Katzelmacher - Münchner Volkstheater

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Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Katzelmacher
nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder
in der Regie von Abdullah Kenan Karaca
I.
zum Autor und Regisseur Fassbinder
II.
zur Handlung und zu den Figuren von Katzelmacher
III.
zur Sprache
IV.
zur Inszenierung im Volkstheater
V.
Anregungen für die Auseinandersetzung mit der Inszenierung und der Aufführung
im Volkstheater
VI.
Fragen an die Inszenierung / Fragen nach dem Aufführungsbesuch
VII.
Literaturhinweise und Internetlinks
Katzelmacher eignet sich zur Thematisierung in den Fächern Deutsch (z.B. zur Beschäftigung
mit zeitgenössischem Theater und gegenwärtigen Theaterformen; zur Aufführungs- und
Inszenierungsanalyse; zur Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Dramatisierung
von Filmen; zum Vergleich verschiedener Inszenierungen eines Regisseurs (z.B. mit Woyzeck
und Die Präsidentinnen am Münchner Volkstheater); zur Auseinandersetzung mit dem Genre
des Volksstücks; zur Auseinandersetzung mit der sprachlichen Form des Stücks und der
Gewalt, die hier über Sprache ausgeübt wird; zur thematischen Auseinandersetzung mit
Gewalt
und
Fremdenhass),
Sozialkunde
(z.B.
zur
Auseinandersetzung
mit
den
Entstehungsformen und -ursachen von Gewalt und Angst vor dem Fremden und den
Funktionsmechanismen gesellschaftlicher Gruppen), Kunst / Musik (z.B. zur Auseinandersetzung mit Bühnenbild und Bühnenraum, Kostüm, Licht, Musik und Medien in der
Inszenierung am Volkstheater) und Dramatisches Gestalten / Theater (z.B. zu Fragen der
Regie und Dramaturgie in der Inszenierung; zur Auseinandersetzung mit Spielweisen und
Erzählmöglichkeiten des Theaters; zu Fragen der Rezeption im Theater) ab der 11.
Jahrgangsstufe.
Aufführungsdauer: ca. 90 Minuten
– Anne Steiner: Materialien zur Inszenierung am Münchner Volkstheater –
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Rainer Werner Fassbinder – kurze Hinweise
zu Leben und Werk∗
Rainer Werner Fassbinder, geboren am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen als Sohn eines
Arztes und einer Übersetzerin, wuchs nach der Scheidung seiner Eltern (1951) als Einzelkind
bei seiner Mutter in München auf. Da seine Mutter an Tuberkulose erkrankt war und immer
wieder für mehrere Monate im Krankenhaus behandelt werden musste, wurde der Junge
phasenweise von seiner Großmutter versorgt oder lebte bei Verwandten im Schwarzwald oder
in Schülerheimen und Internaten. In München und Augsburg besuchte Fassbinder das
Gymnasium, brach die Schule jedoch 1961 ab und zog für zwei Jahre nach Köln zu seinem
Vater.
1963 kehrte er nach München zurück und ging auf eine Schauspielschule, verließ aber auch
diese ohne Abschluss. Zweimal bewarb er sich an der neu gegründeten Filmhochschule in
Berlin, ohne dabei seine bereits entstandenen ersten Filme anzugeben, und beide Male wurde
er abgelehnt. Er begann beim „Action-Theater“, einem freien Münchner Theaterensemble, als
Schauspieler, Autor und Regisseur mitzuarbeiten. 1968 schrieb und inszenierte er mit
Katzelmacher sein erstes Theaterstück, für das er 1969 den Förderpreis zum GerhardHauptmann-Preis erhielt, und gründete gemeinsam mit Hanna Schygulla, Peer Raben und
Kurt Raab, mit denen er auch weiterhin eng zusammenarbeiten sollte, das „antitheater“.
1969 drehte er mit Liebe ist kälter als der Tod seinen ersten Spielfilm, der von Kritik und
Publikum aber nur verhalten aufgenommen wurde. Der künstlerische Durchbruch gelang ihm
jedoch noch im gelichen Jahr mit der Verfilmung von Katzelmacher, die 1969 u.a. mit dem
Preis der deutschen Fernsehkritik und dem Fernsehpreis der Deutschen Akademie der
darstellenden Künste ausgezeichnet und für ihre künstlerische und filmästhetische
Eigenwilligkeit bewundert wurde.
