Was kommt noch bei den Bürgern an? Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005, Köln. Dokumentation. ACHTUNG: Diese Datei öffnet sich unter Adobe Acrobat im Vollbildmodus als screen-optimiertes Querformat. Zum Verlassen bitte die Escape-Taste benutzen. Mit den Cursortasten lassen sich die Seiten scrollen [ ] oder blättern [ ]. Über das Inhaltsverzeichnis oder das Menü kann jedes Kapitel einzeln angesteuert werden. Zum Ausdruck sind die Seiten im DIN A4-Format angelegt. Die Titelseite als DIN A4-Format befindet sich am Ende des Dokuments. Inhaltsverzeichnis 1. 2. Vorwort 4 Grußwort Maria Springenberg-Eich Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung NRW 5 Einführung Armin Laschet Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfahlen, Düsseldorf 6 3. Vorträge 10 3.1 Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund 10 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 Die Transformation des Politischen Die Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem Die Persistenz des Politischen Mediendemokratie – Die Marginalisierung der Parteien Parlamentarismus unter Druck Schlussfolgerungen Literatur 10 11 14 16 17 18 18 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele – Ergebnisse einer Medienanalyse Prof. Dr. Jo Groebel Europäisches Medieninstitut, Dortmund 21 3.2.1 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.2.4 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 Politik und Medien Themenkarrieren, Themenkontrolle: Vier Fallbeispiele Ronald Schill Florida-Rolf Theo van Gogh Tsunami Medien und Politik in Fallbeispielen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Ausblick Struktureller Populismus – Verändern Medien das Politische? Prof. Dr. Frank Decker Seminar für politische Wissenschaft, Universität Bonn Politischer Populismus – erfolgreich (auch) bei den Medien Niedergang populistischer Parteien – Gründe Wandlungstendenzen: Populismus in den etablierten Parteien Konsequenzen des populistischen Politikstils Mitverantwortung der Medien Problemlösung – ein Vorschlag 21 21 22 23 25 26 27 29 30 30 31 32 33 35 36 4. Podiumsdiskussion 38 Teilnehmer: Helmut Heinen Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger BDZV, Berlin und Geschäftsführender Gesellschafter des Heinen-Verlags, Köln Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Heribert Prantl Ressortleiter Innenpolitik, Süddeutsche Zeitung, München Klaus Schrotthofer Chefredakteur, Westfälische Rundschau, Dortmund Moderation: Ingrid Scheithauer freie Jorunalistin, Meckenheim 5. 6. Anhang Referenten und Podiumsteilnehmer 49 Impressum 51 Titel „Das größte Problem in der Kommunikation ist die Illusion, sie hätte stattgefunden.“ George Bernard Shaw Inhaltsverzeichnis Vorwort Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie „Politik(er)verdrossenheit“ ist ein Begriff, der seit über zehn Jahren in keiner Nachwahl-Analyse mehr fehlt. Der Politik sei der Bezug zum Bürger verloren gegangen, lautet der Vorwurf; illustriert wird dies anhand der neuen Hauptstadt-Dimensionen der Berliner Republik. Symptomatisch ist das Urteil der Journalisten Cerstin Gammelin und Götz Hamann in ihrem Buch „Die Strippenzieher“ (Econ-Verlag, Berlin 2005): „Medien, Regierung und Wirtschaft sind mehr als je zuvor in die Öffentlichkeit gerückt. Es gibt praktisch keinen Ort in Berlins Mitte, der nicht vom politischen Leben in Beschlag genommen wurde.“ 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Wie gehen nun Politik und Medien mit dieser Herausforderung um? „Die Vervielfachung der Medienangebote hat zu einer Dominanz des inszenatorischen Charakters von Politik geführt. Wer in diesem ‚Spiel’ wen instrumentalisiert, ist oft nicht mehr auszumachen.“ Dies war eine der Ausgangsthesen für den Kongress „Was kommt noch bei den Bürgern an? Medien zwischen Politik und Populismus“, den die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Deutschen Medienakademie Köln am 17. Oktober 2005 durchgeführt hat. Medien, Wissenschaft und Politik diskutierten über eine gefährliche Lethargie, die sich in der Informationsgesellschaft breit zu machen droht und sich in sinkender Wahlbeteiligung niederschlägt. Niemand hört mehr hin, wenn die Politikressorts „eine neue Sau“ durch Berlin treiben. Heribert Prantl, Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung, konstatierte in der Podiumsdiskussion des Kongresses: „Es gibt so was wie ‚Kikeriki-Journalismus‘. Man steht wie der Gockel auf dem Mist und schreit jeden zweiten Tag: ‚Ich hab´ was ganz Besonderes, Neues! Ich hab´ was Exklusives!‘“ Welche Perspektiven, Chancen und Risiken bieten sich? Prof. Jo Groebel, Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts in Dortmund, zeichnete die Bandbreite in einer Studie „Demokratie, Mediokratie, Markt und Missionen“ auf: Jeder Bürger könne auf eine Vielzahl an Medienformen und -gattungen zugreifen und - zum Beispiel via Weblog - selbst die reine Rezipientenrolle hinter sich lassen: Dadurch würden „im besten Fall Demokratie und Mediokratie noch näher zusammenwachsen“ andererseits könne „im schlechtesten Fall aber durch Mangel an Professionalität und journalistischer Verantwortung auch Gerüchten und Verschwörungstheorien Vorschub“ geleistet werden, so Groebel. „Diese Medienmaschinerie wird ja auch befeuert von Politikern, die sich dann, wenn´s nicht so gut läuft, darüber beschweren, dass es diese Medienmaschinerie gibt“, so Klaus Schrotthofer, Chefredakteur der Westfälischen Rundschau aus Dortmund. Er war von 2002 bis 2004 Sprecher des Bundespräsidenten Johannes Rau, kennt also beide Seiten des Polit-/Mediengeschäftes. Erstaunlich genug, dass in der gehaltvollen Podiumsdiskussion gleich mehrere Statements mit dem Wunsch begannen, diese Frage differenzierter zu betrachten. Eine Forderung, die der Kongress insgesamt und diese Dokumentation im Speziellen eingelöst haben. Maria Springenberg-Eich Ekkehart Gerlach Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen Geschäftsführer Deutsche Medienakademie Köln 4 Titel 1. Grußwort Inhaltsverzeichnis Maria Springenberg-Eich Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung NRW, Düsseldorf Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Herzlich willkommen zu unserem Kongress, der sich mit der Frage „Was kommt noch bei den Bürgern an? - Medien zwischen Politik und Populismus“ beschäftigt. Das Thema hat Konjunktur; die Nachlese des Bundestagswahlkampfes bescherte dem Verhältnis von Politik und Journalismus neue Aufmerksamkeit. Die politische Bildung beschäftigt sich aber schon länger mit diesem Verhältnis, denn die politische Öffentlichkeit hat sich in den letzten 15 Jahren massiv verändert. Die originäre Aufgabe der politischen Bildung ist es, Bürgerinnen und Bürger für die Beteiligung am demokratischen Prozess zu gewinnen und sie dabei zu unterstützen. Zum klassischen Repertoire dieser Aufgabe gehören Debatten über Grundlagen und Perspektiven der demokratischen Gesellschaft. Solche Streitgespräche helfen dem Einzelnen bei der Orientierung in einer komplexen politischen und stark mediatisierten Umwelt. Zu den Veränderungen in der politischen Öffentlichkeit gehört leider auch, dass der Raum für solche Debatten immer kleiner geworden ist. Dabei ist der Bedarf dafür eher gestiegen in einer Gesellschaft, die sich in einem massiven Umbruch befindet. Für uns als Akteure der politischen Bildung bedeutet das: Wir müssen noch mehr tun, um den Raum für orientierende Reflexionen zu verteidigen und wieder zu vergrößern. Dafür brauchen wir neue Partner auch in den Medien. Diese Veranstaltung führen wir gemeinsam mit der Deutschen Medienakademie Köln durch. Die Medienakademie steht dafür, im sich verändernden Medienmarkt die Kommunikationskompetenz in Unternehmen und Politik zu unterstützen. Ich bin der Überzeugung, dass es für die weitere Entwicklung einer funktionierenden Demokratie zwingend notwendig ist, Medienkompetenz und politische Kompetenz miteinander zu verknüpfen. Was die Medienwissenschaft zum Thema unserer Tagung zu sagen hat, wie die Journalisten täglich damit umgehen, ob es eine gegenseitige Einflussnahme gibt und wie sie aussieht - darüber wird dieser Kongress mit seinen Referenten und Diskussionsteilnehmern Auskunft geben. Ich wünsche dem Publikum interessante Einblicke in ein wichtiges Thema der politischen Öffentlichkeit. 5 Titel 2. Einführung Inhaltsverzeichnis Armin Laschet Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW Vorwort 1. Grußwort Thomas Jefferson, der ehemalige us-amerikanische Präsident, hat einmal gesagt: "Information ist die Währung der Demokratie." 2. Einführung Und diese Aussage hat auch noch über 200 Jahren 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie nichts an ihrer Richtigkeit, nichts an ihrer Aktualität, nichts an ihrer Bedeutung eingebüßt. 3.2 3.3 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? Was sich aber verändert hat, sind die Umstände, unter denen wir Demokratie leben und in denen wir Informationen aufnehmen. Grund genug, wie ich finde, sich die Frage zu stellen: 'Was kommt noch beim Bürger an?' 4. Podiumsdiskussion Die Landeszentrale für politische Bildung und die Deutsche Medienakademie der Bertelsmannstiftung wollen mit dem heutigen Kongress dieser Frage nachgehen und das Verhältnis zwischen Politik und Medien kritisch beleuchten. Und das ist heute notwendiger denn je. 5. Anhang Themen des MGFFI 6. Impressum Denn wir stehen vor gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen. Schon bald wird es sehr viel mehr alte Menschen, mehr Frauen als Männer, sowie mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte geben. Und das bei insgesamt abnehmenden Bevölkerungszahlen. Dabei geht es nicht nur um die viel diskutierten Folgen für die Renten- und Pflegeversicherung. Es geht auch um Fragen des gesellschaftlichen Klimas, zum Beispiel: Wie wird sich das Verhältnis der Generationen entwickeln, wenn die Alten in der Überzahl sind? Wie werden verschiedene Kulturen künftig zusammenleben? Wie können wir jungen Familien das 'Ja' zum Kind erleichtern? Oder auch: Unter welchen Bedingungen können Familien ihrer Verantwortung für Kinder und für ältere Menschen gerecht werden? Die Politik steht vor der großen Herausforderung, Antworten auf diese Fragen zu finden. Denn der Zusammenhalt der Generationen und das Gelingen der Integration sind für die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidend. Deshalb machen wir hier in NRW mit dem Ministerium für Generationen, Familien, Frauen und Integration Politik aus einer Hand. Unser Ziel ist es, diese Veränderungen aktiv zu gestalten und die Weichen für eine sich wandelnde Gesellschaft zu stellen. Wobei fest steht: ob und wie uns das gelingt, hängt auch davon ab, inwieweit die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in diesem Prozess mitwirken. Denn: ein harmonisches Zusammenleben zwischen Alt und Jung, Frauen und Männern, Mehrheitsgesellschaft und Zugewanderten kann nicht verordnet werden. Wir dürfen die Menschen nicht zum Objekt unserer Politik machen. Im Gegenteil: 6 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie wir müssen sie in die Debatte über die künftigen Grundlagen unseres Zusammenlebens mit einbeziehen. Denn der tief greifende Wandel verlangt nach einem neuen gesellschaftlichen Konsens. Und dieser Konsens sollte nicht nur von einer möglichst breiten Öffentlichkeit getragen werden, er sollte vor allem auch von möglichst Vielen aktiv mitgestaltet werden. Wir brauchen also Bürgerinnen und Bürger, die bereit sind, sich hier einzumischen und zu engagieren. Denn wie hat es der deutsche Schriftsteller Heinrich Mann auf den Punkt gebracht: "Demokratie ist die Anerkennung, dass wir - sozial genommen - alle füreinander verantwortlich sind." Bei der Gestaltung des Wandels, bei der Diskussion über das 'Wer?', das 'Was?' und das 'Wie?' geht es also letztlich darum, unser demokratisches System zu leben. 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Vertrauen in die Demokratie Demokratie - das scheint allerdings für viele Menschen in unserem Land 60 Jahre nach Kriegsende allzu selbstverständlich geworden zu sein. Wahlmüdigkeit, Politikverdrossenheit und Desinteresse sind eindeutige Kennzeichen dafür. Aber: gerade weil wir vor so großen Veränderungen stehen, können wir uns das nicht leisten. Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir uns mit den Ursachen auseinander setzen. Klar ist: Demokratie lebt vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Wenn dieses Vertrauen in die die Werte und Vorzüge unseres Rechtsstaates verloren geht, setzen wir unser politisches System auf's Spiel. Dabei ist das Vertrauen in die Demokratie häufig eng mit dem Vertrauen in die Politik verknüpft. Und was das anbelangt, so scheinen wir zur Zeit einen Tiefpunkt erreicht zu haben. Wie eine europaweite Befragung des Emnid-Instituts in diesem Jahr ergab, vertrauen nur noch 6% aller Deutschen ihren Politikern. Das ist auch im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern ein schlechter Wert. Vergleichbare Untersuchungen in den vergangenen Jahren kamen zu ähnlichen - wenn auch nicht zu ganz so schlechten - Ergebnissen. Und diese Einschätzung teilen selbst die gewählten Volksvertreter. So gehen vier Fünftel der Bundestagsabgeordneten davon aus, dass das Vertrauen in die Politikerinnen und Politiker in den letzen 20 Jahren deutlich zurückgegangen sei - so eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin. Die überwiegende Mehrzahl der Angeordneten sieht in diesem Vertrauensverlust eine große Herausforderung für die Demokratie. Wesentliche Ursachen dafür liegen nach ihrer Ansicht in den überzogenen Versprechungen von einzelnen Politikern und in der Art wie die Medien über Politik berichten. Journalisten ihrerseits schneiden in Befragungen zwar besser ab, aber auch sie gehören zu den Berufsgruppen, denen die Mehrheit der Bevölkerung - etwa 60% - misstraut. Und damit sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt: Journalistinnen und Journalisten, Politikerinnen und Politiker stehen für Pressefreiheit und das gewählte Mandat - also für zwei Grundpfeiler unserer Demokratie. Wenn bei den Bürgerinnen und Bürgern aber kein Vertrauen mehr in diese Grundpfeiler des Gemeinwesens besteht, kann das auf Dauer zu einer Legitimationskrise der Demokratie führen. 7 Titel Gerade die Bundestagswahl hat ans Tageslicht gebracht, was lange schon im Verborgenen gärte: Inhaltsverzeichnis Anschuldigungen und Vorwürfe, Selbstkritik aber auch erste Ansätze von grundlegender Reflexion über das eigene Agieren in diesem komplizierten Miteinander und Gegeneinander von Politik und Medien. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse Wie funktioniert dieses System? Welche Interessen werden verfolgt? Und vor allem: wie nehmen die Bürgerinnen und Bürger das eigentlich wahr? Deshalb halte ich es für sinnvoll, jetzt die Debatte zu führen. Denn es ist wichtig, dass sich Politik und Journalismus immer wieder mit ihrem Rollenverständnis auseinandersetzen und professionelle Standards im gemeinsamen Umgang vereinbaren. Wobei ich klar stellen möchte, dass es heute nicht um Medienschelte geht. Es geht vielmehr um die gemeinsame Diskussion. Vervielfachung des Medienangebots 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? Dazu gehört für mich auch, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Und eine dieser Ursachen liegt ganz sicher auch in dem wachsenden Medienangebot. Die Folge ist ein verschärfter Wettbewerb um das knappe Gut 'Aufmerksamkeit'. 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang Verstärkt wird diese Konkurrenz durch erhebliche Investitionen, die sich amortisieren müssen. Denn bis ein neuer Fernsehkanal erfolgreich etabliert ist, sind dem Betreiber enorme Kosten entstanden. Das erzeugt einen großen ökonomischen Druck. 6. Impressum Und dieser Druck führt zu einem immer härteren Kampf um Schlagzeilen und Zuschauer. Der Trend zu Personalisierung und der zunehmende Einsatz inszenatorischer Mittel machen das deutlich. Darüber hinaus werden die Themenzyklen immer kürzer. Komplexe Inhalte werden mehr und mehr auf eine einzige Schlagzeile reduziert oder in einem zweiminütigen Sendebeitrag abgehandelt. Langfristig angelegte politische Reformvorschläge und Strategien, Ansätze also, wie sie die Gesellschaft zur Zeit dringend braucht, kommen angesichts dieser Beschleunigungsprozesse oft zu kurz - oder sie erreichen die Bürgerinnen und Bürger häufig erst gar nicht mehr. Die tägliche Jagd nach exklusiven Meldungen macht vieles zur sensationellen Nachricht auf Seite 1, was bei Lichte besehen diese Charakterisierung kaum verdient. Und damit sind wir beim zentralen Problem: Wenn Politiker etwas erreichen wollen, benötigen sie mediale Aufmerksamkeit. Die hohe Dichte der Medien macht es ihnen leicht, präsent zu sein. Kurzfristig lässt sich mit Politik, die sich rein an der Medienlogik orientiert, Aufmerksamkeit erzielen. Aber langfristig geht die Rechnung nicht auf. Denn wir müssen uns fragen, ob wir mit dieser Art der Berichterstattung die Menschen überhaupt noch erreichen. Der eigentliche politische Prozess lässt sich diesen kurzen Aufmerksamkeitszyklen kaum vereinbaren. Es müssen Mehrheiten gefunden und meist aufwändige Kompromisse geschlossen werden. Und das kostet Zeit. Mediale Beschleunigung und langfristiger Umbau Die immer kürzeren Aufmerksamkeitszyklen können gerade in den Politikfeldern, die ich als Fachminister zu vertreten habe, Probleme erzeugen. 8 Titel Inhaltsverzeichnis Unsere Gesellschaft steht mitten in einem Umbruchprozess. Globalisierung, die demografische Entwicklung und zahlreiche weitere Faktoren lassen ein Weitermachen wie bisher nicht zu. Schon heute zeichnet sich ab, dass unsere sozialen Sicherungssysteme in ihrer jetzigen Form nicht auf Dauer finanzierbar sind. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung Wenn wir diese Situation des Umbruchs erfolgreich bewältigen wollen, dann brauchen wir eine breite Diskussion über die Grundlagen und Perspektiven unserer demokratischen Gesellschaft. Und wir brauchen auch die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger. 3. Vorträge Das setzt aber voraus, dass die Menschen in unserem Land ausreichend über den Prozess, seine Auswirkungen und Hintergründe informiert sind. Und das kann nur über die Medien funktionieren. 3.1 Politik in der Mediendemokratie Für mich steht deshalb fest: Politik und Medien tragen hier die gemeinsame Verantwortung für eine angemessene, demokratische Debatte. 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse Uns sollte dabei vor allem bewusst sein, dass wir dafür einen langen Atem brauchen. Schwerwiegende Veränderungen und leichtgewichtige Schlagzeilen passen einfach nicht zusammen. 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? Im Gegenteil: durch Skandalisierungen oder Populismus entfernen sich die Bürgerinnen und Bürger zunehmend vom Gemeinwesen. Zu sehr sind Themen wie Zuwanderung, Integration und eine alternde Gesellschaft 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang für viele Menschen mit Existenz- und Zukunftsängsten verbunden. 6. Impressum Stereotype schwarz-weiß Bilder tragen wenig zur Orientierung in dieser Umbrauchsituation bei. Ein Beispiel war die Berichterstattung über den Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh. Auch mich haben die dadurch sichtbar gewordenen Integrationsprobleme in den Niederlanden überrascht. Andererseits habe ich mich doch gewundert, wie schnell die Medien aus dem einstigen Musterland für gelungene Integration das Paradebeispiel für eine gescheiterte Zuwanderungspolitik gemacht haben. Beide Einschätzungen halte ich für unangemessen und übertrieben. Schlussbemerkung Die Untersuchung des empirischen Verlaufs der Berichterstattung und die Analyse medialer Aufmerksamkeitswellen wie dieser bildet die Grundlage für die heutige Debatte. Und ich halte diese Diskussion für wichtig. Wir müssen uns mit dem Verhältnis von Politik und Medien kritisch auseinandersetzen. Denn sonst laufen wir Gefahr, dass wir bei der Gestaltung des Wandels die dringend notwendige Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger verspielen. Das können wir uns auf keinen Fall leisten. Wir brauchen eine funktionierende Öffentlichkeit, die bereit ist, Demokratie zu leben. Aber: Demokratie kann eben nur leben, wenn ihre Währung - die Information - eine harte Währung bleibt. Deshalb wünsche ich uns eine interessante und aufschlussreiche Tagung und bin gespannt auf die Ergebnisse. 