„Für mich besteht kein großer Unterschied zwischen Sitcom

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15.05.2014
„Für mich besteht kein großer
Unterschied zwischen Sitcom und Oper.“
Bernhard Gander im Gespräch
Anlässlich der Uraufführung seines ersten musikdramatischen Werkes, der Sitcom Oper „Das
Leben am Rande der Milchstraße“, sprach Bernhard Gander mit Axel Petri-Preis über die
Schnittstelle zwischen Sitcom und Oper, musikalischen Witz und die Herausforderungen der
Arbeit an einer Oper.
terz: „Das Leben am Rande der Milchstraße“ wird angekündigt als „eine neue Form
zeitgenössischen Musiktheaters an der Schnittstelle von Oper und TV“. Wie gestaltet sich diese
Schnittstelle, die ja keine ganz offensichtliche ist, in deinem Werk?
Bernhard Gander: Sie zeigt sich vor allem in formalen Aspekten. Die Zeitdauer jeder Episode ist
ungefähr an die Länge von Fernsehsitcoms angelehnt, wo die durchschnittliche Dauer 22 Minuten
ist. Es gibt eine klassische Signation, die in jeder Folge wiederkehrt, und auch die Platzierung
dieser Signation ist ganz klassisch übernommen. Jede Folge beginnt mit einer kurzen Szene, erst
nach diesem ersten Gag ist die Signation zu hören. Auch die räumliche Konzeption ist
übernommen. Die meiste Zeit über spielt die Handlung in einem Raum, wo das wichtigste Requisit
eine Couch ist. Inhaltlich gibt es die klassische Familiensituation, in diesem Fall eine
Bürogemeinschaft. Es gibt die starken Charaktere, die ihrem Persönlichkeitsmuster verhaftet
bleiben, aus dem sie wohl kurz herausfallen, zu dem sie aber immer wieder zurückkehren. Jede
Figur hat also ihre wiedererkennbaren Ticks.
terz: Das sind also formale Aspekte, zum Teil auch inhaltliche Aspekte, die du vom Format der
Sitcom in dein Musiktheater übernimmst. Aber nochmal zurück zur Schnittstelle zwischen Sitcom
und Musiktheater: Wo verläuft die?
Gander: In der Sitcom wird zum Beispiel nicht gesungen. Ich habe mir also die Frage gestellt,
warum und wann die Figuren singen sollen. Bei mir singen sie meistens, wenn sie sich verstellen
oder ganz typisch in ihrer Rolle sind. Das kann ich musikalisch verstärken. Jede Rolle hat auch ein
musikalisches Leitmotiv und ist tendenziell einem Instrument zugeordnet. So kann ich Elemente
aus der Oper verwenden, um die Charaktere aus der Sitcom zu verstärken. Andererseits habe ich
darauf verzichtet, die zugespielten Lacher aus der Sitcom zu verwenden. Das war eine rein
musikalische Entscheidung, weil es sonst zum akustischen Overload kommen würde.
terz: Wie lässt sich die Distanz zwischen Sitcom, die dem Bereich der Populärkultur entspringt,
und der Kunstform Musiktheater überwinden?
Gander: Für mich besteht kein großer Unterschied zwischen Sitcom und Oper. Vor allem
Barockopern sollten beispielsweise zuerst einmal unterhalten. Dieser absolute Ernst in der Oper
kam erst später, vor allem im heutigen Musiktheater gibt es ja nur noch unglaubliche Tragödien.
Für mich geht das Hand in Hand: Komödie und Tragödie, Unterhaltung und Ernst, Fernsehen und
Oper. Vor allem besteht für mich kein grundsätzlicher qualitativer Unterschied zwischen Sitcom
und Oper. Ich habe mir sehr viele Sitcoms angesehen und die sind einfach wahnsinnig gut
gemacht. Die Sitcom ist außerdem eine ausgeklügelte dramaturgische Form, die gut unterhalten
kann. Sie ist vor allem kein Blödsinn. Auf Grund des knappen zeitlichen Rahmens wird jede
Sekunde optimal ausgenützt.
terz: Neue Formate in Konzerten oder Musiktheatern werden immer mehr auch aus der
Überlegung heraus geboren, neues Publikum anzusprechen. Inwiefern siehst du dein
Musiktheater dazu geeignet beispielsweise Sitcom-Fans anzuziehen, die bis dato keine Idee von
zeitgenössischem Musiktheater haben?
