Berechnung fraktaler Strukturen in den Etüden für Klavier von

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Berechnung fraktaler Strukturen
in den Etüden für Klavier
von György Ligeti
Rolf Bader
Musikwissenschaftliches Institut Hamburg, Neue Rabenstr. 13, 20354 Hamburg
[email protected]
20. Dezember 2003.
Einleitung
György Ligetis Klavieretüden entstanden in den Jahren 1984-1995 in zwei
Bänden. Seitdem sind noch vier weitere Etüden entstanden. Die Etüden spiegeln
die Auseinandersetzung mit den mathematischen Theorien der fraktalen
Geometrie einerseits und der Beschäftigung mit ostafrikanischer Amadinda
Xylophonmusik andererseits. Beide Bereiche beschäftigten und inspirierten zur
damaligen Zeit verschiedenste Musiker. Hier ist vor allem auch an den
amerikanischen Minimalismus zu denken, mit Namen wie Terry Riley, Steve
Reich, LaMonte Young oder Philip Glass. [Reich 2000] Hier hinein fiel auch
die Beschäftigung mit Patterns indonesischer Gamelanmusik.
Ostafrikanische Xylophonmusik besteht aus sogenannten Time-line Patterns
[Arom 1991] [Kubik 1983]. Dies sind sich wiederholende rhythmische Muster.
Mehrere Musiker (meist zwischen zwei und sechs) spielen auf einem Xylophon
jeweils unterschiedliche Rhythmen. So entstehen interlocking patterns. Die
Elementarpulsation dieser Musik, also die Geschwindigkeit der kürzesten
rhythmischen Einheit, erreicht oft Werte bis zu 600 BPM (beats per minute).
Die geläufigsten Time-lines bestehen aus zwölf solcher beats. Diese Einheit
kann in Groß-Pulse unterteilt werden. Hier ergeben sich verschiedenste
Teilungsmöglichkeiten, die die rhythmische Struktur dieser Musik sehr
kompliziert machen. Zusätzlich können sich die von G. Kubik so benannten
inhärenten Patterns ausbilden. Dies sind Melodien, die aus der Gesamtstruktur
herausgehört werden, weil sie in der selben Tonhöhenlage sind. So fasst das
Gehirn Töne, die sich in enger Lage zueinander befinden, als Melodie
zusammen, auch wenn sie nicht von nur einem Musiker, sondern von mehreren
erzeugt werden. Die Frage, ob diese Muster durch die ausübenden Musiker
beabsichtigt sind, ja ob sie diese überhaupt so wahrnehmen, muss offen bleiben.
Ligeti hatte bereits mit seiner poème symphonique (1962), einem Werk für 100
Metronome, oder in Continuum für Cembalo, aber auch bei seiner
Beschäftigung mit Béla Bartók oder der bulgarischen Aksak-Rhythmik mit
komplexer Rhythmik experimentiert [Burde 1993] [Floros 1996]. Dort fallen
Begriffe wie Bewegungsfarbe oder Illusionsrhythmik. Sie beschreiben die
Wahrnehmungsebene von extrem komplexer Rhythmik. 'Als Grundschicht eine
schnelle, gleichmässige Impulsfolge, die nicht gezählt, nur gefühlt wird, und als
übergeordnete Schicht ein selten symmetrisches, öfter asymmetrisches
rhythmisches Muster aus verschieden langen Dauernwerten, die aber immer
ganzzahlige Mehrfache des Grundpulses sind.' (Ligeti, Hamburger Vorlesung,
zitiert nach [Burde 1993] S. 186). Es werden ebenfalls Vorbilder in der
rhythmischen Gestaltung genannt, wie etwa die Klavierstücke von Skriabin
oder das zweite Stück aus Ives' Three places in New England oder auch der
zweite und vierte Satz von Ives’ Vierter Symphonie. Darüberhinaus sind die fast
durchweg französischen Titel der Etüden als Hommage an die klangliche
Gestaltung etwa bei Debussy zu verstehen (siehe [Floros 1996]), welche
ebenfalls die Etüden mitprägt.
Die Analysen der hier behandelten siebenten Klavieretüde Galamb borong
sprechen von der Nähe zu indonesischer Gamelanmusik (siehe auch [Wilson
1992], zu den Klavieretüden 7 und 8 und [Bouliane 1989] zu Klavieretüden 1
bis 6 und [Utz 2003] zu Ligetis Klavierkonzert). Der Titel ist ein
Phantasiename, der nach Bahasa Indonesia, der offiziellen indonesischen
Landessprache, klingen soll, hier aber in die Phantasie entrückt. So war der
Untertitel Les gongs de l'île Kondortombol angedacht, wobei Kondortombol der
Phantasiename einer Insel ist [Floros 1996] S. 183f. Die Zuordnung der beiden
Hände zu den Leitern h, a, g, f, es, des (rechte Hand) und e, d, c, b, as, ges (linke
Hand) stellen zwei äquidistante Ganztonleitern dar. Dies ist der Versuch, die
Klavierstimmung an die in Java vorkommende ganztönige Slendro Skala
anzugleichen, welche fünf annähernd äquidistante Töne hat. Da dies auf dem
Klavier nicht realisierbar ist, wird die sechstönige äquidistante Ganztonskala
verwendet.
Indonesische Gamelan Musik kennt verschiedene metrische Ebenen oder strata.
