Das 18. Jahrhundert – eine globalhistorische Epoche?

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Margarete Grandner – Andrea Komlosy
Das 18. Jahrhundert – eine globalhistorische Epoche?
Dieses Buch steht in einer doppelten historiographischen Tradition. Zum einen spiegelt
es den Trend der internationalen Geschichtswissenschaft zu einem neuen Interesse an
globalen Interaktionen und interkulturellem Vergleich, der zu einer Renaissance der
Weltgeschichte im Sinne einer neuen Globalgeschichte geführt hat (vgl. u.a. Annales
2001; Comparativ 2002; Geschichte und Gesellschaft 2001; Journal of World History seit
1990; Review Fernand Braudel Center seit 1977; Zeitschrift für Weltgeschichte seit
2000). Zum anderen setzt es das Projekt einer interdisziplinären Zusammenarbeit in
Hinblick auf eine multizentrische Weltgeschichte fort, das seit mehreren Jahren an der
Universität Wien betrieben wird und sich in Forschung und Lehre sowie bereits mehreren
Publikationsreihen zu globalhistorischen Fragestellungen niedergeschlagen hat (vgl. u.a.
die Buchreihen »Edition Weltregionen«, »Historische Sozialkunde/Internationale Entwicklung«, »Expansion – Akkulturation – Interaktion«). Seit dem Jahr 2003 wird »Globalgeschichte« als Wahlfach und Studienschwerpunkt in der Studienrichtung Geschichte
angeboten (http://www.univie.ac.at/geschichte/globalgeschichte).
Globalgeschichte richtet ihr Interesse auf die gesamte Welt. Ihre bevorzugten methodischen Herangehensweisen sind das Herausarbeiten von Interaktionen zwischen den
verschiedenen Weltregionen, von langfristigen Entwicklungsverläufen in ihrer globalen
Vernetzung und der interregionale Vergleich. Im Mittelpunkt kann sowohl die große
Struktur der politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Beziehungen stehen als
auch eine bestimmte Interaktion oder eine Form des Kontakts, deren Zustandekommen und
Wirkungsweisen als Fallstudien bearbeitet werden. Dieses Buch erscheint in einer Reihe,
die sich zur Aufgabe gesetzt hat, die globalen Interaktionen am Beispiel bestimmter
»Weltregionen« zu behandeln. Mit dem Band »Globalgeschichte 1450–1620« (Edelmayer/
Feldbauer/Wakounig 2002) wurde der räumlichen Fokussierung ein zeitliches Gliederungsprinzip hinzugefügt. Der vorliegende Band greift mit dem Zeitraum 1700–1815 ebenfalls
eine bestimmte historische Epoche auf und fragt nach dem Beitrag, der Art der Verflechtung
und dem Kräfteverhältnis zwischen den Weltregionen in diesem Zeitraum. Lassen sich im
18. Jahrhundert Veränderungen in Bezug auf die globalen Interaktionen und Machtverhältnisse feststellen? In welchen Bereichen zeigt sich der Wandel besonders deutlich? Verändern sich damit auch die Perspektiven, aus denen die »Welt« betrachtet und erklärt wird?
Geht man von der wirtschaftlichen Entwicklung aus, dann markiert die Wende vom
17. zum 18. Jahrhundert eine deutliche Zäsur. Sie beendete die Stagnationsphase, die mit
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dem Dreißigjährigen Krieg eingesetzt hatte und allmählich in einen Aufschwung überging. Das 18. Jahrhundert ist durch die räumliche Ausweitung und Differenzierung der
internationalen Arbeitsteilung charakterisiert, die von den führenden europäischen
Mächten vorangetrieben wurde. Seit der »Entdeckung« Amerikas hatten die europäischen Kolonialmächte die präkolumbianischen Kulturen ihrer Herrschaft unterworfen
und die Amerikas zu Rohstofflieferanten für die europäische, vor allem die nordwesteuropäische Industrie gemacht. Die stark schrumpfende indigene Bevölkerung wurde im
Rahmen des atlantischen Dreieckshandels durch schwarze Sklaven ersetzt. Die asiatischen Reiche behaupteten sich hingegen in der Frühen Neuzeit als Staatsgebilde, die
Europa politisch ebenbürtig und wirtschaftlich in vieler Hinsicht überlegen waren. Der
Zugang zu ihren begehrten Erzeugnissen wurde den Europäern durch das amerikanische
Silber im Rahmen gleichberechtigter Handelsbeziehungen ermöglicht. Erst im Lauf des
18. Jahrhunderts gelang es den europäischen Großmächten, viele der asiatischen Staaten
ihrem Einfluss zu unterwerfen. Ausgenommen blieben weiterhin China, die Reiche am
südostasiatischen Festland und Japan.
Die Intensivierung der kolonialen Durchdringung im Laufe des 18. Jahrhunderts und
ihre Ausweitung auf neue, bisher nicht von den europäischen Mächten abhängige
Weltregionen lässt sich sowohl im Sinne von Kontinuität deuten, als auch als Bruch oder
Übergang. Für die Kontinuität spricht, dass der Kolonialstil, den die Europäer gegenüber
Lateinamerika sowie einigen Inseln und Küstenregionen im Indischen Ozean praktiziert
hatten, nun auf die zuvor als Handelspartner respektierten asiatischen Staaten ausgedehnt
wurde – wenn auch nur in manchen Fällen durch die Errichtung einer formellen
Kolonialherrschaft. Betrachtet man den Wandel hingegen aus der Perspektive der
asiatischen Reiche, springt der Bruch im gegenseitigen Verhältnis ins Auge. Diese
verloren seit dem 18. Jahrhundert an Einfluss, büßten ihre bisherige wirtschaftliche und
politische Stärke ein und gerieten – in unterschiedlicher Zeitenfolge und Intensität –
unter europäische Vorherrschaft. Führt man beide Sichtweisen zusammen, erscheint das
18. Jahrhundert als Periode des Übergangs. Die europäische Expansion resultierte in
vielen Regionen Asiens in einer Ausweitung des kolonialen Musters; insbesondere was
das euro-asiatische Verhältnis anlangte, bewirkte dies gleichzeitig einen fundamentalen
Bruch und somit eine neue Qualität globaler Kräfteverhältnisse. In politischer Hinsicht
bedeutete dies, dass die nordwesteuropäischen Seemächte ihre Einflussbereiche ausdehnen und in Hinkunft die Regeln der internationalen Verkehrsformen bestimmen sollten.
Ökonomisch betrachtet, wurde der Weltmarkt so umgestaltet, dass der Zugang der
europäischen Industrieproduzenten zu Rohstoff- und Absatzmärkten gewährleistet war.
In kultureller Hinsicht lieferte die Philosophie der Aufklärung die Muster der Sinngebung
und Weltdeutung, die der neuen europäischen Dominanz auf den Weltmärkten entsprach
und sie legitimierte den eurozentrischen Universalismus.