Fassbinder war während seines kurzen Lebens – er starb am 10. Juni 1982 in München im
Alter von nur 37 Jahren an Herzversagen, ausgelöst vermutlich durch den Konsum von
Medikamenten und Drogen – ungemein produktiv und künstlerisch innovativ und gilt bis
heute als einer der erfolgreichsten und wichtigsten Autorenfilmer der BRD. Er griff das
Volksstück ebenso auf wie den Gangsterfilm und schuf über 40 Filme, darunter Fontane Effi
Briest (1974), Die Ehe der Maria Braun (1979) und Lili Marleen (1981), deren ganz eigene
Ästhetik und Erzählweise ebenso wie ihre Auseinandersetzung mit bundesrepublikanischer
Geschichte und gesellschaftlichen Tabu-Themen Aufmerksamkeit erregten. Fassbinder erhielt
zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, so wurde er für Angst essen Seele
auf (1974) bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet, für Die Ehe der Maria Braun
(1979) erhielt er den Deutschen Filmpreis als bester Regisseur, für Die Sehnsucht der
Veronika Voss (1982) einen Goldenen Bären auf der Berlinale 1982, um nur einige zu nennen.
Außergewöhnlich war auch sein Schaffen für das Fernsehen. Seine Verfilmung von Alfred
Döblins Berlin Alexanderplatz (1980) als Mini-Serie, die gängigen dramaturgischen und
ästhetischen Konventionen einer TV-Serie widersprach und weit über die Sehgewohnheiten
des Fernsehpublikums hinausging, gilt heute als eines der Meisterwerke Fassbinders.
∗
Ausführliche Informationen zu Leben und Werk Fassbinders finden sich z.B. auf der Website „filmportal.de“
des Deutschen Filminstituts (DIF e.V.), der Website der Rainer Werner Fassbinder Foundation und in Trimborn
(2012): Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben.
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Katzelmacher – die Handlung in der Inszenierung
Katzelmacher erzählt von sechs jungen Menschen, die in der (bayerischen) Provinz leben und
deren Alltag wohlgeordnet erscheint, tatsächlich aber geprägt ist von Langeweile und nur
vagen Zukunftsperspektiven, von emotionaler Verwahrlosung und Sprachlosigkeit, von
wechselseitigen Abhängigkeiten, versteckter und offener Ausbeutung und zunehmender
Aggression.
Marie, die noch Jungfrau ist, ist mit Erich zusammen, der sie betrügt, herumkommandiert und
finanziell ausbeutet, während er darüber nachdenkt, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten.
Paul prügelt seine Freundin Helga, die von einer Karriere als Sängerin träumt und sich zur
Finanzierung dieses Traumes von Paul für Sex mit Geld beschenken und von Erich für Sex
mit Geld bezahlen lässt. Elisabeth, die als Kleinunternehmerin – sie stellt Wundertüten her –
ihren Lebensunterhalt verdient, ist mit Peter liiert, der sich von ihr aushalten und dafür von ihr
herumkommandieren lässt.
Als Elisabeth den griechischen Gastarbeiter Jorgos einstellt und ihm ein Zimmer in ihrer
Wohnung untervermietet, gerät die fragile Ordnung ins Schwanken, stellt doch der
‚Katzelmacher‘, wie er abfällig genannt wird, eine Bedrohung für das bestehende Gleichgewicht aus unerfüllten Sehnsüchten und gegenseitigen Gemeinheiten dar. Während die
Männer ihm seine nachgesagte Potenz und seinen vermeintlichen Erfolg bei allen Frauen
neiden und ihn notfalls auch mit Gewalt wieder vertreiben wollen, zieht er die Frauen an und
weckt sexuelle Fantasien bei ihnen, die für Helga und Elisabeth trotz aller Bemühungen
jedoch ebenso unerfüllt bleiben wie ihre bisherigen Lebensträume.
