Fall 21 (BVerfG WRP 2008, 492 –Versteigerung anwaltlicher Leistungen) B ist Fachanwalt für Familienrecht. Im Januar 2004 bietet er bei eBay „Beratungen bis 60 Minuten in familien- und erbrechtlichen Fragen" mit Startpreisen von einmal 1 € und ein weiteres Mal von 75 € an. Auf das mit einem Startpreis von 1 € unterbreitete Angebot macht B zudem durch ein Foto mit Babyaugen aufmerksam. Auf dieses Angebot sind Gebote bis zu 12,50 € abgegeben worden. Die Rechtsanwaltskammer mahnt durch Schreiben vom Februar 2004 die Einhaltung von § 43b BRAO an. Die Norm lautet: Werbung ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Besteht ein Unterlassungsanspruch der Rechtsanwaltskammer? 1 Fall 21 (1) Anspruch aus § 8 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG iVm. § 43b BRAO. 1. Aktivlegitimation § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG (es kommt nicht auf eine gewerbliche Tätigkeit iSd. § 1 Abs. 1 HGB an). 2. Geschäftliche Handlung des B nach §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (+) 3. Verstoß gegen § 3a UWG. a) Unmittelbarer Zweck: § 43b BRAO: Norm trägt dem Leitbild des RA-Berufs als Organ der Rechtspflege Rechnung b) Regelt auch das Marktverhalten von Unternehmern c) Schutz von Marktteilnehmern? Ja, Verbraucher vor direkter Werbung als Mandanten. d) Verletzung des § 43b BRAO? (aa) Verbot der Akquisition eines Auftrags im Einzelfall Auslegung unter Berücksichtigung der in Art. 12 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit. (aaa) § 43b BRAO regelt die Werbung durch Rechtsanwälte. Werbung ist aber immer darauf angelegt, das Interesse anderer für die Leistung des Werbetreibenden zu erregen (BVG Tz. 16). Problem: Wo liegt die Grenze? 2 Fall 21 (2) (aaa Forts.) Die Grenze zur verbotenen Auftragsakquisition im Einzelfall liegt dort, wo ein RA einen Mandanten umwirbt, um dessen konkreten Beratungsbedarf er weiß (Tz. 17). (bbb) Problem: Mit dem Höchstbietenden kommt ein Beratungsvertrag (§§ 675 I, 611 BGB) zustande. Dies ist mehr als Werbung, sondern ein Verfahren zur Herbeiführung eines Vertragsschlusses. BVG: Aus § 43b BRAO folgt, dass nur die Werbung um einen Auftrag im Einzelfall verboten ist. Wenn der RA den Gegenstand des Auftrages noch nicht kennt, handelt er außerhalb des Verbotsbereichs (Tz. 18) => Folgerung: Auftrag i.S.d. § 43b BRAO ist nicht der Vertragsschluss, sondern die dem RA bekannte Rechtsangelegenheit. (bb) In Form und Inhalt sachliche Unterrichtung über die berufliche Tätigkeit des RA (Sachlichkeitsgebot) Auch hier Auslegung unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung des Art. 12 GG. Wahrung der allgemeinen Grenzen, die durch das UWG gesetzt sind. 3 Fall 21 (3) (aaa) Vermieden werden muss zunächst ein Belästigungseffekt (Tz. 20; eigener Hinweis: vergleichbar § 7 Abs. 1 TMG). Über die Website der Versteigerungsplattform erreicht der RA nur Interessierte, die aktiv auf diese zugreifen. Durch die passive Präsentationsform wird eine Belästigung vermieden, da die Adressaten nicht unfreiwillig auf die Werbung gestoßen werden (BVG Tz. 20). (bbb) Keine Irreführung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG über den Preis, wegen niedrigen Startpreises. Publikum weiß, dass dieser nicht der Endpreis ist, sondern im Laufe der Versteigerung ansteigt (BVG Tz. 21). (ccc) Keine Verletzung von Gemeinwohlbelangen. -) Vermeidung des Eindrucks, dass es RA nur um Gewinnstreben geht (BVG Tz. 22). Grund: Rechtsanwalt ist unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Hier : Das Angebot richtet sich wie bei einer Handelsware an den Höchstbietenden. BVG: Nach § 34 außergerichtlichen RVG Beratung, herrscht im Gutachten, Bereich der Mediation Preisbildungsfreiheit. Dies muss auch für Internetauktionen gelten (BVG Tz. 26). 