Dieser europäische Universalismus wird im Titel und in der Umschlaggestaltung des
Buches durch den »Weltgeist« symbolisiert. Als das Andere des Stofflichen hat die
Konzeption von »Geist« als die Vorstellung des Absoluten und Universellen insbesondere in den monotheistischen Religionen eine lange Tradition. Im Zeitalter der Aufklärung verband sie sich mit der Konzeption von Geschichte. Die Menschheitsgeschichte
wurde als eine Abfolge von Entwicklungsstufen gedacht, die auf die Vervollkommnung
der Menschheit in einem Stadium der Absolutheit hinauslief. Problematisch wurde diese
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Konzeption dann, wenn sie zur Bewertung der unterschiedlichen Weltregionen und
Weltkulturen herangezogen wurde. Denn dann wurde die europäische Entwicklung zum
Ideal erklärt, das alle Kulturen, alle »Völker«, des Erdballs zu übernehmen hätten, wenn
sie den Zustand der »Zivilisation« erreichen wollten. Friedrich Schiller etwa zeichnete in
seiner Antrittsrede an der Universität Jena am 26. Mai 1789 die Menschen, denen die
europäischen Seefahrer auf ihren Reisen begegneten, als »Völkerschaften, die auf den
mannigfaltigsten Stufen der Bildung um uns [gemeint ist Europa, d. A.] herum gelagert
sind, wie Kinder verschiednen Alters um einen Erwachsenen herumstehen« (Schiller
1959:93). Schiller sprach diesen Menschen die Entwicklungsfähigkeit zum »Fortschritt
des Menschengeschlechts« nicht prinzipiell ab; schließlich sei auch der Europäer »vom
ungeselligen Höhlenbewohner zum geistreichen Denker, zum gebildeten Weltmann«
hinaufgestiegen (Schiller 1959:98); damit habe er aber auch die Richtung und die Stufen
vorgeführt, auf denen allein ein solcher Fortschritt zu erreichen sei.
Maßgeblich für die aufklärerische Konzeption eines »Weltgeistes« war Georg
Friedrich Wilhelm Hegel. Er betrachtete die Welt als Ausdruck des göttlichen Geistes und
gab die Stelle und den Wert an, welcher innerhalb dieser Entwicklung jeder einzelnen
Lebensform des Universums gebührte (vgl. Grimm 1999:1581). Hegel unterschied den
»Weltgeist« als den objektiven Geist in der Weltgeschichte vom »Volksgeist« und vom
Geist, der sich im individuellen Subjekt manifestierte. Ob sich »Weltgeist« in einer
konkreten Gesellschaft entfalten konnte oder nicht, hing für die großen Philosophen der
Aufklärung einerseits von der Gunst der geographischen Lage und den »rassischen«
Eigenschaften einer Bevölkerung, andererseits von Familien- und Staatsform ab. Während Afrika als »barbarisch« abqualifiziert wurde, gestand Hegel den asiatischen Ländern einen Beitrag zur Geistwerdung zu. In den Hochländern und Talebenen Asiens habe
sich der Weltgeist zum Bewusstsein seiner selbst aufschwingen können, um in Europa,
dem »Zentrum und dem Ende der Welt«, und insbesondere im germanischen Reich, »die
Versöhnung als der innerhalb des Selbstbewußtseins und der Subjektivität erschienenen
Wahrheit und Freiheit« zu erreichen (Hegel 1959:239). Hegels »Weltgeist« wanderte
also und vollzog die seit dem 18. Jahrhundert beobachtbare Verlagerung der Macht- und
Kompetenzzentren von Asien nach Europa mit. Damit prägte er das Bild vom Fortschritt
und der Finalität der Geschichte in Europa, das auch in der Literatur und in der bildenden
Kunst zum Ausdruck kam.
Das Titelbild des vorliegenden Bandes (für die Fotografie danken wir Frau Mag. Birgit
Glaser sehr herzlich) zeigt den »Weltgeist« in Gestalt eines Flusses, der in seinem Lauf
durch die Zeit verschiedenste Hochkulturen in sich aufnimmt und wieder abstößt. Die
Darstellung stammt von Friedrich Straß (1766–1845), einem deutschen Historiker und
Pädagogen, der sie ursprünglich (1803) für den Schulgebrauch an dem von ihm geleiteten
Berliner Cadettencorps konzipierte. Eine zweite Auflage 1813 durch Straß selbst, die
Übersetzung in mehrere Sprachen und die Verbreitung auch im Raubdruck bezeugen
allerdings den großen Erfolg des Werks weit darüber hinaus. Die Geschichte des 18.
Jahrhunderts ist für Straß durch große parallele Ströme der europäischen Staaten charakterisiert, die in seiner Sicht die Weltgeschichte in dieser Epoche eindeutig dominierten.
Gegen Ende des Jahrhunderts verzweigt sich der britische Fluss und bringt einen – noch
sehr kleinen, aber selbstständigen – Bach Nordamerika hervor. Am rechten Rand der
Darstellung finden sich durchgehend seit der Urzeit eigene Ströme Chinas und Japans. »Der
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besondere Geist eines Volkes kann untergehen, aber er ist ein Glied in der Kette des Ganges
des Weltgeistes«, schrieb Hegel in seiner »Philosophie der Weltgeschichte« (zitiert nach
Grimm 1999:1581). Im Wandern des »Weltgeistes« von seiner orientalischen Wiege zum
»germanischen Reich« gelang es Hegel sogar, die Konzeption des Nationalstaates mit dem
Universalismus der Aufklärung zu versöhnen. Das Ziel der Weltgeschichte wurde seiner
Ansicht nach in Europa und seinen Nationen verwirklicht. Alle geistigen Anstrengungen
waren darauf gerichtet, deren Rolle in der Welt, deren Stellung in der Geschichte und deren
Überlegenheit zu zeigen und zu legitimieren. Europa diente als Messlatte für Fortschritt und
Entwicklung; ihm kam die moralische Verpflichtung zu, anderen Völkern »das Licht der
Aufklärung« zu bringen. Der in der Aufklärung entstehende Eurozentrismus unterscheidet
sich von anderen Ethno- bzw. Regiozentrismen durch die universalistische Gültigkeit, die
er für sich in Anspruch nimmt (Amin 1989:90; Dussel 2003).
Im vorliegenden Band hinterfragen historische Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen
aus verschiedenen Disziplinen die gängige Version der Erzählung vom europäischen
Erfolg. Weltgeschichte wird nicht länger als Vektor betrachtet, der von Europa ausgeht.
Vielmehr werden Staatensysteme, Großmächterivalitäten und Revolutionen, Wirtschaft,
Welthandel und Kolonialismus, Migration, Technologietransfer, Reisen, Kommunikation und Sinngebung im interkulturellen Vergleich konfrontiert und auf die Interaktionen
und Einflüsse untersucht, die sie zwischen den beteiligten Weltregionen vermittelt haben.
Es werden die Strategien und Konstellationen untersucht, die es den nordwesteuropäischen
Staaten im 18. Jahrhundert möglich machten, die asiatischen Konkurrenten zu verdrängen, die Führung in der Weltwirtschaft an sich zu reißen und sich das Monopol der
Darstellung der historischen Ereignisse zu sichern.
Periodisierung
Die wichtigste Konfliktlinie im Kampf um die Hegemonie sowohl in Europa als auch in
der Weltwirtschaft bildete im 18. Jahrhundert der britisch-französische Gegensatz. Er
eignet sich daher auch als Periodisierungsachse (vgl. Feldbauer/Komlosy 2003). Kern
des Konflikts war die alte Rivalität benachbarter Reiche, die jedoch im Zusammenhang
mit der Globalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten und dem Wettlauf um industrielle
Konkurrenzfähigkeit im 18. Jahrhundert eine neue Qualität erreichte. Wegen der politisch-militärischen Notwendigkeit, das Bündnis mit einer Großmacht zu suchen, gab es
auch kaum einen regionalen Konflikt in Europa, der nicht gleichzeitig ein Stellvertreterkrieg war. Die Kriege, die Österreich und Preußen um den Besitz Schlesiens austrugen,
fügen sich in diese Konstellation ebenso ein wie der österreichische Erbfolgekrieg. Sie
waren Vorspiele des Weltkrieges, der zwischen 1756 und 1763 als Siebenjähriger Krieg
auf europäischen Schauplätzen ausgetragen wurde, aber auch auf Nordamerika und den
indischen Subkontinent ausgriff. Frankreich unterstützte die Unabhängigkeitsbestrebungen
der englischen Kolonien in Nordamerika – in der trügerischen Annahme, sie würden
Großbritannien schwächen. Gleichzeitig bot das militärische Eingreifen Frankreich die
Möglichkeit, seine Besitzungen in Nordamerika und in der Karibik zu konsolidieren. In
Indien nahm die Konkurrenz zwischen der britischen »East India Company« und der
französischen »Compagnie des Indes« ebenfalls kriegerische Formen an. Jede Seite
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brachte Regierungstruppen zum Einsatz und schloss Bündnisse mit lokalen Herrschern,
sodass der Siebenjährige Krieg als Anlass und als Ursache für die Territorialisierung der
britischen Kolonialherrschaft in Indien angesehen werden kann.
