Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den EU

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Janssen, André / Schulze, Reiner
Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den EU-Mitgliedstaaten
The European Legal Forum (D) 2, 2004, 77 - 85
© 2004 IPR Verlag GmbH München
The European Legal Forum - Internet Portal
www.european-legal-forum.com
Literatur Dok.-Nr. 475
INTERNATIONALES UND EUROPÄISCHES WIRTSCHAFTS- UND WETTBEWERBSRECHT
______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den EU-Mitgliedstaaten
Prof. Dr. Reiner Schulze und Dr. André U. Janssen
A. Einleitung
Ziel des folgenden Beitrages ist es, einen rechtsvergleichenden Überblick über das Recht des unlauteren Wettbewerbs
(„unfair commercial practices, concurrence déloyale, competencia desleal, concorrenza sleale, ongeoorlofde mededinging“) in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu geben. Der Hauptteil beruht dabei maßgeblich auf einer Studie,
die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben
1
wurde, wenngleich hier lediglich das materielle Lauterkeitsrecht, nicht aber das Sanktions- und Wettbewerbsverfahrensrecht Gegenstand der Ausführungen sein kann. Anders als in
der Studie wird jedoch auch das polnische Recht zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs berücksichtigt, um so
stellvertretend für die am 1. 5. 2004 hinzutretenden neuen
2
EU-Mitgliedstaaten der Osterweiterung gerecht zu werden.
Der Beitrag wendet sich zunächst kurz dem Begriff des unlauteren Wettbewerbs zu (B), bevor im Anschluss daran auf
*
1
2
Prof. Dr. Reiner Schulze ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und
Europäisches Zivilrecht an der Universität Münster (D). Dr. André U.
Janssen ist wissenschaftlicher Assistent am selbigen Lehrstuhl. Die Verfasser sind Teil des Forschungsnetzwerks „Uniform Terminology for
European Private Law“, das im Rahmen des TMR-Programms (Training and Mobility of Researchers) von der Europäischen Kommission
gefördert wird. Partner dieses Netzwerks sind Barcelona, Lyon, Oxford, Münster, Nijmegen, Turin und Warschau. Bei dem Beitrag handelt es sich um die mit Nachweisen versehene Fassung eines Vortrages
anlässlich der Jahreskonferenz der Association Européenne des Avocats
im Januar 2004 in Garmisch-Partenkirchen.
Vgl. Schulze/Schulte-Nölke, Analysis of National Fairness Laws Aimed
at Protecting Consumers in Relation to Precontractual Commercial
Practices and the Handling of Consumer Complaints by Business, 2003
(im Internet veröffentlicht unter: http://europa.eu.int/comm/consumers/cons_int/safe_shop/fair_bus_pract/green_pap_comm/studies/unf
air_practices_en.pdf).
Hinsichtlich der Gesetze gegen den unlauteren Wettbewerb in den ehemals sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas siehe
Bakậrdjieva, GRUR Int. 1994, S. 671 ff.; Beier/Bastian/Kur (Hrsg.),
Wettbewerbsrecht und Verbraucherschutz im Mittel- und Osteuropa,
1992; Dietz, GRUR Int. 1994, S. 649 ff.; Dimitrov, GRUR Int. 1994, S.
676 ff.; Eminescu, GRUR Int. 1994, S. 688 ff.; Lambsdorff, GRUR Int.
1994, S. 714; Opltová, GRUR Int. 1994, S. 710 ff.; Skubisz, GRUR Int.
1994, S. 681 ff.; Straus, GRUR Int. 1994, S. 700 ff.
*
die internationalen und europäischen Einflüsse, welche auf das
nationale Lauterkeitsrecht einwirken, eingegangen wird (C).
Den Schwerpunkt der Ausführungen bildet die Analyse des
mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechts (D). Hierbei stehen die
verschiedenartigen Regelungstechniken, die Verwendung von
Verhaltenskodizes und die zahlreichen speziellen Regelungen
bezüglich unlauterer Praktiken, spezieller Geschäftspraktiken
und besonders schutzbedürftiger Verbraucher im Vordergrund.
B. Begriff des unlauteren Wettbewerbs in Europa
Als gemeinsamer Ausgangspunkt für den Begriff des unlauteren Wettbewerbs kann die über einhundert Jahre alte Pariser
3
Verbandsübereinkunft (PVÜ) herangezogen werden. Danach
gehört zum Schutz des gewerblichen Eigentums auch die
„Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs“ (vgl. Art. 1
Abs. 2 PVÜ). Unlauterer Wettbewerb ist gem. Art. 10bis Abs.
2 PVÜ jede Wettbewerbshandlung, die den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel zuwiderläuft. Nach
Art. 10bis Abs. 3 PVÜ ist darunter u.a. das Hervorrufen von
Verwechslungen (Nr. 1), die Anschwärzung durch falsche
Angaben (Nr. 2) und eingeschränkt auch die irreführende
Werbung (Nr. 3) zu verstehen. Gem. Art. 10ter Abs. 1 PVÜ
verpflichten sich die Mitgliedstaaten, den Angehörigen der
anderen Mitgliedstaaten geeignete Rechtsbehelfe zu sichern,
um u.a. alle die in Art. 10bis PVÜ benannten Handlungen
wirksam zu unterdrücken.
Inzwischen hat die PVÜ mehr als 160 Mitgliedstaaten, darunter auch alle EU-Mitgliedstaaten. Dementsprechend kann
die Begriffbestimmung des unlauteren Wettbewerbs im PVÜ
durchaus als eine gemeinsame Wurzel innerhalb der Europäischen Union angesehen werden, wenngleich diese ohne Zwei3
Vgl. zum PVÜ näher Reger, Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPS-Abkommen, Köln (D), 1999.
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fel nur als „kleinster gemeinsamer Nenner“ und absoluter
Mindeststandard fungieren kann und viele Fragen unbeantwortet bleiben.
C. Internationale und europarechtliche Einflüsse
I. Internationale Einflüsse
Die eben angesprochene PVÜ hatte in der Vergangenheit
großen Einfluss auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs.
Insbesondere die Generalklausel des Art. 10bis Abs. 2 PVÜ
diente einigen Staaten als Modell für die Schaffung einer vergleichbaren Klausel in ihren eigenen nationalstaatlichen Rechten. Sieht man jedoch einmal von Großbritannien und Irland
ab, so ist der gegenwärtige Einfluss auf die nationalen Rechtsordnungen als gering einzustufen, da diese regelmäßig deutlich über den von der PVÜ geschaffenen Standard hi4
nausgehen.
Ein weiterer internationaler Einfluss ergibt sich aus dem
Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Ei5
gentums vom 15. 4. 1994 (TRIPS). Jedoch befasst sich das
TRIPS nur mit zwei lauterkeitsrechtlich relevanten Sachverhalten, nämlich dem Schutz geographischer Angaben (Art. 2224 TRIPS) und dem Schutz nicht offenbarter Informationen
(Art. 39 TRIPS), so dass das TRIPS für die hier durchgeführte
6
Untersuchung von untergeordneter Bedeutung ist.
II. Europarechtliche Einflüsse
1. Lauterkeitsrechtlich relevantes Primärrecht
Der EG-Vertrag setzt – wie sich u.a. aus seiner Präambel ergibt – einen redlichen Wettbewerb voraus. Eine unmittelbare
Regelung, wie etwa für das Kartellrecht, hat das Lauterkeitsrecht jedoch nicht erfahren. Somit verbleibt die Gesetzgebungskompetenz bezüglich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs den Mitgliedstaaten, solange die Gemeinschaft nicht
tätig wird.
