Aussagenlogik:Zusammenfassung Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 1 / 45 Fragestellung In der Aussagenlogik analysiert man die Wahrheitswerte zusammengesetzter Aussagen basierend auf den Wahrheitswerten der elementaren Teilaussagen. Hierbei werden elementare Aussagen mit Hilfe von Verknüpfungen (Junktoren) zu komplexeren Aussagen zusammengesetzt. Dabei soll die Wahrheit der zusammengesetzten Aussagen nur von den Wahrheitswerten der Teilaussagen (aber nicht von den Teilaussagen selbst!) abhängen. Weiter identifiziert man die Wahrheitwerte mit den Booleschen Werten: F=0, W=1. Hieraus ergibt sich folgende Entsprechung: Junktor = Wahrheitsfunktion = Boolesche Funktion Hierbei: I I n-st. Wahrheitsfunktion: f : {F , W }n → {F , W } n-st. Boolesche Funktion: f : {0, 1}n → {0, 1} Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 2 / 45 Die von uns betrachteten Junktoren Negation (= nicht) ¬: ¬(i) = 1 − i Disjunktion (= inkl. oder) ∨: ∨(i, j) = max{i, j} Konjunktion (= und) ∧: ∧(i, j) = min{i, j} Implikation →: → (i, j) = 1 ⇔ i ≤ j Äquivalenz ↔: ↔ (i, j) = 1 ⇔ i = j Bemerkung: Häufig stellt man Boolesche Funktionen durch deren Wertetabelle dar. Z.B. x0 0 0 1 1 Mathematische Logik (WS 2016/17) x1 0 1 0 1 ∨(x0 , x1 ) 0 1 1 1 Aussagenlogik (Zusammenfassung) 3 / 45 Die Sprache der Aussagenlogik: Idee In der Aussagenlogik bedient man sich einer formalen Sprache. Dadurch werden Mehrdeutigkeiten der Umgangssprache ausgeschlossen, und die Aussagenlogik lässt sich so als Mathematische Theorie auffassen (und daher mit mathematischen Methoden analysieren). Hierzu werden die elementaren Aussagen durch Aussagenvariablen dargestellt, von denen man einen abzählbar unendlich Vorrat hat: A0 , A1 , A2 , . . . . Hieraus definiert man mit Hilfe der Junktoren (hier als Zeichen aufgefasst) dann induktiv die (aussagenlogischen) Formeln, die die zusammengesetzten Aussagen repräsentieren. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 4 / 45 Die Sprache der Aussagenlogik: Formeln INDUKTIVE DEFINITION. Die aussagenlogischen (al.) Formeln sind induktiv definiert durch (F1) Jede Aussagenvariable An (n ≥ 0) ist eine al. Formel. (F2) Ist ϕ eine al. Formel, so ist auch ¬ϕ eine al. Formel. (F3) Sind ϕ1 und ϕ2 al. Formeln, so sind auch (ϕ1 ∧ ϕ2 ), (ϕ1 ∨ ϕ2 ), (ϕ1 → ϕ2 ) und (ϕ1 ↔ ϕ2 ) al. Formeln. Soweit sind Formeln Zeichenreihen, die eine spezielle Gestalt haben (Syntax). Die Bedeutung der Formeln muss noch festgelegt werden (Semantik). Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 5 / 45 Aussagenlogik: Semantik - Idee Wir interpretieren nun Formeln als (zusammengesetze) Aussagen. Dabei werden die Aussagenvariablen als atomare Aussagen aufgefasst und die Junktoren als die durch diese bezeichneten Verknüpfungen interpretiert. Hierbei gehen wir davon aus, dass jede der atomaren Aussagen entweder wahr oder falsch ist (“tertium non datur”). Die möglichen Wahrheitswerte der (in einer Formel vorkommenden) Aussagenvariablen werden durch Belegungen festgelegt. Der Wahrheitswert der Formeln bzgl. einer gegebenen Belegung lässt sich dann induktiv nach dem Aufbau der Formeln bestimmen. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 6 / 45 Aussagenlogik: Semantik - Belegungen der Aussagenvariablen Sei im Folgenden V eine nichtleere (endliche oder unendliche) Menge von Aussagenvariablen und sei F (V ) = {ϕ : V (ϕ) ⊆ V } die Menge der al. Formeln, die nur Variablen aus V enthalten. DEFINITION. Eine Belegung B der Variablenmenge V ist eine Abbildung B : V → {0, 1}. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 7 / 45 Aussagenlogik: Semantik - Bewertungen der al. Formeln Jede Belegung B einer Variablenmenge V induziert eine zugehörige Bewertung B̂ der al. Formeln in F (V ). DEFINITION. Die zu der Belegung B : V → {0, 1} gehörende Bewertung B̂ der aussagenlogischen Formeln in F (V ) ist induktiv wie folgt definiert (Ind(ϕ)): 1. ϕ ≡ A: B̂(A) := B(A) 2. ϕ ≡ ¬ψ: B̂(¬ψ) := ¬(B̂(ψ)) 3. ϕ ≡ (ϕ1 ∗ ϕ2 ) (mit ∗ = ∨, ∧, →, ↔): B̂(ϕ1 ∗ ϕ2 ) := ∗(B̂(ϕ1 ), B̂(ϕ2 )) Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 8 / 45 Aussagenlogik: Semantik - Bewertungen der al. Formeln Wir sagen, dass die Belegung B die Formel ϕ wahr macht (falsch macht), falls B(ϕ) = 1 (B(ϕ) = 0) gilt. Der Wert B(ϕ) hängt nur von der Belegung der in ϕ vorkommenden Variablen ab (Koinzidenzlemma). BEISPIEL. Sei V = {A, B, C , D} und sei die Belegung B : V → {0, 1} durch B(A) = B(B) = B(D) = 1 & B(C ) = 0 gegeben und sei ϕ die Formel ϕ ≡ ¬(A ↔ C ) ∧ ¬D. Dann gilt: B(ϕ) = 0. Man kann dies zeigen, indem man induktiv die Wahrheitswerte der Teilformeln ψ von ϕ bezüglich B bestimmt: ψ B(ψ) A 1 B 1 C 0 D 1 (A ↔ C ) ¬D 0 0 ¬(A ↔ C ) 1 ϕ 0 Dies entspricht gerade dem Vorgehen, dass man den Knoten im Strukturbaum (die für die entsprechenden Teilformeln stehen) von den Blättern aus rekursiv Wahrheitswerte zuordnet, wobei ein mit A markiertes Blatt den Wert B(A) erhält und ein mit ¬ (bzw. ∗) markierter innerer Knoten, dessen Sohn den Wert i hat (bzw. dessen Söhne die Werte i0 und i1 haben) der Wert f¬ (i) (bzw. f∗ (i0 , i1 )) zugeordnet wird. Der Wert der Wurzel ist dann gerade B(ϕ). Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 9 / 45 Zentrale semantische Begriffe Jede Belegung B der Variablen einer al. Formel ϕ führt zu einer Bewertung B(ϕ) von ϕ, gibt also eine mögliche Interpretation von ϕ. Wir führen hierauf nun die Begriffe der Allgemeingültigkeit, Erfüllbarkeit und Widersprüchlichkeit von al. Formeln zurück: I I I Die Formel ϕ ist allgemeingültig, wenn alle Belegungen ihrer Variablen die Formel wahrmachen. Die Formel ϕ ist erfüllbar, wenn zumindest eine der Belegungen ihrer Variablen die Formel wahrmacht. Die Formel ϕ ist widerspüchlich, wenn keine Belegung ihrer Variablen die Formel wahrmacht. Weiter definieren wir die (semantische) Implikation (Folgerung) und Äquivalenz für Formelpaare: I I Die Formel ϕ impliziert die Formel ψ (oder: ψ folgt aus ϕ), wenn jede Belegung, die ϕ wahrmacht, auch ψ wahrmacht, ϕ uns ψ sind äquivalent, wenn sie von denselben Belegungen wahrgemacht werden. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 10 / 45 Beispiele Beispiele von Tautologien, die häufig verwendeten logischen Gesetzen entsprechen: (i) A ∨ ¬A (Tertium non datur) (ii) A → A (Selbstimplikation) (iii) A → A ∨ B (Hintere Abschwächung) (iv) A ∧ B → A (Vordere Abschwächung) (v) (A → B) ∧ (B → C ) → (A → C ) (Kettenregel) (vi) (A ∨ B) ∧ (A → C ) ∧ (B → C ) → C (Gesetz der Fallunterscheidung) (vii) (A → B) ↔ (¬B → ¬A) (Kontraposition) Beispiele von gültigen Äquivalenzen sind die Booleschen Gesetze. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 11 / 45 Implikation und Äquivalenz: Syntax vs. Semantik LEMMA. Seien ϕ und ψ al. Formeln. (i) ϕ impliziert ψ genau dann, wenn die Formel ϕ → ψ allgemeingültig ist: ϕ impl ψ ⇔ ag[ϕ → ψ] (ii) ϕ und ψ sind genau dann äquivalent, wenn die Formel ϕ ↔ ψ allgemeingültig ist: ϕ äq ψ ⇔ ag[ϕ ↔ ψ] NB: Diese Zusammenhänge benutzt man, wenn man aus den im vorigen Lemma angegebenen Tautologien die Korrektheit der entsprechenden Beweistechniken ableitet. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 12 / 45 Erweiterung von Erfüllbarkeit und Folgerung auf Formelmengen: Vorbemerkungen In der Untersuchung einer mathematischen Theorie gehen wir in der Regel von einer (möglicherweise unendlichen) Menge von Axiomen (den Grundsätzen der Theorie) aus und betrachten die Aussagen, die aus diesen logisch folgen (die Theoreme oder (Lehr-)Sätze der Theorie). Um den hierbei verwendeten semantischen Folgerungsbegriff zu definieren, müssen wir den bereits eingeführten Folgerungsbegriff ϕ impl ψ (d.h. ψ folgt aus ϕ) von einer Formel ϕ auf eine Menge T von Formeln verallgemeinern. (Wobei wir in diesem Kapitel natürlich nur aussagenlogische Folgerungen betrachten.) Gleichzeitig verallgemeinern wir den Erfüllbarkeitsbegriff von Formeln ϕ auf Formelmengen T und zeigen, dass sich der Folgerungbegriff auf den Erfüllbarkeitsbegriff zurückführen lässt. Hierbei nennen wir eine Formelmenge T erfüllbar, wenn es eine Belegung gibt, die alle Formeln in T wahrmacht. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 13 / 45 Erfüllbarkeit von Formelmengen: Definition DEFINITION 1. Sei T 6= ∅ eine nichtleere Menge al. Formeln mit Variablenmenge V (T ). (i) Eine Belegung B : V (T ) → {0, 1} macht die Formelmenge T wahr (kurz: B T ), falls B alle Formeln ϕ in T wahrmacht, d.h. wenn gilt: ∀ ϕ ∈ T : B(ϕ) = 1 (ii) Die Formelmenge T is erfüllbar (kurz: erfb[T ]), wenn es eine Belegung B von V (T ) gibt, die T wahrmacht. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 14 / 45 Erfüllbarkeit von Formelmengen: Bemerkungen Enthält T nur eine Formel ϕ (d.h. T = {ϕ}), so ist T genau dann erfüllbar, wenn ϕ erfüllbar sind. Allgemein gilt: Ist T erfüllbar, so sind alle Formeln in T erfüllbar. Die Umkehrung gilt aber nicht! (Gegenbeispiel!) Für endliche, nichtleere Formelmengen lässt sich die Erfüllbarkeit auf die Erfüllbarkeit von Formeln zurückführen: Für T = {ϕ1 , . . . , ϕn } gilt: erfb[T ] ⇔ erfb[ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn ] Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 15 / 45 Der semantische Folgerungsbegriff DEFINITION. Eine al. Formel ϕ folgt aus einer (möglicherweise leeren oder unendlichen) Menge T von al. Formeln (kurz: T ϕ), falls jede Belegung B von V (T ) ∪ V (ϕ), die T