5. Philharmonisches Konzert Reihe C Freitag, 9. März 2012 20 Uhr Volkshaus Väinö Raitio (1891-1945) Joutsenet (Die Schwäne) op.15 Lotta Wennäkoski (*1970) Soie – Für Flöte und Orchester (2009) Voile Lin gros Soie Pause Carl Nielsen (1865-1931) Sinfonie Nr.2 op.16 »Die vier Temperamente« Allegro collerico Allegro comodo e flemmatico Andante malincolico Allegro sanguineo Dirigent: Petri Komulainen Solist: Mario Caroli In diesem Konzert spielt im Rahmen des Musikeraustauschs des Orchesternetzwerks „ ONE” in den Bratschen ein Gast aus dem Orchestre de Picardie (Frankreich). Der Dirigent Petri Komulainen ist als Dirigent, Kammermusiker und Musikpädagoge tätig und hat eine Stelle als Hornist beim Lahti Symphony Orchestra inne. Er studierte Horn und Dirigieren an der Sibelius Akademie Helsinki, der Freiburger Musikhochschule sowie der Schola Cantorum Basel. 2008 schloss er seine Studien mit Auszeichnung ab. Der wandlungsfähige und innovative Musiker fühlt sich im sinfonischen Repertoire, der Oper und in der Kammermusik zu Hause. Sein besonderes Interesse gilt der zeitgenössischen Musik und der Zusammenarbeit mit Komponisten. Komulainen ist erfolgreich an der Entwicklung einer interdisziplinären Musikpädagogik für jüngere Generationen und hat dabei mit führenden finnischen Orchestern in Helsinki, Lahti, Kotka und Tampere zusammengearbeitet. Seit 2005 ist er Dirigent des Helsinki Polytechnic Orchestra. Als Solist und Dirigent hat er Musik für verschiedene Labels aufgenommen. Die CD I Mosaici di Roma von 2007 vereinigt Werke für Horn, die Komulainen gewidmet sind und von ihm uraufgeführt wurden. Seit mehreren Jahren unterrichtet er an der Sibelius Akademie Helsinki sowie bei Dirigierkursen und als Pädagoge arbeitet er regelmäßig mit den Bläsern verschiedener Orchester zusammen. Der Solist Mario Carolibegann mit 14 Jahren mit dem Flötenspiel, erhielt bereits mit 19 Jahren sein Diplom als Solist und gewann mit 22 den begehrten Kranichsteiner Musikpreis. Seine Karriere seitdem ist so erfolgreich wie bemerkenswert. Der Umfang seines Repertoires und die Konzeption seiner Programme, in denen er gern Alte und Neue Musik mit verblüffender Einfachheit nebeneinander stellt, demonstrieren eine innovative wie persönliche Herangehensweise an seinen Beruf. Wie nur wenige Künstler beherrscht er das gesamte Spektrum der Stile mit der gleichen Lebendigkeit und Virtuosität. Zusätzlich zu seinem musikalischen hat Mario Caroli einen philosophischen Abschluss mit einer Arbeit über Nietzsche erworben und hat eine Leidenschaft für Dichtung, Film und Psychologie. Mit dieser Vielfältigkeit belebt und erweitert er den Blick auf sein Instrument und die Auswahl der Werke, die er im Konzert interpretiert. Oft adaptiert er in diesem Rahmen etablierte Werke für die Flöte, doch hat er vor allem mit spektakulären Interpretationen zeitgenössischer Werke auf sich aufmerksam gemacht. György Kurtág bezeichnet ihn als einen der besten Interpreten, denen er je begegnet ist, und Salvatore Sciarrino, dessen Werke für Soloflöte Caroli vollständig eingespielt hat, nennt ihn den Paganini der Flöte. Neben den Konzerten widmet sich Mario Caroli in Meisterkursen und als artist in residence an verschiedenen namhaften Institutionen dem Unterrichten. Mit seiner Flöte besucht er oft öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Gefängnisse, um die Freude an der Musik auch an solchen Orten zu vermitteln. Die Komponisten und ihre Werke Väinö Raitio zählt zu den Pionieren des finnischen Modernismus. Er wurde 1891 in die Familie eines Lehrers geboren, der aus seinen elf Kindern einen eigenen Chor formierte. Schon früh lernte Raitio Klavier, durch das er sich auch mit dem sinfonischen Repertoire der Zeit vertraut machte, und studierte anschließend Komposition am Musikinstitut Helsinki, der