Die Kernmelodie, welche z.B. in Bali Pokpok genannt wird, wird von Calung
Metallophonen gespielt. Dieser Pokpok wird nun metrisch über- und
unterboten. Andere Metallophone wie z.B. ugal oder kantilan, aber auch
Streich- und Blasinstrumente, wie rebab oder suling, vervielfachen die
metrische Grundeinheit. Tiefer gestimmte Gongs (gong oder auch kempur)
oder andere Metallophone spielen im vergrößerten Metrum und betonen so
Akzente oder tragen zur klangfarblichen Fläche bei [Tenzer 2000] S. 53ff.
Dieses Prinzip wurde in der siebenten Klavieretüde angewandt. Schnelle
Sechzehntel-Figuren stellen die beschleunigte Kernmelodie dar. Diese
Kernmelodie selbst wird als Akzente in diese Sechzehntelpatterns eingearbeitet.
Durch Pedalarbeit gelingt dann im Mittelteil die Darstellung der die
Kernmelodie verlangsamenden Instrumente.
Auch hier geht Ligeti auf die Wahrnehmung dieser komplexen Metrik ein. 'Es
gibt eine Art von Spannung zwischen den metrischen Gefühlsmustern in den
Figuren und dem, was als illusorische Patterns in unserer auditiver
Wahrnehmung entsteht... Das geschieht auf zwei Bewusstseinsebenen. Einmal
ist es die taktil-motorische... Darauf legt sich dann das Auditive. Der Pianist ist
konzentriert auf die Motorik und auf das Taktile, und passiv hört er.'[Ligeti
1989] Gemeint ist hier auch das Prinzip der inhärenten Patterns, welche den
Hörer Melodien konstruieren lässt, die von mehreren Musikern, hier von zwei
Händen verzahnt gespielt werden. [Metzger und Riehn 1986] diskutieren dieses
Phänomen im Rahmen ihrer systematischen Beschreibung Ligeti'scher
Kompositionstechniken im Kapitel Psychoakustische Illusion und Paradoxa S.
7ff.
Diese komplizierte Rhythmik aber wird oft auch mit den mathematischen
Theorien der Fraktale assoziiert. Deren Entwicklung ist untrennbar mit dem
Verfügbarwerden von Computern verknüpft. Diese erlaubten Anfang der 80er
Jahre, sogenannte iterative Berechnungen durchzuführen. Im Gegensatz zur
analytischen Mathematik, bei der durch das Einsetzen von Variablen in
Gleichungen die gesuchten Lösungen erzielt werden, wird bei iterativen
Prozessen das Ergebnis einer Berechnung zur Grundlage einer neuen
Berechnung, und das alte Ergebnis wird erneut in dieselbe Gleichung
eingesetzt. Dass dies zu Ergebnissen führen würde, die sich von der
analytischen Methode unterscheiden, war bis zu diesem Zeitpunkt nicht explizit
erwartet worden. Es zeigte sich aber, dass bereits sehr einfache mathematische
Algorithmen zu sehr komplizierten Entwicklungen führen können. So entstand
das Paradigma der fraktalen Geometrie, welches komplizierte Gebilde aus
wenigen einfachen Grundregeln ableiten kann.
Es ist aber auch der umgekehrte Weg möglich. Aus gegebenen Daten können
die zugrunde liegenden Gesetze extrahiert werden, mit denen die Daten erzeugt
wurden. Dieser Weg konnte in der Instrumentenakustik bereits gegangen
werden [Bader 2002b] und soll hier nun auf ganze Musikstücke übertragen
werden (siehe auch [Beuermann und Schneider 1991] für eine
computergestützte Analyse von Ligetis Atmosphères).
Ligetis Beschäftigung mit diesen neuen Theorien und Ideen floss auch in seine
Klavieretüden ein. Die kompositorische Haltung hier war nach seinen eigenen
Angaben eine implizite. [Ligeti 1997] Das Werk entstand unter dem Eindruck
der Beschäftigung mit fraktalen Gebilden neben afrikanischer Xylophon- und
indonesischer Gamelanmusik. Es handelt sich bei dem Kompositionsprozess
also nicht etwa um eine eins-zu-eins Umsetzung mathematischer Methoden in
Musik, sondern um eine Verarbeitung der Eindrücke dieser Theorien in die
Etüden. Dies ist bei der Analyse der Stücke zu berücksichtigen. Die hier
vorgeschlagene Methode ist also weniger ein schablonaler mathematischer
Suchalgorithmus, sondern vielmehr die Berechnung der zeitlichen Komplexität.
Dies scheint der Intention des Komponisten eher nahe zu kommen als eine
strikte Reduktion auf wenige Grundgesetze. Da eine Untersuchung der Etüden
in dieser Richtung noch aussteht, ist diese Untersuchung als eine erste
Annäherung an das Problem zu verstehen.
Beginnen möchte dieser Aufsatz mit einer kurzen Einführung in die wichtigsten
Prinzipien des Fraktalen und der nichtlinearen Dynamik in Physik und
Mathematik. Dies soll auch der Begriffsklärung der fraktalen Dimension
dienen. An einem einfachen Beispiel, einer Allintervallreihe, soll die
Möglichkeit demonstriert werden, diese Reihe als Fraktal auffassen zu können
und durch deren Quantifizierung einen Parameter zu schaffen, der einem
musikalischen Parameter entspricht. Dann wird eine Variante der fraktalen
Dimension, die der Korrelationsdimension, an einem Klavierstück Ligetis
erprobt, dem eine klare Struktur zugrunde liegt, dem achten Stück aus der
Musica ricercata. Nachdem dort ein Eindruck von der verwendeten Methode
gewonnen wurde, wird diese auf die siebente Klavieretüde Ligetis angewandt.