Ein Ereignis, mit dem das 18. Jahrhundert als spezifische Periode der englischfranzösischen Rivalität um globale Vormacht sinnvoll abzugrenzen ist, könnte der
Spanische Erbfolgekrieg sein. Bereits in den englisch-niederländischen Auseinandersetzungen, die die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts prägten, hatte sich Frankreich als der
eigentliche Gegner Großbritanniens herauszukristallisieren begonnen. Mit dem Aussterben der spanischen Habsburger im Jahr 1700 ergab sich schließlich ein erster Testfall. Für
England – und mit ihm eine Reihe anderer Mächte, die keinen Machtzuwachs Frankreich
wünschten bzw. wie die österreichischen Habsburger eigene Ambitionen auf den
spanischen Thron hatten – hieß die Devise: Die Aspirationen der französischen Bourbonen
auf das spanische Erbe, das neben dem iberischen Territorium die spanischen Niederlande, zahlreiche Besitzungen auf der Apenninenhalbinsel sowie das Kolonialreich in
Lateinamerika umfasste, und insbesondere die Vereinigung des spanischen mit dem
französischen Thron zu durchkreuzen. Die Friedensschlüsse von Utrecht und Rastatt
(1713/1714) waren, für sich genommen, noch zwiespältig. Ein Bourbone erhielt den
spanischen Thron, aber Spanien verlor alle seine anderen europäischen Besitzungen, und
den französischen Expansionsbestrebungen wurde ein Riegel vorgeschoben. Großbritannien verzeichnete – abgesehen von dem bis heute in britischem Besitz befindlichen
Felsen von Gibraltar – keine Gebietszuwächse, aber die Auseinandersetzung um das
spanische Erbe deutete bereits die Offensive an, die England, das sich 1707 mit
Schottland zu Großbritannien vereinte, vor allem gegen Frankreich ergriff und die das
ganze 18. Jahrhundert prägen sollte. Etappen dieser Auseinandersetzungen stellten der
Friede von Paris (1763), die Französische Revolution (1789) sowie die von Napoleon
Bonaparte verhängte Kontinentalsperre (1806–1812) dar. Als einprägsames politisches
Datum für das Ende dieser Periode eines »langen« 18. Jahrhunderts bietet sich das Ende
der Napoleonischen Kriege und die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress im
Jahre 1815 an. Großbritannien hatte Frankreich als militärischen Rivalen und wirtschaftlichen Konkurrenten geschlagen und konnte die Hegemonie über die Weltwirtschaft
antreten, die das ganze 19. Jahrhundert charakterisierte.
Die vorgeschlagene Periodisierung ist, wie uns bewusst ist, aus mehreren Gründen
anfechtbar. In unserem Zusammenhang soll nur der ihr zugrunde liegende Eurozentrismus
angesprochen werden. Dieser bleibt auch dann bestehen, wenn die Auswirkungen der
erweiterten Marktaktivität und der mit ihr einhergehenden globalen Machtdemonstrationen, die von Nordwesteuropa ausgingen, für die davon betroffenen außereuropäischen
Regionen mitbedacht werden. Gibt es – abgesehen von der Notwendigkeit, auf die neuen
Herausforderungen der Kolonialmächte reagieren zu müssen – auch aus der Perspektive
außereuropäischer Weltregionen gute Gründe, die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert als
Zäsur und das lange 18. Jahrhundert als Epoche anzusehen? Diese Frage wird im Folgenden
für einige wichtige außereuropäische Reiche und Weltregionen durchgespielt.
Für das Osmanische Reich markierte die Niederlage bei Wien, 1683, den Anfang
einer Reihe von Gebietseinbußen in Südosteuropa, die mit einem Verlust an politischer
Kontrolle und ökonomischer Leistungskraft einhergingen und die Hohe Pforte schließlich zu wirtschaftlichen und politischen Zugeständnissen an die europäischen Mächte
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zwangen. Gleichzeitig bewirkte der Niedergang aber auch Gegenbewegungen: Von
Seiten des Zentralstaates setzten im Osmanischen Reich Reformen ein, die europäischen
Absolutismen und Merkantilismen vergleichbar waren; von der Landbevölkerung, die
durch die agrarpolitischen Modernisierungen verstärkt unter Druck geriet, gingen Aufstände aus, die vor allem in den Gebieten außerhalb des kleinasiatischen Kernlandes
protonationale Züge annahmen (Quataert 2000).
Aus indischer Perspektive lässt sich sowohl ein Anfang als auch ein Ende einer
Periode »18. Jahrhundert« identifizieren. Das gesamte Jahrhundert war von der Desintegration des Mogulreiches geprägt, die durch die Verselbstständigung der Steuerpächter, die regional ungleichgewichtige Beteiligung am Exportgewerbe und am Welthandel, aber auch durch die Interventionen der europäischen Handelskompagnien in
regionale Konflikte vorangetrieben wurde. Das »Jahrhundertereignis« in Indien war die
Schlacht bei Plassey (1757), in der die britische East India Company einen lokalen
Konflikt instrumentalisierte, mit militärischen Mitteln für sich entschied und damit die
politische Herrschaft über Bengalen antrat. Gleichzeitig schaltete die britische Ostindienkompagnie mit dieser Schlacht des Siebenjährigen Kriegs auch die französische
Konkurrenz in Südasien aus. Formal blieb das Mogulreich noch bis in die Mitte des 19.
Jahrhunderts bestehen, de facto gelangten durch die Änderungen der Charta der East
India Company in den Jahren 1793 und 1813 immer mehr Belange in die Hände der
britischen Regierung. Damit einher ging die Ausweitung der britischen Herrschaft von
Bengalen auf andere Teilregionen des indischen Subkontinents (Rothermund 1978).
Mit der Eroberung Malakkas (1799) und der Errichtung der »Straits Settlements«
(1824; Singapur, Malakka und Penang) weiteten die Briten ihre Territorialherrschaft
auch auf die malayische Halbinsel aus, die einen wichtigen Stützpunkt für den Handel mit
China darstellte. In Südostasien trat Großbritannien in direkte Konkurrenz mit den
Niederlanden, deren Herrschaft über die indonesischen Inselreiche im Verlaufe des 17.
Jahrhunderts durch die Aktivität der niederländischen Ostindiengesellschaft, der Vereinigten Ostindischen Handelskompagnie grundgelegt und im Laufe des 18. Jahrhunderts
zu einem Kolonialreich ausgebaut worden war (Ried 1993). Als die Besitzungen der
Kompagnie nach deren Auflösung 1798/1799 direkter niederländischer Herrschaft
unterstellt wurden, trug das damals unter napoleonischer Herrschaft stehende Land die
Bezeichnung »Batavische Republik«, nach der niederländisch-indischen Hauptstadt
Batavia, heute Jakarta.