wahrmacht, auch ϕ wahrmacht, d.h., falls gilt: ∀ B ∈ B(V (T ) ∪ V (ϕ)) [B T ⇒ B ϕ] Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 16 / 45 Der semantische Folgerungsbegriff: Beobachtungen Ist T die leere Menge, so macht (trivialerweise) jede Belegung jede Formel in T wahr (da es keine Formeln in T gibt). Also: ∅ ϕ ⇔ ag[ϕ] (Dies zeigt, dass der Folgerungsbegriff eine Verallgemeinerung des Allgemeingültigkeitsbegriffs ist.) Für 1-elementiges T = {ϕ} gilt: {ϕ} ψ ⇔ ϕ impl ψ Für endliches nichtleeres T = {ϕ1 , . . . , ϕn } gilt: T ψ ⇔ ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn ψ ⇔ ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn impl ψ Weiter gilt: T ψ ⇔ ag[ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn → ψ] ( ⇔ ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn → ψ) Insbesondere also (Vertauschbarkeit von und →): ϕ ψ ⇔ ag[ϕ → ψ] Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 17 / 45 Semantische Folgerung vs. Erfüllbarkeit LEMMA (Folgerung vs. Erfüllbarkeit). (i) T ϕ ⇔ nicht erfb[T ∪ {¬ϕ}] (ii) T 6 ϕ ⇔ erfb[T ∪ {¬ϕ}] Umgekehrt lässt sich für nichtleeres T die Erfüllbarkeit von T auf den Folgerungsbegriff zurückführen: LEMMA 3 (Erfüllbarkeit vs. Semantischer Folgerung). Für T 6= ∅ sind folgende Aussagen äquivalent: (i) erfb[T ] (ii) 6 ∃ ϕ [T ϕ und T ¬ϕ] (iii) ∃ ϕ [T 6 ϕ] Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 18 / 45 Formeln vs. Boolesche Funktionen: von Formeln dargestellten Booleschen Funktionen Al. Formeln kann man als Darstellungen Boolescher Funktionen auffassen: DEFINITION 1. Sei ϕ eine al. Formel mit V (ϕ) ⊆ {A0 , . . . , An−1 }. Die von ϕ dargestellte (definierte) n-stellige Boolesche Funktion fϕ,n ist definiert durch fϕ,n (i0 , . . . , in−1 ) = B̂i0 ,...,in−1 (ϕ) wobei die Belegung Bi0 ,...,in−1 : {A0 , . . . , An−1 } → {0, 1} durch Bi0 ,...,in−1 (Aj ) = ij (j = 0, . . . , n − 1) gegeben ist. Gilt V (ϕ) = {A0 , . . . , An−1 }, so schreiben wir statt fϕ,n auch einfach fϕ . Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 19 / 45 Bemerkungen Die Boolesche Funktion fϕ,n gibt also gerade die Wahrheitswerte von ϕ bzgl. der möglichen Belegungen der Variablen A0 , . . . , An−1 an. Dabei erhält man fϕ,n (i0 , . . . , in−1 ) indem man die Variablen Aj mit den Wahrheitswerten ij (für j = 0, . . . , n − 1) belegt und dann ϕ bzgl. dieser Belegung auswertet. Für eine Belegung B der Variablen A0 , . . . , An−1 gilt also: fϕ,n (B(A0 ), . . . , B(An−1 )) = B(ϕ) Die Bewertungstabelle einer Formel ϕ ist also gerade die Wertetabelle der Funktion fϕ,n . Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 20 / 45 Die von einer Formel dargestellte Boolesche Funktion und die zentralen semantischen Begriffe Seien ϕ und ψ al. Formeln, in denen höchstens die Variablen A0 , . . . , An−1 vorkommen. Dann gilt: 1 erfb[ϕ] ⇔ ∃ ~x ∈ {0, 1}n : fϕ,n (~x ) = 1 2 ag[ϕ] ⇔ ∀ ~x ∈ {0, 1}n : fϕ,n (~x ) = 1 3 kd[ϕ] ⇔ ∀ ~x ∈ {0, 1}n : fϕ,n (~x ) = 0 4 ϕ impl ψ ⇔ ∀ ~x ∈ {0, 1}n : fϕ,n (~x ) ≤ fψ,n (~x ) (d.h.: ∀ ~x ∈ {0, 1}n : fϕ,n (~x ) = 1 ⇒ fψ,n (~x ) = 1) 5 ϕ äq ψ ⇔ ∀ ~x ∈ {0, 1}n : fϕ,n (~x ) = fψ,n (~x ) (d.h.: ∀ ~x ∈ {0, 1}n : fϕ,n (~x ) = 1 ⇔ fψ,n (~x ) = 1) Insbesondere sind also Formeln äquivalent, wenn diese dieselbe Boolesche Funktion darstellen. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 21 / 45 Normalformen aussagenlogischer Formeln und die Darstellbarkeit Boolescher Funktionen durch aussagenlogische Formeln Die zentralen Konzepte und Ergebnisse sind hier: Boolesche Formeln, Disjunktive und Konjunktive Normalform Darstellungssätze, Normalformsätze und Basen der Booleschen Funktionen Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 22 / 45 Normalformen: Boolesche Formeln, Literale und Klauseln Eine Boolesche Formel ist eine aussagenlogische Formel, in der die Junktoren → und ↔ nicht vorkommen. Ein Literal λ ist eine Aussagenvariable (λ ≡ A) oder eine negierte Aussagenvariable (λ ≡ ¬A). Eine ∨-Klausel δ ist eine endliche Disjunktion von Literalen (δ ≡ λ1 ∨ · · · ∨ λn , n ≥ 1). Eine ∧-Klausel κ ist eine endliche Konjunktion von Literalen (κ ≡ λ1 ∧ · · · ∧ λn , n ≥ 1). NOTATION: W • i=1,...,n ψi :≡ ψ1 ∨ · · · ∨ ψn Mathematische Logik (WS 2016/17) • V i=1,...,n Aussagenlogik (Zusammenfassung) ψi :≡ ψ1 ∧ · · · ∧ ψn 23 / 45 Normalformen: Disjunktive und konjunktive Normalformen Eine Boolesche Formel ϕ ist in disjunktiver Normalform (DNF), wenn ϕ die endliche Disjunktion von ∧-Klauseln ist: ϕ ≡ κ1 ∨ · · · ∨ κm (m ≥ 1). Eine Boolesche Formel ϕ ist in konjunktiver Normalform (KNF), wenn ϕ die endliche Konjunktion von ∨-Klauseln ist: ϕ ≡ δ1 ∧ · · · ∧ δm (m ≥ 1). Disjunktive Normalform: ϕ ≡ W Konjunktive Normalform: ϕ ≡ Mathematische Logik (WS 2016/17) i=1,...,m V κi ≡ W ≡ V i=1,...,m δi i=1,...,m V i=1,...,m Aussagenlogik (Zusammenfassung) j=1,...,ni W j=1,...,ni λi,j λi,j 24 / 45 Darstellungssatz DARSTELLUNGSSATZ. Zu jeder n-stelligen Booleschen Funktion f kann man effektiv eine Boolesche Formel ϕ in disjunktiver Normalform angeben, sodass V (ϕ) = {A0 , . . . , An−1 } und ϕ die Funktion f darstellt (d.h. fϕ = f gilt). ZUR ERINNERUNG: fϕ (B(A0 ), . . . , B(An−1 )) = B(ϕ) Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 25 / 45 Beweis des Darstellungssatzes: Algorithmus zur Definition von ϕ Die Formel ϕ ist wie folgt definiert: Für jede Eingabekombination ~x = (x0 , . . . , xn−1 ) ∈ {0, 1}n definiere die ∧-Klausel κ~x :≡ λ(0,x0 ) ∧ · · · ∧ λ(n−1,xn−1 ) wobei λ(i,0) ≡ ¬Ai und λ(i,1) ≡ Ai (i = 0, . . . , n − 1). Setze ϕ :≡ W {~ x ∈{0,1}n :f (~ x )=1} κ~x Die so definierte Formel ϕ bezeichnen wir auch mit ϕf . Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 26 / 45 Beispiel: Die EXOR-Funktion ist durch folgende Wertetabelle bestimmt, wobei wir in der letzten Spalte noch die zu den entsprechenden Eingaben (x0 , x1 ) gehörenden ∧-Klauseln angeben: x0 x1 EXOR(x0 , x1 ) zugehörige ∧-Klausel 0 0 0 ¬A0 ∧ ¬A1 0 1 1 ¬A0 ∧ A1 1 0 1 A0 ∧ ¬A1 1 1 0 A0 ∧ A1 Die EXOR-Funktion wird also von der Formel ϕEXOR ≡ (¬A0 ∧ A1 ) ∨ (A0 ∧ ¬A1 ) (in DNF) dargestellt. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 27 / 45 Folgerung aus dem Darstellungssatz: Basissatz Unter einer Basis der Booleschen Funktionen verstehen wir eine Menge {f1 , . . . , fk } von Booleschen Funktionen, sodass sich jede Boolesche Funktion f explizit über den Funktionen f1 , . . . , fk definieren lässt. 