Prinzipien in der Ethik

Werbung
Prinzipien
Gertken · Prinzipien in der Ethik
Wer an Moral denkt, denkt zumeist auch an Prinzipien.
Denn nicht nur in der philosophischen Ethik, sondern
auch im Alltag gelten Prinzipien vielen als unverzichtbarer Bestandteil des Versuchs, zu gerechtfertigten
Antworten auf moralische Fragen zu gelangen.
Ethische Partikularisten hingegen bestreiten, dass
Prinzipien für moralisches Urteilen und Handeln von
zentraler Bedeutung sind, und sie empfehlen, auf die
Orientierung an kontextübergreifenden moralischen
Richtlinien zu verzichten.
In diesem Buch werden zentrale Positionen und
Argumente aus der neueren Partikularismusdebatte
systematisch verortet und diskutiert, um so das Potential prinzipienkritischer Entwürfe auszuloten.
Hierbei zeigt sich: Prinzipien sind kein notwendiger, aber zumindest manchmal ein geeigneter
Bezugspunkt im moralischen Urteilen und Handeln.
Der Annahme, dass es möglich ist, sich in allen Entscheidungen an inhaltlich angemessenen Prinzipien zu
orientieren, ist jedoch mit Skepsis zu begegnen.
Prinzipien
Jan Gertken
Prinzipien in der Ethik
Gertken_RZ.indd 1
28.02.14 08:12
Gertken · Prinzipien in der Ethik
Jan Gertken
Prinzipien
in der Ethik
mentis
MÜNSTER
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft
der VG Wort
Einbandabbildung: © Olivie Le Moal – Fotolia.com
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.dnb.de abrufbar.
D61
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem
∞ ISO 9706
und alterungsbeständigem Papier © 2014 mentis Verlag GmbH
Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany
www.mentis.de
Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich
geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige
Zustimmung des Verlages nicht zulässig.
Printed in Germany
Einbandgestaltung: Anne Nitsche, Dülmen (www.junit-netzwerk.de)
Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
ISBN 978-3-89785-832-9 (Print)
ISBN 978-3-89785-995-1 (E-Book)
Inhaltsverzeichnis
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
11
TEIL I
GRUNDLAGEN
1
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
Prinzipien und Prinzipienkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Moral ohne Prinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Was ist ein Prinzip? Annäherung an einen Begriff . . . . . . . . .
Spielarten von Partikularismus und Prinzipienethik . . . . . . . .
Partikularismus, normative Ethik und ethische Theorien . . . .
Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
17
21
30
37
42
TEIL II
MORALISCH URTEILEN OHNE PRINZIPIEN
2
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
3
3.1
3.2
3.3
3.4
Der epistemologische Partikularismus und die
Rolle moralischer Intuitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Prinzipien als Richtschnur für moralische Urteile: Die
Subsumptionskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Überlegungen zur dialektischen Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eine konstruktive Rolle für Intuitionen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ein Blick zurück und ein Blick nach vorn . . . . . . . . . . . . . . .
Intuitionen, Überlegungsgleichgewicht und
Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einwände gegen den Intuitionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Intuitionismus, Prinzipien und die
Subsumptionskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Regelfolgen, Konsistenz und moralische Prinzipien . . . . . . . .
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
47
48
59
63
75
77
77
91
100
105
6
Inhaltsverzeichnis
TEIL III
MORALISCH NEUTRALE ARGUMENTE FÜR
UND GEGEN DEN PARTIKULARISMUS
4
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
Gleiches gleich behandeln: Supervenienz- und
Universalisierbarkeitsargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Moralisch neutrale Argumente gegen den Partikularismus . . .
Supervenienz und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Universalisierbarkeit moralischer Urteile . . . . . . . . . . . .
Relevante Ähnlichkeiten und Weil-Aussagen . . . . . . . . . . . . .
Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
111
113
123
131
134
5
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
5.6
Das moralische Weil – Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . .
Moralische Weil-Sätze als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . .
Merkmale moralischer Weil-Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Resultanz und Token-Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Urteilsgründe und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137
137
138
144
150
154
162
6
6.1
Moralisches Weil und moralische Gründe . . . . . . . . . .