China und Japan, darüber herrscht weitgehende Übereinstimmung, stellten demgegenüber im 18. Jahrhundert souveräne Reiche mit stabilen politischen Verhältnissen dar,
die mit den europäischen Mächten bzw. Handelstreibenden nur soweit kooperierten, wie
es ihren eigenen Interessen entsprach. Als die entscheidenden Daten für ihre erzwungene
Öffnung und Unterordnung unter europäische Wirtschaftsinteressen gelten die chinesische Niederlage im Opiumkrieg (1842) sowie die Meiji-Restauration in Japan (1867), die
eine Spätfolge des Eindringens U.S.-amerikanischer Schiffe in Japans geschützten
Wirtschaftsraum im Jahr 1853 war. Im Fall Chinas hatte der britische Protektionismus
gegen indische Baumwollwaren im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ein neues
Handelsdreieck entstehen lassen, in dem die East India Company chinesischen Tee für
England mit Rohbaumwolle und Baumwolltextilien aus Indien bezahlte. Dies hatte den
für die Briten günstigen Nebeneffekt, dass für die steigenden Teeimporte nun kein Silber
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mehr benötigt wurde. Ab 1820 wurde die Baumwolle dann durch Opium als Tauschmittel
für den begehrten Tee ersetzt, das die Ostindienkompagnie in Indien anbauen ließ und das
in China, trotz kaiserlicher Importverbote, auf steigende Nachfrage stieß. Schließlich
bewirkte dies gar eine Umkehrung des Silberflusses von China nach Großbritannien. Das
Bemühen der chinesischen Regierung, das Opium von China fern zu halten, scheiterte an
der militärischen Überlegenheit der Engländer. So gesehen könnte bereits das Jahr 1820
für den Beginn der chinesischen Unterordnung unter britische Kolonialinteressen stehen,
die nach 1842 die Öffnung chinesischer Häfen für europäische Waren, Investoren und
auch Missionare erzwangen (Osterhammel 1999).
Die Öffnung Japans für die Handelsinteressen der europäischen Seemächte und der
USA erfolgte zwar im Kielwasser der chinesischen Niederlage in den beiden Opiumkriegen von 1842 und 1860, die Großbritannien Vorrechte auf den chinesischen Märkten
sicherte. Wolfgang Schwentker führt aber ebenfalls schon das Jahr 1820 als Wendepunkt
für die kapitalistische Transformation der japanischen Gesellschaft an (Schwentker
1999), und Sepp Linhart verweist auf japanische Forschungen, welche der Modernisierung auf Druck der USA eine Modernisierung von innen entgegenstellen, die unter dem
Shogun Yoshimune in den 1720er- und 1730er-Jahren in Angriff genommen wurde
(Linhart 1999). Was hier an naturwissenschaftlicher Forschung, auf dem Gebiet der
Bildung, der staatlichen Bevölkerungspolitik, der Verwaltung und der militärischen
Organisation geleistet wurde, erinnert in vieler Hinsicht an die merkantilistischen
Bemühungen der absolutistischen europäischen Staaten. Im Fall Japans erscheinen daher
sowohl 1720 als auch 1820 als Epochenschwellen sinnvoll. Die erstere stellt die
innergesellschaftlichen Transformationen in den Vordergrund, die zweite die Aufgabe
der Isolierungspolitik des Landes.
In Afrika gab es, abgesehen vom Norden, der im Einflussbereich des Osmanischen
Reiches lag, und den Küsten Westafrikas, wo der transatlantische Sklavenhandel regionale Staatsbildungen bewirkt hatte, keine überregionalen Reiche. Die politischen Einheiten, in denen die Menschen ihr Leben organisierten, widersetzen sich einer generalisierenden Charakterisierung. Ihre regionale Geschichte wies natürlich Zyklen und Zäsuren
auf; eine Periodenbildung, wie sie im Fall der europäischen und asiatischen Staaten und
Reiche unternommen wurde, wäre jedoch aufgesetzt. Dieser Umstand zwingt uns, die
Sinnhaftigkeit globalhistorischer Periodisierungen zu reflektieren. Ist es gerechtfertigt,
Stammesgesellschaften – nicht nur in Afrika – von der globalgeschichtlichen Periodenbildung auszunehmen, oder spiegelt dieser Ausschluss lediglich das Unvermögen der
westlichen Wissenschaft, die inneren Strukturmerkmale und Vergesellschaftungsmuster
solcher Gesellschaften wahrzunehmen? Ein Datum, das auch aus europäischer Perspektive einschneidende Folgen für Afrika hatte, war das Verbot des Sklavenhandels durch
Großbritannien 1807 und die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr darauf (Wirz
2000). Folge war ein Rückgang des transatlantischen Sklavenhandels, während die
steigende Nachfrage am Weltmarkt nach afrikanischen Agrargütern, insbesondere Palmöl und Erdnüsse, in Afrika eine Plantagenwirtschaft entstehen ließ, die ihrerseits mit
Sklaven betrieben wurde. Während des 18. Jahrhunderts hingegen war Afrika nahezu
ausschließlich durch den Sklavenhandel in die Weltwirtschaft integriert gewesen.
Die nordamerikanische Historiographie deutet das 18. Jahrhundert als die Epoche
seiner Entkolonialisierung. Der Kampf der 13 englischen Kolonien um Unabhängigkeit
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lässt sich gut in das Periodisierungsmuster einfügen, das anhand der europäischen und
asiatischen Staatswerdungsprozesse entwickelt wurde (Fröschl 2001). Der Zeitrahmen
des 18. Jahrhunderts inkludiert einerseits die Migrationsbewegungen, die zu einem
Anwachsen der europäischen Siedler ebenso wie der schwarzafrikanischen Sklaven an
der amerikanischen Ostküste führten; andererseits spiegelt er die politischen und ökonomischen Spannungen wider, die im Wunsch der weißen Einwanderer nach Unabhängigkeit und ihrer Durchsetzung gipfelten. Eine andere Bewertung erfahren die Ereignisse,
wenn sie aus der Perspektive der amerikanischen Urbevölkerung, der Indianer, erzählt
werden (Dowd 1992). Deren Geschichte vor und jenseits der Kolonisierung durch die
europäischen Mächte entzieht sich unserer Kategorisierung ebenso wie die der afrikanischen, ozeanischen oder australischen Stämme. Seit der – gerne auch als Entdeckung
apostrophierten – Eroberung Amerikas ist die Geschichte der indigenen Bevölkerung
indes von jener der europäischen Neusiedler nicht mehr zu trennen. Solange sich deren
Reichweite auf die Ostküste beschränkte, konnten zwei Amerikas nebeneinander bestehen. Das 18. Jahrhundert jedoch eröffnete den Drang der Einwanderer nach Westen. Für
die »Indianer« bedeutete das Vorschieben der frontier eine sukzessive Verkleinerung
ihrer Siedlungsgebiete; wer überlebte, endete als Minderheit, die – weit über das 18.
Jahrhundert hinaus – von den Bürgerrechten der amerikanischen Gesellschaft ausgeschlossen blieb.
Von wenigen britischen, französischen und niederländischen Enklaven abgesehen,
blieb Mittel- und Südamerika das gesamte 18. Jahrhundert hindurch Bestandteil des
spanischen bzw. portugiesischen Kolonialreiches. Der Wechsel der spanischen Dynastie
am Beginn des 18. Jahrhunderts hatte für die Kolonien keine einschneidende Bedeutung.