9 Titel 3. Vorträge Inhaltsverzeichnis 3.1 Politik in der Mediendemokratie Vorwort Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund 1. Grußwort 2. Einführung 3.1.1 Die Transformation des Politischen 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Das politische System und das Mediensystem gelten als zwei im Wesentlichen voneinander unabhängige gesellschaftliche Funktionsbereiche - zumindest in den Lehrbüchern der Politik und in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Ihre höchst unterschiedlichen Aufgaben: Das politische System arbeitet (in Abhängigkeit von Wahlergebnissen und in Verantwortung gegenüber Verfassung und Gemeinwohl) nach eigenen Regeln; das Mediensystem beobachtet diese Politik und ermöglicht den Bürgern die Urteilsbildung durch ausgewogene, umfassende und sachlich zutreffende Berichte, so dass der Souverän auf dieser Grundlage die politischen Mandatsträger beauftragen und kontrollieren kann. Dieses klassische Modell demokratischer Politik existiert in der heutigen Mediendemokratie so nicht mehr. Es hat eine Transformation stattgefunden, die nicht nur das Politische grundlegend verändert hat, sondern auch die Darstellung der Politik und ihre öffentliche Wahrnehmung. Politik in der Mediendemokratie kann nicht mehr unabhängig vom Verständnis des Mediensystems und den Wechselwirkungen zwischen beiden Systemen verstanden werden. Kern der Veränderung ist eine weitgehende Überlagerung der beiden Systeme, die zum großen Teil Folge ihrer eigenen Wirkungsprinzipien ist. Demokratische Politik muss sich legitimieren und ist deshalb auf die öffentliche Darstellung ihres Vollzugs und ihrer Ergebnisse - gesellschaftlich verbindliche Entscheidungen - angewiesen. Dazu braucht sie die Massenmedien. Die aber folgen ihrer eigenen Logik, um ihrem gesellschaftlichen Zweck - der Erzeugung von größtmöglicher Aufmerksamkeit für gemeinsame Themen - gerecht zu werden. Diese Aufmerksamkeit erreichen die modernen Massenmedien vor allem, indem sie zwei aufeinander abgestimmte Regelsysteme befolgen: Die Selektionslogik besteht in der Auswahl berichtenswerter Ereignisse nach Maßgabe ihrer Nachrichtenwerte. Die Präsentationslogik besteht aus einem Kanon von Inszenierungsformen für das so ausgewählte Nachrichtenmaterial; sie dienen der Maximierung des anhaltenden Publikumsinteresses. Das Zusammenwirken beider Regelsysteme kennzeichnet die spezifische Logik des Mediensystems. Dieser Logik ist alles unterworfen, was das Mediensystem an Informationen und Berichten hervorbringt; sie regelt den Zugang zu den Medienbühnen verbindlich - und sorgt für spannungsreiche theatralische Inszenierungen auf der Präsentationsebene, nicht nur bei den visuellen Medien. Die Selektionslogik der Massenmedien steuert die Auswahl der in Betracht kommenden Ereignisse, indem die so genannten Nachrichtenfaktoren angewendet werden. Der Nachrichtenwert eines Ereignisses gilt als umso größer, je mehr dieser Faktoren darauf zutreffen: kurze Dauer des Geschehens räumliche, politische und kulturelle Nähe zum Betrachter Überraschungswert im Rahmen eingeführter Großthemen Konflikthaftigkeit Schaden ungewöhnliche Erfolge und Leistungen Kriminalität Personalisierung Prominenz der handelnden Personen 10 Titel Inhaltsverzeichnis Die Präsentationslogik steuert die Darstellung der ausgewählten Ereignisse in den Medien. Sie unterscheidet sich nach Graden von Medium zu Medium. Zwischen den Boulevard- und den Qualitätsmedien gibt es hier große Unterschiede, aber der genauere Vergleich zeigt, dass alle Grundtypen theatraler Inszenierung in allen Mediengattungen eine Rolle spielen können: Vorwort Personifikation Mythisierender Heldenkonflikt Drama Archetypische Erzählung Wortgefecht Sozialrollendrama Symbolische Handlung Unterhaltungsartistik Sozialintegratives Nachrichtenritual 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse Bei all diesen Inszenierungsformen geht es um die Erzeugung von Aufmerksamkeit, Neugier und Spannung mit den Stilmitteln des Theaters, um ein möglichst breites Publikum zu gewinnen und bei der Stange zu halten. 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Die zunehmende Mediatisierung von Politik ist durch das Zusammenwirken der beiden komplementären Teilsysteme gekennzeichnet. Die Darstellung des Politischen in den Medien ist erkennbar geprägt von den beiden medialen Filtersystemen. Damit entsteht die Frage, ob so die Eigenlogik des Politischen noch ausreichend deutlich wird für die selbständige Urteilsbildung der Bürger. Auf diese Schlüsselrolle des Mediensystems im Prozess der Legitimation politischen Handelns reagiert die Politik mit noch mehr Professionalität bei den Bemühungen, die Kontrolle über die Darstellung der Politik im Mediensystem zurückzugewinnen. Wie? Indem die mediale Logik so perfekt wie möglich in die Selbstdarstellung der Politik übernommen wird. Die Selbstmediatisierung wird zu einer Hauptstrategie politischen Handelns in der Mediengesellschaft. Auch hier stellt sich eine wesentliche Frage: Kann Politik unter diesen Bedingungen noch in angemessenem Ausmaß ihrer eigenen Logik folgen? Oder wird sie zum „Lieferanten“ des Mediensystems in der Hoffnung, so ihren Bedarf an öffentlicher Zustimmung umfassend und risikoarm befriedigen zu können? Dann würden beide gesellschaftliche Teilsysteme zunehmend demselben Regelsystem folgen, Politik sich in einem neuen Supersystem auflösen. Die beiden für Politik in der Mediengesellschaft bedeutsamen Schlüsselfragen lauten daher: Bleibt das Politische selbst in den Formen seiner medialen Repräsentation für die demokratische Öffentlichkeit in angemessener Weise erkennbar? Verändert sich das Politische selbst im Kern, wenn es unter den Einfluss der vom Mediensystem festgelegten Vermittlungsbedingungen gerät? 3.1.2 Die Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem In den Medienwissenschaften wie in der Politikwissenschaft besteht ein Konsens darüber, dass sich unter dem Einfluss der erweiterten Rolle der Massenmedien für das politische System die Grenzen beider Systeme stark verschoben haben. Beim gegenwärtigen Übergang zur Mediendemokratie zeichnet sich deutlich ab, wie sich das Politische unter dem Einfluss seiner Kolonisierung durch das Mediensystem wandelt. Die Auswirkungen sind umfassend und vielgestaltig. Sie verändern nicht nur die Darstellung des Politischen und deren Anteil am Geschehen, sondern auch den politischen Prozess selbst. Sie verteilen die Akzente zwischen den einzelnen Faktoren der politischen Logik neu, lassen aber die Logik der Politik keineswegs vollständig in der des Mediensystems aufgehen. Für die mediale Bühne ist die Theatralisierung der Selbst- bzw. Politikdarstellung wie geschaffen: Inszenierung Verkörperung Performance Wahrnehmung 11 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Es geht dabei stets darum, bestimmte Wirkungen auf ein vorgestelltes Publikum zu erreichen: nicht nur durch gesprochene Sprache, sondern auch durch Aktionen des tätigen Körpers (per Mimik und Gestik), durch Paralinguistik, durch die Requisiten und die Kulisse. Im Kunsttheater sind die so entstehenden Realitätsillusionen als solche kenntlich. In Medien und Politik verbergen sie entweder spontan, durch die bloße Art ihrer Präsentation, oder gezielt ihren Inszenierungscharakter und bringen auf diese Weise kalkulierte Realitätsillusionen hervor. Die können zwar dazu dienen, eine ihnen zugrunde liegende Wirklichkeit ästhetisch zu vermitteln, sie können aber auch nur den sinnlich plausiblen Eindruck einer solchen Wirklichkeit erwecken, während sie tatsächlich nur einen Schein erzeugen, dem nichts in der wirklichen Welt entspricht als das Inszenierungskalkül seiner Urheber. Die kalkulierte Selbstmediatisierung der Politik nach den Regeln theatraler Inszenierungslogik ist zu einer der Hauptaktivitäten des politischen Systems geworden. Sie verfügt dabei über drei basale Inszenierungsstrategien, die entweder mit Anteilen politischer Realereignisse vermischt oder ganz frei davon präsentiert werden können: Event-Politik (Scheinereignisse) Image-Projektionen Scheinhandlungen Event-Politik Der Begriff des Scheinereignisses (pseudo event) ist in der Medienforschung schon seit den 1960er Jahren eine feste Größe. Es lag seit Beginn des Zeitalters der Massenmedien nahe, alles, was sich überhaupt als Ereignis inszenieren lässt, auch entsprechend zu präsentieren, solange die Ereignishaftigkeit politischer Geschehnisse und Botschaften als zentraler Nachrichtenfaktor wirksam ist. Das politisch inszenierte Scheinereignis war eine der ersten großen Verbeugungen der politischen Welt vor den Mediengesetzen. Heute weiß jeder Lokalreporter ebenso gut wie jeder halbwegs aufgeweckte Laienpolitiker, dass beispielsweise der Vorschlag einiger Bürger, an dieser Stelle der Straße nun endlich einen Zebrastreifen zu markieren, damit das Überqueren der Straße sicherer wird, keine Nachricht wert wäre. Eine Aktion der Betroffenen aber, bei der sie die Straße blockieren und provisorisch die Markierung vornehmen, damit sie Aufmerksamkeit für ihr Vorhaben erringen, würde als reales Ereignis aus der politischen Wirklichkeit gemeldet. Die Grenze zwischen Scheinereignissen, die als solche erkennbar sind und denen, die erfolgreich von ihrer Scheinhaftigkeit ablenken, ist fließend. Professionelle Medienberater im politischen System wissen nicht nur, dass sie das Geschehen und Nichtgeschehen so inszenieren müssen, wie es die Medien brauchen, um es nach ihren Regeln zur Nachricht und damit zum Ereignis in der Welt zu erheben. Sie beherrschen auch die breite Palette der theatralen Inszenierungsoptionen. Sie arbeiten den Medien in die Hände, sei es mit der professionellen Verpackung ihrer Inhalte, sei es mit gut verpackten Luftnummern. Die Medien können dann, wenn sie wollen, das ihnen dargereichte Scheinereignis an ihr Publikum in der Originalversion weiterreichen, um Ressourcen zu sparen. Sie können die Inszenierung aber auch demontieren, krititisch auf ihren tatsächlichen Gehalt befragen und durch eine eigenmediale Gegeninszenierung ersetzen. Das erfordert Kompetenz und Zeit und birgt immer das Risiko der Ungnade jener Politiker, die als Informationsquelle doch dringend gebraucht werden. In der Tendenz verwachsen daher die Medienregeln und das Darstellungsinteresse der Politik zu einem einheitlichen Syndrom, zu einer widerspruchsvollen Symbiose. Trotz der vielen Möglichkeiten zur Co-Inszenierung von politischer Darstellung und medialer Verarbeitung liegt die Inszenierungshoheit stets im Mediensystem. Image-Politik Image ist das Scheinereignis auf dem Gebiet der Ethik, Scheinhandeln als Personifikation. Diese Klassifikation nahm der amerikanische Historiker Daniel Boorstin schon in den 1960er Jahren zu Protokoll, als die Mediendemokratie in den USA soeben begann. Image ist ein durch wohlkalkulierte Scheinhandlungen inszeniertes Kunstprodukt, durch das eine natürliche Person als Personifikation von Eigenschaften dargestellt wird, die in der Mythologie oder der Ethik des Gemeinwesens als besonders wertvoll gelten. 12 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort Die Meinungsforschungsinstitute befragen im Vorwahlkampf die Wähler, ob ihnen Glaubwürdigkeit oder Tatkraft, Sympathie oder Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit oder Durchsetzungsfähigkeit als wichtigste Eigenschaft ihrer obersten politischen Repräsentanten gelten. Die Medienberater entwerfen Strategien des Auftritts und der Scheinereignisse, der Gesten und der Kulissen, die die gewünschten Eigenschaften auf das mediale Bild ihres Kandidaten übertragen soweit dessen Eigenschaften als natürliche Person das jeweils zulassen. Entscheidender als alle Einzelheiten ist ohnehin der Gesamteindruck des Kandidaten und dessen Nähe zu archetypischen Heldengestalten der jeweiligen Kultur des Landes. 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion Die theatrale Hauptstrategie der Image-Politik ist das Verwirr-Spiel der Bühnen. Dabei wird den Bildern, die den Verkörperungsanspruch einlösen sollen, dadurch besondere Glaubhaftigkeit verliehen, dass solche Situationen als natürlich und privat erscheinen, die eigentlich nicht für die öffentliche Bühne gedacht sind. Die Verbindung von Image und Schein-Ereignis in körperlich durchgespielten Handlungsepisoden ist das Erfolgsszenario der symbolischen Scheinpolitik. 5. Anhang Symbolische Scheinpolitik 6. Impressum Der klassische Fall symbolischer Scheinpolitik lag vor, als sich Präsident Reagan vor den versammelten TV-Kameras auf der Schulbank eines Klassenzimmers scheinbar mit Lehrern und Schülern ins Gespräch vertiefte und für die Augen der Betrachter das größte Interesse am Bildungswesen des Landes in Szene setzte, während er in Wirklichkeit soeben den Bildungsetat drastisch gekürzt hatte. Der politische Akteur spielt mit dem vollen Einsatz aller theatralen Möglichkeiten Handlung, als zeige er ihren realen Vollzug, der in Wahrheit nicht nur ausblieb, sondern vielmehr gerade im Gegensinn erfolgte. Solche Art symbolischer Politik ist PlaceboPolitik zu Verstellungszwecken. Sie gehört zum Handwerkszeug des Medien-Machiavellisten. Die Einweihung von Fabriken, das Zusammentreffen mit Repräsentanten der Gesellschaft, Wirtschaftsführern, Wissenschaftlern, das medial aufwendige Hineilen zu Krisenorten jeglicher Art sind beliebte Episoden zur Erzeugung symbolischer Placebo-Effekte. Als theatrales Schein-Handeln stellt symbolische Politik ein Handeln zur Schau, das nicht wie real fungierende Symbole etwas Wirkliches verdichtet oder auf etwas Wirkliches authentisch verweist. Sie ist eine Form strategischer Kommunikation, die keine Argumente vorträgt und keine wahrhaftige Beziehung zwischen ihrem ästhetischen Schein und der Wirklichkeit herstellt, die sie repräsentiert. Vieles von dem, was der Kandidat für die Verkörperung medienwirksamer Ideale mitbringt, lässt sich von den professionellen Beratern unterstreichen und zurücknehmen, forcieren und abschwächen. Sie ersinnen Bilder und Posen, Begegnungen und Situationen, Episoden und Kulissen - als Mosaiksteine von Scheinereignissen, die sich zum sinnlich plausiblen Gesamtbild in der Vorstellung des Publikums zusammenfügen: der Held als Gleicher unter den Helden dieser Welt; der fürsorgende Held im Gespräch mit den Alten und Gebrechlichen, der Held als Bezwinger der Widersacher im eigenen Lager, das Körperbild der Ruhe, Energie, Entschlossenheit und Besonnenheit; der göttliche Zorn des Gerechten, der Vertraute von Wirtschaftsbossen, Künstlern und Medienstars. Es ist diese Verbindung von demokratischem Legitimationsmodus, visuellen Kommunikationstechniken und Politik als Starsystem, die das Wesen symbolischer Schein-Politik heute ausmacht und ihre Möglichkeiten und Wirkungen von Grund auf verändert. Die Überredungstechniken sind in den Demokratien, die das Augenmerk nicht auf einen einzigen Staatsdarsteller an der Spitze richten können, sondern auf viele politische Akteure eines Starsystems verteilen müssen, dank des Standes der Visualisierungstechniken so raffiniert, dass sie den Anteil von Rede beim Überreden auf Spurenreste reduzieren können. Das Wesentliche leisten Verkörperungen und ihre bildliche Repräsentation. Eine neue Qualität strategischer Kommunikation bürgert sich in der Mediendemokratie als publikumsfreundliche Unterhaltsamkeit ein. Die theatralen Strategien medialer Politik sind durch und durch ambivalent. Die ihnen eigene Symbiose von Unterhaltsamkeit, sinnenfälliger Überzeugungskraft und Graden der Beimischung authentischer Information machen sie zu einer Dual-Use-Methode, mit der eine Breitenwirkung wirklicher politischer Information, aber ebenso gut auch Informationsillusionen bewirkt werden können. Als verlässliche Konstante dabei erweist sich allein die Inszenierung; Information und Argumentation hingegen erscheinen als ungewisse Variable. Unterhaltsamkeit und unmittelbare Fasslichkeit sind dominant. 13 Titel 3.1.3 Die Persistenz des Politischen Inhaltsverzeichnis Empirisch angemessen für das Verständnis von Politik in der Mediendemokratie ist das folgende Drei-Ebenen-Modell: Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 3.3 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Ebene I: Herstellung der Politik Instrumentelles Handeln Erzeugung verbindlicher Entscheidungen Ebene II: Selbst-Darstellung der Politik Eigen-Inszenierungen von hergestellter und nicht-hergestellter Politik im politischen System Ebene III: Fremd-Darstellung der Politik Politik-Darstellung im Mediensystem nach dessen Regeln Von besonderem Interesse für die Analyse des Politischen unter dem Einfluss des Mediensystems sind dabei insbesondere die Rekursionsschleifen zwischen den drei Ebenen untereinander. Für das Verständnis der Veränderung von Politik stellt dieses Drei-Ebenen-Modell zwei Schlüsselfragen: 1) Verändert sich unter dem Einfluss der Rückwirkungen des Mediensystems (Ebene III) die Logik politischen Handelns wesentlich und mitsamt den Faktoren, deren Wechselwirkung sie prägt (Ebene I)? Und wenn ja, wie? 2) Wird in den Darstellungen des Mediensystems (Ebene III) noch in angemessener Weise sichtbar, was in den politischen Herstellungsprozessen (Ebene I) geschieht? Im Gegensatz zu ultraskeptischen Prognosen lässt sich keine Auflösung des Politischen in einem medial bestimmten Supersystem beobachten. Festzustellen ist vielmehr die Beständigkeit des Politischen im Prozess seiner Umwandlung. Die Polity-Dimension (Ebene der Verfassung) In Mediendemokratien spielt das Mediensystem - neben den klassischen Verfassungsinstitutionen und dem Gesellschaftssystem - eine ergänzende und teilweise auch prägende Rolle für die Kultur des Politischen. Die Medien - und wie die Politik über sie verfügt - sind für die Politikvermittlung und das Zusammengehen von Medienlogik und politischer Logik von wesentlicher Bedeutung. Quer zu den Einflüssen dieser Medienformen und Verfügungsstrukturen prägt die Art und Weise, wie die mediale Logik von den Akteuren innerhalb des Mediensystems gehandhabt wird, die jeweilige Kommunikationskultur der Gesellschaft das politische Geschehen. Die Medienlogik lässt den Akteuren - je nach Verfügung über die Medien - einen großen Spielraum für die Präsentation des Politischen. Die Kommunikationskultur (als Teil der politischen Kultur) bestimmt die Möglichkeiten politischer Information für den Wähler entscheidend - und somit auch die Bedingungen seiner Staatsbürgerrolle. Eine dominante Rolle spielen dabei die privaten Fernsehanstalten mit ihrem kommerziellen Zwang zur Maximierung der Einschaltquoten. Kommunikationskultur und Medienverfassung stellen zentrale Bestandteile der Verfassung des Gemeinwesens dar - mit erheblicher Auswirkung auf die politische Kultur. 14 Titel Die Policy-Dimension (Ebene der Politik-Inszenierung) Inhaltsverzeichnis Die Medienlogik bietet reichlich Gelegenheiten für symbolische Politikinszenierungen. Sie wird insbesondere in Situationen schrumpfender politischer Handlungsmöglichkeiten phantasievoll und häufig genutzt. Der Zwang zur Legitimation politischen Handelns wächst für den Nationalstaat in der gegenwärtigen ökonomischen Krise erheblich. Gleichzeitig entzieht ihm die Globalisierung, die diese Krise verursacht, einen wichtigen Teil seiner Gestaltungschancen. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Verführung für die politischen Akteure wächst, offenkundige Erfolgsdefizite durch medienwirksames Scheinhandeln zu überdecken. Die Möglichkeiten dafür sind reichhaltig, denn für die meisten Bürgerinnen und Bürger ist der Blick auf die „Medienbühnen“ die einzige Grundlage für die Beurteilung politischen Handelns. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Während die Bürger zur Beurteilung konkreten politischen Handelns immerhin noch die eigenen Alltags-Erfahrungen hernehmen können, haben sie im Hinblick auf die immer gekonnter ins Werk gesetzten Inszenierungen symbolischer Schein- und Image-Politik diese Möglichkeit kaum noch. Erst wenn in schwer durchschaubaren Prozessen die ungelösten Probleme der Politik (z.B. Arbeitslosigkeit, Gewalt, Umweltschädigungen) trotz der medialen Glanzbilder in die persönliche Lebenswelt des Publikums eindringen, hinterfragen die Betroffenen die Realität von Handlungsprogramm und Handlungserfolgen in einer inszenierten Politik wieder. Der Alltagsdiskurs über die eigenen Erfahrungen mit der Politik und dem politischen System bleibt auch in der Mediendemokratie das letzte, nicht zu umgehende Kriterium für die Beurteilung des Erfolgs von Politiken. Die Politics-Dimension (Ebene des politischen Prozesses) Eine Analyse der innerparteilichen Erfolgskarriere einzelner Spitzenpolitiker - wie Gerhard Schröder in Deutschland, Bill Clinton in den USA oder Tony Blair in Großbritannien - lässt deutlich erkennen, dass die aufgrund persönlicher Inszenierungskompetenz angesammelte mediale Macht die womöglich ausschlaggebende Ressource beim Kampf um Führungsämter geworden ist. Ohne einen hohen Rangplatz in der Mediengunst haben Bewerber um die Spitzenämter in Partei und Staat heute nicht nur in den USA, sondern auch in den europäischen Mediendemokratien keine realistische Aussicht auf Erfolg. Starke mediale Machtressourcen machen es dem politischen Akteur mittlerweile sogar möglich, weitgehend eigenmächtig, nämlich allein im Hinblick auf die Wahrung und Mehrung dieser Machtquelle, auch über das Programm und die Politiken der eigenen Partei zu verfügen. So ersetzt professionell inszeniertes Mediencharisma die demokratische Legitimation (die bis dato durch öffentliche Diskurse und kollektive Willensbildung in den Parteien, in der Zivilgesellschaft und in der großen Öffentlichkeit erfolgte). Dieses Mediencharisma wird zu einer eigenständigen und häufig dominanten Machtressource. Die Entscheidungsmacht über Programm und Profil großer Volksparteien geht so allmählich von den öffentlichen Foren der Partei in die Beratergremien jener Spitzenpolitiker über, die ihre Herrschaftsposition einem persönlichen Mediencharisma verdanken. Und dann werden als demokratische Legitimationsinstanz bald nur noch die Ergebnisse von Umfragen und Wahlentscheidungen anerkannt, die auf medial inszenierten Stimmungen basieren. Die öffentlichen Arenen erwägender und beschließender Politik in Parteien und der großen Öffentlichkeit verlieren gegenüber kalkulierten Inszenierungen von Images, Symbolhandlungen und ausdrucksstarken Scheinereignissen an Bedeutung. Das genau ist die konzeptionelle Bedeutung des Begriffs „Mediendemokratie“. So koppeln sich politisches Handeln (d.h. Herstellung auf der Basis von Programmen und inhaltlichen Entscheidungen) und die öffentliche Selbstdarstellung der Politik voneinander ab. Bei alledem steht außer Frage, dass die Durchsetzung konkurrierender Politiken und der Kampf um die politischen Führungsämter auch unter dem wachsenden Einfluss der Medienlogik weiterhin nach der Logik eines politischen Prozesses verlaufen. 