RUSSLAND Reisebericht

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Russland, warum ausgerechnet Russland? oder: Deutsches Musical kommt nach Sachalin Ein Reisebericht von Dominik Büttner Erschienen im Magazin „Blickpunkt Musical“ Januar 2015 Und da stehe ich nun. Stehe in Wintermantel, Mütze, Schal, Pulli und festen Stiefeln mitten auf dem Rollfeld und warte darauf, dass sich die Menschenmassen endlich in das naheliegende Flughafenterminal von Sachalin mit dem Chic einer Neuköllner Supermarktrampe gequetscht haben. Die Sonne scheint. Ich habe das dringende Bedürfnis, mich mindestens zweier Lagen meiner Bekleidung zu entledigen. Wer hatte mir das eigentlich mit dieser sibirischen Kälte erzählt? Russland -­‐ ein Wintermärchen, pures Klischee. Denkt der Deutsche an Russland, so denkt er an Wodka, Borschtsch und Väterchen Frost. Es war der Mann, der mir das Visum ausstellte. Der Mann im Reisebüro, der die Frage, obwohl selbst Russe, in den Raum brummte: “Russland, warum ausgerechnet Russland?“ Woraufhin seine Kollegin, obwohl selbst Russin, zurückbrummte, während sie sich die Ohren rieb: „Kalt, sehr kalt.“ Eben nicht. Viel weiß ich nicht über dieses Land. Und schon gar nicht über Sachalin. Sachalin ist die größte Insel Russlands, doppelt so groß wie Griechenland und im Pazifik 60 km nördlich von Japan gelegen. Tschechow war mal hier, das weiß ich, als er etwa in meinem Alter war und hat seine Eindrücke in dem Buch „Die Insel Sachalin“ niedergeschrieben. Das wollte ich eigentlich zur Einstimmung lesen, aber dann war ich so mit Organisation und Vorbereitung, Kommunikation per Übersetzer bei neunstündiger Zeitverschiebung, beschäftigt, dass es dazu nicht mehr kam. 15 Stunden Reise liegen hinter mir, durch das größte Land der Erde, besser, darüber hinweg und ich stehe schwitzend in Sachalin. Warum? Meine gute Freundin Nini Stadlmann trägt die alleinige Schuld daran. Sie, die jetzt eigentlich in diesem Moment an diesem Platz, anstelle Meiner stehen sollte, blieb stattdessen zu Hause in Berlin bei Mann und Kind und spielt eine Uraufführung im Ku’Damm Theater. Dabei hatte sie dieses Projekt an Land gezogen: Regie und Choreographie für ein Musical über das Berlin der 30er Jahre mit dem wohlklingenden Namen „Club Berlin“. Nini hatte dazu ein sehr schönes Skript über einen fiktiven, sehr angesagten Club im Berlin der 30er verfasst, in dem sich allerlei interessante Figuren tummeln, die viele deutsche, amerikanische und russische Melodien aus dieser Zeit singen. „Du bist doch immer für ein Abenteuer zu haben. Warst du schon mal in Russland?“, fragte sie vor ein paar Monaten am Telefon. „Springst du für mich ein?“ Ich sprang. Evelyna Birjukova, die Produzentin des Projekts und gleichzeitig meine Übersetzerin, holt mich vom Flughafen ab und bringt mich vorbei an russischer Taiga und Gebäuden mit Ostblockcharme zur ersten Besprechung auf der Probebühne des Stadttheaters Juschno-­‐Sachalinsk, das natürlich Tschechow Theater heißt und in dem eigentlich nur Sprechtheater gezeigt wird. Evelyna, die schon zahlreiche internationale Projekte in Russland verwirklicht hat, hatte also jetzt mal die Idee, ein Musical zu machen, etwas anderes, etwas Neues, eine Art von Revue. Es sind zwar alle sehr bemüht, aber es ist wohl nicht bis in die oberste Etage vorgedrungen, dass wir nicht nur ein kleines Konzert machen, sondern eine richtige Musicalrevue -­‐ mit 27 Musiknummern, Dialogen, Choreographien und Showtreppe... Nicht, dass ich wochenlang Pläne und Fragen verschickt hatte, auf die ich meist gar keine und wenn nur unzureichende Antworten erhalten hatte-­‐ erst jetzt stellt sich heraus, dass ausgerechnet meine drei Hauptrollen in den Endproben für „Der Besuch der alten Dame“ stecken, das erst in einer Woche Premiere haben wird und daneben spielen sie auch noch andere Stücke im Repertoire, bis hin zu Elena, die unbedingt noch im Kindermärchen „Mama Bär“ verkörpern muss! Aber ich hab doch sowieso nur zwei Wochen Proben für ein abendfüllendes Stück und aus organisatorischen Gründen muss ich auch noch vor der Generalprobe wieder abreisen! Bis dahin muss das Stück komplett stehen, danach soll es nur noch Durchlaufproben geben, um Routine in die Abläufe zu bekommen. Aus einem ehrgeizigen Vorhaben wird plötzlich Russisch Roulette -­‐ ich versuche den Anwesenden irgendwie klarzumachen, dass das so nichts wird-­‐ aber die sind wohl Kummer gewohnt und sagen nur resigniert: „Wie immer.“ Ich bin doch nicht 10000 km gereist, damit alles „wie immer“ ist! Immerhin ist der Bühnenbildner großartig, wenn auch am Rande des Nervenzusammenbruchs, Kette rauchend und hochgradig kaffeeabhängig, weil er sämtliche Produktionen des Theaters parallel betreuen muss und die erfahrene Kostümbildnerin ist zumindest aus Moskau. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass sie dorthin auch zwei Tage später wieder zurückfahren muss, weil ein Familienmitglied schwer erkranken wird. Also, keine Kostümbildnerin mehr. Was ist demnach zu tun? Nachdem mir begreiflich gemacht worden war, dass von der Intendantin, einer Buchhalterin mit günstigen Verwandtschaftsverhältnissen, die von Kunst so viel Ahnung hat wie ich von Buchhaltung, keinerlei Hilfe zu erwarten ist, da sie von Anfang an als ewig Gestrige nichts an diesem Projekt mit „westlichen Kapitalisten“ finden konnte, wird der Regisseur von „Der Besuch der alten Dame“ in einer Probenpause zu unserer Krisensitzung gebeten. Gott sei Dank ist er einsichtig, da er mit genau denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hat und wir klügeln einen Plan aus, wie wir die einzelnen Schauspieler auf beide Produktionen aufteilen, sodass am Schluss mit viel Glück zwei Premieren stattfinden können. So ist Russland eben auch: Man hält zusammen, wenn´s drauf ankommt! Die erste Probe. Die Schauspieler sind ordentlich ausgebildet, singen erstaunlich gut und schuften wie die Ackergäule. Der musikalische Leiter, Gregor DuBuclet, ein Amerikaner und ebenfalls in Berlin lebend, war zum Glück schon zwei Wochen vorher angereist und hatte musikalisch geprobt, so dass die Musiknummern weitgehend standen. Außerdem hatte er ein 12-­‐
köpfiges Orchester aus Musikern formiert, die vorher nur noch auf Beerdigungen, in Speiserestaurants oder verraucht verruchten Jazz Bars zu hören waren und dadurch wieder eine Anstellung bekamen. Wir beide sind die ersten westlichen Künstler, mit denen diese Schauspieler arbeiten und die sie nun näher kennenlernen. „Für uns geht ein Traum in Erfüllung-­‐ wir wollten schon immer ein Musical machen!“, wie sie mir immer wieder versichern. Also proben wir von morgens bis spät abends und nutzen jede freie Minute. Vieles im Bereich Musical ist natürlich neu für sie, vor allem Tempo und Timing. Und der Kampf mit dem Offbeat wird täglich neu aufgenommen. Premiere von „Der Besuch der alten Dame“ und ich mittendrin. Neben mir, die Kulturministerin und Schwester der Intendantin. Der Kreis schließt sich. Die theaterbesuchenden russischen Damen von Welt fahren auf mit perfektioniertem Ost-­‐
Chic. Kein Stiletto ist zu hoch, kein Lidstrich zu lang, Busen werden zu überquellenden Dekolletés gequetscht, Hüftgold durch gleichnamige Halter in Zaum gehalten. Das Motto lautet: Dezenz ist Schwäche. Hier ist keiner schwach. Die Vorstellung beginnt. Ich verstehe kein Wort und versuche, die dürrenmattsche Handlung aus den hintersten Winkeln meines Hirnes hervor zu kramen. LK Deutsch 13 Punkte, also bitte, ein Kinderspiel. Meine Augen und Ohren wollen sich nicht so recht an die überhöhten Showeinlagen gewöhnen und das Stück mündet in eine Art Megamix im Stil von osteuropäischen Eurovison Song Contest-­‐Beiträgen der frühen 80er Jahre. Grand Prix Eurovision de la Chanson zu billigen Synthesizerbeats und Jane Fonda Aerobic-­‐