Die spanischen Bourbonen setzten jene Konsolidierung der Herrschaft fort, die schon
unter den Habsburgern begonnen worden war: die Festigung der Kontrolle über das
Territorium und die indigene Bevölkerung, den Ausbau der Verwaltungsstrukturen und die
Nutzung der kolonialen Besitzungen durch Silberbergbau und Plantagenökonomie. Die
wichtigsten Verbündeten der Krone, die jesuitischen Missionare, die seit 1570 mit der
Domestizierung der indianischen Bevölkerung in den schwer zugänglichen Rückzugsgebieten beauftragt wurden, und die Kreolen, die wachsende Gruppe der im Land
geborenen Nachfahren spanischer Einwanderer, gerieten in der Mitte des 18. Jahrhunderts
zunehmend in Widerspruch zu den absolutistischen Ambitionen der spanischen Krone. Die
1760er-Jahre stellten eine Wende dar, die in der Ausweisung der Jesuiten sowie dem Beginn
von wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen von oben zum Ausdruck kam. Dass die
spanische Kolonialmacht dennoch nicht auf Dauer bewahrt werden konnte, hängt einerseits
mit der Verselbstständigung der kreolischen Oberschichten, andererseits mit der ökonomischen Schwäche des spanischen Mutterlandes zusammen, das längst den Handel mit den
eigenen Kolonien über britische Lieferanten, Händler und Spediteure abwickelte (Hausberger
1996; Hausberger 2001). Eine Zäsur stellte schließlich die Erlangung der staatlichen
Unabhängigkeit durch eine spanische Kolonie nach der anderen bzw. Brasiliens von
Portugal seit Anfang des 19. Jahrhunderts dar (Tobler 2000).
Abschließend sei auf Sibirien und die zentralasiatische Steppenregion verwiesen,
deren Stellung innerhalb des Zarenreiches im Laufe des 18. Jahrhunderts eine fundamentale Wandlung durchmachte (Kappeler 2001; Nolte 1997). In dem Maße, in dem sich
Russland westlichem Fortschrittsdenken öffnete, nahm es gegenüber den schamanis-
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tischen Stammesgesellschaften Sibiriens, gegenüber den islamischen Völkern an seinen
Grenzen und den Reiternomaden der Steppe eine Haltung zivilisatorischer Überlegenheit
an, die Christianisierung und Diskriminierung von Andersgläubigen zu rechtfertigen
schien. Damit änderte sich auch der Charakter der Interaktion und des Verhältnisses
zwischen dem Zarenreich und den Einfluss- bzw. Expansionszonen jenseits seiner
Grenzen. Der Einstellungswandel korrespondierte mit der Westorientierung Russlands,
die von Peter dem Großen (1689–1725) eingeleitet wurde und unter Katharina II. (1762–
1796) ihre volle Entfaltung erlebte. Das 18. Jahrhundert bietet sich also auch aus
russischer Perspektive als spezifische Epochengliederung an.
Nach dieser Skizze lässt sich festhalten: Eine Epochenbildung, die von internen
Entwicklungen in den unterschiedlichen Regionen der Welt bestimmt wird, ist schwierig.
Sie weicht jedenfalls vor allem in politikgeschichtlicher Hinsicht von den europäischen
Daten ab. Ob das stark eurozentristische Konzept langer bzw. kurzer Jahrhunderte ein
brauchbares Periodisierungsinstrument abgibt, ist also zumindest fraglich. Überzeugungskraft kann eine Epochenbildung aus außereuropäischer Perspektive betrachtet nur
dann erlangen, wenn die Geschichtsschreibung die Ereignisse und Strukturen der
jeweiligen Gesellschaften berücksichtigt und vor dem Hintergrund der jeweils vorherrschenden Weltanschauungen und Werthaltungen analysiert. Gleichzeitig lassen sich die
Interaktionen der außereuropäischen Regionen mit europäischen Kolonisatoren, Händlern, Reisenden, Staaten davon nicht trennen. Deren Erforschung erfordert regionale
Spezialisten. Globalhistorische Inbezugsetzung und interkultureller Vergleich müssen
von einer soliden regionalhistorischen Basis ausgehen. Unsere tour du monde ist so
gesehen in vielen Fragen zu früh erfolgt. Im Rahmen eines mehrfachen Perspektivenwechsels ist sie, so hoffen wir, dennoch sinnvoll, indem sie der regionalen Analyseebene
durch den Verweis auf Räume, Strukturen und Zäsuren überregionaler Interaktion
Hypothesen und Richtungen vorgibt. Es ist schwer vorstellbar, dies nicht aus der
Perspektive jener Regionen zu tun, die zu einem bestimmten Zeitpunkt Markt-, Machtund Wortführer waren. Die Interaktionen, die die Hegemonialmächte vorgaben, führen
den Forschenden zu jenen Akteuren und Orten der Geschichte, die in diesen Prozess in
einer anderen Rolle und an einer anderen Stelle eingebunden waren. Es müssen die
Querverbindungen überprüft werden, auch wenn manche der Akteure nicht im Zentrum
standen oder an bestimmten Interaktionen überhaupt nicht teilnahmen. Die Hierarchie
und Vernetzungslinien der Beteiligung wollen ebenso erkundet werden wie der –
gewollte oder ungewollte – Ausschluss.
Je mehr man regionalen Besonderheiten, ob innerhalb oder außerhalb weltwirtschaftlicher Integration, Gewicht beimisst, desto eher werden Jahreszahlen zum Stolperstein. Jede Region hat andere Kenndaten der Ereignisgeschichte, selbst dann, wenn die
Ereignisse überregional verknüpft sind und dem gleichen Ablaufmuster folgen wie
anderswo. Das Denken in langfristigen Entwicklungsverläufen wird daher eher auf
Übergänge und Sattelzeiten sowie auf die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im
globalen Interaktionsprozess als auf Beginn- und Endzeitpunkte setzen. Dies ermöglicht,
von zeitlichen Fixierungen Abstand zu nehmen und sich auf die wichtigen Bereiche und
ihr Zusammenspiel zu konzentrieren, die für die Übergänge charakteristisch waren.
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Fragestellungen
Das 18. Jahrhundert ist durch eine Konsolidierung der europäischen Staaten und ihres
Systems charakterisiert. Verwaltungs- und Verfassungsreformen drängten allenthalben
die traditionellen intermediären Gewalten zurück. Aus heterogenen Reichen wurden
immer stärker durchorganisierte Territorialstaaten, die auf alle ihre Bewohner zugreifen
wollten. An die Stelle personalisierter Verhältnisse zwischen Obrigkeit und Untertanen
traten zunehmend formale, rechtliche Beziehungen zwischen dem Staat und seinen
Staatsbürgern. Wesentliche Bedeutung im Prozess der Binnenintegration der Staaten wie
in ihrer Abgrenzung nach außen kam der Idee der Nation zu. Ökonomisch prägend war
die Herausbildung einer weltweiten Arbeitsteilung in der Produktion von Massengütern,
in welche lokale, regionale und nationale Märkte einbezogen und untereinander durch
Waren-, Kapital- und Arbeitskräfteströme verbunden wurden. Ebenso wie das Staatenund das Wirtschaftssystem befanden sich auch andere Bereiche des gesellschaftlichen
Lebens im Umbruch: Erziehung, Wissenschaft, Recht, Familie, Mobilität etc. Der Erschließung aller Lebensbereiche und auch ihrer zunehmenden Durchdringung durch den Staat
entsprach die systematische Erschließung der Welt, sowohl real in Hinblick auf neue
Landnahme, wirtschaftliche Monopolisierung und die Etablierung von Kolonialreichen als auch in Hinblick auf die Wahrnehmung der außereuropäischen Welt. Bisherige auf den Handel beschränkte Kontakte verwandelten sich in wirtschaftliche und
politische Dominanzverhältnisse, durch die außereuropäische Regionen zunehmend in
die Abhängigkeit von den europäischen Industriestaaten gerieten. Die verstärkte
europäische Expansion und globale Interaktion schloss die gesamte Welt in den
Prozess von Sinngebung und Reflexion ein; so ließen sich die Landnahmen schließlich
auch rechtfertigen und im Rahmen einer Fortschritts- und Entwicklungsideologie
deuten.
