Kapitel 1 - Grundlagen

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1 Grundlagen
1.1 Mathematische Sprache
Möchte man mathematische Sachverhalte ausdrücken, so verwendet man dafür eine Sprache, die präziser in seiner Aussagekraft ist als dies zum Beispiel in der Alltagssprache
üblich ist. Dadurch sollen mathematische Zusammenhänge übersichtlich und kompakt
darstellbar sein und vor allem sollen mathematische Aussagen beweisbar werden. Es hat
sich dazu ein gebräuchlicher Zeichenvorrat entwickelt, der neben weiteren grundlegenden
Begriffen im Folgenden vorgestellt werden soll.
Mathematische Aussagen
Eine mathematische Aussage ist ein Satz, der wahr oder falsch sein kann. So ist zum
Beispiel der Satz
„Die Summe einer ganzen Zahl mit sich selbst ergibt eine gerade Zahl.“
eine Aussage, die wahr ist. Zwei Dinge sind bei der Betrachtung von Aussagen wichtig:
(i) Eine Aussage ist immer ein ganzer Satz. Aussagen der Form „x2 + 3“ sind nur
Terme, deren Wahrheitsgehalt sich nicht ermitteln lässt.
(ii) Eine Aussage ist immer entweder wahr oder falsch („Tertium non datur“; Prinzip
des ausgeschlossenen Dritten). Dabei ist durchaus möglich, dass noch nicht bekannt
ist, ob eine Aussage wahr oder falsch ist (z.B. da noch kein Beweis gefunden ist).
Aussagen werden gewöhlich mit lateinischen Großbuchstaben bezeichnet. Man verwendet
bei der Angabe das Definitionssymbol := („ist definiert durch“). Zudem können Aussagen
auch von Variablen abhängen. Durch Einsetzen eines konkreten Wertes für die Variable
kann dann der Wahrheitsgehalt der so entstandenen Aussage ermittelt werden. Dadurch
lassen sich ganze Klassen von Aussagen kompakt angeben.
Beispiele 1.1
(i) A := „Die Summe einer ganzen Zahl mit sich selbst ergibt eine gerade Zahl.“
(ii) B(n) := „n + n ist eine gerade Zahl.“
(iii) C(n) := „n2 + 2n = 8“
(iv) D := „2 = 3“
3
1 Grundlagen
A B
w w
f w
w f
f f
A^B
w
f
f
f
A_B
w
w
w
f
A xor B
f
w
w
f
A
w
f
¬A
f
w
Tabelle 1.1: Wahrheitstafeln (w: wahr; f: falsch)
Hierbei ist sowohl A als auch B(n) für alle natürlichen Zahlen eine wahre Aussage. Die
Gültigkeit von C(n) hängt vom gewählten n ab und D ist falsch.
Kombination und Folgerung von Aussagen
In der Alltagssprache ist es üblich Aussagen zu verneinen oder durch die Wörter „und“,
„oder“, etc. zu neuen Aussagen zusammenzusetzen. Dies wird auch bei mathematischen
Aussagen gemacht. Die dabei entstehenden zusammengesetzten Aussagen sind wiederum
Aussagen, die wahr oder falsch sein können. Die Verknüpfungen werden mathematisch
präzise über Wahrheitstafeln definiert.
Seien A, B Aussagen, dann schreibt man:
(i) A ^ B: „A und B sind wahr“ (Konjunktion)
(ii) A _ B: „A oder B ist wahr“ (Disjunktion)
(iii) ¬A: „A ist falsch / A gilt nicht“ (Negation)
(iv) A xor B: „Entweder A oder B ist wahr“ (Kontravalenz)
Je nach Wahrheitsbelegung der ursprünglichen Aussagen besitzt die zusammengesetzte
Aussage einen Wahrheitswert gemäß Tabelle 1.1. Wesentlich sind die Punkte:
(i) A ^ B ist genau nur dann wahr, wenn beide Aussagen A und B wahr sind.
(ii) A _ B ist wahr, sobald mindestens eine der Aussagen A oder B wahr ist. Es dürfen
dabei auch beide Aussagen wahr sein (inklusive oder ).
(iii) A xor B ist wahr, wenn genau nur eine der Aussagen A oder B wahr ist. Sind A
und B wahr, dann wird die Zusammensetzung falsch (exklusives oder ).