Marie, von seinem Anderssein angezogen, kommt schließlich mit Jorgos zusammen, der nur
scheinbar dem Bild des nichts verstehenden Gastarbeiters, der sich bereitwillig ausbeuten
lässt, entspricht. Rasch träumt sie davon, mit ihm nach Griechenland zu gehen. Dass er
verheiratet ist und zwei Kinder hat, stellt für sie kein Hindernis dar, ist doch in Griechenland
sowieso alles anders. Doch so ganz kann sie sich dem rassistischen Denken und aggressiven
Verhalten ihrer Umgebung nicht entziehen: Peter, Paul und Erich, und dies durchaus mit
Billigung von Helga und Elisabeth, fallen über Jorgos her und verprügeln ihn brutal, und ein
Gerücht, das Marie in Umlauf gebracht hat, ist der Auslöser für ihren Gewaltexzess.
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Die Figuren und ihre Werte und Vorstellungen
Gefühle?!
Marie ist mit Erich zusammen, Helga mit Paul, Elisabeth mit Peter. Marie liebt erst Erich,
dann den Katzelmacher. Erich ist glücklich mit Marie, aber nur, wenn sie auf ihn hört. Helga
schläft gegen Bezahlung mit Paul – und mit Erich. Helga will Paul heiraten. Paul will
eigentlich nicht heiraten. Später will er Helga dann doch heiraten. Elisabeth hält Peter aus.
Peter lässt sich aushalten. Der Katzelmacher will Helga nicht, will Elisabeth nicht, will Marie.
Wie man es machen muss und wie es sein muss - und wie nicht.
Da haust amal
rein ins Gesicht,
dann hälts ihren
Mund.
Wichtig bin ich für dein Leben
und kein anderer nicht.
Wo keine Scham ist, ist
keine Scham.
Man muss das melden.
Sowas darf nicht frei sein
und unter uns.
Wir haben einen
Anstand. Wir sind
nicht zum Haben für
jeden.
Weil wir unsere Ruhe
wollen. Ein Frieden ist
wichtig für uns.
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Erich, Marie, Paul, Helga, Elisabeth, Peter über Erich, Marie, Paul, Helga,
Elisabeth, Peter
Fressen, Saufen und
Wohnung umsonst. Und
kein Geld in der Tasche.
So wie du aus
dem Maul
stinkst, so
kann es uns
gar nicht
stinken.
Ich tät mich
schämen, wo du
alles weißt von
dem, was das für
einer ist.
Einen Busen hats. Das is
alles bei der.
Ja, du kannst machen, was
du willst, weil du ein
Flitscherl bist.
Sowas ist schon ein schmutziger Mensch, was
sich Geld geben lasst. Aber ich hab das immer
schon gewusst von der. Weil die nicht grade
schaut und immer so vorbei an einem.
Wenn ich so ausschauen tät
wie du, tät ich mich vor mir
selber schämen.
Weil du keine Scham
kennst. Weil du alles
nimmst, was rumläuft.
Und wenn meine Hände dreckig
sind, so dreckig wie die deinen
können sie gar nicht werden.
Über den Katzelmacher
Der Katzelmacher ist fremd: Er versteht die deutsche Sprache nicht und sieht anders aus und
ist anders, besser gebaut als Erich, Paul und Peter – und er schläft nackt!
Der Katzelmacher ist gefährlich: Er arbeitet besser als Erich, Paul und Peter und sieht
männlicher aus als sie, was ihre Männlichkeit in Frage stellt. Er wird von allen Frauen
umgarnt, aber nur eine bekommt ihn, sodass die anderen sich abgewertet und missachtet
fühlen. Und er ist Kommunist und sicher kein Christ!
Der Katzelmacher muss weg: Ein fremder Mensch ist ein schlechter Mensch, er bringt
Unordnung und stört die Ruhe. Und Gewalt ist zur Durchsetzung dieser Notwendigkeit
erlaubt!
