Unterrichtseinheit 5: Alternativmethoden und ihre Anerkennung Aus der Sicht des Tierschutzes ist unumstritten, dass eine ideale Tierversuchsalternative nur in der kompletten Abschaffung von Versuchen an Tieren und der Nutzung von tierischem Material bestehen kann. Wenn das der Fall ist, kann man von tierversuchsfreien Methoden sprechen. Derzeit gibt es jedoch vielfach noch Methoden, die den Vorteil haben, sehr starkes Leid zu reduzieren aber noch nicht als tierversuchsfrei Methode gelten können, da noch immer Lebewesen verwendet werden. Die Anerkennung von Alternativmethoden ist ein zentrales Problem. Ein Grund warum nicht bereits mehr alternative Methoden zu Tierversuchen eingesetzt werden liegt in einigen folgenschweren Vorschriften. Diese besagen, dass jede Alternativmethode, bevor sie offiziell anerkannt wird einer umfangreichen Prüfung unterzogen werden muss. Diese Prüfung heißt Validierung, sie ist aufwendig und teuer und ein Grund dafür, dass viele Alternativmethoden erst nach zehn Jahren offiziell anerkannt werden. Material 5a: Der Augenreiztest und seine Alternative der Hühnerei-Test Es gibt einen Tierversuch, der ohne Zweifel als der Inbegriff eines enorm belastenden und für viele Tiere mit großen Schmerzen verbundenen Versuchs gelten kann: der so genannte DraizeAugenreiztest am Kaninchen. Dieser Test zählt auch zu den umstrittensten Tierversuchen überhaupt. Der Augenreiztest wurde bereits 1944 entwickelt und sollte dazu dienen festzustellen, ob bestimmte Substanzen eine reizende oder schädigende Wirkung auf das Auge haben. Bei diesen Substanzen handelt es sich entweder um einzelne chemische Substanzen oder auch um Mischungen wie zum Beispiel Spülmittel, Shampoos, Lacke, aber auch Raumsprays etc. Dabei werden Kaninchen die Testsubstanzen ins Auge geträufelt und beobachtet, welche Reaktionen auftreten. Die Reaktionen des Auges reichen von einer leichten Reizung der Bindehaut über Verätzungen bis hin zur völligen Zerstörung des Auges. Da Kaninchen kaum Tränenflüssigkeit bilden können, bleibt die Testsubstanz für mehrere Stunden in konzentrierter Form im Auge. Außerdem werden die Kaninchen in der Regel rund 3 Wochen beobachtet, um festzustellen, wie sich das Auge in dieser Zeit verhält. Da dieser Test meist ohne eine örtliche Betäubung durchgeführt wird, erfahren die Kaninchen in einem sehr hohen Ausmaß Schmerz und Leid. Dieser Test ist wissenschaftlich sehr umstritten: Die Bewertung der auftretenden Verletzungen am Kaninchenauge lässt sich kaum verallgemeinern. Anhand eines Bilderkataloges sollen die Wissenschaftler die Verletzungen einstufen. Eine solche Beurteilung bleibt aber sehr subjektiv. Dieser Test ist zudem nur sehr schlecht reproduzierbar. Das heißt, dass selbst innerhalb ein und desselben Labors unterschiedliche Ergebnisse mit diesem Test erzielt werden. Damit steht die wissenschaftliche Aussagekraft in Frage. Hinzu kommt, dass dafür viele Kaninchen zum Teil stärkste Schmerzen ertragen müssen. Eine Alternative - das bebrütete Hühnerei Bereits Mitte der 80er Jahre wurde eine Methode entwickelt, die den schmerzhaften Test am Kaninchenauge vielfach ersetzen kann: der Hühner-Ei-Test. Dieser Test funktioniert folgendermaßen: Ein befruchtetes Hühnerei einer speziellen Hühnerart wird mit der stumpfen Seite nach oben mehrere Tage bebrütet, so dass sich dort die Luftblase, die man in jedem Ei findet, ausbilden kann. An dieser Stelle wird das Ei aufgefräst. Nun werden sowohl die Schale des Eies als auch die darunter liegende Ei-Membranen entfernt. Zum Vorschein kommt die schmerzunempfindliche Aderhaut des Eies. An dieser ist es nun möglich, Substanzen auf ihre reizende Eigenschaft hin zu testen. Dafür wird die Testsubstanz auf die Aderhaut aufgebracht. Aufgrund der Reaktionen der Membran, ob es zum