Folgt aus A die Gültigkeit der Aussage B („Wenn A gilt, dann gilt auch B“ (Implikation)), so schreibt man dies als
A ) B.
In diesem Fall bezeichnet man die Aussage A als hinreichend für die Gültigkeit von B.
Verliert die Aussage B immer ihre Gültigkeit, sobald A nicht gültig ist (¬A ) ¬B), so
bezeichnet man A als notwendig für B.
4
1.2 Elementare Beweistechniken
Man beachte, dass es bei der Folgerung A ) B jedoch zwei Möglichkeiten gibt:
- A ist wahr, B ist wahr - das ist der übliche, gewünschte Fall der Schlussfolgerung.
- A ist falsch, B ist wahr oder falsch - d.h., aus einer falschen Aussage lässt sich alles
schlussfolgern.
Um auszudrücken, dass zwei Aussagen A, B gleichwertig sind („A gilt genau dann,
wenn B gilt“ (Äquivalenz)), schreibt man
A , B.
Quantoren
Oftmals möchte man Aussagen tätigen, die von äußeren Parametern abhängen. Dabei
stellt sich dann zum Beispiel die Frage, ob die Aussage für alle möglichen Parameter
gültig ist oder ob überhaupt ein Parameter existiert, für den diese Aussage gültig wird.
Dies lässt sich über sogenannte Quantoren ausdrücken, die sich wie folgt lesen:
(i) 8: „für alle“
(ii) 9: „es existiert (mindestens) ein“
(iii) 9!: „es existiert genau ein“
(iv) @: „es existiert kein“
Beispiel 1.2
Sei B(n) := „n + n ist eine gerade Zahl.“ und C(n) := „n2 + 2n = 8“.
(i) D := „8n : B(n)“
(ii) E := „9n : C(n)“
(iii) F := „8n : C(n)“
Die beiden Aussagen D, E sind beide wahr. Hingegen ist die Aussage F falsch.
1.2 Elementare Beweistechniken
In der Mathematik geht man davon aus, dass es gewissse Aussagen gibt, die gültig sind.
Diese nennt man Axiome. Ausgehend von diesen Grundwahrheiten werden dann alle
weiteren Aussagen gefolgert. Für die Schlussfolgerungen gibt es ein paar grundlegende
Techniken, die sich oft anwenden lassen.
Direkter Beweis
Die einfachste Form des Beweises ist die direkte Schlussfolgerung. Dabei wird ausgehend
von als wahr bekannten (bzw. als Axiom vorausgesetzen) Aussagen eine weitere wahre
Aussage gefolgert. Dazu ein Beispiel:
5
1 Grundlagen
Satz 1.3 (Quadratzahlen von geraden Zahlen sind gerade)
Sei n eine gerade natürliche Zahl. Dann ist auch n2 eine gerade natürliche Zahl.
Beweis. Sei A := „n eine gerade natürliche Zahl“. Daraus wird nun gezeigt, dass sich
durch eine Kette von Implikationen die Aussage B := „n2 eine gerade natürliche Zahl“
folgern lässt.
n gerade ) Es gibt eine natürliche Zahl m mit n = 2 · m
) n2 = (2 · m)2 = 4 · m2 = 2 · (2 · m2 )
) n2 gerade.
⇤
Äquivalenzbeweis
Ein Äquivalenzbeweis dient dazu die Gleichheit zweier Aussagen zu zeigen: A , B. Dies
wird dadurch bewiesen, dass man einen direkten Beweis in beide Richtungen ausführt:
Man zeigt sowohl A ) B als auch B ) A. Hieraus sieht man die Gleichheit der
Aussagen.
Beweis durch Kontraposition
Möchte man A ) B zeigen, so kann man stattdessen auch die äquivalente Aussage
¬B ) ¬A zeigen, denn es gilt:
(A ) B) , (¬B ) ¬A).
Dazu ein Beispiel:
Satz 1.4
Sei n2 eine gerade natürliche Zahl. Dann ist auch n eine gerade natürliche Zahl.
Beweis. Sei A := „n2 eine gerade natürliche Zahl“ und B := „n eine gerade natürliche
Zahl“. Anstatt A ) B zu folgern, wird nun ¬B ) ¬A gezeigt.