In einem Ausblick sollen schliesslich zukünftige Fragen- und
Problemstellungen erörtern werden.
Fraktale und nichtlineare Dynamik als grundlegende Neuerungen gegenüber
linearen Systemen
Die nichtlineare Dynamik und damit die Entstehung fraktaler Strukturen ist
gegenüber einer linearen mathematischen Betrachtungsweise dadurch
ausgezeichnet, dass das Systemverhalten analytisch meist nicht mehr
vorausgesagt werden kann. Eine analytische Berechnung meint hier die
Umformung von Gleichungen derart, dass der Systemzustand zu einem
beliebigen Zeitpunkt aus einer Gleichung abgelesen werden kann. Als Beispiel
sei hier die Reaction-Diffusion Gleichung genannt. Diese Gleichung ist aus der
Chemie bekannt, wird aber auch zur Beschreibung physikalischer Systeme, wie
etwa Halbleitern, angewandt [Schoell 2001]. Diese Bilanz-Gleichung beschreibt
den Zustand des Systems dadurch, dass die zeitliche Veränderung
¶ a H x, y, tL
¶t
durch einen äußeren anregenden Term und einen internen dämpfenden Term
beschrieben wird.
(2.0.1)
a
¶ a H x, y, tL
¶t
= f H a, uL + l2
2
i¶ a
k ¶ x2
+
¶2a y
¶ x2 {
Hier ist a der Systemzustand. Eine zeitliche Änderung der Funktion a(x,y,t) hier in der linken Gleichungshälfte dargestellt - steht sowohl eine räumliche
Ableitung von a nach x und y, also einer Flächenstruktur, als auch einer
beliebigen Funktion f(a,u) - hier in der rechten Gleichungshälfte - gegenüber. u
steht hier für einen äußeren Einfluss. Die Variablen l und a sind Konstanten.
Nehmen wir einen einfachen Ausdruck für f(a,u) an, z.B.
(2.0.2)
a
f H a, uL =
, mit u = konst
u
,
und gehen wir der Einfachheit halber von nur einer Raumrichtung x aus, dann
können wir als Lösung der Differentialgleichung
(2.0.3)
a H x, tL = ea t +
x
annehmen. Dann wird (1.0.1) zu
(2.0.4)
a
¶ ea t + x
=
¶t
ea t +
und wir können die Parameter α und
(2.0.5)
(2.0.6)
a = -
= ±
- l2 u 2 - 1
u
ä
"
1
u
- a
l
x
+ l2
i ¶ 2 ea t +
k
¶ x2
x
y
{
in Bezug zueinander bestimmen.
ABBILDUNG 1. Plot der Funktion a(x,t) = e (α t+ x) für α = 1 und
= 1. Es sind die
Zeitentwicklungen an drei Orten x1 = 0, x2 = .5 und x3 = 1 gegeben. Die Einfachheit der
analytischen Lösung ergibt die Möglichkeit einer simplen Voraussage des Systemzustandes zu
einem gegebenen Zeit- und Ortswert durch die Lösungsgleichung.
ABBILDUNG 2. Subharmonisches Turing-Hopf Muster eines Halbleiters (oben). Der
zeitliche Verlauf ist nach oben, die räumliche Achse ist waagrecht ausgerichtet. Darunter ist
eine Karhunen-Loève Decomposition des Musters in Bezug auf seine Eigenwerte für die
räumliche Verteilung gegeben. Aus [Schoell 2001] S. 359.
Schon schwieriger wird es, wenn die Funktion f(a,u) nicht mehr simpel ist.
Dann ist eine analytische Lösung meist nicht mehr möglich. Die Alternative
hierzu ist eine iterative Lösung. Hierzu wird die Differentialgleichung
diskretisiert. Aus dieser Diskretisierung kann dann der Zustand des Systems zu
späteren Zeitpunkten aus dem vorherigen errechnet werden. In Abbildung 2 ist
ein Beispiel aus der Halbleitertechnik dargestellt. Bei Halbleitern mit
nichlinearer Kennlinie von elektrischem Feld zu Ladungsdichte, bei dotierten,
verunreinigten Halbleitern, bei Tunnelresonanz- oder Gunn-Dioden treten
komplizierte Muster im zeitlich-räumlichen Verlauf auf. Hier handelt es sich um
Hopf- und Turing-Bifurkationen, also um periodische Grenzzyklen. Die
spektrale Darstellung in Abbildung 2 unten verdeutlicht den Anteil der
Eigenwerte des Musters entlang der räumlichen x-Achse des Halbleiters.
Solche Muster treten im Falle von Nichtlinearitäten des Systems auf. Muster
dieser Art wurden in vielen Bereichen der Natur gefunden, wie z.B. beim Laser,
bei spontaner Zellbildung in erhitzten Flüssigkeiten (Bernard-Zellen), in
Dünenbildung und deren Sandmustern [Haken 1983] [Haken 1990] [Bader
1993] [Mahnke et al. 1992], aber auch in biologischen, soziologischen,
therapeutischen oder ökonomischen Systemen [Kratzky und Wallner 1990]
[Camazine et al. 2001] und nicht zuletzt in der musikalischen Akustik [Bader
2002a] [Bader 2002b] [Gibiat 1988] [Gibiat und Castellengo 2000] unter
anderem.
