Ludwig van Beethoven Ouvertüre zum Trauerspiel Coriolan op. 62 Fr 28. April 2017, 20 Uhr Stuttgart, Liederhalle Außerdem auf dem Programm: Edward Elgar: Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85 Wolfgang Amadeus Mozart: Ouvertüre zu La clemenza di Tito Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten, Sinfonische Fantasie für Orchester SWR Symphonieorchester, Leitung: Alejo Pérez Empfohlen ab Klasse 8 Erstellt von Dr. Daniel Brenner 1 Inhalt Einführung ............................................................................................................................... 3 1. Inhaltliche Hintergründe zum Trauerspiel Coriolan ............................................................... 4 Unterrichtliche Hinweise ............................................................................................................... 4 Arbeitsblatt 1: Inhalt des Schauspiels ............................................................................................ 6 2. Analyse der Gesamtform ...................................................................................................... 7 3. Der Kontrast der Themen ................................................................................................... 11 Unterrichtliche Hinweise ............................................................................................................. 11 OHF: Graphiken zum Themenvergleich ....................................................................................... 13 Arbeitsblatt 2: Themenvergleich ................................................................................................. 14 4. Das erste Thema und seine Entwicklung ............................................................................. 15 Unterrichtliche Hinweise ............................................................................................................. 15 Klopf-Mit-Satz für die Eröffnung und das erste Thema ............................................................... 16 Vertiefung: Harmonische Analyse der Eröffnungsgeste:............................................................. 17 Arbeitsblatt 3 (Vs. 1): Thematische Entwicklung ......................................................................... 18 Arbeitsblatt 3 (Vs. 2): Thematische Entwicklung ......................................................................... 19 5. Das zweite Thema .............................................................................................................. 20 Unterrichtliche Hinweise ............................................................................................................. 20 Arbeitsblatt 4: Das zweite Thema ................................................................................................ 22 6. Der Schluss der Ouvertüre .................................................................................................. 23 Unterrichtliche Hinweise: ............................................................................................................ 23 Arbeitsblatt 5: Schluss der Ouvertüre.......................................................................................... 25 Literatur und Quellen ............................................................................................................. 26 2 Einführung Im Mittelpunkt von Collins Tragödie steht der römische Feldherr Coriolan, der sich, zu Unrecht verbannt, mit den Feinden seiner Heimat verbündet und Rom angreift. Wichtiger als der äußere militärische Konflikt, dürfte für Beethoven der innere Konflikt Coriolans gewesen sein. Denn seine Mutter fleht ihn um Gnade für seine alte Heimat an. Durch diesen Gnadenakt, mit dem er seine Heimat verschonen und das Leben seiner Ehefrau und seiner Mutter bewahren könnte, würde er jedoch zum Verräter an seinen Gefolgsleuten. Aus diesem Dilemma findet Coriolan keinen Ausweg und wählt schließlich den Selbstmord. Beethoven hat in seiner Ouvertüre den Konflikt Coriolans auf beeindruckende Weise in Musik umgesetzt. Er spiegelt sich in der eruptiven Dramatik des ersten Themas, im Kontrast zwischen diesem und dem lyrisch-kantablen zweiten Thema, in der Art und Weise, wie das Flehen des zweites Themas von der Wucht des Orchesters förmlich erstickt wird, und im resignativen Erlöschen des ursprünglich kraftvollen und energisch vorwärtsdrängenden Hauptmotiv am Ende der Ouvertüre. Diese Parallelen machen das Werk zum gewinnbringenden Gegenstand für den Musikunterricht. Sie zeigen den Tondichter Beethoven, der es wie kaum ein anderer verstand, Musik zum Sprechen zu bringen und seinen Werken eine poetische Tiefe zu verleihen. Ausgangspunkt der Handreichung ist eine inhaltliche Positionsbestimmung anhand des Schauspiels als erstem Baustein für den Unterricht. Nach der folgenden Analyse der Gesamtform, die nicht für den Unterricht gedacht, sondern an die unterrichtenden Lehrkräfte adressiert ist, folgen Unterrichtsmaterialien zu den oben genannten Aspekten. Neben der Umsetzung der musikalischen Dramaturgie spielt dabei der Umgang der Schüler mit dem Notentext und insbesondere der Partitur eine wichtige Rolle. Ein großer Teil der Materialien kann aber auch dann verwendet werden, wenn keine