Hat der Patient eine Streptokokken-Tonsillitis ? Prof. N. Rodondi, Leiter Poliklinik & Chefarzt Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Inselspital, Bern 2. Seekongress, Luzern, 11. September 2014 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Fallvignette Ein 30-jähriger Mann stellt sich mit schweren Halsschmerzen und Husten vor. Vorgeschichte: gesund Systemastiche Anamnese: unauffällig Untersuchung: T˚ 39˚ C, Hals: Tonsillitis mit Exsudat und schmerzhaften Lymphknoten, Lungen: unauffällig Was machen Sie in Ihrer Praxis ? Prof. N. Rodondi 2 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Akute Pharyngitis - Mandelentzündung - Angina Prof. N. Rodondi 3 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Fallvignette: MC Mögliche Tests/Therapien: a. Kultur des Rachenabstrichs (Tonsillen) b. Antibiotika c. Centor Score d. Schnelltest: wenn negativ, ist eine bakterielle Infektion ausgeschlossen Prof. N. Rodondi 4 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Epidemiologie der Pharyngitis • In den meisten Fällen durch Viren • Häufiger Grund für einen Arztbesuch • Bakterielle Infektion: ca.10% (~25% Kinder) – Einzige Indikation zur Antibiotikatherapie – Bakterien: vor allem von Gruppe A β-hämolysierende Streptokokken (GABHS) – Ende Winter - Frühling – Inkubation: 1 – 3 Tage Prof. N. Rodondi 5 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Antibiotika für bakterielle Angina • Symptomdauer um 1 - 2 Tage verkürzt wenn Antibiotika 2-3 Tage nach Beginn verabreicht werden • Verringert die Ansteckung • Verringert die seltenen Komplikationen (Peritonsillarabszess) oder die sehr seltenen Komplikationen (Rheumatisches Fieber mit kardialer Beteiligung, Glomerulonephritis) Prof. N. Rodondi 6 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Peritonsillarabszess Prof. N. Rodondi 7 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Krankheitsbild: Streptokokken-Tonsillitis Symptome : • Halsschmerzen, Odynophagie • Fieber • Manchmal Schwächeanfall, Kopfschmerzen, abdominelle Symptome (Appetitlosigkeit, Übelkeit, Bauchschmerzen). • Cave: Erkältung, Husten, Durchfall = Argumente gegen Streptokokken-Tonsillitis (virale Infektion). Prof. N. Rodondi 8 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Krankheitsbild : Streptokokken-Tonsillitis Klinische Untersuchung: • Hals: Erythem, Ödem, Exsudat. • Schmerzhafte Halslymphknoten • Cave: im Fall von Konjunktivitis, ulzerierende Läsionen von Mundhöhle: häufiger bei viralen Infektionen. Prof. N. Rodondi 9 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin „Rote“ Angina Tonsillen Prof. N. Rodondi 10 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin „Weisse“ Angina: mit Eiter Prof. N. Rodondi 11 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Angina durch Herpesvirus Schleimhaut ulzera Prof. N. Rodondi 12 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Krankheitsbild: Streptokokken-Tonsillitis Stellenwert der Anamnese / klinischen Untersuchung • Der Schweregrad des Krankheitsbildes ist unterschiedlich je nach Patient • Schwache Aussagekraft der einzelnen Symptome und klinischen Zeichen: – Sensitivität (60% – 80%), Spezifität (40% -80%) und unzureichende „likelihood ratios“, um eine bakterielle Infektion zu bestätigen oder auszuschliessen Prof. N. Rodondi 13 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Krankheitsbild: Streptokokken-Tonsillitis Klinischer Score (Centor Score): 4 Kriterien: • • • • Temp. > 38° Kein Husten Schmerzhafte, geschwollene Lymphknoten am Hals Entzündete Tonsillen mit Eiter 1 Kriterium = 1 Punkt Minimum: 0 Punkt Maximum: 4 Punkte Prof. N. Rodondi 14 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Wahrscheinlichkeit einer Streptokokken-Tonsillitis Prävalenz 10% bei Erwachsenen Punkte Wahrscheinlichkeit „ Likelihood Ratio“ % Patienten mit Streptokokken 0 Niedrig 0.16 2% 1 Niedrig 0.3 3% 2 Intermediär 0.75 10% 3 Intermediär 2.1 20% 4 Hoch 6.3 40% • 0 bis 1 Punkt: niedrige Wahrscheinlichkeit, keinen Schnelltest • 4 Punkte: Zu niedrige Infektionswahrscheinlichkeit, um eine Streptokokken-Tonsillitis zu diagnostizieren • Schnelltest nötig, wenn ≥ 2- 3 Punkte1 Reevaluierung nach 2-3 Tagen, wenn keine Symptombesserung 1 NICE, Uptodate, mehrere Richtlinien Prof. N. Rodondi 15 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Zusätzliche Untersuchungen Schnelltest: • Nachteile der Kultur: langsam, Kosten • Schnelltest: „rapid antigen detection tests“ • Weist nur Streptokokken Antigen nach Alternative • Kultur Prof. N. Rodondi 16 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Schnelltest • Abstrichstäbchen an beiden Rachenmandeln + Rachenhinterwand reiben - Schnelltest mit dem Score kombiniert: Punkte negativer Vorhersagewert (VP-) Positiver Vorhersagewert (VP+) 2 99% 91% 3 98% 95% 4 97% 99% Zuverlässiger Schnelltest: Konfirmationstest unnötig Wahrscheinlichkeitsquotient (LR+) wenn positiver Test: 95 Wahrscheinlichkeitsquotient (LR-) wenn negativerTest: 0,05 Prof. N. Rodondi 17 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Vorsicht ! • Falls hoher Wert des Scores und negativer Schnelltest: – SGA Angina unwahrscheinlich • Vorsicht falls andere Risiken: – Immunosuppression: Kultur • Falls noch klinische Symptome nach 48 Stunden unter AB: an andere Bakterien denken: – Lemierre-Syndrom (Fusobacterium) • Thrombose der inneren Jugularisvenen – Plaut-Vincent Angina (Anaerobes + Spirochäten ) – Kultur und Breitspektrum AB Prof. N. Rodondi 18 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Grundbehandlung (1) • Kalte Getränke • Lokale Vasokonstriktion, um Nasensekretion zu vermindern • NSAR je nach Symptome • Lokales Anästhetikum: – z.B. Lutschtabletten von Lysopain 3-4 x/Tag Prof. N. Rodondi 19 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Behandlung (2) • Antibiotika wenn Schnelltest + (StreptokokkenAngina): – Erste Wahl: Penizillin V, 3x 1 Mio/Tag für 10 Tage – Falls Penizillinallergie: Makrolide wie Clarithromycin 2 x 250 mg/Tag für 5 Tage. Prof. N. Rodondi 20 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Smarter Medicine der SGIM: Top 5-Liste der ambulante Therapien/Untersuchungen zu vermeiden 4. Verschreiben von Antibiotika gegen unkomplizierte Infekte der oberen Luftwege • 60% der Antibiotika werden zur Behandlung von Atemwegsinfekten verordnet1. • Die Mehrzahl dieser Infekte sind viral • Die Einnahme von Antibiotika verkürzt die Dauer nicht und erhöht die Gefahr von Resistenzen 2 Centre for Clinical Practice. Respiratory tract infections – antibiotic prescribing. London: National Institute for Health and Clinical Excellence; 2008. 2 Gonzales R, et al. Principles of appropriate antibiotic use for treatment of nonspecific upper respiratory tract infections in adults: background. Annals of Internal Medicine. 2001 1 Prof. N. Rodondi 21 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Fortschritte mit der Zeit? • Trotz der Bemühungen von Centers for Disease Control und Anderen: - ca. 10% von Halsentzündungen kommen von Gruppe-A-Streptokokken (GAS) aber 60% mit Antibiotika behandelt ! - Seit 1998: Nutzung von Azithromycin und Nutzung von Penicillin ! ML Barnett et al., JAMA Intern Med, October 2013 Prof. N. Rodondi 22 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Fallvignette: MC Ein 30-jähriger Mann stellt sich mit schweren Halsschmerzen und Husten vor. Untersuchung: T° 39°C, Hals: Tonsillitis mit Exsudat und schmerzhaften Lymphknoten, Lungen: unauffällig Mögliche Tests/Therapien: a. Kultur des Rachenabstrichs (Tonsillen) b. Antibiotika c. Centor Score d. Schnelltest : wenn negativ, ist eine bakterielle Infektion ausgeschlossen Prof. N. Rodondi 23 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Schlussfolgerungen • Schwache Aussagekraft der einzeln Symptome und klinischen Zeichen, um eine bakterielle Infektion zu bestätigen oder auszuschliessen • Schnelltest nötig, wenn Centor Score ≥ 2-3 Punkte (3 