Das Auffinden komplexer Muster aus einfachen Gleichungen findet sich auch
bei sogenannten logistischen Abbildungen und komplexen Julia-Mengen. In der
logistischen Iterationsgleichung
(2.0.7)
f l H xL = l x H 1 - xL
ist λ eine Konstante. Nach vielen Iterationen bei fixem λ konvergiert die
Gleichung zu einem oder mehreren Werten. Betrachtet man den Bereich λ0 < λ
< λmax, dann findet man zu Beginn für f nur eine Lösung, zu der das System
konvergiert. Dann aber springt f zwischen zwei, drei oder mehreren Werten hin
und her, es entstehen Bifurkationen, bis schließlich und plötzlich in einem
Intervall von λ sehr viele Werte für f möglich sind. Hier spricht man von einem
chaotischen Fenster. Dann kann sich das System wieder auf wenige
konvergierende Werte einstellen, um dann erneut ins Chaos zu fallen.
Ein weiteres Beispiel, das der Julia-Menge, zeigt zweidimensionale
Ergebnisbilder, da hier komplexe Zahlen iteriert werden. Die
Iterationsgleichung
(2.0.8)
f H zL = a0 + a1 z + a2 z2 + ... + an zn
mit komplexen Zahlen kommt dem musikalischen Fall schon recht nahe, da
Sinusschwingungen ebenfalls als komplexe Zahlen dargestellt werden können.
Je nach Wahl der Parameter an ist das resultierende Phasenportrait
superattraktiv: musikalische Stille
indifferent: musikalischer stationärer Klang
attraktiv: musikalisches accelerando
abstoßend: musikalisches crescendo
In Abbildung 3 sind zwei Phasenplotts ein und desselben Klarinettentons der
Tonhöhe a2 gezeigt, welcher laut, aber weich gespielt wurde. Zu Tonbeginn ist
der Klang sehr leise. In der oberen Darstellung ist in der Mitte der Darstellung
daher ein 'Knäuel' von Kreisen zu erkennen, die beginnende Trajektorie. Dies
ist fast (ganz zu Beginn exakt) der mathematische Fall des superattraktiven
Verhaltens. Nach kurzer Zeit wird der Ton lauter, der Plot weitet sich, wir
haben ein abstroßendes Szenario. In der unteren Darstellung der Abbildung 3 ist
dann der gesamte Einschwingvorgang des Klarinettentons als Phasenplott
dargestellt. Man erkennt noch in der Mitte den Ursprung, aus dem der Ton
geboren wurde. Der dickere Rand der Plotts ist aber nun der Bereich, in dem
sich die Trajektorie weiterhin bewegen wird, somit ein indifferenter Zustand.
Bei den Klavieretüden Ligetis liegen natürlich keine Gleichungen vor, nach
denen man überprüfen könnte, ob eine Fraktalität vorhanden ist. Hier muss man
den umgekehrten Weg gehen. Die Fraktalität kann nämlich auch aus
vorhandenen Gebilden extrahiert werden, seien diese räumliche, zeitliche, seien
sie im Frequenzbereich oder auf irgend eine andere Art gegeben. Um dies tun
zu können, müssen wir den Begriff der fraktalen Dimension auf die gegebene
Datenmenge, also auf die digital vorliegenden Musikstücke anwenden.
a)
b)
ABBILDUNG 3.Phasenplotts eines Klarinettentons a2, der laut aber weich intoniert wurde. Zu
sehen ist a) 18ms des Einschwingvorgangs. Da zu Beginn der Ton sehr leise war und erst nach
dem Klangeinsatz lauter wird, liegt hier der mathematisch abstoßende Fall vor. b) 45ms des
Einschwingvorgangs. Hier ist die Endlautstärke erreicht, mathematisch ist dies der
indifferente Zustand.
Begriff der fraktalen Dimension in der Mathematik
Der mathematische Begriff des Fraktalen ist durch die Teilung des Raumes in
gleiche Unterteilungen gegeben. Im Falle einer ganzen Dimension ist dies
banal. Die Definition der Dimension
(3.0.9)
N = eD
mit D der Dimensionszahl, ε einer Unterteilung und N der Anzahl der
entstehenden Teile, spiegelt dies wieder. Haben wir eine Linie, ist D = 1, dann
entstehen N Teile, wenn wir diese Linie in ε Teile teilen. Im Falle von D = 2
gilt, dass wir bei Einteilung einer ja jetzt existierenden Fläche in Boxen mit
Kantenlänge ε
(3.0.10)
N = eD = e2
Boxen erhalten. Entsprechendes gilt für dreidimensionale Würfel. Nehmen wir
aber an, wir haben die Anzahl der Teile N und kennen auch deren Unterteilung
ε, dann können wir die Dimension daraus berechnen. Zersägen wir einen Kubus
in Würfel der Kantenlänge ε= 5 und erhalten wir dann N = 125 Würfel, dann
gilt
(3.0.11)
D = loge H NL = log5 H 125L = 3
Nun ist als eine fraktale Dimension zu verstehen, dass das Ergebnis der
Dimensions-Berechnung keine ganze Zahl mehr ist. Ein bekanntes Beispiel ist
das der Koch'schen Schneeflockenkurve, auch als Schneeflocke bekannt. Hier
wird eine Linie in drei Teile geteilt und das Mittelteil zu einem Dreieck
geformt. Dadurch sind dort, wo vorher drei Teile waren, nun deren vier. Wir
können schreiben:
(3.0.12)
D = log3 H 4L = 1.26186
Die Schneeflocke hätte also eine fraktale Dimension von D = 1.26186, also eine
Dimensionszahl zwischen Linie und Fläche. Dies ist nicht damit zu
verwechseln, dass das Gebilde nun eine gewisse Fläche ausfüllt, aber eben nicht
einen zweidimensionalen Würfel. Die Dimensionsbestimmung ist der Kurve
intrinsisch und kann z.B. als Konstruktionsvorschrift verstanden werden. Die
Analogie zu den Beispielen der Synergetik des vorigen Abschnitts ist nun darin
zu sehen, dass bei weiterer Unterteilung der Schneeflockenlinien mit derselben
Unterteilungs-Vorschrift sich eine immer differenzierter erscheinende Struktur
ergibt, die aber auf einer einfachen Regel aufgebaut ist und auch bei beliebig
vielen Unterteilungen dieselbe Dimensionszahl hat.
