Wie viel Jungvieh soll ich aufziehen?

Werbung
top Spezial
Wie viel Jungvieh soll
ich aufziehen?
Gerade so viel Jungvieh aufziehen, dass die eigene Reproduktion gesichert
ist? Oder alle Kälber behalten und als tragende Färsen oder Jungkühe verkaufen? Andreas Gottensträter, Koesling Anderson GmbH, Dahlenwarsleben,
hat gerechnet.
V
iele Milchviehbetriebe stellen
sich regelmäßig die Frage, wie viele Jungtiere sie selbst aufziehen und wie viele
Kälber sie verkaufen sollen. In der Praxis
sind folgende Strategien verbreitet:
■ Das Fahren eines sehr schlanken Jungviehbestandes. Angepasst an den niedrigen Remontierungsbedarf zieht der Betrieb nur die Anzahl Tiere auf, die er aufgrund von Zwangsabgängen in der Milchviehherde ersetzen muss.
■ Es werden alle weiblichen Kälber aufgezogen, um später die überzähligen Färsen als tragende oder abgekalbte Tiere zu
selektieren. Das kann den Zuchtfortschritt verstärken.
■ Das gesamte weibliche Jungvieh (bis
auf besonders unterentwickelte Kälber)
wird aus zwei Gründen behalten: Die
Zwangsabgangsrate bei den Milchkühen
ist so hoch, dass der Betrieb zur Erfüllung
der Milchquote keinen Überschuss an
aufgezogenen und verkaufsfähigen Färsen hat. Oder der Betrieb vermarktet
grundsätzlich keine Färsen oder Jungkühe, sondern nutzt die Leistungsselektion
bei älteren Kühen als Ventil für nachrückende Färsen.
Welche Strategie aus wirtschaftlicher
Sicht am interessantesten ist, hängt von
verschiedenen Einflussfaktoren ab:
■ Von der Höhe der Aufzuchtkosten.
Bei einer Ausdehnung des Jungviehbestandes steigen diese meist nur im Bereich
der variablen Kosten an (vor allem
Grundfutter, Kraftfutter, Besamung,
etc.). Die Personalkosten müssen nicht
automatisch ansteigen, weil die Arbeit bei
mehr Jungvieh oft besser ausgelastet wird.
■ Die Erlöse für die überschüssigen Tiere sind je nach Alter, Leistung und Verlustrisiko sehr unterschiedlich. So können
zwischen einem 14 Tage altem Kalb und
einer tragenden Färse durchaus 900 E
6 top Spezial 4/2002
Je später die Tiere für die eigene Remontierung ausgesucht werden, um so größer ist die
Sicherheit, wirklich die leistungsstärksten Tiere zu selektieren.
Foto: Heil, Veauthier
Unterschied liegen. Hingegen sinken die
Erlöse, wenn alle weiblichen Kälber aufgezogen, in den Milchviehbestand eingestellt und später für 350 E als Schlachtkuh
verkauft werden.
■ Der für die eigene Herde genutzte genetische Fortschritt hängt vom Zeitpunkt
der Selektion ab. Wer die besten Kälber
oder Färsen zum Behalten aussuchen will,
kann auch gründlich danebenliegen.
Deutlich mehr Sicherheit gibt eine Selektion anhand der ersten Milchkontrollen
nach dem Abkalben. Diese erlauben eine
sehr gute Voraussage über das Leistungsvermögen des Tieres in den nächsten Laktationen. Der Effekt des Selektionszeitpunktes auf den Leistungsfortschritt in
der Herde ist daher erheblich.
Aus dem Verkauf der
überzähligen weiblichen Kälber erlöst Meier in Variante 1
rund 150 E pro Kalb. Diese
Betrieb
Meier
Schulze
Bolte
Müller
relativ hohen Erlöse kann er
Verfahren
Verkauf
Verkauf Verkauf kein Jungvor allem für männliche Kälweibl. Kälber Jungrinder Jungkühe vieh-Verkauf
ber erzielen, wenn er die leistungsschwächeren Kühe von
Kühe
100
100
100
100
vornherein mit Mastrassen
Jungvieh
anpaart.
