MÄRKTE & CHANCEN • TÜRKEI Ein Land im Umbruch Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner der Türkei Die Türkei möchte bis zum 100jährigen Gründungsjubiläum 2023 ihre Exporte auf 500 Milliarden Dollar steigern. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste die Wirtschaftsleistung jährlich um sieben Prozent wachsen. Angesichts der Krisen im und um das Land, ein ambitioniertes Vorhaben. 1 Neben Handarbeit sind in der Türkei schon viele Produktionsabläufe automatisiert. 2 So konnte sich das Ansehen der türkischen Maschinenbauindustrie in Deutschland in Bezug auf Qualität, Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessern. 1 2 ie Maschinenbaubranche in der Türkei litt 2013 unter den real rückläufigen Investitionen des Privatsektors. Besonders schwach war die Nachfrage nach Kunststoffmaschinen. Doch die Betriebe werden angesichts des zunehmenden Wettbewerbs gezwungen, ihre Produktionsprozesse zur rationalisieren – so ist mittelfristig mit einem verstärkten Bedarf an Maschinen, Anlagen und moderner Technik zu rechnen. Auch die Ausweitung der Produktionskapazitäten in der Automobil-, Elektro- oder Kunststoff- D industrie führen zu einer wachsenden Nachfrage. Etwa zwei Drittel der benötigten Maschinen werden eingeführt, die meisten aus Deutschland. Der jährliche Importwert liegt bei 25 Milliarden US-Dollar. Die Regierung fördert den lokalen Maschinenbau in besonderem Maße. Die Branche zählt 12.000 Betriebe und beschäftigt 180.000 Arbeitskräfte, schrieb Germany Trade & Invest gtai im Frühjahr 2014. Trotz der Investitionszurückhaltung waren die türkischen Exporte wieder im Aufwind. Sie stiegen im 1. Halbjahr 2014 mit einem Plus von 6,7 % deutlich stärker als im gleichen Zeitraum des Vorjahres (1,3 %). Demgegenüber gingen die Importe im genannten Zeitvergleich um 4,8 % zurück. Kraftfahrzeuge, Maschinen und Anlagen sowie Eisen und Stahl waren – wie schon in den Vorjahren – die wichtigsten Exportgüter der Türkei. Nach Regionen aufgeteilt gingen die türkischen Exporte im 1. Halbjahr 2014 zu 43,4 % in die EU (ein Plus von 13,8 % gegenüber dem Vorjahr). Überdurchschnittliche Steigerungsraten verzeichneten auch die türkischen Exporte in die anderen Länder Europas, die nicht EU-Mitglied sind. Die Exporte in sonstige Länder zeigten dagegen einen rückläufigen oder stagnierenden Trend. Denn die politischen Unruhen in vielen Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas wirkten sich negativ auf die türkischen Ausfuhren aus. Wichtigster Abnehmer türkischer Produkte war mit Abstand Deutschland. Die türkischen Lieferungen nach Deutschland stiegen um mehr als 16 %. Irak stand auf dem zweiten Platz (+6,4 %), gefolgt vom Vereinigten Königreich (+20,9 %) und Italien (+10,0 %). Die negativen Effekte der Irak-Krise auf die türkische Exportwirtschaft dürften sich erst in der zweiten Jahreshälfte 2014 voll bemerkbar machen, meint gtai. Deutschland ist drittgrößter Lieferant der Türkei Bilder: Fackler In der Aufschlüsselung der türkischen Importe nach Lieferländern nahm im 1. Halbjahr 2014 Russland die Spitzenstellung ein, noch vor China und Deutschland. Die türkischen Bezüge aus Russland, die größtenteils aus Erdgaslieferungen bestehen, stiegen gegenüber dem 1. Halbjahr 2013 um knapp 11 % auf 13,1 Mrd. US-Dollar. Die Bezüge aus China und Deutschland 36 10/2014 Interview mit Sevda Kayhan Yilmaz, MAIB gingen jedoch zurück. Weitere wichtige Lieferländer waren die USA, Italien und Iran. Neben Energie waren Maschinen und Anlagen, Eisen und Stahl, Ausrüstungen der Elektrotechnik und Elektronik sowie Kfz und -Teile die wichtigsten Importgüter der Türkei. Fraglich ist, ob die Türkei ihre geplante