ABBILDUNG 4. Konstruktion der Koch’schen Schneeflockenkurve mit fraktaler Dimension
von D = 1.26186. a) Der erste Schritt, welcher auf alle weiteren Teillinien angewendet werden
wird, b) nach fünf Iterationen, c) nach sieben Iterationen. Die fraktale Dimension ist in a), b)
und c) dieselbe.
ABBILDUNG 5. Konstruktion einer Allintervall-Reihe als fraktales Gebilde. Die hier
verwendete Reihe lautet: h, d, es, g, c, fis, e, des, as, b, a, f. Die jeweiligen Tonhöhen sind als
Intervalle zum ersten Ton h nach oben aufgetragen. Die Querachse ist in zwölf Teile geteilt,
für jeden Ton ein Teil. So ist die Höhenkurve als Tonhöhenkurve zu lesen. Die fraktale
Dimension dieser Allintervall-Reihe ist D = 1.6860. Die Iterationen sind a) zwei, b) drei und
c) vier.
In Abbildung 5 ist eine Koch’sche Schneeflockenkurve, die sogenannte
Schneeflocke in drei Entwicklungsstadien dargestellt. In Abb. 5 a) sieht man die
grundlegende Konstruktionsvorschrift. Die Anwendung dieser Vorschrift auf
die einzelnen Linien ergibt weitere Muster. Die Teilbilder b) und c) zeigen das
Ergebnis fünf resp. sieben solcher Iterationsschritte.
In Abbildung 5 ist das Verfahren an einer Zwölftonreihe ausprobiert. Es wurde
die Allintervall-Reihe h, d, es, g, c, fis, e, des, as, b, a, f verwendet. Die
horizontale Achse ist zwölfgeteilt, wobei von rechts nach links die Reihe
aufgetragen ist. Die Hochachse stellt den Abstand des jeweiligen Tons vom
ersten Ton h dar. Aufgrund dieser Darstellungsform kann eine fraktale
Dimension dieser Reihe von D = 1.6860 festgestellt werden.
Der Zweck dieser Demonstration ist es, die Verwendungsmöglichkeiten der
fraktalen Dimension, aber auch ihre Grenzen aufzuzeigen. Eine Zwölftonreihe
wird normalerweise nicht in sich geschachtelt dergestalt, dass in jedem Ton
wiederum die ganze Reihe erklingt. Nichtsdestotrotz ist die Dimensionszahl
bereits für die Grundreihe festgelegt. Würde diese Reihe als Melodie
beispielsweise in 16-tel Noten gespielt, was drei Viertel Noten entspräche und
würde man dem einen Orgelpunkt in drei Vierteln entgegenhalten, würde
perzeptorisch die Allintervallreihe als erheblich belebter wahrgenommen. Und
in der Tat hätte der Orgelpunkt die fraktale Dimension D = 1. So entspräche die
Dimensionszahl einer perzeptorischen Gegebenheit. In dieser Definition wäre
die Größe der Dimension mit Vergrößerung der Intervallsprünge ebenfalls
erhöht, dies jedoch nicht linear. Schon kleine Abweichungen vom perfekten
Orgelpunkt würden die Dimensionszahl schnell erhöhen. Bei allerdings schon
großen Sprüngen in der Melodie wäre eine erhebliche Verkomplizierung dieser
Tonreihe erforderlich, um die Dimensionszahl noch merklich ansteigen zu
lassen. Auch dies scheint perzeptorisch plausibel. Um hier Klarheit zu
bekommen, wären Hörtests vorzunehmen.
In dieser Arbeit wird die Korrelationsdimensionsberechnung zum Einsatz
kommen. Für deren genaue Berechnungsvorschrift sei auf die oben erwähnte
Literatur verwiesen (z.B. [Bader 2002b]). Hier könnten natürlich noch weitere
Dimensionsarten zum Einsatz kommen. Alle würden versuchen, in der
zweifellos herrschenden Komplexität der Klavieretüden Ligetis einfache Regeln
zu finden. Die hier verwandte Methode genügt aber bereits, um die
grundlegenden Muster zu erkennen. Um dies anhand eines weniger
komplizierten Beispiels zu verdeutlichen, sei hier zuerst ein Stück aus Ligetis
Musica ricercata analysiert. Nachdem die Methoden dann vertraut geworden
sind, sollen einige Klavieretüden diesem Analyseverfahren anvertraut werden.