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
zur Sprache in Katzelmacher
Der Titel
Katzelmacher m. (= Scheltname für Italiener in Südostdeutschland), ugs., reg. Bezeugt seit
dem 18. Jh. Ursprünglich für die Grödner in Südtirol, die bis ins 19. Jh. hölzernes
Küchengerät herstellten und vertrieben. Stellvertretend für dieses die Ggatzlen ’hölzerne
Schöpfkellen‘, Verkleinerungsform zu tirol. ggåtze ’Schöpfkelle‘ aus gleichbedeutendem
venez. cazza.
(Friedrich Kluge (1989): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Auflage unter Mithilfe von Max Bürgisser
und Bernd Gregor völlig neu bearbeitet von Elmar Seebold. Berlin / New York: de Gruyter. S. 362)
Katzelmacher (auch: Katzlmacher) ist eine inzwischen selten verwendete abschätzige
Bezeichnung für Gastarbeiter (insbesondere italienischer Herkunft) […]. Das Wort […] leitet
sich wohl aus dem lateinischen catinus, Althochdeutsch chez(z)il ab (Mittelhochdeutsch
kezzel, daraus heute: Kessel) und bedeutet ursprünglich „Kesselmacher“. Daneben steht auch
spätlateinisch cattia, aus dem sich das Wort Gatzel entwickelte, ein hölzerner Schöpflöffel. So
wurde der Ausdruck ciaz, ciaza wohl auf jene fahrenden ladinischen Holzschnitzer aus
Gröden […] übertragen, die derlei hölzerne Küchengeräte zum Kauf anboten. […] Der
nächste Schritt mag die Übertragung von den Ladinisch Sprechenden auf Italienisch
Sprechende gewesen sein, das Wort findet sich piemontes.-venezianisch als cazza, für
piemontesisches Zinngeschirr, das durch Wanderhändler über die Alpen kam […].
Das Wort ist schon seit 1741 in Wien verbreitet, seine negative Konnotation […] gewann es
wohl erst im Ersten Weltkrieg […]. Später ging es allgemein auf „Südländer“ über.
(Wikipedia-Eintrag „Katzelmacher“, https://de.wikipedia.org/wiki/Katzelmacher#Einzelnachweise (zul. aufgeruf. 8.3.16))
Die Figurensprache
Die Figuren sprechen eine bei aller scheinbar dialektal gefärbten Natürlichkeit (bemerkbar
z.B. an der doppelten Verneinung und an den Verbformen), und Authentizität doch künstliche
Sprache, ein Kunstbairisch, das ebenso deformiert ist wie sie selbst und gleichzeitig
deformierend wirkt. Es ist eine Sprache voll inhaltsarmer Leerformeln, voll unreflektierter
Vorurteile und spießiger Klischees und gelegentlich voll des Gefühlskitsches.
Alle Figuren setzen Sprache als eine gefährliche Waffe ein, gerichtet gegen die anderen. Sie
verletzen einander, indem sie sich gegenseitig ins Wort fallen, sich selbst sprachlich erhöhen
und über die anderen erheben und andere beleidigen und mit drastischen Schimpfwörtern
belegen. Und bleibt ihnen die Sprache weg, entladen sich ihre angestaute Gewalt und ihre
unterdrückte Aggressionen physisch.
Empathie und Liebe sind in dieser Sprache nicht möglich und scheinen den Figuren auch
völlig fremd. Mehr als ein „Ja, schon“ antworten sie auf die Frage „Bist du eigentlich
glücklich mit der da / dem da?“ meist nicht. Einzig Marie entdeckt die Liebe – und dies mit
dem Katzelmacher, also dem einzigen, der gerade nicht diese ihre gewalttätige Sprache
spricht.
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Die Inszenierung am Volkstheater ...
… individualisiert nicht, sondern zeigt Kunstfiguren, Symbole und Chiffren.
Erich, Paul, Peter, Hilde, Elisabeth und Marie sprechen ein- und dieselbe Sprache, sie
verwenden ähnliche Formulierungen und Ausdrücke, wenn sie über sich oder über ihre
Beziehungen, ihre Vorstellungen und Werte sprechen. Sie alle tragen die gleichen Kostüme,
die in Form und Farbe an Dirndl und Lederhose erinnern, durch ihren Latexstoff aber
verfremden, und dieselben Frisuren – die Männer Backenbart, die Frauen lange Zöpfe.