Die europäische Perspektive wurde damit (spätestens) im 18. Jahrhundert zu einer
globalen. Europäische Geschichte war Weltgeschichte. Das Weltbild des 18. Jahrhunderts eröffnete einen universalistischen Blick und brachte die Modelle, die Begrifflichkeit
und die Instrumente hervor, nach denen Fortschritt und Entwicklung zu messen waren.
Trotz des universalistischen Anspruchs war diese Herangehensweise gleichwohl
eurozentristisch. Sie war unfähig, andere Weltregionen aus einer anderen räumlichen und
weltanschaulichen Perspektive zu betrachten als der des Fortschreitens Europas und der
Überzeugung von seiner zivilisatorischen Überlegenheit. Alles, was sich nicht in die von
Europa ausgehenden Interaktionen einordnen und aus deren Logik interpretieren ließ,
wurde nicht wahrgenommen, als Rückschritt oder Traditionalismus abgewertet, bestenfalls als exotisch marginalisiert. Dabei wurde im Übrigen nicht nur der Eigensinn
außereuropäischer Kulturen ausgeklammert, sondern auch jenes »Europa«, das nicht in
den Kategorien des Fortschritts und der Aufklärung fassbar schien.
Die nächstliegende Methode, die eurozentristische Verengung zu überwinden,
besteht in der Betrachtung der außereuropäischen Welt durch die Brille anderer Weltregionen und -kulturen. Welche Entwicklungen fanden dort im Zeitalter der europäischen Expansion statt, was war das Spezifische daran? Dabei interessieren sowohl die
inneren Entwicklungen als auch die durch das Vordringen der Europäer und die globale
Das 18. Jahrhundert – eine globalhistorische Epoche?
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Interaktion verursachten Veränderungen. Gleichzeitig steht zur Debatte, wie diese
Veränderungen im jeweiligen kulturellen und weltanschaulichen Erklärungs- und
Begründungszusammenhang dargestellt und reflektiert wurden.
Der Anspruch, den Eurozentrismus zu überwinden, indem andere Kulturen zum
Sprechen gebracht werden, folgt aus dem Bemühen um europäische Selbstbegrenzung
und Bescheidenheit. Wird der Euro-Universalismus damit aber nicht geradezu auf die
Spitze getrieben? Unersättlich, wie wir (Europäer) sind, wollen wir uns im Rahmen der
Globalgeschichte auch noch die Perspektiven der anderen zu Eigen machen? Um nicht
in diese Falle zu tappen, muss globale Interaktionsgeschichte als interdisziplinäres
Projekt angelegt werden, das regionalwissenschaftliche Studien über andere Weltregionen miteinbezieht, sowie als Kooperation mit den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus diesen Weltregionen selbst.
Auch die auf Europa bezogene Historiographie steht dabei freilich vor einer großen
Herausforderung. Ist nicht alles, was als genuin »europäisch« – als genuin für bestimmte
europäische Staaten/Regionen – angesehen wurde, viel stärker von außereuropäischen,
globalen Faktoren beeinflusst als wir glauben? Der Wettbewerb beispielsweise, der
europäische Mächte, ihre Intellektuellen und Industriellen anspornte, die Führung in der
Weltwirtschaft anzustreben, kann auch als Antwort auf die Überlegenheit der asiatischen
Reiche gesehen werden. Die Begegnungen der Händler, Reisenden, Eroberer und
Kolonisatoren mit fremden Kulturen waren Katalysatoren für die Herausbildung der
europäischen Aufklärung. Eine globale Perspektive ernst zu nehmen, heißt also nicht nur,
den Eurozentrismus durch außereuropäische Regio-Zentrismen zu ergänzen und zu
relativieren, sondern sie erfordert die Einbeziehung der globalen Einflüsse auch in die
Konzeption der europäischen Geschichte selbst.
Beiträge
Die vorliegenden Beiträge befassen sich mit politischen, wirtschaftlichen und kulturellen
Entwicklungen, die die Übergangssituation des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck bringen.
Sie behandeln einerseits Vorgänge, die ganz offenkundig nur zustande kommen konnten,
weil mehrere Akteure an verschiedenen Stellen des Globus daran mitwirkten (also
Welthandel und Kolonialsystem, Kulturpflanzentransfers, Mission oder internationale
Migration). Andererseits greifen sie zentrale Problemfelder auf, die in der herkömmlichen Geschichtsschreibung als interne, als nationale und genuin europäische Entwicklungen dargestellt werden. Es handelt sich dabei um die »Industrielle Revolution«, als
deren Vorreiter und Musterland gemeinhin Großbritannien gilt; die großen bürgerlichen
Revolutionen des 18. Jahrhunderts, die in Frankreich und den Vereinigten Staaten von
Amerika stattfanden; die Staats-, Verwaltungs- und Rechtsreformen in den Staaten des
aufgeklärten Absolutismus und schließlich die Aufklärung selbst, die staatsbürgerlichen
Rechten und demokratischen Freiheiten zum Durchbruch verhalf. Bei allen Beispielen
handelt es sich um europäische Phänomene, die im staatlich-nationalen Rahmen bzw. im
internationalen Zusammenspiel der europäischen Staaten zu verstehen sind. Darüber
hinaus kann man sie aber auch in ihren Auswirkungen auf andere Gesellschaften sowie
in ihrer Vorbildwirkung auf so genannte europäische Nachzügler oder auf außereuropäi-
18
Margarete Grandner – Andrea Komlosy
sche Staaten betrachten. Denn Industrialisierung, bürgerliche Revolution, Staatswerdung und Staatsaufbau gelten ebenso wie Bildung und Entfaltung der Wissenschaften als
die Ziele jeder Entwicklungsbemühung, ob sie nun von den euro-atlantischen »Vorreitern« propagiert oder von den »Nachzüglern« (deren Bezeichnung sich bereits von ihrer
Unvollkommenheit, gemessen an den Zielvorgaben der »Vorreiter« herleitet) eingefordert werden (Wallerstein 1995:51ff). Außer Acht gelassen wird in der eurozentrischen
Geschichtsschreibung, ob diese Entwicklungen, die das Bild eines »europäischen Sonderweges« entscheidend prägten, ursächlich auch auf globale Rahmenbedingungen und
damit auf außereuropäische Einflüsse zurückzuführen waren, die europäischen Akteure
also nicht Triebkraft, sondern Getriebene waren. Gab es auch anderswo Triebkräfte,
vielleicht sogar »Vorreiter«? Damit stellt sich die Frage nach Entwicklungen in außereuropäischen Gesellschaften auf wirtschaftlicher, technischer, politisch-sozialer, intellektueller, rechtlicher und kultureller Ebene, die in ihrer regionalen und vielleicht auch in
ihrer globalen Bedeutung mit den europäischen Erfindungen, Durchbrüchen und Reformen vergleichbar waren. Dies führt zur dritten Kategorie von Beiträgen in diesem Band,
die bestimmte Aspekte wie die Kommunikation mit Hilfe gedruckter Bücher oder die
religiösen Reformen, die im 18. Jahrhundert in mehreren Weltregionen gleichzeitig
stattfanden, im Kulturvergleich analysieren.
Der Band beginnt mit einem Überblick über Seehandel und Kolonialherrschaft im
18. Jahrhundert, in dem Dietmar Rothermund die wichtigsten Akteure, Routen und
Handelsgüter vorstellt. Dabei zeigt sich sehr deutlich der Unterschied der Beziehungen
zwischen Europa und Amerika auf der einen, Asien auf der anderen Seite. Der Amerikahandel war durch die koloniale Herrschaft der Europäer geprägt, die Neue Welt lieferte
ihnen Rohstoffe, nicht zuletzt Edelmetalle. Demgegenüber beruhte der Asienhandel auf
dem Tausch asiatischer Fertigwaren gegen Gold und Silber, das die Niederlande, England
und Frankreich aus ihrem Handel mit Spanien und Portugal lukrierten. Der Export
hochwertiger asiatischer Fertigwaren geriet erst ins Stocken, als die Importe durch
europäische Gewerbeerzeugnisse ersetzt werden konnten, die europäischen Wirtschaftsmächte ihre Binnenmärkte schützten und aggressive Strategien zur Eroberung der
Weltmärkte einschlugen.