Analyse Musica ricercata VIII
An der Musica ricercata VIII von György Ligeti ist dem ersten Höreindruck
nach nichts fraktal. An diesem Werk sollen aber die Methoden der Analyse
fraktaler Eigenschaften der Klavieretüden vorgestellt werden. Die Ergebnisse
aus den Etüden können dann im Vergleich besser beurteilt werden.
Das 'Vivace. Energico.' überschriebene Stück ist sehr rhythmisch, im 7/8-tel
Takt gehalten und erinnert an die Aksak-Rhythmik. Sein Grundrhythmus ist in
Achteln gezählt 1-1-2-1-2-2-1-2-2. Weitere folkloristische Elemente sind der
rhythmisierte Bordunton, der meist im Diskant das e1 ist und die Modalität der
Harmonik. Das Stück ist mit drei Kreuzen vorgezeichnet und es kommen im
Notentext nur selten weitere Vorzeichen vor, doch bewegt sich die Tonalität
nicht rein in A-Dur. Der Schlussakkord der oben genannten rhythmischen,
zweitaktigen Phrase ist Amaj7/9, ohne Grundton, aber mit großer Terz, Quinte und
eben großer Sieben und großer None, welcher auch ein typischer Jazz-Akkord
sein könnte.
Was das Stück für die Analyse so reizvoll macht, ist seine klare Strukturierung.
Die zweitaktige rhythmische Phrase wird zwei- oder viermal gebracht. Dabei
gibt es neben der Grundform einer in forte gespielten energischen
Anfangsphrase, mit e1 als höchstem Ton, eine Oktavierung hiervon (ab T 18),
eine piano gespielte Version eine Oktave tiefer, mit e als höchstem Ton (ab T
24), und eine in Bezug auf die Grundform um drei Oktaven vertiefte Version
mit einer Melodie in der rechten Hand (T 40 - 51). Insgesamt lässt sich das
Stück wie folgt zergliedern.
T 1:
T 2-9:
T 10-17:
T 18-23:
T 24-28:
T 29-32:
T 33-36:
T 37-39:
T 40-51:
T 52-57:
T 58-61:
T 62, 63:
Einzelner stehender Akkord
Grundphrase auf e1
Grundphrase auf e1, Bass bewegt
Oktavierung auf e2
Unteroktavierung auf e, piano
Grundphrase auf e1
Oktavierung auf e2 aber piano
Übergang zu T 40 auf variierter Grundphrase
dreifache Unteroktavierung, Melodieteil, piano
Grundphrase
dreifache Unteroktavierung, kurze Melodie, piano
Schluss, Grundphrase
ABBILDUNG 6. Korrelogramm und faktale Korrelationsdimensionen des Stücks 7 aus G.
Ligeti's 'Musica ricercata'.
In Abbildung 6 sind Korrelogramm und fraktale Korrelationsdimension des
Stücks dargestellt. Aus der Darstellung des Korrelogramms ergibt sich klar die
oben beschriebene Teilung. Diese spiegelt sich ebenfalls in der fraktalen
Dimensionsrechnung nieder. T 1-9 und T 10-17 sind jeweils durch zwei Peaks
gekennzeichnet. Dieser Teil, der bis Sekunde 18 dauert, wird von dem Teil der
Oktavierung gefolgt. Im Korrelogramm ist dies durch die dichteren Linien
dargestellt. Die fraktale Dimension schlägt erneut aus. Die folgende dreifache
Unteroktavierung zeigt sich im Korrelogramm durch ein verschmiertes Bild.
Die fraktale Dimension weist eine Lücke auf. T 29-39 ist eingerahmt von einer
ähnlichen Struktur wie der Beginn des Stücks. Hier sind in der fraktalen
Dimension zwei Peaks zu erkennen. Dazwischen T 33-36 in der Oktavierung ist
das Korrelogramm, wie die Korrelationsdimension, verhaltener als bei der
ersten Oktavierung. Der Grund liegt in der Lautstärke. Die erste Oktavierung
erfolgte im forte, nun herrscht piano.
Der Melodieteil ist sehr interessant. Da die Begleitung auf dem E als höchstem
Ton verbleibt, ist das Korrelogramm wieder verschmiert. Diese ausgezeichnete
Stelle im Stück wird aber auch von der Korrelationsdimension mit einem
deutlichen Tiefststand quittiert. Dieser Teil geht bis Sekunde 54. Die Dimension
schnellt aber bereits in Sekunde 45 wieder nach oben. Grund ist der einsetzende
Melodieton h1, der perzeptorisch das Stück erheblich belebt. Auch kann im
folgenden Verlauf der Dimensionsberechnung eine schwankende Tendenz
festgestellt werden, in Kontrast zu den klaren Peaks zu Beginn. Auch dies ist
von der Melodie verursacht, die filigran den Verlauf des Stückes weiterführt.
Ab Sekunde 53 wird der Grundrhythmus in ähnlicher Form wie zu Beginn
wieder gebracht. Es folgt eine weitere kurze Melodie mit tiefer Begleitung, nach
der schießlich die Grundphrase das Stück endet. Hier ist im Korrelogramm
wieder ein Verschmieren während der tiefen Bassbegleitung der Melodie und
eine klare Struktur zum Ende hin zu erkennen. Das Korrelogramm stürzt zu
Beginn der Melodie erneut ab, jedoch nicht so tief wie beim ersten Mal. Dort
war die Lautstärke auch geringer. Der Peak zum Schluss ist dem wieder klaren
Rhythmus geschuldet. Die im Bild weißliche Schlußchicht ist das Verklingen
des Klaviers. Das Anschnellen der Dimension ganz gegen Ende liegt am nun
hörbaren Grundrauschen der Aufnahme. Hier sind auch keine relevanten
Ereignisse mehr vorhanden.