Diese Kompetenz der Mitgliedstaaten wird aber durch das
System der Marktfreiheiten, insbesondere durch den freien
Warenverkehr gem. Art. 28 EGV beschränkt. Der EuGH hat
durch seine Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit – an
dieser Stelle sei nur etwa auf seine Entscheidungen zu Dasson7
8
9
ville , Cassis de Dijon und Keck verwiesen – erheblichen Einfluss auf das nationale Lauterkeitsrecht gehabt und hat ihn
10
noch immer. Aber auch durch seine Rechtsprechung zum
4
5
6
7
8
9
10
freien Dienstleitungsverkehr gem. Art. 49 ff. EGV beeinflusst
er das mitgliedstaatliche Wettbewerbsrecht, zumal noch nicht
endgültig geklärt ist, ob die Keck-Doktrin auf diesen Bereich
11
übertragbar ist. So hat der EuGH etwa in seiner Alpine In12
vestment-Entscheidung ein Verbot der grenzüberschreitenden Telefonwerbung für Finanzdienstleistungen anhand Art.
49 EGV überprüft und für rechtmäßig erklärt.
13
Schon anhand dieser kurzen Skizze wird der Einfluss des
EuGH über die „Einfallstore“ der Grundfreiheiten auf das nationale Lauterkeitsrecht deutlich. Wichtig ist allerdings anzumerken, dass es sich hierbei immer nur um eine negative
und auch nur punktuelle Harmonisierung handelt und auch
nur handeln kann.
2. Lauterkeitsrechtlich relevantes Sekundärrecht
Anders als die Rechtsprechung des EuGH ist das Sekundärrecht in der Lage, eine positive Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechts zu bewirken. Der europäische
Gesetzgeber hat deshalb inzwischen mehrere Richtlinien erlassen, die sich – sei es zentral oder nur am Rande – mit dem
materiellen Lauterkeitsrecht befassen. Die wichtigsten Richtlinien auf diesem Gebiet sind die Richtlinien über irrefüh14
rende und vergleichende Werbung, über die Ausübung der
15
Fernsehtätigkeit, über den elektronischen Geschäftsver16
kehr, über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen
17
im Fernabsatz und über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektroni18
schen Kommunikation.
Dieses Sekundärrecht hat ohne Zweifel inzwischen einen
bedeutenden Einfluss auf das mitgliedstaatliche Lauterkeitsrecht gewonnen. Dennoch darf die Anzahl der Richtlinien
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nur zu einer punktuellen bzw. sektorspezifischen Angleichung gekommen ist und
viele lauterkeitsrechtlich relevante Regelungsbereiche immer
2001, S. 140 ff.; Hösch, Der Einfluss der Freiheit des Warenverkehrs
(Art. 30 EWGV) auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs, Frankfurt
(D), 1995.
11
12
13
14
In diesem Sinne auch Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, S. 389; Gamerith, WPR 2003, S. 145; Schricker/Henning-Bodewig, WPR 2001, S.
1372.
Vgl. näher zum TRIPS Reger, Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPS-Abkommen, Köln (D), 1999.
15
Daneben hat für das Recht des unlauteren Wettbewerbs auch noch das
Kommunikationsgrundrecht des Art. 10 EMRK an Bedeutung gewonnen (siehe dazu näher Schricker/Henning-Bodewig, (Fn. 4), S. 1373 f.
16
EuGH 11. 6. 1974 – 8/74 – Dassonville, Slg. 1974, 873.
EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649. Siehe dazu
auch Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Casebook Europäisches Verbraucherrecht, Baden-Baden (D), 1999, S. 55 ff.
EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C 268/91 – Keck, Slg. 1993, I-6097.
Siehe dazu auch Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), (Fn. 8), S. 111 ff.
Vgl. Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrecht, Tübingen (D),
17
18
Vgl. dazu Dethloff, (Fn. 10), S. 217 ff.; Schmid, Freier Dienstleistungsverkehr und das Recht des unlauteren Wettbewerbs, Köln (D), 2000, S.
188 ff., 229 ff.
EuGH 4. 12. 1986 – C-384/93 – Alpine Investment, Slg. 1995, I-1141.
Zudem überprüfte der EuGH auch das Einräumen von Werbemöglichkeiten anhand der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (vgl. EuGH
9. 7. 1997 – C-34/95 und C-36/95 – De Agostini, Slg. 1997, I-3843,
EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Gourmet, Slg. 200, I-1795).
Vgl. zu dem gesamten Themenbereich vertiefend Gamerith, WRP
2003, 145 f.; Köhler/Lettl, WRP 2003, S. 1021 f.; Schricker/HenningBodewig, (Fn. 4), S. 1369 ff.
Richtlinie 84/450/EWG v. 10. 9. 1984 über irreführende Werbung,
(ABl. 1984, Nr. L 250, S. 17), i.d.F. der Richtlinie 97/55/EG zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks
Einbeziehung der vergleichenden Werbung v. 6. 10. 1997, (ABl. 1997,
Nr. L 290, S. 18).
Richtlinie 89/552/EWG v. 3. 10. 1989 zur Koordinierung bestimmter
Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, (ABl. 1997, Nr. L 202, S. 60).
Richtlinie 2000/31/EG v. 8. 6. 2000 über bestimmte Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, (ABl. 2000, Nr. L 178, S. 1).
Richtlinie 97/7/EEG v. 20. 5. 1997 über den Verbraucherschutz bei
Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, (ABl. 1997, Nr. L 144, S. 19).
Richtlinie 2002/58/EG v. 12. 7. 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABl. 2002, Nr. L 201, S. 37).
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noch in den Kompetenzbereich der EU-Mitgliedstaaten fallen.
3. Zu erwartende europarechtliche Einflüsse auf das nationale Lauterkeitsrecht
Auch die Europäische Kommission hat die Bruchstückhaftigkeit des Europäischen Lauterkeitsrechts erkannt und will
dieser zum einen mit der Verordnung über die Verkaufsförde19
rung im Binnenmarkt, zum anderen mit einer Richtlinie über
20
unlautere Geschäftspraktiken entgegenwirken. Beide Vorstöße, welche bislang jeweils noch lediglich Vorschläge der
21
Kommission sind, wurden bereits mehrfach dargestellt und
zumindest der Richtlinienvorschlag wird auch in diesem Heft
22
nachfolgend untersucht, so dass an dieser Stelle von einer näheren Befassung mit den beiden – zweifelsohne sehr wichtigen
– Initiativen abgesehen werden kann.
D. Das Lauterkeitsrecht in den EU-Mitgliedstaaten
Einen etwas anderen Weg beschreitet man in Belgien und
Finnland. Das belgische Gesetz betreffend das Verhalten im
Wettbewerb und die Information von Verbrauchern enthält
im Unterschied zu den eben genannten Ländern zwei nahezu
identische Generalklauseln, wobei eine dem Schutz des Verbrauchers und die andere dem Schutz der Wettbewerber dient.
In Finnland existieren hingegen zwei zentrale Gesetze, die
sich mit dem unlauteren Wettbewerb befassen: Zwar weisen
beide eine Generalklausel auf, jedoch bezweckt das eine Gesetz nur den Schutz der Verbraucher, das andere hingegen
zielt nur auf den Schutz des lauteren Wettbewerbs und der
24
Wettbewerber ab.
Alle hier vorgestellten Rechtsordnungen haben gemeinsam,
dass sie spezielle Gesetze bezüglich des unlauteren Wettbewerbs geschaffen haben, die zumindest eine Generalklausel
enthalten, die als Auffangtatbestand für wettbewerbswidrige
Verhaltensweisen fungieren, die nicht bereits von spezielleren
Normen erfasst werden.