Rolle als Schnittstelle zwischen den europäischen Absatzmärkten und den energiereichen Ländern im Nahen Osten und Zentralasien angesichts der umliegenden Krisenregionen tatsächlich ausbauen kann. Als Transitland wird sie vor allem für den Erdgastransport immer wichtiger. Zwei Großprojekte für die Gasdurchfuhr nach Europa sind geplant. Das Oxfordinstitut für Energiestudien an der Universität Oxford bescheinigt laut gtai der Türkei gute Chancen auf den Aufstieg zu einer regionalen Energiedrehscheibe. Nach Herstellung der notwendigen Infrastruktur und der institutionellen Voraussetzungen könnte der jährliche Erdgashandel 100 Mrd. cbm erreichen. Starke Abhängigkeit von Energieimporten Auf der Importseite stellen die hohen Bezüge von Erdöl und Erdgas allerdings eine starke Belastung für die türkische Handelsbilanz dar. Diese Einfuhren betrugen im 1. Halbjahr 2014 insgesamt 27,4 Mrd. US-Dollar. In ihrem mittelfristigen Wirtschaftsprogramm geht die türkische Regierung bis 2015 von einem weiteren Anstieg dieser Importe aus. Zum Abbau der hohen Abhängigkeit von importierten Energieträgern treibt die Regierung zahlreiche Projekte zur Energiegewinnung aus regenerativen Ressourcen sowie aus Wasserkraft und Kohle voran. Auch die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen (Wind, Solar, Geothermie, Wasserkraft) und aus der lokal reichlich verfügbaren Braunkohle soll gesteigert werden. Zahlreiche Windkraftanlagen befinden sich im Bau. Die Vergabe neuer Solarenergielizenzen steht 2014 an. Ferner befinden sich drei Kernkraftwerke in der Planung. Darüber hinaus werden Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz ergriffen, um den Energieverbrauch in der Industrie ■ und der privaten Haushalte zu senken. Autorin Ingrid Fackler, Redaktion Bild: Fackler Bild: Fotolia; JENS „Deutschland ist für uns ein Benchmark“ Sevda Kayhan Yilmaz ist Vorstandsmitglied der türkischen Union der Maschinenexporteure MAIB , Vorstandsmitglied der Turkish Machinery sowie Vorstandvorsitzende der Union der Maschinenbauer MIB Für 2014 hat die Türkei ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent prognostiziert. Ist das realistisch? Die Wirtschaftswachstumrate der Türkei hat in den letzten Jahren für Furore gesorgt. Prognosen ausländischer Rating Agenturen und reale Wachstumsraten unterschieden sich deutlich. Laut statistischem Amt der Türkei ist das BIP bei konstanten Preisen in 2013 um 4 Prozent gestiegen. Die türkische Wirtschaft ist im 1. Quartal des Jahres 2014 über den Erwartungen um 4,3 Prozent gewachsen. Für das vierte Quartal 2014 erwarten wir trotz der sogenannten steigenden politischen Risiken sowie strengerer Monetärpolitik ein Wachstum. Diese Annahme wird begünstigt dadurch, dass die Wirtschaften der USA und der EULänder sich wieder beleben, die verbesserte Zinspolitik trägt hierzu bei. Die innenpolitischen Spannungen in der Türkei haben 2013 viele Investoren verschreckt. Hat sich die Lage 2014 gebessert? Trotz innenpolitischer Turbulenzen, die sich nach den Wahlen wieder gelegt haben, ist die Zukunftsperspektive positiv, insbesondere bei Investitionen und Profitabilität der Betriebe. Als der wirtschaftliche Aufschwung sich verlangsamte, widmeten sich die Wirtschaftsakteure den Themen Kostenoptimierung, Profitabilität und verbesserten Rahmenbedingungen. Insgesamt gehen wir davon aus, dass im 3. und 4. Quartal 2014 ausländische Investitionen, wie auch in 2013, trotz der politischen Spannungen, weiter steigen werden. Was unternimmt die türkische Regierung, um mehr Investoren ins Land zu holen? Das positive Investitionsklima wird begünstigt durch lockere gesetzliche Rahmenbedingungen. So zum Beispiel sind