Offenbar stellt das Korrelogramm die rhythmischen und melodiösen
Gegebenheiten rudimentär dar. Die Korrelationsdimension gibt hier die
perzeptorische Ereignisdichte wieder. Je 'mehr los' zu sein scheint, desto höher
ist der Wert der Korrelationsdimension. Diese Eigenschaft der Dimension ist
durchaus eine fraktale. Denn je mehr Grundgesetze der Algorithmus im Klang
entdeckt, desto höher ist der fraktale Wert. Je mehr Gesetze aber einen Klang
beherrschen, desto 'gebrochener' ist er, desto vielfältiger. Allerdings ist ein
hoher Wert nicht unbedingt das, was man mathematisch an fraktalen
Geometrien bestaunt. Diese bestehen eben gerade aus wenigen Gesetzen,
welche dann ein kompliziertes Muster ergeben. Die Tatsache, dass hier bereits
hohe Werte erzielt worden sind, veranschaulicht, dass eine Komplexität oder
Fraktalität in einzelnen Zeitpunkten, also nur im jeweiligen Klang selbst,
musikalische Fraktalität nicht sein kann. Offenbar ist eine zeitliche
Verquickung der Melodien, Rhythmen oder Akkorde eher dazu imstande, aus
einfachen Grundmustern ein fraktales Gewebe zu bauen. Das Gesamtbild der
Korrelationsdimension ist aber sehr harmonisch, nicht fraktal. Dies entspricht
dem Höreindruck. Wir werden sehen, dass dies bei der siebenten Klavieretüde
anders ist. Dort ist die Struktur erheblich komplexer.
Étude 7: Galamb borong
Die siebente Klavieretüde György Ligetis ist mit Galamb borong überschrieben
und soll so bereits an indonesische Melodik und Rhyhthmik erinnern. In der
Spielanweisung spricht Ligeti auch von einer additiven Pulsationsstruktur, der
das Stück anstatt einer Taktmetrik zugrunde liegt, was wiederum an
afrikanische Rhythmik erinnert. Eine stete Sechzehntelpulsation soll im
Hintergrund mitlaufen. Die Taktangabe 12/16 solle nur zur Orientierung dienen,
ebenfalls die Taktstriche. Die rechte und linke Hand werden hier offenbar wie
zwei Xylophonschlegel (oder Metallophonschlegel) behandelt. In der Tat
spielen die Hände meist Einzeltöne, wovon nur bei Akzentuierungen
abgewichen wird. Die Spielanweisung spricht hier von einer strengen Trennung
beider Hände während des ganzes Stücks: '... die rechte Hand spielt
ausschließlich im Ganztonbereich H, A, G, F, ES, DES, die linke im
Ganztonbereich E, D, C, B, AS, GES.'
Das Stück kann zur hier nötigen Orientierung in vier Abschnitte unterteilt
werden. Hier spielen liegende Basstöne im Mittelabschnitt, die die verlangsamte
strata repräsentieren, eine große Rolle. In T 27-42 spielt die linke Hand über
jeweils drei, drei und zehn Takte einen gehaltenen Zweiton-Bassakkord mit
sostenuto Pedal. Dadurch ist sie in der Lage, während der ersten sechs Takte T
27-32 zusätzlich Melodietöne und ab T 34-42 ein Sechzehntel-Rhythmuspattern
zu spielen. Dieser Teil II ist in ff bis ffff gehalten, was ihn ebenfalls absetzt. Teil
I (T 1-26) beginnt mit einer zweitaktigen einführenden, rein rhythmischen Figur
in beiden Händen. Sie, wie der folgende Verlauf, steht im piano. Eine
Steigerung erfolgt in T 3-6 und T 7-10, einmal durch Einführung einer HalbeNoten Melodie in T 3-6, welche dann in T 7-10 durch eine Verschnellerung in
Viertelnoten und durch Synkopierung beschleunigt wird. Dieser Vorgang
erreicht seinen Höhepunkt in T 11. Hier ist sowohl ein Höchstpunkt in Bezug
auf die Tonhöhe, als auch ein kleiner Einschnitt zu finden, da die bisher
gleichmäßige Rhythmik unterbrochen ist. Diese Rhythmik, jetzt nur durch
Akzente verschärft, welche in rechter und linker Hand unterschiedlich gesetzt
sind, wird in T 12-15 wieder aufgenommen. Nach einer dann folgenden leichten
Beruhigung T 16-18, welche auch in ppp gehalten ist, folgt ein crescendo T 1926. Ab T 26 folgt der schon erwähnte Teil II.
Teil III hebt sich von Teil II deutlich durch das plötzliche Abbrechen der
Lautstärke von ffff zu pp in der rechten und ppp in der linken Hand ab. Was
folgt, ist eine verfeinerte melodische und rhythmische Führung T 46-58. Nach
einem crescendo T 59-63, welches die enggeführte Bassfigur der linken Hand in
den Takten zuvor die Tonhöhenskala hinaufführt sowie die Lautstärke anhebt,
folgt eine Rhythmik T 64-72, welche in weitergeführtem crescendo bis fffff
gelangt. Der Schlussteil IV T 73-89 senkt diese Lautstärke wiederum auf ein pp
ab und bringt die rechte Hand in Sechzehntelnoten mit einer ebenfalls
rhythmisierten linken, deren Rhythmik jedoch unterbrochen oder durch längere
Melodietöne ersetzt ist. Das Stück soll schliesslich so leise ausklingen, '...dass
man eine Grenze zur Schlusspause nicht wahrnehmen kann' (Ligeti,
Spielanweisung).
