„Stachelfliegen“ – schwebende Schönheiten Liebe Liese Heute Nachmittag, beim schönsten Oktobersonnenschein, hat sich eine „deiner Stachelfliegen“ auf meinem Handrücken niedergelassen. Eine so winzige Schönheit, mit so vollendeter Maskerade! Der Körper des Insektes war gelb schwarz gestreift, die vier vorderen, zarten Beinchen waren ebenfalls gelb, die zwei hinteren jedoch bräunlich. Ja, man könnte wirklich glauben, eine kleine Wespe vor sich zu haben. Und du fragst zu Recht, wie du eine „Stachelfliege“ von den tatsächlich stachelbewehrten zu unterscheiden vermagst. [Foto: Gestreifte Waldschwebefliege] Mimikry – vollendete Verkleidung Deine Wortschöpfung „Stachelfliege“ ist gar nicht so abwegig, handelt es sich bei diesen Tieren doch tatsächlich um Fliegen, um Schwebefliegen genauer gesagt, die demzufolge jedoch nicht stechen. Viele äussere Merkmale der Fliegen gelten nun auch für die Schwebefliegen: Nur zwei Flügel, die in Ruhestellung meist nicht (!) zusammengefaltet sind, grosse Facettenaugen, die manchmal scheinbar zu einem einzigen „Augenbalken“ verschmelzen und Mundwerkzeuge, die zu rüsselartigen Leckerwerkzeugen umgebildet sind. Das Einzigartige der Schwebefliegen, der farbenprächtigsten Fliegen überhaupt, ist ihr Aussehen: Sie imitieren erfolgreich Wespen, Bienen und Hummeln um sich so vor ihren Frassfeinden – vor allem Vögeln - erfolgreich zu schützen. Mimikry nennt der Fachjargon diese fabelhafte Imitation. Einmalig ist auch ihre charakteristische Flugfähigkeit: Mittels einer hohen Flügelschlagfrequenz (bis zu 300 Schwingungen pro Sekunde) können Sie längere Zeit an Ort und Stelle schweben, deshalb auch der deutsche Name „Schwebefliege“. Aus dem Leben einer Stachelfliege Schwebefliegen sehen nicht nur wie Bienen, Wespen und Hummeln aus, nein, sie besuchen wie diese nektarreiche Blüten, um ihren Hunger mit dem süssen Blütensaft und Pollen zu stillen. Ja, jetzt bist du sicher stutzig geworden: Auch erwachsenen Wespen lieben Nektar und Pollen, für die Larven jedoch benötigen sie Fleisch in Form von Insekten und Aas. Schwebefliegen finden sich schon zeitig im Frühjahr ein, beim Aufblühen der ersten Schneeglöckchen und sie verschwinden erst im Spätherbst, wenn starke Nachtfröste die letzten Blüten erfrieren lassen. Schwebefliegen können verschiedene Farben sehen und bevorzugen gelbe Blüten. Aus diesem Grund sind die Schwebefliegen nebst den Bienen für die Blütenbestäubung äusserst wichtig. Vor allem in Höhen ab 1500 Metern kommen Bienen seltener vor. Hier spielt die Anwesenheit von Schwebefliegen für die Bestäubung eine wesentliche Rolle. Interessant ist das Paarungsverhalten der Tiere. Man nimmt an, dass die Männchen die Weibchen optisch erkennen, die Männchen haben denn auch durchwegs grössere Augen als die Weibchen. Es gibt Schwebefliegenweibchen, die im Flug begattet werden – in Sekundenschnelle, wohlverstanden! Andere wiederum werden auf Sitzplätzen begattet, von ihren Männchen umklammert, die dazu spezielle Greifarme haben. Und nicht zuletzt kommt jene Paarungsform vor, wo Schwebefliegenpaare wie siamesische Zwillinge - die Körper aber voneinander abgewandt - an den Hinterteilen „verbunden“ sind (vgl. Fotos). [Fotos: oben: Das Männchen der Feldschwebebiene mit deutlich grösseren Augen umklammert das Weibchen; unten: Stiftschwebefliegen bei der Paarung] Von Räubern, Aufklärern und Vegetariern Richtig spannend ist das Larvenleben der verschiedenen Schwebefliegenarten. Da gibt es die echten Räuber: Die Eier dieser Schwebefliegenarten werden an Blattlauskolonien gelegt. Die Larve, die bald darauf ausschlüpft, verschlingt dann bis zu 100 Blattläuse pro Tag! Selbst die Eier von Blattläusen werden gefressen. Von den bei uns ca. 300 bis 500 vorkommenden Schwebefliegenarten sind rund 100 Arten Blattlausjäger und daher ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor! [Foto: Larve in Blattlauskolonie: Übrig bleiben die leeren Häute] Zu den Räubern gehören auch jene Larven, die in Nestern von Hummeln, Hornissen und Wespen leben und sich hier teilweise von pflanzlichem Abfall und toten oder sterbenden Tieren ihrer „Gastgeber“ ernähren. Andere Larven leben in Wasser, Pfützen, Jauche, Schlamm, feuchter Erde, vermoderndem Holz, sogar in Kläranlagen und Tierkot und vertilgen dort organisches Material. Sie erfüllen damit eine wichtige Aufgabe im Nahrungskreislauf. Sie entsorgen den „Abfall“ und helfen dadurch auch Wasser und Pfützen etc. zu reinigen, zu „klären“. Eine bestimmte Larvenart besitzt für solch feuchten Lebensraum ein teleskopartiges Atmungsrohr, was ihr den Namen „Rattenschwanzlarve“ eingetragen hat. Und als dritte Gruppe gibt es Larven, die rein vegetarisch von Pflanzen, Pilzen und Bäumen leben und eigentliche „Minierer“ oder „Pflanzensaftschlürfer“ sind. Allen gemeinsam ist, dass sie eine wichtige Stelle im Nahrungskreislauf der Natur einnehmen. Das Larvenstadium dauert nur 8 bis 14 Tage, anschliessend verpuppen sich die Tiere. Langstreckenflieger Jetzt ist es Ende November und du fragst dich, wo und wie denn all die Stachelfliegen überwintern. Dazu muss ich dir leider mitteilen, dass die Forschung dazu noch in den Kinderschuhen steckt. Die Tiere überwintern, so nimmt man an, als Ei, Larve oder im Puppenstadium. Gewisse Forscher berichten auch, dass einzelne Arten sogar als erwachsene Tiere die kalte Jahreszeit überstehen – jene Arten, die im zeitigen Frühjahr gleich nach dem Frost anzutreffen sind. In den letzten Jahrzehnten wurde zudem entdeckt, dass einige Schwebefliegearten (etwa 25 mitteleuropäische Arten) zu den Wanderinsekten gehören. Gleich Zugvögeln verlassen sie im Herbst unsere Breitengrade und fliegen über die Alpen in wärmere Gegenden. Nachfolgende Generationen kehren im Frühjahr in den Norden zurück, da dann in Mitteleuropa wieder bessere Entwicklungs- und Ernährungsbedingungen für Schwebefliegen herrschen. Liebe Liese: Wieder einmal muss ich mich für deinen „Anstoss“ bei dir bedanken. Wie vielfältig und unbekannt war mir doch die Lebensweise dieser Gruppe von Insekten. Wie anders werde ich jetzt die ersten Frühlingsblüten erwarten, um zu schauen, ob ich tatsächlich „frühe“ Schwebefliegen entdecken kann. Wie anders werde ich Blattlauskolonien betrachten, auf Schwebefliegenlarven hin absuchen, die vor allem in der Dämmerung jagen. Und ich freue mich, vielleicht einzelnen Arten wie Hummelfliege, Hornissenschwebefliege, Grossstirnschwebefliege, Scheinbienen-Keilfleckschwebefliege, Fichtenharzfliege und Zwiebelmondfliege – um einige wenige zu nennen – unterscheiden zu können. Habe ich es nicht schon einmal erwähnt? Wer sich wundert, dem öffnen sich die Wunder! [Foto: Gelbhaarige Wiesenschwebefliege] In diesem Sinn wünsche ich dir eine kurze, lichte Winterzeit mit viel Vorfreude auf den kommenden Frühling! Verena Quellen: „Tiere auf Wohnungssuche“, Deutscher Landwirtschaftsverlag, Berlin, Wikipedia, Website von Wolfgang Rustkies www.syrphidae.de, von welchem auch die Fotos stammen!