Partituren zur Verfügung stehen. An einigen Stellen werden Vorschläge zur Differenzierung und Vertiefung gemacht. Generell kann das vorliegende Material jedoch nach dem Baukastenprinzip beliebig zusammengestellt werden, wobei die Kapitel 1 und 3 die wesentlichsten (und einfachsten) Aspekte beinhalten. Eine gute Ergänzung dieser Materialien bietet die Homepage des Beethoven-Hauses Bonn, insbesondere das Digitale Archiv und die Kinderseite Hallo Beethoven. Hier findet man nicht nur zuverlässige, sondern auch altersgerecht aufgearbeitete Informationen in Hülle und Fülle. Speziell die Darstellung von Beethovens musikalischer Ausbildung, seines Alltags und des Schaffensprozesses eignen sich hervorragend für eigenständige Recherchen der Schüler: http://www.beethoven-hausbonn.de/sixcms/detail.php?id=&template=portal_de&_sprache=deutsch 3 1. Inhaltliche Hintergründe zum Trauerspiel Coriolan Unterrichtliche Hinweise Als erster Baustein kann eine inhaltliche Annäherung an das Schauspiel erfolgen. Vorschläge zum Unterrichtsverlauf: Die Schüler lesen den Text auf Arbeitsblatt 1 und bearbeiten alleine oder mit dem Partner die Aufgaben 1 bis 3. (Lösungshinweise: siehe unten) Nach der Besprechung der Aufgaben wird die Ouvertüre angehört. Beobachtungsauftrag: - Beschreibe den musikalischen Charakter und vergleiche ihn mit den zuvor geäußerten Erwartungshaltungen (vgl. Aufgabe 3). - Stelle anhand der Musik Vermutungen über das Ende des Schauspiels an (Wie entscheidet sich Coriolan?). Lösungshinweis: Während Coriolan in Shakespeares Version von den Volskern ermordet wird, wählt er in Collins Version (zu der Beethoven die Ouvertüre komponierte) den Selbstmord. In beiden Fällen gibt es für ihn keinen Ausweg aus seinem Dilemma. Ergänzend bzw. als Diskussionsimpuls können die Zitate (siehe unten) besprochen und mit der eigenen Wahrnehmung verglichen werden. Um Personenkonstellation und Handlung des Schauspiels zu vertiefen, kann die Schlüsselszene (Volumnias Bitte um Gnade) in Form einer von Schülergruppen selbst entworfenen Szene nachgespielt oder das Bild auf dem Arbeitsblatt mit anderen bildlichen Darstellungen verglichen werden (siehe Quellenverzeichnis). Lösungen zu Arbeitsblatt 1: 1. Zu sehen ist Coriolan, umringt von seinen Soldaten. Auf der rechten Seite beherrschen Frauen das Bild, im Mittelpunkt steht vermutlich Volumnia. Ihre offen ausgebreiteten Arme illustrieren ihre Bitte, der sich Coriolan zu verschließen scheint, indem er abwehrend den Arm vor sich hält. Die Blicke sowohl der Soldaten als auch der beiden Frauen im Vordergrund sind auf Coriolan gerichtet, was ihn in das Zentrum der Erwartungen rückt und seinen Konflikt verdeutlicht. 2. Würde Coriolan der Bitte Volumnias und Virgilias nachgeben und Rom verschonen, würde er zum Verräter an den Volskern. Bleibt er hart, bedeutete dies den Tod für die Menschen, die ihm einst am nächsten gestanden haben. 4 3. Erwartet werden kann eine Ouvertüre, die der Dramatik der Ereignisse Rechnung trägt und den inneren Konflikt Coriolans in den Mittelpunkt rückt. Vermutlich stand für Beethoven diese innere Handlung stärker im Mittelpunkt als der äußere (militärische) Konflikt. Hier sind durchaus unterschiedliche Erwartungshaltungen von Schülern möglich, die dann den Ausgangspunkt für eine Annäherung an die Musik Beethovens bilden. Ergänzende Zitate: „Collins Version schließt Coriolans tragisches Treffen mit seiner Mutter und seiner Gattin mit ein, die ihn anflehen, Rom, das römische Volk und sie selbst zu verschonen. Dieses Treffen bestimmt sein Schicksal: Das Flehen der Frau, die ihn geboren hat und deren Stimme irgendwie, trotz seiner selbst, in ihm ist, reibt ihn im Hin und Her zwischen unvereinbaren Notwendigkeiten auf.“ Lewis Lockwood: Beethoven. Seine Musik, sein Leben, Kassel 2009, S. 205. „Tragischer Kernpunkt der Handlung ist die Unmöglichkeit einer Versöhnung zwischen der physischen Stärke und Tapferkeit Coriolans als Mensch und General und seiner Verwundbarkeit als Sohn gegenüber der beredten Erklärung seiner Mutter, dass er, falls er auf der Zerstörung Roms bestehe, um seine Rachgelüste zu stillen, auch sie unter den Toten finden werde. Wie Plutarch die Szene […] darstellt, wirft sie sich zu seinen Füßen; Coriolan zieht sie hinauf, und sagt: ‚Mutter, was hast du getan? […] Du hast deinen Sieg errungen, du hast Rom gerettet, aber du hast deinen Sohn vernichtet […] niemand außer dir hätte mich besiegen können.“ Lewis Lockwood: Beethoven. Seine Musik, sein Leben, Kassel 2009, S. 206. „Der düstere, schauerliche Ernst der vorliegenden Composition, die Grausen erregenden Anklänge aus einer unbekannten Geisterwelt …“ E. T. A. Hoffmann: Rezension der Ouvertüre zu Coriolan, in: Allgemeine musikalische Zeitung, XIV. Jahrgang, Nr. 32 vom 5. August 1812, Sp. 519. E. T. A. Hoffmann schreibt, Beethovens Ouvertüre sei „ganz dazu geeignet, die bestimmte Idee zu erwecken: eine grosse, tragische Begebenheit werde der Inhalt des folgenden Stücks seyn.“ Auch ohne Kenntnis des Inhalts, könne „niemand etwas anderes erwarten“ als ein „höheres Trauerspiel, in welchem Helden auftreten und untergehen.“ E. T. A. Hoffmann: Rezension der Ouvertüre zu Coriolan, in: Allgemeine musikalische Zeitung, XIV. Jahrgang, Nr. 32 vom 5. August 1812, Sp. 520. 