I. Generelle Regelungen im Lauterkeitsrecht
Schaut man sich die einzelnen nationalen Rechtsordnungen
bezüglich des unlauteren Wettbewerbs einmal überblicksartig
an, so scheint eine große, nahezu verwirrende Vielzahl von
verschiedenen Ansätzen zu bestehen, die Elemente des öffentlichen, des Privat- und Strafrechts auf unterschiedlichste Art
und Weise miteinander verbinden und kombinieren. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass bestimmte
Mitgliedstaaten zumindest vergleichbare Regelungstechniken
benutzen, so dass man eine Einteilung in drei verschiedene
Gruppen vornehmen kann.
1. Die verschiedenen Regelungstechniken
a. Rechtsordnungen mit speziellen lauterkeitsrechtlichen
Gesetzen
Die weitaus meisten Mitgliedstaaten der EU haben sich dafür entschieden, die wichtigsten lauterkeitsrechtlichen Bestimmungen in einem zentralen Gesetz, welches eine Generalklausel enthält, zu kodifizieren. Diese Generalklausel zielt
darauf ab, die Verbraucher, die Wettbewerber und den Wettbewerb als solchen zu schützen. Eine solche Lösung besteht
etwa in Dänemark, Deutschland, Griechenland, Österreich,
23
Polen und Schweden.
19
20
21
22
23
KOM (2001) 546 endgültig; geänderte Fassung KOM (2002) 585 endgültig und geänderte Fassung v. 15. 5. 2003 (9416/03). Vgl. dazu Beater,
ZEuP 2003, S. 33, 42 f.; Cortés/Marquilles, EuLF 2002, S. 327 ff.; Gamerith, WPR 2003, S. 154 ff.; Göhre, WPR 2002, S. 38 ff.; HenningBodewig, GRUR Int. 2002, S. 396 ff.; Köhler/Lettl, WPR 2003, S. 1029
ff.; Seidelberger, ÖBl 2002, S. 260 ff.
Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im
binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und
Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG,
97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)
v. 18. 6. 2003 [KOM (2003) 356 endgültig]. Vgl. dazu Handig, WRP
2002, S. 393 ff.; Köhler/Lettl, WRP 2003, S. 1031 ff.; Röttinger, Medien
und Recht 2003, S. 246 ff.; Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, S. 99 ff.
b. Rechtsordnungen mit inkorporierten lauterkeitsrechtlichen Normen in den Privatrechtskodifikationen
Einen anderen Weg verfolgt man hingegen in Italien und in
25
den Niederlanden. Anders als in den vorher genannten Systemen sind hier die lauterkeitsrechtlich relevanten Bestimmungen in den jeweiligen Privatrechtskodifikationen, dem
Codice Civile und dem Burgerlijk Wetboek, enthalten. Art.
2598 Codice Civile enthält eine Generalklausel, welche die
Pflicht zu lauterem Wettbewerb statuiert. In den Niederlanden werden die wesentlichen lauterkeitsrechtlichen Prinzipien
aus dem Deliktsrecht gem. Art. 6:162 Burgerlijk Wetboek
entwickelt.
Eine damit zumindest teilweise vergleichbare Lage besteht
26
in Frankreich. Dort haben die Richter aus den Bestimmungen des Code Civil zum Deliktsrecht ein richterrechtliches
Gesamtkonzept des unlauteren Wettbewerbs kreiert („concurrence déloyale“), welcher unmittelbar aber nur Wettbewerber
und nur indirekt die Verbraucher schützt. Der Code de la
Consommation, der zahlreiche Regelungen zum Lauterkeitsrecht besitzt, dient hingegen dem Schutz der Verbraucher und
stellt somit die zweite wichtige Quelle zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb in Frankreich dar.
c. Rechtsordnungen ohne spezielle lauterkeitsrechtliche
Bestimmungen
In Großbritannien und in Irland existieren hingegen überhaupt keine vergleichbaren gesetzlichen Bestimmungen hin27
sichtlich des unlauteren Wettbewerbs. Ganz der Tradition
des Common Law folgend, ergeben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen aus einer Fülle von gerichtlichen Entscheidungen zum Vertrags- und Deliktsrecht, welche durch vereinbewerb und Skubisz, GRUR Int. 1994, S. 682 ff.
24
Vgl. Fn. 19, 20.
25
Busch, in diesem Heft S. 91.
26
Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 11 ff. Bzgl. der Rechtslage in Polen
siehe § 3 Abs. 1 des polnischen Gesetzes gegen den unlauteren Wett-
27
Vgl. dazu Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 11 ff.
Siehe dazu vertiefend Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 11 ff.
Siehe dazu Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 12 ff.
Siehe dazu Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 12 ff.
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zelte gesetzliche Vorschriften ergänzt werden. Eine Generalklausel bezüglich des lauteren Wettbewerbs bzw. ein stringentes Gesamtkonzept sucht man jedoch vergeblich. Beide
Länder verfolgen vielmehr das Konzept der Selbstregulierung
mittels Verhaltenskodizes. So bestehen etwa in Großbritannien vierzig dieser Kodizes, welche eine Vielzahl von Sektoren
abdecken.
2. Schutzzweck der lauterkeitsrechtlichen Regelungen
Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, welchen Schutzzweck die lauterkeitsrechtlichen Regelungen erfüllen sollen.
Dies sind zum einen die Interessen der Verbraucher, und zum
anderen die Interessen der Wettbewerber als auch der Schutz
des lauteren Wettbewerbs als Ganzes. In den moderneren Gesetzen wird diese Schutzzwecktrias zumeist ausdrücklich aufgeführt (Finnland, Polen, Entwurf eines Gesetzes gegen den
28
unlauteren Wettbewerb der deutschen Bundesregierung ), ansonsten wird ein vergleichbares Ergebnis durch eine moderne
richterliche Interpretation der wettbewerbsrechtlichen Ge29
setze erreicht (Deutschland, Luxemburg, Österreich). Auch
30
die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung
geht ausdrücklich von dieser Schutzzwecktrias aus.
II. Verhaltenskodizes, Selbstregulierung
In den meisten Mitgliedstaaten wird das Lauterkeitsrecht
durch verschiedene Verhaltenskodizes und andere Instru32
mentarien der Selbstregulierung ergänzt. Dennoch darf dies
nicht über den unterschiedlichen Stellenwert in den einzelnen
EU-Mitgliedstaaten hinwegtäuschen. Während in Rechtsordnungen mit ausgiebiger wettbewerbsrechtlicher Gesetzgebung
Verhaltenskodizes und Selbstregulierungssysteme keine oder
nur eine sehr begrenzte Bedeutung (z.B. Deutschland oder
Österreich) haben, spielen sie in den anderen Ländern zumeist
eine wichtige Rolle (z.B. Großbritannien, Irland, Italien, Niederlande). Zudem sind bei der Durchsetzung der Verhaltenskodizes große Unterschiede zu verzeichnen. Während in einigen Mitgliedstaaten die Komitees, die mit der Überwachung
der Einhaltung der Kodizes befasst sind, keinerlei Sanktionen
aussprechen können (z.B. Deutschland, Griechenland oder
Portugal), sind sie in anderen Ländern mit weit reichenden
Kompetenzen ausgestattet (z.B. Italien oder die Niederlande).