1. BASISSATZ. Die Booleschen Funktionen {¬, ∨, ∧} bilden eine Basis der Booleschen Funktionen. Hieraus erhält man leicht: 2. BASISSATZ. Folgende Mengen sind Basen der Booleschen Funktionen: (i) {¬, ∨} (ii) {¬, ∧} (iii) {NOR} (iv) {NAND} Bedeutung von Basen: Wählt man Junktoren, die eine Basis bilden, so lassen sich hierüber alle anderen Junktoren definieren. Die zugehörige Aussagenlogik ist daher “universell”. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 28 / 45 Normalformsätze Eine weitere direkte Folgerung aus dem Darstellungssatz ist: NORMALFORMSATZ (DNF). Zu jeder al. Formel ϕ kann man effektiv eine äquivalente Formel ϕDNF in disjunktiver Normalform angeben, sodass V (ϕ) = V (ϕDNF ) gilt. Algorithmus: Schritt 1: Gebe die Wertetabelle der Booleschen Funktion fϕ an. Schritt 2: Wende hierauf den Algorithumus des Darstellungssatzes (DNF) an. Analog erhält man aus einem entsprechenden Darstellungssatz (KNF): NORMALFORMSATZ (KNF). Zu jeder al. Formel ϕ kann man effektiv eine äquivalente Formel ϕKNF in konjunktiver Normalform angeben, sodass V (ϕ) = V (ϕKNF ) gilt. Wie sieht hier der Algorithmus aus? (Selbst! Vgl. nächste Folie.) Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 29 / 45 Darstellungssatz (KNF): Algorithmus (Beispiel) Die EXOR-Funktion ist durch folgende Wertetabelle bestimmt: x0 x1 EXOR(x0 , x1 ) zugehörige ∨-Klausel δ(x0 ,x1 ) 0 0 0 A0 ∨ A1 1 A0 ∨ ¬A1 0 1 1 0 1 ¬A0 ∨ A1 1 1 0 ¬A0 ∨ ¬A1 Sie wird also von der KNF-Formel ϕEXOR ≡ (A0 ∨ A1 ) ∧ (¬A0 ∨ ¬A1 ) dargestellt. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 30 / 45 Komplexität in der Aussagenlogik Für eine al. Formel ϕ und eine gegebene Belegung B der Variablenmenge V (ϕ) lässt sich in Quadratzeit entscheiden, ob B die Formel ϕ wahrmacht. Da die Anzahl der Belegungen von V (ϕ) exponentiell in |V (ϕ)| und daher i.a. exponentiell in der Länge von ϕ ist, erfordern die naiven Verfahren zur Überprüfung der Erfüllbarkeit bzw. Allgemeingültigkeit von ϕ Exponentialzeit. Die Frage, ob das Erfüllbarkeitsproblem für beliebige Formeln (oder äquivalent hierzu - für Formeln in KNF) in Polynomialzeit lösbar ist, gehört zu den interessantesten offenen Problemen der Mathematik. Diese Frage ist äquivalent zu dem sog. P-NP-Problem, das viele als das bedeutendste offene Problem der Theoretischen Informatik ansehen und das zu den Millenniumsproblemen der Mathematik gehört. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 31 / 45 Teil 2: Ein adäquater Kalkül der Aussagenlogik Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 32 / 45 Überblick Kalküle der Aussagenlogik Beweise und Beweisbarkeit Korrektheit und Vollständigkeit Ein adäquater Kalkül der AL Wie weist man die Korrektheit nach? Idee für den Vollständigkeitsbeweis Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 33 / 45 Kalküle (der AL) Ein Kalkül K der AL wird durch folgende Komponenten bestimmt: 1 die Sprache von K: Sprache der AL für vollständigen Satz von Junktoren (hier ¬ und ∨)festgelegt ist 2 die Menge der Axiome von K, wobei diese eine entscheidbare Teilmenge der Menge der Formeln ist 3 die Menge der Regeln von K, wobei diese Menge entscheidbar ist und jede Regel R die Gestalt ϕ1 , . . . , ϕn (R) —————— ϕ hat, wobei n ≥ 1 und ϕ1 , . . . , ϕn , ϕ Formeln sind. ϕ1 , . . . , ϕn sind die Prämissen, ϕ die Konklusion von R. I.A. verlangt man, dass Axiome und Regeln nicht nur entscheidbar sondern an deren Form erkennbar sind, Kalküle also syntaktische Konzepte sind. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 34 / 45 Kalküle: Beweise und Beweisbarkeit aus T DEFINITION. Sei K ein Kalkül und T eine Menge von (K-) Formeln. Ein (K-) Beweis der (K-) Formel ϕ aus T ist eine endliche Folge ψ1 , . . . , ψn von (K-) Formeln, sodass folgendes gilt: ϕ ≡ ψn Jede Formel ψm (1 ≤ m ≤ n) ist I I I ein (K-) Axiom oder eine Formel aus der Formelmenge T oder die Konklusion einer (K-) Regel R, deren Prämisse(n) in {ψ1 , . . . , ψm−1 } liegen. n ist die Länge des Beweises ψ1 , . . . , ψn . DEFINITION. Eine (K-) Formel ϕ is (K-) beweisbar aus T , wenn es einen (K-) Beweis von ϕ aus T gibt. NB: Jede Formel ϕ ∈ T ist ein (K-) Beweis (der Länge 1) aus T und damit (K-) beweisbar aus T . Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 35 / 45 Beweise und Beweisbarkeit: Schreibweisen T `K ϕ :⇔ `K ϕ :⇔ ϕ is K-beweisbar aus T ∅ `K ϕ ⇔ ϕ is K-beweisbar Ist K aus dem Kontext bekannt, so schreiben wir ` statt `K . Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 36 / 45 Einfache Eigenschaften der Beweisbarkeit MONOTONIELEMMA FÜR `. Falls T ⊆ T 0 und T ` ϕ, so gilt auch T 0 ` ϕ. TRANSITIVITÄTSLEMMA FÜR `. Gelte T ` ϕ und gelte weiter T 0 ` ψ für alle ψ ∈ T . Dann gilt T 0 ` ϕ. NB: Man beachte, dass die entsprechenden Aussagen auch für den semantischen Folgerungsbegriff gelten! ENDLICHKEITSSATZ FÜR `. Falls T ` ϕ gilt, so gibt es eine endliche Teilmenge T0 von T mit T0 ` ϕ. Beweisidee! Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 37 / 45 Korrektheit und Vollständigkeit: Definitionen DEFINITION. Sei K ein Kalkül der Aussagenlogik. K ist korrekt (bzgl. Folgerungen), falls jede aus einer Formelmenge T K-beweisbare Formel ϕ aus T (semantisch) folgt, also T `K ϕ ⇒ T ϕ für alle K-Formelmengen T und alle K-Formeln ϕ gilt. K ist vollständig (bzgl. Folgerungen), falls jede aus einer Formelmenge T folgende Formel ϕ aus T K-beweisbar ist, also T ϕ ⇒ T `K ϕ für alle K-Formelmengen T und alle K-Formeln ϕ gilt. K ist adäquat, wenn K korrekt und vollständig ist, also stets T ϕ ⇔ T `K ϕ gilt. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 38 / 45 Nachweis der Korrektheit eines Kalküls Um zu zeigen, dass ein Kalkül K der Aussagenlogik korrekt (bzgl. Folgerungen) ist, genügt es zu zeigen, dass die Axiome allgemeingültig sind und die Regeln korrekt bzgl. Folgerungen sind. Hierbei heißt eine Regel (R) ϕ1 , . . . , ϕn ϕ korrekt (bzgl. Folgerungen), wenn ϕ1 , . . . , ϕn ϕ gilt. Dies ist die Aussage des Korrektheitslemma. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 39 / 45 Ein adäquater Kalkül: der Shoenfield-Kalkül S der Aussagenlogik In der Vorlesung wurde der Schoenfield-Kalkül der AL vorgestellt und gezeigt, dass dieser adäquat (also korrekt und vollständig ist) Die Korrektheit konnte man leicht mit Hilfe des Korrektheitslemmas zeigen. Der Nachweis der Vollständigkeit ist weit aufwändiger. Im Folgenden werden die wesentlichen Schritte nochmals zusammengefasst. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 40 / 45 Vollständigkeit von S: zulässige Regeln (Schritt 1) DEFINITION. Eine Regel (R) ϕ1 , . . . , ϕn ϕ ist zulässig in dem Kalkül K (oder ableitbar in K), falls ϕ1 , . . . , ϕ n ` K ϕ gilt. Eine Formel ϕ ist ein zulässiges Axiom von K (oder ein ableitbares Axiom von K), falls `K ϕ gilt. Nach dem Satz über zulässige Erweiterungen, verändert die Hinzunahme von zulässigen Axiomen/Regeln die Beweisbarkeit nicht, vereinfacht aber Beweise im Kalkül. Dies wurde im 1. Beweisschritt ausgenutzt, indem S entsprechend erweitert wurde. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 41 / 45 Vollständigkeit von S: Schritt 2 Im nächsten Schritt wurde gezeigt: TAUTOLOGIESATZ: ϕ ⇒`ϕ VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ FÜR ENDLICHES T . Für endliches T gilt: T ϕ ⇒ T `ϕ Als erster weiterer Schritt für den Beweis für unendliches T wurde weiter gezeigt: DEDUKTIONSTHEOREM: T ` ϕ → ψ ⇔ T ∪ {ϕ} ` ψ Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 42 / 45 Vollständigkeit von S: Konsistente und vollständige Formelmengen DEFINITION. Eine Formelmenge T ist konsistent, falls es eine Formel ϕ gibt, mit T 6` ϕ. NB: Wie wir gesehen haben, ist eine Formelmenge T genau dann erfüllbar, wenn es eine Formel ϕ mit T 6 ϕ gibt. Konsistenz ist daher das syntaktische Gegenstück zur Erfüllbarkeit. DEFINITION. Eine Formelmenge T ist vollständig, falls für jede Formel ϕ gilt: T ` ϕ oder T ` ¬ϕ. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 43 / 45 Vollständigkeit von S: Erfüllbarkeitslemma und Vollständigkeitssatz ERFÜLLBARKEITSLEMMA (EL). Jede konsistente Formelmenge T ist erfüllbar. Das Erfüllbarkeitslemma impliziert den Vollständigkeitssatz: VOLLSTÄNDIGKEITSSATZ (VS). T ϕ ⇒ T ` ϕ. Beweis des Vollständigkeitssatzes mit Hilfe von EL: ⇒ ⇒ ⇒ T ϕ Annahme nicht erfb[T ∪ {¬ϕ}] LFE T ∪ {¬ϕ} inkonsistent EL (Kontraposition) T `ϕ LBK Um den Beweis des Vollständigkeitssatzes abzuschließen, genügt es also das Erfüllbarkeitslemma zu beweisen! Hierzu hat man dann zunächst gezeigt, dass jede konsistente Formelmenge eine vollständige konsistente Erweiterung besitzt. Zu dieser hat man dann schliesslich eine wahrmachende Belegung definiert. Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 44 / 45 Folgerungen aus dem Adäquatheitssatz: Der Kompaktheitssatz KOMPAKTHEITSSATZ oder ENDLICHKEITSSATZ (für den Folgerungsbegriff). Eine Formel ϕ folgt genau dann aus einer Formelmenge T , wenn es eine endliche Teilmenge T0 von T gibt, aus der ϕ folgt: T ϕ ⇔ Es gibt T0 ⊆ T endlich: T0 ϕ Beweis! KOMPAKTHEITSSATZ oder ENDLICHKEITSSATZ (für den Erfüllbarkeitsbegriff). Eine Formelmenge T ist genau dann erfüllbar, wenn jede endliche Teilmenge T0 von T erfüllbar ist: erfb[T ] ⇔ Für alle T0 ⊆ T endlich: erfb[T0 ] Mathematische Logik (WS 2016/17) Aussagenlogik (Zusammenfassung) 45 / 45