¬B = n ist eine ungerade natürliche Zahl
) Es gibt eine natürliche Zahl m mit n = 2 · m + 1
) n2 = (2 · m + 1)2 = 4 · m2 + 4 · m + 1 = 2 · (2 · m2 + 2 · m) + 1
) n2 ist eine ungerade natürliche Zahl = ¬A
6
⇤
1.3 Mengen
Widerspruchsbeweis (indirekter Schluss)
Hier nimmt man an, dass die Aussage A ) B, die man eigentlich beweisen möchte, nicht
gilt. Die Negation von A ) B lautet A ^ ¬B. Hieraus leitet man nun einen Widerspruch
her, d.h. dass damit dann gleichzeitig auch eine Aussage C und dessen Gegenteil ¬C
gelten muss. Da dies nicht sein kann, muss die Annahme der Nagation falsch gewesen
sein und somit die zu beweisende Aussage gelten.
Satz 1.5 (Euklid)
Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Beweis. Der Beweis wird durch einen Widerspruch geführt. Angenommen, es gäbe nur
endlich viele Primzahlen. Dann lassen sich diese als p1 , p2 , . . . , pn auflisten und daraus
eine neue Zahl M := p1 ·p2 ·. . .·pn bilden. Da M durch jede der Primzahlen teilbar ist, ist
jedoch M +1 durch keine der Primzahlen teilbar und somit selbst eine Primzahl. Die Zahl
M + 1 ist somit eine weitere Primzahl, die nicht in p1 , . . . , pn vorkommt - Widerspruch.
Somit muss die Annahme, dass es nur endlich viele Primzahlen gibt, falsch gewesen sein.
⇤
Eine weitere, sehr wichtige Beiweistechnik ist der Induktionsbeweis, mit dem man Aussagen beweisen kann, die von den natürlichen Zahlen abhängen. Auf Grund der Wichtigkeit
der Induktion wird diese im weiteren Verlauf gesondert behandelt.
1.3 Mengen
Einer der grundlegenden Begriffe der Mathematik ist die Menge. Die folgende intuitive
Beschreibung stammt von G. Cantor.
Definition 1.6 (Menge (Cantor, 1885))
Eine Menge ist eine wohldefinierte Zusammenfassung verschiedener Objekte zu einem
Ganzen.
Die Objekte in einer Menge werden Elemente genannt. Gemäß der Definition sind alle
Elemente einer Menge von einander unterschiedlich. Üblicherweise werden Mengen durch
lateinische Großbuchstaben A, B, C, . . . bezeichnet.
Ist ein Objekt a Element einer Menge A, so schreibt man dies als
a2A
(2: „ist Element von“),
andernfalls schreibt man
a2
/A
(2:
/ „ist nicht Element von“).
7
1 Grundlagen
Beispiele 1.7
Beispiele für Mengen sind:
(i) Die Menge der Studierenden an der Universität Frankfurt.
(ii) Die Menge der Gemüse G := { Tomate, Gurke, Paprika, . . .}.
(iii) Die Menge N := {0, 1, 2, 3, . . .} der natürlichen Zahlen.
(iv) Die Menge N+ := {1, 2, 3, . . .} der positiven natürlichen Zahlen.
(v) Die Menge Z := {. . . , 3, 2, 1, 0, 1, 2, 3, . . .} der ganzen Zahlen.
Mengen werden durch die explizite Angabe ihrer Elemente beschrieben,
A := {a, b, c, . . .},
oder man gibt die charakterisierende Eigenschaft ihrer Elemente an
A := { a
hat die Eigenschaft XY}.
|2
{z O} | a
|
{z
}
Obermenge
Beispiele 1.8
Bedingung
(i) Die Menge P
oder
P := {2, 3, 5, 7, 11, ..},
P := {n 2 N+ | n ist Primzahl }
beschreibt die Menge der Primzahlen, d.h. derjenigen natürlichen Zahlen, die nur
durch 1 und sich selbst teilbar sind.
(ii) Die Menge der positiven, geraden Zahlen
{2, 4, 6, . . .},
oder
{n 2 N+ | 9 m 2 N : n = 2 · m}.
(iii) Die Menge der Zahlen, die durch b 2 N teilbar sind:
{b, 2b, 3b, . . .},
oder
{n 2 N+ | 9 m 2 N : n = b · m}.
(iv) Die Menge Q := { nz | z 2 Z, n 2 N+ }.