III. Spezielle Regelungen im Lauterkeitsrecht
1. Regelungen betreffend unlautere Praktiken
a. Irreführende Praktiken
3. Zentralbegriff innerhalb der Generalklauseln
Wie gezeigt, verwenden mit Ausnahme von Irland und
Großbritannien alle Mitgliedstaaten Generalklauseln, welche
eine Auffangfunktion für alle unlauteren Handlungsweisen erfüllen, die nicht schon unter speziellere Verbotsnormen fallen.
Allerdings lassen sich nicht alle Mitgliedstaaten von ein und
demselben zentralen Begriff leiten. Die wohl meisten Länder
gehen von dem Begriff der guten Sitten („bonos mores“) aus
(siehe etwa Deutschland, Österreich, Griechenland, Polen).
Die Rechtsordnungen Belgiens und Luxemburgs bevorzugen
hingegen das Konzept der lauteren Geschäftspraktiken, die
skandinavischen Länder den Begriff der „anständigen Marktgepflogenheiten“. In Italien legt man die „berufliche Korrektheit“ und in den Niederlanden die „Unrechtmäßigkeit“
31
zugrunde.
Unabhängig von der eben dargestellten Vielfalt der Konzeptionen der Generalklauseln und der sich daraus teilweise
ergebenden unterschiedlichen Resultate darf man nicht aus
den Augen verlieren, dass die allgemeine all diesen Generalklauseln zugrunde liegende Idee ein und dieselbe ist: Sie wollen Verhaltensweisen am Markt verhindern, die sie als „unlauter“ ansehen. Darüber hinaus haben sie nahezu alle das Erfordernis gemeinsam, dass die in Frage stehende Verhaltensweise negative Auswirkungen auf einen geschützten Personen- oder Interessenkreis hat oder zumindest haben könnte.
28
29
30
31
Entwurf vom 22. 8. 2003, Drucksache 15/1487. Der Entwurf wird nach
Auskunft des Bundesministeriums der Justiz voraussichtlich Ende Mai
bzw. Anfang Juni 2004 in Kraft treten.
Siehe zum Ganzen Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 12, 17 ff.
Richtlinie 84/450/EWG (Fn. 14).
Siehe zu diesem Abschnitt Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 17 ff.
Bzgl. der Rechtslage in Polen siehe § 3 Abs. 1 des polnischen Gesetzes
gegen den unlauteren Wettbewerb und Skubisz, GRUR Int. 1994, S.
682 ff.
In der weit überwiegenden Anzahl von Mitgliedstaaten
wurden spezielle Vorschriften über irreführende Praktiken erlassen, die eine wichtige Rolle spielen. Selbst in den Ländern,
deren Lauterkeitsrecht mit Generalklauseln arbeitet, wurden
diese in aller Regel mit speziellen Regelungen bezüglich irreführender Praktiken, insbesondere der irreführenden Werbung, ergänzt (z.B. Deutschland, Griechenland, Österreich,
Polen oder Schweden). Die Kategorie der irreführenden Praktiken kann in drei unterschiedliche Bereiche aufgeteilt werden,
die nunmehr näher erläutern werden sollen.
aa. Vorschriften bezüglich irreführender Werbung
Die Richtlinie über irreführende und vergleichende Wer33
bung brachte hinsichtlich der Frage, wann eine irreführende
Werbung vorliegt, eine verhältnismäßig beachtliche Harmonisierung mit sich. Der Grund liegt darin, dass eine große Anzahl von Ländern (z.B. Irland, Luxemburg, Niederlande, Spanien) die Definition der irreführenden Werbung (Art. 2 Nr. 2)
34
schlichtweg kopierten. Dennoch sind teilweise Besonderheiten und Unterschiede zu erkennen, da die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung hinsichtlich der irreführenden Werbung lediglich eine Mindestharmonisierung
verlangt (vgl. Art. 7 Abs. 1) und daher höhere Standards aufrechterhalten oder sogar neu geschaffen werden können. So
wird etwa davon ausgegangen, dass das deutsche Recht einen
solchen höheren Standard als die eben genannte Richtlinie besitzt. Unterschiedliche Ansätze sind beispielsweise bei der
Frage erkennbar, auf welches Verbraucherleitbild abzustellen
32
33
34
Siehe zum Komplex der Verhaltenskodizes und der Selbstregulierung
Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 21 ff.
Richtlinie 84/450/EWG (Fn. 14).
Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 24 ff.
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ist, wenn es darum geht festzustellen, wann eine Werbung irreführend ist. Während sich etwa das deutsche Recht bislang
mit einer Maßgeblichkeit einer Regelirreführungsquote von
nur 10-15% und dem Erfahrungssatz eines „flüchtigen Durch35
schnittsverbrauchers“ begnügte, stellen die meisten anderen
36
Mitgliedstaaten (Frankreich, Österreich, Spanien)
ent37
sprechend dem Verbraucherleitbild des EuGH auf den
„durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher ab“, so dass die Eingriffsschwelle hier deutlich höher ist. In letzter Zeit scheint sich die
deutsche Praxis jedoch langsam dem Verbraucherleitbild des
38
EuGH anzupassen. Die unterschiedlich hohen Eingriffsschwellen in Europa bezüglich der Irreführung dürften sich in
Zukunft auch wohl deshalb weiter nivellieren, weil sich zudem Länder mit vormals niedrigeren Schutzniveaus (z.B. Italien) nunmehr am für sie strengeren Verbraucherleitbild des
39
EuGH zu orientieren scheinen.
bb. Erkennbarkeit von Werbemaßnahmen
Dass eine Werbemaßnahme als solche erkennbar sein muss,
wird in allen Mitgliedstaaten anerkannt. Wird dennoch der
Charakter als Werbemaßnahme verschleiert, führt dies in aller
Regel dazu, dass sie als irreführend und damit als verboten
40
eingestuft wird. Der Weg, über den dieses Resultat erreicht
wird, ist jedoch unterschiedlich. In zahlreichen Rechtsordnungen (siehe etwa Belgien, Finnland, Griechenland, Italien,
Polen, Portugal, Spanien, Entwurf eines Gesetzes gegen den
41
unlauteren Wettbewerb der deutschen Bundesregierung )
wird die Verschleierung des Charakters der Werbemaßnahme
ausdrücklich verboten. Andere Länder wiederum erreichen
dieses Ergebnis durch eine entsprechende Interpretation ihrer
Generalklausel (vgl. etwa Dänemark, Deutschland und Österreich). In Staaten wie Großbritannien, Irland oder die Niederlande, in denen die Werbung vorwiegend über die Selbstkontrolle geregelt wird, finden sich ausdrückliche Verbote bezüglich getarnter Werbung in den entsprechenden Verhaltenskodizes wieder. Aber nicht nur in den nationalstaatlichen
Rechtsordnungen, sondern auch im Europarecht selbst existieren solche Verbote. So gehen sowohl die Richtlinie über die
42
Ausübung der Fernsehtätigkeit (Art. 10 Abs. 1) als auch die
Richtlinie über die Verarbeitung personenbezogener Daten
und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kom43
munikation (Art. 13 Abs. 4) davon aus, dass Werbemaßnahmen im sachlichen Geltungsbereich der Richtlinien als solche
erkennbar sein müssen.
35
36
37
38
39
40
41
42
43
Siehe dazu BGH, NJW 1988, S. 711; Reich/Micklitz, Europäisches
Verbraucherrecht, 4. Auflage, Baden-Baden (D), 2003, S. 290; Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), (Fn. 8), S. 271 ff.
Siehe dazu auch Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), (Fn. 8), S. 272 ff.
EuGH 16. 7. 1998 – C-210/96 – Gut Springenheide, Slg. 1979, I-4657.