späteren Sibelius Akademie. Zum Höhepunkt seiner gründlichen und umfassenden Studien wurde 1916 ein Konzert, in dem das Philharmonische Orchester Helsinki seine damaligen Hauptwerke aufführte. Raitio setzte seine Ausbildung 1917 in Moskau fort, wo er stark von den Konzerten mit dem Dirigenten Sergej Koussewitzky beeinflusst wurde. Spätere Studienreisen führten ihn in die musikalischen Metropolen Berlin und Paris. In dieser Zeit, den frühen 1920er Jahren, entstand auch der Großteil seiner wichtigsten Orchesterwerke. Nach seinem Aufenthalt in Paris zog Raitio nach Vyborg um und war dort als Lehrer für Komposition und Musiktheorie tätig. 1932 kehrte er nach Helsinki zurück und arbeitete dort bis zu seinem Lebensende als freischaffender Komponist und zwischenzeitlicher Musikkritiker. Allerdings war er dabei für seinen Lebensunterhalt auf eine staatliche Pension für Komponisten und das Einkommen seiner Frau, die Zahnärztin war, angewiesen. 1945 starb er an einer Krebserkrankung. Raitios frühe Werke werden als recht traditionell beschrieben, wenn auch individuell geprägt. Gerade für Orchestrierung und Klangfarben schien der Komponist ein Talent zu besitzen. Die Werke der mittleren Schaffensphase sind vom französischen Impressionismus beeinflusst und zeigen Ähnlichkeiten mit den expressiven Klängen Skrjabins. Hauptsächlich handelt es sich dabei um kürzere sinfonische Werke mit lyrischen oder fantastischen Themen. Später wagte sich Raitio auf das Gebiet der Oper und erhielt Aufträge vom neu gegründeten Finnischen Radioorchester. Nachdem seine Werke gerade anfangs von Kritik und Publikum freundlich aufgenommen wurden, geriet Raitio mit seiner Sinfonischen Dichtung Antigone als zu modernistisch und unverständlich in Verruf. In der Folge waren seine Kompositionen seltener in Konzerten zu hören und der introvertierte Außenseiter geriet fast in Vergessenheit. Erst in den 1990er Jahren verstärkte sich das Interesse an Raitios Musik wieder. Die Sinfonische Dichtung Joutsenet (Die Schwäne) op. 15 steht an der Schwelle zur impressionistischen Phase Raitios. 1919 komponiert, ist sie zu seinem bekanntesten Werk geworden, nicht zuletzt durch den suggestiven Titel. Dieser basiert auf einem Gedicht von Otto Manninen, das Raitio inspirierte. Erwartungsgemäß dominieren zarte Farben und Stimmungen sowie eine gewisse Eleganz und Kraft, thematische Arbeit tritt in den Hintergrund. Stellenweise weisen orchestrale Ausbrüche bereits auf den Expressionismus späterer Werke voraus. Das Werk verklingt am Ende als würden die Schwäne am Horizont entschwinden. Lotta Wennäkoski wurde 1970 in Helsinki geboren. Sie begann ihre musikalische Karriere mit der Violine und studierte u.a. am Béla Bartók Konservatorium in Budapest. Der Aufenthalt in Ungarn war besonders prägend, erweckte er doch ihre Liebe zur Volksmusik und stärkte ihr Interesse an Sprache und Literatur. Nach der Rückkehr in ihr Heimatland konzentrierte sich Wennäkoski auf das Studium der Komposition. Zu ihren Lehrern gehörte Paavo Heininen und später, als sie in Den Haag studierte, der Niederländer Louis Andriessen. Zur zeitgenössischen Musik fand sie relativ spät und empfand diese als sensationelle Entdeckung. Ihren öffentlichen Einstand als Komponistin feierte sie 1999, als ihr das Musica Nova Festival in Helsinki ein ganzes Konzert widmete. Seitdem erhielt sie zahlreiche Aufträge für Werke in den unterschiedlichsten Besetzungen. Nicht wenige Kompositionen entstanden für bzw. mit (Bass-)Klarinette, dem Instrument ihres Mannes, Heikki Nikula. Verschiedene Aspekte charakterisieren die Musik von Lotta Wennäkoski. Tonalität und Thematik spielen eine untergeordnete Rolle, dafür wird aber die Suche nach neuen Klängen wichtiger: »Ich habe nie das Bedürfnis gehabt, sehr laute Musik zu komponieren … beim Versuch, meinen eigenen Klang zu entdecken, hatte ich das Gefühl, ich würde ihn an den Grenzen zur Stille finden.