Mathematik für Biologen Prof. Dr. Rüdiger W. Braun Heinrich-Heine Universität Düsseldorf 19. November 2009 Abschnitt D.2 Integrale Stammfunktion I Falls f die Ableitung von F ist, so sagt man, F sei die Stammfunktion von f . Man schreibt Z F (x) = f (x)dx Das Zeichen Integral. R bezeichnet man auch als unbestimmtes I Jede (stetige) Funktion besitzt eine Stammfunktion. I Die Stammfunktion ist nicht eindeutig. Wenn F eine Stammfunktion zu f ist, dann auch F + C für beliebige Konstanten C . Wichtige Stammfunktionen Z x n dx = Z 1 x n+1 n+1 1 dx = ln(x) x Z exp(x)dx = exp(x) Z ln(x)dx = x · ln(x) − x n 6= −1 Integrationsregeln Die Rechenregeln der Integration sind parallel zu den Rechenregeln der Ableitung. Dabei ist wieder C eine Konstante und f und g sind Funktionen Z Z C · f (x) dx = C · f (x) dx Z Z Z (f (x) + g (x))dx = f (x)dx + g (x)dx partielle Integration: Z Z f 0 (x) · g (x)dx = f (x) · g (x) − f (x) · g 0 (x)dx Z Substitutionsregel: f (g (x)) · g 0 (x) dx = f (g (x)) Elementar integrierbar I I f heißt elementar integrierbar, wenn ihre Stammfunktion sich durch Polynome, Brüche, Wurzeln und die Funktionen exp, sin, cos und ihre Umkehrfunktionen ausdrücken lässt 2 1 x f (x) = √ exp − 2 2π ist nicht elementar integrierbar. Sie heißt Gaußsche Glockenkurve. I Eine Stammfunktion der Gaußschen Glockenkurve ist die Verteilungsfunktion der Standard-Normalverteilung. Gaußsche Glockenkurve 1.0 0.8 Standardnormalverteilung Glockenkurve Verteilungsfunktion 0.6 0.4 0.2 0.0 3 2 1 0 1 2 3 Integrale Wenn F eine Stammfunktion zu f und a < b ist, dann bezeichnet man Zb f (x)dx = F (b) − F (a) a als bestimmtes Integral von f über dem Intervall [a, b]. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Wenn die Funktion f keine negativen Werte annimmt, dann ist Rb a f (x)dx der Inhalt der Fläche unter dem Graphen von f . Rb Wenn f positive und negative Werte annimmt, dann ist a f (x)dx gleich dem Flächeninhalt über der x-Achse minus dem Flächeninhalt unter der x-Achse. Einfaches Beispiel I I I 3.5 Bestimme Flächeninhalt unter f (x) = x über dem Intervall [0, 3] 3.0 Stammfunktion von 2.0 x2 f (x) = x ist F (x) = 2 Also Z3 9 x dx = F (3) − F (0) = 2 0 f(x) = x 2.5 1.5 1.0 0.5 0.0 0.50.5 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 3.5 Beispiel mit Vorzeichenwechsel I Bestimme Z3 x dx −3 I I I 4 Das ist die Differenz zwischen der roten und der grünen Fläche 0 Stammfunktion von 1 x2 f (x) = x ist F (x) = 2 Also x dx = F (3)−F (−3) = 0 −3 2 1 2 3 44 Z3 f(x) = x 3 3 2 1 0 1 2 3 4 Beispiel aus der Physik, Fortsetzung I 1 B ·x +1 Zurückgelegte Wegstrecke zur Zeit t Zt Zt 1 dx f (t) = v (x) dx = A · 1 − B ·x +1 0 0 A = A · t − · ln(B · t + 1) B Geschwindigkeit Wegstrecke 160 0.9 Geschwindigkeit in km/h I Formel für die Geschwindigkeit v (x) = A · 1 − 140 120 100 80 60 40 20 00 Wegstrecke in km I 5 10 15 Zeit in s 20 25 30 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0.00 5 10 15 Zeit in s 20 25 30 Abschnitt 2.9 Verteilungen mit Dichte Normalverteilung Normalapproximation Verteilungen mit Dichte I Wenn die Verteilungsfunktion einer Verteilung differenzierbar ist, dann bezeichnet man ihre Ableitung als Dichte der Verteilung. I Für die Standard-Normalverteilung gilt 2 1 x 0 Φ (u) = √ exp − 2 2π I Mit anderen Worten: Wenn die Zufallsvariable X standard-normalverteilt ist, dann gilt 1 P(a < X ≤ b) = √ 2π Zb e −x a 2 /2 dx Dichte und Verteilungsfunktion der Standard-Normalverteilung 1.0 0.8 Standardnormalverteilung Dichte Verteilungsfunktion 0.6 0.4 0.2 0.0 3 2 1 0 1 2 3 Eigenschaften I Beachte: Für jede Verteilung mit Dichte gilt P(X = a) = 0 für alle a. Also beispielsweise auch P(a ≤ X ≤ b) = P(a < X ≤ b) I Jede R∞ Funktion f , die nur Werte ≥ 0 annimmt und für die gilt −∞ f (x)dx = 1, ist Dichte einer Wahrscheinlichkeitsverteilung P, die auf den Intervallen gegeben ist durch Zb P(a < X ≤ b) = f (x)dx a Eine einfache Verteilung I Für einen festen Parameter a > 0 betrachten wir a·x 0≤x ≤1 a 1≤x ≤2 f (x) = a · (3 − x) 2 ≤ x ≤ 3 0 sonst I Skizze von f a 0 0.0 I 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 Für welches a ist f Dichte einer Wahrscheinlichkeitsverteilung? Einfache Verteilung, Fortsetzung Z3 I Bestimme a so, dass f (x) dx = 1 0 I Bestimme dazu die nötigen Stammfunktionen Z F1 (x) = 1 dx = x Z x2 F2 (x) = x dx = 2 Einfache Verteilung, Fortsetzung Z1 Z3 a · x dx + f (x) dx = 0 Z2 0 =a x dx + a 0 (3 − x) · a dx Z3 Z3 1 dx + 3a 1 dx − a x dx a dx + 1 Z2 Z1 Z3 1 2 2 2 = a F2 (1) − F2 (0) + F1 (2) − F1 (1) + 3F1 (3) − 3F1 (2) − F2 (3) + F2 (2) 9 4 1 −0+2−1+9−6− + =a 2 2 2 = 2a Für a = 1 2 ist f Dichte einer Wahrscheinlichkeitsverteilung Erwartungswert und Varianz I Die Verteilung von X besitze die Dichte f I Dann ist der Erwartungswert von X gleich Z∞ E (X ) = x · f (x) dx −∞ I Die Varianz von X ist gleich Z∞ Var (X ) = (x − µ)2 · f (x) dx −∞ wobei µ = E (X ) I Die Streuung, auch Standardabweichung genannt, ist gleich p σ = Var (X ) Erwartungswert und Varianz der Standard-Normalverteilung I Für standard-normalverteiltes X gelten E (X ) = 0 und Var (X ) = 1 I Das ergibt sich daraus, dass die Standard-Normalverteilung durch Grenzübergang aus standardisierten Zufallsvariablen entsteht. Normalverteilungen I Die Zufallsvariable X heißt normalverteilt zum Erwartungswert µ und der Varianz σ2 , wenn es eine standard-normalverteilte Zufallsvariable Y gibt mit X =µ+σ·Y I Man sagt dann, X sei N(µ, σ2 )-verteilt. I Der Zusammenhang zwischen X und Y ist Y = I X −µ σ X ist also genau dann N(µ, σ2 )-verteilt, wenn 1 (X − µ) σ standard-normalverteilt ist. Erwartungswert und Varianz N(µ, σ2 )-verteilter Zufallsvariabler Für N(µ, σ2 )-verteilte Zufallsvariable X gelten E (X ) = µ und Var (X ) = σ2 Normalverteilungen für verschiedene Erwartungswerte 1.0 0.8 µ =0 µ =1 µ =2 0.6 0.4 0.2 0.0 4 3 2 1 0 1 2 3 4 Dichten und Verteilungsfunktionen für N(µ, 1)-verteilte Zufallsvariable, µ = 0, 1, 2 Normalverteilungen für verschiedene Streuungen 1.0 0.8 σ =1 σ =1/2 σ =2 0.6 0.4 0.2 0.0 4 3 2 1 0 1 2 3 4 Dichten und Verteilungsfunktionen für N(0, σ2 )-verteilte Zufallsvariable, σ = 1, 12 , 2 Umrechnung auf Standardnormalverteilung Die Zufallsvariable X sei N(µ, σ2 )-verteilt. Dann gelten für a < b a−µ b−µ −Φ P(a < X ≤ b) = Φ σ σ a−µ P(a < X ) = 1 − Φ σ b−µ P(X ≤ b) = Φ σ Beispiel: IQ-Tests I IQ-Tests sind so skaliert, dass die Werte in der Population normalverteilt mit Erwartungswert µ = 100 und Streuung σ = 15 sind I Welcher Anteil der Bevölkerung hat einen IQ über 130? I Die Zufallsvariable X , die den IQ misst, ist N(100, 225)-verteilt. I Also 130 − 100 P(130 < X ) = 1 − Φ 15 = 1 − Φ(2) = 1 − 0.977250 = 0.02275 I Ungefähr 2.3% der Population weist einen IQ von mindestens 130 auf