Siehe dazu auch Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), (Fn. 8), S. 263 ff.
BGH, GRUR 2000, S. 619 ff. Siehe dazu auch Sack, WRP 1998, S. 264
ff; Schricker/Henning-Bodewig, (Fn. 4), S. 1374 ff.
Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 24 ff.
cc. Vergleichende Werbung
Die Umsetzung der Richtlinie über irreführende und ver44
gleichende Werbung führte auf der Tatbestandsseite für die
vergleichende Werbung eine recht beachtliche Harmonisie45
rung herbei. Der Grund ist auch hier darin zu sehen, dass eine Vielzahl von Staaten (z.B. Belgien, Dänemark, Deutschland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal und
Schweden) die Bestimmungen der eben genannten Richtlinie
hinsichtlich der vergleichenden Werbung (Art. 2 Nr. 2 lit. a, 3)
mehr oder minder kopierten. Ein im Vergleich zur irreführenden Werbung größerer Harmonisierungseffekt wurde dadurch
erreicht, dass die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung bezüglich Form und Inhalt der vergleichenden Werbung gem. Art. 7 Abs. 2 von einer Vollharmonisie46
rung ausgeht. Verallgemeinert lässt sich also sagen, dass vergleichende Werbung in der EU erlaubt ist, sofern sie die Voraussetzungen des Art. 3 lit. a der Richtlinie über irreführende
und vergleichende Werbung erfüllt.
b. Informationspflichten
aa. Keine allgemeine Informationspflicht in den Gesetzen
gegen den unlauteren Wettbewerb
Einen Grenzbereich zwischen dem Vertrags- und dem
Wettbewerbsrecht stellt die Pflicht dar, wesentliche Informationen dem Vertragspartner mitzuteilen. In mehreren Mitgliedstaaten (vgl. etwa Niederlande oder Österreich) existieren
nahezu keine allgemeinen Offenbarungspflichten in ihren Gesetzen gegen den unlauteren Wettbewerb, sondern beinahe
47
ausschließlich vertragliche Informationspflichten. In der überwiegenden Anzahl der Staaten überschneiden sich jedoch
vertragliche und wettbewerbsrechtliche Informationspflichten.
bb. Allgemeine Informationspflichten in den Gesetzen
gegen den unlauteren Wettbewerb
In den Ländern, in denen das Wettbewerbsrecht Informationspflichten vorsieht, existiert zumeist ausschließlich die negative Pflicht, weder die Vertragspartner noch die Öffentlichkeit durch das Verschweigen wichtiger Informationen irre zu
leiten. In einigen Rechtssystemen (z.B. Belgien, Dänemark,
Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb der
48
deutschen Bundesregierung ) wird dies über die Vorschriften
über irreführende Werbung erreicht, die ausdrücklich das irreführende Schweigen erfassen. In anderen Rechtsordnungen
hat sich ein Verbot des irreführenden Schweigens anhand des
49
Richterrechts entwickelt (z.B. in Deutschland).
44
45
46
Siehe zu diesem ganzen Komplex Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 28
ff.
Vgl. Fn. 28.
47
Richtlinie 89/552/EWG (Fn. 15).
48
Richtlinie 2002/58/EG (Fn. 18).
49
Richtlinie 84/450/EWG (Fn. 14).
Siehe zu diesem gesamten Abschnitt Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S.
29 ff.
Dies wurde erst kürzlich vom EuGH bestätigt (EuGH 8. 4. 2003 – C44/01 – Pippig Augenoptik, Slg. 2003, I-03095 = EuLF 2003 (D), S.
136). Siehe zu diesem Problemkreis auch Reich/Micklitz, Europäisches
Verbraucherrecht, 4. Auflage, Baden-Baden (D), 2003, S. 316.
Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 32 ff.
Vgl. Fn. 28.
Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 32 ff.
Heft 2-2004 „ The European Legal Forum „
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Noch weitergehend wird von manchen Staaten (vgl. Belgien,
Dänemark, Frankreich, Schweden) darüber hinaus neben der
negativen Pflicht, bestimmte Informationen nicht zu verschweigen, noch eine lauterkeitsrechtliche positive Pflicht des
Verkäufers statuiert, bestimmte essentielle Informationen mitzuteilen. Über den Sinn und Zweck dieser lauterkeitsrechtlichen positiven Informationspflicht wird jedoch oftmals heftig
diskutiert. So wird zum Teil vertreten, dass diese Vorschriften
nicht mehr seien als eine Kodifizierung von Vertragsrechtsregeln, die lediglich auf das Verhältnis Verkäufer-Käufer ange50
wendet werden.
c. Aggressive Geschäftspraktiken
Jede Werbung ist darauf ausgerichtet, das Kaufverhalten der
Verbraucher positiv zugunsten des Werbenden zu beeinflussen. Jedoch darf sich der Werbende nicht jedes Mittels bedienen, sondern unterliegt bestimmten Beschränkungen in der
Wahl seiner Marketingmethoden. So verbieten die Mitgliedstaaten bestimmte Verkaufstechniken, die als besonders aggressiv eingestuft werden. Die Spanne der als aggressiv angesehenen Verkaufstechniken ist sehr groß und umfasst sowohl
den Bereich des Direktmarketings als auch den Fernabsatz. Es
lässt sich dennoch eine Aufteilung in zwei Kategorien vornehmen: Zum einen in die Methoden, die sich der Belästigung
und/oder des Zwangs bedienen, und zum anderen Methoden,
die subtilere Einflussmöglichkeiten nutzen.
aa. Belästigung und Zwang
Viele verkaufsfördernde Maßnahmen – man denke hier nur
etwa an unerwünschte Briefwerbung, E-Mails oder Haustürgeschäfte – dringen mit unterschiedlicher Intensität in die Privatsphäre des Verbrauchers ein. Als Folge dessen haben die
Mitgliedstaaten einen rechtlichen Rahmen geschaffen, bestehend aus spezifischen Regelungen für das Distanz- und das
Direktmarketing. Diese auf die verschiedenen Kommunikationswege zugeschnittenen Regelungen werden später näher er51
läutert.
Die hier zugrunde gelegten allgemeinen Begriffe der Belästigung und des Zwangs sind über ihren Wortlaut hinaus als
Blankettausdrücke für besonders aggressive Methoden, mit
denen der Verbraucher zu einer bestimmten Kaufentscheidung bewegt werden soll, zu verstehen. Verallgemeinert lässt
sich konstatieren, dass bei der Feststellung des belästigenden
bzw. bedrängenden Charakters von Marketingtechniken der
Zeitpunkt, die Handlungsweise und die Dauerhaftigkeit eine
wichtige Rolle spielen. Als Belästigung wird auch das Ansprechen eines Verbrauchers angesehen, um einen bestimmten
Unglücksfall auszunutzen. So ist es etwa nach deutschem
Recht unlauter, einen Verbraucher zu besuchen, der zuvor einen Todesfall zu beklagen hatte, um ihm Beerdigungsdienste
52
oder einen Grabstein anzubieten.
Manche Rechtssysteme gehen sogar noch über diesen Schutz
50
51
52
Siehe zu dieser Kritik Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 32 ff.
Vgl. dazu die Ausführungen D. III. 2.
Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 37.
hinaus und verbieten auch Marketingmethoden, die nur potenziell geeignet sind, unzulässig in die Privatsphäre des
Verbrauchers einzudringen. So erklärte etwa das schwedische
Marktgericht die Versendung von unangeforderten Werbesendungen von Babyprodukten an Paare, die kurz zuvor Eltern geworden waren für unzulässig, sofern das Kind noch
53
keine sechs Wochen alt ist. In Großbritannien geht man
zwar nicht so weit; aber hier existiert eine Robinsonliste, bei
der sich Eltern, die ihr Kind verloren haben, eintragen können, um nicht weiter unerwünschte Werbung für Babyprodukte zu erhalten.