Sie nutzen denselben Bühnenraum, gehen ähnliche Wege und zeigen dieselbe Spielweise, die
sie deutlich als Figuren auf der Bühne markiert. Damit werden sie als eine Gruppe mit
Verortung sowohl in einer historischen Vergangenheit und Tradition als auch in der
Gegenwart und ihr vorurteils- und klischeebehaftetes Denken und das daraus entsprießende
gewalttätige Handeln als nur scheinbar überholt und äußerst gegenwärtig erzählt. Von all dem
unterscheidet sich der Katzelmacher deutlich, er trägt weißes T-Shirt und Karohemd zur
Lederjeans und bringt die Handlung damit in die Gegenwart. Er zitiert Fassbinder und Heiner
Müller und liest gerne in seinem Goethe, den er im gelben Reclam-Heft stets bei sich trägt.
… schafft einen Kunstraum mit mehreren Ebenen.
Die Bühne wird dominiert von großen Holzwänden, auf denen eine stilisierte, naiv gemalte
Landschaftsidylle zu sehen ist, und die wie ein aufgeklapptes Papp-Bilderbuch wirken.
Verstärkt wird der Eindruck durch die Figuren, die jungen Menschen aus der bayerischen
Provinz, die zu Beginn wie in einem Pop-Up an und aus dieser Bilderbuchseite hängen.
Verlassen sie mühevoll ihre Plätze, bleiben ihre Silhouetten als leere Schablonen zurück.
Die Holzwände sind beweglich, werden sie (was wiederum nur recht mühevoll zu
bewerkstelligen ist) zur Seite geschoben, öffnen sie die Bühne in der Bühnenmitte und
ermöglichen weitere Auf- und Abgänge, geben aber den Blick nicht wirklich frei – was hinter
ihnen verborgen ist, lässt sich nur erahnen.
Die Holzwände stehen auf einem Podest, was unter der Hauptbühne einen weiteren Spielraum
eröffnet, der jedoch so niedrig ist, dass er nicht aufrecht betreten werden kann. Auch hier
bleibt vieles im Dunkeln und lässt sich nur erahnen – gelegentlich erlaubt das Licht einen
Blick in diesen unteren Bühnenraum und lässt dann einzelne Figuren in grotesken
Bewegungen und Verrenkungen erkennen, während ein leuchtendes Spruchband ihr Tun
illustriert, kommentiert, unterläuft, … oder ihre Gefühle verbalisiert und Gedanken äußert.
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Anregungen für die Auseinandersetzung mit
der Inszenierung und der Aufführung
… ausgehend von Fassbinders Katzelmacher (in Theater und Film)
→ Hinweise zum Autor und zur Sprache: Austausch von Ideen zur Figurengestaltung auf der
Bühne (Welche Figurengruppen könnte es geben? Wie könnte das Kostüm gestaltet sein?
Welche Spiel- und Sprechweisen wären möglich?)
→ das Genre ‚Volksstück‘: Recherche zu den Kennzeichen und zur Entwicklung des Genres
und Formulierung von Erwartungen an Themen, Handlung und Figuren in Katzelmacher
→ „Für Marieluise Fleißer“: Austausch von Erwartungen, die diese Widmung hervorruft, die
Fassbinder seinem Stück voranstellt
→ der Titel: Notieren von Assoziationen und Gedanken zu den Bedeutungsebenen von
„Katzelmacher“ und den sich daran anknüpfenden Erwartungen an Ort und Zeit des
Geschehens und an die auftretenden Figuren
→ Hinweise zu den Figuren: Entwickeln von kurzen Spielszenen, in denen eine Figur /
mehrere Figuren vorkommen und eine oder mehrere der genannten Äußerungen formuliert
werden
→ Hinweise zu den Figuren: Verfassen von Rollenbiografien für die Figuren und Austausch
von Ideen zu Ort und Zeit der Handlung
der Film: Rezeption des Trailers zum Film (zu finden z.B. unter
https://www.youtube.com/watch?v=fH24q2JXiqU) und Beschreibung der Filmästhetik und
der durch die Kameraperspektive evozierten Stimmung und Austausch über die Elemente, die
an Theater erinnern
→
→ das Stück: Lesen ausgewählter Szenen aus dem Stück (z.B. der Eingangsszene, s.