geb. weibl. Kälber pro Jahr
55
55
61
55
Wenn wie bei Schulzes im
davon Verlust bei Kälbern und Jungrindern
7
7
7
7
Fall 2 Jungrinder verkauft
davon Selektion bei Kälbern und Jungrindern
18
3
3
4
werden, betragen die Erlöse
verfügbare tragende Färsen
30
46
52
45
mit 1 000 E/Stück über 800 E
angestrebte Remontierungsrate, %
30
30
30
42
mehr pro überzähligem Tier
überzählige tragende Färsen und Jungkühe
0
16
22
3
als beim Kälberverkauf. Von
Verbleib der überzähligen Färsen
diesem Zeitpunkt an sinken
Verkauf tragender Färsen
–
12
–
–
die erzielbaren Erlöse, weil
Verkauf Jungkuh
–
–
14
–
nur die leistungsschwächsten
Schlachtung wg. Minderleistung nach Abkalben
–
4
8
3
30 % Jungkühe verkauft
Zuchtfortschritt auf Milchleistung
werden. Diese lassen sich in
Ø Einsatzleistung der aufgezogenen Tiere (kg)
29,8
28,7
28,7
28,9
Boltes Variante 3 größtenØ Einsatzleistung der behaltenen Tiere (kg)
29,8
30,0
31,6
29,5
teils als Nutzkühe für rund
1 000 E/Stück, teilweise aber
auch aufgrund der untertragende Färsen verkauft wird (Fall 2).
durchschnittlichen Leistung nur als
Einzelbetriebliche Situation
■ Landwirt Bolte lässt alle aufgezogenen
Schlachtkühe für 400 E/Stück vermarkten.
bestimmt Verkaufszeitpunkt
46 Tiere im Betrieb abkalben. Anhand der
Müller in Variante 4 verkauft nur AltküWer aufgrund seiner nicht zu hohen
Einsatzleistung wird eine intensive Leishe für ca. 350 E/Stück.
Zwangsabgangsrate über Handlungsspieltungsselektion durchgeführt, um einen
Die vier Beispielsbetriebe fragen sich
raum beim Verfahren mit dem überschüsgrößeren genetischen Leistungsfortschritt
nun, wie sich ihre Selektion auf den Melksigen Jungvieh verfügt, sollte sich also mit
zu realisieren. Die überzähligen Tiere
durchschnitt der im Betrieb verbleibenfolgenden Fragestellungen befassen:
werden als Jung- bzw. Schlachtkühe verden Färsen durchschlägt. Wie Übersicht 1
1. Wie viele Stallplätze, wie viel Grundkauft (Fall 3).
zeigt, kann man davon ausgehen, dass die
■ Landwirt Müller verkauft gar kein
futter etc. sind vorhanden?
weiblichen Tiere eines Jahrgangs eine
Nutzvieh. Alle Jungkühe werden in die
2. Wie hoch sind meine variablen KosEinsatzleistung von durchschnittlich
Milchviehherde aufgenommen. Dort wird
ten der Jungviehaufzucht?
28,7 kg haben. Werden dann wie bei
intensiver auf Leistung selektiert, indem
3. Welche Erlöse für Jungvieh, JungMeier rund ein Drittel der Kälber anhand
42 Kühe pro Jahr als Schlachtvieh abgekühe bzw. Schlachtvieh kann ich erzielen?
der Mutterleistung selektiert, so ist ein zuhen, was einer Remontierungsrate von
4. Welchen Effekt hat der Selektionssätzlicher Effekt von ca. + 1 kg Melk42 % entspricht (Fall 4).
zeitpunkt auf die Steigerung der Milchdurchschnitt für diese Tiere zu erwarten.
Wie sich die verschiedenen Strategien
leistung?
Durch die Selektion auf der gesamten
auf die Anzahl der jeweils vorhandenen
5. Die Färsenaufzucht bindet Kapital.
Jungviehstrecke erzielt Landwirt Schulze
Tiere sowie auf das für den ZuchtfortReicht die Liquidität?
gegenüber Meier nur geringe weitere
schritt in der Herde zur Verfügung ste6. Wie wird sich der zur Erfüllung der
Leistungsvorteile. Lediglich durch das
hende genetische Potenzial auswirkt, zeigt
Quote notwendige Kuhbestand entwiAussondern von besonders schlecht entÜbersicht 1.
ckeln? (Unsicherheitsfaktor!)
wickelten Tieren kann er eventuell einige
Landwirt Meier (Fall 1) fährt mit dem
7. Wie viel werden Färsen und Jungkü„Nieten“ eher erkennen.
Verkauf weiblicher Kälber und der Aufhe in zwei Jahren kosten? (Unsicherheitszucht von nur 30 Jungtieren die schlanksfaktor!)