Choreographien. Dennoch ziehe ich den Hut vor dem Regisseur. Dafür, dass er dieses Stück durchsetzen konnte, ein politisches Statement, das hier und da, ähnlich unserem, sehr nah an die momentane Situation in Russland heranrückt. Dass hierfür die eine oder andere heikle Textpassage geopfert werden musste, egal, ein bisschen Schwund ist immer. Ich frage mich jedoch, wie ich ein Stück für ein Publikum inszenieren soll, dessen Sehgewohnheiten und Geschmack so anders sind, mir gar fremd, und dessen Ästhetikempfinden kaum unterschiedlicher sein könnte? Zum Glück bleiben wir im Stil der 30er Jahre als eine Hommage an die Filme und Revuen jener Zeit, die offensichtlich auch in Russland sehr beliebt waren und es bei den älteren Generationen auch immer noch sind. Der Dietrich sei Dank. Aber bei aller Unterhaltung will ich, dass immer dieser Tanz auf dem Vulkan jener Zeit durchscheint. Und spätestens, wenn Sergej, der vor kurzem noch im ukrainischen Donezk während der Bombenangriffe im Keller des russischen Theaters probte und durch Zufall und eine Portion Glück das Engagement in Sachalin bekam, ganz am Ende unseres Stückes von Freiheit und Toleranz sprechen wird, wird dem Publikum, so hoffe ich, der aktuelle Bezug bewusst. Nach der Premiere, ist vor der Premiere. Ich habe endlich alle Darsteller. Das ist gut. Ich habe keine Bühne. Das ist schlecht. Es stellt sich heraus, dass ich genau zwei Tage auf der Bühne werde proben können. Und zwar nicht am Ende der Probenzeit, nein, mittendrin. Sinnlos, das Stück ist noch nicht so weit. Das Theater ist schön renoviert und gut ausgestattet, manch deutsches Stadttheater würde vor Neid erblassen, und man hat sogar extra Mikroports gekauft. Aber was nützt mir das, wenn ich nie Durchläufe auf der Bühne machen kann? Ich soll innerhalb der kommenden zwei Tage alle Szenen und Choreographien stellen, Wege klären, Kostüme absegnen, leuchten und meine Darsteller davor bewahren, sich den Hals zu brechen, auf einer Showtreppe, die es noch gar nicht gibt. Natürlich nicht. „So geht das nicht!“. Aber Widerstand wird nicht nur nicht gern gesehen, er wird nicht geduldet. Und so hätte man fast meinen Vertrag aufgelöst und mich in die Aeroflot Richtung Berlin Tegel gesetzt. Es wird kritisch. Kritisch, weil ich spüre, dass man diese Freiheit, einfach zu sagen, was man denkt, einfach zu sein, wie man ist, die gerade für uns in Berlin ganz normal ist, hier nicht hat. Jedes Stück, das über die Bühne des Tschechow Theater gehen soll, muss vor der Premiere auch noch von einer Kommission abgenommen werden, ansonsten wird sich der Lappen niemals heben. Diese Kommission kann das Stück auch nach der Premiere wieder absetzen, grundlos. Hierarchien werden nicht hinterfragt, man ordnet sich unter. Oft werden Dinge einfach auf den höheren Ebenen entschieden, ohne dass man dort die genaueren Sachverhalte kennt. Die organisatorischen Schwierigkeiten und die oftmals unnötige Bürokratie an deutschen Stadttheatern -­‐ wer kennt sie nicht? „Wir machen das hier schon immer so!