Ein neuer Ansatz: Moralisches Weil und moralische
Handlungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eine Zwischenbilanz und weiterführende Fragen . . . . . . . . . .
Moralische Gründe und moralische Konflikte . . . . . . . . . . . .
Die inhaltliche Flexibilität der buck passing-Konzeption . . . .
Rationalität, Gründe, Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Was folgt für die Diskussion des Partikularismus? . . . . . . . . .
Ein Blick zurück und ein Blick nach vorn . . . . . . . . . . . . . . .
165
6.2
6.3
6.4
6.5
6.6
6.7
7
7.1
7.2
7.3
7.4
7.5
7.6
Der Holismus der Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Argumentieren für den Partikularismus: Die Rolle des
Holismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Was ist der Holismus der Gründe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vom Holismus zum Partikularismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Starker Atomismus oder schwacher Holismus? . . . . . . . . . . .
Kann jede Tatsache ein moralischer Grund sein? . . . . . . . . . .
Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
165
173
174
190
195
198
202
205
205
209
218
229
238
242
Inhaltsverzeichnis
7
TEIL IV
DIE PARTIKULARISTISCHE
HERAUSFORDERUNG UND WIE
MAN MIT IHR UMGEHEN SOLLTE
8
8.1
8.2
8.3
8.4
8.5
8.6
9
9.1
9.2
9.3
9.4
9.5
9.6
10
10.1
10.2
10.3
10.4
10.5
10.6
10.7
10.8
10.9
Prinzipien und Ausnahmen – Faustregeln und ceteris
paribus-Generalisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Prinzipien und die partikularistische Herausforderung . . . . .
Zwei Strategien im Umgang mit der partikularistischen
Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Was sind Ausnahmen? Begriffliche Vorüberlegungen . . . . . . .
Moralische Prinzipien als Faustregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Prinzipien und Ausnahmen: Ceteris paribus-Prinzipien . . . . .
Ceteris paribus-Prinzipien: Eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . .
Normalitätsklauseln, statistische
Generalisierungen und annullierbare
Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Worum es geht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Prinzipien und privilegierte Bedingungen: Der Ansatz von
Lance und Little . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Normalitätsprinzipien und privilegierte Bedingungen –
kritisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lehren aus dem Scheitern der bisher betrachteten
Normalitätsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Statistische Generalisierungen und die
Orientierungsfunktion moralischer Prinzipien . . . . . . . . . . . .
Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dicke Begriffe und intramoralische Prinzipien . . . . . .
Die Ausgangsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dicke Begriffe als philosophisches Werkzeug . . . . . . . . . . . . .
Was sind dicke Begriffe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lassen sich dicke Begriffe durch dünne und deskriptive
Begriffe analysieren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Williams /McDowell-Argument gegen die
Analysierbarkeitsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die systematische Pointe des Williams /McDowellArguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Grenzen des Williams /McDowell-Arguments . . . . . . . .
Intramoralische Prinzipien mit dicken Begriffen . . . . . . . . . .
Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247
247
249
252
256
265
279
281
281
281
287
291
295
308
309
309
311
314
316
319
322
330
337
342
8
Inhaltsverzeichnis
TEIL V
DIE REICHWEITE MORALISCHER PRINZIPIEN
11
Prinzipien trotz partikularistischer
Herausforderung – moralische Gründe . . . . . . . . . . . .
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Moralisch unproblematische Tötungsakte . . . . . . . . . . . . . .
Schmerzen zufügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Moralisch irrelevante Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ein Blick zurück und ein Blick nach vorn . . . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
.
.
345
345
349
370
374
381
12 Ist ein vollständiger Prinzipienkanon möglich? . . . . . .
12.1 Ein kurzer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.2 Entscheidungsprinzipien auf der Ebene moralischer
Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.3 Prinzipienkanon und abschließende Prinzipien: Ein
Wegweiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.4 Moralische Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.5 Unbestimmtheit und moralische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . .
12.6 Die Reichweite moralischer Prinzipien: Abschließende
Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
383
383
11.1
11.2
11.3
11.4
11.5
383
387
396
408
411
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
413
Anhang zu Kapitel 1: Zur logischen Form moralischer
Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
416
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
421
Verzeichnis der für Thesen und Prinzipien verwendeten
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
440
445
449
Danksagung
Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die 2012 an
der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde.
Lang ist nicht nur der Text geworden, sondern auch die Liste der Menschen, die eine wichtige Rolle bei seiner Entstehung gespielt haben. Ganz
besonders bedanken möchte ich mich allem voran bei meinem Doktorvater Thomas Schmidt, der mir von der ersten Ideenskizze bis zur Feinpolitur
als wichtigster Diskussionspartner und als Ratgeber zur Seite gestanden hat.
Mein Dank gilt ebenso meinen Eltern und Großeltern, die mich vom ersten
Erstaunen über meine Studienfachwahl bis zur Begeisterung über das, was
ich jetzt tue, ohne Einschränkung unterstützt haben.
Teile der Arbeit konnte ich in den letzten Jahren in Berlin, Bremen, Essen,
Göttingen, Hannover, Konstanz, Saarbrücken, Utrecht und Zürich vorstellen. Ergebnisse der jeweiligen Diskussionen sind an vielen Stellen in die
Endfassung eingeflossen, und es ist unmöglich, alle Gesprächspartner und
Kommentatoren zu erwähnen. Besonders danken für wertvolle Anmerkungen möchte ich Vuko Andric, Norbert Anwander, Mario Brandhorst, Philipp Brüllmann, Anne Burkard, Jonathan Dancy, Markus Düwell, Christoph
Fehige, Brad Hooker, Benjamin Kiesewetter, Tim Kraft, Andreas Müller,
Stephan Naguschewski, Christian Seidel, Maik Tändler, Jens Timmermann
und Ulla Wessels. Kirsten Meyer und Christoph Halbig danke ich für die
Bereitschaft, als Zweit- und Drittgutachter an meinem Promotionsverfahren
mitzuwirken und für die wertvollen Hinweise, die mir bei der Vorbereitung
der Druckfassung sehr geholfen haben.
Seit November 2007 habe ich das Glück, am Institut für Philosophie der
Humboldt-Universität zu Berlin und insbesondere am Lehrstuhl für Praktische Philosophie /Ethik in einem intellektuell anregenden Klima und mit
tollen Kollegen zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass ich in einem anderen
Umfeld ähnlich produktiv hätte sein können. Die Überlegungen zu Intuitionen und Intuitionismus verdanken sich zu einem großen Teil einer intensiven und produktiven Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Anne Burkard.
Einige inhaltliche Überschneidungen zu ihrem Buch Intuitionen in der Ethik
sind daher ebenso unvermeidlich wie beabsichtigt. Die enge und äußerst
ertragreiche inhaltliche Zusammenarbeit mit Thomas Schmidt spiegelt sich
auch darin wider, dass wir oft auf unterschiedlichen Wegen zu ähnlichen
Thesen gelangt sind.
Mein Dank gebührt weiterhin Michael Kienecker vom mentis Verlag
für die freundliche Betreuung und Unterstützung bei der Vorbereitung
10
Danksagung
der Druckfassung des Manuskripts, Stephan Naguschewski für das Lektorat, der VG Wort für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses und der Münsteraner Kolleg-Forschergruppe »Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik« für die Einladung, das Sommersemester 2013/14 als Junior Fellow an der Universität Münster zu verbringen. In
diese Zeit fiel auch die Vorbereitung der Druckfassung dieses Buchs.
Abschließend danke ich allen Freunden und Freundinnen, die in den vergangenen Jahren ihren Teil dazu beigetragen haben, dass mein Wunsch, diese
Arbeit zu beenden, nicht ins Wanken geraten ist. Ganz besonders danke ich
Anne Zahradnik für Ermunterung und Unterstützung in allen Lebenslagen.
Vorwort
Dies ist eine Arbeit über moralische Prinzipien. Genauer: eine Arbeit darüber, ob solche Prinzipien eine Rolle für unser Urteilen und Entscheiden
spielen sollten, und wenn ja, auf welche Weise und mit welcher Reichweite.