15 Titel Inhaltsverzeichnis Auch unter den von den Medien dominant geprägten Handlungsbedingungen verfolgen die Akteure Interessen, stützen sich dabei auf verschiedene Machtrssourcen (unter denen die Medienpräsenz selbst eine neue Schlüsselstellung einnimmt) und nutzen soziale, ökonomische und mediale Macht, um politische Gestaltungsmacht zu erringen. Vorwort 3.1.4 Mediendemokratie - Die Marginalisierung der Parteien 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Die Logik der Mediendemokratie drängt die Parteien auf der ganzen Linie an den Rand des Geschehens, auch wenn sie durch ihre Aktivitäten auf der kommunalen Ebene und als politisches Richtungsambiente der Spitzenakteure weiterhin im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit bleiben. Der Druck der Medienlogik, mit ihrem ständigen Präsentismus und dem Zwang zu jederzeitigen Sofortreaktionen der Politiker, führt zur Abkopplung der Mitgliederparteien und ihrer Diskursformen von den Kommunikationsstrategien der Spitzenakteure. Die Medien haben inzwischen bei der Auswahl möglicher Spitzenkandidaten Vorrang vor der innerparteilichen Willensbildung. Damit ist den politischen Parteien auch noch diejenige „Krönungsfunktion“ aus der Hand genommen, die einerseits ihre Zentralrolle mitbegründet hatte, und ihnen das Gewicht einer letzten Richtungskotrolle im politischen Prozess verschaffte. So werden die Parteien in der Arena des großen politischen Prozesses durch die eigengesetzliche Dynamik der Mediendemokratie in eine Statistenrolle abgedrängt. Die Kommunikationsspitzen der Parteien machen sich von der Willensbildung ihrer Organisationen weitgehend unabhängig, damit sie in der medialen Arena überhaupt noch mit Aussicht auf Erfolg agieren können. Da die Medienresonanz auf politische Initiativen stets kurzfristig ist und jederzeit eine ebenso kurzfristige Antwort der Politik erfordern, wären politische Spitzenakteure, denen durch verbindliche Beschlüsse der eigenen Partei die Hände gebunden sind, zum Misserfolg verurteilt. Da dies aber nicht im Interesse der Durchsetzung der eigentlichen politischen Inhalte liegen kann, ergibt sich ein Widerspruch zwischen dem Imperativ, diese Inhalte durchzusetzen, und dem einer Beteiligung der Parteibasis auf diesem Weg. Dieser Widerspruch lässt sich, so die Schlussfolgerung der Spitzenpolitiker in der Mediendemokratie, nur auflösen, indem deren Gesetze befolgt werden. Das Risiko, durch eine „Aufklärungskampagne“ gegen eine bestimmte Mehrheitsmeinung anzugehen in der Hoffnung, dass am Ende die besseren Argumente doch noch zu einer neuen Mehrheit führen, mögen die Spitzenpolitiker im Wettbewerb um die Führungsämter des politischen Systems nur selten eingehen - nämlich dann, wenn es handfeste Anhaltspunkte für den absehbaren Erfolg einer solchen Strategie gibt. In einer Gesellschaft der beschleunigten Prozesse haben besonders die in der Wissensökonomie und Dienstleistung Beschäftigten immer weniger Zeit - und erst recht keine freien Kapazitäten, an der langwierigen politischen Willensbildung in den Parteien teilzunehmen. Kontinuierliche Teilhabe am Leben in den Parteien ist aber Voraussetzung für Einfluss und Erfolg. Den sichern sich dann die „Zeit-Reichen“: Kommunalbeamte, Lehrer, Hausfrauen, Rentner und Aussteiger. Dadurch aber repräsentieren die Parteien immer weniger die Gesellschaft, in der sie als Massenorganisation existieren. Deshalb bliebe den Strategiespitzen der Parteien, weil sie an der Organisation politischer Mehrheiten in der Gesellschaft orientiert sein müssen, ohnehin gar nichts anderes übrig, als ihrerseits aktiv auf die Marginalisierung ihrer eigenen Parteien hinzuwirken. Würde das dann schiefgehen, so wären sie einer minderheitsbestimmten politischen Logik unterworfen, die sie daran hinderte, mit den Veränderungen gesellschaftlicher Wertorientierungen, Interessenwahrnehmungen und Meinungsbildungen Schritt zu halten. Politische Problemlösungen dauern lange, weil sie Mehrheiten finden und daher viele Interessen und Bedenken berücksichtigen müssen. Der mediale Präsentismus aber ist ungeduldig und verständnislos gegenüber diesen zeitintensiven politischen Prozessen. Er verlangt von der Politik die sofortige Übereinstimmung mit der in den Medien gespiegelten und fixierten Augenblicksmeinung des Publikums, wie sie sich vor Beginn eines Diskurses zeugt. Soweit ihr Einfluss reicht, zwingt die Medienorientierung der Politik ein Zeitmaß auf, das zu dem der politischen Demokratie im Widerspruch steht. 16 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Je mehr sich also die strategischen Spitzen der Parteien zu deren politischen Vorstellungen loyal verhalten, umso weniger sind sie in der Lage, das Geschäft der politischen Mehrheitsorganisation professionell, flexibel und mit Aussicht auf Erfolg zu betreiben. Die demokratischen Massenparteien, die ja eigentlich der Transmissionsriemen zwischen der Gesellschaft und den politischen Institutionen sein sollten, werden nach dieser Analyse zu einer Barriere zwischen Gesellschaft und politischer Macht. Die Verkürzung der politischen Prozesszeit auf das Maß der medialen Produktionszeit bedeutet die Beschneidung der politischen Prozesse selbst um einen guten Teil dessen, was ihre demokratische Qualität ausmacht. Der Anteil von Vereinen, Verbänden, Initiativen und Parteien am Prozess des großen politischen Systems geht beträchtlich zurück. Die Parteien können in den veränderten Zeitstrukturen allerdings auch neue Wege finden, um den Einfluss in der Mediendemokratie zurück zu gewinnen. Gegenwärtig zeichnen sich - neben dem Modell der Amerikanisierung - die Konturen eines europäischen Parteienmodells ab: Eine runderneuerte Art, zu kommunizieren, soll den Parteien wieder zu mehr Einfluss bei den Prozessen der Entscheidungsfindung verhelfen. Trotzdem werden sich auch künftig ihre Schwächen zeigen: Erstens dann, wenn es um schnelles Reagieren im täglichen Medienkarussell geht, und zweitens im Alltagsgeschäft auf nationaler Politikebene, auf die sich die Medienkommunikation bezieht. Derzeit sind noch keine Reformprojekte in Sicht, die in diesen beiden Handlungsbereichen den Parteien ihr altes Gewicht zurückgeben könnten. Ihre Stärken wird man künftig vor allem dort erkennen, wo es um Langzeitprozesse mit personeller Kontinuität und Zurechenbarkeit geht. Das betrifft Prinzipien und Grundentscheidungen der großen Politik auf der einen Seite und auf der anderen die kommunalpolitische Kommunikation und Alltagspraxis. Die Rolle, die die Parteien dabei in der Mediendemokratie noch spielen können, ist freilich ungewiss. 3.1.5 Parlamentarismus unter Druck In der Mediendemokratie sind es vor allem auch die Parlamente, deren Einfluss im politischen Prozess stark schrumpft. Das gilt mehr für die parlamentarischen Demokratien Europas als für die präsidentiellen Demokratien, etwa der USA, in denen der Präsident immer schon eine von den Parlamenten unabhängige Legitimation besaß. Während hier nämlich die Wahl des politischen Spitzenamtes schon seit langem in Form eines medienvermittelten Personenplebiszits stattfindet, spielt sich diese Legitimationsvariante in den parlamentarischen Mediendemokratien Europas erst ein. Dabei erscheinen - nach der Verfassungsnorm und dem allgemeinen öffentlichen Eindruck noch immer die Parteien und Parlamente als oberste Legitimationsquelle für die politischen Spitzenämter. Unter dem Einfluss der Parteiendemokratie war in den Demokratien Europas aus der Idee einer kontrollierenden Distanz zwischen Exekutive und Legislative in der Praxis eine Rivalität zwischen Regierungsparteien und Oppositionsparteien geworden - und aus dem Kontrollverhältnis zwischen Parlament und Regierung das zwischen Regierungsmehrheit und oppositioneller Minderheit. In der Regel ergab sich so die Regierungspolitik aus einem Prozess der Verständigung, auch des Aushandelns, zwischen Kabinett und Fraktionsführungen. Die Regierungspartei im Parlament weiß, dass sie ihren Wahlerfolg vor allem der Medienwirkung ihres Spitzenkandidaten verdankt. Und sie macht die Erfahrung, dass Unstimmigkeiten zwischen den politischen Aussagen ihres Regierungschefs und Vertretern seiner Fraktion sein Mediencharisma ankratzen. Daher ist sie fast immer zu vorauseilendem oder nachbesserndem Konsens mit seinen Vorgaben bereit. Regierungschef oder Oppositionsführer haben unter den Bedingungen der Mediendemokratie ihre Erfolgskarriere auf der Basis eben dieses Kalküls geplant und absolviert; sie bauen den mediendemokratischen Harmoniemechanismus von Anfang an in ihre Strategie ein. 17 Titel 3.1.6 Schlussfolgerungen Inhaltsverzeichnis Politik verändert sich unter dem dominanten Einfluss des modernen Mediensystems von Grund auf. Aber die verbreitete These von der Selbstauflösung der Politik in ihrer medialen Inszenierung ist stark übertrieben. Zwar droht die politische Öffentlichkeit tatsächlich zum Spiegelkabinett zu werden, in dem sich beide, Politik und Medien, immer nur selber zu erkennen vermögen und dabei die Welt aus den Augen verlieren. Aber hinter den Spiegeln geht das wirkliche Leben weiter, sowohl in den Lebenswelten der Bürger wie in den Vorhöfen und an den Hebeln der Macht. Die Medien können jedoch das Spiegelkabinett verlassen, wenn sie den Blick wieder auf die Logik der politischen Prozesse richten, auch wenn die mediale Inszenierung ein gutes Stück Wirklichkeit der Politik in der Mediengesellschaft darstellt. Politik als zeitintensiven Prozess der Entscheidungsfindung gibt es auch in der Mediendemokratie. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion Medien und ihre Inszenierungsformen ergänzen und relativieren die Logik des Politischen, aber sie annullieren sie nicht. Im politischen Prozess werden die Karten für Macht und Karrierechancen neu gemischt und anders verteilt, aber die Akteure und ihre Machtquellen bestimmen das Geschehen. Die Verfassung des Gemeinwesens ändert sich unter dem Einfluss des Mediensystems und seiner Kommunikationskultur, aber politische Kultur und Institutionen wirken weiterhin als Rahmen politischen Handelns. Die Parteien verlieren ihre Zentralstellung im politischen Prozess und die Parlamente geraten unter den Druck der Medienlogik, aber beide behalten beträchtliche Spielräume der Selbstbehauptung. Inszenierte Schein-Politik nimmt überhand, politische Handlungsprogramme werden ganz oder teilweise nur noch vorgespielt, die Frage nach den Resultaten aber bleibt. Sie entscheidet nach wie vor - bei politischen Beratungen, im bürgerlichen Krisen-Alltag, in der Wahlkabine. 5. Anhang Literatur 6. Impressum Alemann, Ulrich von (1997): Parteien und Medien. In: Gabriel, Oscar W./ Oscar Niedermayer/Richard Stöss (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn, S. 478-494. Alemann, Ulrich von (2000): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Opladen. 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Müntefering, Franz/ Matthias Machnig: Sicherheit im Wandel. Berlin. Weischenberg, Siegfried (1998): In Szene gesetzt. Amerikanisierung der Politik. In: Journalist, Nr. 5, Mai 1998, S. 12-16. Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum 20 Titel 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse (2005) Inhaltsverzeichnis Prof. Dr. Jo Groebel Europäisches Medieninstitut, Dortmund Vorwort 3.2.1 Politik und Medien 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Moderne Politik ist ohne Medienöffentlichkeit nicht möglich. Die Demokratie lebt von der Transparenz politischer Abläufe und Entscheidungen. Diese Transparenz wird durch die so genannte Vierte Gewalt, die Medien, geschaffen und gewährleistet. Seit geraumer Zeit allerdings wird diskutiert, inwieweit Presse und Rundfunk, auch OnlineAngebote, die Politik mitbeeinflussen, wenn nicht sogar dominieren. Während des Bundestagswahlkampfes 2005 beispielsweise geriet die Rolle der Medien besonders ins Visier, als über vermeintlich zu starke Personalisierung und Emotionalisierung, ja das „Hoch- und Runterschreiben“ von Kandidaten debattiert wurde. Fest steht, dass sich die Komplexität politischer Prozesse nur schwer in eingängige Texte oder Bilder übersetzen lässt, dass Journalisten immer Themen auswählen und Akzente setzen müssen, dass eine implizite Kommentierung schon dann erfolgt, wenn man nur ausgewählte politische Stimmen zu Wort kommen lassen kann oder auch nur ein Stimmungsbild wiederzugeben versucht. Ein wesentlicher Faktor ist dabei das Marktgeschehen. Der Wettbewerb zwischen den Medien hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Es ist auch ein Wettbewerb um die politischen Schlagzeilen, die spektakulärsten Bilder, die interessantesten Interviews. Positiv interpretiert trifft hier der Markt auf die Demokratie, beide konzentrieren sich auf eine möglichst breite Öffentlichkeit. Negativ gesehen heißt dies aber auch, dass der Aufmerksamkeits-, ja der Unterhaltungseffekt vor politischer Substanz rangieren könnte. Auf den vermuteten Medieneinfluss, auf die Mechanismen der Berichterstattung hat jedenfalls die Politik reagiert, indem sie ihrerseits ein ganzes Arsenal professioneller Kommunikationswerkzeuge entwickelt hat, mit deren Hilfe Themen gesetzt, Themen genutzt, Meinungen geprägt werden sollen. So vermählen sich die Botschaften („Missionen“) der Politiker mit den Marktbelangen der Medien. Dass dabei mögliche Meinungsinteressen innerhalb der Medien balanciert werden, soll durch die pluralistische Struktur der Presse- und Rundfunklandschaft gewährleistet werden. Dennoch gibt es publizistische Personen- und Themenkarrieren, die ungeachtet der jeweiligen Bewertung mindestens so sehr den Gesetzen des Medienmarktes, wie denen der Politikdynamik folgen, sofern man diese überhaupt noch voneinander getrennt betrachten kann. 3.2.2 Themenkarrieren, Themenkontrolle: Vier Fallbeispiele Viele wissenschaftliche Studien haben sich mit den Mechanismen von Themenkarrieren befasst. Sie benennen zentrale Faktoren wie Alltags- und Gruppenbezug für die Bürger, Skandalisierung, Personalisierung, auch Abnutzung. Die Personalisierung spielt nicht nur bei einem „präsidialer“ gewordenen Wahlkampf zwischen Kanzlerkandidaten eine Rolle; auch die Konkretisierung einzelner Themen geht in den Medien regelmäßig mit einem Personalbezug einher. Der tatsächliche Anteil des jeweiligen Akteurs am Geschehen ist dabei recht unterschiedlich. Auf der Ebene der politischen Führung wird man versuchen, möglichst weitgehende Kontrolle über die medialen Abläufe zu erreichen, vielleicht sogar („Amerikanisierung“) die Medienbekanntheit erst zum Ausgangspunkt für eine Politikkarriere zu machen. Umgekehrt können einzelne aber auch ohne ihr Zutun und Wollen zu öffentlichen Personen werden, weil sie stellvertretend für einen politischen Sachverhalt stehen. Schließlich gebiert manches Ereignis eine „Bühne“, die alten und neuen Hauptpersonen hohe Medienaufmerksamkeit verschafft. 21 Titel Inhaltsverzeichnis Um die Merkmale von Themenkarrieren zu illustrieren, wurden vier repräsentative BeispielFälle der vergangenen Jahre aus Presse, Fernsehen und Internet ausgewählt. Die untersuchten Medien unterliegen der Struktur von überregional zu regional, und beinhalten folgende Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendungen sowie Online-Berichte: Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 3.3 Berliner Zeitung, Bild, Bonner Generalanzeiger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Stuttgarter Zeitung, taz, Stern, Spiegel, Tagesthemen, heute-journal. Der Kriterienkatalog der Analyse umfasst Umfang und Positionierung der Berichte sowie die Bewertung der Ausprägung von Personalisierung, Emotionalisierung, Skandalisierung, negativer oder positiver Kommentierung und deren zeitlichen Verlaufs. Die Studie impliziert keine statistische Generalisierbarkeit: Sie dient als Fallbeispiel für die Dynamik von Themenkarrieren. Die Beispielfälle zeichnen sich durch einen unterschiedlich starken Einfluss einzelner Akteure auf das politische und mediale Geschehen aus: Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Ronald Schill Florida-Rolf Theo van Gogh Tsunami Die Fälle stehen für Themen, die per se relevant sind (Tsunami), d.h. bei denen weder Einzelne noch Viele einen auslösenden Einfluss hatten, in denen die führenden Akteure selbst die Mediatisierung vorangetrieben haben (Schill, van Gogh), die von den Medien ohne aktives Zutun der Akteure erst zugespitzt und weiterentwickelt worden sind (Florida-Rolf). Gemeinsam ist solchen Themenkarrieren, dass ein beschleunigter Prozess entsteht, in dem die politisch und medial Beteiligten mindestens so sehr Reagierende wie Selbststeuernde sind. Für alle vier hier ausgewählten Fälle gilt, dass es ein großes Grundthema für alle gibt, nämlich Sorge, Verunsicherung, Hilflosigkeit gegenüber (vermeintlich) zunehmender Kriminalität (Ronald Schill), der Konfrontation der Kulturen (van Gogh), sozialem Abstieg und Sozialneid („Florida-Rolf“) sowie Klimaeffekten und Globalisierung („Tsunami“). Tatsächlich dominieren wohl Themenkarrieren, die Ängste ansprechen getreu dem Motiv „Bad News are Good News“. Menschen reagieren mit größerer Aufmerksamkeit und Neugier auf empörende oder bedrohliche Inhalte als auf „Friedliches“. Dies hat (auch) physiologisch-psychologische und archaische Hintergründe. Negative Informationen lösen ein inneres Alarmsignal aus, das potenziell auf Flucht oder Gegenmaßnahmen einstimmt. Natürlich ist in der Regel eine solche Reaktion als Folge von Medienberichten nicht unmittelbar notwendig (Ausnahme: z.B. Hurrikane), dennoch unterscheiden unsere automatischen Reflexe weniger als unser mentales System zwischen realen und nur medial präsentierten Empörungs- und Bedrohungshinweisen. So entsteht in solchen Fällen grundsätzlich ein zunächst negativ geprägtes Aufmerksamkeitspotenzial, und die Debatte über tatsächlich oder vermeintlich relevante gesellschaftliche Prozesse erhöhten den Marktwert der Berichterstattung ebenso wie persönliche Betroffenheit (z.B. drohende Arbeitslosigkeit, Angst vor Kriminalität, kulturelle Konfrontation oder Sorge um Angehörige und Bekannte). 3.2.2.1 Ronald Schill Als Hamburger Richter erzielt Ronald Schill in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts lokal öffentliche Aufmerksamkeit durch sehr strenge Urteile bei so genannten Bagatelldelikten. Gerichtsintern kritisiert und Disziplinarmaßnahmen unterzogen, erntet Schill bei Teilen der Hamburger Bevölkerung große Sympathie. Er gründet die so genannte „Schill-Partei“, eine rechtspopulistische 22 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung Sammlung unterschiedlicher Personen, die in die Hamburger Bürgerschaft gewählt wird. Als Innensenator einer CDU-geführten Regierung ist Schill ständig in den Medien präsent: zahlreiche Ordnungsinitiativen, eine Neueinkleidung und -motorisierung der Polizei, Präsenz im Hamburger Party- und Nachtleben. Schill muss abtreten, nachdem er den Hamburger Regierungschef mit dessen angeblicher Bevorzugung des Justizministers als seinem vermeintlichen Lebensgefährten zu erpressen versucht hat. Medienkarriere 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Im Verlauf der gesamten Berichterstattung über Schill lassen sich mehrere Faktoren identifizieren, die für starke Medienbeachtung und große öffentliche Aufmerksamkeit sorgen: Spektakuläre Urteile potenzieren das vorhandene öffentliche Interesse an der Kriminalität; das Meinungsklima - zunehmendes Unbehagen gegenüber einem teilweise als zu „lasch“ wahrgenommenen Umgang der Justiz mit Kriminalität - wird „bedient“. Spätestens mit der Häufung entsprechender Urteile durch Schill wird das Einzelthema zu einer Geschichte, die sich eng mit dem Hauptakteur verbindet. Durch Personalisierung entsteht der auch emotional wirkende rote Faden, der sich durch die ganze Mediendramaturgie hinzieht. Entscheidend für die Konstruktion der Mediengeschichte: Es wird ein Markenname geschaffen. Spätestens nach den ersten regelmäßigen Nennungen wird „Richter Gnadenlos“ ab September 1997 zu einem eingängigen Code. Die Presse ist hier - in ihren Mechanismen durchaus mit denen der Werbung vergleichbar - an Markterfolgen interessiert, also an Themen, die dauerhaft eine gewisse Auflage garantieren oder diese steigen lassen. Für das Publikum entstehen ein Signal- und ein Vertrautheitseffekt: Man reagiert mit Aufmerksamkeit auf das schon bekannte Spektakuläre, ist neugierig auf den biographischen Verlauf, freut sich zugleich über den Wiedererkennungswert bei einem Menschen, selbst wenn man ihn ablehnt. Auf dem Höhepunkt der Medienaufmerksamkeit wird die Person selbst zur Nachricht. Besonders das Privatleben öffentlicher Personen ist seit den 1990er Jahren zu einem wichtigen Unterscheidungs- und Erfolgsmerkmal der Berichterstattung geworden. Zugleich nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass eine auch privat „interessante“ Geschichte politische Beachtung schafft (Amerikanisierung der Politik). Schill ist zu einem Prominenten geworden. Dies ist dabei der zentrale Prozess: Aus der episodischen Berichterstattung erwächst die Prominenz, die, sich gegenseitig verstärkend, die Grundlage für politischen Populismus bietet. Bekannt geworden ist Schill durch „Stimmungsurteile“, sie verschafften ihm Schlagzeilen. Diese verstärkten wiederum seine Bereitschaft, mit politischen Zielen ähnlicher Couleur Öffentlichkeit und Macht durch Gründung einer Partei auszuweiten. Das Medienthema Schill ist ein Beispiel dafür, wie öffentliches Interesse, politische Abläufe und Mediendramaturgien ineinander greifen. Dem willigen Akteur wird eine Plattform geboten, auch wenn die Medien ihn nicht aktiv mit positiver Kommentierung unterstützen. Sie verschaffen ihm aber durch Thematisierung zunächst Popularität und dann politischen Erfolg. Mit dem endgültigen politischen Misserfolg verschwindet dann allerdings die „Bühne“, weil auch die persönliche Geschichte nicht mehr interessant ist. 3.2.2.2 „Florida-Rolf“ Auf die deutsche Diskussion über zunehmende Arbeitslosigkeit und die Möglichkeit des Missbrauchs von Arbeitslosen- und Sozialhilfe trifft Mitte 2003 der Fall von „Florida-Rolf“, eines Empfängers von staatlicher Unterstützung, der seinen Wohnsitz im südlichen Staat der USA hat. Nach geltendem deutschem Recht kann man als Deutscher unter Umständen auch im Ausland finanzielle Unterstützung beziehen. Die zunächst in den Medien geführte Debatte löst auch eine politische Diskussion über mögliche „Schlupflöcher“ und vermeintlich nicht vertretbare Sonderregeln aus. Das Thema verschwindet allerdings nach einigen Monaten aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Die Politik greift den Fall noch ab und zu im Parlament auf, diskutiert ihn hier aber ebenso als Beispiel für Medieneinfluss wie unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit oder des Sozialneids. 23 Titel Medienkarriere Inhaltsverzeichnis Im August 2003 tauchen in der „Bild“ die ersten Schlagzeilen zum 64-jährigen „Florida-Rolf“ auf. Anders als bei Schill sucht der Hauptprotagonist der Story nicht selbst die Medienaufmerksamkeit, sondern wird identifiziert als jemand, der als besonders gutes Beispiel für den potenziellen Missbrauch der Sozialhilfegesetze in den Medien repräsentiert werden kann. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Im herrschenden Klima wirtschaftlicher Angst und Unsicherheit reagieren die Bürger besonders sensibel auf vermeintliche oder tatsächliche Unfairness. Zudem gibt es auch immer ein zusätzliches Potenzial an Sozialneid. Die Personalisierung („Florida-Rolf“) konkretisiert abstrakte Unsicherheiten und Sozialstrukturen. Entscheidend für die Wirkung auf die Medienrezipienten ist auch hier, dass ein kreativ erdachter Markenname eingesetzt wird, der eingängig ist, direkte Assoziationen von Luxus liefert, durch die Vornamen-Nutzung augenzwinkernde Schlitzohrigkeit nahe legt und auch klanglich stimmt. Der Protagonist erfährt nationale Berühmtheit, ohne selbst breit in Erscheinung zu treten. Die emotionale Qualität der Schlagzeilen verstärkt den Effekt. Zwar ist das Thema im Boulevard geboren, aufgrund der Eingängigkeit und der in der Luft liegenden Brisanz wird es aber auch von anderen Medien aufgegriffen und in der Öffentlichkeit verstärkt. So tritt per Schalte „Florida-Rolf“ als „Scoop“ in der Premiere des ARD-Nachttalks von Sandra Maischberger auf. Sein Auftritt wird wieder in Schlagzeilen weiterverarbeitet („Florida-Rolf jammert bei Maischberger: Kanzler, ich bin kein Sozialschmarotzer!“). Es entsteht eine zeitlich begrenzte Cross-Media-Nutzenstrategie der gegenseitigen PR. Die „Florida-Rolf“-Geschichte entfaltet ihre Wirkung durch eine Ausweitung und Generalisierung auf andere, ähnliche Bereiche bzw. durch den öffentlichen Druck, den sie auf die Politik ausübt. Bereits Anfang September 2003 berichten die Medien über Initiativen des Kanzlers und der Sozialministerin, die Gesetzeslage zur Sozialhilfe zu ändern. Die intensive Medienberichterstattung über „Florida-Rolf“ endet so schnell, wie sie begonnen hat. Sie hat jedoch Spuren hinterlassen: Der Begriff hat sich eingeprägt und ist nach wie vor geläufig. In Institutionen und Politik hat man eine hohe Themensensibilität gegenüber möglichen Missbrauchsfällen bewahrt, um nicht in einer ähnlichen Nachrichtenlage zu landen. Der Bundestag hat am Beispiel von „Florida-Rolf“ den Einfluss der Medien auf die Agenda diskutiert mit dem Tenor, dass es eine Verbindung zwischen Medieneinfluss und Handlungsdirektive gebe. „Florida-Rolf“ ist als konkretes Thema eine nicht einmal vier Wochen in den Medien präsente Geschichte. Trotzdem hat sie in dieser Zeit eine hohe publizistische und politische Schlagkraft entwickelt, die in der öffentlichen Wahrnehmung bis heute fortwirkt. Die Kombination aus eingängigen Bildern, konzentrierter Berichterstattung und Treffen des sozialen Nervs schafft eine langfristig im Gedächtnis bleibende Story. Bedeutsam ist in diesem Fall, dass sein Höhepunkt in einer auch publizistisch breit rezipierten Gesetzesänderung besteht. Hier kann man von direktem Medieneinfluss sprechen: Die Geschichte führte zu öffentlicher Aufmerksamkeit, die öffentliche Aufmerksamkeit zu politischem Druck, dieser zu politischem Handeln und damit zum auch faktischen „Erfolg“ der Geschichte. „Florida-Rolf“ ist geradezu ein Schulbeispiel für die Wirksamkeit einer Pressedynamik, bei der ein latentes Meinungsklima im Medienmarkt aufgegriffen, am Beispiel eines prägnanten Falles verdichtet und zugespitzt und vor allem über Personalisierung und Skandalisierung zu persönlichem Druck und schließlich Handeln weitergeführt wird. 24 Titel 3.2.2.3 Theo van Gogh Inhaltsverzeichnis Der niederländische Publizist und Regisseur Theo van Gogh, Großneffe des Malers van Gogh, wird im November 2004 auf der Straße von einem sich als religiös motiviert bezeichnenden Marokkostämmigen ermordet und erhält damit postum internationale Medienbekanntheit. Als Hauptgrund gibt der Täter einen Film van Goghs an, der die Benachteiligung der Frau im Islam mit provokativen Mitteln anklagt. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum In den Niederlanden war van Gogh bereits lange als Essayist und Rundfunkpersönlichkeit bekannt. Als „kontroverse“ Figur des öffentlichen Lebens nahm er regelmäßig zu aktuellen Ereignissen oder Zeitphänomenen Stellung und bezog dabei zuspitzende Positionen jenseits des herkömmlichen Links-/Rechts-Spektrums. Der Tod van Goghs wurde in der internationalen Berichterstattung unter anderem in den Kontext des Terrorismus gestellt und als Teil einer grenzüberschreitenden Entwicklung beschrieben. Medienkarriere Für den Medienfall van Gogh ist ein kulturelles und mediales Paradoxon der Niederlande bedeutsam: Das tolerante Gesellschaftsklima (Stichwort „Multikulturelle Gesellschaft“) hatte eine Situation der Unsicherheit geschaffen - die Konfrontation mit anderen ethnischen Gruppen niedriger Bildungsschicht, deren Akzeptierung und Integration man von den Einheimischen erwartete, führte zu einem zunehmenden Gefühl der Bedrohung. Publizistisch fanden allerdings die brisanten Themendiskussionen (tolerant gegenüber intolerant; Rolle der Frau innerhalb nicht-christlicher Religionen) kaum statt. So war gerade in den Medien ein Vakuum entstanden, das nur darauf „wartete“, von den „richtigen“ Protagonisten gefüllt zu werden. Zu einer zentralen Figur wurde hier Pim Fortuyn. Publizist und Essayist, der seine Popularität als „Querdenker“ und „Exzentriker“ nutzte, um das latente Unwohlsein vieler Bürger aufzugreifen, in den Medien zu thematisieren und zum Fokus aktiver eigener Politik zu machen. Kurz vor seiner wahrscheinlichen Wahl zum Ministerpräsidenten wurde er auf dem Studiogelände des niederländischen Rundfunks von einem fanatischen, selbsternannten Ökologie-Aktivisten erschossen. Dieser Mord stürzte das Land in eine laut vieler Meinungen seit hunderten von Jahren nicht erlebte Identitätskrise. Theo van Gogh entstammte dem gleichen kulturellen und intellektuellen Milieu, war allerdings politisch anders ausgerichtet. Er verdichtete in Essays, Rundfunkauftritten (u.a. auch in einer Fernsehdiskussion mit dem Autor dieses Berichts) und filmischen Werken das für die Niederlande brisante Thema der kulturellen Konflikte. Auch in den Niederlanden hatten populistische Ideen um sich gegriffen. Ähnlich wie bei Schill schuf die Verbindung aus Medienprominenz und einfachen Ideen ein Klima des Lösungsdrucks gegenüber der Politik, das jedem entsprechenden Einfall Schlagzeilen garantierte. Van Gogh beging einen gezielten Tabubruch, indem er dem gesellschaftlichen Comment nicht mehr folgte, dass man religiöse Gefühle der anderen zu achten habe. Die öffentliche Spannung baute van Gogh wohl am stärksten dadurch auf, dass er ein Paradoxon schuf. Für die Lust an der Provokation gab (und gibt) es durchaus ein empfängliches Klima. Dass aber die Provokation die Toleranz gegenüber der „Intoleranz“ einer anderen Gruppe aufgab, schuf einen enormen, nicht unmittelbar lösbaren Zwiespalt. Mit der Ermordung Theo van Goghs werden die bislang innenpolitischen Themen „Toleranz“ und „Integration“ schlagartig zu Themen der internationalen Medien, auch im Zusammenhang mit der Angst vor kulturellen Konflikten und Terror. Das Thema Gleichberechtigung rückte als Faktor des Zusammenlebens verschiedener ethnischer Gruppen jetzt wieder ins Blickfeld. Dass es in den bislang toleranten und eher friedlichen Niederlanden nun zu zahlreichen Ausschreitungen gegen islamische Einrichtungen kommt, wird auch in Deutschland publizistisch mit 25 Titel Inhaltsverzeichnis einem innenpolitischen Akzent verfolgt in dem Sinne, dass man der Stimmung in der Bevölkerung, selbst der besonders integrierenden Niederlande, hier stärker durch eine restriktive Sicherheitspolitik entgegenkommen müsse. Der Fall van Gogh wird also als mahnendes Beispiel übernommen. Vorwort Das außenpolitische Thema van Gogh illustriert allerdings auch die häufig begrenzte mediale „Nachhaltigkeit“ eines Ereignisses aus den meisten anderen Ländern. Als exemplarisch für das europäische Toleranz-, Werte- und Sicherheitsproblem sorgte der Fall zwar noch für einige Qualitätsessays, u.a. auch über die Niederlande allgemein, verschwand aber, anders als im eigenen Land, schnell wieder aus den deutschen Medien. 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? In den Niederlanden haben die Morde an Fortuyn und van Gogh eine grundlegende publizistische Debatte über eine Eingrenzung der Immigration ausgelöst. Die früheren Positionen der Ermordeten hatten gerade das Fehlen einer kritischen, auch nur neutralen Medienagenda bemängelt. Durch das Nicht-Aufgreifen des besorgten Meinungsklimas großer Teile der Bevölkerung habe überhaupt erst die Eskalation geschehen können - die dann letztlich zum Tod der Kritiker selbst führte. Während die Niederlande so im Nachhinein das „Trauma“ zu hoher Toleranz zu verarbeiten hatten, führte in Deutschland die ständige Befürchtung, wieder das Trauma zu geringer Toleranz erleben zu müssen, aufgrund der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit (Antisemitismus und Ausländerdiskriminierung) zu einer sehr vorsichtigen Berichterstattung. Das Dilemma zwischen Grenzen der Toleranz, innerer Sicherheit und dem Betonen der eigenen Werte wurde thematisiert, ohne dabei eine Einschränkung der Rechte kleinerer Gruppen zu propagieren. 4. Podiumsdiskussion 3.2.2.4 Tsunami 5. Anhang 6. Impressum Am 26. Dezember 2004 löst ein Seebeben eine Flutwelle aus, die sich über tausende von Kilometern ausbreitet und zu einer meterhohen Überschwemmung der Küstenregionen Indonesiens, Sri Lankas, Indiens, Thailands, der Malediven, vieler kleinerer Inseln sowie Teilen von Ostafrika führt. Mehrere hunderttausend Menschen sterben; kurz danach startet eine weltweite Hilfsaktion aus Rettungsmaßnahmen, Spenden und Wiederaufbauinitiativen. Aufgrund der Feriensaison befinden sich viele europäische, australische und amerikanische Touristen vor Ort und sind ebenfalls als Opfer zu befürchten. Monate später kommt es in der Nähe Indonesiens wieder zu Seebeben, auch mit Opfern, die Wirkungen sind aber nicht vergleichbar. Im September 2005 schließlich überschwemmt als Folge eines Hurrikans eine Flut die Stadt New Orleans. Der Bezug zum Tsunami wird dadurch hergestellt, dass in den Medien Bilder, Todesopfer und finanzielle Kosten miteinander verglichen werden. Die Zahl der Todesopfer scheint im öffentlichen Vergleich bei einem Bruchteil derer des Tsunami zu liegen, die finanziellen Kosten werden als wesentlich höher beziffert. Nach den verheerenden Verwüstungen beginnt sehr schnell der Wiederaufbau. In manchen Gegenden wird auch der Tourismus schon Wochen später wieder aufgenommen. Medienkarriere Fast eine Art Kontrollfall im Sinne der Feldforschung, weicht der „Tsunami“ in mehrerer Hinsicht von den anderen Mediengeschichten „Ronald Schill“, „Florida-Rolf“ und „Theo van Gogh“ ab. Er ist nicht von Menschen verursacht, folgt keinerlei politischen Interessenslage und schließt nur begrenzt an ein bestehendes gesellschaftsaktuelles Thema an. Die Art und Weise der Berichterstattung ist dennoch kennzeichnend für die derzeitigen und künftigen Merkmale der Medienentwicklung. Das Ausmaß der Katastrophe entzog sich der Entscheidung, ob man überhaupt oder evtl. national begrenzt darüber berichtet. „Florida-Rolf“ war ein rein deutsches Ereignis geblieben, Schill wurde in den Medien auch des Auslands begrenzt zur Kenntnis genommen, aber eher als Teil einer internationalen Populismus- und Protestentwicklung, van Gogh erhielt vor allem im Rahmen der Integrationsdebatte Aufmerksamkeit. Denn der Tsunami war in vielerlei Hinsicht global einmalig: Nie zuvor hatte eine Naturkatastrophe ein so großes Gebiet betroffen. Sie kam völlig überraschend, anders als zum Beispiel die Hurrikans des September 2005 oder auch die Erdebeben in Japan oder Kalifornien, mit deren Ausbruch man jederzeit rechnet. 26 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Weltgeschichtliche Ereignisse wie der Tsunami überragen tage- oder wochenlang die anderen Themen der Berichterstattung; es entsteht Thementotalität. Zahllose Seitenstränge der Geschichte, vom Schadensbericht über die Ursachenanalyse bis hin zu wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen und selbst religiösen Fragen, füllten die Medien. In einigen Verkaufszeitungen wurde der Tsunami in die Nähe der Apokalypse oder des von Gott Verlassenseins gerückt. Als Thema bediente der „Tsunami“ eine zunehmende Besorgnis, der Mensch könne die Naturgewalt weit weniger im Griff haben, als immer wieder suggeriert, und er könne sogar selbst Verursacher immer größerer Naturkatastrophen sein, wie es mit der Zunahme extremer Hurrikane, im Zusammenhang mit globaler Erwärmung und Ozonloch diskutiert wird. Zwar nicht kausal begründbar, korrelierte das Ausmaß der Katastrophe dennoch mit den Globalisierungsängsten in anderen Bereichen, zum Beispiel den wirtschaftlichen Veränderungen oder internationalen Krisen. Die Aufmerksamkeit (und Nervosität) gegenüber vermeintlich oder tatsächlich ähnlichen Ereignissen nahm vorübergehend zu. Innerhalb der Themensensibilität erfuhr jede mögliche Wiederholung des Phänomens höhere Beachtung, siehe auch die Berichterstattung zu den Hurrikans in New Orleans, dann Texas 2005. Die Katastrophe wurde zum Handlungsfeld der Politik; weltweit demonstrierten die Akteure ihr grenzüberschreitendes Zusammenrücken und ihre Entschlossenheit. Etliche Politiker erreichten durch Haltung und Entscheidungen hohes Ansehen; eine direkte politische Instrumentalisierung zum Zwecke der Medienpräsenz und -performance war aber (in Deutschland) kaum auszumachen. Die politische Agenda prägten im Wesentlichen drei Prinzipien: Beruhigung und Information der eigenen Bürger, Soforthilfe für die Region, schließlich Prävention gegenüber künftigen ähnlichen Katastrophen. Unter allen hier beschriebenen Fällen besitzt der Tsunami auch quantitativ die mit Abstand höchste Berichtsintensität. Die Berichterstattung beginnt fast unmittelbar mit nahezu exklusivem Presse- und Rundfunkumfang und ebbt erst allmählich mit immer wieder noch nach Monaten auftauchenden „Nachgeschichten“ ab. Die Bevölkerung großer Teile der Welt tritt zusammen bzw. wird durch die Berichte und Bilder zu einer Gemeinschaft zusammengefügt. Dies war für kurze Zeit beim 11. September so, trotz der wohl fragwürdig zustande gekommenen Bilder „sich freuender“ Palästinenser, das ist so beim Tsunami. Medien können - wie beim Tsunami - ein globales Sentiment der Hilfe und des Zusammengehörens schaffen. 3.2.3 Medien und Politik in Fallbeispielen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Die hier analysierten Fälle illustrieren einige Mechanismen, die vielen Medienkarrieren und -konstruktionen gemeinsam sind. Aufgreifen des gesellschaftlichen Klimas Für eine erfolgreiche, politisch wirksame Geschichte ist es wichtig, ein explizit vorhandenes oder latentes gesellschaftliches Klima aufzugreifen. Im Zweifelsfall scheinen hier zum Teil archaische Unsicherheit und Bedrohungsgefühle eine Plattform zu bieten. Zur Signalwirkung der Medien addiert sich die latente Reaktionsbereitschaft der Rezipienten auf beunruhigende Informationen. Auch bei sachlichen Inhalten erhöht eine Emotion immer die Aufmerksamkeit: Bei Schill betraf dies ein Gefühl krimineller Bedrohung, bei Florida-Rolf das Empfinden sozialer Ungerechtigkeit, bei van Gogh die Integrations- und Terrorfurcht, beim Tsunami die Urängste vor einer allmächtigen Natur. Personalisierung Ob sich die Rezipienten mit einem Akteur identifizieren, ein eher voyeuristisches Interesse an ihm haben, oder eine Art Bindung in Form von Zuneigung oder Ablehnung eingehen - für die 27 Titel 1. Grußwort 2. Einführung Konstruktion einer Geschichte ist Personalisierung ein zentrales Element. Sofern es nicht von vornherein um einzelne Hauptpersonen geht, wie bei Schill oder van Gogh, dienen sie der Konkretisierung und Repräsentierung eines zunächst abstrakteren Themas wie bei Florida-Rolf, bzw. tauchen innerhalb eines Großereignisses wie des Tsunami als Empathie weckende Leitfiguren auf. Über die hier beschriebenen Fälle hinaus ist dieser Mechanismus besonders auch in der Politikberichterstattung nahezu immer wirksam. Die Bundestagswahlen 2005 zum Beispiel demonstrierten dies sowohl in ihrer Zuspitzung auf die Kanzlerkandidaten als auch in Bezug auf den fast zum Symbol gewordenen Namen Kirchhoff. Beim Rezipienten sind offenbar Zuneigung und Abneigung, Konkretisierung und Bildhaftigkeit am ehesten über einen Personenbezug zu erreichen. 3. Vorträge Schaffung eines Markennamens 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse Ganz ähnlich einer Regel traditioneller Werbung ist für die Konstruktion einprägsamer Geschichten die Schaffung eines Markennamens entscheidend. Bis heute hat jeder eine sofortige Assoziation, wenn er Schill, Theo van Gogh, Tsunami oder Florida-Rolf hört. Gerade der Letztgenannte ist ein Musterbeispiel für die Wirksamkeit eines entsprechenden Brandings. Der Name ist einprägsam, weckt bildliche Vorstellungen, ist schlagzeilenträchtig und steht für einen ganzen Sachverhalt. Inhaltsverzeichnis Vorwort Visualisierung 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Erfolgreiche Mediengeschichten brauchen Bilder. Sie sind omnipräsent und spielen auch eine Rolle als spätere Visualisierung im Kopf von vorher (in der Regel im Fernsehen) Gesehenem. Sie stellen die Verbindung zwischen - vermeintlicher - Authentizität, Emotion und Sachinformation her. Jede länger dauernde Mediengeschichte schafft auch ihre eigenen Themententakel. Diese können sich auf die Hauptakteure beziehen, z.B. auf deren Privatleben wie im Falle Schill. Sie können thematische Pendants aufgreifen (bei Florida-Rolf z.B. „Viagra-Kalle“, der mit der Schlagzeile „Sexpille vom Sozialamt“ kurzfristige Bekanntheit erreichte) oder Antagonisten aufbauen, z.B. den „entschlossenen“ Politiker (Florida-Rolf, Tsunami). Sie können die Aufmerksamkeit auf Aspekte der eigentlichen Story lenken, bei Theo van Gogh z.B. die Rolle der Frau im Islam. Dramaturgie Die meisten erfolgreichen Medienkonstruktionen bestehen, ähnlich dem klassischen Drama, aus drei oder mehr Phasen: Aufbau, Höhepunkt(e) und Ausklingen des Themas. Letzteres muss durchaus nicht einhergehen mit einer faktischen Lösung des (politischen) Sachverhalts. Sehr häufig verschwinden Ereignisse aus den Schlagzeilen, auch wenn sie immer noch, zumindest für die Betroffenen, relevant sind. Typische Beispiele sind lang anhaltende Krisen oder Konflikte, die auch ungelöst durch „mediale Abnutzung“ aus der Öffentlichkeit ausgeblendet werden. In etlichen Fällen kann man auch von dramatischen Wellen sprechen - van Gogh in den Niederlanden, Schill in Deutschland waren zu Prominenten geworden, die mit voneinander unabhängigen Episoden mehrmals publizistische Höhepunkte erreichten. Beim Thema „Tsunami“ sind es vor allem Assoziationen durch spätere Ereignisse wie den Herbst-Hurrikans 2005, die die Geschichte immer noch einmal aufleben lassen. Selbstverständlich stellt jede einzelne Mediengeschichte auch Spezifika dar: So variierte bei den beschriebenen Fällen die Möglichkeit der Akteure zur aktiven Beeinflussung des Geschehens. Schill nutzte die ihm gewidmete episodische Anfangsaufmerksamkeit der Medien zum Aufbau einer populistischen Partei, Florida-Rolf hatte nahezu keinen Einfluss auf die Medienberichterstattung, van Gogh war selbst aktiver Teil des professionellen Mediensystems, beim Tsunami gab es keinerlei Möglichkeit der Geschehenskontrolle. Gerade im Fall der Naturkatastrophe wird aber eine weitere zentrale Funktion der Medienberichterstattung deutlich, nämlich dem Unkontrollierbaren doch so etwas wie Struktur und Orientierung für das Publikum zu verschaffen, indem man Experten auftreten lässt, Hilfsaktionen initiiert oder politische entschlossene Akteure zeigt. Variationen von Form und Antagonisten Auch wenn den meisten Mediengeschichten die Struktur der klassischen Bühne innewohnt, so kann ihre dramaturgische Form doch unterschiedlich ausfallen. Zugespitzt formuliert handelt es sich bei „Florida-Rolf“ um einen „Einmal-Bestseller“, bei Schill fast schon um eine „Seifenoper“ 28 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse einschließlich der persönlichen Verstrickungen, bei van Gogh um eine Tragödie, bei der die hochgesteckten moralischen Ziele der Hauptperson zu ihrem Tod führten, beim Tsunami um ein „Reality-Format“ ohne den negativen Beigeschmack, bei dem in Echtzeit berichtet wurde. Auch die Ausprägung von Antagonisten, die einer Mediengeschichte Spannung verschaffen, variiert. Sie können zum Beispiel auch so konstruiert sein, dass sie den Hauptakteuren nicht unmittelbar gegenüber stehen. Bei Florida-Rolf sind es die Bescheidenen, die eben nicht den Staat „ausnutzen“, beim Tsunami sind es die „Geschmacklosen“, die sich schon Tage später wieder am Strand vergnügen. Bei Schill tauchen im Verlauf der Geschichte mehrere Antagonisten auf: Kleinkriminelle, innerparteiliche Konkurrenten, das Stadtoberhaupt, schließlich ein Ehemann. Bei van Gogh ist in der ultimativen Zuspitzung der Antagonist sein Mörder. Insgesamt trifft hier zu, was in der Regel als Basis für erfolgreiche politische Öffentlichkeit angenommen wird, dass erst im Spiel und Gegenspiel von Antagonisten das Publikumsinteresse an der politischen Bühne entsteht. Dessen Fehlen wird z.B. für die mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber Europa-Themen verantwortlich gemacht. Internationale Dimension 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Verallgemeinerbarkeit bis hin zur internationalen Dimension der Mediengeschichten. „Florida-Rolf“ bleibt nationale Episode, Schill steht allenfalls für einen internationalen Trend zu Populismus und bürgerlichen Protestparteien, van Gogh wird erst durch den Mord zu einem Sinnbild für die Dilemmata der Integrationspolitik, der Tsunami ist per definitionem ein publizistisches Weltereignis. 4. Podiumsdiskussion Medien und Politik: Beeinflussungsrichtungen 5. Anhang 6. Impressum Auch die Verknüpfung zwischen Medien und Politik unterscheidet sich in beiden Geschichten. „Florida-Rolf“ resultierte erst durch die Berichterstattung in politischen Entscheidungen, „Ronald Schill“ griff einen Trend auf und verdichtete ihn zu einer politischen Strömung, „van Gogh“ spitzte antagonistisch gegen eine vermeintlich vorherrschende publizistische Meinung einen Sachverhalt weiter zu und erzeugte schließlich sogar unfreiwillig direkten politischen Handlungsdruck. Beim „Tsunami“ schließlich können alle, Medien und Politik, nur reagieren und schließen sich vor allem zu einer Art Weltgemeinschaft zusammen. 