Selektion von Jungkühen
te Variante. Die anderen Betriebe ziehen
Die Punkte 2 bis 5 lassen sich leicht behat größten Leistungseffekt
deutlich mehr Färsen auf. Da diese bei
rechnen. Anhand einer Kalkulation für eiWer wie Bolte abgekalbte Jungkühe
Bolte auch abkalben, hat er entsprechend
nen Beispielbetrieb mit 100 Kühen und eiselektiert, kann je nach Umfang nochmals
mehr Kälbergeburten im Bestand. Bei
gener Nachzucht wollen wir darstellen,
1 bis 2,5 kg Melkdurchschnitt zusätzlich
Müller (Fall 4) hat die hohe Remontiewie sich die Selektion des überschüssigen
erwarten. Die durchschnittliche Einsatzrungsrate Auswirkungen auf die BeJungviehs zu unterschiedlichen Zeitpunkleistung der im Betrieb verbleibenden
standsstruktur bei den Kühen, indem der
ten auswirkt. Wir vergleichen vier VerTiere erhöht sich gegenüber Meier und
Anteil jüngerer Tiere überdurchschnittfahren:
■ Landwirt Meier verkauft von den jährSchulze um 1,8 kg bzw. 1,6 kg! Allerdings
lich hoch ist. Viele Tiere erreichen gar
lich 55 geborenen weiblichen Kälbern
sind nicht alle selektierten Jungkühe zur
nicht erst die dritte Laktation und damit
15 Kälber früh. Zudem sind grundsätzlich
Weiternutzung zu verkaufen. Bolte geht
das Maximum ihrer Leistungsfähigkeit.
einige Tierverluste einzukalkulieren. Anwie in Übersicht 2 davon aus, dass 14 Kügepasst an Meiers Remontierungsrate von
he mit einer Einsatzleistung zwischen 24
Die höchsten Erlöse bringt
30 % zieht er 30 Färsen auf (Fall 1).
bis 27 kg für 900 E verkauft und weitere
der Verkauf von Färsen
■ Landwirt Schulze zieht insgesamt
acht Tiere nach dem Abmelken nur geÜbersicht 2 zeigt, mit welchen Erlösen
46 Färsen auf. Bei einer Remontierungsschlachtet werden können.
die Betriebe nach der Selektion zu verrate von 30 % ergibt sich ein Überschuss
Findet wie bei Müller keine Selektion
schiedenen Zeitpunkten rechnen können:
von 16 Tieren, der zum größten Teil als
von Jungkühen statt, so verpufft der Ef-
Übersicht 1: Jungviehbestand in vier Beispielbetrieben
mit unterschiedlichen Aufzuchtstrategien
top Spezial 4/2002
7
top Spezial
fekt der leistungsstärkeren Tiere auf den
Melkdurchschnitt, da auch die schwächeren Tiere durchgezogen werden. Der erzielbare genetische Fortschritt resultiert
fast ausschließlich aus dem Einsatz immer
besserer Bullengenerationen. Dieser Effekt ist für alle Verfahren gleich hoch einzuschätzen. Müllers Strategie ist somit in
zweierlei Hinsicht unvorteilhaft: Es werden nur geringe Tiererlöse erzielt und eine selektionsbedingte Steigerung der
Milchleistung bleibt weitgehend aus.
Übersicht 2 vergleicht die Erlöse und
Kosten der verschiedenen Varianten. Insgesamt entstehen bei Meiers schlanker
Aufzuchtstrategie, der gleichzeitigen
Fleischrindanpaarung und dem frühen
Kälberverkauf die niedrigsten Tiererlöse.
Der Leistungsvorteil der aufgezogenen
Tiere ist nicht so hoch einzuschätzen wie
bei einer Jungkuhselektion.
Wie ist der Leistungsvorteil zu bewerten?