« Aus ihrer Erfahrung als Geigerin im Orchester schöpft sie das Empfinden für Position und Richtung der Töne: »Ich versuche, diese beiden Elemente – Stille und Raum – hörbar zu machen, damit sie die Spannung bieten, die wichtig für die dramatische Struktur des Werkes ist.« Gern verbindet sie auch Lyrik und Musik in ihrem Werk. Ein herausragendes Beispiel stellt ihr dramatischer Liederzyklus »Naisen rakkautta ja elämää« (Liebe und Leben einer Frau), auch unter dem Kürzel N! bekannt, nach Gedichten zeitgenössischer finnischer Dichterinnen dar. Sie stellt sich damit bewusst in die Tradition von Schumanns »Frauenliebe und -leben«, da ihr die Kontinuität von Vergangenheit und Gegenwart bei aller Neuheit der Klänge am Herzen liegt. Soie entstand im Jahre 2009 im Auftrag des Finnischen Rundfunks. Wie der Titel, Seide, bereits andeutet, interessiert Wennäkoski das Stoffliche an der Interaktion zwischen Solist und Orchester. Das Werk ist dreigeteilt und die französischen Titel der Abschnitte legen verschiedene Strukturen und Eigenschaften nahe. Mit »Schleier«beginnt das Werk verbergend und undeutlich, weckt aber auch Neugier auf den Blick hinter diesen. Es folgt »Grobes »Leinen«, rauer und körniger, jedoch erdiger und diesseitiger. Am Schluss steht mit »Seid«e, ein geschmeidiges, glänzendes Produkt der menschlichen Hochkultur, das jedoch auch Widersprüchliches in sich vereinigt. Mit diesen Spannungen schafft die Komponistin eine sinnlich-virtuose Herausforderung für die ausführenden Musiker und eine abenteuerliche Entdeckungsreise für die Zuhörer. Der Däne Carl August Nielsen wurde 1865 auf der Insel Fünen südlich von Odense geboren. Der Vater ernährte die vierzehnköpfige Familie als Maler und Dorfmusikant. Carl erhielt früh Geigenunterricht und trat bald zusammen mit seine Vater auf. Als Mitglied eines neugegründeten Amateurorchesters lernte er auch Werke der Wiener Klassik kennen. Im Odenser Regimentmusikkorps wirkte Carl Nielsen bereits mit 14 Jahren als Posaunist und verdiente so eigenes Geld. In seiner Freizeit spielte er im Streichquartett und studierte Bach, so dass erste Kompositionen kammermusikalischer Natur waren. Von einigen Gönnern finanziell unterstützt, schaffte er die Aufnahme ins Kopenhagener Konservatorium, das er von 1884-86 besuchte. Besonders der Theorielehrer Orla Rosenhoff übte einen bleibenden Einfluss auf Nielsen aus, der auch nach dem Verlassen des Konservatoriums weiter bei Rosenhoff Unterricht nahm. Erste Kompositionen wurden aufgeführt und als op. 1 erschien 1888 eine Suite für Streicher. Nielsen wurde Violinist der Königlichen Kapelle und mit einem Stipendium war es ihm möglich, Europa zu Studienzwecken zu bereisen. In Paris begegnete er Anne Marie Brodersen, die er bald darauf heiratete. Bereits in dieser Zeit begann die Arbeit an der 1. Sinfonie op. 7, die neben anderen Werken seinen Status als vielversprechender junger Komponist befestigten. Ab 1901 erhielt er eine lebenslange staatliche Unterstützung, die ihm die Konzentration auf das Komponieren ermöglichte, ihn aber nicht von dirigentischem und pädagogischem Einsatz für wichtige Institutionen der dänischen Musik abhielt. Nielsens Stil war zunächst bewusst an klassischen Vorstellungen orientiert und vermied spätromantische Einflüsse. Daneben engagierte er sich aber auch für die Aufführung der Sinfonien Bruckners und Mahlers, um zeitgenössische Erscheinungen im Land bekannt zu machen. Seine eigene Musik nahm ab den 1910er Jahren zunehmend modernistische Elemente auf, die jedoch den bis dahin gefestigten Personalstil nicht verdrängten. »Glühender Wille, klare, nahezu kühle Intellektualität und im Gefühl einer fast berauschenden Freude über die Schönheit des Lebens« präge Nielsens Musik, wie ihm der Musikkritiker Julius Rabe bescheinigte. Bei aller Progressivität bewahrte der Komponist sich ein Gefühl für das Einfache und damit im innovativen Kontext Wirkungsvolle: »Man muß den Übersättigten zeigen, daß ein melodischer Terzsprung als ein Geschenk Gottes, eine Quart als ein Erlebnis und eine Quint als das höchste Glück betrachtet werden müßten.