Fabeln perfektioniert. Dennoch: Die Weihnachtgeschichte ist definitiv ein „Best Practice“ des Storytellings, von der auch betriebswirtschaftlich orientierte Marketingleute Einiges lernen können. 1.Verbindung von Ethos, Logos und Pathos Bereits in vorchristlicher Zeit hat sich Aristoteles intensiv damit auseinander gesetzt, welche drei Dinge eine gute Geschichte haben muss: Ethos (glaubwürdiger Kern, Wertorientierung), Logos (Struktur, logischer Zusammenhang) und Pathos (starke Gefühle, Emotion). Die Weihnachtsgeschichte verbindet alle drei Elemente vorzüglich. Im Herzen der Geschichte (Ethos) steckt die einzigartige „unerhörte Begebenheit“, das Wirkversprechen (die Geburt des Erlösers) – profan in der Marketingsprache entspräche dies dem Markenkern bzw. der USP. Ferner arbeitet die Weihnachtsgeschichte mit rationalen Elementen des Logos, indem sie sich stark auf weltliche Herrscher (Kaiser Augustus, König Herodes den Grossen) oder sogar schon im ersten Satz (Lukas 2, Vers 1) auf weltliche Ereignisse wie die Volkszählung bezieht. Unterstrichen wird dies durch Berufungen auf alttestamentarische Prophezeiungen. „Best Practice“ ist die Weihnachtsgeschichte aber insbesondere hinsichtlich ihrer Emotionalität (Pathos); sie spricht alle sechs Grundemotionen nach Ekmann an: Freude (Geburt, Erlösung), Überraschung (Stern von Bethlehem, Engel), Angst (Hirten, Flucht nach Ägypten), Trauer und Wut (Verweigerung der Herberge, Krippe) und sowie Ekel (Kindesmord). Geschickt kombiniert die Weihnachtsgeschichte die beiden emotionalen Grundmuster der Heroik (Spiel der Macht und der Mächtigen sowie deren Verstrickungen) einerseits mit Aufopferung und Erlösung (Entbehrungen und Hingabe zum Wohle eines grösseren Ganzen) andererseits. Dies gelingt durch geschickte „Inszenierungen“ (Engel, Weise bzw. „Könige“ aus dem Morgenland), Appelle an zentrale Schlüsselreize wie das Fürsorgeverhalten (Kindchenschema) sowie persönliche Identifikation. Lernen kann man daraus, dass für eine wirkungsvolle Geschichte die wahrgenommenen, lebhaften Emotionen und Gefühle viel wichtiger sind als rationale Tatsachen. Die Kernbotschaft der Weihnachtsgeschichte bleibt bis heute unverändert gültig: Im Zentrum der Frohen Botschaft steht das unfassbare Ereignis, die Geburt des Messias – mit tiefgreifender Emotionalität für alle Glaubenden – selbst, wenn wir inzwischen wissen, dass so manche „historischen“ Fakten der Weihnachtsgeschichte nicht ganz zutreffend bzw. leicht durcheinander geraten sind: Zu einem Bürgerzensus mussten nur die Römer – und nicht Juden wie Josef; ein Provinzialzensus für Nichtrömer hat erst nach Herodes Tod stattgefunden. Jesus wurde wahrscheinlich nicht im Winter geboren, weil die Schafe der Hirten in Bethlehem in Ställen, sicherlich aber nicht im Freien gewesen wären. 2. Kontinuität und Wiederholung Die Weihnachtsgeschichte inszeniert den „Familiarity Bias“ der Wiedererkennung geschickt. Die „Story“ bzw. „Botschaft“ ändert sich nicht – im Gegenteil, sie gewinnt durch Kontinuität und alljährliche Wiederholung. Bei der Weihnachtsgeschichte kommt glückerweise auch niemand – wie so mancher Marketeer bei Markenartiklern – auf die Idee, aufgrund vermeintlicher Langweile die Geschichte zu „aktualisieren“, die „Botschaft zu schärfen“ oder gar das Christkind „neu zu positionieren“. Im Gegenteil: Der Kern der Weihnachtsgeschichte wird durch Wiederholung verstärkt – auch wenn die Interpretationen (Predigten) sich dem Zeitgeist nicht verschliessen müssen. 3. Frühes „Priming“ „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Die Weihnachtsgeschichte ist eine der ersten Geschichten, die Kinder in unserem Kulturkreis kennlernen – selbst wenn sie nicht aus einem christlichen Elternhaus stammen. 4. Intensive Kundenintegration Im modernen Marketing gilt die Integration von Kunden in den Wertschöpfungsprozess als Königsweg der Kundenbindung. Sie führt zu gesteigertem Involvement sowie höherer Kundenzufriedenheit, gesteigerter Markenidentifikation und intensiverer Loyalität. In die Inszenierung Weihnachtsgeschichte wird man im Kindergarten, in der Schule und in der Kirche integriert: Welches Kind ist nicht stolz darauf, zumindest einmal einen Engel, den Josef oder gar die Maria im Krippenspiel gespielt zu haben? Von der farbenfrohen Mitwirkung bei den Heiligen 3 Königen ganz zu schweigen! An den vielfältigen Ritualen des Weihnachtsfests wirkt jeder in der einen oder anderen Form mit – egal, ob diese eher stärker mit dem christlichen Glauben verbunden sind oder nicht (Weihnachtsmarkt, Adventskalender, Weihnachtsgans, Christglocke, Tannenbaum, Weihnachtsgottesdienst oder – zumindest – dem symbolischen Akt des Schenkens oder Beschenkt-Werdens). 5. Starke Community-Ausrichtung Weihnachten „erlebt“ man in der Gemeinschaft, sonst ist es langweilig oder traurig – unabhängig davon, ob diese „Community“ die Familie, die Gemeinde oder einfach der Freundeskreis ist. Neben der Bibel als „owned media“ arbeitet die Kirche nur im extremen Ausnahmefall mit „paid media“ (Werbung), sondern setzt voll auf „earned media“ – die Kommunikation der Community. Diese ist zwar in den meisten Gemeinden noch nicht „elektronisch“ in Form von „Social Media“ wie Facebook oder Twitter, aber ebenso „netzwirksam“ und – leider – inhaltlich ebenso unkontrollierbar. So ist ein „Star Wars“-Adventskalender von Lego zwar zielgruppengerecht, aber wohl kaum im Sinne der „frohen“ Botschaft. Den Marketingprofessionals unter Ihnen sei empfohlen, die Weihnachtsgeschichte unvorgenommen als „Best Practice“ des Storytellings zu analysieren und damit Inspirationen für das professionelle Marketing der eigenen Marke zu erhalten. Es lohnt sich durchaus, von einer über 2000-jährigen „Marke“ zu lernen. Den glaubenden Christen unter Ihnen empfehle ich, noch einen Schritt weiter zu gehen: Vom Storytelling zum Storydoing. Nur, wenn man den Kern der Weihnachtsgeschichte durch eigenes Handeln für andere erlebbar macht, kann man sie selber erleben. Sven Reinecke, Institut für Marketing an der Universität St.Gallen, www.ifm.unisg.ch