4 Fall 21 (4) (ccc) Fortsetzung) -) Keine systematische Verletzung des Vergütungsrechts (BVG Tz. 23). Möglichkeit zur Gebührenvereinbarung nach § 3a Abs. 1 Satz 1 RVG in Textform (§ 126b BGB = Grundlage auch E-Mail; BVG Tz. 23). -) Problem: RA lernt den Mandanten und sein Anliegen vor dem Zustandekommen des Beratungsvertrags nicht kennen => Kein Vertrauensverhältnis? BVG: Keine Pflicht des RA, seinen Mandanten und dessen Anliegen vor Vertragsschluss kennenzulernen (BVG Tz. 25), auch telefonische Auskünfte sind denkbar. 3. Ergebnis: Keine Verletzung des § 3a UWG. Der Anspruch besteht nicht. 5 Fall 22 (OLG Hamburg MMR 2008, 58-Virtuelles Hausverbot) Die B GmbH (Sitz: Mainz) betreibt im Internet eine Verkaufsplattform für elektronische Unterhaltungsgeräte. Einer ähnlichen Tätigkeit geht Konkurrent K nach. Dieser überprüft am Vormittag des 10.8.2008 das Angebot des K auf mögliche Wettbewerbsverstöße. Zu diesem Zweck nimmt er auf die Homepage der B Zugriff. Nach einer Viertelstunde wird der Zugriff des K unterbrochen. Diesem wird bei jedem weiteren Zugriffsversuch eine Fehlermeldung angezeigt. Im Wege der einstweiligen Verfügung vor dem LG Mainz beantragt K, der B zu verbieten, ihn weiterhin auszuschließen. Beim LG Mainz hat die B eine Schutzschrift hinterlegt. In dieser führt sie aus, dass sie Nutzer ihrer Website automatisch ausschließt, wenn innerhalb von 10 Minuten 60 Zugriffe von einer IP-Adresse aus erfolgen. Das LG Mainz will nach § 922 ZPO ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Wie wird diese Entscheidung ausfallen? 6 Fall 22 (1) A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit § 14 Abs. 1 UWG und § 13 Abs. 1 UWG. II. Verfügungsanspruch nach §§ 935, 940 ZPO § 8 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG. III. Verfügungsgrund nach §§ 935, 940 ZPO § 12 Abs. 2 UWG B. Begründetheit I. Verfügungsanspruch Der Antrag ist begründet, wenn ein Anspruch aus § 8 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG vorliegt. a) Aktivlegitimation des K nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG b) Geschäftliche Handlung nach §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (+) c) Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG. Gezielte Behinderung? aa) Behinderung: Einschränkung Handlungsfreiheit des Mitbewerbers (+) 7 der wettbewerblichen Fall 22 (2) Was bedeutet gezielt? => Wettbewerb hat gegenseitige Behinderung zum Gegenstand. Verboten ist nur der Behinderungswettbewerb, der es nicht auf das eigene Fortkommen, sondern gezielt auf Erschwernisse für den Konkurrenten anlegt (Gesamtbetrachtung erforderlich). ! Nicht jedes Zufügen eines Nachteils kann sich daher iSd. § 4 Nr. 4 UWG qualifizieren. ! Indizcharakter hat der Eingriff in ein Recht des K. ! In Betracht kommt hier das aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG resultierende subjektive Recht des K, Rechtsverstöße des B auf der Grundlage von § 3a UWG abzumachnen. Problem: B beschränkt diese Freiheit. Zielt die Freiheitsbeschränkung auf Behinderung und sprechen für sie Sachinteressen des B? Für Letzteres sprechen die Äußerungen in der Schutzzschrift. Erste Frage: Darf das Gericht die Behauptungen des B in der Schutzschrift berücksichtigen? Nach §§ 936, 922 ZPO kann über den Antrag auf einstweilige Verfügung nach Ermessen des Gerichts ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Aber: Grundsätzlich Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. 8 Fall 22 (3) Liegt eine Schutzschrift vor, muss das Gericht diese berücksichtigen, da mit diesem Vorgang keine Zeitverzögerung verbunden ist. Beantwortung der ersten Frage: Schutzschrift kann berücksichtigt werden. Zurück zum Problem: In welchem Umfang darf B die Freiheit des K einschränken? Möglichkeit eines virtuellen Hausverbots wie bei einem realen Hausverbot möglich, um Betriebsstörungen abzuwehren. ! Reales Hausverbot: Man darf Konkurrenten den Zutritt zum eigenen Ladenlokal nicht verbieten, wenn diese sich wie normale Kunden benehmen und den Verkauf nicht stören. ! Virtuelles Hausverbot: B darf K den Zugriff nicht verbieten, wenn dieser sich als normaler Kunde benimmt. ! Hier? Nicht der Fall: - kein Kunde nimmt so oft auf die Website Zugriff wie K; - B muss sich vor Überlastungen durch gezielt schädigende massenhafte Zugriffe (Bot- oder Botnetangriffe) schützen können; - die Zahl von 60 Zugriffen innerhalb von 10 Minuten scheint nicht überzogen; - Insbesondere zielt die Behinderung nicht auf K, sondern auf Störer, die die Website der B lahmlegen wollen. 