5 Arbeitsblatt 1: Inhalt des Schauspiels Im Mittelpunkt steht der römische Feldherr Gaius Marcius (ca. 527 bis 488 v. Chr.), genannt Coriolan, dessen Tapferkeit und Stärke legendär waren, dessen Starrsinn ihn aber auch in Konflikt mit seiner Heimat Rom brachte. Um die Figur Coriolans ranken sich zahlreiche Legenden, die von verschiedenen Autoren als Vorlage für Schauspiele und biographische Schriften verwendet wurden, so z. B. vom antiken Schriftsteller Plutarch (ca. 45 bis 125 n. Chr.). Zu seinen Klassikern gehören die Parallelen Lebensbeschreibungen, in denen er jeweils das Leben eines bedeutenden Griechen und Römers gegenüberstellt, und die auch Coriolans Leben literarisch verarbeiten. Diese Schriften waren im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitet und auch Beethoven hat sich nachweislich mit Plutarch beschäftigt. Die wohl bekannteste Verarbeitung des Coriolan-Stoffs stammt von William Shakespeare (1564 - 1616). Beethovens Ouvertüre dagegen bezieht sich auf das Trauerspiel des österreichischen Schriftstellers Heinrich Joseph H. J. Collin Collin (1771 - 1811). Inhalt: Nachdem er die Volsker, einen Rom feindlich gesinnten italienischen Stamm, besiegt hat, wird Coriolan in seiner Heimat gefeiert. Doch er legt sich auch mit den Mächtigen des Reiches an und gerät in Auseinandersetzungen. Das Volk wendet sich von ihm ab und schließlich wird Coriolan verbannt. Aus Bitterkeit verbündet er sich mit den Volskern, um gemeinsam mit ihnen seine alte Heimat Rom zu vernichten. Zum tragischen Wendepunkt kommt es, als Coriolans Mutter Volumnia und seine Frau Virgilia ihn aufsuchen und um Gnade für seine Heimatstadt anflehen. Wenn er Rom vernichte, würden auch sie durch ihn getötet werden. Coriolan befindet sich in einem unauflösbaren Konflikt. Aufgabenstellungen: 1. Interpretiere das Bild: Benenne die Personen und deute ihre Haltung und Körpersprache. 2. Beschreibe den Konflikt, in dem sich Coriolan befindet. Welche Handlungsmöglichkeiten hat er und welche Konsequenzen bedeuten sie jeweils? 3. Ouvertüren haben die Aufgabe, das Publikum auf das folgende Theaterstück (oder Ballett bzw. Oper) einzustimmen. Welchen musikalischen Charakter würdest du angesichts des Inhalts von einer Ouvertüre zu Coriolan erwarten? Gavin Hamilton: Coriolanus Act V, Szene III 6 2. Analyse der Gesamtform Beethoven schrieb die Ouvertüre im Jahr 1807, als Collins Coriolan bereits seit zwei Jahren aus dem Spielplan genommen war. Angesichts der zunehmenden Beliebtheit Shakespeares, der ebenfalls eine Tragödie zu dieser Figur geschrieben hatte, war es auch unwahrscheinlich, dass sich daran etwas ändern würde. Dieser Umstand veranlasst Roger Friske zu der Vermutung, Beethoven habe hier nicht an eine konventionelle Theaterouvertüre gedacht, denn eine Aufführung im dramatischen Zusammenhang mit dem Schauspiel war nicht zu erwarten, sondern er habe vielmehr in einem programmatischen Sinne eine „Konzertouvertüre“ geschaffen, die „den Hörern den Geist der Collinschen Tragödie ohne die Hilfe von Worten vermittelt“. 1 Vermutlich ist es dem Einsatz von Fürst Lobkowitz, einem der wichtigsten Gönner Beethovens und gleichzeitig Direktor des Hoftheaters, zu verdanken, dass Collins Tragödie noch ein einziges Mal in Wien aufgeführt wurde – zusammen mit Beethovens Ouvertüre. Die Form der Ouvertüre folgt dem Muster der Sonatenhauptsatzform, die allerdings (wie oft bei Beethoven) nicht als starres vorgegebenes Schema zu verstehen ist. Vielmehr ist die CoriolanOuvertüre ein Beispiel dafür, dass Beethoven Form in einem „emphatischen Sinne als Prozess“ versteht, wie Martin Geck es ausdrückt.2 Hier wird kein festes Verlaufsschema mit musikalischen Ideen gefüllt, die musikalischen Ideen selbst sind es, die dramatische Entwicklungen aus sich heraus vorantreiben und somit die Struktur der Musik bestimmen. Das Spannungsverhältnis zwischen erstem und zweitem Thema besteht nicht nur durch die gegensätzliche Dynamik, Artikulation, Tongeschlecht usw., sondern spiegelt den inneren Konflikt Coriolans wieder. Und es ist die tragische Ausweglosigkeit dieses Konflikts, die dazu führt, dass das lyrische zweite Thema sich nicht behaupten kann, sondern mehr und mehr in den Sog der dramatischen Entwicklung gerät, von ihr überlagert und förmlich erstickt wird. Die Eigenschaften der Themen und ihre Bedeutung vor dem Hintergrund des Schauspiels bestimmen die Struktur des Stücks. Die Musik nimmt in gewisser Weise die gesamte Tragödie vorweg. Die Ouvertüre beginnt mit einer energischen Eröffnungsgeste: einem in tiefer Lage im Fortissimo ausgehaltenen c, das mit einem (ebenfalls im Fortissimo gespielten) Akkordschlag des gesamten Orchesters abgerissen wird. Diese ersten Takte bilden einen großen Kadenzanlauf in c-Moll, wodurch die statische Motivik von einem zielgerichteten harmonischen Spannungsbogen 1 Roger Friske: L. van Beethoven. Ouvertüre zu „Coriolan“, in: Coriolan, Ouverture for Orchestra, op. 62, hrgs. von Max Unger, Eulenburg-Taschenpartitur 626, S. V-VI. 2 Martin Geck: Ludwig van Beethoven, Reinbeck bei Hamburg 1996, S. 82. 