Hans-Heinrich Nolte unterzieht die Rivalitäten zwischen den europäischen Mächten, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in mehreren regelrechten Weltkriegen
(Spanischer Erbfolgekrieg, Nordischer Krieg, Schlesischer Krieg, Siebenjähriger Krieg,
Napoleonische Kriege) entluden, einer genaueren Analyse. Von früheren großen militärischen Auseinandersetzungen unterschieden sich diese Konfrontationen, indem sie
gleichermaßen in Europa wie an jenen außereuropäischen Schauplätzen stattfanden, um
deren Kontrolle gerungen wurde. Auch europäische Mächte, die nicht an vorderster Front
der überseeischen Expansion standen, wie etwa Polen, Schweden, Brandenburg-Preußen
oder Russland, waren in diese Kriege involviert. Für sie ging es um die Neuordnung des
»Gleichgewichts der Mächte« in Europa in Auseinandersetzung mit den aufsteigenden
Seemächten, um die Beherrschung der Ostsee, im Falle Russlands auch um die Expansion
nach Süden und Osten.
Es folgt ein Beitrag Norbert Ortmayrs, der die weltweiten Transfers von Kulturpflanzen einer systematischen Betrachtung unterzieht. Dabei wird ein Einblick in das breite
Spektrum von Nahrungs- und Genussmitteln gegeben, die im 18. Jahrhundert zwischen
Das 18. Jahrhundert – eine globalhistorische Epoche?
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den Kontinenten verbreitet wurden. Im Gegensatz zu früheren Transfers, die zufällig und
unsystematisch erfolgten, entstand nun ein Netzwerk botanischer Gärten, das die Kolonien mit ihren Mutterländern verband und den Austausch von Nutzpflanzen organisierte.
Neben die seit 1492 bestehenden Verbreitungsrouten zwischen Alter und Neuer Welt
traten nun die pazifische Inselwelt, Australien und Neuseeland mit ihrem Sortenreichtum. Am Beispiel der Stärkepflanzen zeigt Ortmayr etwa die überragende Bedeutung auf, die die neuzeitlichen Transfers für das Bevölkerungswachstum des 18. Jahrhunderts vor allem in China, aber auch in Europa hatten.
Andrea Komlosy befasst sich mit dem Stand der gewerblich-industriellen Produktion
auf dem Textilsektor in den verschiedenen Weltregionen und konstatiert für das 18.
Jahrhundert ein Nebeneinander zahlreicher Gewerbezentren, die auf protoindustrieller
Basis beträchtliche Produktionssteigerungen zustande brachten. Die weltweit führenden
Regionen der Textilerzeugung lagen zunächst in China und auf dem indischen Subkontinent. Der Schwerpunkt verschob sich erst dann nach England, als es Unternehmern dort
gelang, die importierten asiatischen Baumwollwaren durch eigene Produkte zu ersetzen.
Die »Industrielle Revolution« beruhte auf der Mechanisierung und Zentralisierung der
Produktion, ging aber auch mit staatlichem Protektionismus und der Eroberung neuer
Märkte einher. Die bis weit ins 18. Jahrhundert leistungsfähigeren Wirtschaften und
Gesellschaften der asiatischen Reiche erweisen sich damit als Faktor, ohne den der
Aufstieg der europäischen Staaten zu Führungsmächten der Weltwirtschaft und das
konzertierte Bemühen um Produktivitätssteigerung nicht erklärt werden können.
Ausgehend von prinzipiellen Überlegungen zur historischen Einordnung des 18.
Jahrhunderts als einer Epoche der reformerischen Umgestaltung oder als einer der
revolutionären Umwälzung schildert Matthias Middell die weltweiten Verflechtungen
der Französischen Revolution in ihren Bedingungen wie in ihren Auswirkungen. Hinter
der Unfähigkeit des Ancien Régime, sich am Leben zu erhalten, stand die an seinen
Ressourcen gemessene Überdehnung der Machtansprüche Frankreichs in und außerhalb
Europas. Es scheiterte an der globalen wirtschaftlichen wie politischen Überlegenheit
seines Konkurrenten Großbritannien. Die soziale und politische Umwälzung, die der
Verlust der Vormachtstellung Frankreichs im Land selber zur Folge hatte, zog nicht bloß
ganz Europa in seinen Bann. Die Parolen und Ideen der Revolution strahlten ebenso wie
ihre militärischen Auseinandersetzungen auch auf Lateinamerika aus. Die nachhaltigste
und spektakulärste Wirkung hatte dieses Echo der Französischen Revolution in der
Selbstbefreiung der Sklaven auf Saint Domingue und der Gründung Haitis.
Reinhard Schulze geht in seinem Beitrag der Frage nach, ob sich die zunehmende
globale Vernetzung im Laufe der Neuzeit und insbesondere im 18. Jahrhundert nur aus
sozial- und wirtschaftshistorischer Perspektive erkennen lasse oder ob sich auch aus
kulturgeschichtlicher Sicht eine Art globaler Diskursgemeinschaft gebildet habe. Konkret untersucht er die Anwendbarkeit des Konzepts »Aufklärung« im Islam und kommt
zu dem Ergebnis, dass dort der europäischen Aufklärung durchaus vergleichbare,
intellektuelle Strömungen auszumachen sind. Anhand einer Untersuchung des Begriffsfelds »Puritanismus« zeigt Schulze aber auch das spezifische Verhältnis zwischen
Religion und außerreligiöser Welterklärung im Islam.
Es folgen drei Beiträge, bei denen die Interaktion zwischen verschiedenen Weltregionen im Mittelpunkt steht. Annemarie Steidl gibt einen großräumigen Überblick über
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Margarete Grandner – Andrea Komlosy
die verschiedenen Migrationssysteme des 18. Jahrhunderts, von den Wanderungen
innerhalb der Kontinente bis hin zu den großen interkontinentalen Bevölkerungstransfers. Dabei wird aufgezeigt, dass es einen breiten Übergangsbereich zwischen
freiwilliger und erzwungener Migration gibt und dass die verschiedenen Wanderungssysteme oft eng miteinander verzahnt waren. Neben den Deportationen afrikanischer
Sklaven und der Wanderung europäischer Siedler nach den Amerikas greift der Beitrag
auch die Kolonisation des europäischen Ostens, die Siedlungsprojekte im Zarenreich
sowie die verschiedenen Systeme der Kontraktarbeit in der Plantagenwirtschaft auf.
Schließlich zeigt Annemarie Steidl am Beispiel der von Südwestdeutschland ausgehenden Wanderungen die enge Verflechtung von Binnen- und Fernmigration.
Robert Hoffmann greift das Thema der westkirchlichen Mission in globalhistorischer
Perspektive auf. In vergleichender Absicht stellt er die Tätigkeit der Jesuiten in Lateinamerika einerseits, in Ostasien andererseits vor und zeigt die sehr unterschiedlichen
Ausgangsbedingungen und Möglichkeiten der Mission in diesen beiden Weltregionen.
Während der Jesuitenorden in Südamerika ein – wenn auch eigensinniger – Bestandteil
des Kolonialsystems war, bestimmte in Japan und China die einheimische Kultur den
Spielraum der europäischen Missionare. Dies spiegelte sich nicht zuletzt im so genannten
Ritenstreit, in dem es um die bessere Methode der Christianisierung in einem solchen
Umfeld ging. Hoffmann arbeitet außerdem die Unterschiede zwischen der katholischen
und der im 18. Jahrhundert sich verstärkenden protestantischen Missionstätigkeit heraus.