ABBILDUNG 7. Korrelogramm und faktale Korrelationsdimensionen des Stücks 7 aus G.
Ligeti's Klavieretüden.
In Abbildung 7 ist das Korrelogramm und die Berechnung der fraktalen
Dimension für die Klavieretüde 7 zu sehen. Im Vergleich zu Abbildung 6,
welche das siebente Stück der Musica Ricercata zeigt, ist hier ein weit
komplizierterer Verlauf vorhanden. Auch wenn im Korrelogramm noch klare
Strukturen zu erkennen sind, ist dies im Dimensionsplott nur noch schwer
auszumachen. Daher wurde der Plott in die oben beschriebenen Teile unterteilt.
Hier nun zeigt sich aber, dass der Verlauf der fraktalen Dimensionskurve dem
musikalischen Verlauf sehr genau entspricht.
Teil I wird durch ein crescendo abgeschlossen. Der bis dorthin höchste Peak der
Kurve lässt dies klar erkennen. Hier spricht die Kurve aber nicht einfach von
einer Verstärkung der Lautstärke. Der Teil II erreicht teilweise das ffff. Doch
hier reagiert die fraktale Kurve nur verhalten. Und in der Tat ist diese Stelle
zwar laut, doch weit weniger bewegt als der kommende Teil III. Hier verfeinert
sich die melodische und rhythmische Führung. Diese gesteigerte Komplexität
spiegelt sich auch in den durchschnittlich hohen Dimensionszahlen. Der abrupte
Abbruch dieses Teils zum Teil IV hin ist ebenfalls klar zu erkennen. Hier nun
erreicht die Gesamtkurve ihren Höhepunkt. Dies ist dadurch zu erklären, dass
im Schlussbereich ein Wechsel zwischen melodischen und rhythmischen
Phrasen stattfindet. Auch wenn die Lautstärke sich hier im Bereich pp bewegt,
ist doch die Informationsdichte sehr hoch. Das Stück scheint alle bis dahin
gemachten Erfahrungen noch einmal zu erinnern und in diesem Schlussteil dann
andeutend zu bringen. Schließlich aber versiegt die Erinnerung und das Stück
endet mit einem künstlichen fade out. Die Ereignisse nach dem Schlussstrich
von Teil IV sind wiederum der Tatsache geschuldet, dass hier beim Ausklingen
des Akkordes das Grundrauschen zunimmt. Die Kurve ist hier also nicht mehr
aussagekräftig.
Schlussbemerkung
Die Frage der Fraktalität in Ligeti's Klavieretüde No. 7 kann somit durch die
Verlaufskurve der fraktalen Korrelationsdimension beantwortet werden. Sie
zeichnet die Ereignisdichte durch die Zeit nach. Ihr Verlauf zeigt die
Komplexität der Komposition. Diese Komplexität zeichnet sich aber nicht etwa
durch einen hohen fraktalen Dimensionswert aus, sondern durch das
Zusammenwirken der einzelnen Teile des Stücks untereinander. Hier sei an die
Schneeflocken- und die Allintervallreihenkurve erinnert (s.o.) Die
Ereignisdichte des Stücks verläuft bei ungebrochenen, klar strukturierten
Werken, wie im Beispiel des achten Stücks der Musica Ricercata gezeigt, sehr
geordnet und dort sogar symmetrisch. Dies ist bei der siebenten Klavieretüde
nicht mehr der Fall. Die Methode der fraktalen Korrelationsdimension als Index
der zeitlich strukturierten Klangdichte liefert in seinem zeitlichen Überblick
einen Eindruck der Berechnungen und der Zusammenhänge des jeweiligen
Werkes. Bei dem Beispiel aus der Musica ricercata war dies die symmetrische
Teilung, welche so der Analyse und auch dem Höreindruck entspricht. Bei der
siebenten Klavieretüde war es die Feststellung, dass die Informationsdichte und
damit die Komplexität beständig zunehmen und einen komplexen Verlauf
zeigen.
Ligeti beschreibt im Booklet zur Sony-Einspielung seiner Etüden [Ligeti 1997],
dass die Kompositionen keine eins-zu-eins Umsetzungen der Theorien fraktaler
Geometrien oder afrikanischer Rhythmik sind, sondern dass unter ihrem
Eindruck und nach langer Beschäftigung mit diesen Ideen und Konzepten eine
künstlerische Verarbeitung des Stoffs gelang. Dies spiegeln die hier
aufgezeigten Ergebnisse. Sie beschreiben die Komplexität und den inneren
Aufbau des musikalischen Ergebnisses der Beschäftigung mit fraktalen
Konzepten. So stellen sie im musikalischen Gesamtverlauf der Stücke deren
Fraktalität dar.
Es stellen sich hier für die Zukunft aber auch weitere Aufgaben. Das Auffinden
fraktaler Gegebenheiten in den Musikstücken könnte z.B. an einen relativen
Vergleich einzelner Teile des Stücks in Bezug auf ihre Ähnlichkeit gebunden
sein. Diese Ähnlichkeitsstruktur könnte die hier aufgezeigte Komplexität
ebenfalls im Bereich der Teilbezüge der Klangstrukturen finden.
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