7 überlagert wird. Der Moment der Auflösung in die Tonika (Takt 15) markiert gleichzeitig den Beginn des eigentlichen Themas und damit des motorischen Achtelpulses. Dieses Hauptthema bildet jedoch keine geschlossene formale Einheit. Die Keimzelle ist ein eintaktiges Motiv, eine prägnant artikulierte Achtelbewegung in c-Moll, offen gehalten wie eine unbeantwortete Frage und damit auf Entwicklung angelegt. Kaum begleitet und damit vollkommen ursprünglich, entfaltet dieses Thema eine unerbittlich vorwärtsdrängende Energie. Die Abspaltung und Fortspinnung des Motivs führt durch ein crescendo und das Hinzutreten weiterer Instrumente in eine große Steigerung, die in Takt 20 abrupt abgerissen wird. Die Wiederholung ab Takt 22 erklingt überraschend einen Ton tiefer in b-Moll und wird in Takt 27 unerwartet noch früher abgerissen als beim ersten Mal (vgl. Klopf-Mit-Satz auf S. 16). Durch den steten Vorwärtsdrang, die Steigerungen und das plötzliche Abreißen entsteht eine ungeheure Dramatik, die noch dadurch gesteigert wird, dass Beethoven die melodischen Phrasen in Takt 20 und 27 mit dominantischen Harmonien abreißen lässt. So entsteht über den anschließenden Generalpausen eine kaum auszuhaltende Spannung. Indem die Tutti-Akkorde die musikalischen Phrasen wie Hammerschläge abreißen, wird die Eröffnungsgeste mit dem Hauptthema untrennbar verschmolzen. Dass es sich bei den eröffnenden Takten um mehr als eine schlichte Einleitung handelt, wird auch dadurch deutlich, dass diese Geste am Beginn der Reprise (Takt 152 ff.) und vor der Coda (T. 276 ff.) in variierter Form erneut erklingt. Aus diesem Grund werden die beiden Elemente in den folgenden Materialien als eine zusammengehörige Einheit behandelt. Das zweite Thema (in der Tonart Es-Dur) bildet dazu den denkbar größten Gegensatz: Es besteht aus einer formal geschlossenen Phrase mit einer zart flehenden, gesanglichen Melodie. Gleichmäßige Akkordbrechungen der Celli und ein Pedalton in den Hörnern begleiten das Thema, die Harmonien wechseln taktweise zwischen der Tonika Es-Dur und der Dominante B-Dur. Im Gegensatz zum offenen, vorwärtsdrängenden Beginn wirkt die Musik nun ausbalanciert. Lediglich die unruhig gebrochenen Akkorde lassen sich als düstere Vorahnung deuten, die der friedlichen Stimmung eine unheilvolle Grundierung verleiht. 8 Die Ruhe und Stabilität des lyrischen zweiten Themas werden jedoch in Frage gestellt. Bei der Wiederholung wird die viertaktige melodische Phrase durch mehr Instrumente verstärkt, die Durchpulsung in den Begleitstimmen wird schneller und lauter, bis die dritte Phrase in Takt 62/63 schließlich vom Orchestertutti geradezu erstickt wird. Der zweite Anlauf (Takt 64) beginnt einen Ton höher (f-Moll). Auch dieses Mal kann sich die Melodie nicht behaupten und wird bereits nach sechs Takten (mitten in der zweiten Phrase) vom aufwallenden Klang überlagert. Ein dritter Anlauf (Takt 72) steht wiederum einen Ton höher (g-Moll) endet bereits nach zwei Takten in Takt 74 (vgl. hierzu Arbeitsblatt 4 auf S. 22). Man kann den Gegensatz zwischen den beiden Themen ebenso wie die Entwicklung, durch die das zweite Thema in den Sog der Dramatik gerät, auf den äußeren Konflikt zwischen Coriolan und seiner Heimatstadt beziehen (in dieser Lesart stünde das erste Thema für den Krieger Coriolan und das zweite Thema für die flehende Bitte der Mutter) oder auf den inneren Konflikt des Protagonisten (und das erste Thema als Ausdruck von Coriolans ‚harter‘ und das zweite Thema als Ausdruck seiner ‚weichen‘ und zur Vergebung hinneigenden Seite deuten). Doch auch ohne solche direkten Bezüge sind die Analogien zwischen Musik und Schauspiel auf einer abstrakten 9 Ebene beschreibbar: Es geht um einen Konflikt, indem sich eine starke, energische und eine zarte, einfühlsame Seite gegenüberstehen. Erfahrungsgemäß gibt es vor allem in höheren Klassenstufen sowohl Anhänger als auch Kritiker einer konkreten semantischen Deutung. Die Parallelen zwischen Schauspiel und musikalischer Entwicklung liegen jedoch auf der Hand und gerade die Diskussionen über die Deutungsebene können gewinnbringend sein. Die Durchführung (ab Takt 114 bzw. 118) arbeitet im Wesentlichen mit dem aus dem ersten Thema gewonnenen Auftaktmotiv (vgl. Takt 78 ff.) über einem fortlaufenden Achtelpuls in den Akkordbrechungen der tiefen Streicher (vgl. Arbeitsblatt 3). Am Beginn der Reprise werden die Akkordschläge und Liegetöne des Anfangs wieder aufgegriffen, der gesteigerten Intensität entsprechend jedoch gestrafft und dabei noch enger mit dem Achtelmotiv und seiner Steigerung verwoben als am Beginn: Die ersten 51 Takte der Exposition werden nun auf 27 Takte verdichtet. Erst ab dem Einsetzen des zweiten Themas (Takt 177) folgt eine weitgehend konventionelle Reprise. Dass Beethoven den eigentlich zentralen Moment der Sonatenform, den Wiedereintritt des ersten Themas am Beginn der Reprise, hier um der Dramaturgie willen so radikal ändert, bestätigt den oben beschriebenen Paradigmenwechsel von Form zu Struktur und findet sich ähnlich auch in anderen Werken (etwa im ersten Satz der Klaviersonate d-Moll op. 31 Nr. 2). Nachdem die Reprise wiederum durch Akkordschläge abgerissen endet (Takt 240) folgt in der Coda nochmals eine großangelegte Steigerung. Nun erklingen die Themen in umgekehrter Reihenfolge. Das zweite Thema steht ab Takt 244 zunächst in C-Dur und wird dann nach c-Moll gewendet (Takt 248). Die Steigerung kulminiert in den Liegetönen und Akkordschlägen des Eröffnungsmotivs, wobei diesmal das gesamte Orchester (mit Ausnahme der Hörner) auch bei den Liegetönen einbezogen ist und sie gegenüber den Parallelstellen in Exposition und Reprise nochmals steigert. Doch die nachschlagenden Akkorde verlieren ab Takt 286 an Kraft, der Orchestersatz wird ausgedünnt und die Dynamik zurückgenommen. Das ursprünglich kraftvolle und energiegeladene Achtelmotiv wird ab Takt 297 mehr und mehr gedehnt, es verliert sich in langen Seufzern bis die Musik schließlich mit drei pianissimo zu spielenden Pizzicato-Akkorden erlischt. 