in den meisten Richtlinien) • Antibiotika zu reduzieren, um Resistenzen zu vermeiden • Falls noch klinischen Symptomen nach 48 Stunden unter AB: an anderen Bakterien denken Prof. N. Rodondi 24 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Danke für Ihre Aufmerksamkeit Mailadresse: [email protected] Prof. N. Rodondi 25 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Smarter Medicine der SGIM: Top 5-Liste, was zu vermeiden ist • Durchführen einer Bildgebung in den ersten sechs Wochen bei Patienten mit unspezifischen Lumbalgien. • Messung des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) zwecks Prostatakrebs-Screening ohne eine Diskussion von Risiko und Nutzen. • Verschreiben von Antibiotika gegen unkomplizierte Infekte der oberen Luftwege. • Durchführen eines präoperativen Thorax-Röntgenbildes, ausser bei Verdacht auf eine intrathorakale Pathologie. • Weiterführen einer Langzeit-Therapie bei gastrointestinalen Symptomen mit Protonen-Pumpenblockern (PPI) ohne Reduktion auf die tiefste wirksame Dosis. Prof. N. Rodondi 26 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Akute Pharyngitis - Mandelentzündung - Angina Prof. N. Rodondi 27 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Marquer votre probabilité pré-test sur l’échelle de gauche ; marquer le rapport de vraisemblance sur celle du milieu. Relier ces 2 points par une droite : L’intercepte avec l’échelle de droite vous donne la probabilité post-test. 28.10.14 Prof. N. Rodondi 29 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Résumé: score clinique Critères cliniques Température 38° Pas de toux Adénopathies cervicales antérieures douloureuses Exsudat amygdalien +1 +1 +1 Sensibilité (%) 71 66 63 Spécificité (%) 61 72 84 VPP§ (%) 17 21 30 VPN§§ (%) 5 5 5 +1 89 39 14 3 Points • Test rapide si score > 2 • Antibiothérapie si test rapide positif • Toujours dire « Vous nous contacter si évolution non favorable » 28.10.14 Prof. N. Rodondi 31 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Exactitude, validité d’une démarche clinique Maladie + Maladie - Examen + Vrai + A Faux + B Val pred. + A / (A+B) Examen - Faux – C Vrai – D Val pred. D / (C+D) Sens: A / (A+C) Spec: D / (B+D) 28.10.14 Prof. N. Rodondi 33 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin En pratique clinique… Valeur prédictive positive Probabilité d’avoir la maladie alors que le test est positif (pathologique, anormal) Valeur prédictive négative Probabilité de ne pas avoir la maladie alors que le test est négatif (normal, dans les normes) Les valeurs prédictives dépendent de la prévalence de la maladie dans la population dont est issu le patient Prof. N. Rodondi 34 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Importance de la prévalence dans l’interprétation clinique d’un test 28.10.14 Prof. N. Rodondi 35 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Paramètre cliniquement utile (intuitivement souvent utilisé) Rapport de vraisemblance d’un test (likelihood ratio) probabilité du test + chez les malades RV d’un test + = probabilité du test + chez les non-malades = taux de vrais + / taux de faux + sensibilité / 1 - spécificité RV = 1 : pas d’ information donnée par ce test RV > 1 : test + plus fréquent chez ceux qui ont la maladie Rendement du test, dont le résultat augmente, ou diminue, la probabilité d’avoir le diagnostic final RV surtout utile si > 7, voire > 10 28.10.14 Prof. N. Rodondi 36 Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin Perspective clinique: exclure une maladie Rapport de vraisemblance d’un test « négatif », « normal » (test dichotomique) probabilité du test - chez les malades RV d’un test - = probabilité du test - chez les non-malades = taux de faux - / taux de vrai 1 – sensibilité / spécificité RV = 1 pas d’ information par la réalisation de ce test RV < 1 le test - plus fréquent chez ceux qui n’ont pas la maladie 28.10.14 Prof. N. Rodondi Utile si le RV- est < 0,3 voire 0,1 37