3.2.4 Ausblick Ob Qualität oder Boulevard, Presse oder Fernsehen - die genannten Fälle beziehen ihre Medienstruktur noch sehr stark aus einer allmählich gewachsenen Form des professionellen Journalismus. Einige der Ereignisse haben aber bereits ein Licht auf die schnellen Veränderungen der Medienlandschaft (und in der Konsequenz zweifellos auch ihrer Gesetzmäßigkeiten) geworfen: Durch immer mehr technische und inhaltliche Angebotsoptionen (Breitband, Mobilkommunikation, Gratis-Presse) wird sich der Wettbewerb um Aufmerksamkeit noch einmal verschärfen, wird entsprechend die Suche nach interessanten Medienkonstruktionen wieder zunehmen. Durch den Zugriff jedes Amateurs auf alle Elemente der Verwertungskette, jeder Generierung, Bearbeitung und Verbreitung bis hin zu Weblogs entsteht eine Infrastruktur, die im besten Fall Demokratie und Mediokratie noch näher zusammenwachsen lässt, im schlechtesten Fall aber durch Mangel an Professionalität und journalistischer Verantwortung auch Gerüchten und Verschwörungstheorien Vorschub leistet. Insgesamt mag ein Aufklärungsparadoxon entstehen: Wir verfügen über immer mehr Informationen, können aber immer weniger aufnehmen und orientieren uns an nicht immer sachgerechten Medienkonstruktionen. Die Medien haben insgesamt einen starken Einfluss auf die politische Agenda, ihre Inszenierung schafft Beachtung. Immerhin wächst mit ihrer Vielfalt auch die Kompetenz des Publikums. Eines scheint dabei zuzutreffen: Die so entstandene Kompetenz schafft auch ein angemessenes Feingefühl für die Authentizität von Geschichten und Personen. 29 Titel 3.3 Struktureller Populismus – Verändern die Medien das Politische? Inhaltsverzeichnis Vorwort Prof. Dr. Frank Decker Seminar für Politische Wissenschaft, Universität Bonn 1. Grußwort 3.3.1 Politischer Populismus - erfolgreich (auch) bei den Medien 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie Wenn vom Populismus die Rede ist, so denkt man unweigerlich an jenen Typus neuer Parteien, der in vielen westlichen Demokratien seit Mitte der 1980er Jahre aufgekommen ist und sich in den Parteiensystemen zum Teil dauerhaft etablieren konnte. Dabei handelt es sich überwiegend um Parteien des rechten politischen Spektrums, auch wenn diese Klassifizierung nicht in allen Fällen eindeutig war - man denke nur an die libertäre Populismus-Variante des Niederländers Pim Fortuyn. 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Die Wissenschaft hat dem Phänomen des neuen Rechtspopulismus zunächst wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es herrschte die Erwartung vor, dass die neuen Parteien über kurz oder lang von der Bildfläche wieder verschwinden würden. Entsprechend sah man in ihnen vor allem Protestphänomene, die punktuell auf bestimmte, von der parteipolitischen Klasse vernachlässigte Themen bezogen seien, und verband dies mit der Gewissheit, dass die etablierten Vertreter ihnen diese Themen bald wieder entwinden würden. Nachdem diese Erwartung bis Mitte der 1990er Jahre nicht erfüllt wurde, erwachte das Interesse insbesondere der Politikwissenschaft am neuen Rechtspopulismus allmählich. Angestoßen durch die Ereignisse in Österreich, den Niederlanden und Frankreich setzte dann ausgangs des Jahrzehnts ein regelrechter Boom in der Forschung ein, der noch immer andauert. Dem neuen Populismus war die Aufmerksamkeit der Medien schon früher gewiss, kommen doch die schillernden Anführer der populistischen Parteien in ihrer Fähigkeit zur Selbstdarstellung den journalistischen Sensations- und Neuigkeitsbedürfnissen hervorragend entgegen. Der Blick richtete sich hier also weniger auf die Nachfrageseite - die Frage nach den tiefer liegenden Gründen für den Erfolg der Newcomer - und mehr auf die Angebotsseite. Es dominierte der Blick auf die Parteien selbst, die in ihrem Zuschnitt und Selbstverständnis ganz anders waren als die herkömmlichen Parteien, die Formen ihres Auftretens und der Wählersprache, die von ihnen benutzten agitatorischen Stilmittel und - nicht zuletzt - ihre Betonung des Prinzips der charismatischen Führerschaft. Natürlich war diese Seite der neuen Parteien den wissenschaftlichen Beobachtern nicht entgangen. Allerdings prophezeite man auch in dieser Hinsicht dem Phänomen keine große Beständigkeit. So wie die populistische Agitation irgendwann nicht mehr steigerungsfähig sei und sich dann totlaufen würde - glaubte man -, so würden sich auch die charismatischen Eigenschaften des Führers mittel- und langfristig verbrauchen. Der dann eintretende Niedergang der Partei könne nur abgewendet werden, wenn es ihr gelinge, das persönliche in offizielles Charisma zu verwandeln, also die Partei auf eine stabile organisatorische Grundlage zu stellen. Weil es den Populisten am Sinn für die Notwendigkeit geregelter demokratischer Strukturen mangele, sah man sie dazu aber nicht in der Lage. Vieles davon ist tatsächlich eingetreten, wenn man an Parteien wie die Liste Pim Fortuyn, die dänische Fortschrittspartei oder die Schill-Partei in der Bundesrepublik denkt, die in erster Linie am eigenen Unvermögen gescheitert sind. Am deutlichsten offenbarten sich die Professionalitätsdefizite und inneren Widersprüche des Rechtspopulismus dort, wo die Parteien zur Übernahme von Regierungsverantwortung bereit waren. Die Folgen des Entzauberungsprozesses waren dann in der Regel das vorzeitige Ende der Regierung und ein dramatischer Absturz der Rechtsparteien in der Wählergunst (so in Österreich, den Niederlanden und in Hamburg). Lediglich in Italien scheint Berlusconis Forza Italia die Regierungsrolle nicht wirklich geschadet zu haben. Sie würde eine Neuwahl wahrscheinlich ohne massiven Stimmeneinbruch überstehen - trotz einer mehr als bescheidenen Regierungsbilanz. Der Hauptgrund dafür liegt zum einen in der starken Polarisierung der italienischen Politik, die es Berlusconi ermöglicht, gegen die vermeintlichen Machtbastionen der Linken (insbesondere in der Justiz) im Stile eines Oppositionspolitikers zu Felde zu ziehen. Dadurch kann er sein eigenes Lager zusammenschweißen. Zum anderen verfügt Forza Italia auf 30 Titel Inhaltsverzeichnis der Angebotsseite über Ressourcen, von denen andere Parteien nur träumen können. Die Verquickung von unternehmerischer, politischer und Medienmacht in einer Person, die Berlusconis Regierung schon jetzt zur längsten amtierenden der Nachkriegszeit gemacht hat, ist in den westlichen Ländern ohne Beispiel. Vorwort 3.3.2 Niedergang populistischer Parteien - Gründe 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Trotz dieser Besonderheiten fügt sich der italienische Fall (zu dem neben Forza Italia auch die regionalistische Lega Nord Umberto Bossis gehört) in das Bild eines allgemeinen Erschöpfungszustandes, das den europäischen Rechtspopulismus seit geraumer Zeit umgibt und sich in nachlassender Wählerunterstützung widerspiegelt. Diese Erschöpfung lässt sich im Wesentlichen auf drei Entwicklungen zurückführen. 1.) Zunächst ist da die Unfähigkeit der populistischen Parteien selbst, sich in organisatorischer und politikinhaltlicher Hinsicht zu konsolidieren. Hier haben wir es letztlich mit einem für sie unausweichlichen Dilemma zu tun: Beschreiten die Populisten den Weg von der Fundamentaloppositon zu einer verantwortlichen Regierungspartei und nähern sich auch im Inneren den Strukturen der herkömmlichen Parteien an, dann drohen sie sich jener Protestwählerschaft zu entfremden, der sie ihren Erfolg maßgeblich verdanken. Verharren sie dagegen in der Oppositionsrolle und radikalisieren sie sich noch mehr, laufen sie Gefahr, ihr Wählerpublikum zu langweilen oder zu verstören, das dadurch in die Arme der „Altparteien“ zurückgetrieben werden könnte. Den ersten Weg hat bisher noch keine Partei wirklich konsequent beschritten, so dass wir die These nicht letztgültig überprüfen können. Für die zweite These lassen sich dagegen schon heute einige Anhaltspunkte finden. Als die neuen rechtspopulistischen Parteien in den 1980er Jahren auf den Plan traten, weckte ihr politischer Stil Neugier und wirkte in mancherlei Hinsicht sogar befreiend. Sie konterten die biedere, allzu seriöse Politik der etablieren Parteien mit bewussten Verstößen gegen die politische Korrektheit und einem Auftreten, das primär auf hohen Unterhaltungswert abzielte. Ihr politischer Pioniergeist fügte sich trefflich in die Aufbruchstimmung des neuen Marktes und das hedonistische Klima der Spaßgesellschaft, das den gesellschaftlichen und politischen Zeitgeist in den 1990er Jahren prägte. Nachdem diese Phase spätestens 2001 zu Ende gegangen und eine neue Ära der Ernsthaftigkeit angebrochen ist, passt das spielerische Auftreten der Populisten immer weniger in die politische Landschaft. Statt Tabubrüchen und einer Politik der Beliebigkeit sind wieder substanzielle Problemlösungen gefragt. Weil sie auf diesem Gebiet nichts anzubieten bzw. ihre diesbezügliche Unfähigkeit schon bewiesen haben, büßen die Populisten einen Teil ihrer vormaligen Wählerunterstützung ein. 2.) Der zweite Grund für die nachlassenden Wahlerfolge liegt in der veränderten politischen Agenda. Die Rechtspopulisten sind hier in gewisser Weise ein Opfer der eigenen Erfolge geworden. Auch dort, wo die etablierten Parteien sich einig waren, sie von der Macht fernzuhalten, haben die Herausforderer deren Agenda im eigenen Sinne geprägt. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das wichtigste Mobilisierungsthema der Rechtsaußenparteien: die Zuwanderungsfrage. Nachdem die Einwanderungsregelungen in fast allen europäischen Ländern verschärft wurden und die Absage an einen falsch verstandenen Multikulturalismus inzwischen Allgemeingut geworden ist, bieten sich den Populisten hier immer weniger Gelegenheiten. Auf der anderen Seite gewinnen im Zuge des globalen Standortwettbewerbs Verteilungskonflikte an neuer Bedeutung, die in der Agenda der rechtspopulistischen Parteien bisher vernachlässigt wurden bzw. nur im Zusammenhang mit dem identitätspolitischen Thema der Zuwanderung vorkamen. Hier könnte ein Grund für den Stimmenzuwachs liegen, den linkssozialistische und -populistische Parteien in vielen europäischen Ländern in jüngster Zeit erzielt haben; offenbar sind diese Parteien in der Lage, den Protest der so genannten Modernisierungsverlierer glaubwürdiger zu adressieren als die Rechtspopulisten. 3.) Die dritte Erklärung kann hier nahtlos anknüpfen: So wie den Herausforderern die Protestinhalte von den etablierten Vertretern immer mehr abgenommen worden sind, so haben diese auch die Vorzüge der populistischen Wähleransprache erkannt und nutzen sie für sich - allerdings ohne die für die Rechtspopulisten typischen Entgleisungen. Zumal das mediale Terrain Fernsehen besetzen sie inzwischen so umfassend, dass die Herausforderer zunehmend das Nachsehen haben und mit ihren Botschaften nicht mehr durchdringen können. 31 Titel 3.3.3 Wandlungstendenzen: Populismus in den etablierten Parteien Inhaltsverzeichnis Wenn der Populismus - so meine These - auch als Politikstil in die Sphäre der etablierten Parteien immer weiter vorgedrungen ist, so liegt der Grund dafür nicht allein in dem vordergründigen Motiv, den Populisten ihre Unterstützung zu entziehen, sie gewissermaßen mit den eigenen Waffen zu schlagen. Die populistische Überformung des politischen Prozesses verweist vielmehr auf ganz grundsätzliche (strukturelle) Wandlungstendenzen des Parteienwettbewerbs und Regierungsgeschehens in den modernen westlichen Demokratien, deren Triebfedern sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite liegen. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang Den Wandel werde ich im Folgenden als „plebiszitäre Transformation“ des politischen Prozesses apostrophieren. Sein Hauptkennzeichen liegt in der abnehmenden Bedeutung von klassischen Vermittlungsinstitutionen wie Parlament und Parteien, die durch direkte Beziehungen zwischen Regierung und Wahlvolk ersetzt bzw. überlagert werden. Größter Profiteur dieser Überlagerung sind die Medien. Informations-, Artikulations- und Sozialisationsfunktionen, die früher noch überwiegend von den Parteien und anderen Vermittlungsinstitutionen wahrgenommen wurden, liegen heute immer mehr in ihrer Hand. Die populistischen Neugründungen sind ein Symptom dieser Entwicklung, nicht ihr eigentlicher Grund. Gewiss haben sie den Wandel offensiver vorangetrieben als die etablierten Kräfte. Charakteristisch dafür ist z.B., dass einige ihrer Vertreter in der Wähleransprache deutliche Parallelen zu den amerikanischen Parteien aufweisen, die das plebiszitäre Modell in der bisher reinsten Form verkörpern (z.B. Forza Italia, FPÖ). Darüber hinaus treten die Rechtspopulisten fast überall für die Einführung oder stärkere Inanspruchnahme direktdemokratischer Beteiligungsformen ein, um die Macht der repräsentativen Institutionen zu beschränken. Diese Bemühungen dürfen den Blick auf die tieferliegenden Ursachen des Wandels aber nicht verstellen, die systembedingt sind, das heißt, mit der Funktionsfähigkeit der Demokratie selbst zu tun haben. 6. Impressum Exkurs So wie sie als politisches System in einem Großteil der Welt heute real existiert, bildet die Demokratie eine Synthese aus zwei normativen Prinzipien: der Volkssouveränität (die man auch als demokratisches Prinzip im engeren Sinne bezeichnen könnte) und der Verfassungsstaatlichkeit. Beide liegen in einem komplementären Spannungsverhältnis zueinander. Postuliert das Demokratieprinzip eine Regierungsform, in der Herrschaft stets unter Berufung auf den Willen des Volkes bzw. der Mehrheit des Volkes ausgeübt wird, so ist der Verfassungsstaat die Antwort auf das Paradoxon, dass sich eine solche Demokratie mit demokratischen Mitteln selbst abschaffen kann (wenn es das Volk bzw. die Mehrheit des Volkes so beschließt). Verfassungsstaatliche Strukturen laufen also auf eine Befestigung der Demokratie hinaus, indem sie deren Herrschaftsanspruch begrenzen. Sie sorgen dafür, dass die vom Volk bestellten Herrschenden in ihrer Machtausübung kontrolliert werden und definieren einen Bereich geschützter Rechte, über die keine demokratische Mehrheit - sei sie auch noch so groß - verfügen kann. Institutionell durch verschiedene Formen der organschaftlichen Gewaltenteilung verbürgt, findet das verfassungsstaatliche Prinzip seinen sichtbarsten Ausdruck heute in der justiziellen Normenkontrolle. Wird die Reichweite des demokratischen Herrschaftsanspruchs durch die Verfassung äußerlich begrenzt, so unterliegt das Prinzip der Volkssouveränität auf der anderen Seite auch immanenten Schranken. Allein aufgrund ihrer Größe können die demokratischen Systeme das Herrschaftsproblem nur mittels Repräsentation lösen. Volkssouveränität heißt also nicht, dass das Volk selber die Regierungsgeschäfte führt, sondern dass es bestimmte Personen oder Personengruppen beauftragt, die Regierungsgewalt stellvertretend in seinem Namen und Interesse auszuüben. Faktisch hat das zur Folge, dass neben die Herrschaft der Vielen die Herrschaft der Wenigen tritt. Realistisch betrachtet ist eine Demokratie ohne ausgewähltes Führungspersonal, das die Leitungsfunktionen übernimmt und über entsprechende Machtprivilegien verfügt, nicht vorstellbar. Die Frage lautet nur, ob das auch so sein sollte. In der normativen Demokratiediskussion scheiden sich daran bis heute die Geister. Die Grundkontroverse zwischen konstitutioneller und „populistischer“ Demokratieauffassung spiegelt sich also auch in der Interpretation des Volkssouveränitätsprinzips wider. Die einen sehen 32 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum die Regierungsgewalt am besten in der Hand einer qualifizierten Führungsgruppe aufgehoben, die ihre Verantwortung für das Volk allein aus der Sache heraus wahrnimmt, ohne den wechselnden Stimmungen und Meinungen des Publikums nachzulaufen; die anderen halten dafür, dass dem Volk ein möglichst unmittelbarer Einfluss auf die Politik zugestanden werden muss, weil nur so ein Höchstmaß an Übereinstimmung zwischen Regierenden und Regierten zu erreichen sei. Die repräsentative stimmt mit der konstitutionellen Demokratiekonzeption in der Betonung des deliberativen Charakters der politischen Entscheidungsprozesse überein; sie ist deshalb auf eine möglichst breite Interessenberücksichtigung hin angelegt. Die populistisch-plebiszitäre Demokratiekonzeption setzt demgegenüber anstelle des geduldigen Aushandelns die Dezision. Sie möchte die vorhandene Interessenvielfalt in einer mehrheitsdemokratischen Entscheidungsbefugnis aufgehoben sehen, die auf Ausgrenzung beruht und damit polarisierend wirkt. Von daher erklärt sich auch das Bedürfnis nach homogenen Identitätskonstruktionen, der Drang, das Volk als vorgestellte Einheit nicht nur im Inneren gegen die herrschenden Eliten, sondern auch nach außen hin von anderen Völkern und Nationen zu unterscheiden; dies weist den Populismus als eine im Kern antipluralistische (oder antiliberale) Ideologie aus. Die plebiszitäre Transformation des politischen Prozesses muss vor dem Hintergrund einer Entwicklung gesehen werden, die das Volk in der Vergangenheit vom eigentlichen Regierungsgeschehen immer weiter abgekoppelt hat. Das liegt vor allem in der wachsenden Komplexität der Entscheidungsmaterien begründet, der das politische System durch Verrechtlichung, Supranationalisierung und Informalisierung der Entscheidungsabläufe (und -inhalte) gerecht zu werden versucht. Die Folgen dieser Entwicklung für die Demokratie sind prekär. Denn in dem Maße, wie die Regierungsprozesse infolge der komplizierten Probleme technokratischer werden, werden sie für das Publikum zugleich undurchschaubarer und abgehobener. Margaret Canovan hat das einmal als „demokratisches Paradoxon“ der heutigen Politik bezeichnet. Der Populismus stellt eine Reaktion auf dieses Paradox dar. Mit seinem Hang zur radikalen Simplifizierung vermittelt er jenes Gefühl der Eingängigkeit und Transparenz, das in der demokratischen Wirklichkeit offenbar auf der Strecke geblieben ist. Die Gegenbewegung bleibt dabei keineswegs auf die rechtspopulistischen Herausforderer beschränkt. Unterstützt durch den Wandel des Mediensystems greift sie vielmehr auf das gesamte Spektrum der elektoralen Politik über, deren Darstellungslogik sich insofern von den realen Entscheidungsprozessen immer mehr entfernt. Die Politik wird introvertierter und gleichzeitig extrovertierter. 3.3.4 Konsequenzen des populistischen Politikstils Als Daniel Bell in den 1960er Jahren seine These vom „Ende der Ideologien“ formulierte, lag der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus noch ebenso in Ferne wie der beschleunigte Globalisierungsprozess. So wie die Blütenträume eines sozialistischen oder anderen „dritten“ Weges jenseits des Kapitalismus endgültig verflogen sind, so ist auch die Fähigkeit der demokratisch verfassten Nationalstaaten, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung aktiv zu gestalten, seither deutlich geschrumpft. An die Stelle autonomer Politik tritt vermehrt der bloße Nachvollzug heteronomer Sachgesetzlichkeiten. Für die parteipolitischen Akteure erwächst daraus ein schwieriges Dilemma. Einerseits kommen sie nicht umhin, sich in ihren programmatischen Standpunkten und tatsächlichen Handlungen anzugleichen, wenn sie den Sachgesetzlichkeiten Rechnung tragen wollen. Andererseits beruht die Legitimität des in Wahlen ausgetragenen demokratischen Wettbewerbs gerade darauf, dass es einen Unterschied macht, wer regiert. Um beide Anforderungen unter einen Hut zu bringen, haben die politischen „Anbieter“ im Prinzip drei Möglichkeiten. Die erste Strategie besteht darin, vor der Wählerschaft auf die unterschiedlichen Details in den Problemlösungen zu verweisen. Sie erscheint am wenigsten praktikabel - weil die Details in der Regel kompliziert sind und sich nur schwer vermitteln lassen, würde ein ausschließlich an der Sache orientierter Wahlkampf das Publikum im Zweifel überfordern oder langweilen. Zweitens könnten die Parteien Themen außerhalb der Sozial- und Wirtschaftspolitik aufgreifen, bei denen ihre Positionen stärker auseinander klaffen. Hier wäre insbesondere an wertebezogene Fragen zu denken, in bestimmten Situationen vielleicht auch an die Außenpolitik. Eine solche Strategie funktioniert allerdings nur für den Fall, dass diese Themen auf der Agenda ganz nach oben gelangen, was in der Bundesrepublik bislang die Ausnahme gewesen ist (etwa bei 33 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum der Bundestagswahl 2002). Zudem lässt sich die Priorisierung der Themen von den Parteien in einer pluralistischen Gesellschaft nicht einseitig steuern. Größeren Nutzen verspricht da die dritte Möglichkeit, die den Charakter der heutigen Wahlkämpfe am besten umschreibt: das Ausweichen auf Personalisierung, Inszenierung und politische Symbolik. Ihre Logik besteht darin, den Wettbewerb zu „entsubstanzialisieren“, die Verpackung anstelle des Inhalts zu setzen. Ein verantwortungsvoller Gebrauch dieser Strategie fällt nicht leicht. Denn hier beginnt zugleich das Reich der Verführung, wo man unhaltbare Versprechungen macht, eine in Wahrheit längst verloren gegangene Handlungsmacht vortäuscht und sich in populistischer Stimmungsmache übt. Geben die Politiker dieser Versuchung allzu sehr nach, drohen sie die Legitimität der gesamten Parteiendemokratie zu untergraben. Exkurs In der Vergangenheit war es die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlicher Segmentierung und ideologischer Polarisierung, welche die demokratische Funktionalität des Parteiensystems gewährleistete und damit zugleich eine Schutzvorkehrung gegen den Populismus bildete. Die Massenintegrationsparteien waren repräsentativ, indem sie eine klar umrissene politische Identität ausbildeten. Sie standen für die Interessen ganz bestimmter Bevölkerungsgruppen und waren in deren gesellschaftlichen Milieus fest verankert. Pflegten die Parteien diese Bindungen, konnten sie sich auf die Unterstützung ihrer natürlichen Anhängerschaft verlassen. Die Parteien verfügten über gesicherte Stimmanteile und brauchten sich deshalb um die Stimmen der Konkurrenz nicht sonderlich zu scheren. Auch nachdem die ideologischen Gegensätze