Fassbinder 1970: 9-11) und Analyse der angesprochenen Themen, des Wortschatzes und der
Wortfelder, der Gesprächsführung und der Redeanteile der beteiligten Figuren und
Auseinandersetzung mit der Frage, welche Handlungsmotive und versteckten Aggressionen
sich bereits hier zeigen
→ das Stück: Vorbereitung einer szenischen Lesung ausgewählter Szenen aus dem Stück
(z.B. der Eingangsszene, s. Fassbinder 1970: 9-11) durch Einfügen von Nebentext (z.B. Ort?
Jahr? Tageszeit?) und Subtext (Gedanken und Gefühle der beteiligten Figuren) und Austausch
über Stimmführung, Lautstärke, Geschwindigkeit der Äußerungen und die dadurch jeweils
hervorgerufene Wirkung und das jeweilige Bild, das dadurch von den Figuren gezeichnet
wird
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
... ausgehend von der Inszenierung am Volkstheater
→ Hinweise zur Handlung, zu den Figuren und zur Sprache: Entwickeln von Vorschlägen für
das Setting und die situative Einbettung der Handlung und die Sprech- und Spielweise der
Figuren
→ Hinweise zur Inszenierung: Austausch von Erwartungen an die eingesetzten theatralen
Mittel (Bühnenbild, Kostüm, Licht, usw.)
→ das Plakat zur Inszenierung: Austausch von Beobachtungen und Assoziationen zum Plakat
zur Inszenierung (zu finden auf der Website des Münchner Volkstheaters, das einen Gorilla
zeigt, der an einem großen Büro-Schreibtisch sitzt, telefoniert und eine Banane in der Hand
hält) und Formulierung von Erwartungen an die Figurenzeichnung, das Setting und den
Einsatz von Requisiten in der Inszenierung
→ die Themen: Entwicklung von Ideen zur theatralen Umsetzung, Abstraktion und
Symbolisierung der Themen ‚Fremdenhass‘ und ‚Gewalt‘, z.B. anhand folgender Fragen:
-
Wie könnten über das Kostüm Parallelen von Geschichte und
Gegenwart gezogen werden?
-
Wie könnten über Bühnenbild, Musik oder Licht innere,
unbewusste Ängste vor dem ‚Fremden‘ erzählt werden?
-
Welche Requisiten könnten als Symbole oder Chiffren für
Provinzialität, Spießertum, (fehlende) Bildung, Kultur eingesetzt
werden?
-
In welchen Formen und mit welchen theatralen Mitteln könnten
verschiedene Formen von Gewalt gezeigt werden?
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
... ausgehend von der besuchten Aufführung im Volkstheater
→ Bühne, Bühnenraum und Kostüm: Austausch von Erinnerungen an besondere visuelle und
akustische Details (z.B. an die Farben und das Material der Kostüme, an die Farben und
Färbung des Lichts, an die Spielebenen des Bühnenraums und die Wege der verschiedenen
Figuren, an das Spruchband, an das Bühnenbild)
→ Spiel- und Sprechweisen: Austausch über wahrgenommene Auffälligkeiten in der Spielund Sprechweise einzelner Figuren, wiederkehrende Aktionen und Äußerungen von einzelnen
Figuren und Figurengruppen, an chorische Elemente im Sprechen und im Spiel und deren
Wirkung auf das Publikum
→ die Texte: Sammeln von Szenen und Momenten, in denen Texte (als Figurenrede und auf
andere Arten) vorkamen, die sich deutlich von der sonstigen Figurenrede unterschieden und
Austausch über Inhalt und Wirkung dieser Texte und der durch sie hervorgerufenen
Assoziationen
→ die Themen: Austausch über die Formen und die Intensität der Gewalt und des
Fremdenhasses, die wahrgenommen wurden, und Austausch über die theatralen Mittel, die zu
ihrer Erzeugung eingesetzt wurden
→ Symbole: Austausch über die theatralen Mittel, die symbolisch verstanden wurden (z.B.
Kostüme?, Requisiten wie Reclam-Heft und Banane?, Bühnenbild?)