“ In Russland wird es noch komplizierter und frustrierender, denn man verlangt, dass man sich stillschweigend und ohne nachzufragen ins System fügt. Mein Reiseführer nennt das: “Autokratisch-­‐oligarchisches System“. Ich als zutiefst demokratischer Mensch soll einfach die Klappe halten, wenn ich mit vollkommen unsinnigen Entscheidungen konfrontiert werde, die mir das Leben schwer und die Arbeit unmöglich machen? Der Verstand ist bitte beim Pförtner abzugeben. Mal sehen! Aber in Russland muss man vorsichtig sein, wie man kommuniziert, sonst schalten sie auf stur und es geht gar nichts mehr... Zum Glück ist die Produzentin Evelyna immer dabei, dient quasi als Katalysator und regelt das Meiste mit der Intendanz, Gregor im Schlepptau, während ich probe. Als Russin weiß sie, wie man taktieren muss-­‐ ich alleine wäre verloren! Und ich? Ich probe. So gut es eben geht. Zusätzlich bringt mich die Sprachbarriere fast an den Rand der Verzweiflung. Ich habe zwei Übersetzer an meiner Seite, die sich gegenseitig ablösen. Evelyna spricht Deutsch, Anton Englisch. So beginne ich eine Probe auf Deutsch, beende sie auf Englisch, zähle zwischendrin mühsam auf Russisch ein, was meine Darsteller lieben, und warte immer-­‐ gefühlt unendlich, bis alles übersetzt worden ist. Hitzig wird über akkurate und passende Textformulierungen diskutiert, während ich daneben stehe, nichts verstehe und schon gar nichts dazu beitragen kann. Um die Sache zu beenden, deute ich auf eine Person, deren Variante ab sofort übernommen wird, sonst würden sie jetzt noch diskutieren. Und am Ende dürfen wir an meinem letzten Probentag doch noch auf die Bühne-­‐ nach der Abendvorstellung. Danke! Alle verzichten auf die gewerkschaftlich zugesicherte doppelte Probengage nach 22 Uhr, sogar das Orchester! Der Grund? Liebe zum Projekt. Wirklich wahr. Wir machen zwei Durchläufe bis in die Morgenstunden. Kein Einziger hat sich beschwert, im Gegenteil-­‐ alle laufen zur Höchstform auf und plötzlich fügt sich alles zusammen! Für danach habe ich als kleine Überraschung und als Dankeschön russischen Sekt besorgt. Und obwohl niemand davon wissen konnte, steht innerhalb kürzester Zeit der Tisch voll mit Essen und anderen Getränken, es wird gesungen und getanzt, obwohl es 6 Uhr morgens ist. Ja, das ist russisch, echt russisch, hoi hoi! Und wieder sind sie alle darum bemüht, dass ich ja genug esse, alles probiere und erkenne, wie schön ihr Russland sein kann. Ich bekomme Geschenke, viele Geschenke, und Umarmungen, viele Umarmungen. Das ist dann wohl die ebenso vielbesungene Seele. Ich gehe ins Hotel, packe meine Sachen. Zum Glück gibt es schon Frühstück, also setze ich mich ein letztes Mal auf eines der weißen Kunstledersofas, an den gekachelten Tisch mit einer Vase voll ausgeblichener Plastikblumen darauf, und schreibe jedem ein „Toi, toi, toi“ auf eine aus Deutschland mitgebrachte Postkarte mit Original Fotos aus dem Berlin der 30er Jahre. Dann bringt mich Evelyna zum Flughafen. Sie sieht zwar ziemlich mitgenommen aus, ich ehrlich gesagt auch, aber das lässt sie sich nicht nehmen. „Ich bin an allem schuld, weil ich dich hierher verschleppt habe, jetzt bring´ ich dich auch wieder zurück Richtung nach Hause!“ Und auch wenn mir nach dem Check-­‐In meine Mitbringsel, kleine Döschen mit wunderbarem Sachaliner Kaviar wahrscheinlich vom Flughafenpersonal aus dem Koffer geklaut werden-­‐ mehr als nur ein Verdacht, habe ich die Russen doch in mein Herz geschlossen! Ob das Stück von der Kommission abgenommen wurde? Natürlich. Ob es dem Publikum gefallen hat? Noch heute bekomme ich von den Schauspielern per Whatsapp Fotos geschickt und genau Bericht erstattet-­‐ dass es nach der Premiere Standing Ovations gab, dass sie sich auf jede Vorstellung freuen, dass alle Vorstellungen in diesem Jahr ausverkauft sind und dass das Stück ins nächste Jahr übernommen wird. Das entschädigt natürlich. Nicht für alles, aber für fast alles. Und Evelyna schreibt mir: „Elena ist jetzt nicht mehr Mama Bär, sie ist Starrr!“ Text von Dominik Büttner und Michael Kargus 
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