Monica Juneja geht im Detail und aus kulturhistorischer Sicht genauer auf einen
solchen Fall protestantischer Missionstätigkeit ein. Sie beschreibt den intensiven und beide
Seiten beeinflussenden Diskurs, der sich zwischen der pietistischen Halleschen Indienmission und ihren hinduistischen Adressaten entwickelte, die jeweilige Konstruktion des
Fremden in »gemeinsamen Geschichten« (connected histories). Anhand von Texten, die
neben Reiseberichten und Darstellungen der Missionare auch Briefe tamilischer Korrespondenten umfassen, lässt sich nicht nur zeigen, wie das »Fremde« konstruiert wurde,
sondern auch, wie es in einem Aneignungsprozess zu einem Teil der eigenen Kultur wurde.
Michael Mitterauer beschließt den Band mit einem vergleichenden Rundumblick
auf Buchdruck als Kommunikationstechnik. Er konstatiert, dass der Buchdruck im
Blockdruckverfahren in Japan und China eine lange Tradition hatte, aber niemals die
Wirkung entfaltete, wie Druckerzeugnisse in Westeuropa seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert. In Osteuropa verbreitete sich der
Buchdruck mit zeitlicher Verzögerung und hatte geringere Bedeutung. Besonders
auffällig ist, dass – außer in den Minderheitenkulturen – der Buchdruck in den islamischen Staaten zwischen dem östlichen Mittelmeer und der südostasiatischen Inselwelt
völlig fehlte. Die dennoch existierende Buchkultur entwickelte sich hier auf der Grundlage des handschriftlichen Kopierens. Michael Mitterauer erklärt die im Vergleich
deutlich werdenden Unterschiede vor allem aus den religiösen Traditionen. Im Islam
beispielsweise galt die kalligraphische Abschrift des Korans als religiöse Handlung, die
mechanische Reproduktion wurde daher lange abgelehnt.
Die Beiträge machen nicht nur mit einer breiten Palette von Themen bekannt, sondern
führen auch unterschiedliche methodische Herangehensweisen an Globalgeschichte
praktisch vor Augen. Der Überblicksdarstellung im Stil der historischen Sozialwissenschaft
Das 18. Jahrhundert – eine globalhistorische Epoche?
21
mit Schwerpunkt auf langfristigen Strukturveränderungen politischer (Nolte, Middell)
oder wirtschaftlicher Prozesse (Komlosy, Ortmayr, Rothermund) steht die Erforschung
spezifischer Interaktionszusammenhänge gegenüber. Diese kann ebenfalls auf Überblick und Zusammenschau angelegt sein (Steidl) oder konkrete Transfer- und Akkulturationsbeziehungen zum Ausgangspunkt nehmen (Hoffmann, Juneja). Die Konzentration auf ein Fallbeispiel ermöglicht es, die wechselseitigen Beeinflussungen und Übertragungen im Zusammenhang mit spezifischen Akkulturationsprozessen im Detail zu
analysieren. Andere Methoden praktizieren Schulze und Mitterauer. Schulze bedient sich
bei der Analyse der religiösen Reformströmungen im Islam der aus der europäischen
Aufklärung entlehnten Kategorien und widerlegt so die weit verbreitete Annahme einer
Unreformierbarkeit des Islam. Mitterauer betreibt Kulturvergleich im klassischen Sinne,
indem er den Umgang mit dem Buchdruck in den einzelnen Weltregionen untersucht und
dabei beträchtliche Unterschiede feststellt, die er auf die jeweiligen Glaubens- bzw.
Sinnsysteme der Kulturen zurückführt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Überlegenheit der europäischen
Zivilisation für das 18. Jahrhundert nicht bestätigt werden kann. Vielmehr bestechen
Multipolarität und Variationsbreite der Leistungen und Kompetenzen in verschiedenen
Regionen. Die europäische Hegemonie in der Weltwirtschaft, die im 19. Jahrhundert
schlagend wurde, kündigt sich zwar tendenziell an. Aus der zeitgenössischen Perspektive
waren die spätere euro-atlantische Vorherrschaft und die Peripherisierung der asiatischen
Zivilisationen jedoch noch keineswegs eindeutig zu sehen. Dieser Befund wird nicht
zuletzt durch die Verteilung des Welt-Nationalprodukts nach Weltregionen erhärtet (vgl.
Tab. 1 zum Beitrag von Andrea Komlosy in diesem Band). Regionale Lebens- und
Entwicklungschancen erreichten erst im 19. Jahrhundert die für das Verhältnis von
Industriestaaten und Entwicklungsländern auch heute charakteristische Disparität.
Das 18. Jahrhundert hingegen besticht durch in vielen Bereichen parallele Entwicklungen in den verschiedenen Weltregionen. Überall war eine Ausweitung der Handelsbeziehungen und das Entstehen von Massenmärkten zu beobachten; sämtliche alten
Reiche – von China über das Osmanische Reich und Russland bis nach Westeuropa –
erlebten politische Krisen im Gefolge sozialer Umwälzungen, auf die sie mit Reform und
Modernisierung reagierten. In anderen Fällen zeichneten sich die Entwicklungen in
einzelnen Weltregionen aber auch durch Gegenläufigkeit aus. Der – militärisch unterstützte – Vormarsch europäischer Industriewaren an der Wende vom 18. zum 19.
Jahrhundert bewirkte in den bis dahin führenden Produktionszentren in Indien und im
Osmanischen Reich einen Niedergang der gewerblich-industriellen Produktion. Der
»Industriellen Revolution« in (Nordwest-)Europa stand eine Deindustrialisierung in
weiten Teilen Asiens gegenüber. Auch auf kleinräumiger Ebene gingen europäische
Expansion und Verdrängung der heimischen Produzenten vom Markt Hand in Hand.
In allen Beiträgen zeigen sich die räumlichen Schwerpunkte zum einen in Westeuropa, zum anderen in West-, Süd- und Ostasien. Dies ist nicht verwunderlich, steht doch
das 18. Jahrhundert für den Beginn einer Machtverschiebung zwischen eben diesen
Großregionen. Lateinamerika wird im Zusammenhang mit dem Kolonialhandel, mit
Zwangsmigration und Siedlungspolitik sowie mit den Unabhängigkeitsbewegungen im
Gefolge der Französischen Revolution behandelt. Nordamerika erscheint als Schauplatz
von Einwanderung, Großmächterivalität, Unabhängigkeitskriegen und Plantagensystem.
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Margarete Grandner – Andrea Komlosy
Australien und Ozeanien, die im 18. Jahrhundert überhaupt erst »entdeckt« wurden,
bleiben am Rande, werden aber doch im Zusammenhang mit Kulturpflanzentransfer und
Migration angesprochen. Afrika wird in Hinblick auf Seewege, die es umrunden, sowie
auf Sklavenexport und den atlantischen Dreieckshandel einbezogen.
Viele Fragen, die eine Globalgeschichte des 18. Jahrhunderts aufwirft, bleiben
dennoch unbeantwortet. Man mag dies bedauern; dennoch ist eine ungleichgewichtige
Behandlung unvermeidlich. Sie ist nicht nur Ausdruck von zufälliger Kompetenzverteilung und notwendiger Schwerpunktsetzung durch die Autoren und Autorinnen,
sondern spiegelt auch das Unvermögen wider, Entwicklungen in einzelnen Weltregionen
sowie Interaktionen aus der Perspektive von Regionen nachzuvollziehen, die außerhalb
oder am Rande des Geschehens standen. Deren Beitrag zur »Globalgeschichte« kann so
niemals adäquat erfasst werden. Wir unterliegen damit den gleichen Beschränkungen wie
der Hegel’sche »Weltgeist«.
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