Definition 1.9
Seien A und B Mengen.
(a) A heißt Teilmenge von B, falls jedes Element von A auch in B enthalten ist. Man
schreibt dies als A ⇢ B.
(b) Gilt A ⇢ B und B ⇢ A, so sind die Mengen gleich: A = B.
(c) Die leere Menge ; enthält kein Element und ist in jeder Menge enthalten.
8
1.3 Mengen
(d) Der Durchschnitt A \ B besteht aus allen Elementen, die sowohl in A als auch in
B enthalten sind:
A \ B := {x | x 2 A und x 2 B}.
(e) Die Vereinigung A [ B besteht aus allen Elementen, die in A oder in B enthalten
sind:
A [ B := {x | x 2 A oder x 2 B}.
(f) Der Differenz A \ B besteht aus den Elementen, die in A aber nicht in B enthalten
sind:
A \ B := {x | x 2 A und x 2
/ B}.
A
B
A[B
B
A
(a)
A⇢B
(b)
A\B
A\B
Abbildung 1.1: (a) Teilmenge (b) verschiedene Mengenoperationen
Bemerkung 1.10 (Exklusives und inklusives „oder“)
Mit „oder“ ist das inklusive oder gemeint, d.h. A [ B enthält auch die Elemente, die
sowohl in A als auch in B liegen. (Die Alternative ist das exklusive oder, bei dem ein
Element entweder in A oder in B liegen muss, jedoch nicht in beiden gleichzeitig.)
Für Vereinigung und Durchschnitt von Mengen gelten die folgenden Regeln:
(a) Das Kommutativgesetz (es kommt nicht auf die Reihenfolge an):
A [ B = B [ A,
A\B =B\A
(b) Das Assoziativgesetz (bei Mehrfachverkettung ist die Reihenfolge egal):
(A [ B) [ C = A [ (B [ C),
(A \ B) \ C = A \ (B \ C)
9
1 Grundlagen
(c) Das Distributivgesetz :
A [ (B \ C) = (A [ B) \ (A [ C),
A \ (B [ C) = (A \ B) [ (A \ C)
Beweis. Möchte man zeigen, dass zwei Mengen X = Y identisch sind, dann bietet sich
an zunächst einzeln sowohl X ⇢ Y als auch Y ⇢ X zu zeigen. Daraus folgt dann X = Y .
Um die Aussage X ⇢ Y zu zeigen, wählt man ein beliebiges Element der Menge x 2 X
und zeigt dann, dass auch x 2 Y gilt. Da das Element beliebig war, ist somit jedes
Element aus X auch in Y enthalten und dies zeigt X ⇢ Y .
Nach diesem Muster sei exemplarisch die Aussage
A [ (B \ C) = (A [ B) \ (A [ C)
bewiesen.
„A [ (B \ C) ⇢ (A [ B) \ (A [ C)“: Sei ein x 2 A [ (B \ C) beliebig gewählt. Somit gilt
x 2 A oder x 2 B \ C. Die beiden Fälle lassen sich getrennt betrachten:
1. Fall: Gilt x 2 A, dann ist x 2 A[B und x 2 A[C und somit auch x 2 (A[B)\(A[C).
2. Fall: Gilt x 2 B \ C, dann gilt x 2 B und x 2 C. Somit gilt auch x 2 A [ B und
x 2 A [ C. Darauf folgt ebenfalls x 2 (A [ B) \ (A [ C).
„A [ (B \ C) (A [ B) \ (A [ C)“: Sei ein x 2 (A [ B) \ (A [ C) beliebig gewählt. Somit
gilt x 2 A [ B und x 2 A [ C. Es lassen sich erneut zwei Fälle getrennt betrachten:
1. Fall: Gilt x 2 A, dann ist x 2 A [ (B \ C).
2. Fall: Gilt x 2
/ A, dann muss x 2 B und x 2 C gelten. Somit gilt auch x 2 A [ (B \ C).
⇤
Hat man mehrere Mengen, so lassen sich aus diesen die „Produktmenge“ bilden.
Definition 1.11 (Kartesisches Produkt)
Seien A, B zwei Mengen. Das kartesische Produkt von A und B ist die Menge
A ⇥ B := {(a, b) | a 2 A, b 2 B}.