→ Verfremdung und Brechung: Sammeln von Szenen, in denen die Handlung und das
Geschehen verfremdet und/oder unterbrochen wirkten, beispielsweise über den Einsatz von
Standbildern, das ins Publikum und nicht zu den anderen Figuren gerichtete Sprechen, und
Austausch über die dadurch hervorgerufene Wirkung
Zuschauerreaktionen: Nachstellen von Szenen mit besonderen Publikumsreaktionen
durch Bauen von Standbildern, die sowohl die Situation auf der Bühne als auch die Reaktion
des Publikums zeigen
→
→ Programmheft: Auswahl der Szenen, die mit einem Szenenfoto im Heft erscheinen sollten
und Sammeln / Verfassen von möglichen Zusatztexten (aller Art) zu den Figuren, zur
Handlung und zur Thematik, um anderen einen Eindruck von der Inszenierung zu geben
→ Theaterkritik: Lesen von verschiedenen Theaterkritiken und Berichten zur Inszenierung
(s. z.B. Süddeutsche Zeitung, nachtkritik.de, Hamburger Abendblatt) und Verfassen von
Leserbriefen dazu, in denen die Zustimmung oder Ablehnung formuliert und anhand der
eigenen Wahrnehmungen während der Aufführung begründet werden
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Fragen nach der Aufführung / Fragen zur Inszenierung
zur Bühne und zu den Requisiten
-
Welche Assoziationen weckt das Bühnenbild?
-
Ist zu Beginn nur ein Bühnenbild oder sind auch Schauspielerinnen und Schauspieler
zu sehen?
-
Welche Veränderungen erfährt der Bühnenraum während der Aufführung?
-
In welche Ebenen und Räume ist die Bühne eingeteilt? Wodurch entsteht die
Einteilung?
-
Welche Erweiterungen erfährt der Bühnenraum während der Aufführung?
-
Welche Assoziationen rufen diese Erweiterungen hervor?
-
Wer nutzt auch den unteren Bühnenraum? Welche Wirkung wird dadurch erzeugt?
-
An welchem Ort und in welcher Zeit spielt sich das Geschehen ab?
-
Welche Requisiten sind besonders auffällig? Wer benutzt sie?
zum Licht
-
Welcher Eindruck bleibt nach der Aufführung von der durch das Licht geschaffenen
Atmosphäre in Erinnerung?
-
Welche Licht-Farben und -Stärken dominieren die Inszenierung? Welche Wirkung
erzeugen sie?
-
In welchen Szenen fokussiert das Licht einzelne Figuren? Welche Wirkung erzeugt
das?
-
Schafft das Licht in verschiedenen Szenen unterschiedliche Atmosphären?
zu den Kostümen
-
In welcher Zeit verorten Kostüm und Maske das Geschehen?
-
Welche Farben, Formen und Materialien dominieren die Kostüme?
-
Welche Wechsel sind in den Kostümen zu bemerken? Wann finden diese statt?
-
Schränken die Kostüme die Bewegungsfreiheit der Schauspielerinnen und
Schauspieler ein?
-
Mit welchen Adjektiven lassen sich die Kostüme charakterisieren?
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
zu den Figuren
-
Welche Unterschiede in Spiel- und Sprechweise zeigen sich zwischen den Männerund den Frauenfiguren?
-
Welche Unterschiede in Spiel- und Sprechweise zeigen sich zwischen den
Einheimischen und dem Katzelmacher?
-
Sprechen die Figuren miteinander oder sprechen sie eher nebeneinander? Wodurch
entsteht der Eindruck?
-
Welche individuellen Eigenheiten zeigen die einzelnen Figuren? Und worin ähneln sie
einander?
-
Welche der Figuren singen? Was singen sie jeweils?
-
Welche Wirkung hat der Gesang auf die anderen Figuren? Welche Wirkung hat er auf
das Publikum?
-
Wer ‚spricht‘ die Spruchbänder – die Figuren, ein außenstehender Beobachter, …?
-
Nehmen die Figuren auf der Bühne die Figur unter der Bühne wahr?
-
Nehmen die Figuren einander immer wahr?