10 In der gesamten Partitur findet man (mit Ausnahme der Takte 51, 74, 176 - 177 und 202 beim Erklingen des zweiten Themas) kaum ein decrescendo. Dagegen ist die Musik geprägt von dynamischen Kontrasten, subito piano und immer wieder groß angelegten Steigerungen (häufig crescendo in Kombination mit einer Zunahme der Instrumentation). Beethoven erreicht hier eine einzigartige Intensität, Spannung und Dramatik und schafft eine Beziehung zwischen der Musik und dem Inhalt des Schauspiels, die weit über oberflächliche Zuschreibungen hinausgeht. 3. Der Kontrast der Themen Unterrichtliche Hinweise Vorschläge zum Unterrichtsverlauf und Lösungshinweise: Die Themen können vorgespielt und den Audacity-Graphiken und Notenbeispielen auf OverheadFolie (siehe S. 14) zugeordnet werden. Durch die Begründung ihrer Zuordnung erkennen die Schüler zentrale Merkmale der Themen (z. B. die plötzlichen Akkordschläge und dynamischen Kontraste im ersten Thema). Anschließend kann Aufgabe 1 von Arbeitsblatt 2 bearbeitet werden: Die Schüler unterstreichen zunächst in zwei verschiedenen Farben die Begriffe im Kasten, um sie so den Themen zuzuordnen. Bei der Besprechung können die Begriffe dann entsprechend ihrer Zuordnung in die Tabelle übertragen und dabei reflektiert werden: Einige beziehen sich auf den Charakter der Musik, andere auf die musikalischen Mitteln (Motive, Dynamik, innere Struktur …) Charakter Aufbau, Motive, musikalische Mittel Eröffnung und erstes Thema vorwärtsdrängend, energisch, wild, zerklüftet Zweites Thema lyrisch, kantabel / gesanglich friedlich, flehend, zart Akkordschläge Motiv mit Fortspinnung große melodische Phrasen markant artikuliert, dynamische Kontraste legato, piano offen angelegt geschlossen, ausbalanciert In Einzelarbeit können die Schüler anschließend einen Text verfassen (Aufgabe 2). Die Verbalisierung ist ein wichtiger Moment, um Klangeindrücke erfassen und die Wechselbeziehung zwischen musikalischen Mitteln und ihrer Wirkung erkennen zu können. Die vorherige Arbeit mit 11 den Begriffen in der Tabelle hilft den Schülern, da sie nun bei der Verschriftlichung auf ein vertrautes Vokabular zurückgreifen können. Lösungshinweise zu Aufgabe 3: Der Konflikt Coriolans zwischen Rachegelüsten und Treue zu den Volskern auf der einen Seite und dem Flehen der eigenen Ehefrau sowie seiner Mutter auf der anderen Seite ist der Kern des Schauspiels. Analog dazu bilden die beiden Themen der Ouvertüre ein Gegensatzpaar. Siehe dazu auch die Analyse der Gesamtform, S. 9 - 10. Vorschläge zur Vertiefung: Ergänzend können die von den Schülern produzierten Texte mit dem folgenden Auszug aus E. T. A. Hoffmanns Rezension verglichen werden: „Dieser Anfang ergreift und fesselt das Gemüth unwiderstehlich […]. Unerachtet des ff. [Fortissimo] bleiben die ersten beyden Takte […] dumpf und schneidend, und grell bricht im dritten Takte der F moll-Accord des ganzen Orchesters […] herein. Die Todtenstille nachher, das Wieder-anfangen der Saiteninstrumente mit demselben dumpfen, schauerlichen C […] alles spannt die Erwartung, ja, es beengt die Brust des Zuhörers“ E. T. A. Hoffmann: Rezension der Ouvertüre zu Coriolan, in: Allgemeine musikalische Zeitung, XIV. Jahrgang, Nr. 32 vom 5. August 1812, Sp. 520. Sofern Partituren zur Verfügung stehen, kann außerdem der Orchestersatz beider Themen miteinander verglichen werden. So werden der Umgang mit Partituren geübt und die Unterschiede zwischen beiden Themen nochmals differenzierter erörtert. Mögliche Fragestellungen: Wer spielt die Melodie in den Takten 15 - 20 sowie in 52 - 55)? Welche Aufgaben haben die anderen Instrumente? Lösungshinweise: Erstes Thema (Takt 15-20) [Beginn: Liegetöne in den Streichern und Akkordschläge im Tutti.] Ab Takt 15: Melodie in Vl. 1 und Va unisono bzw. in Oktaven, Kb markiert den Taktschwerpunkt, ab Takt 18 Verstärkung der Melodie zuerst durch Vl. 2, dann durch hohe Holzbläser, Gegenbewegung im Bass Zweites Thema (Takt 52-55) Melodie in Violine 1 Taktschwerpunkt in Va und Kb Durchpulsung und melodische Füllstimme (Akkordbrechungen) in Vc Pedalton im Horn (klingend b) 12 OHF: Graphiken zum Themenvergleich 13 Arbeitsblatt 2: Themenvergleich Eröffnung und erstes Thema vorwärtsdrängend offen große melodische Phrasen geschlossen flehend Zweites Thema energisch lyrisch Akkordschläge zerklüftet legato friedlich gesanglich Motiv mit Fortspinnung markant artikuliert kantabel wild ausbalanciert dynamische Kontraste piano zart Aufgaben: 1. Ordne die Begriffe im Kasten jeweils einem Thema zu. Zu den meisten Begriffen findest du auch einen entsprechenden Begriff für das jeweils andere Thema. 2. Schreibe einen Text, in dem du die beiden Themen miteinander vergleichst. Verwende die Begriffe aus der Tabelle. 