Die Elemente (a, b) sind geordnete Paare und werden Tupel genannt.
Analog lassen sich auch kartesische Produkte A1 ⇥ A2 ⇥ . . . ⇥ An definieren, die als
Elemente n-Tupel (a1 , a2 , . . . , an ) besitzen.
Zu einer gegebenen Menge lässt sich zudem die „Menge aller Teilmengen“ bilden.
Definition 1.12 (Potenzmenge)
Zu einer Menge A ist die Potenzmenge P gegeben durch die Menge aller Teilmengen,
d.h.
P(A) := {B | B ⇢ A}.
10
(1.1)
1.3 Mengen
N
N⇥N
..
.
..
.
..
.
..
.
(0, 2)
(1, 2)
(2, 2)
(1, 1)
(2, 1)
..
.
..
.
(0, 1)
(0, 0)
(1, 0)
(2, 0)
(3, 0)
...
N
Abbildung 1.2: Kartesisches Produkt N2 := N ⇥ N
Beispiel 1.13
n
o
(i) P({1}) = ;, {1} .
n
o
(ii) P({1, 2}) = ;, {1}, {2}, {1, 2} .
n
o
(iii) P({1, 2, 3}) = ;, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3} .
Bemerkung 1.14 (Russellsche Antinomie)
Der Mathematiker B. Russell hat durch ein Paradoxon gezeigt, dass beim Umgang von
Konstrukten gemäß „Menge aller Mengen mit gewisser Eigenschaft“ Vorsicht geboten ist.
Dazu konstruiert er die „Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten“,
d.h. formal
R := {M | M 2
/ M }.
(1.2)
Man denke zum Beispiel an ein Buch, das alle Bücher auflistet, in denen nicht auf sich
selbst verwiesen wird.
Die Frage ist nun, ob diese Menge in sich selbst enthalten ist, d.h ob gilt R 2 R oder
R2
/ R. Enthält sich die Menge R nicht selbst, so muss sie sich aber gemäß Definition
enthalten. Enthält R sich selbst, dann darf sie sich gemäß Definition nicht enthalten. Es
gilt also der Widerspruch
R2R,R2
/ R.
(1.3)
Diese Problematik kann durch einen axiomatischen Ansatz der Mengenlehre umgangen
werden. Für den Rahmen dieser Vorlesung soll der einfache Ansatz zur Mengenlehre
aber genügen, auf widersprüchliche Definitionen wird verzichtet.
11
1 Grundlagen
1.4 Abbildungen
Definition 1.15 (Abbildung)
Eine Abbildung (auch Funktion) f von einer Menge A auf eine Menge B ist eine Vorschrift, die jedem Element a 2 A genau ein Element b 2 B zuordnet. Man schreibt:
f : A ! B,
a 7! f (a)
oder auch kurz
f : A ! B, A 3 a 7! f (a) 2 B.
Die Menge A heißt Definitionsbereich von f .
Die Menge B heißt Wertebereich von f .
Die Menge f (A) := {f (a) | a 2 A} ⇢ B heißt Bild von f .
Beispiele 1.16
Beispiele für Abbildungen zwischen Mengen:
(a) f : {1, 2, 3} ! {1, 2, 3, 4}, n 7! n + 1: Abbildung auf nächste Zahl
(b) g : N ! N, n 7! n2 : Abbildung der natürlichen Zahlen auf die Quadratzahlen
(c) h : Z ! Z, n 7! n2 : Abbildung der ganzen Zahlen auf die Quadratzahlen
Abbildungen zwischen Mengen lassen sich durch Wertetabellen angeben. Dies ist zum
Beispiel die übliche Angabe einer Abbildung zwischen zwei Mengen, wenn es sich um
experimentelle Messwerte handelt. Dann wird eine Abbildug zwischen der Menge der
Messpunkte MP und der Menge der Messwerte MW aufgezeichnet:
Messung : MP ! MW.
x 2 MP f (x) 2 MW
3
9
1
8
5
16
Tabelle 1.2: Illustration der Wertetabelle zu einer Messung
Alternativ lässt sich eine Abbildung gut durch ihren Graph veranschaulichen.
Definition 1.17 (Graph)
Zu einer Abbildung f : A ! B heißt die Menge
G := {(a, b) 2 A ⇥ B | b = f (a)}
der Graph der Abbildung.