Darüber hinaus kann neben den dargestellten Marketingtechniken eine Werbemaßnahme als aggressiv angesehen werden, wenn sie den Verbraucher bei der Kaufentscheidung unter unangemessenen Druck setzt. Dies nahm etwa das schwedische Marktgericht für den Fall an, dass eine Fernsehwerbung dem Verbraucher nur 15 Minuten Zeit einräumt, sich für
54
das Produkt zu entscheiden.
bb. Unangemessene Beeinflussung
Sicherlich sind Belästigung und Zwang die offensichtlichsten
Formen der aggressiven Verkaufstechnik. Wesentlich schwieriger gestaltet es sich aber, eine unangemessene Beeinflussung
der Konsumentscheidung des Verbrauchers durch subtilere –
und dadurch regelmäßig auch deutlich effektivere – Verhaltensweisen festzustellen. In den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten lassen sich insbesondere drei Fallgestaltungen ausmachen, in denen von einer solchen unangemesse55
nen Beeinflussung ausgegangen wird. Die erste Fallgruppe
ist die der so genannten gefühlsbetonten Werbung, der zumeist sehr enge Grenzen gesetzt werden. Dies ist insbesondere
dann der Fall, wenn bei dem Verbraucher altruistische Motive
angesprochen werden, ohne dass eine Verbindung zum Produkt, der Herstellungsweise oder dem Preis des Produktes besteht. Gleiches gilt oftmals auch für Werbungen, in denen der
Beschützerinstinkt von Erwachsenen gegenüber kleinen Kindern ausgenutzt wird (z.B. in Italien oder Finnland).
Eine weitere Fallgruppe betrifft Werbemaßnahmen, die gezielt Angstgefühle hervorrufen. Dies gilt im besonderen Maße
für die Werbung für Heil- und Nahrungsmittel. In nahezu allen Rechtsordnungen sind demnach Werbemaßnahmen verboten, die Ängste hervorrufen oder bestehende Ängste ausnutzen könnten.
Die letzte Fallgruppe betrifft das Ausnutzen eines besonderen Vertrauens, das der Verbraucher einem Dritten entgegenbringt. So kann sich eine unzulässige Beeinflussung daraus ergeben, dass ein Verkäufer einen Lehrer als verkaufsfördernde
Person in einer Schule einsetzt.
Trotz dieser eben hier dargestellten einheitlichen Fallgruppen muss man sich darüber im Klaren sein, dass das Schutzniveau innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten erheblich differieren kann.
53
54
55
Siehe dazu Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 37.
Siehe dazu Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 37.
Vgl. dazu insgesamt Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 37 f.
„ The European Legal Forum „ Heft 2-2004
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2. Spezielle Geschäftspraktiken
a. Distanzmarketing
aa. Werbung mittels Telefon, Fax, automatischen Anrufmaschinen oder E-Mail
Aufgrund der Umsetzung des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie
über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fern56
absatz gilt in allen Mitgliedstaaten ein Opt-In-System bezüglich der Werbung mittels Fax und automatischen Anrufmaschinen. Dies bringt es mit sich, dass diese Kommunikationsmittel nur nach vorheriger Zustimmung des Verbrauchers
verwendet werden dürfen. Gleiches ergibt sich nunmehr auch
aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der
57
elektronischen Kommunikation, wenngleich diese trotz der
bereits zum 31. 10. 2003 verstrichenen Umsetzungsfrist (vgl.
Art. 17 Abs. 1) in zahlreichen Mitgliedstaaten noch immer
nicht implementiert wurde.
Nach der Umsetzung der die Vollharmonisierung verlangenden Richtlinie über die Verarbeitung personenbezogener
Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen
Kommunikation wird in allen Mitgliedstaaten auch für die
Werbung mittels E-Mail nur noch das Opt-in-System gelten
(Art. 13 Abs. 1). Lediglich für den Fall, dass bereits eine Kundenbeziehung besteht, gilt für Werbung mittels E-Mail das
Opt-out-System (Art. 13 Abs. 2), d.h. derjenige, der keine solche Werbung mehr erhalten will, kann sich in ein Register eintragen lassen.
Hinsichtlich der Werbung via Telefon lassen sich in der EU
zwei Systeme ausmachen: Eine Reihe von Mitgliedstaaten gehen von einem Opt-in-System aus, d.h. Telefonwerbung ist
nur bei vorheriger Zustimmung des Verbrauchers zulässig. In
einigen dieser Rechtsordnungen ist dies spezialgesetzlich verankert (z.B. Italien, Österreich, Entwurf eines Gesetzes gegen
den unlauteren Wettbewerb der deutschen Bundesregie58
rung ), in anderen wird dies anhand der Generalklausel entwickelt (z.B. Deutschland). In anderen Ländern (z.B. Belgien,
Frankreich, Großbritannien, Schweden) bevorzugt man hingegen das Opt-out-Modell. Zumeist existieren dort Robinsonlisten, in denen sich die Verbraucher eintragen können,
59
wenn sie keine Telefonwerbung erhalten wollen.
bb. Werbebriefe
Werbesendungen per Post sind in allen hier untersuchten
Mitgliedstaaten generell zulässig. Für die Verbraucher, die solche an sie adressierte Werbesendungen nicht erhalten wollen,
bestehen zumeist Robinsonlisten, die von den nationalen Direktmarketingverbänden verwaltet werden und in die sich die
Verbraucher eintragen lassen können. Es besteht also ein Optout-System. Allerdings existieren große Unterschiede in der
56
57
58
59
Richtlinie 97/7/EEG (Fn. 17).
Bekanntheit und der Verwendung der Robinsonlisten. Während sie etwa in Deutschland, Frankreich und Großbritannien
eine große Rolle spielen und weithin bekannt sind, weisen sie
in anderen Ländern kaum Einträge auf (z.B. in Italien, Portugal oder Spanien).
Keinen Schutz bieten die Robinsonlisten dem Verbraucher
zudem gegen Postwurfsendungen wie Flugblätter oder Broschüren. In einigen Ländern (z.B. Deutschland, Niederlande)
ist es daher üblich, dass die Verbraucher ihren Willen, keine
Werbung zu empfangen, durch einen Aufkleber an ihren Briefkästen kundtun. Ignoriert der Werbende solche Aufkleber, so
60
stellt dies einen Verstoß gegen das Lauterkeitsrecht dar.
b. Direktmarketing
aa. Progressive Kundenwerbung (Schneeball- und Pyramidensysteme)
In nahezu allen Mitgliedstaaten ist die progressive Kundenwerbung unter Zuhilfenahme von Schneeball- und Pyrami61
densystemen verboten. Dies ergibt sich teilweise aus spezialgesetzlichen Regelungen (z.B. Deutschland, Polen oder Österreich), teils aus der Interpretation der lauterkeitsrechtlichen
62
Generalklauseln (Finnland oder Schweden). In vielen Ländern sind strafrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen vorgesehen.