3. Diskutiere mit deinem Partner mögliche Gründe, warum Beethoven die beiden Themen so gegensätzlich gestaltet hat. Berücksichtigt dabei den Inhalt der Tragödie. Was könnte man mit den beiden Themen assoziieren? 14 4. Das erste Thema und seine Entwicklung Unterrichtliche Hinweise Das energische erste Thema in Kombination mit der Eröffnungsgeste prägt den Charakter der Ouvertüre. Die eröffnenden Haltetöne und Akkordschläge erklingen am Beginn der Reprise und der Coda wieder und die motorische Motivik des ersten Themas ist während der gesamten Durchführung präsent. Die Schüler können sich diesem Thema durch den Klopf-Mit-Satz nähern und dabei den Charakter der Musik und Details, etwa den überraschend verfrühten Akkordschlag in Takt 27, praktisch erarbeiten. Mögliche Umsetzung (parallel zum laufenden Hörbeispiel): Noten mit Hals nach unten werden geklatscht. Noten mit Hals nach oben werden auf dem Oberschenkel geklopft. Ganze Noten werden als „Wirbel“ auf dem Tisch geklopft. Vertiefend können die Eröffnungsgeste harmonisch analysiert und die thematische Weiterentwicklung des ersten Themas zu den Figuren der Durchführung als Übung im Umgang mit der Partitur besprochen werden. Für Letzteres enthält diese Handreichung das Arbeitsblatt 3 in einer einfacheren Version, in der die Notenbeispiele jeweils nur die Oberstimme zeigen, und in einer anspruchsvolleren Version, in der auch die Begleitstimmen teilweise einbezogen sind. Lösungshinweise für die Arbeitsblätter: NB Takt Instrumente (Vs. 1) 1 15/16 Violine 1 (oktaviert in Va) 2 17 Violine 1 (oktaviert in Va und Vc) Instrumente (Vs. 2) Vl. 1 (oktaviert in Va), Vc und Kb markieren Taktschwerpunkt Vl. 1 (oktaviert in Va), Vc und Kb markieren Taktschwerpunkt Thematische Entwicklung [Hinweise in Klammern beziehen sich auf Vs. 2 des AB] Vl. 1 (oktaviert in Vl. 2), Gegenbewegung in den tiefen Streichern Das eintaktige Motiv des ersten Themas Die erste Takthälfte wird abgespalten und fortgesponnen. 3 19-20 Violine 1 (oktaviert in Violine 2) 4 79-80 Unterstimme in Vl. 1, Einwürfe in Fl. / Ob. Mittelstimme in Vl. 1, Gegenstimme im Vc, Einwürfe: Fl. und Ob. 5 96-97 Violine 1 Oberstimme in Vl. 1, Unterstimme in Vc und Kb 103104 Violine 1, Einwürfe im Tutti Melodie in Vl. 1, Akkordbrechungen im Vc, Einwürfe im Tutti (Verstärkung durch Bläser und Kb.) 6 15 Aus dem abgespaltenen Motiv entsteht durch Verlängerung der dritten Note eine Punktierung auf der unbetonten Zählzeit. [In Kombination mit der BassStimme gegeneinander versetzte Punktierungen]. Der Rhythmus [versetzte Punktierungen] aus Takt 19-20 wird wieder aufgegriffen, es treten auftaktige Einwürfe auf dem Taktschwerpunkt hinzu. Punktierungen auf den unbetonten Zählzeiten, der Ambitus der Melodie ist gespreizt und dadurch die Spannung gesteigert [nach wie vor versetzte Punktierungen zwischen Unter- und Oberstimme]. In der Durchführung bleibt der punktierte Rhythmus auf dem Taktschwerpunkt erhalten ebenso wie die verstärkenden Einwürfe (Zählzeit 1 mit Auftakt). Es tritt eine neue Begleitung hinzu, die ein wenig an die Akkordbrechungen des zweiten Themas erinnert. Klopf-Mit-Satz für die Eröffnung und das erste Thema 16 Vertiefung: Harmonische Analyse der Eröffnungsgeste: Lösung: Tonart c-Moll, der von den Trompeten durchgehend beibehaltene Ton c wurde in Takt 7 ausgelassen. 17 Arbeitsblatt 3 (Vs. 1): Thematische Entwicklung Aufgabenstellung: 1. Suche die folgenden Notenbeispiele in der Partitur. Notiere dir jeweils die Takte und die Instrumente, in denen sie vorkommen. 2. Beschreibe, wie die aufeinanderfolgenden Notenbeispiele zusammenhängen (welche rhythmischen und melodischen Gemeinsamkeiten / Unterschiede weisen sie auf?). Takt 18 Instrumente Arbeitsblatt 3 (Vs. 2): Thematische Entwicklung Aufgabenstellung: 1. Suche die folgenden Notenbeispiele in der Partitur. Notiere dir jeweils die Takte und die Instrumente, in denen sie vorkommen. 2. Beschreibe, wie die aufeinanderfolgenden Notenbeispiele zusammenhängen (welche rhythmischen und melodischen Gemeinsamkeiten / Unterschiede weisen sie auf?). Takt 19 Instrumente 5. Das zweite Thema Unterrichtliche Hinweise Falls keine Partituren zur Verfügung stehen, kann Aufgabe 1 des Arbeitsblatts 4 teilweise als Höraufgabe und die Aufgaben 2 bis 4 mit Hilfe des Klavierauszugs auf dem Arbeitsblatt bearbeitet werden. Vor der Bearbeitung der Aufgaben sollte das Thema angehört, musiziert oder gesungen werden, um den in Aufgabe 3 beschriebenen Effekt besser erkennen zu können. 1. Anfangs wird die Melodie nur von der ersten Violine im Piano gespielt. Ein Pedalton der Hörner und die Akkordbrechungen des Cellos (von Viola und Kontrabass auf den Taktschwerpunkten verstärkt) begleiten und schaffen ein harmonisches Fundament (Wechsel aus Tonika und Dominante) sowie eine gleichmäßige rhythmische Durchpulsung. Die Wiederholungen der viertaktigen Melodie in den Takten 56 und 60 stellen eine Steigerung dar: Die melodieführenden Stimmen werden durch mehr Instrumente und hinzutretende Oktavierungen verstärkt. Ab Takt 56 beginnt ein allmähliches crescendo in allen Stimmen. Ab Takt 60 treten schnelle Repetitionen in den Violinen hinzu, die zusätzliche Unruhe und Dramatik erzeugen. 