12
1.4 Abbildungen
4
Bild
3
f : {1, 2, 3} ! {1, 2, 3, 4},
2
Wertebereich
n 7! n + 1
1
1
2
|
{z
3
}
Definitionsbereich
Abbildung 1.3: Graph, Definitonsbereich, Wertebereich und Bild einer Funktion
Definition 1.18 (Injektiv, surjektiv und bijektiv)
Sei f : A ! B eine Abbildung. Die Abbildung heißt
(a) injektiv, falls jedes Element aus B höchstens ein Urbild hat, d.h. wenn gilt
8a1 , a2 2 A : f (a1 ) = f (a2 ) ) a1 = a2 ,
(b) surjektiv, falls auf jedes Element aus B abgebildet wird, d.h. wenn gilt
f (A) = B,
(c) bijektiv (oder auch one-to-one), falls sie injektiv und surjektiv ist.
Ist eine Abbildung f : A ! B bijektiv, dann existiert zu jedem Element b 2 B im Wertebereich mindestens ein Element a 2 A im Definitionsbereich, das auf b = f (a) abbildet
(surjektiv). Gleichzeitig gibt es aber höchstens ein Element a 2 A im Definitionsbereich,
das auf b = f (a) abbildet (injektiv). Somit gibt es genau ein solches Element.
Bijektive Abbildungen lassen sich eindeutig umkehren.
Definition 1.19 (Umkehrabbildung)
Zu einer bijektiven Abbildung f : A ! B ist die Umkehrabbildung gegeben durch
f
1
: B ! A,
a=f
1
(b) :, b = f (a).
Umkehrabbildungen sind wieder bijektiv.
Manchmal möchte man auch mehrere Abbildungen hintereinander ausführen. Dies geht
dann, wenn der Bildbereich der einen Abbildung im Definitionsbereich der zweiten liegt.
13
1 Grundlagen
f :A!B
A
a3
b3
a2
b2
a1
(a)
B
b1
a0
b0
A := {a0 , a1 , a2 , a3 }
B := {b0 , b1 , b2 , b3 }
f :A!B
A
b3
a2
b2
a1
(b)
B
b1
a0
b0
A := {a0 , a1 , a2 }
B := {b0 , b1 , b2 , b3 }
f :A!B
A
B
b1
a0
a3
a2
b2
a1
(c)
b0
A := {a0 , a1 , a2 , a3 }
B := {b0 , b1 , b2 }
Abbildung 1.4: Beispiele für eine Funktion f : A ! B: (a) nicht injektiv, nicht surjektiv
(b) injektiv, nicht surjektiv, (b) nicht injektiv, surjektiv
f :A!B
A
f
B
b3
a0
a3
a2
a1
A
a0
b1
b2
b0
1
:B!A
a3
a2
b1
b2
a1
Abbildung 1.5: Bijektive Funktion f : A ! B und Umkehrfunktion f
14
B
b3
b0
1
:B!A
1.5 Natürliche Zahlen und vollständige Induktion
Definition 1.20 (Verkettung von Abbildungen)
Seien f : A ! B und g : C ! D mit f (A) ⇢ C. Dann heißt die Abbildung
g f : A ! D,
a 7! g(f (a)),
die Verkettung der Abbildungen f und g.
Man liest dies als „g nach f “, denn die Abbildung f wird zuerst ausgeführt.
1.5 Natürliche Zahlen und vollständige Induktion
Die Menge der natürlichen Zahlen
N := {0, 1, 2, 3, . . .}
wird intuitiv verstanden und - wie der Name schon sagt - als „natürlich“ gegeben angesehen. Was aber genau die natürlichen Zahlen sind und wie diese mathematisch präzise
zu verstehen sind, wurde immer wieder diskutiert. Heute werden die natürlichen Zahlen
üblicherweise über ein Axiomensystem eingeführt.
Definition 1.21 (G. Peano, 1889)
(P1) Es gibt ein ausgezeichnetes (kleinstes) Element: 0 2 N.
(P2) Zu jeder natürlichen Zahl n 2 N gibt es einen Nachfolger ⌫(n) 2 N.
(P3) Die Zahl 0 2 N ist nicht Nachfolger einer natürlichen Zahl.
(P4) Die Nachfolger unterschiedlicher Zahlen sind unterschiedlich:
n1 6= n2 ) ⌫(n1 ) 6= ⌫(n2 ).