-
Gibt es Figuren, über die das Publikum lacht? Was ruft diese Reaktion hervor?
-
Wie betreten die Figuren die Bühne, wie gehen sie ab?
-
Nutzen alle Figuren denselben Raum und gehen sie dieselben Wege oder sind
Unterschiede erkennbar?
-
Welche chorischen Elemente und Arten von chorischem Spiel finden sich in der
Inszenierung?
-
Wechseln die Figuren ihre Sprechweise, wenn sie mit unterschiedlichen anderen
Figuren sprechen? Falls ja, worin liegen die Unterschiede?
-
Welche unterschiedlichen Arten der Annäherung sind zwischen verschiedenen
Figuren zu bemerken?
-
Auf welche unterschiedlichen Arten tun sich die Figuren Gewalt an? Wie äußert sich
sie ihre Aggression?
Katzelmacher – Materialien zur Inszenierung
Literaturhinweise und Internet-Links
Textausgaben
Fassbinder, Rainer Werner (1970): Antitheater. Katzelmacher / Preparadise sorry now / Die
Bettleroper (nach John Gay). Frankfurt am Main: Suhrkamp (edition suhrkamp)
Fassbinder, Rainer Werner (1982): Katzelmacher. Preparadise sorry now. Frankfurt am Main:
Verlag der Autoren (Theaterbibliothek / 65)
Film
Fassbinder, Rainer Werner: Katzelmacher (1969; 85 Min.). DVD: Arthaus 2009 (Edition
Deutscher Film / 16)
Weiterführendes
Trimborn, Jürgen (2012): Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben. Rainer Werner Fassbinder. Die
Biographie. Berlin: Propyläen
ausführliche Biographie über den Autor, Regisseur, Theater- und Filmemacher Rainer Werner
Fassbinder
Fischer, Robert (2004) (Hrsg.): Fassbinder über Fassbinder. Die ungekürzten Interviews.
Frankfurt am Main: Verlag der Autoren
versammelt (ungekürzt und in voller Länge) 30 ausführliche Interviews, die Fassbinder zwischen
1969 und 1982 gegeben hat und die das Verständnis seines Werks erhellen helfen
Töteberg, Michael (Hrsg.) (2015): Rainer Werner Fassbinder (Text+Kritik 103. Zweite Auflage:
Neufassung. Dezember 2015)
Sammlung von Essays über Werk und Bedeutung Fassbinders; enthält mit Tötebergs „Fassbindertheater“ (S. 10-22) einen Beitrag, der sich mit Adaptionen von Fassbinders Filmen im Gegenwartstheater beschäftigt
Elsaesser, Thomas (2001): Rainer Werner Fassbinder. Berlin: Bertz
umfassende Darstellung des Filmschaffens von Fassbinder, mit kommentierter Filmographie
Internet
http://www.fassbinderfoundation.de/
Website der Rainer Werner Fassbinder Foundation, die den Nachlass Fassbinders verwaltet
http://www.filmportal.de/person/rainer-werner-fassbinder_16e2b393d11641aa885388d85222f8db
Eintrag zu Fassbinder auf der Website „filmportal.de“ des Deutschen Filminstituts (DIF e.V.),
bietet neben einem Lebenslauf Informationen, Fotos und Materialien zu jedem Film
http://www.abendblatt.de/kultur-live/article207128951/Fassbinders-Katzelmacher-auf-Kamp
nagel. html
Kritik zur Hamburger Uraufführung der Inszenierung im Hamburger Abendblatt vom 7.3.16
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/volkstheater-was-ein-jahre-altes-fassbinder-stueckueber-fremdenhass-sagt-1.2903870
Artikel von Christiane Lutz über die Inszenierung und Interview mit Abdullah Kenan Karaca und
Rudolf Waldemar Brem, einem Fassbinder-Schauspieler, der auch im Film Katzelmacher mitspielte,
in der Süddeutschen Zeitung vom 10.03.2016
https://www.muenchner-volkstheater.de/ensemble/regisseure/abdullah-kenan-karaca
Kurzbiographie des Regisseurs Abdullah Kenan Karaca auf der Website des Münchner
Volkstheaters
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