Vorlage Landesparteitag - Grüne Sachsen

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3. Landesdelegiertenrat 2012
9. November 2012 in Magdeburg
Beschluss:
Ein neues, faires Wahlrecht. Für mehr Demokratie und Mitbestimmung
Das Wahlrecht ist die „DNA der Demokratie“. Am „genetischen Code“ unseres
parlamentarisch-repräsentativen Regierungssystems zu arbeiten, setzt Sorgfalt voraus, um
ungewollte Nebeneffekte zu vermeiden. Einfache Scheinlösungen, die – häufig unter Verweis
auf zu hohe Demokratie- oder Politikkosten – lediglich die Anzahl der Parlamentssitze (radikal)
verringern wollen, verbieten sich, denn sie führen unterm Strich zu weniger Demokratie und
nicht zu mehr Legitimation.
Der Landtag von Sachsen-Anhalt besteht aktuell aus mindestens 91 Abgeordneten und wird
bislang nach einer Kombination aus Persönlichkeitswahl (Personenstimme in 45 Wahlkreisen)
und Verhältniswahl (Listenstimme, mindestens 46 gewählte Abgeordnete) gewählt. Die Wahl
und Wahlgrundsätze ergeben sich aus Artikel 42 der Landesverfassung. Näheres regeln das
Landeswahlgesetz und die Landeswahlordnung.
Die Parlamentsreform, die in den nächsten Monaten ansteht, soll nach dem Willen aller im
Landtag vertretenen Fraktionen auch die Bestimmungen des Wahlrechts zum Thema haben.
Alle Fraktionen haben sich in diesem Zusammenhang bereits mit einem gemeinsamen
Entschließungsantrag (Drs. 6/1184) zu einer Diskussion um eine angemessene Größe des
Landtags bekannt, die sowohl den Effekten des demographischen Wandels Rechnung trägt, als
auch die Funktionsfähigkeit des Parlaments in einer von den Bürgerinnen und Bürgern
getragenen parlamentarisch-repräsentativen Demokratie in den Blick nimmt.
Die anstehende gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung um eine Wahlrechtsreform
wollen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deshalb nicht nur als Debatte um die Größe des Landtags
führen. Für uns heißt, das Wahlrecht zu reformieren, grundsätzlich neu über Wahlen und
Mitbestimmung aller Einwohnerinnen und Einwohner des Landes Sachsen-Anhalt
nachzudenken und mutig für ein gerechteres und partizipativeres Wahlrecht zu streiten.
Unserer Landtagsfraktion wollen wir deshalb Markierungssteine an die Hand geben, nach
denen wir die Qualität von Vorschlägen zu einer Veränderung der Verfassung, des
Landeswahlgesetzes und anhängender Bestimmungen bemessen.
Ein Wahlrecht, das grüne Unterstützung will, muss fair sein und mehr Menschen die Wahl
ermöglichen. Wir wollen mehr Mitbestimmung der Wählerinnen und Wähler bei der
Zusammensetzung des Parlaments haben. Ein Landtag nach unserer Vorstellung wird deutlich
kleiner als der mit 105 Abgeordneten sehr große Landtag der 6. Wahlperiode.
Das heißt im Einzelnen:
1. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern ein Auszählungsverfahren, das die Anteile der
einzelnen Parteien am Gesamtergebnis möglichst genau in Sitze im Parlament
umrechnet und dabei alle Parteien gleich behandelt.
Bislang wird die Anzahl der Parlamentsmandate je Partei im Landtag von Sachsen-Anhalt durch
das Hare/Niemeyer-Verfahren bestimmt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halten ein vollständig
Beschluss: Ein neues, faires Wahlrecht. Für mehr Demokratie und
Mitbestimmung
3. Landesdelegiertenrat
9. November 2012
in Magdeburg
konsistentes Verfahren der Sitzzuteilung für besser geeignet, den Willen der Wählerinnen und
Wähler abzubilden. Wie bei Bundestagswahlen sollte auch in Sachsen-Anhalt zukünftig nach
dem Verfahren von Sainte-Laguë/Schepers ausgezählt werden. Dieses Verfahren kennt keine
tendenzielle Bevorzugung großer oder kleiner Parteien und vermeidet paradoxe Effekte, wie sie
bei anderen Zuteilungsverfahren auftreten.
2. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen mehr Menschen die Mitbestimmung bei Wahlen
ermöglichen.
