>THEMA< Made in France Die Orchesterlandschaft Frankreichs Marco Frei Unbestritten hat Frankreich ein reiches musikalisches Erbe. Doch wie ticken die Uhren in der Klassik-Landschaft der Grande Nation? Aus welchem Selbstverständnis heraus haben sich die Opernhäuser und Orchester historisch entwickelt? Wie werden sie heute finanziert? Welche Rolle in der Gesellschaft spielen die Orchester und ihre Musiker? Und wie weit sind unsere Nachbarn in Sachen Sponsoring? > In jeder Krise liegt eine Chance. Frankreich ist gegenwärtig in einer Krise, politisch und wirtschaftlich. Und kulturell? Natürlich hat die Krise auch Auswirkungen auf das Kulturleben. Wenn es einem Land und seiner Wirtschaft schlecht geht, hat die Kultur heute mit als erstes zu leiden. Trotzdem sind manche Probleme auch hausgemacht: Betrachtet man das Musikleben Frankreichs, scheint es einige Schwachstellen im System zu geben. Dabei fällt auf, dass sich manches aus der Geschichte des Landes heraus erklären lässt, was eine bestimmte Mentalität herausbildete. Vieles funktioniert ganz anders als beispielsweise in Deutschland, manches wirkt durchaus skurril, anderes ist gar nicht so weit weg. Lernen können beide Länder voneinander. Gleichermaßen. Die alte Pariser Oper, nach ihrem Architekten „Opéra Garnier“ oder „Palais Garnier“ genannt, wird seit der Einweihung des neuen Opernhauses im Jahr 1989 hauptsächlich für Ballettaufführungen genutzt Historische Voraussetzungen Es fällt auf, dass die historische Verantwortung des Staates Frankreich für die Kultur und ihre Förderung besonders stark ausgeprägt ist. Die Kulturpolitik des Landes ist zudem bestimmt von einem Widerstreit zwischen zentralistischen und dezentralistischen Tendenzen. All dies hat historische Gründe und schlägt sich unmittelbar auf das Orchester- und Opernleben nieder. Ein Blick zurück auf den Absolutismus, zum „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. (1638-1715): Auf ihn geht der Entwurf eines zentralistischen Staats zurück, mit einer Kultur, die „von oben“, also von der Macht, gefördert wird – zu Repräsentationszwecken. Das Orchester der Pariser Oper wurde in dieser Zeit gegründet, 1669. Dieses Orchester existiert noch heute. Zwar gründeten sich im frühen 19. Jahrhundert die Opernorchester von Bordeaux, Lyon, Toulouse und Straßburg, doch erst im 20. Jahrhundert konnten sich im heutigen Sinne reguläre und fest arbeitende Orchester herausbilden. 10 Den Anfang machte 1934 das Orchestre National de France. Der eigentliche Vater und Kreator der französischen Orchesterlandschaft ist jedoch Marcel Landowski (1915-1999), seinerseits Komponist, der sich mit Pierre Boulez gerne gezankt hat. Unter André Malraux, Kulturminister von Charles de Gaulles, war er zuständig für das Klassikleben – bis zum Amtsantritt von François Mitterand 1981. „In Paris gab es einige Orchester, aber sonst gab es selbst in größeren Städten eine Art Orchesterwüste – mit Ausnahme von Radio- oder Theaterorchestern“, erläutert Yves Sapir von der Musikergewerkschaft Union nationale des syndicats d’artistes musiciens de France CGT, kurz SNAM. Hier hat Landowski Abhilfe geschaffen und gerade das Orchester 3.14 © photomakers.org >THEMA: Made in France< auch in den Regionen Frankreichs – vergleichbar den Bundesländern in Deutschland – Orchester gegründet (siehe Artikel S. 14). Nach Landowski wurde die Dezentralisierung fortgesetzt und die Regionen wurden stärker in die Pflicht genommen, was