Für Betriebe, die ihre Aufzuchtkosten im Griff haben und ordentliche Tiere anbieten
können, kann sich der Jungviehverkauf zum zusätzlichen Betriebszweig entwickeln.
Um die Leistungsvorteile durch Zuchtfortschritt und Selektion für die nächsten
Laktationen zu kalkulieren, bildet man
drei Leistungskategorien. In diese werden
die jeweils im Betrieb verbleibenden Färsen entsprechend der Einsatzleistung
( > 30 kg, 25 bis 30 kg und < 25 kg) eingeordnet. Es wird kalkuliert, dass eine um
1 000 kg höhere Jahresleistung rund
1 Cent je kg Milch geringere Produktionskosten verursacht. Danach bescheren die
aufgezogenen 30 Färsen dem Betrieb
Meier einen Kostenvorteil von insgesamt
rund 4 800 E. Das höhere Leistungsniveau
der behaltenen Tiere nach Boltes intensiverer Selektion durch Jungkuhverkauf ist
mit einer Kostenersparnis von etwa 6 900E
verbunden. Hier gibt es deutlich mehr
Tiere mit über 30 kg Einsatzleistung.
Aufzuchtkosten entscheiden
Für die Gesamtbewertung der Verfahren stehen die Aufzuchtkosten über allen
anderen Kriterien. Vor allem, wenn alle weiblichen
Übersicht 2: So rechnen sich verschiedene Strategien
Nachkommen bis zur Jungkuhprüfung behalten werder Jungviehaufzucht (h)
den, muss man die Kosten
Betrieb
Meier
Schulze
Bolte
Müller
für jedes zusätzlich aufgezoVerfahren
Verkauf
Verkauf Verkauf kein Junggene Tier kennen. Neben
weibl. Kälber Jungrinder Jungkühe vieh-Verkauf
den Futter- und Besamungskosten können z. B. PersoErlöse
nalkosten ansteigen. Ebenso
Selektion der Kälber
2 310
55
55
55
müssen vor allem auf AckerSelektion der Jungrinder
633
380
380
759
baustandorten die wahren
Verkauf tragender Färsen
–
12 200
–
–
Grundfutterkosten
(inkl.
Verkauf von Jungkühen
–
–
12 641
–
Nutzungskosten für AckerSchlachtkühe mit Minderleistung
–
1 520
2 954
1 159
flächen) mit einfließen.
Verkauf zusätzlicher Kreuzungskälber
1 361
1 530
2 332
1 430
In unseren 100-Kuh-BeDB Milch der zu verkaufenden Jungrinder
–
–
822
–
Schlachtkühe aus Remontierung
11 400
11 400
11 400
15 770
trieben wird jede aufgezogeSumme Erlöse
15 704
27 085
30 584
19 173
ne tragende Färse mit 720 E
variablen Aufzuchtkosten
Vorteile durch höhere Milchleistung
belastet. Weiterhin sind
Kostenvorteile je nach genetisch bedingtem
Haltungskosten
zwischen
Leistungsbereich
dem siebten Trächtigkeits> 30 kg
4 749
5 037
6 508
5 875
monat bis zum Abkalben
25 bis 30 kg
532
539
408
-962
von 40 E veranschlagt. Das
< 25 kg
-484
-274
–
-439
gebundene Kapital wird mit
Summe Leistungsvorteile
4 798
5 302
6 916
4 474
einem Zinsansatz von 6 %
Kosten
verzinst.
var. Aufzuchtkosten Geburt bis
-21 780
-33 264
-37 309
-32 076
Rechnet man alle Erlöse
7. Trächtigkeitsmonat
und Kosten für die verschieHaltung 7. Trächtigkeitsmonat bis Abkalben
-1 210
-1 360
-2 073
-1 782
denen Strategien zusammen,
Kapitalverzinsung
-1 180
-1 802
-2 021
-1 737
zeigt sich folgendes ErgebSumme Kosten
-24 170
-36 426
-41 403
-35 595
nis: Betrieb Müller fährt
Ergebnis Gesamtbetrieb
-3 668
-4 039
-3 904
-11 948
durch die erhöhte RemonErgebnis je Kuh
-36
-40
-39
-119
tierungsrate sowie die geDiff. je Kuh gegenüber „kein Jungviehverkauf“
83
79
80
0
ringste Leistungsselektion
8 top Spezial 4/2002
mit etwa 120 E pro Kuh die teuerste Aufzuchtstrategie. Die anderen Varianten
sind um die 80 E/Kuh günstiger und unterscheiden sich untereinander nur geringfügig.
