Festspielpräsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler: Ein

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Festspielpräsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler: Ein Jubiläum für Salzburg
Festspielfreunde Informationen / Dezember 2015
In den nächsten Wochen werden Sie immer wieder hören und lesen, Salzburg
feiert 2016 seine 200-jährige Zugehörigkeit zu Österreich. Das kann nicht wahr
sein, denken nicht nur Ausländer beim Empfang dieser Nachricht. Denn die
wechselvolle Geschichte meiner Heimat ist auch unter den „Eingeborenen“
ziemlich unbekannt.
Salzburg war bis 1803 frei und unabhängig. Das heißt, als 1770 in Mailand
„Mitridate, re di Ponto“ zur Uraufführung kam, waren die Mailänder Österreicher,
weil Untertanen von Maria Theresia, aber Wolfgang Amadeus Mozart war „nur“
Salzburger. Dass der letzte regierende Erzbischof Colloredo (Sie wissen schon,
der, mit dessen Billigung Mozart einen Fußtritt bekam) 1800 vor den
heranrückenden Napoleonischen Truppen fliehen musste, hat Mozart nicht mehr
erlebt. 1803 erhielt Großherzog Ferdinand III. Salzburg als Ersatz für die
verlorene Toskana. Aber auch er musste vor den französischen Truppen fliehen,
verzichtete auf Salzburg und bekam dafür Würzburg. 1814 durfte er als
Großherzog wieder zurück in seine geliebte Toskana, wohin er leider wertvolle
Schätze des Erzstiftes Salzburg mitnahm die heute noch im Museo degli Argenti
im Palazzo Pitti zu bewundern sind.
Das schwergeprüfte Salzburg wurde 1809 wieder besetzt, diesmal von Franzosen
und Bayern. 1810 trat Napoleon Salzburg an den mit ihm verbündeten König
Max I. Joseph von Bayern ab. Erst am 1. Mai 1816 wurde an der Residenz das
bayerische Wappen abgenommen und der österreichische Doppeladler
aufgezogen. 1816 war aber auch das „Jahr ohne Sommer“ – die österreichische
Herrschaft begann aufgrund des verheerenden Ausbruchs des indonesischen
Vulkans Tambora mit Missernten, Dürre und damit Hunger und Not für die
Bevölkerung. Das kleine, einst mächtige, fürsterzbischöflich regierte Salzburg
sank zur totalen politischen und kulturellen Bedeutungslosigkeit ab und wurde
dem Land „Österreich ob der Enns“ untergeordnet. Erst 1861 erhielt es als
gleichberechtigtes Kronland einen Landtag. Mit dem Verlust der Residenzfunktion
wanderten die Hofbediensteten und Beamten ab, hinzu kamen Geldentwertung,
neue Grenzzölle und Missernten. Die Mozartstadt wandelte sich zum „Betteldorf
mit leeren Palästen“ und verlor ein Viertel ihrer Bewohner. Schier endlose
Bettlerkarawanen zogen von Haus zu Haus. „Auf den Straßen und Plätzen der
Stadt, deren es viele und schöne gibt, wächst Gras, so wenig werden sie
betreten“, schrieb Franz Schubert anlässlich seines Besuchs in Salzburg 1825.
Da erfand erstmals eine Gruppe von Bürgern jenes Rezept, das für Salzburg
kulturell und finanziell zur Erfolgsformel werden sollte: Durch Kunst und Kultur
Ansehen und Wohlstand schaffen. 1842 errichtete man ein Denkmal für Wolfgang
Amadeus Mozart, um die Welt darauf aufmerksam zu machen, dass der große
Komponist in Wien bloß gestorben ist, in Salzburg aber geboren wurde. Dabei
stieß man auf die Reste eines römischen Hauses und fand die Inschrift „Hic
habitat felicitas“ –hier wohnt das Glück. Und so war es dann. Es dauerte zwar
noch Jahrzehnte, bis die Salzburger Festspiele 1920 gegründet werden konnten.
Aber Kunst und Kultur brachten schon damals neues Selbstbewusstsein für den
Einzelnen und das kleine Land.
Die Festspiele widmen sich dem Jubiläumsjahr „Salzburg 20.16“ dreifach in ihrem
Programm:

Im Rahmen der Ouverture spirituelle werden jene christlichen Werke im
Mittelpunkt stehen, die für Salzburg geschrieben wurden bzw. das
reichhaltige musikalische Leben im fürsterzbischöflichen Salzburg belegen.
Beschränkt sich die musikalische Ausnahmestellung der Stadt doch nicht
nur auf den Genius loci, Wolfgang Amadeus Mozart. Die Wurzeln der
musikalischen Kultur der Salzachstadt reichen bis ins 8. Jahrhundert
zurück. Auch die erste Opernbühne nördlich der Alpen wurde 1614 bei uns
errichtet.
Höhepunkt dieses Salzburg Schwerpunktes wird ohne Zweifel die
Aufführung von Heinrich Ignaz Franz Bibers monumentaler „Missa
salisburgensis“ für den Dom, entstanden 1682 zur 1100-Jahr-Feier des
Erzstifts Salzburg.
Der Eindruck der ersten Aufführung vor mehr als dreihundert Jahren muss
überwältigend gewesen sein. 16 Vokal-, 35 Instrumentalstimmen, 2
Orgeln und ein reich besetztes Basso continuo, insgesamt 53 Stimmen –
eine für barocke Verhältnisse riesige Besetzung. Diesen gewaltigen
Aufwand leistete man sich später nicht mehr. Die monumentale Messe
geriet in Vergessenheit. Am 27. Juli 2016 haben Sie die Möglichkeit dieses
einmalige Zeugnis Salzburger Musikgeschichte im Salzburger Dom, also an
jenem Ort für den sie geschrieben wurde, zu erleben.

„Salzburg ist kein Ort für mein Talent!“, schrieb Wolfgang Amadeus Mozart
im August 1778. Kein Wunder, steht doch Mozarts Zeit in Salzburg
zumeist für das Ableisten von Frondienst unter Fürsterzbischof Collerdo
und endete mit dem Fußtritt eines Hofbeamten, der das Genie endgültig
aus der Stadt vertrieb. Und doch bot Salzburg dem jungen Mozart objektiv
Chancen wie er sie besser nicht hätte antreffen können. Kirche, Theater,
Konzertsaal – wohin Mozart sich wandte, konnte er alles an Musik und
Künstlern hören und sehen, was damals in Deutschland und Italien aktuell
war. Oder mit den Worten Hugo von Hofmannsthals: „Salzburg ist der
naturgegebene Mittelpunkt einer hohen Theater- und Musikkultur, hier,
nur hier konnte Mozart geboren werden.“
Einen Schwerpunkt im Opernprogramm bildet Sven-Eric Bechtolfs MozartDa-Ponte-Zyklus, der seit 2013 für Salzburg entstand. „Così fan tutte“
wird in der Felsenreitschule in einer neuen Besetzung, mit einem neuen
Dirigenten, einem neuen Bühnenbild und einem neuen Orchester als
Wiederaufnahme und zugleich Neuinszenierung den Zyklus eröffnen. Der
erfolgreiche „Don Giovanni“ von 2014 und „Le nozze di Figaro“ von 2015
im Haus für Mozart folgen.

„Meine Heimatstadt ist eine Todeskrankheit“ klagte Thomas Bernhard
1975 in seinem autobiographischen Band „Die Ursache“. Auch ihn verband
mit Salzburg eine tiefe Hassliebe. „Mit mir und Salzburg ist alles in
Beziehung. Aber es kann nur eine Hassliebe sein, weil ich ein lebendiger
Mensch bin. Anders ist es nicht möglich. Oder ich lasse mich einverleiben,
tanze da mit und gebe mich vollkommen auf - baue Salzburg aus
Papiermaschee und Zuckerguss auf und gebe mich auf. Das will ich nicht.“
Und doch spielte Salzburg im Schaffen des streitbaren Autors eine zentrale
Rolle, die Festspiele brachten fünf seiner Theaterstücke zur Uraufführung.
1972 löst er einen veritablen Festspielskandal aus: Claus Peymann, der
Bernhards Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ inszenierte, bestand
darauf, die Aufführung in absoluter Finsternis – auch ohne das gesetzlich
vorgeschriebene Notlicht – enden zu lassen. Als das von der Feuerpolizei
nicht genehmigt wurde, ließ Thomas Bernhard alle weiteren Vorstellungen
verbieten, weil „eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht
verträgt, auch ohne mein Schauspiel auskommt“. Die Salzburger
Festspiele bringen 2016 „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ in einer
Besetzung zur Aufführung die auch Thomas Bernhard gefallen hätte. Und
überdies, wie schreibt der wunderbare Karl-Markus Gauß: „Mit so
ausdauernder Verachtung, mit so grimmigem Hass ist wohl keine andere
Literatur ihrem Staat verbunden wie die österreichische. Deren
international geschätztes Markenzeichen ist es gerade, dass sie ihr eigenes
Land unermüdlich als Vorhölle deutet.“
Möge es allen Kulturinstitutionen unseres Landes gelingen, die Aufmerksamkeit
des 200 Jahr-Jubiläums zu nützen und wieder einmal den Beweis zu erbringen:
Unser kleines Salzburg will und kann viel zum Ruf Österreichs als kulturelle
Großmacht beitragen.
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