sich gerade auch in den öffentlichen Fördersystemen äußert. Denn: Das Kulturministerium in Paris, dessen Direction générale de la création artistique auch einen Musikbereich hat, kümmert sich nur um nationale Belange – auf nationaler Ebene. Die Finanzierung nicht unter diese Kriterien fallender Einrichtungen übernehmen zum einen die Regionen und zum anderen die in der Verwaltungshierarchie untergeordneten Departements sowie die Kommunen, wobei Letzdas Orchester 3.14 tere die wesentliche, entscheidende Rolle spielen – gefolgt von der Staatsebene, dem Kulturministerium in Paris. Die Regionen und Departements spielen in der Kulturfinanzierung insgesamt eine geringere Rolle. Förderstrukturen und Institutionen Das Zwischenfazit: „In Frankreich gibt es viel direktere Fördermöglichkeiten als in Deutschland“, berichtet Sophie Schricker von der Berliner Dependence des Bureau Export de la Musique Française. Noch dazu sei das staatliche Förderbudget viel höher. Besonders er- 11 >THEMA: Made in France< > In Frankreich ging alles von der Politik aus, die bestimmte Vorstellungen hatte, wie Orchester zu sein haben. < Partnern. Es ist ein gemeinnütziger Verein, die Mitglieder, also Label, Verleger oder auch Ensembles, zahlen einen geringen Mitgliedsbeitrag und können prompt profitieren – von Netzwerken, Recherchen über die Märkte, Konferenzen und natürlich von einer riesigen Datenbank. Neben einem Büro in Berlin gibt es weitere Büros dieser Art in London, New York, São Paulo und Tokio. Den Klassikposten im Berliner Bureau Export gibt es seit 2009. Mittlerweile wurde ein Fonds Impuls Neue Musik gegründet, der von Sophie Schricker koordiniert wird und deutsch-französische Austauschprojekte fördern soll (siehe auch Artikel S. 32). Bei diesem Fonds mischt ebenso die SACEM mit, eine weitere Förderinstitution samt Kulturabteilung (Action culturelle). Hinter den Initialen verbirgt sich die Société des Auteurs, Compositeurs et Editeurs de Musique, eine Art französische GEMA – aber mit sehr viel mehr Geld. Während die GEMA alle Einnahmen an die Urheber zurückgeben muss, fließt bei der SACEM ein bestimmter Anteil an die Action culturelle. Damit können alle Arten von Musik gefördert werden, und zwar eben auch im Ausland, wenn etwa Werke von französischen Komponisten uraufgeführt werden oder französisches Repertoire auf CD eingespielt wird. „Die Idee ist, dass der Gesellschaft und der Kultur etwas zurückgegeben werden muss“, erklärt Schricker. „Das ist wirklich einzigartig. Dafür gibt es in Deutschland kein Pendant, nicht auf dieser Ebene.“ Neben solchen Fördereinrichtungen und Förderkanälen gibt es in Frankreich eine umfassende soziale Absicherung für Musiker, von der gerade auch Freischaffende profitieren – mit einer Art Minigehalt in arbeitsfreien Zeiten (siehe Artikel S. 18). Das alles klingt Das Bureau Export de la Musique ist ein zentraler Baustein im Fördersystem Frankreichs 12 © Marco Frei staunlich: Der französische Staat selbst gibt neue Werke bei Komponisten in Auftrag. Zudem werden u. a. auch Initiativen zur Publikumserweiterung sowie spezialisierte Ensembles gefördert. Das Bureau Export seinerseits ist ein weiterer zentraler Baustein im Fördersystem Frankreichs, eine Initiative, die vor zwanzig Jahren von der französischen Fonoindustrie bzw. deren Verbänden initiiert wurde, um französischen Künstlern auf ausländischen Märkten zu helfen. Beim Außen- und Kulturministerium kam das gut an. Staat und