Trotz dieses Gleichlaufs der Rechtsordnungen bezüglich der
progressiven Kundenwerbung bestehen teilweise hinsichtlich
des konkreten Eingriffsniveaus und der Abgrenzung zu erlaubten Vertriebssystemen – wie etwa dem Multi-Level-Marketing – deutliche Unterschiede. Zudem sind Pyramidensysteme anders als in den anderen Mitgliedstaaten in Großbritannien grundsätzlich zulässig, sofern bestimmte gesetzliche In63
formationspflichten erfüllt werden.
bb. Ansprechen von Verbrauchern in der Öffentlichkeit
Abgesehen von verwaltungsrechtlichen Vorschriften bestehen in den allermeisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen
keine speziellen Regelungen bezüglich des Ansprechens von
Verbrauchern in der Öffentlichkeit. Die Zulässigkeit richtet
sich daher nach den allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Vorschriften. Es lässt sich feststellen, dass in den meisten Ländern
Werbemaßnahmen und das Verteilen von Werbematerial in
der Öffentlichkeit nicht beanstandet werden. Einige Rechtsordnungen verlangen jedoch eine besondere Genehmigung.
Teilweise können sich weitere Einschränkungen aus bestimmten örtlichen Vorschriften ergeben. In manchen Staaten
(z.B. Belgien) ist es verboten, Waren und Dienstleistungen auf
60
61
62
Richtlinie 2002/58/EG (Fn. 18).
Vgl. Fn. 28.
Siehe zu diesem gesamten Komplex Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S.
44 ff.
63
Siehe zu diesem gesamten Abschnitt vertiefend Schulze/Schulte-Nölke,
(Fn. 1), S. 47 ff.
Siehe
dazu
vertiefend
die
ausführliche
Studie
von
Micklitz/Monazzahian/Rößler, Door To Door Selling – Pyramid Selling – Multi Level Marketing, 1999.
Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 50 ff. Bzgl. der Rechtslage in Polen
siehe § 3 Abs. 1 des polnischen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb.
Vgl. dazu die Pyramid Selling Schemes Regulations, Statutory Instrument 1989 No. 2195. Siehe dazu vertiefend die ausführliche Studie von
Micklitz/Monazzahian/Rößler, (Fn. 61).
Heft 2-2004 „ The European Legal Forum „
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öffentlichen Plätzen anzubieten. Bislang wurde in Deutschland das Ansprechen von Verbrauchern in der Öffentlichkeit
regelmäßig als ein Verstoß gegen die Generalklausel gewertet.
Die jüngeren diesbezüglichen Entscheidungen deuten jedoch
64
auf einen Wandel zu einer liberaleren Einstellung hin.
cc. Haustürgeschäfte
In den meisten Rechtsordnungen sind Haustürgeschäfte er65
laubt. Die Privatsphäre der Verbraucher wird in diesen Fallkonstellationen zumeist von der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel geschützt. Oftmals spielt das Verwaltungsrecht hier
eine wichtige Rolle. So ist etwa in Deutschland oder Italien eine Genehmigung für diese Vertriebsform notwendig. In vielen
Fällen gelten auch Beschränkungen bezüglich der Waren, die
an der Haustüre verkauft werden dürfen. In Dänemark allerdings sind Haustürgeschäfte, die auf einen Abschluss von Verträgen mit Verbrauchern zu privaten Zwecken abzielen, verboten. Ausnahmen gelten hier jedoch für den Verkauf von
Büchern, Zeitungsabonnements und Versicherungen.
c. Preisbezogene Verkaufsmethoden
aa. Sonderveranstaltungen
Innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen lassen sich die
Sonderveranstaltungen in die Bereiche „Saisonschlussverkäufe“ und „Räumungsverkäufe“ aufteilen. Dabei lässt sich in
den Mitgliedstaaten die Tendenz feststellen, dass die Saisonschlussverkäufe eher liberal und die Räumungsverkäufe eher
restriktiv gehandhabt werden.
schäftsaufgabe, Umbau oder Verlagerung der Geschäftsräume
68
oder Beschädigung des Lagers – zulässig. Gemein haben viele Rechtsordnungen (z.B. Österreich, Deutschland, Dänemark, Spanien) auch, dass sie den Verkauf von Waren verbieten, die speziell für den Räumungsverkauf erworben wurden.
Daraus folgt, dass der Verkäufer nur solche Produkte während des Räumungsverkaufs verkaufen darf, die schon eine bestimmte Zeit (in Spanien etwa 6 Monate) zu seinem Warensortiment gehört haben. Des Weiteren besitzen die meisten
Rechtsordnungen bestimmte Fristen, die eingehalten werden
müssen, bevor der Verkäufer erneut einen Räumungsverkauf
durchführen darf. Damit soll eine missbräuchliche Wiederholung von Räumungsverkäufen verhindert werden.
Allerdings bestehen auch deutliche Unterschiede zwischen
den einzelnen Rechtsordnungen. So kann die zulässige Dauer
von Räumungsverkäufen erheblich zwischen den einzelnen
Mitgliedstaaten differieren. Zum Beispiel beträgt die Höchstdauer für einen Räumungsverkauf wegen Aufgabe des Geschäftes nach derzeit noch geltendem deutschen Recht 24 Arbeitstage, nach belgischem Recht jedoch 5 Monate, und für
den Fall, dass der Unternehmer in den Ruhestand geht, sogar
12 Monate. Große Unterschiede bestehen auch hinsichtlich
des Verfahrens bezüglich eines Räumungsverkaufs. Hier lassen sich zwei Strömungen ausmachen: In manchen Mitgliedstaaten (z.B. Belgien, Deutschland) ist es ausreichend, dass der
bevorstehende Räumungsverkauf den zuständigen Behörden
angezeigt wird. In anderen ist eine behördliche Genehmigung
erforderlich (z.B. Österreich, Frankreich). Darüber hinaus
sind in manchen Rechtsordnungen (z.B. Deutschland) die zuständigen Behörden befugt, die Geschäftsräume des Räumungsverkäufers aufzusuchen, um zu überprüfen, ob die Bedingungen für den Räumungsverkauf erfüllt sind.
(1) Saisonschlussverkäufe
bb. Rabatte und Zugaben
In einer Reihe von Mitgliedstaaten sind Saisonschlussver66
käufe nur während ganz bestimmter Zeiträume zulässig.
Diese Zeiträume werden entweder durch den zentralen Gesetzgeber (z.B. Belgien oder auch noch Deutschland) oder
durch regionale oder örtliche Behörden (z.B. Frankreich, Italien oder Spanien) festgelegt. In der wohl überwiegenden Anzahl von Rechtssystemen existieren jedoch überhaupt keine
besonderen Bestimmungen über die zeitliche Zulässigkeit von
Saisonschlussverkäufen (z.B. Großbritannien, Finnland, Niederlande, Schweden, Entwurf eines Gesetzes gegen den un67
lauteren Wettbewerb der deutschen Bundesregierung ). Binnen dieser Systeme unterliegen die Saisonschlussverkäufe und
die anderen Sonderveranstaltungen lediglich den allgemeinen
Bestimmungen bezüglich der irreführenden Werbung.
(2) Räumungsverkäufe
In den meisten Rechtsordnungen sind Räumungsverkäufe
lediglich unter bestimmten Voraussetzungen – wie etwa Ge64
65
66
67
Vgl. dazu und zum gesamten Problemkreis Schulze/Schulte-Nölke,
(Fn. 1), S. 52 ff.