ausländischen Investoren mit inländischen gleichgestellt. Die Prozedur etwa einer Firmengründung ist sehr einfach und stellt keine bürokratischen Hürde dar. Die ständige Verbesserung von Rahmenbedingungen wird dazu führen, dass mehr Investoren gewonnen werden können. Im internationalen Vergleich existieren in der Türkei wachsende Branchen, die für Investoren attraktivere Gewinnmöglichkeiten anbieten. Dies lädt förmlich zu ausländischen Investitionen ein. Die Türkei ist, besonders was Energie angeht, stark von Importen abhängig. Gibt es Bestrebungen, das Land zum Beispiel durch erneuerbare Energien autark zu machen? Und wenn, welche Energieformen sind das? 10/2014 37 MÄRKTE & CHANCEN • TÜRKEI Interview mit Sevda Kayhan Yilmaz, Turkish Machinery, MAIB, MIB Die Importabhängigkeit im Energiesektor der Türkei ist derzeit sehr hoch. Aus diesem Grund wird seitens der Regierung ein Plan erarbeitet, die Abhängigkeit zu reduzieren. Der Trend hier geht ganz klar in Richtung erneuerbare Energien. Bis 2023 soll der Anteil der erneuerbaren Energien in der Türkei die 30-Prozent-Marke erreichen. Die Grundvoraussetzungen für das Erreichen dieses Ziels durch Wind-, Hydro-, Geothermal- und Sonnenergie ist geografisch und klimatisch vorhanden. Die Förderkonzepte laufen derzeit auf Hochtouren. Außerdem wurde eine Energiebörse eingerichtet, welche die Transparenz und Wettbewerbsfähigkeit herstellen soll. „Deutschland ist für Verbänden und Clustern wie dem OWL Maschinenbau und dem Innovationsverbund Maschinenbau Sachsen VEMASinnovativ. Diesen Kooperationen gehen über den Handel hinaus. Besonderer Fokus liegt hier auf der Forschung & Entwicklung und gemeinsamen Projekten und der Bearbeitung von Drittmärkten. Ich bin der persönlichen Überzeugung, dass die Zusammenarbeit mit Deutschland erst am Anfang steht. Vor genau einem Jahr haben wir, um unsere Präsenz und unser Interesse für den deutschen Markt zu unterstreichen, ein Kontaktbüro in Braunschweig eröffnet. Hierdurch wird die Erreichbarkeit erleichtert und Barrieren wie Sprache oder interkulturelle Differenzen verhindert. Praktisch sind wir als Turkish Machinery direkt im Herzen von Deutschland präsent. den türkischen MaschiWelche Industriezweige werden in der Türkei besonders von der Regierung unternenbau ein wichtiger stützt? Frage zur Euroblech: Welche Bedeutung Markt.“ Laut Strategie-Papier der Regierung werden hat die Blechbearbeitung in der Türkei? die Maschinenindustrie, Automobilundustrie, Für die türkische Industrie sind WerkzeugmaSevda Kayhan Yilmaz, Turkish Eisen- und Metallindustrie, Haushaltswareninschinen enorm wichtig. In der Blechbearbeitung Machinery, MAIB, MIB dustrie, Elektrik- und Elektronikindustrie, Texist die Türkei sehr fortschrittlich. Bei der Betrachtil und Lebensmittel als die Lokomotiv-Sektotung der Terms of Trade für diesen Untersektor ren unterstützt. Es gibt sehr individuelle Arten wird dies sehr deutlich. Es gibt mindestens zehn der Unterstützung/Förderung je nach Branche Unternehmen, die weltweit bekannt sind. und Untersektor. Diese Fördermodelle können bei den verantwortlichen Ministerien angefordert Wie schneiden die türkischen Unternehmen hier werden (verantwortlich sind das Wirtschaftsministerium und das Minisim internationalen Vergleich ab? terium für Wissenschaft, Technologie und Industrie). Wie bereits erwähnt, exitieren bereits heute türkische Maschinenbauunternehmen, die sich als Marke auf dem internationalen Markt etabliert haben. Wie kommt die Türkei in dem Bestreben voran, bis 2023 die ExporAber es gibt auch auch sehr viele „No-Name” Unternehmen, die ihre Prote auf 500 Milliarden Dollar zur steigern? dukte und Dienstleistungen