Das Begriffspaar Moral und Prinzipien mag wie eine notwendige Verbindung erscheinen, doch wie so vieles wird in der philosophischen Diskussion
auch diese Überzeugung mit guten Gründen bestritten. Sog. Partikularisten
verneinen, dass wir uns im moralischen Denken an Prinzipien orientieren
müssen, und zumindest manche von ihnen argumentieren sogar, dass es sich
bei der Verbindung von Moral und Prinzipien um eine Mesalliance handelt.
Deshalb möchte ich zu klären versuchen, ob wir moralische Prinzipien brauchen, ob wir sie zufriedenstellend formulieren können, und, falls ja, wie weit
der Bereich ist, der sich durch Prinzipien erfassen lässt.
Besonders in Gesprächen und mündlichen Diskussionen bin ich während der Beschäftigung mit dem Thema häufig einer bestimmten Reaktion
begegnet: Äußert man Sympathien für partikularistische Positionen, erntet
man Kopfschütteln; zugleich wird jedoch ebenfalls mit dem Kopf geschüttelt, wenn man es unternimmt, die Anforderungen an die Formulierung von
Prinzipien einmal klar zu formulieren. Mein Eindruck ist: Viele wollen zwar
an der Idee festhalten, dass Prinzipien für Moral von fundamentaler Bedeutung sind, dabei aber zugleich mit einem maximal ›entspannten‹ Verständnis
dessen arbeiten, was der, der Moralprinzipien anzugeben bestrebt ist, leisten muss – ein Verständnis, das einen zu keinen allzu großen Anstrengungen zwingt. Ich hoffe, dass es mir im Weiteren gelingt, den Leser davon zu
überzeugen, dass die soeben beschriebene Herangehensweise es sich zu einfach macht. Wer davon überzeugt ist, dass Prinzipien eine wichtige Rolle für
das moralische Urteilen spielen, muss sich aus der philosophischen Deckung
wagen, die Herausforderung durch den Partikularismus annehmen und zu
kontrovers diskutierten philosophischen und moralischen Fragen auf subtilere Weise Stellung beziehen, als dies oft geschieht.
Die Partikularismusdebatte ist maßgeblich von den Texten Jonathan Dancys geprägt. Diese spielen daher auch für die vorliegende Arbeit eine wichtige Rolle, und an vielen Stellen werden Fragen, Anregungen und Argumente
Dancys aufgenommen und diskutiert. Sie stehen jedoch insofern nicht im
Mittelpunkt meiner Ausführungen, als ich mich insgesamt nicht an bestimmten Philosophen orientiere, sondern an einer systematischen Klärung philosophischer Probleme interessiert bin. Gleichwohl werden an zahlreichen
Stellen über Dancy hinaus weitere exemplarische Vertreter verschiedener
12
Vorwort
Ansätze aufgeführt, deren Positionen sich auf besonders erhellende Weise
diskutieren lassen. An manchen Stellen entferne ich mich aber auch von der
aktuellen Debattenentwicklung, wenn ich glaube, dass dort unwichtige Fragen zu ausführlich behandelt, wichtige jedoch vernachlässigt werden.
In Teil I wird zunächst die elementare Frage geklärt, was Moralprinzipien
eigentlich sind und warum wir uns für sie interessieren sollten. Im Anschluss
werden die zentralen Begriffe und Thesen erläutert, die für den weiteren Verlauf der Arbeit von Bedeutung sind.
Teil II fragt danach, wie wir allgemein über moralische Fragen nachdenken sollten und ob wir hierfür Prinzipien brauchen. Die Antwort auf die
zweite Frage fällt negativ aus: Für das moralische Urteilen brauchen wir
keine Prinzipien – was jedoch nicht impliziert, dass wir ganz auf sie verzichten sollten.
In Teil III werden verschiedene Versuche diskutiert, Aussagen über die
Existenz und Reichweite moralischer Prinzipien zu treffen, ohne auf konkrete Kandidaten für Prinzipien zu sprechen zu kommen. Diese Versuche
werden skeptisch beurteilt: Wer über die Existenz und Reichweite moralischer Prinzipien nachdenken will, muss über konkrete moralische Prinzipien
nachdenken – er muss sich auf das einlassen, was man »normative Ethik«
nennt, und auf diesem Feld der partikularistischen Herausforderung begegnen, haltbare Prinzipien zu formulieren, die einer kritischen Überprüfung
standhalten.