Wer alle Einwohnerinnen und Einwohner Sachsen-Anhalts an gesellschaftlichen
Entscheidungsprozessen teilhaben lassen will, der muss das Wahlrecht auch für EUAusländerinnen und EU-Ausländer sowie ergänzend für Flüchtlinge sowie Migrantinnen und
Migranten öffnen, die länger als ein Jahr in Sachsen-Anhalt leben.
Außerdem setzen wir uns für eine signifikante Absenkung des Wahlalters für das aktive
Wahlrecht in Sachsen-Anhalt zu Landtagswahlen ein, um jungen Menschen Mitbestimmung zu
ermöglichen und sie im politischen Alltag stärker zu AkteurInnen zu machen.
3. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legen die Entscheidung über die personelle
Zusammensetzung des Parlaments stärker in die Hand der Wählerinnen und Wähler.
Bürgerinnen und Bürger sollen besser als heute über die konkrete personelle Zusammensetzung
des Landtags bestimmen können. Dazu wollen wir den Wählerinnen und Wählern in Zukunft
das Kumulieren und Panaschieren auf offenen, ggf. regionalisierten Listen ermöglichen.
In Sachsen-Anhalt haben wir im Kommunalwahlrecht gute Erfahrungen mit einem Wahlsystem
gemacht, das Wählerinnen und Wählern das Kumulieren (Stimmenhäufen, also die Abgabe von
mehreren Stimmen für eine/n KandidatIn) und Panaschieren (Verteilen von mehreren
verfügbaren Stimmen auf unterschiedliche Kandidatinnen und Kandidaten oder Wahllisten)
erlaubt. Die Freie Hansestadt Hamburg und ebenso die Freie Hansestadt Bremen haben ein
ähnliches Wahlrechtsmodell – inklusive der Möglichkeit der Abgabe einer einzelnen
Listenstimme – auch für die dortigen Bürgerschaftswahlen eingeführt und damit positive
Erfahrungen gemacht.
Den Wählerinnen und Wählern werden mit dem Modell mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten
gegeben. Sie werden gegenüber den Parteien auch noch stärker zu AkteurInnen, indem der
Listenvorschlag der Partei erst durch das Votum der Wählerinnen und Wähler abschließend
bestimmt wird.
Das bedeutet sowohl für die Wählerinnen und Wähler als auch für die Parteien mehr
Verantwortung. Die Aufstellung von Kandidatinnen muss auf allen Listenplätzen mit der
gleichen Sorgfalt erfolgen, da Kandidatinnen und Kandidaten durch die Wahlbevölkerung
„nach vorne“ gewählt oder zurückgestuft werden können.
4. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen einen gegenüber dem aktuellen Parlament deutlich
verkleinerten Landtag.
Sachsen-Anhalts Landtag gehört mit aktuell 105 Abgeordneten zu den großen
Landesparlamenten; trotz der überschaubaren und auch in Zukunft abnehmenden
Bevölkerungszahl in unserem Bundesland.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen einen Landtag, der nicht größer wird als die derzeitige
Beschluss: Ein neues, faires Wahlrecht. Für mehr Demokratie und
Mitbestimmung
3. Landesdelegiertenrat
9. November 2012
in Magdeburg
Anzahl der Grundmandate. Das Wahlsystem ist deshalb so zu gestalten, dass der
WählerInnenwille in der Zusammensetzung des Parlaments abgebildet ist und trotzdem
Überhangmandate (und damit notwendige Ausgleichsmandate) so gut wie unmöglich werden.
Ein Parlament dieser Größe sichert die Funktionsfähigkeit aller Fraktionen. Die
Demokratiekosten laufen nicht aus dem Ruder, ja es bleibt Raum, um zusätzliche Ressourcen
zur besseren Präsenz der Landtagsabgeordneten vor Ort zu mobilisieren. Auch angesichts einer
alternden Gesellschaft muss Politik vor Ort präsent bleiben.
Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bekennen wir uns mit unseren Vorschlägen in Sachen
Wahlrecht zu mehr Demokratie und Mitbestimmung aller Bürgerinnen und Bürger. Dazu
gehört auch, dass wir für mehr direkte Demokratie sowie eine Stärkung des Informationsrechts
der Bürgerinnen und Bürger streiten, denn Mitbestimmung darf nicht nur zu Wahlen ein Thema
sein.
Unsere Vorschläge setzen in jedem Fall Veränderungen der Verfassung voraus. 20 Jahre nach
Verabschiedung der Landesverfassung halten wir die Zeit für gekommen, dieses Thema ohne
Tabus zu besprechen. Wer mehr Demokratie und Mitbestimmung für alle auch im Wahlrecht
will, der darf vor der Verfassung nicht halt machen.
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