für namhafte Global Player zur Verfügung stelDie 500 Milliarden Dollar Marke im Export bis 2023 zu knacken, bedeulen. Trotzdem haben unsere Unternehmen in Punkto Wettbewerbsfähigtet, den derzeitigen Export zu verdoppeln. Dies ist natürlich eine schwiekeit und After-Sales Services schwer zu kämpfen. Hier gibt es sehr viele rige Aufgabe. Die Türkei ist die 17. größte Wirtschaft der Welt, aber der Aufgaben zu bewältigen. Aufgrund der dynamischen Struktur unserer Un31. größte Exporteur. Unser Ziel ist es, in der Exportrangliste ebenfalls ternehmen gehen wir jedoch davon aus, dass sie die Defizite binnen kürunter die Top 10 zu kommen. Hier blicken wir hoffnungsvoll auf den Mazester Zeit wett machen können und sich international behaupten werden. schinensektor. Denn hier zeichnet sich eine sehr positive Entwicklung im Bereich der Exportsteigerung ab. 2013 wurden 14 Milliarden Dollar aus ExGibt es herausragende technische Neuerungen, die türkische Firporten des Maschinenbaus erwirtschaftet. Dies unterstreicht die Bedeumen zur Euroblech vorstellen werden? tung unseres Sektors. Der Maschinenbau wird diese führende Rolle ausbauIn der Blechbearbeitung werden natürlich neue Produkte vorgestellt. Hier en und sowohl die Umsätze, als auch die Exporte weiterhin ausbauen. werden wir viel mehr integrierte und kombinierte technische Lösungen sehen können. In der Lasertechnologie ist die Türkei noch nicht so weit, Wie sieht es speziell mit der Zusammenarbeit mit Deutschland aus? aber durch technologische Kooperationen werden diese Defizite sehr Deutschland ist für den türkischen Maschinenbau ein wichtiger Markt. In schnell abgebaut. Kommen und überzeugen Sie sich selbst von unseren 2013 wurden Güter in Höhe von 2,2 Milliarden US-Dollar nach Deutschtechnologischen Neuheiten auf der Euroblech. Insgesamt stellen über 90 land exportiert. Dies entspricht 16 Prozent des gesamten Maschinenextürkische Unternehmen auf der Euroblech aus. Den Verband Turkish Maportes der Türkei. Aus diesem Grund waren wir in 2012 und 2013 präsenchinery finden Sie in Halle 15, Stand B06. ter denn je zuvor. Durch Messeteilnahmen, B2B-Veranstaltungen, KonfeIst die 4. Industrielle Revolution „Industrie 4.0“ bereits bei türkischen renzen und Einzelgespräche konnten wir die Wahrnehmung der türkiUnternehmen angekommen? Und wenn, welche Maßnahmen werschen Maschinenbauindustrie in Deutschland in Bezug auf Qualität, Entden in den Unternehmen in der Produktion bereits umgesetzt? wicklung und Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessern. Die in der Türkei ansässigen ausländischen Unternehmen und Global Deutschland ist für die türkische Maschinenbauindustrie nicht nur der Player sind Vorreiter im Bereich der Industrie 4.0. Es gibt aber sehr viele wichtigste Exportmarkt, sondern ein Benchmark. Wir möchten von unseZuliefererunternehmen, die in diesem Zusammenhang sehr viele Proren Partnern, Institutionen und den Unternehmen viel lernen und Synergien generieren. In verschiedenster Hinsicht ist die Zusammenarbeit mit dukte und Dienstleistungen weltweit anbieten. Als Turkish Machinery deutschen Instituten und Unternehmen unabdingbar. So haben wir gibt es mit unseren deutschen Partnern das Vorhaben, Projekte zum schon sehr gute Kontakte zum VDMA, VDW, verschiedenen Industrie- und Thema Industrie 4.0 zu generieren. In Kürze werden wir hierzu einige Handelskammern, Unternehmerverbänden und Ministerien herstellen Erfolgsstories aus diesem Bereich ankündigen können. können, die für nächste Schritte und unsere zukünftige Vorhaben wichtig sind. Unterstreichen möchten wir unser Kooperationsabkommen mit Die Fragen stellte Ingrid Fackler, Redaktion 38 10/2014