Industrie setzten sich an einen Tisch, obwohl man im Grunde unterschiedliche Interessen verfolgte. Der Hauptsitz des Bureau Export ist in Paris, das Geld kommt bis heute von beiden Yves Sapir (Président, rechts) und Marc Slyper (Secrétaire Général, links) von der französischen Musikergewerkschaft SNAM toll, wie ein Schlaraffenland – und genau das ist das Problem, zumal in Krisenzeiten. Denn letztlich fördert dieses System, dass man sich auf Lorbeeren ausruht und zu wenig Eigeninitiative ergreift. Die Meinungen darüber gehen freilich weit auseinander. Mentalitätsprobleme? „In Frankreich ging alles von der Politik aus, die bestimmte Vorstellungen hatte, wie Orchester zu sein haben“, sagt Yves Sapir von der Musikergewerkschaft SNAM, was er nicht negativ meint. Denn er zielt gerade auch auf den demokratischen, breiten, offenen Zugang der Bevölkerung zu Kultur und Klassik ab, für den Landowskis Musikreform ebenso stand. Das vermisst er: „Heute brauchten wir überall Landowskis“, weil nämlich in Frankreich die Dezentralisierung weiter voranschreiten soll – bis kulturpolitische Entscheidungen gänzlich in den Regionen und mehr noch Kommunen gefällt werden (siehe Interview S. 20). Sapir befürchtet einen Kahlschlag im Orchesterleben, weil womöglich viele lokale Entscheidungsträger in der Provinz den Wert dieser Musik und dieses Erbes nicht erkennen und den Rotstift zücken könnten. „Wir von der SNAM versuchen, dass das Kulturministerium die Rolle des Vermittlers und Unterstützers übernimmt“, gerade für ärmere Gegenden in Frankreich, zumal im Westen des Landes. Tatsächlich ist die Orchesterszene derzeit alarmiert, höchst aufgeregt und nervös. Allen ist klar, dass Frankreichs Kultursystem in Zeiten der Krise in dieser Form auf der Kippe steht. Die heikle Frage ist, was sich erhalten lässt. Und was zusammenbricht. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Viele Beobachter sorgen sich, weil französische Musiker mit Privilegien aufgewachsen seien, die woanders längst schon nicht mehr gelten würden – ein Tabuthema in Frankreich, das sich längst nicht mehr verschweigen lässt. „Nur weil man Musiker oder Komponist ist, bekommt man woanders kein Geld – in Frankreich aber doch“, ist zu hören. „Der Künstler war mehr wert in der französischen Gesellschaft, aber das scheint allmählich wegzubrechen“, lautet die Klage auf der anderen Seite. Viel steht gegenwärtig auf dem Spiel. Dass im Zweifelsfall private Mittel üppig flössen, ist fraglich. Jedenfalls sieht Jean-Marc Bádor, Geschäftsführer des Auditoriums und des Orchestre National das Orchester 3.14 © Synnolyr © Jean-Baptiste Millot v>THEMA: Made in France< Jean-Marc Bádor, Geschäftsführer des Auditoriums und des Orchestre National in Lyon in Lyon, ein Mentalitätsproblem, wenn es um die Frage nach dem Sponsoring geht – und argumentiert ebenfalls mit der Geschichte Frankreichs. „In Frankreich lag die Kultur immer in der Verantwortung des Königs, der regierenden politischen Macht“, sagt er. > Die privaten Unternehmen in Frankreich fühlen sich bislang nicht für die Kultur verantwortlich. Diese Mentalität und Kultur des privaten Sektors müssen wir ändern. < „Die privaten Unternehmen in Frankreich fühlen sich bislang nicht für die Kultur verantwortlich. Diese Mentalität und Kultur des privaten Sektors müssen wir ändern“, wobei freilich auch die Kulturschaffenden selbst an ihrer Einstellung arbeiten müssten. Sponsoring? In Lyon sei Sponsoring derzeit „quasi nicht existent“, berichtet Bádor, was auch auf andere Teile des Landes zutrifft – jedenfalls zeigten das auch einige Gespräche. Tatsächlich ist in Frankreich noch immer die Ansicht weit verbreitet, dass ein Orchester im öffentlichen Dienst stehe. „Ich kann das Argument verstehen“, sagt Bádor, „aber es ist total weit weg von dem, was heute eine Kultureinrichtung braucht. Es geht ja nicht nur um Geld, sondern auch darum, mit den Unternehmen eines Orts und einer Region in Kontakt zu stehen – eben auch mit der wirtschaftlichen Gemeinschaft einer Stadt.“ Erst dann, so Bádor, sei man ein „vollständiges Mitglied einer Gemeinschaft“ und könne ein breites Publikum binden. „Das entwickeln wir jetzt in Lyon in den nächsten Jahren“, auch indem das Auditorium zu einem Haus der Musik umgewandelt wird – offen für jeden und zu jeder Zeit, nicht nur bei Konzerten. Hier möchte zugleich die neue Philharmonie in Paris ansetzen, die im Januar 2015 ihre Pforten öffnen soll (siehe Artikel S. 29). Für die Association Française des Orchestres (AFO) pflichtet deren Leiter Philippe Fanjas den Eindrücken von Bádor bei. „Wir sind manchmal noch immer in einer bestimmten Attitüde“, schmunzelt er. „Das haben wir in unserer Mentalität, ganz unbewusst.“ Und auch Catherine Baumann, Leiterin des Syndicat National des das Orchester 3.14 Philippe Fanjas, Leiter der Association Française des Orchestres, und Catherine Baumann, Leiterin von Synolyr orchestres et des théâtres lyriques (Synolyr), nickt zu Bádors Ausführungen. „Ja, ich glaube, er liegt sehr richtig mit seiner Analyse“, sagt sie. „Es gibt zwar bei den französischen Orchestern Sponsoring und Private Funding, aber wenn man sich andere Länder anschaut, vor allem den angelsächsischen Raum, ist das nicht so stark entwickelt. Ich glaube tatsächlich, dass der Hauptgrund die Mentalität ist.“ Es habe Versuche gegeben, Unternehmen steuerliche Vorteile zu gewähren, wenn sie Geld für Kultur bereitstellten. „Die Leute dachten: ‚Darauf haben wir gewartet.‘ Ja, es gab eine Wirkung, aber sehr viel geringer als gedacht. Denn der eigentliche Job ist eben, die Mentalität zu ändern. Und das dauert lange. Ich würde nicht sagen, dass die Franzosen weniger großzügig seien, sondern dass historisch die politische Macht, der Staat die Verantwortung hatte. Aber wir merken, dass sich die Mentalität schon ändert. Trotzdem machen private Mittel noch immer einen geringen Teil der Orchesterbudgets aus. Und etwas anderes sehen wir: In Zeiten der Krise geben die Unternehmen eher Geld für soziale Projekte als für Klassik und Kultur aus.“ Aussichten Gerade deswegen betont Philippe Fanjas die Bedeutung von Education-Programmen. „Wenn Orchester private Mittel generieren wollen, müssen sie Verantwortung übernehmen für die Gesellschaft – für Kinder, Schüler, Studenten und so weiter. Wir müssen dies alles tun, weil es nicht nur irgendein ‚soziales Engagement‘, sondern notwendig ist.“ Seit 2003 sei der Anteil der privaten Mittel in den Bud- > In Zeiten der Krise geben die Unternehmen eher Geld für soziale Projekte als für Klassik und Kultur aus. < gets der französischen Orchester insgesamt gestiegen, liege aber durchschnittlich bei weniger als zwei Prozent. Zudem fließe das Geld vor allem in größere Einrichtungen – zumal in Paris. Kleinere hätten hingegen mehr und mehr Probleme, Mittel zu bekommen. „Für Musikprojekte gilt: entweder Prestige oder Education, alles andere ist sehr schwierig.“ < 13