Meiers schlanke Aufzuchtstrategie ist,
verbunden mit der in der Praxis wenig
vorzufindenden Fleischrinderanpaarung,
aufgrund der hohen Kostenersparnis und
unter den Annahmen unserer Beispielrechnung am günstigsten. Ihm ist wichtig,
dass er frühzeitig sichere Erlöse für die
Verkaufstiere erzielen kann. Die nicht
vorhersehbare Vermarktung von Färsen
nach einer zweijährigen Aufzuchtperiode
ist Meier zu unsicher.
Wer erfolgreich Färsen bzw. Jungkühe
verkaufen will, muss sich aktiv um die
Vermarktung kümmern. Davor haben
Schulze und Bolte keine Angst. Da sie ihre Aufzuchtkosten im Griff und eine ordentliche Färsenqualität vorzuweisen haben, wollen sie ihr Potenzial nutzen und
tragendes oder abgekalbtes Jungvieh verkaufen.
Die eigene Jungkuhprüfung mit dem
Verkauf von überschüssigen abgekalbten
Tieren zieht Bolte gegenüber dem Verkauf tragender Färsen vor, weil er nicht
auf den zusätzlichen Leistungsschub verzichten möchte. Der in Übersicht 2 ausgewiesene Unterschied von 1 E unterschätzt
eher den tatsächlichen Vorteil.
Wer mit einem ausgefeilten Aufzuchtmanagement zusätzliche Färsen günstiger
und insgesamt erfolgreicher als in Übersicht 2 kalkuliert aufziehen kann, fährt mit
der eigenen Jungkuhprüfung sicher auch
besser als mit der ganz schlanken Aufzucht. Dann kann sich die Vermarktung
von Jungkühen durchaus zu einem zusätzlichen Betriebszweig entwickeln. Die
Verkaufsaussichten des Betriebes für
Jungkühe verbessern sich weiterhin, weil
durch die intensive Leistungsselektion
die Milchleistung in der Herde schneller
steigt.
Wir halten fest
Genau abwägen zwischen einem
schlanken oder ausgedehnten Aufzuchtverfahren kann nur, wer seine Aufzuchtkosten tatsächlich ermittelt. Vielfach fehlt
den Betrieben hier ein Überblick. Scharfe Rechner würden sonst eventuell zu dem
Schluss gelangen, dass eine weitere Variante die geringsten Kosten verursachen
kann: Die Auslagerung der gesamten
Jungviehaufzucht.
Nach vorn blickende Betriebe sollten
jedoch die Möglichkeiten, die ein konsequentes Jungkuhprogramm mit seiner
Leistungssteigerung und den Zusatzerlösen bietet, nutzen. Der hohe Remontierungsbedarf vieler anderer Betriebe wird
den regen Markt für Jungkühe nicht so
schnell zusammenbrechen lassen.
Wann besteht Zwang zur
IHK-Mitgliedschaft?
Wer muss Mitglied
werden? Lohnt es, sich
zu wehren? Edgar
Grund, Magdeburg,
berichtet.
O
bwohl es in der Landwirtschaft
der neuen Bundesländer keine Kammern gibt, holt das Problem der Pflichtmitgliedschaft viele Betriebe ein. Betroffen sind GmbHs, GmbH & Co. KGs
sowie Aktiengesellschaften. Weil diese
Betriebe kraft Rechtsform als Gewerbebetriebe gelten und zur Gewerbesteuer
veranlagt werden, sind sie beitragspflichtige Mitglieder der Industrie- und
Handelskammern (IHK). Dabei ist es
ohne Belang, dass ihr Unternehmensgegenstand landwirtschaftlicher und damit
nicht gewerblicher Art ist.
Eine Sonderstellung in Bezug auf
die zwangsweise Mitgliedschaft nehmen
Agrargenossenschaften ein. Sie sind im
Rahmen ihrer rein landwirtschaftlichen
Tätigkeit von Gesetzes wegen befreit.