9 Fall 22 (4) => Die Beschränkung der Freiheit des K stellt keine gezielte Behinderung iSd. § 4 Nr. 4 UWG dar. C. Ergebnis: Antrag ist unbegründet 10 Fall 23 (BGHZ 171, 73 – Außendienstmitarbeiter) K und B konkurrieren miteinander beim Vertrieb von Versicherungsverträgen. X war seit 1994 als Außendienstmitarbeiter in Sachen Vermögensberatung für K tätig. Er kündigte das Vertragsverhältnis mit Schreiben vom 14.8.2002, was aber kraft vertraglicher Vereinbarung erst mit Wirkung zum 31.3.2004 möglich war. Bereits vor diesem Zeitpunkt beschäftigte jedoch die B den X. Von X ist zu erfahren, dass B ihm diese Möglichkeit bereits vor seiner Kündigung in Aussicht gestellt hat. K verlangt von B Unterlassung der Beschäftigung des X vor diesem Zeitpunkt. Zu Recht? 11 Fall 23 (1) Unterlassungsanspruch des K gegen B aus § 8 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG. 1. Aktivlegitimation aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG (+) 2. Geschäftliche Handlung des B nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG? 3. Lauterkeitsverstoß nach § 4 Nr. 4 UWG? => gezielte Behinderung? a) Behinderung = Einschränkung der wettbewerblichen Freiheit des Konkurrenten -> hier: Angesichts des Verlusts des Mitarbeiters zu bejahen. b) Gezieltheit = Die objektive Zielrichtung der Täterhandlung darf nicht im eigenen Fortkommen liegen, sondern muss auf die Einschränkung der wettbewerbsrechtlichen Freiräume des Konkurrenten zielen = Behinderungswettbewerb. Gesamtbetrachtung; maßgeblich sind folgende Indizien: objektive Zielsetzung, subjektive Motive als Indiz, aber keine zwingende Voraussetzung usw. Wichtig für die objektive Zielsetzung: Verletzung von Rechten, die den Konkurrenten schützen: Problem: Zählen dazu auch Vertragsrechte des Konkurrenten (mit seinen Arbeitnehmern) a) Folgeproblem: Abwerben und Veranlassung zur Kündigung erlaubt? Ja, denn darin liegt ein Stück Wettbewerb um die Arbeitskräfte. 12 Fall 23 (2) b) Beschäftigung des X durch B vor Ablauf der zwischen K und X vereinbarten Kündigungsfrist? Problem: Der Arbeitsvertrag bindet nur K und X, nicht aber B (relative Wirkung von Schuldverhältnissen). Deshalb ist eine Vertragspflichtverletzung durch X dem B nur zurechenbar, wenn besondere Umstände hinzutreten. ! Das bloße Ausnutzen des fremden Vertragsbruchs allein reicht nicht aus, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten. ! Die Grenze ist überschritten, wo der Vertragspartner vom Täter zum Vertragsbruch verleitet wird. Hier: (1) B hat dem X vor dem Vertragsbruch in Aussicht gestellt, ihn zu beschäftigen. Liegt darin ein Verleitungselement? Verleitung = Bestimmung, Anstiftung. BGH: nein (Tz. 24). Dafür spricht, dass das Erfordernis der Verleitung sich aus der in § 4 Nr. 4 UWG vorausgesetzten Zielrichtung ergibt. B hätte zielgerichtet gegen K vorgehen müssen. Das ist noch nicht der Fall, wenn er X nur eine Erleichterung in Aussicht stellt, nicht aber zum Vertragsbruch anstiftet. (2) Fall des § 4 Nr. 4 UWG auch vorstellbar, wenn B den X nur eingestellt hätte, um K zu behindern, nicht aber den eigenen Absatz zu fördern. Hier ebenfalls nicht der Fall. 4. Ergebnis: Kein Unterlassungsanspruch. 13 Fall 23 (3) Hinweis: An diesem Fall zeigt sich beispielhaft, warum der Gesetzgeber des BGB (Zweite Kommission) zwei zentrale Grundentscheidungen getroffen hat. 1. Vertragliche Schuldverhältnisse wirken nur relativ und niemals zu Lasten Dritte (arg. e §§ 241 Abs. 1, 333 BGB) und wichtiger noch 2. Forderungen (Synonym: Ansprüche, Rechts aus Vertrag) stellen keine absolut geschützten Rechte in § 823 Abs. 1 BGB dar. 14