allmählich verblassten und ihr gesellschaftlicher Rückhalt schwächer wurde, gelang es den Parteien zunächst weiter, ihre jeweilige Klientel bei der Stange zu halten. Dafür sorgte eine Politik der materiellen Interessenbefriedigung. Die hohen Wachstumsraten in der „Goldenen Ära“ des Keynesianismus hielten nicht nur die Arbeitslosigkeit gering, sie führten auch dazu, dass der Wohlfahrtsstaat stetig ausgebaut werden konnten und es für alle genügend zu verteilen gab. Doch schon in den 1970er Jahren änderte sich das Bild. Wachstumseinbrüche und die zunehmende finanzielle Überforderung des Staates machten es schwieriger, die Interessenunterschiede innerhalb der Wählerschaft ökonomisch zu überbrücken. Hinzu kam, dass Teile der Gesellschaft - unter dem Einfluss des Wertewandels - jetzt auch grundsätzliche Zweifel am Verteilungsparadigma hegten. Die Politik geriet in das Dilemma, einerseits die Negativfolgen des auf Wachstum programmierten industriegesellschaftlichen Systems bekämpfen und andererseits die Grundlagen eben dieses Wachstums sichern zu müssen. Nachdem die Globalisierung der Finanzmärkte die Möglichkeiten einer nachfrageorientierten Vollbeschäftigungspolitik („Keynesianismus in einem Lande“) drastisch eingeschränkt hatte, musste sie dazu verstärkt auf angebotsseitige Maßnahmen zurückgreifen, die in vorhandene Besitzstände eingriffen. Im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit mussten Löhne und Lohnersatzleistungen begrenzt und der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden. Auch in der Kranken- und Altersversicherung galt es, das Versorgungsniveau zu reduzieren, wenn man einen weiteren Anstieg der Arbeitskosten verhindern und zugleich den Auswirkungen des demographischen Wandels begegnen wollte. Während die konsensdemokratischen Systeme in Schweden, Dänemark oder den Niederlanden mit diesen Herausforderungen vergleichsweise gut fertig geworden sind, hat die Bundesrepublik die nötigen Reformen lange Zeit vor sich her geschoben. Erst im Jahre 2003 kam es unter der rotgrünen Regierung Gerhard Schröders zu einer größeren Kraftanstrengung, für die der sozialdemokratische Teil der Koalition prompt mit massivem Stimmentzug bestraft wurde. Da die SPD ihre Wähler vor der Bundestagswahl 2002 über den einzuschlagenden Kurs im Unklaren gelassen hatte, musste sie mit dieser Quittung rechnen. Aus elektoraler Sicht war ihr damaliges Handeln nachvollziehbar. Die kompetitive Logik des bundesdeutschen Parteiensystems, nach der die Großparteien um eine zunehmend wechselbereite Wählerschaft buhlen müssen, macht die Akteure jedoch nicht unbedingt geneigt, unangenehme Wahrheiten zu verkünden, wenn sie im Rennen um die Wählergunst die Nase 34 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung vorn haben wollen. Der Drang zur Mitte wirkt hier in doppelter Hinsicht verhängnisvoll. Zum einen hält er die Parteien davon ab, jenen Mittelschichten, die vom Ausbau des Wohlfahrtsstaates in der Vergangenheit am meisten profitiert haben, die nötigen Reformen zuzumuten, weil diese das Gros ihrer (potenziellen) Wähler ausmachen. Zum anderen nimmt er ihnen die Fähigkeit - und zum Teil auch den Willen -, die randständigen Bevölkerungsgruppen zu repräsentieren, die fürchten, vom Modernisierungsprozess - ökonomisch und kulturell - abgekoppelt zu werden. Diese „Modernisierungsverlierer“ stellen - wie oben gesehen - heute die wichtigste Wählerreserve rechtsextremer oder -populistischer Protestparteien dar. 3.3.5 Mitverantwortung der Medien 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Wenn die bisher vorgelegte Diagnose stimmt, dann ist von der Politik vor allem Führungswillen und -fähigkeit gefordert. Für die Parteien heißt das z.B., dass ihre programmatische Funktion heute im Zweifel eine noch wichtigere Bedeutung gewinnt als früher, wo sie in erster Linie der ideologischen Selbstvergewisserung der eigenen Klientel diente. Die Abstrafung der Agenda-Politik des aus dem Amt geschiedenen Kanzlers hat gezeigt, was passiert, wenn man die politische Richtung ständig verändert und die Wähler auf dem einzuschlagenden Weg nicht rechtzeitig mitnimmt. Falsch wäre es aber, die Forderung nach Führung „voluntaristisch“ zu überhöhen. Dieselben Gründe, die Führung heute so notwendig erscheinen lassen, machen sie zugleich zu einem schwierigen Unterfangen. Dies gilt nicht nur für die eben beschriebenen Versuchungen des Parteienwettbewerbs, das elektorale Interesse über die eigentliche Problemlösung zu stellen. Es zeigt sich auch an anderen Erscheinungsformen des parteiendemokratischen Systems, die eine konsistente und problemlösende Politik „aus einem Guss“ behindern. Der Regierung „handwerkliche Fehler“ vorzuwerfen, gehört mittlerweile zum Standartrepertoire der Oppositionsparteien. Hier muss die Frage gestellt werden, ob solche Fehler nicht vielleicht auch strukturelle Ursachen haben. Exkurs Eine (von der Politikwissenschaft hinlänglich bestätigte) Ursache könnte darin liegen, dass im deutschen Regierungssystem die Handlungsmöglichkeiten der gewählten Bundesregierung durch eine (zu) hohe Zahl von Vetospielern über Gebühr beschränkt werden. Als Problem erweist sich hier insbesondere der Föderalismus, der durch seine hochgradig verflochtenen Strukturen zu Entscheidungsblockaden tendiert, statt ein produktives Zusammenwirken der beteiligten Institutionen und Akteure zu gewährleisten. In normalen Zeiten haben sich diese Strukturen als Fehlervermeidungssystem glänzend bewährt. Unter Reformstress geraten sie jedoch immer mehr zu einer Fehlerquelle, wie die Verabschiedung des großen Gesetzespaketes zur Steuer-, Gesundheits- und Arbeitsmarktreform im Vermittlungsausschuss Ende 2004 eindrucksvoll gezeigt hat. Wenn der Bundeskanzler und die CDU-Vorsitzende glauben, eine so komplizierte Frage wie die Zahnersatzregelung in einem nächtlichen Telefonat mal eben selbst aushandeln zu können, braucht man sich über das Ergebnis nicht zu wundern. Weiter steigt mit wachsender gesellschaftlicher Differenzierung die Zahl der Akteure und Interessen, die im politischen Prozess berücksichtigt werden wollen. Die Konsequenz ist eine immer rascher voranschreitende Verrechtlichung der sozialen Beziehungen, die sich durch die europäische Integration noch beschleunigt hat. Experten schätzen, dass heute bereits mehr als die Hälfte der nationalen Gesetze allein durch europäisches Recht beeinflusst bzw. veranlasst werden. Um nicht in Handlungsunfähigkeit zu erstarren, muss das politische System diesen Komplexitätszuwachs irgendwie bewältigen. Die dazu eingesetzten Strategien - Auslagerung der Regierungsgeschäfte in spezialisierte Kommissionen, in denen Experten und Interessenvertreter unter sich bleiben, und/oder Informalisierung des Entscheidungsprozesses an der Regierungsspitze - haben allerdings ihren Preis. Indem sie den Handlungsspielraum der Regierung verbreitern, erhöhen sie zwar einerseits die Entscheidungseffizienz. Andererseits entwerten sie jedoch die demokratisch verfassten Regierungsorgane und tragen so zur weiteren Delegitimierung des Systems bei. Die Schwierigkeit politischer Führung rührt nicht zuletzt aus der Ominipräsenz der Medien, die die Politik heute in einen andauernden plebiszitären Belagerungszustand versetzen. Dies führt dazu, dass die öffentliche Darstellung der Entscheidungen mit deren tatsächlichem Inhalt und Zustandekommen immer weniger zu tun hat. Autoren wie Thomas Meyer gehen sogar so weit, von einer „Kolonisierung“ 35 Titel zu sprechen, bei der das Mediensystem die Politik seiner eigenen Handlungslogik unterwerfe. Inhaltsverzeichnis Die Gründe dafür liegen zunächst in der technologischen Entwicklung, die in den 1980er Jahren durch die Vervielfachung des Programmangebots zu einer Verbesserung der Zugangschancen für Parteien und Politiker zu den elektronischen Medien geführt hat. In Verbindung mit den oben beschriebenen Versuchungen des Parteienwettbewerbs gewinnt diese ständige mediale Verfügbarkeit Brisanz. Dass die Politiker heute im Fernsehen gut „rüberkommen“ wollen und sich deshalb in der (Selbst-)Darstellung den Gesetzen des Mediums anpassen, wird ihnen im Ernst niemand vorwerfen. Die eigentlichen Probleme beginnen dort, wo die Darstellungslogik die Oberhand gewinnt und auf die materiellen Entscheidungen zurückwirkt. Wenn die politischen Akteure sich von Stimmungen nicht nur leiten lassen, sondern diese Stimmungen selbst aktiv herbeiführen und beeinflussen, dann droht die plebiszitäre Ansprache in Gefälligkeitspolitik und populistische Anbiederung abzugleiten. Hinzu kommt, dass die Medien in ihrem Hang zur Personalisierung und Dramatisierung jenen Allmachtsmythos der Politik bestärken, den diese bei der Wählerschaft erzeugen will. In Wahrheit wissen es beide besser. Die Journalisten drehen also einerseits selbst kräftig mit an der Spirale der Erwartungen. Auf der anderen Seite stellen sie die Politiker an den Pranger, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden bzw. sich als unhaltbar erweisen. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Das heißt aber, dass die Medien für den Ansehensverlust des parteiendemokratischen Systems auch ganz unmittelbar verantwortlich sind. Weil negative Berichterstattung mehr Resonanz verspricht als positive, ist die Haltung, die sie der politischen Klasse gegenüber an den Tag legen, grundsätzlich gegnerschaftlich. Nicht wenige Sozialwissenschaftler sehen hierin den eigentlichen Grund für den empirisch nachweisbaren Anstieg der Politikverdrossenheit. Bei der Frage, warum die Medien immer negativer berichten, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Manche führen dies vor allem auf das veränderte Selbstverständnis der Journalisten (infolge des Generationswechsels) zurück, während andere Autoren die Kommerzialisierung des Mediensystems als Hauptursache hervorheben. Beiden Erklärungen ist gemeinsam, dass sie die negative Darstellung der Politik als unabhängig betrachten von deren realen Leistungen und Versäumnissen. Nach den hierzu vorliegenden empirischen Untersuchungen* wurden diese Leistungen von der bundesdeutschen Bevölkerung bis Anfang der 1990er Jahre durchaus positiv bewertet - zu einem Zeitpunkt also, als die Politikverdrossenheit bereits angestiegen war. Eine Erklärung für diesen Widerspruch* liegt sicher darin, dass die Politiker heute dank der Umfragen besser als früher imstande sind, sich responsiv zu verhalten. Zum anderen stellt die Responsivität nur ein Durchschnittsmaß dar, das die unterschiedliche Dringlichkeit der Themen unberücksichtigt lässt. Es ist also möglich, dass sich die Negativurteile auf diejenigen Themen konzentrieren, die hohe Medienaufmerksamkeit erzielen und von der Bevölkerung als besonders wichtig eingestuft werden. Genauso nahe liegend scheint es aber, die Erklärung in den unterschiedlichen Gegenständen von „Responsivität“ und „Verdrossenheit“ zu suchen. Während Responsivität die Einstellungen der Bevölkerung zu ganz konkreten Sachfragen (issues) misst, geht es bei der Verdrossenheit um allgemeine Bewertungen der politischen Klasse und ihrer Institutionen. Dass diese häufig vorurteilsbeladen sind und darum im Tenor negativer ausfallen als die Sachurteile, ist nicht sonderlich überraschend. Dies gilt umso mehr, als die mit der Verdrossenheit zusammenhängenden Themen (Amtsmissbrauch, Korruption, Verschwendung von Steuergeldern etc.) aufgrund ihres höheren Nachrichtenwertes von den Medien regelmäßig in den Vordergrund gespielt werden. Hieraus könnte man den Schluss ziehen, dass es sich bei der behaupteten Politikverdrossenheit zumindest teilweise um ein demoskopisches Konstrukt handelt. * Vgl. Frank Brettschneider, Öffentiche Meinung und Politik. Eine empirische Studie zur Responsivität des deutschen Bundestages zwischen 1949 und 1994, Opladen 1995. 3.3.6 Problemlösung - ein Vorschlag Wir haben festgestellt, dass es in den heutigen westlichen Demokratien einen eingebauten Populismus gibt, der sich in einer plebiszitären Überformung der politischen Prozesse widerspiegelt. Diese Transformation hat strukturelle Ursachen, die letztlich auf das Regierensgeschehen selbst und dessen zunehmende Komplexität zurückverweisen. Der Populismus (der Herausfordererparteien wie auch der im politischen System eingebaute) stellt wiederum eine Reaktion darauf dar. 36 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Bemächtigen sich die etablierten Kräfte populistischer Politikinhalte und Stilmittel, so kann das kurzfristig dazu beitragen, das Aufkommen eines systemfeindlichen Populismus von rechts- oder linksaußen zu begrenzen. Mittel- und langfristig birgt aber auch der eingebaute Populismus Gefahren, da er einerseits negative Auswirkungen auf die Entscheidungsinhalte haben könnte, und er andererseits die von der Verfassung vorgegebenen institutionellen Entscheidungsabläufe unterminiert. Eine Lösung dieser Probleme könnte vielleicht darin liegen, dass man die plebiszitären Elemente aus der elektoralen Sphäre herauslöst und in die Sphäre der eigentlichen Sachentscheidungen verlagert. Für die Bundesrepublik wäre in diesem Zusammenhang z.B. an eine behutsame Einführung von Instrumenten der Volksgesetzgebung auch auf Bundesebene zu denken. In dieselbe Richtung weisen die in der neueren Forschung empfohlenen Beteiligungsformen einer assoziativen oder Netzwerkdemokratie, die sachlich und/oder räumlich abgestuft sind und auf eine Stärkung des deliberativen Moments bei der Entscheidungsfindung abzielen. Die Einführung neuer Demokratieformen bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Parteienwettbewerb seiner elektoralen Funktion gänzlich beraubt wird. Er behält diese Funktion schon deshalb, weil es prinzipiell möglich bleiben muss, eine unfähige oder korrupte Regierung loszuwerden („to throw the scoundrels out“). Für die inhaltliche Politikgestaltung wäre es hingegen besser, das mehrheitsdemokratische Element zurückzudrängen und den Fokus der Demokratisierung auf die konsensuellen Entscheidungsmechanismen zu richten, die für neue Mitwirkungsmöglichkeiten geöffnet und in ihrer Responsivität gestärkt werden müssten. Die veränderten Rahmenbedingungen des Regierens führen dazu, dass die demokratische Politik heute nicht weniger, sondern mehr Konsens benötigt. Von daher wächst auch der Bedarf, die Entscheidungsprozesse durch eine möglichst enge Anbindung an die Betroffenen legitimatorisch abzusichern. Im Umkehrschluss heißt das: Die Gefährdungen durch den Populismus sind dort am größten, wo sie die bereits vorhandenen Konsenseigenschaften des politischen Systems unterminieren. Je mehr sich die plebiszitären Tendenzen Bahn brechen, umso wichtiger werden die freiheitssichernden Schutzvorkehrungen des Verfassungsstaates. Solange die rechtspopulistischen Kräfte in der Opposition verharren und als reine Protestparteien auftreten, dürfte von ihnen für die verfassungsmäßige Ordnung keine unmittelbare Bedrohung ausgehen. Bedenklich wird es erst, wenn sie über Regierungsmacht verfügen und ihre plebiszitären Demokratievorstellungen aktiv betreiben können. Die Erfahrungen nach der Machtbeteiligung bzw. -übernahme rechtspopulistischer Parteien in Österreich und insbesondere Italien zeigen, dass diese Befürchtungen keineswegs aus der Luft gegriffen sind. Sie können auch nicht durch die Hoffnung aufgewogen werden, dass die Rechtspopulisten an der Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern, wie es in Österreich und den Niederlanden zuletzt der Fall war. Der Blick nach Lateinamerika oder Osteuropa macht deutlich, dass es von der populistischen Demokratie zum quasi-demokratischen Autoritarismus häufig nur ein kurzer Weg ist. Die entwickelten demokratischen Staaten mag das einstweilen noch nicht betreffen. Dennoch sollten sie die vom Populismus ausgehenden Gefahren ernst nehmen und einer plebiszitären Verwandlung ihrer Regierungssysteme schon heute vorsorglich entgegentreten. 37 Titel 4. Podiumsdiskussion Inhaltsverzeichnis Teilnehmer: Vorwort Helmut Heinen, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Berlin, und Geschäftsführender Gesellschafter, Heinen-Verlag GmbH, Köln, 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse Prof. Dr. Thomas Meyer, Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik, Süddeutsche Zeitung, München Klaus Schrotthofer, Chefredakteur, Westfälische Rundschau, Dortmund Moderation: 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? Ingrid Scheithauer, freie Journalistin, Meckenheim 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang Ingrid Scheithauer: Am Abend der Bundestagswahl (18. September 2005) gab es heftige Schelte für die Medien, und wenige Tage später legte Bundesinnenminister Otto Schily beim Jahreskongress des BDZV noch einmal nach und sagte wörtlich: „Die Medien wollen sich an die Stelle des Souveräns setzen und quasi das Wahlvolk ersetzen.“ 6. Impressum Solche Vorwürfe kennt man aus den 1970er, 1980er Jahren, diesmal haben sie aber eine andere Qualität. Herr Meyer, weist Herr Schily mit diesen Vorwürfen auf eine etwas hilflose Art auf die Disfunktionalität des Systems hin, oder ist das die politische Attacke eines enttäuschten Wahlverlierers? Thomas Meyer: Schily hat natürlich eine Entlastungsschlacht für Schröder geschlagen nach dieser etwas verunglückten Attacke am Wahlabend. Schröder aber hat aus einer enttäuschten Haltung heraus - nämlich der Enttäuschung dessen, der einstmals der Medienliebling war, auf Kosten seiner eigenen Partei mit medialen Strategien profiliert hat und über diese Strategien dann in der Partei etwas geworden ist - manches überzeichnet. Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, dass man differenziert. Wir haben hier die ganze Zeit über Medien und das Mediensystem gesprochen, und es gibt ganz sicherlich eine Reihe von Grundregeln, von Tendenzen, die im Mediensystem insgesamt zu beobachten sind. Es ist zu unterscheiden zwischen den Qualitätsmedien, die zuverlässig in fast allen Fällen eine differenzierte, informationsorientierte oder dann auch klar unterscheidbare Meinungsstrategie verfolgen - und verschiedenen Boulevardmedien, die Kampagnen fahren, die argumentativ nicht abgedeckt sind, also emotionale Kampagnen sind. Dasselbe gilt auch für den Rundfunk, hier gibt es sowohl Qualitäts- als auch Boulevard-Elemente. Aber es ist offensichtlich, dass solche Boulevard-Medien wie die BILD-Zeitung von Anfang bis Ende in einer unfairen Art und Weise eine Kampagne gegen die SPD, gegen Schröder geführt haben. Das kann man anhand von zahlreichen Beispielen belegen. Und Schröder sah eben Parteilichkeit - da hat er nicht ganz unrecht - bei den meisten Medien, bis hinein in die Qualitätsmedien, die ihn von Anfang an als den Verlierer gebrandmarkt haben. Das war wiederum nicht ganz unverständlich angesichts der Tatsache, dass er das Vertrauen im Bundestag verloren hatte, wie er selbst gesagt hatte. Jedenfalls hätte er mehr Offenheit in der Berichterstattung erwartet. Aber er hat diese Kritik auf eine sicherlich überzogene Art und Weise artikuliert, und Schily als jemand, der ihn entlasten wollte, auch. 38 Titel Ingrid Scheithauer: Herr Heinen, Bundesinnenminister Schily war beim BDZV-Kongress zu Gast, hat Sie aber nicht sehr erfreut an diesem Tag. Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Helmut Heinen: Richtig. Herr Schily hat mit uns eine Kontroverse mit einem Spezialthema, der Durchsuchung der Redaktion von CICERO in Potsdam, begonnen. Insbesondere war die sehr pauschale Medienschelte, die er vorgetragen hat, sehr ärgerlich. Wenige Tage danach wurde vom Bundespresseamt noch einmal ausdrücklich bestätigt, dass dies nicht die Einzelmeinung des Innenministers, sondern Regierungsmeinung sei. Ich denke, ein großer Teil dieser Verärgerung auf Regierungsseite ist darauf zurückzuführen, dass vermeintlich traditionell der Sozialdemokratie nahe stehende Medien wie Stern, Spiegel, die ARD wahrgenommen wurden als solche, die in diesem Chor der „Schlechtredner“ mit eingestimmt haben. Das zeigt für mich, dass dieser breite Vorwurf eines Kampagnenjournalismus wenig berechtigt ist. Ich glaube, was die Presse aufarbeiten muss, ist das Ausruhen auf den Demoskopieergebnissen. Dieses blinde Vertrauen auf die anfangs sehr krassen Werte, auf die Kommentare wie nach einer ausgezählten Wahl aufgebaut wurden. Ich denke, das ist ein medieninternes Problem, auf das man den Finger zu Recht legen kann. Aber mir scheint es weniger berechtigt, hier eine große Krise im Sinne eines breiten Kampagnenjournalismus zu identifizieren. Das ist eher die Reaktion der Betroffenen, die eben Kritik nicht schätzen, insbesondere, wenn sie sich gegen die eigene Person und gegen die eigene Regierung richtet. Ingrid Scheithauer: Herr Prantl, gab es aus Ihrer Sicht Kampagnenjournalismus in einem etwas überbordenden Ausmaß, oder ist es so, wie Herr Heinen sagt - dass sich da jemand getroffen fühlte, wo er mehr Zustimmung erwartet hätte von ehemals nahe stehenden Medien? Heribert Prantl: Natürlich gab es Kampagnenjournalismus. Ich bin bloß nicht der Meinung von Kanzler Schröder und Innenminister Schily, dass Kampagnenjournalismus einen Missbrauch der Pressefreiheit darstellt. Ich bin kein Befürworter von Kampagnenjournalismus, sondern ich meine, er ist letztendlich ein selbst schädigendes Verhalten, weil man so die Glaubwürdigkeit der eigenen Profession kaputtmacht. Aber hier mit der Keule der Pressefreiheit und deren Missbrauch zu kommen, halte ich für falsch. Nun stellt sich die Frage, wie hat die Kampagne ausgeschaut? Da gibt es mittlerweile alle möglichen deftigen Stellungnahmen. Beispielsweise, weil gerade Professor Meyer davon gesprochen hat, dass eigentlich nur das Boulevard richtig anfällig gewesen sei: Ich setze mal die Meinung eines alten taz-Kollegen dagegen, der sagt, dass der Spiegel, das frühere „Sturmgeschütz der Demokratie“, spätestens in diesem Wahlkampf umgerüstet worden sei zur „Spritzpistole“ der Angela Merkel. Das ist deftig und heiter formuliert, aber da ist durchaus etwas dran. Und ich denke, Ähnliches kann man auch in anderen, früher als liberal apostrophierten Medien finden. Ich plädiere schon dafür, die massiv überzogene Kritik, zumal die von Schily, nicht einfach abzubügeln, sondern sie als Anlass zur Gewissenserforschung herzunehmen. Es ist richtig, dass der Boulevard in gewisser Weise in die seriösen Medien Einzug gehalten hat. Was ich beklage, und da beziehe ich mein eigenes Blatt mit ein: Es gibt so etwas wie Kikeriki-Journalismus. Man steht wie der Gockel auf dem Mist und schreit jeden zweiten Tag: Ich hab´ was ganz Besonderes, Neues! Ich hab´ was Exklusives! Und wie Exklusivnachrichten gemacht werden, weiß jeder, der sich in der Branche auskennt. Jeder von uns kann hergehen und kann für morgen eine Exklusivnachricht produzieren. Beispiel: Im Streit um die Erhöhung der Erbschaftssteuer setzt sich der Korrespondent am Morgen ans Telefon, schlägt das Verzeichnis der üblichen Verdächtigen auf und ruft jemanden aus der SPD oder von den Grünen an. Er kriegt eine Stellungnahme, die deutlich von dem abweicht, was bisher der Parteivorstand sagt. Das wird am nächsten Tag unter der Schlagzeile „Streit in der SPD über Vermögenssteuer“ publiziert; am Tag darauf antwortet jemand anderer wieder exklusiv in der SZ oder sonst wo auf dieses Quote; dann heißt die Schlagzeile „Streit in der SPD spitzt sich zu“, und am übernächsten Tag „Chaos in der SPD über die Steuerreform“. Am vierten Tag erklärt sich womöglich der Kanzler, und das Ganze ist dann Politik. Das ist schlichtweg das Umlaufen eines Nonsens-Apparates - eines Windes, den wir selbst machen. Und so entsteht ein Stück weit diese Hysterie, die auch wieder wir beklagen. Im Nach-Wahlkampf 39 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum in den letzten drei Wochen war es durchaus nicht unähnlich; viele dieser Koalitionsmodelle, die angeblich heftig diskutiert wurden, haben wir Journalisten erfunden. Es ist ja nicht so, dass Claudia Roth und Angela Merkel und Edmund Stoiber die Jamaikas oder sonstigen Modelle im stillen Kämmerlein ausgeheckt hätten als überlegene Strategie. Diese Modelle waren von uns in Schlagzeilen als Möglichkeiten dargestellt worden. Man muss bei solchen Geschichten - und wenn´s um Hysterie geht, schon allemal - fragen: Wer ist das Ei, und wer ist die Henne? Als ich neulich im Leitartikel zum 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, mir Gedanken zur Enthysterisierung der Politik in Deutschland gemacht habe, ist mir als Erstes eingefallen, doch einmal drei Wochen jeglichen Journalismus zu stoppen. Möglicherweise wäre dann die Politik und die Koalitionsverhandlerei weiter, als sie mit unserer Begleitung ist. Ingrid Scheithauer: Herr Schrotthofer, könnten Sie drei Wochen Ihren Laden schließen, alle in Urlaub schicken und dann beim Stand XY weitermachen? Klaus Schrotthofer: Nein, aber das muss auch gar nicht sein. Ich stimme Herrn Prantl in fast allem zu. Ich würde Abstriche machen, wenn er von „uns“ spricht und „den Medien“ - da muss man differenzieren. Es gibt tatsächlich eine Dauerhysterie, die von den Medien mitproduziert wird und von willigen, meist karrierebewussten Helfern aus der Politik. Diese Medienmaschinerie wird auch befeuert von Politikern, die sich dann, wenn es nicht so gut läuft, darüber beschweren, dass es diese Medienmaschinerie gibt. Ich glaube, dass wir insgesamt schon weiter wären, wenn wir uns darauf beschränkten, das zu berichten, was wirklich ist, und nicht das, was sein könnte, und was vielleicht gewesen wäre und was irgendwelche Referenten in irgendwelchen Entwürfen gerade diskutieren. Das sorgt für diese Hysterie und dieser Wettbewerb um die Soundbites versaut letztlich die Glaubwürdigkeit der ganzen Zunft. Es ist noch schlimmer, als Heribert Prantl sagt: Auf dem Berliner Medienmarkt können Sie beobachten, dass zum Teil Interviews, die am Sonntag oder Montag erscheinen, in Zusammenfassungen schon am Samstag Vormittag an die Agenturen gegeben werden, die den Inhalt ein bisschen anspitzen. Es gibt dann Diskussionen, bei denen sich Politiker auf Agentur-Vorabmeldungen beziehen, und es entspinnt sich ein munterer Streit noch vor Erscheinen des Ursprungstextes. Und wenn sie den dann überprüfen, stellen Sie fest, dass der das eigentlich gar nicht hergibt. Es gibt heute weniger Klarheit auf beiden Seiten, was die Aufgabe jeder Seite ist. Da bin ich relativ altmodisch: Politiker machen Politik, und Journalisten beobachten, kommentieren, protestieren, enthüllen, decken auf - machen aber definitiv nicht Politik. Ich bin nicht gewählt, ich muss mich auch niemandem gegenüber verantworten, außer ab und zu meinem Geschäftsführer gegenüber, wenn die Zahlen nicht stimmen. Ich empfinde es als Anmaßung, wenn Journalisten diese Grenze überschreiten, und mein Eindruck ist: In den letzten Jahren hat diese Neigung von Journalisten, Politik machen zu wollen und sich als bessere Politiker zu empfinden, zugenommen. Ingrid Scheithauer: Herr Prantl, wie kommt man aus dieser Selbstreferentialität heraus? Heribert Prantl: Der Jurist ist immer versucht, das juristisch zu machen. Jetzt schauen wir in das große Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Spiegel-Affäre aus dem Jahr 1965 rein. Da steht: Die Presse sei - und das sei ihre große Aufgabe - das ständige Verbindungsorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern, und derlei hehre Sätze mehr. Und dann schauen wir uns den Alltag des Journalisten bis hinein in die Boulevard-Medien an und vergleichen das mit den Sätzen, die in dem Spiegel-Urteil stehen. Und dann stellt man nicht nur im Boulevard deftige Diskrepanzen fest. Es wäre schon ein Schritt, wenn wir - und ich sage absichtlich „wir“, weil es die so genannten seriösen Zeitungen betrifft - die alltäglichen Albernheiten bleiben ließen, möglichst am nächsten Tage in möglichst vielen Agenturen zu laufen. Ich nehme das Beispiel, das für mich das plakativste der letzten Jahre war: Es war am Höhepunkt der Parteispendenaffäre Kohl, als hinter verschlossenen Türen darum gerungen wurde, ob Schäuble zurücktritt oder nicht - an diesem Nachmittag um 14 Uhr meldete der Tagesspiegel, er habe soeben erfahre, dass Schäuble bleibt. Und es war eine Meldung, die sich im Halbstundenrhythmus überholt hat, aber sie lief mit Nennung Tagesspiegel zwei oder drei Stunden lang. Es ist eigentlich so albern, dass es sich selbst entlarven müsste, aber das tut es nicht. 40 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Zwei „Krankheiten“ beklage ich in erster Linie: Erstens diese Lust am „Krakelen“ - wozu dieser „Kikeriki-Journalismus“ gehört - und zweitens die Exklusiveritis. Diese hat den Anstrich des Seriösen. „Man“ meldet? Was bedeutet das? Die dpa meldet es - da steigen die Politiker schon drauf ein, ehe es veröffentlicht ist. Diese seltsame Lust oder Gier zurückzuschrauben und sie als das zu erkennen, was sie ist, nämlich eine Krankheit - und sich auf das besinnen, was die Printmedien wirklich gut können, besser als die elektronischen Medien. Dieses „Be.first“ werden die nie schaffen; unsere große Stärke ist doch das Analysieren, das Kommentieren, das Zusammenfassen von einzelnen Informationen. Ich vergleiche uns gerne mit einem Elektronenmikroskop, das uns ganz nahe an die Ereignisse heranschraubt, und zwar so nahe, dass man das Große und Ganze nicht mehr sieht. Wir haben so unendlich viele kleine Detailnachrichten, die der Leser nicht mehr richtig zusammensetzen kann. Unsere Aufgabe ist genau das: sie zusammensetzen und ein Bild zu zeigen, das der Leser - der nicht in der Lage ist, täglich drei Stunden Zeitung zu lesen wie unsereiner - kapiert und aus dem sich für ihn ein Gesamtbild ergibt. Diese Service-Funktion der Zeitung, politische Linien deutlich zu machen, Langzeitentwicklung zu betrachten, an Themen dran zu bleiben, die sehr schnell wieder verschwinden - das sind die großen Aufgaben, die wir hätten und denen wir zu wenig nachkommen, die aber Heilmittel wären gegen die Krankheiten, die wir hier diagnostizieren. Ingrid Scheithauer: Herr Heinen, wie wird das bei Ihnen im Verband diskutiert? Welche Vorschläge hätten Sie, aus dieser Falle des „Kikeriki-Journalismus“ herauszukommen? Helmut Heinen: Ich denke, vieles von dem, was hier angesprochen ist, sehen Verleger wie Journalisten gleichermaßen. Ich denke auch, dass wir uns klarmachen müssen, dass wir dem Leser verpflichtet sind, und zwar nicht nur in einem moralischen, sondern ganz konkret in einem geschäftlichen Sinn. Wir setzen darauf, dass die Bindung der Abonnenten zur Zeitung länger hält als die Bindung zur jeweiligen Partei, bei der man das Kreuzchen gemacht hat. Und ich glaube, dass die regionale Zeitung in der Regel die einzige gedruckte aktuelle Quelle ist, die man nutzt. Dazu kommen vielleicht noch „Tagesschau“ und Radionachrichten. Deshalb ist dieser Wettbewerb der Redaktionen untereinander gar nicht so nachvollziehbar und gar nicht so produktiv für viele unserer Leser. Das spricht dafür, dass man sich in der Tat etwas mehr fernhält von diesen Aufgeregtheiten und dieser Zitatwut. Umgekehrt gehört ein Stück Nachvorneschauen in unsere Zeitungen hinein, weil wir nicht nur das bringen wollen, was schon auf der Bühne ausgesprochen wurde, sondern dass wir weiterdenken und sagen: Die Entwicklung läuft zwangsläufig da und da hin - auch wenn sich jetzt noch keiner traut, das offen auszusprechen. So einen braucht man auch gar nicht unbedingt; die Redaktion darf es auch selber mal erarbeiten und in einem Kommentar oder einer Analyse mal hinstellen. Natürlich ist es unsere Aufgabe und auch unser kommerzieller Zwang, die Leser mit dem auszustatten - ich sag es mal etwas plakativ -, was er abends an der Theke wissen muss. Er darf sich nicht dumm fühlen, wenn er unsere Zeitung gelesen hat. Wir können eine eigene Gewichtung geben, wir können auch eine ausgewogenere Gewichtung geben, um langfristig Zufriedenheit zu erzielen und unseren Lesern das Gefühl zu geben: Das ist eine sinnvolle Information - da lohnen sich die täglichen zwanzig oder dreißig Minuten Lesezeit. Das Leben unserer Leser ist nicht zu 90 Prozent von Politik, Journalismus, Medienanalyse geprägt, sondern oft von einem vergleichsweise naiven Konsum. Und deshalb müssen wir ihnen eine handliche und seriöse Packung geben. Ingrid Scheithauer: Es hat ja eine gesellschaftspolitische Dimension. Wenn das Mediensystem so disfunktional wird, dann stimmt die Legitimation nicht mehr, die Herr Prantl aus dem Urteil von 1965 gezogen hat. Daran hängen viele Privilegien und Freiheiten. Verwirkt man die als Mediengesellschaft ingesamt? Helmut Heinen: Ich denke, unser Hauptkorrektiv ist letztlich der Markt. Es kann nicht die Lösung sein, eine Art Qualitätszensur einzuführen, also zum Beispiel unqualifizierte Äußerungen aus den Zeitungen zu verbannen. Ich glaube, das Kriterium wird letztlich die Qualität oder die Seriosität sein. Ein Leser, der sich nachhaltig von seiner Zeitung nur aufgeputscht und in die falsche Richtung geführt fühlt, wird in der Regel diesem Blatt nicht lange sein Vertrauen schenken. Und was wir inhaltlich noch leisten können, das ist die Auseinandersetzung mit diesen Fragen - so wie 41 Titel hier und heute. Und da müssen wir auch unliebsame Erkenntnisse in Kauf nehmen und die auch publizieren. Damit erfüllen wir unsere Aufgabenstellung. Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Ingrid Scheithauer: Rückbindung der Macht an den Souverän als Aufgabe von Medien - so ist es ja konstitutionell vorgesehen, so versteht sich das System. Herr Meyer, ist das eine altmodische Betrachtungsweise, die zwar hübsch ist, aber doch de facto von der Realität und von der Kolonisierung durch die Medien und ihre Gesetzmäßigkeiten überholt? Thomas Meyer: Wenn das ganz überholt wäre, dann wäre die Demokratie selber am Ende. Demokratie lebt davon, dass diese Rückbindung von Politik über Medien an die Wähler, an die Gesellschaft immer noch möglich ist. Wenn das ganz beendet wäre, wenn die Medien ihre eigene Welt erzeugten, dann wäre die Demokratie am Ende. Das glaube ich nicht. Typisch ist, und das ist auch das Dilemma: Hier sitzen Leute wie Herr Prantl und Herr Schrotthofer, die mit zu den besten Qualitätsjournalisten der Republik gehören und Selbstkritik am allerwenigsten nötig hätten - und die sind beinahe die einzigen, die die Selbstkritik formulieren. Die anderen, die sie nötig hätten, tun das kaum. Ich finde es trotzdem gut, wenn ein Anfang gemacht wird, oder wenn immer wieder aus dem Bereich des Journalismus heraus die nötige Kritik vorgetragen wird; vielleicht hat es gewisse Wirkungen. Es ist ein Problem, dass zum Beispiel die Medien das Instrument sind, über das unsere komplexe Gesellschaft sich informiert über alles, was insbesondere in der Politik passiert - nur die Informationen, die wir dann über die Medien bekommen, sind unterbelichtet, weil die Medien über die Medien relativ wenig informieren. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass die Medien übereinander - über Defizite und Probleme, über Negativentwicklungen - viel mehr berichteten. Dann hätten wir einen viel kritischeren Blick. Dann kämen die normalen Rezipienten auch nicht auf den Gedanken, was ihnen hier in den einzelnen Medien angeboten wird, sei die Welt. Das sind einzelne Konstrukte der Welt in einzelnen Medien. Ich glaube allerdings auch, dass Verbesserungen im Bereich der Medien, die Selbstkritik aus ihnen selber kommen müssen. Da ist von außen wahrscheinlich nicht viel zu erwarten. Die Thesen, die ich in meinem Vortrag erläutert habe, betrafen die Oberfläche - das, wodurch Medien attraktiv werden für ein Publikum, ist ambivalent. Das ist das, was immer bedient werden muss. Das kann man auch ohne Kenntnis des Politischen, ohne Ethik, ohne Verantwortung gegenüber dem Politischen rund machen. Man könnte natürlich Inhalte dazu transportieren, mehr in die Tiefe gehen. Da müsste mehr passieren. Warum passiert es nicht? Es gibt eine Reihe objektiver Faktoren: Das eine ist der Markt, auf dem viele Medien um Aufmerksamkeit, um Interesse, um Knalleffekte und „Kikeriki“ konkurrieren das sind objektive Zwänge des Marktes. Deshalb denke ich gerade nicht, dass der Markt das Heilmittel ist, dem wir uns anvertrauen sollten. Die Zeitungen und Sendungen im Fernsehen, die sich am meisten dem Markt anvertrauen, sind die schlechtesten, weil der schlechte Geschmack nach unten unbegrenzt ist. Das ist jedenfalls meine Beobachtung. Es ist eine Frage der Journalistenausbildung, auch der Verleger, was sie verlangen, eine Frage der Standards, die gesetzt werden. Heribert Prantl: Allgemein zur Pressefreiheit: Ich denke, sie ist nicht da zur bequemeren Berufsausübung der Journalisten. Sie ist auch nicht da zur Befriedigung der Eitelkeit - ein Punkt, der sehr wichtig ist, wenn wir den gegenwärtigen Schnöselzirkus in Berlin anschauen. Pressefreiheit ist auch nicht da zur Erleichterung des Geldverdienens bei den Verlegern. Es wurde die Ausbildung angesprochen: Bei der Journalistenausbildung liegt gar nicht mehr so viel im Argen wie früher, aber es gibt einen Journalismus, der überhaupt nicht mehr ausbildet. Wo Journalisten nicht mehr Journalisten sind, sondern Mikrofon-Hinhalter. Ein weiterer Punkt, der für mich auch bei den großen Zeitungen ein sehr kritischer ist, weil es ums Geldverdienen geht: die Art und Weise, wie mit Archiven umgegangen wird. Archive sind das Gedächtnis von Redaktionen. Wenn an Archiven gespart wird, dann leidet der gesamte Journalismus. Wenn wir darüber nachdenken, warum die Pressefreiheit den Rang verloren hat, und wenn ich den Bogen schlage vom Jahr 1965 und von 1962, vom Großaufstand, den es damals gab bei der Durchsuchung des Spiegel, bis zum heutigen Tage - 150 , 200 Durchsuchungen und 42 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Beschlagnahmeaktionen binnen weniger Jahre, und weshalb so wenig Aufhebens gemacht wird -, dann geht es darum, dass die Pressefreiheit ihren Rang verloren hat und um die Frage, warum. Vielleicht stecken ein paar Antworten in dem, was ich eben kurz skizziert habe. Zum Thema, dass der Markt schon alles richten wird: Ich denke, der Markt richtet recht wenig. Vor allem deswegen, weil es in vielen Regionen den Tageszeitungs- bzw. Boulevardmarkt gar nicht mehr gibt. Was soll der Markt da reparieren? Wenn etwas schlecht ist, ist es schlecht, und der Leser hat gar keine andere Wahl, als das eine Blatt zu kaufen oder es eben bleiben zu lassen. Die Mängel beim so genannten schlechten Journalismus betreffen nicht nur die Effekthascherei sie gehen tiefer: Sie betreffen die Art und Weise, wie Politik in toto betrachtet wird. Und da würde ich ein Plädoyer für Politik halten wollen. Die Art und Weise, wie ein Teil des Journalismus mit Politik und Politikern umgeht, ist schändlich. Und das gilt nicht nur für die Bild-Zeitung. Wenn man liest: „Skandal! Eichel kriegt 11.000 Euro, wenn er abtritt“ - und das bei Blättern, deren Chefredakteure deutlich mehr verdienen. Ein Teil der deutschen Medien behandelt seit einigen Jahren Politiker so, als wären sie die Hausschweine der Demokratie. Das geht nicht, das ist demokratieschädlich. Auch die Art und Weise, wie mit demokratischen Grundstrukturen umgegangen wird, ist schädlich. Der normale demokratische Diskussionsprozess wird schnell als Gezerre, als Chaos betrachtet. Da muss man aufpassen. Über fast jede Abstimmung, bei der - wie es in der Demokratie üblich ist - mehrere Menschen kandidieren, lesen Sie sofort „Kampfabstimmung“, was etwas Unangenehmes bedeutet - hat irgendwie mit Krieg zu tun und nicht mit Demokratie. Oder wenn von Koalitionsverhandlungen die Rede ist und dem notwendigen Ringen um ein Regierungsprogramm, dann werden Sie in jedem zweiten Kommentar das Wort „Geschacher“ lesen oder hören. Das ist unangemessen. Wir müssen damit aufhören, demokratische Grundprozesse abzuqualifizieren. Thomas Meyer: Warum machen Journalisten das? Sind das eher Leute, die gar nicht wissen, was Politik ist, oder sind das solche, die es eigentlich wissen und denken, damit kann man schneller Effekte erzielen? Heribert Prantl: Wahrscheinlich letzteres. Mir fällt das schöne Wort von Willy Brandt ein bekanntlich der bisher einzige Bundeskanzler, der Journalist war: „Journalisten sind die Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie.“ Wenn man sich manchmal so wichtig fühlt, als wichtiger Teil des politisch-journalistischen Komplexes, muss man sich dieses Wort in Erinnerung rufen und ein bisschen - ich sag es jetzt n dieser Stunde der Selbstkritik - demütiger sein. Thomas Meyer: Ich bin Politikwissenschaftler, und ich beobachte, dass es nur in wenigen Qualitätsmedien möglich ist, die Eigenarten des politischen Prozesses in der Medienoberfläche zu erkennen: Akteure, Legitimationen, lange Prozesszeiten, alle diese Konstellationen, die man verstehen muss, wenn man verstehen will, was geht politisch vor. Ich bin in der Journalistenausbildung einer relativ guten Universität. Diese Leute lernen ihren Journalismus von Anfang an als Vermittlungswissenschaft. Also man kann alles und jedes vermitteln, wenn man ein guter Vermittler ist. Die sind kaum in der Lage, in irgendeinem Bereich mal einen gründlichen Blick in die eigentliche Logik, die eigentlichen Zusammenhänge zu werfen. Das ist die eine Sache. Die andere ist: Wenn man nicht eine ganz besondere journalistische Begabung ist, dann bedeutet das in der Regel: viel Zeit investieren, die Dinge beobachten, verfolgen, verstehen. Aber wann haben die denn die Zeit, das zu machen? Und drittens: Es läuft ja, wenn man nur die attraktive Oberfläche bringt. Die Inhalte werden kaum nachgefragt. Demokratie ist aber eine Sache langer Zeitabläufe. Wir beraten, wir verständigen uns, die Dinge kommen zusammen. Diese Zeit wird der Politik nicht gegeben. Es wird jeden Tag unter Druck gefragt: Warum dauert das? Das machen viele Journalisten, weil sie es nicht besser verstehen. Andere denken, das sei attraktiv und treffe den Publikumsgeschmack. Und ich denke, es gibt auch eine ganze Menge Journalisten, die gar nicht so genau wissen, was das eigentlich Ent- 43 Titel scheidende am politischen Prozess ist. Inhaltsverzeichnis Heribert Prantl: Ich bin vor 18 Jahren Journalist geworden. Nach drei Jahren im politischen Journalismus habe ich mich gefragt: Wann machen die Leute eigentlich Politik? Und in den nächsten Jahren habe ich kapiert, dass Gespräche führen, auch mit Journalisten, dass Interviews letztlich ein wesentlicher Teil von Politik sind. Politiker verbringen einen großen Teil ihrer Zeit damit, mit uns zu reden und auf diese Art und Weise mit ihrer Wählerinnen und Wählern in Kontakt zu treten. Das ist nicht das Schlechteste, so lange es um Inhalte geht. Aber wenn wir Inhalte nicht abfragen, müssen wir uns hinterher nicht beklagen, dass es Inhalte nicht gäbe. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Ingrid Scheithauer: Herr Schrotthofer, Hanns-Joachim Friedrichs hat mal gesagt: Journalisten müssen überall dabei sein, aber dürfen nirgends dazugehören. Gilt das heute noch? Klaus Schrotthofer: Abstrakt gilt das natürlich nach wie vor. Aber ich bin immer misstrauisch, wenn die reine Lehre verkündet wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich wesentlich kompromisslosere Kommentare gegen den damaligen Finanzminister Waigel geschrieben habe vor dem Zeitpunkt, da ich ihn kennengelernt habe, als nachher. Nähe hat nicht immer etwas mit Korruption zu tun, sondern manchmal auch mit Erkenntnisgewinn. Und mancher, der sehr auf die Sahne haut, hat möglicherweise das Objekt seiner Kritik vorher nie getroffen. Das ist nicht immer ein Vorteil. Insofern würde ich Friedrichs - wenn man das darf, so ein Denkmal korrigieren - ergänzen und sagen, man darf sich nicht vereinnahmen lassen. Aber es ist doch völlig klar: Warum fahren Berliner Korrespondenten heute bei Ministerreisen mit? Doch nicht, weil sie über irgendwelche offiziellen Kommuniqués oder Vertragsverhandlungen berichten. Das Interessante ist, dass man abends an irgendeiner Hotelbar mit dem Herrn Minister oder der Frau Ministerin zusammensteht, und dann erzählen die mal, wie es ihm oder ihr gerade wirklich geht - vielleicht. Und diese Information versetzt einen in die Lage, manches besser verstehen und besser einordnen zu können, als wenn man nur ferndiagnostisch die Dinge betrachtet. Man muss im Übrigen auch darauf hinweisen, dass die Journalistinnen und Journalisten zum ersten Mal in den letzten 40 Jahren eine massive ökonomische Krise durchleben. Wenn Sie sich 20 Jahre zurückversetzen, wenn Sie da ein Volontariat bekamen bei irgendeiner halbwegs ordentlichen Zeitung, dann war das im Prinzip eine Lebensversicherung. Sofern Sie dem Verleger nicht eine Gemeinheit ins Gesicht gebrüllt oder in die Kasse gegriffen haben, konnten Sie davon ausgehen, dass Sie bis zu Ihrem 55. Lebensjahr bei der Zeitung oder bei dem Sender ein gutes Auskommen haben. In den letzten fünf bis zehn Jahren hat es eine massive ökonomische Krise bei den Medien gegeben, und die hat zwei Folgen aus meiner Sicht: Zum Einen - da stimme ich Heribert Prantl zu - sind Redaktionen zum Teil reduziert worden, es wurde Personal abgebaut. Die verbleibende Zahl von Kolleginnen und Kollegen muss also eine größere Zahl von Themen bearbeiten und komplexere Sachverhalte. Globalisierung war vor 20 Jahren noch kein Thema. Sozialversicherung war vor 20, 30 Jahren vielleicht auch schon ein Thema, aber da gab es Leute, die beschäftigten sich ausschließlich damit. Das geht heute nicht mehr. Heute haben Sie im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin Büros, da sitzen ein, zwei Kollegen, die für eine Reihe von Regionalzeitungen arbeiten, und die müssen heute über die Gesundheitsreform schreiben, morgen über die Rentenversicherung und übermorgen einen Abgesang auf Joschka Fischer und seine außenpolitische Bilanz. Nach meiner Erfahrung war den Journalisten vor 20 Jahren die ökonomische Dimension von Journalismus noch völlig egal. Sie arbeiteten bei einer Zeitung, der ging es in der Regel gut, die Verleger hatten höhere Renditen als in fast allen deutschen Branchen. Heute erleben Sie, dass auch Zeitungen sich nach Marktgesetzen richten müssen. Entsprechend hat die Neigung zugenommen, das zu tun, wovon man glaubt, dass es die ökonomische Basis der Zeitung stärkt - das zu tun, wovon man glaubt, dass es ankommt. Auch das ist verheerend. Journalisten müssen keinen Sinn für die ökonomischen Zusammenhänge der Zeitung haben. Das ist Aufgabe des Chefredakteurs zusammen mit seinem Verleger. Aber ein Journalist in der Politik- oder Lokalredaktion, der muss sich darum kümmern, dass er das, was in seinem Beritt passiert, zur Kenntnis nimmt, einordnet und dann ordentlich vermittelt. Ich wünschte mir deswegen auch mehr Selbstbewusstsein von vielen Kolleginnen und Kollegen. Wir hatten vor einem halben Jahr eine hitzige Debatte in der Redaktions- 44 Titel Inhaltsverzeichnis konferenz, da hatte die Bild-Zeitung irgendeine dieser täglichen Tataren-Meldungen im Blatt, und bei uns meinte der Politikchef, dass wir darüber auch berichten müssten. Ich fragte ihn: „Warum?“ Der Kollege meinte, dass wir nicht daran vorbeikämen, weil es alle machen würden. Und was passiert, fragte ich ihn, wenn wir es nicht machen? Nichts! Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Ich glaube, der fast lemminghafte Herdentrieb, irgendeiner Sau hinterher zu reiten, die meistens die Bild-Zeitung durchs Dorf treibt, muss aufhören. Ich weigere mich anzuerkennen, dass Bild das deutsche Leitmedium sei. Ein Boulevard-Blatt kann nicht das Leitmedium der Bundesrepublik sein, dagegen verwahre ich mich. Das kann man aber nur, wenn man eigenes Selbstbewusstsein entwickelt und das Ganze dann mit Inhalt unterfüttert. Das heißt, wir müssen uns dann die Mühe machen, Sachverhalte aufzuarbeiten und zu erklären. Wir müssen aufhören - das gilt auch für die Politik -, den Leuten zu vermitteln, das manche Sachen ganz einfach zu lösen seien. Die Gesundheitsreform ist ein unglaublich langweiliges, dröges, kompliziertes Thema. Das ist nicht sexy, und das wird auch nicht more sexy, wenn man schreibt, was die Gesundheitsministerin oder der Gesundheitsminister am Vorabend mit wem in welcher Kneipe getrieben hat. Aber es ist ein wichtiges Thema, und es betrifft uns alle. Und ich glaube, es ist Aufgabe von Journalismus, den Leuten die Illusion zu nehmen, in der heutigen Zeit gäbe es ganz einfache Lösungen. Thomas Meyer: Aber das müssten Sie den Leuten natürlich kurzweilig vermitteln, dass es keine einfachen Lösungen mehr gibt. Heribert Prantl: Man kann schlecht eine Analyse schreiben, die beginnt: „Dieses Problem ist wahnsinnig schwierig und wahnsinnig komplex.“ Klaus Schrotthofer: Ich glaube, wir neigen all zu sehr dazu, einer schnellen Analyse hinterherzueilen. Seit zwei, drei Jahren hören und lesen wir, dass in diesem Land alles ganz schrecklich sei: Hier funktioniert nichts, wir sind pleite, wir brauchen Reformen, und das heißt, wir müssen noch härter ran. Ich sage voraus: In spätestens einem halben, dreiviertel Jahr, wenn sich die Große Koalition halbwegs stabilisiert hat, werden Sie hören, was in diesem Land eigentlich ganz wunderbar funktioniert. Es wird sich an den objektiven Verhältnissen aber nicht wirklich etwas geändert haben. Das heißt, wir haben offensichtlich ein Wahrnehmungs- und ein Vermittlungsproblem. Und da fordere ich noch einmal mehr Selbstbewusstsein für Medien, sich einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten und ihn auch mitzuteilen. Heribert Prantl: Kleine Anmerkung zur wirtschaftlichen Situation, die zeigt, dass das eigene Sein auch das Bewusstsein verändern kann. Es wurde gerade vom Kollegen Schrotthofer angesprochen, was gelegentlich in Diskussionen spitz, aber treffend als „Selbstgleichschaltung im deutschen Journalismus“ - zumal im Bereich Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik - benannt wird. In der Zeit, in der es den Zeitungen und damit auch den Wirtschaftsredaktionen wirklich dreckig ging, in der auch in meinem Blatt ein Wirtschaftsredakteur entlassen werden musste, da gab es im monolithischen Block des deutschen Wirtschaftsjournalismus auf einmal ein bisschen mehr Nachdenklichkeit als sonst. Auf einmal waren die bisherigen Töne wie „Man muss nur ausreichend flexibel sein“, und „Die Globalisierung ist halt so“, und „Es dauert eine gewisse Zeit, dann rüttelt sich wieder alles zurecht“ - das war auf einmal vorbei. Man muss ein bisschen vorsichtiger sein und die Vorsicht nicht nur dann walten lassen, wenn sie einen selber betrifft. Ingrid Scheithauer: Herr Heinen, wir haben vorhin besprochen, dass Journalisten auch Zeit brauchen, um zu recherchieren, vielleicht auch mal, um nachzudenken, wie Herr Prantl uns gesagt hat. Aber Zeit ist bekanntlich Geld, und Verleger interessieren sich naturgemäß fürs Geld. Sie bemerkten vorhin leise, als wir über die journalistischen Freiheiten oder Medienfreiheiten sprachen, dass sei schade, dass das mit dem unbegrenzten Geldverdienen vorbei sei. Wie versuchen Sie als Verleger Qualität in Redaktionen zu sichern? Helmut Heinen: Schöne Vorlage, die Sie mir geben - weil mich das natürlich nicht ruhen lässt, dass Herr Professor Meyer vorhin argumentiert hat, dass die schlechtesten Medien die erfolgreichsten seien. Ich denke, für die Tagespresse ist nicht nachvollziebar, dass Qualität keinen 45 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Einfluss auf den Erfolg haben soll. Die Auflagen der Boulevardzeitungen sind nicht gerade im Höhenflug. Und die Süddeutsche Zeitung ist auch nicht gerade ein Beispiel dafür, dass Qualität nun gar keinen Erfolg mehr bedeutet. Der größte Teil unserer Zeitungen sind Regionalzeitungen. Sie wurden vorhin angesprochen in dem Zusammenhang, dass hier keine Kontrolle am Markt stattfinde, weil es in der Regel keinen Wettbewerb oder allenfalls zwischen zwei Titeln gebe. Etwa die Hälfte des Gebiets der Bundesrepublik hat mehrere Regionalzeitungen, die andere Hälfte hat nur eine - grob gesagt. Es ist dem Monopolverleger natürlich nicht gedient, wenn seine Auflage nach unten geht. Zeitungen kosten eine Menge Geld. Auch eine Folge der Einbrüche am Anzeigenmarkt: Die Vertriebspreise sind in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als in jeder Periode zuvor in de Nachkriegsgeschichte. Wir haben heute in Westdeutschland etwa noch 56 Prozent Anzeigenerlöse in der Finanzierung der Zeitung, 44 Prozent Vertriebserlöse. Die kommen von einem Anteil von 25 bis 28 Prozent. Im Osten haben Sie schon Quoten von über 50 Prozent Vertriebserlöse. Eine Trendwende ist nicht zu erkennen. Deshalb haben die Regionalzeitungen durchaus ein Interesse daran, die Bindung zum Leser nicht zu gefährden dadurch, dass erkennbar die Qualität leidet oder dass sie in eine Diskussion über mangelnde Seriosität und Ernsthaftigkeit geraten. Im Übrigen sind aber die regionalen Titel nicht im Fokus der Kritik, wenn es um einen vermeintlichen Kampagnenjournalismus geht. Regionalzeitungen und ihre redaktionellen Ressourcen, ihre finanziellen Begrenzungen sind ein Thema, auch, dass massiv in den Zeitungshäusern Personal abgebaut worden ist. Aber es ist auch Fakt, dass das am allerwenigsten in den Redaktionen geschehen ist. Wir haben für 2004 ermittelt, dass die Zahl der fest angestellten Redakteure bei allen deutschen Zeitungen um drei Prozent unter dem Höchststand des Jahres 2000 lag. Lassen Sie es inzwischen fünf oder acht Prozent sein - das ist immer noch eine bemerkenswerte Zahl, wenn man sieht, dass in den Jahrzehnten zuvor immer aufgebaut worden ist. Die Herausforderung, vor der wir im Regionalen stehen, ist doch viel mehr, die Lokalberichterstattung angemessen auszustatten. Wenn dann ein Zeitungskreis nicht einmal mehr eine leistungsfähige Lokalredaktion hat, dann erleben wir Schwierigkeiten - wie zur Zeit in Ostdeutschland an manchen Orten: In den strukturschwachen Gebieten ist dort kaum noch eine ortsnahe Lokalredaktion finanzierbar. Demgegenüber ist, denke ich, das Problem der unter mangelnden Ressourcen leidenden Berliner Berichterstattung eher nachgeordnet. Ingrid Scheithauer: Dort, wo ein Großteil der gesetzlichen Regelungen für Europa beschlossen werden, in Brüssel, ist die Personaldecke besonders dünn. Die Regionalzeitungen scheinen nach Ihren Ausführungen eher nicht geneigt, Ressourcen nach Brüssel umzuleiten? Helmut Heinen: Das ist eine Wahrnehmungsfrage. Selbst eine Verdreifachung des Brüsseler Etats für Korrespondenten würde nicht viel ausmachen, weil die Zahlen so gering sind, dass das kaum etwas ändern würde. Die Chefredaktionen wissen im Schlaf, wie sie die Berliner Korrespondenten und die Verzahnung mit Agenturen handhaben müssen. Ich glaube aber, dass die Strukturen und Entscheidungsabläufe in Brüssel nicht so bekannt, vielleicht auch objektiv schwieriger sind - vielleicht kann aber ein Chefredakteur, der das besser kennt, mehr dazu sagen. Klaus Schrotthofer: Wir haben jemanden in Brüssel, den wir bitten, nicht als 27. Mikrofonhalter vor der Fraktionstür zu stehen oder eine etwas andere Fassung dessen zu machen, was die Agenturen sowieso anbieten. Er soll vielmehr unseren regionalen Blickwinkel berücksichtigen bei der Berichterstattung. Uns in NRW beschäftigen andere Fragen als z.B. die Kollegen in Thüringen, für die der Aufbau Ost eine besondere Rolle spielt. Das Schwierige an dem Europa-Thema ist, dass auch da wieder die nationale Politik nach meinem Empfinden immer wieder falsch spielt. Wenn etwas funktioniert, dann war es die nationale Leistung, wenn nicht, waren es die Brüsseler Bürokraten. Ich glaube, wir müssen auch einmal über die sprechen, die Medien rezipieren. Wir müssen wieder für den Wert der Zeitung werben. Eine Zeitung kostet in NRW etwa einen Euro. Dafür kriegen Sie täglich eine Tageszeitung. Es ist ein gewaltiger Aufwand, eine Zeitung zu machen. Und es sind kaum höhere Preise durchzusetzen. Der Fehler - auch der Verlage - war, die Zeitung in der Vergangenheit als Zugabe zum Staubsauger oder zu Rührmaschine oder zum Dampfreiniger herzugeben. Wir müssen uns den Wert dieses Mediums wieder klarmachen. Und man muss beim Thema Politikverdrossenheit, zum Teil gar Politikverachtung wieder kritischer hingucken. Viele von denen, die über Politik jammern, leben sehr gut damit, dass sie sich selber nicht einmischen 46 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum müssen. Mein Lieblingsbeispiel ist Herr von Arnim, der ständig mit Zerrbildern von Politik daherkommt. Wenn man den fragte, ob er nicht selber Lust hätte, Politik zu machen, würde er vermutlich ablehnen. Ich glaube, wir müssen wieder klarmachen, dass das nicht irgendeine anonyme Veranstaltung ist, wo ein paar „Hausschweine“ ein bisschen Zirkus machen, über den man sich lustig machen kann. Nein, das ist schon unsere gemeinsame Veranstaltung! Jeder möge sich vorstellen, was es für ein Arbeitspensum ist, dass ein Abgeordneter jede Woche hat, welche Wertschätzung es genießt, welche materielle Entlohnung es dafür gibt - und sich dann fragen, ob er bereit wäre, das zu machen. Dann wären wir auch schon etwas sachlicher in mancher Debatte. Heribert Prantl: Ich stimme allem zu, was Klaus Schrotthofer sagt - aber wer gibt denn den Professoren dieses Forum, wer hat den Herrn von Arnim zu dem großen Demokratie- und Parteien- und Politikerkritiker gemacht? Das waren ja wir! Wer hat Herrn Sinn und die Wirtschaftsinstitute dazu gemacht, dass man den Eindruck haben muss, das Unfehlbarkeitsdogma sei vom Heiligen Vater auf das ifo-Institut übergegangen? Das waren ja wir! Wir sind die, die aufklären sollen. Und wenn es um Europa geht - wenn es nationalen Politikern gelingt, in Brüssel die Richtlinien zu entwickeln, die sie dann hier, wenn sie nach Bayern oder NRW zurückkommen, kritisieren - dann haben wir etwas falsch gemacht: Waben wir zu wenig aufgeklärt. Warum ist das so? Wenn die Relation gut ist, dann haben wir in Berlin etwa drei- bis viermal soviel Korrespondenten bei der großen Zeitung wie in Brüssel. Falsche Relation! Wir werfen gern der Politik vor, sie sei nicht genügend reformfähig. Wir sind es auch nicht schnell genug, sonst hätten wir uns auf die neue Bedeutung von Brüssel längst eingestellt. Warum ist es so, warum achten wir zu wenig auf Europa? Weil Europa immer noch ein bisschen zwischen die beiden seit einem Jahrhundert eingeführten Genres Innen- und Außenpolitik fällt und man hin- und herzerrt. Wir werden in den nächsten Monaten intensiv mit dem neuen Innenminister Schäuble darüber diskutieren, dass die Bereiche Innen- und Außenpolitik, innere und äußere Sicherheit angeblich aufgeweicht werden müssen. Da wird eine liberale Zeitung wie meine sich natürlich heftig dagegen aussprechen. Aber wir müssen überlegen, wie es mit Innenpolitik und Außenpolitik in unseren eigenen Bereichen aussieht und wo Europa da hingehört. Jetzt plädiere ich nicht dafür, dass Europa zur Innenpolitik gehört, weil ich Leiter des innenpolitischen Ressorts bin - aber es ist nun mal so, dass Europa Inland geworden ist. Wir haben uns auf dieses Faktum, dass in Brüssel und in Straßburg Innenpolitik gemacht wird, noch nicht genügend eingestellt - auch nicht im Bezug auf die Personalpolitik. Ingrid Scheithauer: Herr Meyer, sagen Sie uns bitte zum Abschluss: Was ist zu tun? (Gelächter im Publikum) Thomas Meyer: Ich verweise auf meine zahlreichen Veröffentlichungen zu dem Thema. (Erneut Gelächter im Publikum) Ich glaube, das eigentliche Problem wird in der Art der Diskussion, wie wir sie hier führen, aus bestimmten Gründen - für die wir selbst gar nichts können - nicht richtig sichtbar. Ich war kürzlich auf den Mainzer Tagen der Medienkritik. Dort gab es mehrere Foren mit Journalisten, die in Boulevard-Medien arbeiten, im Wesentlichen im Fernsehen. Die machen für die ganz große Mehrheit in Deutschland Programm. 60 bis 70 Prozent der Menschen in unserer Gesellschaft erfahren ausschließlich aus solchen Boulevard-Medien etwas über Politik. Und diese Journalisten haben das, als sie danach gefragt wurden, verteidigt. Die haben gesagt: Wenn Sie ein breites Publikum erreichen wollen, dann können Sie es nur erreichen durch diese Boulevardisierung. Die haben das auf der Metaebene reflektiert und wunderbar begründet, warum der Wurm, den sie da auslegen, dem Fisch schmecken soll und nicht dem Angler. Die große Mehrheit der Gesellschaft erfährt aus diesen Medien, was Politik sei - wobei sie es eben nicht erfahren, weil das eine komplett entpolitisierende Darstellung ist. Das kann man nachweisen, ob das Print- oder Funkmedien sind. Da ist eben Politik das, was jetzt Herr Stoiber und Frau Merkel aus persönlichen Gründen verhandeln, ob die sich verstehen, ob die sich nicht verstehen... Politik ist dann das, was man mit einem Faustschlag auf den Tisch erreichen könnte, wenn man nur wollte - eine komplett entpolitisierende Sicht. Wir wissen aus der Medienwirkungsforschung: 47 Titel Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Manche Menschen diskutieren gemeinsam über das, was sie aus den Medien haben. Bei denen ist es unerheblich, woher sie die ersten Informationen haben, weil diese dann in der Diskussion mit anderen angereichert, korrigiert werden. Aber viele machen das nicht, weil sie kein großes politisches Interesse haben. Für die bleibt das, was sie aus den Boulevard-Medien mitbekommen haben, das Einzige, und sie bekommen ein falsches und irreführendes Bild von der Politik. Ingrid Scheithauer: Vielen Dank Ihnen allen - auf dem Podium für Ihr Engagement und dem Auditorium für Ihr Interesse. 48 Titel 5. Anhang Inhaltsverzeichnis Referenten und Podiumsteilnehmer: Vorwort Prof. Dr. Frank Decker 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge Der 1964 in Montabaur geborene Politologe (Studium der Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Publizistik und des Öffentlichen Rechts an den Universitäten Mainz und Hamburg) ist seit 2001 Professor am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die westlichen Regierungssysteme, der neue Rechtspopulismus und Fragen der Demokratiereform. Zuletzt erschien: „Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?“, Wiesbaden: VS-Verlag, 2006. 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Prof. Dr. Jo Groebel Der 1950 in Jülich geborene Medienexperte ist Generaldirektor des Europäischen Medieninstitutes in Dortmund. Gleichzeitig ist er als Dozent an der Universität Amsterdam tätig. Neben seiner Funktion als Gastprofessor u.a. an der University of California in Los Angeles und an der Hochschule St. Gallen ist er Präsident der niederländischen Vereinigung für Kommunikationswissenschaften und war Berater des Bundespräsidenten, der Vereinten Nationen und der UNESCO. Für den Kongress erschienen: Mediale Wellen: Fallbeispiele, 2005. Prof. Dr. Thomas Meyer Geboren 1943, Wissenschaftler. Thomas Meyer studierte Politikwissenschaft, Philosophie und deutsche Literatur in Frankfurt/M. 1973 promovierte und 1979 habilitierte er. Er hatte zahlreiche Auslandsaufenthalte als Gastprofessor und war stellvertretender Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission. Er ist ordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Dortmund und wissenschaftlicher Leiter der Politischen Akademie in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit 2005 ist er Chefredakteur der „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“. Klaus Schrotthofer Geboren 1966, Journalist. Klaus Schrotthofer volontierte bei der Augsburger Allgemeinen und wurde dort Politikredakteur und Korrespondent in Bonn. Anschließend wechselte er in Bonn ins Büro von Focus, wurde 1997 Ressortleiter und zwei Jahre später stellvertretender Chefredakeur beim Kölner Stadtanzeiger. 1999 ging er in selber Position zur Berliner Zeitung. Im Januar 2002 holte Johannes Rau ihn als Sprecher ins Bundespräsidialamt. Nach dem Ende von Raus Amtszeit wechselte Schrotthofer im Juni 2004 als Chefredakteur zur Westfälischen Rundschau nach Dortmund. Helmut Heinen Geboren 1955 in Köln, Diplom-Mathematiker. Helmut Heinen ist geschäftsführender Gesellschafter der Heinen-Verlag GmbH sowie der Kölnischen Verlagsdruckerei GmbH und zugleich Herausgeber der "Kölnischen/Bonner Rundschau". Im Jahr 2000 übernahm er das Amt des Präsidenten des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Darüber hinaus ist Heinen zweiter stellvertretender Vorsitzender des Zeitungsverleger-Verbands Nordrhein-Westfalen (ZVNRW), Mitglied der Vollversammlung der IHK zu Köln, Vorsitzender des Medienausschusses der IHK zu Köln sowie Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Heribert Prantl Geboren 1953 in Nittenau, Journalist. Heribert Prantl ist Ressortchef für Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung in München. Der promovierte Jurist war nach dem Studium als Richter sowie als Staatsanwalt in Bayern tätig. Er ist seit 1988 innenpolitischer Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Von 1992 bis 1995 war er stellvertretender Leiter des Ressorts Innenpolitik, seit 1995 leitet er dieses Ressort. Prantl hat zahlreiche Bücher vor allem zum politischen Zeitgeschehen veröffentlicht und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. 49 Titel Ingrid Scheithauer Inhaltsverzeichnis Die Medienjournalistin INGRID SCHEITHAUER arbeitet als Publizistin und Consultant in Meckenheim bei Bonn. Ihr 2003 gegründetes Unternehmen isip communications ist in der Politikund Medienberatung tätig und übernimmt Konzeption und Realisation von Medienveranstaltungen. Nach ihrem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften in Mainz, München und Stanford/California ging sie 1984 zur Frankfurter Rundschau, deren Medienressort sie aufbaute und bis 2003 leitete. Ingrid Scheithauer ist Mitglied des Medienrates der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), verschiedener Jurys für Medienpreise, des Beirates der Mainzer Tage der Fernsehkritik und gehörte der Weizsäcker-Kommission an, die 1994 den „Bericht zur Lage des Fernsehens“ erarbeitet hat. Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum 50 Titel Impressum Inhaltsverzeichnis Herausgeber Landeszentrale für politische Bildung NRW Horionplatz 1 40213 Düsseldorf Dr. Hans Wupper-Tewes Fon: 0211 8618-4612 E-Mail: [email protected] Vorwort 1. Grußwort 2. Einführung 3. Vorträge 3.1 Politik in der Mediendemokratie 3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse 3.3 Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische? 4. Podiumsdiskussion 5. Anhang 6. Impressum Texterfassung Eva Mayer-Wolk Berchtesgadener Str. 6 81547 München Fon: 089 69386350 Fax: 089 69386351 E-Mail: [email protected] Design Zeichenverkehr Wanheimer Strasse 11a 40667 Meerbusch Fon: 02132 971400 Fax: 02132 971401 E-Mail: [email protected] 51 Was kommt noch bei den Bürgern an? Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005, Köln. Dokumentation.