(P5) Enthält eine Menge M ⇢ N die Zahl 0 und mit jedem n 2 M auch den Nachfolger
⌫(n) 2 M , dann ist M = N.
Die arithmetischen Grundoperationen lassen sich ausgehend von diesen Axiomen wie
folgt definieren:
n + 0 := n,
n · 0 := 0,
n + ⌫(m) := ⌫(n + m),
n · ⌫(m) := n · m + n.
15
1 Grundlagen
Man erhält so die üblichen Zahlen, wenn man definiert:
0 := 0,
1 := ⌫(0),
2 := ⌫(⌫(0)) = ⌫(1),
3 := ⌫(⌫(⌫(0))) = ⌫(⌫(1)) = ⌫(2),
..
.
Vollständige Induktion
Eine wichtige Beweismethode ist die vollständige Induktion. Diese dient dazu Aussagen
der Form A(n) zu beweisen, die von den natürlichen Zahlen abhängen. Man ist daran
interessiert, dass man die Aussage für alle natürlichen Zahlen beweist. Dies sind jedoch
unendlich viele Aussagen A(0), A(1), A(2), A(3), . . . und man kann diese nicht alle einzeln
beweisen. Stattdessen zieht man sich auf das folgende Beweisprinzip zurück.
Satz 1.22 (Induktionsprinzip)
Sei A(n) eine Aussage, die von den natürlichen Zahlen n 2 N abhängt. Falls gilt:
(IA) Induktionsanfang: A(0) ist wahr,
(IS) Induktionsschritt: Wenn A(n) wahr ist, dann ist auch A(n + 1) wahr,
dann ist die Aussage A(n) für alle n 2 N wahr.
Beweis. Das Induktionsprinzip folgt direkt aus dem 5. Peanoschen Axiom. Dies sieht
man wie folgt: Sei eine Teilmenge M ⇢ N definiert durch
M := {n 2 N | A(n) ist wahr }.
Durch den Induktionsanfang gilt 0 2 M . Die Induktionsannahme besagt, dass aus n 2 M
auch n + 1 2 M folgt. Somit gilt mit dem 5. Peanoschen Axiom M = N.
Bemerkung 1.23
Der Induktionsanfang muss nicht immer bei 0 gewählt werden. Gilt eine Aussage erst ab
einem n0 1, so zeigt man die Gültigkeit von A(n0 ) und ebenfalls den Induktionsschritt.
Also Folgerung gilt dann A(n) für alle n 2 N, n n0 , jedoch nicht für n < n0 .
Mittels der Induktion lassen sich viele Aussagen über Summen beweisen. Dazu sei zunächst eine vereinfachende Notation für Summen und Produkte definiert.
Definition 1.24 (Summe, Produkt)
Seien {am , am+1 , . . . , an } ⇢ A Elemente einer Menge A, für die Summe als auch Produktbildung definiert ist. Für m, n 2 Z, m  n schreibt man
am + am+1 + . . . + an =:
n
X
i=m
16
ai .
1.5 Natürliche Zahlen und vollständige Induktion
Für m > n definiert man die leere Summe
n
X
ai := 0,
(m > n).
i=m
Analog schreibt man für die Multiplikation
am · am+1 · . . . · an =:
und
n
Y
n
Y
ai ,
i=m
ai := 1,
(m  n),
(m > n).
i=m
Ein paar Beispiele sollen den Beiweis durch Induktion verdeutlichen.
Satz 1.25 (C. F. Gauß)
Für alle n 2 N gilt:
n
X
k=1
Beweis.
Sei A(n) die Aussage: „
n
P
k=
k=1
n(n+1)
2
k=
n(n + 1)
.
2
ist wahr“.
Induktionsanfang (n = 0):
0
P
Für n = 0 ist
k = 0 und 0(0+1)
= 0. Somit ist A(0) wahr.
2
Für n = 1 ist
k=1
1
P
k = 1 und
k=1
1(1+1)
2
= 1. Somit ist A(1) wahr.
Induktionsschritt:
n
P
Angenommen A(n) ist wahr (Induktionsvoraussetzung, IV), d.h. es gelte
k =
k=1
n(n+1)
.