2. Das Thema steht in Takt 52 ff. zunächst in Es-Dur, ab Takt 64 in f-Moll, ab Takt 72 in g-Moll. Es handelt sich um verwandte Tonarten (im Quintenzirkel direkt benachbart, sie unterscheiden sich durch maximal ein Vorzeichen voneinander bzw. von der Ausgangstonart c-Moll). Sie sind so angeordnet, dass das Thema jedes Mal eine Stufe höher erklingt. 3. Einen entsprechenden Abbruch der Melodie durch ein plötzliches Fortissimo bzw. sf des Orchesters findet man in Takt 70 und in Takt 74. 4. Der friedliche Charakter des zweiten Themas wird angefochten. Bereits der Es-Dur-Teil ist ab Takt 67 steigernd angelegt (siehe Aufgabe 1). Die dritte und letzte Phrase wird nicht mehr zu Ende gespielt, sondern vom Orchestertutti gleichsam erstickt. Der zweite und dritte Anlauf (in Takt 20 64 bzw. 72) beginnt jeweils, noch eindringlicher, in Moll und jeder eine Stufe höher. Jedes Mal wird das Thema früher von den Einbrüchen des Orchesters erstickt. Im zweiten Teil (f-Moll) geschieht dies bereits nach sechs Takten (mitten in der zweiten Phrase), im dritten Teil bereits im dritten Takt (Takt 74). Das zweite Thema, das mit der flehenden Bitte Volumnias bzw. mit Coriolans Neigung Gnade zu üben, assoziiert werden kann, wird in den Konflikt hineingezogen. Für Coriolan gibt es keinen Ausweg. Lewis Lockwood schreibt: „Dieser thematische Dualismus von Coriolan und Volumnia – die Dialektik zwischen dem Zorn des Sohnes und dem Flehen der Mutter – bleibt bis zum Schluss unaufgelöst, da gerade Coriolans Unfähigkeit, eine Entscheidung zu treffen, zu seinem Ende führt.“3 3 Lewis Lockwood: Beethoven, S. 206. 21 Arbeitsblatt 4: Das zweite Thema These: Das kantable zweite Thema kann seine Stabilität nicht behaupten. Es gerät gewissermaßen in den Sog der Dramatik und wird von der energisch vorwärtsdrängenden Wucht des Orchesters bedrängt und regelrecht überrollt. Aufgaben: 1. Vergleiche die Abschnitte von Takt 52 bis 55 mit den Takten 56 bis 59 und 60 bis 61 unter folgenden Gesichtspunkten: - Welche Instrumente haben die Melodiestimme? - Welche Instrumente spielen außerdem mit und in welcher Rolle? - Welche Lautstärke ist vorgeschrieben? 2. Stelle die Tonarten an den folgenden drei Stellen fest: Takt 52 ff., Takt 63 ff., 72 ff. In welchem Verhältnis stehen die Tonarten zueinander? 3. In Takt 62 wird die Melodie von wuchtigen halben Noten des Orchesters förmlich erstickt. Es gibt weitere Stellen, an denen die Melodie auf ähnliche Weise abgebrochen wird. Finde die Stellen und markiere sie in den Noten unten und in der Verlaufsgraphik oben. 4. Beschreibe deinen Gesamteindruck für den gesamten Abschnitt zwischen Takt 52 und 77 und setze deinen Eindruck in Bezug zum Inhalt des Theaterstücks. Was könnte Beethoven bewogen haben, diesen Abschnitt so zu komponieren? 22 6. Der Schluss der Ouvertüre Unterrichtliche Hinweise Der Schluss lässt sich ebenso wie das Verhältnis der beiden Themen zueinander und der Umgang mit dem zweiten Thema in seiner dramaturgischen Struktur auf den Inhalt des Schauspiels beziehen. Lösungen zu Arbeitsblatt 5: 1. Das gesamte Orchester ist beteiligt, alle spielen Fortissimo, durch sf noch verstärkt, die beiden Hörner spielen unisono in hoher Lage, es kommt zu grellen Dissonanzen (so erklingen in Takt 298 gleichzeitig die Töne as und g). Ab Takt 270 steht die Anweisung sempre fortissimo, die Mittelstimmen in den Streichern gehen in schnelle Repetitionen über und der Bass spielt schnelle Läufe. Nachdem sich die Energie zuvor noch gestaut hatte, nimmt die Musik nun auch motorisch Fahrt auf und entfaltet eine große Bewegungsenergie, die schließlich in die Haltetöne ab Takt 276 mündet. 2. Die Haltetöne werden in Takt 1 nur von den Streichen gespielt, in Takt 152 vom Fagott verstärkt, in Takt 276 sind alle Instrumente (außer Horn und Pauke) beteiligt. 3. Durch den nachschlagenden Akkord erhält bereits Takt 286 eine Art Nachhall. In der Folge werden die Akkorde immer weiter auseinander gezogen, die Dynamik wird vom ff ins pp zurückgenommen, die hohe Lage von Violine, Flöte und Oboe wieder zurückgeführt. Die staccato-Punkte fehlen ab Takt 290 und die Streicher zupfen ab Takt 294. 4. Das Motiv verlangsamt sich. Tonwiederholungen entfallen. Die markante Artikulation weicht einem durchgehenden legato. Dabei ist das Motiv immer leiser werdend (sempre più piano) zu spielen. Am Ende wird der Seufzer as – g über drei ganze Takte gespannt und mit einem zusätzlichen decrescendo versehen. Schließlich verlöscht die Musik in drei pianissimo gehauchten pizzicato-Tönen. 23 Da das Motiv mit Coriolan bzw. mit seiner kriegerischen und auf Rache ausgerichteten Seite assoziiert werden kann, kann dieser Prozess als die resignierende Selbstaufgabe und schließlich als Tod der Hauptfigur verstanden werden. Lewis Lockwood spricht von „thematischer Liquidierung“ und zieht Parallelen zum Trauermarsch der Eroica.4 Vertiefend bietet sich an dieser Stelle ein Blick in Beethovens Autograph an. Lockwood schreibt dazu: „Ein Blick auf die autographe Partitur im Beethoven-Archiv in Bonn offenbart, dass Beethoven in einem späten Entstehungsstadium des Werkes einen alternativen Schluss erwog, der nach dem letztmaligen Erklingen des verlangsamten Coriolan-Themas kadenzielle Dominante-Tonika-Schläge in den ersten Violinen vorsah. Dann aber verwarf er diesen Gedanken und entschied sich für die gänzlich beruhigten, fast unartikulierten letzten Takte, in denen Coriolan stirbt.