Werden sie darüber hinaus gewerblich
tätig, besteht für den Gewerbeanteil die
Mitgliedschaft. Das liegt an ihrer Bestimmung als Selbsthilfeorganisationen,
bei denen Gewinnerwirtschaftung und
Kapitalrendite nicht vordergründig sind.
In der zentralen Frage des Eigentums
am Gesellschaftsvermögen und dessen
Verfügbarkeit für die Gesellschafter
unterscheiden sie sich grundsätzlich von
Kapitalgesellschaften.
Die betroffenen landwirtschaftlichen
Betriebe lehnen die Zwangsmitgliedschaft weitgehend ab, da die Beiträge
zum erheblichen Kostenfaktor werden
können. Ihre Höhe setzt jede IHK individuell fest. Üblicherweise wird der Beitrag in einen Grund- und Umlagebeitrag
untergliedert. Der Grundbeitrag beträgt
z. B. bei Umsätzen zwischen 125 000 und
2,5 Mio. E jährlich ca. 230 E und bei höheren Umsätzen jährlich 500 E. Der Umlagebeitrag kann beispielsweise mit
0,6 % vom Gewerbeertrag veranschlagt
werden. Im Ergebnis können als Jahresbeitrag wenige 100 E bis zu mehr als
10 000 E fällig werden. Und weil es eine
gesetzliche Pflichtmitgliedschaft ist, darf
der Beitrag auch gepfändet werden. Viele IHKs haben sich allerdings mit solchen Betrieben, die ausschließlich landwirtschaftliche Urproduktion betreiben,
auf einen Kompromiss geeinigt: Die
Unternehmen zahlen nur den Grundbetrag, der Umlagebetrag wird ihnen erlassen.
Die IHKs sind gesetzlich verpflichtet,
öffentliche Aufgaben wie z. B. die Wirtschaftsförderung zu erfüllen. So werden
sie für die Landwirtschaft zukünftig wahrscheinlich Dienstleistungen wie die Beratung zum Arbeits- oder Umweltrecht
oder zu Steuerangelegenheiten anbieten.
Wenn sie gemäß ihres Auftrages zur Wirtschaftförderung auch agrarpolitisch ins
Rampenlicht treten, kann das leicht zum
Bärendienst für die Landwirtschaft werden: Denn selbst wenn verschiedene Interessenvertreter grundsätzlich übereinstimmen, sind voneinander abweichende
Meinungen zu Details unvermeidlich.
Das schwächt ein weiteres Mal den Gedanken eines geschlossenen und einig auftretenden Berufsstandes gegenüber politischen Entscheidungsträgern.
Gefundene Kompromisse
nicht gefährden
Trotz aller Einwände gibt es seit einer
Gesetzesnovelle aus dem Jahr 1998 für die
Landwirtschaft kein Entrinnen. Das hat
das Bundesverfassungsgericht in seinem
Nichtannahmebeschluss vom 7. Dezember 2001 bestätigt. Gestärkt durch diese
Rechtsprechung geben die IHKs ihre tolerante Haltung zunehmend auf und fordern Mitgliedschaft sowie Beiträge ein.
Eine Perspektive, sich dagegen zu wehren, könnte lediglich eine Entschließung
der gesetzgebenden Fraktionen von
CDU/CSU, SPD und FDP des Bundestages sein. Diese gehen davon aus, dass die
IHKs die landwirtschaftlichen GmbHs in
den neuen Bundesländern lediglich mit
ihrem auf die gewerbliche Tätigkeit entfallenden Gewerbeertrag zur Umlage heranziehen. Bei der Rechtsprechung haben
Gerichte neben den Gesetzen auch deren
Begründungen, wozu man eine Entschließung zählen kann, zu berücksichtigen.
Lohnt der Weg zum Gericht, um sich
Klarheit über den Wert der Entschließung
zu verschaffen? Hier ist abzuwägen.
Unternehmen, die voll veranlagt werden,
hätten im Fall einer Niederlage außer den
Prozesskosten nichts zu verlieren. Andere, die sich mit der IHK bisher auf einen
Kompromiss einigen konnten, hätten
allerdings deutliche Nachteile. Denn dann
würden auch die letzten IHKs streng nach
den Buchstaben des Gesetzes die Mitgliedschaft einfordern und Beiträge erheben.
top Spezial 4/2002
9
Herunterladen