(1) Rabatte
Überwiegend stehen die meisten der hier untersuchten
Rechtsordnungen der Gewährung von Rabatten liberal ge69
genüber. So verzichten die meisten Mitgliedstaaten völlig auf
spezielle Regelungen bezüglich Rabatten, wenngleich viele davon ihre restriktive Einstellung erst kürzlich aufgegeben haben (z.B. Österreich 1992, die Niederlande 1997 und Deutschland im Jahre 2001). Hier richtet sich die Zulässigkeit von Rabatten ausschließlich nach den lauterkeitsrechtlichen Generalklauseln. In einigen anderen Rechtssystemen (z.B. Belgien,
Finnland, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Entwurf
eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb der deut70
schen Bundesregierung ) bestehen jedoch, sei es aufgrund von
gesetzlichen Regelungen, sei es aufgrund von Verhaltenskodizes, zumindest bestimmte Transparenzgebote bezüglich
der Gewährung von Rabatten. Des Weiteren besitzen einige
Rechtsordnungen strengere Rabattbeschränkungen für den
Verkauf von bestimmten Warengruppen (z.B. bei Nahrungs68
Siehe dazu insgesamt vertiefend Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 53 ff.
Siehe dazu Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 55 ff.
Vgl. Fn. 28.
69
70
Siehe zum Komplex der Räumungsverkäufe auch Schulze/SchulteNölke, (Fn. 1), 2003, S. 56 ff.
Siehe zum Bereich der Rabatte Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 61 ff.
Vgl. Fn. 28.
„ The European Legal Forum „ Heft 2-2004
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mitteln in Frankreich oder bei Büchern in Deutschland).
(2) Zugaben
Anders als bei den Rabatten verfolgen die meisten Mitgliedstaaten hinsichtlich Zugaben und Prämien einen deutlich restriktiveren Ansatz, wenngleich die Situation innerhalb der
71
EU insgesamt sehr unterschiedlich ist. So existieren weder in
Deutschland noch in Italien oder den Niederlanden spezielle
gesetzliche Vorschriften hinsichtlich Zugaben, so dass sich
diese lediglich anhand der wettbewerbsrechtlichen Generalklauseln messen lassen müssen. Auch einige andere Rechtsordnungen gehen von der grundsätzlichen Zulässigkeit von
Zugaben aus, sehen jedoch zum Schutz der Verbraucher bestimmte Transparenzgebote vor (z.B. Finnland, Schweden,
Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb der
72
deutschen Bundesregierung ). In zahlreichen anderen Mitgliedstaaten (z.B. Belgien, Frankreich, Österreich und Spanien) sind grundsätzlich Zugaben, die mit einem Vertragsschluss verbunden sind, durch spezielle Bestimmungen verboten. Allerdings existieren in diesen Ländern zahlreiche Ausnahmen (z.B. für Zubehör, Proben oder Werbegeschenke mit
einem geringen Wert) von dem Verbot. Zudem verfolgen sie –
mit Ausnahme von Spanien – zumeist hinsichtlich Zugaben,
die nicht an den Vertragsschluss gekoppelt sind, einen deutlich
liberaleren Ansatz. Darüber hinaus dürfen in manchen Ländern (z.B. Schweden) bestimmte Produkte wie Tabakwaren
oder alkoholische Getränke nicht als Zugaben verteilt werden.
3. Regelungen für besonders schutzbedürftige Verbraucher
In der weit überwiegenden Anzahl von Mitgliedstaaten ist es
anerkannt, dass bestimmte Verbraucher mehr Schutz gegen
unlautere Wettbewerbshandlungen benötigen als der Durch73
schnittsverbraucher.
Die besondere Schutzbedürftigkeit
kann in der Person des Verbrauchers selbst (ältere Personen
oder Kinder) oder in seiner persönlichen oder religiösen Überzeugung begründet sein. Sie kann sich aber auch aus seiner
Unerfahrenheit in geschäftlichen Angelegenheiten oder aus einer außergewöhnlichen Situation (z.B. Tod eines nahen Angehörigen oder eines Kindes) ergeben.
Der erhöhte Schutz dieser Gruppe von Verbrauchern wird
von den hier untersuchten Rechtsordnungen auf unterschiedliche Weise sichergestellt: In einigen wenigen Rechtssystemen
(Griechenland, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren
74
Wettbewerb der deutschen Bundesregierung ) existieren Bestimmungen, die speziell auf den Schutz dieser Verbrauchergruppen abzielen. Wiederum andere Rechtsordnungen stellen
den erhöhten Schutzbedarf durch eine entsprechende Interpretation ihrer Generalklausel (z.B. Deutschland, Österreich)
oder durch Bestimmungen in den Verhaltenskodizes (z.B.
Großbritannien oder Irland) sicher.
71
72
73
74
Dennoch dürfen die eben gemachten Ausführungen nicht
darüber hinwegtäuschen, dass es hinsichtlich des konkreten
Schutzniveaus für besonders schutzbedürftige Verbraucher
große Unterschiede innerhalb der Mitgliedstaaten gibt. Während etwa die skandinavischen Länder traditionell von einem
sehr hohen Schutzniveau ausgehen, ist der Schutz der eben
angesprochenen Personengruppe etwa in Großbritannien
deutlich geringer ausgestaltet.
Eine gewisse Angleichung des Schutzniveaus wurde jedoch
für die wichtigste Gruppe der besonders schutzbedürftigen
Verbraucher, nämlich der Kinder, durch die Umsetzung der
75
Richtlinie über die Ausübung der Fernsehtätigkeit auf dem
Gebiet der Fernsehwerbung erreicht. Durch die zumeist
wortgetreue Umsetzung kann der Inhalt der Art. 13, 15 und
16 der Richtlinie, die sich mit dem Verbot der Fernsehwerbung für Tabakerzeugnisse, den speziellen Anforderungen an
die Werbung für alkoholische Getränke und der Werbung, die
sich an Minderjährige richtet, befassen, als ein Mindeststandard innerhalb der EU-Mitgliedstaaten angesehen werden.
76
Aufgrund der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten (z.B. Polen)
teilweise erheblich über das in der Richtlinie vorgesehene
Schutzniveau hingegangen sind und sich die Richtlinie auf die
Fernsehwerbung beschränkt, sind jedoch noch immer deutliche Unterschiede vorhanden.
E. Zusammenfassung
Die Untersuchung hat zum einen gezeigt, dass die Unterschiede der mitgliedstaatlichen Regelungsmodelle und deren
systematische Einbettung für den Bereich des unlauteren
Wettbewerbs sehr erheblich sind. Die dadurch entstehende
Intransparenz kann wohl als eines der größten Hindernisse
für die grenzüberschreitende kommerzielle Aktivität bezeichnet werden.
Zum anderen hat die Untersuchung aber auch gezeigt, dass
sich trotz der teilweise sehr verschiedenen nationalen Lauterkeitssysteme die jeweils erzielten Ergebnisse nicht sehr häufig
entscheidend voneinander unterscheiden. Die hier dargestellten Ausnahmen belegen denn eher die Regel, dass bestimmte
kommerzielle Praktiken, die in einem Mitgliedstaat verboten
sind, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch in einem anderen Mitgliedstaat verboten sind und entsprechend in einem
anderen Mitgliedstaat erlaubte kommerzielle Praktiken auch
in den anderen Mitgliedstaaten in aller Regel erlaubt sind. Diese grundsätzliche sachliche Übereinstimmung bietet somit
auch eine gute Grundlage für eine Harmonisierung des Rechts
gegen den unlauteren Wettbewerb durch die Europäische
Union.
Vgl. zum gesamten Problemkreis Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), 2003,
S. 51 ff.
Vgl. Fn. 28.
Vgl. zu diesem Bereich Schulze/Schulte-Nölke, (Fn. 1), S. 66 ff.
Vgl. Fn. 28.
75
76
Richtlinie 89/552/EWG (Fn. 15).
Vgl. zur Rechtslage in Polen Skubisz, GRUR Int. 1994, S. 684 f.
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