Gander: Es ist natürlich zu hoffen, dass es gelingt. Da im Titel bereits das Wort Sitcom steht, kann
ich mir schon denken, dass Leute, die sich bei Oper denken „Ach das ist nichts für mich“ bei einer
Sitcom Oper sagen: „Probieren wir es doch mal.“ Andererseits ist der Titel auch keine
Bauernfängerei, denn wir probieren ja wirklich eine Sitcom zu machen und nichts komplett
Vertracktes, wo die Elemente einer Sitcom noch 10 Mal durch einen Filter gejagt und 100 Mal
hinterfragt werden. Ich denke, man kann das Werk genießen wie eine Fernsehsitcom, aber eben
auf der Bühne.
terz: Das Format hast du mit Matthias Lošek (Intendant von WIEN MODERN, Anm.) gemeinsam
entwickelt?
Gander: Das war eigentlich eine ganz schnelle Idee. Wir sind beide große Fans von Sitcoms und
im Gespräch haben wir dann einfach gesagt, wir machen eine Sitcom Oper. Das war zum
damaligen Zeitpunkt auch das einzige interessante Format, um mich der Oper anzunähern. Einen
Auftrag für eine große ernsthafte Oper hätte ich nicht angenommen.
terz: War der Aspekt, neues Publikum anzusprechen, von vornherein mitgedacht?
Gander: Es ist ein netter Nebenaspekt aber sicher nicht das vordergründige Ziel. Zuerst war die
Idee der Sitcom Oper und erst danach der Gedanke, dass man damit auch neues Publikum
ansprechen könnte.
terz: Finden sich klassische Bestandteile der Oper wie Arien oder Rezitative in deinem Werk
wieder?
Gander: Es gibt Arien, nur bei mir dauern sie eben nur 10, 20 30 Sekunden. Die haben dann auch
klar wiedererkennbare Motive. Da könnte man fast mitsingen. Es gibt auch gesprochene Stellen,
bei denen ich aber auch möchte, dass sie ganz normal gesprochen werden. Ich möchte keinen
Rezitativgestus darin haben, sondern eher mehr vom Sprechtheater. Das pathetische
terz : Interview: Gander/Milchstraße
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Dahinsprechen klingt für mich einfach lächerlich.
terz: Wir sind beim Libretto angelangt: Warum gibt es für dein Werk gleich zwei LibrettistInnen
(Johannes Heide und Christa Salcher, Anm.)?
Gander: Das ist ganz klassisch aus der Sitcomtradition, wo es meistens ein ganzes Team von
Drehbuchautoren gibt. Das macht durchaus Sinn. Erstens braucht man für sieben Episoden eine
ganz schöne Menge Text und zweitens funktioniert das gegenseitige Korrigieren und Ballzuwerfen
besser.
terz: Wie lief die Zusammenarbeit mit den beiden LibrettistInnen ab? Wurde gleichzeitig
gearbeitet oder hast du mit dem fertigen Libretto gearbeitet?
Gander: Die Zusammenarbeit war großartig. Es wurde schon zuerst das Libretto geschrieben. Ich
habe Christa und Johannes aber von Anfang an gesagt, sie sollen beim Schreiben nicht daran
denken, dass es gesungen wird. Ich wollte eine stringente Handlung und Sätze in Alltagssprache.