« Die Idee zu seiner 2. Sinfonie fand Nielsen bei einem Besuch in einem Landgasthaus in Zealand. Dort hing ein Bild, das die vier Temperamente, die auf den Körpersäften des Hippokrates beruhen, darstellte. Den Choleriker zeigte es auf dem Rücken eines Pferdes mit langem Schwert, wehenden Haaren und hervortretenden Augen. Obwohl die künstlerische Qualität wohl eher zweifelhaft war, setzte sich damit die Grundvorstellung zu einem musikalischen Werk in Nielsens Gedanken fest. Er begann die Arbeit Ende 1901, während er noch mit seiner Oper »Saul und David« beschäftigt war. Nach dem ersten Satz stockte der kreative Prozess und er vollendete das Werk erst wenige Tage vor der Uraufführung am 1. Dezember 1902 unter Nielsens eigener Leitung. Nur drei Tage zuvor hatte die Premiere von »Saul und David« stattgefunden! Obwohl die Sinfonie allgemein positiv aufgenommen wurde, waren auch die Verständnisschwierigkeiten bald offenbar. Sowohl formal als auch thematisch wurde die Musik gelegentlich als eigenwillig, rätselhaft, bizarr und episodenhaft beschrieben. Dabei arbeitet Nielsen mit den traditionellen Kontrasten der Sinfonieform und verbindet die Sätze kunstvoll durch ein zweitöniges Motiv. Ferrucio Busoni, dem Nielsen die Sinfonie widmete, machte sich in Deutschland für das Werk stark. Obwohl die 2. Sinfonie zunächst kühl aufgenommen wurde, wurde sie in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu Nielsens beliebtestem Orchesterwerk. 1931, kurz vor seinem Tode, schrieb Nielsen für ein Konzertprogramm über sein Werk. Allerdings wollte er seine Anmerkungen nicht als Programm der Musik verstanden wissen, sondern als »Privatsache zwischen der Musik und mir.« Das Feurige und Unbeherrschte des Cholerikers wird in wilden Figurationen und rhythmischen Ausbrüchen des ersten Satzes wiedergegeben. In sanfteren Passagen scheint er seine Wut zu bereuen, doch entkommt er seiner Natur nicht auf Dauer. Karl Thiessen besprach 1904 die Sinfonie für die Zeitschrift »Signale für die musikalische Welt« sehr treffend: »So wird im ersten Satz die leidenschaftlich hervorsprudelnde, darum meist abrupte Sprechweise des Cholerikers trefflich wiedergegeben durch die eigentümliche Formung der Themen, seine explosive Art durch Rhythmus und dynamische Schattierung, die stille, ingrimmige Verbissenheit, oder sein in lautem donnernden Gepolter sich entladender Zorn durch entsprechend-charakteristische Instrumentation.« Den Phlegmatiker stellte sich Nielsen als einen jungen Mann von 17-18 Jahren vor, der selbstvergessen, antriebslos und weltabgewandt da zu Hause ist, »wo die Vögel singen, wo die Fische lautlos durch das Wasser gleiten, wo ihn die Sonne wärmt und der Wind sanft durch die Locken streicht.« Der Komponist versuchte dies auch mit den langsamen Walzerrhythmen einzufangen, die jedoch keinen aktiven Tanz darstellen sollen. Das melancholische Temperament äußert sich dann mit schmerzhaften Ausbrüchen und kleinen Seufzern. Resignation und Stagnation vermitteln das Gefühl des Gefangenseins, das wieder in den Schmerz des Beginns mündet. Der Finalsatz beschreibt einen Sanguiniker, der die Welt im Sturm nimmt in dem Glauben, sie gehöre ihm und »gebratene Tauben flögen ihm ohne Mühe und Sorge in den Mund«. Kurze Momente der Furcht und der Ernsthaftigkeit bringen eine gewisse Läuterung zustande und so endet die Sinfonie strahlend und fröhlich, ohne jedoch die anfangs gedankenlose Züge. Frank Meier