2
Daraus schließt man auf die Gültigkeit von A(n + 1) wie folgt:
n+1
X
k=
k=1
n
X
k=1
(IV)
k + (n + 1) =
n(n + 1)
+ (n + 1)
2
n(n + 1) + 2(n + 1)
(n + 2)(n + 1)
=
2
2
(n + 1)((n + 1) + 1)
=
.
2
=
Somit folgt aus der Gültigkeit von A(n) auch die Gültigkeit von A(n + 1).
⇤
17
1 Grundlagen
Satz 1.26 (Anzahl der Elemente der Potenzmenge)
Sei M eine Menge mit n 2 N Elementen. Dann hat die Potenzmenge P(M ) genau 2n
Elemente.
Beweis.
Sei A(n) die Aussage: „Die Potenzmenge einer Menge mit n Elementen hat 2n Elemente“.
Induktionsanfang (n = 1):
Für M = {m} ist P({m}) = ;, {m} und hat 2 = 21 Elemente. Somit ist A(1) wahr.
Induktionsschritt:
Angenommen A(n) ist wahr (Induktionsannahme), d.h. die Potenzmenge einer Menge
mit n Elementen hat 2n Elemente. Nun muss gezeigt werden, wie viele Elemente die
Potenzmenge einer Menge mit n + 1 Elementen hat.
Sei M eine Menge mit n + 1 Elementen und sei ein m 2 M willkürlich gewählt. Dann
lässt sich M schreiben als
M = N [ {m},
und N hat n Elemente.
mit N := M \ {m},
Es gibt nun zwei Arten von Teilmengen von M :
(a) Jene Teilmengen, die m nicht enthalten, d.h. die Teilmengen von N := M \ {m}.
Nach Induktionsvoraussetzung sind dies 2n .
(b) Jene Teilmengen, die m enthalten, d.h. alle Teilmengen der Form B [ {m} mit
B ⇢ N . Nach Induktionsvoraussetzung sind dies 2n .
Somit hat M genau 2n + 2n = 2 · 2n = 2n+1 Elemente. Somit gilt A(n + 1).
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Rekursive Definition
Umgekehrt kann das Induktionsprinzip auch genutzt werden, um rekursive Definitionen
D(n) vorzunehmen. Dazu definiert man zunächst für D(0) und gibt dann die Definition
D(n) für alle weiteren n 2 N, n 1 durch D(n) := F (D(0), D(1), . . . , D(n 1)) als eine
Vorschrift an, die von den vorhergehenden Definitionen abhängen kann.
Definition 1.27 (Potenz)
Sei a 2 N. Die n-te Potenz von a ist rekursiv definiert durch
(
1,
n = 0,
an :=
a · an 1 ,
n 1.
Definition 1.28 (Fakultät)
Die n-Fakultät ist rekursiv definiert durch
(
1,
n! :=
n · (n 1)!,
18
n = 0,
n 1.
1.5 Natürliche Zahlen und vollständige Induktion
Solche rekursiven Definitionen lassen sich auch verwenden, um biologische Populationen
zu beschreiben. So hat Leonardo da Pisa (genannt Fibonacci) bereits 1220 die Anzahl
an Kaninchenpaaren berechnet. Er nahm dabei an, dass jedes Paar an Kaninchen ab
dem zweiten Lebensmonat jeden Monat ein weiteres Paar als Nachwuchs bekommt und
Kaninchen unsterblich sind. Beginnt man mit einer Population von einem neu geborenen
Kaninchenpaar in Monat eins, F1 = 1, so bleibt es bei einem in Monat zwei, F2 = 1,
und in Monat drei bekommt dieses Paar den ersten Nachwuchs, F3 = 2. Im Monat vier
bekommt weiterhin nur das erste Paar Nachwuchs, F4 = 3, ab Monat fünf dann auch
das Paar aus Monat 3, F5 = 5, usw. In jedem Monat gibt es folglich immer die Anzahl
Paare, die im Vormonat vorhanden waren, plus der Nachwuchs der Paare die bereits vor
zwei Monaten lebten, d.h. Fn+1 = Fn + Fn 1 .
Definition 1.29 (Fibonacci-Folge)
Die Fibonacci-Zahlen Fn , n 2 N+ , sind definiert durch
8
>
n = 1,
<1,
Fn := 1,
n = 2,
>
:
Fn 1 + Fn 2 ,
n 3.
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