Wenn man nämlich im Hinterkopf hat, dass der Text gesungen werden müsste, dann kommen
meistens solche verkrampften und hochgestochenen Sätze heraus. Als ich den Text dann
bekommen habe, musste ich schon ein bisschen herumbasteln, ändern oder streichen, um ihn für
mich dann musikalisch nutzbar zu machen. Diese Eingriffe waren für die beiden in Ordnung.
terz: Du arbeitest immer wieder in deinen Werken mit verfremdeten Zitaten und Anklängen aus
dem populärmusikalischen Bereich. Inwiefern spielt das auch in diesem Werk eine Rolle?
Gander: Schon auch, aber eher keine direkten Zitate. Die Musik ist eher davon beeinflusst, was
ich momentan gerne höre. Manche Stellen klingen sicher stark nach Doom Metal, ich zitiere aber
kein konkretes Stück. Direkte Zitate gibt es eher aus der klassischen Musik. In einer Szene zitiere
ich beispielsweise den Tristanakkord. Textlich gibt es wahnsinnig viele Zitate, Anspielungen auf
Klassiker der Filmgeschichte wie „Der Pate“, „Rocky“ und andere. Musikalisch gibt es dann noch
Zitate aus „Phantom der Oper“ von Lloyd Webber und ansonsten jede Menge Anklänge.
terz: Sitcom im Titel erweckt beim Hörer/bei der Hörerin die Erwartung, dass es etwas zu lachen
gibt. Das ist etwas, das im zeitgenössischen Musiktheater – vorsichtig gesagt – nicht das
Alltäglichste ist. Wie unterstützt du musikalisch den sprachlichen Witz des Librettos?
Gander: Ich lasse beispielsweise Arien über sehr arienuntaugliche Wörter singen. Evaluation zum
Beispiel, ein unglaublich hässliches Wort. Das packe ich in eine Arie, die sich mit einem ewig
wiederholenden Motiv selbst zu Tode evaluiert. Damit kann ich das Wort persiflieren. Oder eine
hübsche Arie über Reklamewörter für ein Sofa: Dreisitzer, Viersitzer, Ecksofa, diverse Materialien.
Die Person, die das singt, ist total in Rage, weil sie sich so gut mit Sofas auskennt. Damit kann
man, glaube ich, einen Lacher ernten.
terz: In der Instrumentierung merkt man sofort deine Vorliebe für tiefe Instrumente, auffällig ist
aber auch, dass du elektrische Verstärkung für alle Instrumente vorsiehst. Welchen Hintergrund
hat das?
Gander: Das hat rein pragmatische Gründe. Die Signation wird elektronisch zugespielt und es gibt
auch eine E-Gitarre, da will ich eine klangliche Ebene herstellen, indem alle Instrumente verstärkt
werden. Natürlich spielt dann auch die Verfremdung eine Rolle. Ich möchte den Klang auch noch
ein bisschen verändern, sodass er ein ganz eigenes Gesicht bekommt. Er soll vor allem ein
bisschen ein zerstörtes, morbides Gesicht kriegen.
terz: „Das Leben am Rande der Milchstraße“ ist dein erstes Musiktheater. Was war rückblickend
die größte Herausforderung an der Komposition des Werkes?
Gander: Es hat sich herausgestellt, dass die größte Herausforderung war, über meinen Schatten
zu springen, über meine Person als Komponist. Das klingt vielleicht blöd, aber eine Oper ist für
terz : Interview: Gander/Milchstraße
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mich nicht wirklich ein Selbstverwirklichungsstück. Ich habe zuerst drei Episoden geschrieben
und drei Monate liegen gelassen. Als ich wieder darüber geschaut habe, habe ich mir gedacht, das
taugt überhaupt nicht und habe alles wieder weggeschmissen. Es war einfach noch zu sehr in
Richtung instrumentaler Konzertmusik gedacht. In der Oper steht die Musik einfach im Dienste
einer Sache und hat dadurch eine ganz andere Funktion als im Konzert. Ich habe dann begonnen,
wesentlich einfacher zu denken. Es gibt einige sehr einfache, plakative Stellen, die ich sonst
wahrscheinlich nicht schreiben würde. Und für die Stimme zu schreiben, ist natürlich immer eine
heikle Angelegenheit.
terz : Interview: Gander/Milchstraße
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