Bevor diese Herausforderung angenommen wird, werde ich in Teil IV die
Rahmenbedingungen für eine Diskussion konkreter Vorschläge für moralische Prinzipien erörtern: Geklärt wird, welche begrifflichen Ressourcen
für die Formulierung konkreter Prinzipien zur Verfügung stehen und welche Verpflichtungen derjenige eingeht, der nachzuweisen bestrebt ist, dass
es überzeugende Prinzipien gibt. Insbesondere wird hierbei geklärt, welche Rolle moralische Urteilskraft für die Anwendung moralischer Prinzipien
spielen kann und ob Prinzipien ausnahmslos gültig sein müssen.
In Teil V werden schließlich Vorschläge für einige konkrete moralische
Prinzipien präsentiert, die gute Aussichten darauf haben, gegen partikularistische Einwände verteidigt werden zu können. Des Weiteren argumentiere
ich, dass die Frage nach der Reichweite moralischer Prinzipien in gewisser
Hinsicht aufgrund von moralischer Unbestimmtheit nicht entschieden werden kann.
Abschließend noch einige Hinweise zu formalen Aspekten der Arbeit:
Ich zitiere im laufenden Text nach dem Schema: Autorname Jahr: Seitenzahl (ggf. auch Paragraph oder Kapitel). Finden sich zwei durch Schrägstrich
getrennte Jahreszahlen angegeben, so bezieht sich die erste auf die Erstveröffentlichung, die zweite auf die Version, nach der in diesem Fall zitiert
wird (bzw. auf den Band, in welchem der Text wiederabgedruckt wurde).
Vorwort
13
Texte philosophischer Klassiker (Aristoteles, Kant, Mill, Wittgenstein) werden nach dem Schema Autorname, Akronym: Seitenzahl (bzw. Paragraph
oder Kapitel) zitiert. Die jeweiligen Akronyme der Titel finden sich im Literaturverzeichnis zur leichteren Orientierung direkt nach dem Autornamen.
Ich habe mich bemüht, die distanzierende Verwendung von Anführungsstrichen möglichst zu vermeiden. Dort, wo ich sie verwende, gebrauche ich
einfache Anführungszeichen. Um Häufungen von Anführungsstrichen zu
vermeiden, verwende ich teils auch Kursivsetzung, um deutlich zu machen,
dass sprachliche Ausdrücke angeführt und nicht gebraucht werden. Fremdsprachliche Ausdrücke, die ich als Fachbegriffe im Text ohne Übersetzung
verwende, sind ebenfalls kursiv gesetzt. Ausnahmen sind solche lateinischen
Ausdrücke wie bspw. »per definitionem« oder »ad hoc«, die mit der gleichen Bedeutung auch außerhalb philosophischer Diskussionen im Sprachgebrauch etabliert sind. Dort, wo weitergehende Ausführungen als Fußnoten
zu viel Platz eingenommen hätten, habe ich sie als eingeschobene Exkurse
in den Haupttext integriert. Ein längerer Exkurs in Kapitel 1 zur logischen
Form moralischer Urteile wurde als Anhang ausgelagert. Ein alphabetisches
Verzeichnis aller im Text für Thesen, Prinzipien und Regeln verwendeten
Abkürzungen findet sich im Anschluss an das Literaturverzeichnis.
An vielen Stellen der Arbeit gebrauche ich schematische Buchstaben.
Anstelle von Handlungsverben verwende ich dann »f« und »y«. Satzbuchstaben »p, q und r« (ggf. mit Indizes) stehen anstelle von Sätzen. Als schematische Buchstaben für Personennamen nutze ich »S«, »A« und »B«. Als
Platzhalter für Begriffe stehen meist »F« und »G«, im Fall moralischer
Begriffe verwende ich »M«. Beschreibungen für Kontexte und Situationen
werden durch »C« ersetzt.
Herunterladen