Beispiel zu Blutungen kommt, lässt sich beurteilen, ob eine Substanz reizende Eigenschaften hat oder nicht. Dieser Hühner-Ei-Test hat im Vergleich zum Kaninchenaugenreiztest nicht nur den Vorteil, dass er vielen Versuchstieren sehr viel Leid erspart. Er ist zudem auch noch weitaus schneller und dadurch auch weitaus günstiger, da der Hühner-Ei-Test auf Augenreizung nur rund 15 Minuten dauert. Material 5b: Wie läuft das Anerkennungsverfahren für tierversuchsfreie Methoden ab? Etwa 23% der Tierversuche werden aufgrund gesetzlicher Vorschriften durchgeführt. Jeweils ungefähr 20 Bestimmungen auf nationaler sowie auf EU-Ebene schreiben Tierversuche direkt oder indirekt vor, wie z. B. das Arzneimittelgesetz oder das Chemikaliengesetz. Dazu kommen noch Vorgaben, die weltweit Gültigkeit haben, wie die Richtlinien der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Damit tierversuchsfreie Verfahren in diese Richtlinien und Rechtsvorschriften Eingang finden, müssen sie einen langwierigen Prozess, die so genannte Validierung, durchlaufen. Tierversuche im Bereich der Grundlagenforschung müssen allerdings nicht validiert werden. Hier kann ein Wissenschaftler ein Verfahren, das ohne Tiere auskommt, sofort anwenden. Einige der tierfreundlichen Forschungsverfahren, die gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche ersetzen können, sind validiert und werden heute bereits angewendet, während andere noch nicht anerkannt sind. Die Validierung kann bis zu zehn Jahre dauern und erfolgt in einem umfangreichen Prozess in fünf Schritten: a) Testentwicklung: Das neue Verfahren wird entwickelt und der Bereich, für welchen der Test eingesetzt werden soll, wird genau bestimmt. b) Prävalidierung: Labore überprüfen mit der neuen Methode bestimmte, bereits im Tierversuch untersuchte Substanzen. Es soll festgestellt werden, ob die Methode reproduzierbare Ergebnisse liefert und standardisierbar ist. c) Experimentelle Validierung: Die neue Methode wird in mehreren Laboren getestet, um zu ermitteln, ob die Versuchsdaten der verschiedenen Labore sich untereinander entsprechen. d) Evaluierung: Die Versuchsergebnisse aus dem neuen Testverfahren werden mit den Daten aus dem Tierexperiment verglichen. Bewertet die neue Methode die Prüfsubstanz genauso wie den Tierversuch, ist sie aussagefähig (valide). e) Akzeptierung: Das Verfahren gewinnt Eingang in die bestehenden Prüfvorschriften. Hierbei gibt es eine besondere Schwierigkeit: Die Versuchsergebnisse aus dem neuen Testverfahren werden mit den Daten aus dem Tierexperiment verglichen. Nur, wenn beide übereinstimmen, gilt die neue Methode als aussagefähig. Anders ausgedrückt, eine tierversuchsfreie Methode wird nur behördlich anerkannt, wenn ihre Ergebnisse mit denen des entsprechenden Tierversuchs übereinstimmen. Doch der Tierversuch selbst musste sich nie vergleichen lassen. Er wurde nie validiert und wird von den Wissenschaftlern noch immer einfach akzeptiert, obwohl die Ergebnisse aus Tierversuchen ungenau, nicht verlässlich reproduzierbar und nicht auf die Situation beim Menschen übertragbar sind. Die Qualität neuer, sinnvoller Testsysteme wird also an einer schlechten, veralteten Methode gemessen. Viele, wirklich aussagekräftige In-vitro-Systeme haben so kaum eine Chance, jemals behördlich anerkannt zu werden. Die Validierung am Tierversuch ist unsinnig, sinnvoll wäre ein Vergleich der neuen Methode mit bekannten Daten aus der Humanmedizin. Trotz dieser erheblichen Hürde haben es einige Reagenzglasmethoden bereits zu einer weltweiten Akzeptanz gebracht. Doch diese Entwicklung könnte schneller verlaufen, daher muss der Vorgang der behördlichen Anerkennung unbedingt beschleunigt und vereinfacht werden.“ Quelle: Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner www.tierrechte.de