“5 Ein Digitalisat des Autographs ist auf der Homepage des Beethoven-Hauses einsehbar (unter Digitales Archiv – Werke – Orchestermusik (übrige Orchesterwerke) – Ouvertüre … op. 62 unter der Rubrik Musikhandschriften bzw. unter folgendem Link: http://www.beethoven-hausbonn.de/sixcms/detail.php?id=15123&template=dokseite_digitales_archiv_de&_dokid=wm 23&_seite=1-1 Die von Lockwood angesprochenen Akkordschläge finden sich ausgestrichen auf den Seiten 57 bis 60 jeweils in der ersten Zeile (Violone 1). Die Notensysteme folgen der damals üblichen Anordnung (von oben: Violine 1 – Violine 2 – Viola – Bläser – Violoncello – Kontrabass). Die untersten drei Zeilen sind nicht Teil der Partitur und werden von Beethoven teilweise für Skizzen verwendet (so auf Seite 60 unten). 4 5 Siehe Lewis Lockwood: Beethoven, S. 207. Ebda., S. 207. 24 Arbeitsblatt 5: Schluss der Ouvertüre Aufgabenstellungen: 1. Der Abschnitt ab Takt 264 ist einer der Höhepunkte des Stücks. Benenne die musikalischen Mittel, mit denen Beethoven hier die Dramatik steigert. 2. Vergleiche das erneute Erklingen der Eröffnungsgeste in Takt 276 ff. mit den ParallelStellen (Takt 1 ff. und Takt 152 ff.) im Hinblick auf die Instrumentation. 3. Ab Takt 286 beginnt die Musik ihre Dramatik zu verlieren. Beschreibe diesen Prozess zunächst für die Takt 286 bis 296. 4. Ab Takt 297 ist das Motiv des ersten Themas wieder zu hören. Allerdings wandelt es sich. Beschreibe anhand des Notenbeispiels unten, wie sich das Motiv mit ihm der sein Charakter verändert und interpretiere diesen Prozess vor dem Hintergrund des Schauspiels. Notenbeispiel: Cello-Stimme Takte 297 bis 314 Für Spezialisten: In Beethovens eigener Handschrift kann man sehen, dass er ursprünglich an einen Schluss mit vollen Akkorden in der ersten Violine dachte. Diese Akkorde hat er dann aber wieder durchgestrichen und durch lange, leise Noten ersetzt: Seite 59 des Autographs, Bildquelle: Beethoven-Haus Bonn, Digitales Archiv.6 Stelle dir die Wirkung vor, die ein solcher Schluss hinterlassen hätte und vergleiche sie mit der Version, für die Beethoven sich letztlich entschieden hat. Versuche eine Begründung für Beethovens Entscheidung zu finden. 6 http://www.beethoven-hausbonn.de/sixcms/detail.php?id=15123&template=dokseite_digitales_archiv_de&_dokid=wm23&_seite=1-59 25 Literatur und Quellen Quellen / Wissenschaftliche Literatur Roger Friske: L. van Beethoven. Ouvertüre zu „Coriolan“, in: Coriolan, Ouverture for Orchestra, op. 62, hrsg. von Max Unger, Eulenburg-Taschenpartitur 626, S. V-VI. Martin Geck: Ludwig van Beethoven, Reinbeck bei Hamburg 1996. E. T. A. Hoffmann: Rezension der Ouvertüre zu Coriolan, in: Allgemeine musikalische Zeitung, XIV. Jahrgang, Nr. 32 vom 5. August 1812, Sp. 519-526. Lewis Lockwood: Beethoven. Sein Leben, seine Musik, Kassel 2009. Videodateien und Hörbeispiele auf youtube https://www.youtube.com/watch?v=CnTSdP6f1Hs https://www.youtube.com/watch?v=08gTfNKY94M Notenmaterial (Partituren) http://imslp.org/wiki/Coriolan,_Op.62_(Beethoven,_Ludwig_van) Internetquellen Homepage des Beethoven-Hauses Bonn: http://www.beethoven-haus-bonn.de/sixcms/detail.php?id=&template=portal_de&_sprache=deutsch Bildnachweise Gavin Hamilton: Coriolanus Act V, Szene III https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Gavin_Hamilton_-_Coriolanus_Act_V,_Scene_III_edit2.jpg (26.02.2017, 10:55 Uhr) Heinrich Joseph Collin: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Edler_von_Collin.jpg (26.02.2017, 10:35 Uhr) Beethovens Autograph: Beethoven-Haus Bonn, Digitales Archiv http://www.beethoven-hausbonn.de/sixcms/detail.php?id=15123&template=dokseite_digitales_archiv_de&_dokid=wm23&_seite=1-59 (02.03.2017, 09:00 Uhr) 26 Links zu weiteren bildlichen Darstellungen https://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fupload.wikimedia.org%2Fwikipedia%2Fcommons%2F 7%2F7c%2FPoussin_Coriolan_Les_Andelys.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fraidersofthelostscent.blogspot.com %2F2014%2F04%2Fcoriolan-guerlain-1998.html&docid=rgnlO2Xbr5fBM&tbnid=YqE9kvAMMi2cEM%3A&vet=1&w=1700&h=992&client=firefoxb&bih=644&biw=1366&q=Coriolan&ved=0ahUKEwjrkrq0p7LSAhXB1hoKHWJHABQQMwgdKAEwAQ&iact=mrc& uact=8#h=992&imgrc=YqE9kvAMMi2cEM:&vet=1&w=1700 https://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.raptusassociation.org%2FVeturiaCoriolanus.jpg &imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.raptusassociation.org%2Fouvop62_g.html&docid=YdRrrmhWbYAOrM&tbni d=Wrjuly2WSlbS7M%3A&vet=1&w=481&h=322&client=firefoxb&bih=644&biw=1366&q=Coriolan&ved=0ahUKEwjrkrq0p7LSAhXB1hoKHWJHABQQMwglKAkwCQ&iact=mrc& uact=8#h=322&imgrc=Wrjuly2WSlbS7M:&vet=1&w=481 https://www.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fupload.wikimedia.org%2Fwikipedia%2Fcommons%2F thumb%2F3%2F30%2FVolumnia_pleads_with_Coriolanus.jpg%2F220pxVolumnia_pleads_with_Coriolanus.jpg&imgrefurl=https%3A%2F%2Fen.wikipedia.org%2Fwiki%2FCoriolanus&d ocid=HOyxYexgn3rflM&tbnid=QscsHyfZLjlmOM%3A&vet=1&w=220&h=279&client=firefoxb&bih=644&biw=1366&q=Coriolan&ved=0ahUKEwjrkrq0p7LSAhXB1hoKHWJHABQQMwhMKCYwJg&iact=mrc& uact=8#h=279&imgrc=QscsHyfZLjlmOM:&vet=1&w=220 27