Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät Mathematisches Seminar Examensarbeit für das Erste Staatsexamen im Fach Mathematik für das gymnasiale Lehramt Projektionen von Borel-Mengen - Lebesgues Irrtum Michael Saß betreut von Prof. Dr. Hermann König und PD Dr. Carsten Schütt 7. September 2005 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung Teil 1. Analytische Mengen in polnischen Räumen 2 5 2. Grundlagen metrischer und topologischer Räume 5 2.1. Topologische Räume 5 2.2. Metrische Räume 9 2.3. Borel-Mengen in Topologischen Räumen 16 3. Polnische Räume und Analytische Mengen 18 3.1. Polnische Räume 18 3.2. Analytische Mengen 25 4. Borel-Isomorphismen und Graphen Messbarer Funktionen 31 4.1. Der Satz von Alexandroff-Hausdorff 31 4.2. Borel-Isomorphismen 33 4.3. Graphen Borel-messbarer Funktionen 38 5. Analytische Mengen in überabzählbaren polnischen Räumen 40 Teil 2. Konstruktion des Gegenbeispiels 44 6. Ordnungen und Ordinalzahlen 44 6.1. Ordnungen 44 6.2. Ordinalzahlen 46 6.3. Ränge 49 7. Das Fundamentalbeispiel einer analytischen nicht-Borel Menge 50 7.1. Die Menge der wohl-fundierten Bäume 50 7.2. Die Rangmethode 53 8. Analytische Mengen in den Reellen Zahlen 66 9. Suslins Satz 72 Literatur 74 2 1. Einleitung Im 17. Jahrhundert wurde mit Hilfe der aufkommenden Techniken der Infinitesimalrechnung ein neues mathematisches Instrument eingeführt, mit dem sich Volumina und Flächeninhalte von Körpern messen ließen, welche mit den bisherigen Methoden der Elementargeometrie nur schwer erfassbar waren. Dieses neue Werkzeug - als Integral bezeichnet - wurde zunächst nur als der Differentiation entgegengerichtete Operation aufgefasst; erst später stellte Cauchy das bestimmte Integral als Limes von speziellen Zerlegungssummen dar. Die begrifflich scharfe Formulierung des Integrals wurde endgültig aber erst möglich, als Cantor seine Mengenlehre veröffentlichte. Diese bildete dann endlich den Rahmen, um einen angemessenen Begriff des Volumens einer Teilmenge des Rn aufzustellen. Eines der wesentlichen Probleme, das aus dieser Theorie resultierte, war das der Messbarkeit von Mengen in R. So wurde erst 1905 von Vitali eine nicht messbare Menge konstruiert, die sogenannte Vitali-Menge. Hierbei benutzte er entscheidend das 1904 von Zermelo aufgestellte Auswahlaxiom, welches zu jener Zeit noch sehr umstritten war. Lebesgue etwa deklarierte die Existenz nicht messbarer Mengen noch 1923 als offenes Problem, da er die Verwendung des Auswahlaxioms nicht als probates Beweismittel anerkannte. Erst viel später - im Jahre 1970 wurde von Solovay gezeigt, dass nicht messbare Mengen nicht ohne Auswahlaxiom konstruiert werden können. So musste das Auswahlaxiom auch in dem berühmten Paradoxon von Banach und Tarski 1924 verwendet werden. Diese bewiesen, dass es möglich ist, die Einheitskugel im R3 in endlich viele Teilmengen zu zerlegen und die Teilstücke mittels Rotationen und Translationen in zwei disjunkte Vollkugeln mit Radius 1 zusammenzusetzen. Auch diesem Beweis liegt natürlich wieder die Existenz nicht messbarer Mengen zugrunde. Von der Existenz nicht messbarer Mengen ausgehend ergab sich dadurch die Frage, welche Mengen man mittels des von Lebesgue konstruierten Maßes messen kann. Obwohl Lebesgue keine direkte Antwort auf diese Frage fand, konnte er dieses Problem insofern befriedigend lösen, als dass er aus der Potenzmenge eine Auswahl von messbaren Mengen hervornahm. Hierbei handelte es sich um die von Borel eingeführten und später nach ihm benannten BorelMengen, die durch iterierte abzählbare Schnitte und Vereinigungen von offenen Mengen erzeugten Mengen. Trotzdem konnten auch hierdurch dem Begriff der Messbarkeit seine Tücken nicht vollständig genommen werden. Dies beweist folgender Umstand, der gleichzeitig den Ausgangspunkt dieser Arbeit darstellt: Lebesgue untersuchte die Borel-Mengen in [Leb1, S. 191ff] auf deren Permanenzeigenschaften. Er behauptet hierbei “Je vais démontrer que, si E est mesurable B, sa projection l´est aussi.” 1 1 Ich werde zeigen, dass - falls E [als Teilmenge des Rn ] B messbar [d.h. Borel-messbar] ist - seine [orthogonale] Projektion es auch ist. 3 Auf den ersten Blick ist diese Behauptung glaubhaft, da sich die Projektion als besonders ”natürliche” Operation darstellt. In Lebesgues Beweis versucht dieser, die Mengen, deren Bild unter der Projektion π : Rn × Rk → Rn , (x, y) 7→ x eine Borel-Menge ist, als eine die offenen Mengen enthaltende σ-Algebra zu identifizieren. Einerseits ist π offen als Abbildung und erfüllt (wie jede andere Funktion auch) für beliebige Teilmengen An , n ∈ N, des Rn × Rk die Gleichheit [ [ π(An ) = π( An ). n∈N n∈N Rn Da man abgeschlossene Mengen im als abzählbare Vereinigung kompakter Mengen darstellen kann und kompakte Mengen von stetigen Funktionen auf kompakte Mengen abgebildet werden, ist weiterhin das Bild einer abgeschlossenen Menge zumindest eine Fσ Menge, somit ebenfalls Borel. Probleme ergeben sich nun jedoch bei abzählbaren Schnitten. Lebesgue gibt in seiner Arbeit zwar an, dass allgemein nicht ! \ \ π(An ) = π An n∈N n∈N gelten muss, dies jedoch für eine fallende Folge von Mengen wahr wäre. Diese Behauptung ist schon im R2 falsch (man betrachte etwa An := {0}×]0, n1 [ , n ∈ N), dies wurde jedoch erst zwölf Jahre nach der Veröffentlichung bemerkt. Erst Suslin - ein Schüler des russischen Mathematikers Lusin - fand diesen Fehler im Beweis von Lebesgue und konnte schließlich auch ein Gegenbeispiel zu obiger Behauptung konstruieren. Er definierte hierzu den Begriff der analytischen Menge - das stetige Bild eines vollständigen separablen metrischen Raums. Letztere wurden von Bourbaki polnische Räume genannt, zu Ehren der polnischen Topologen. Die analytischen Mengen und die Borel-Mengen in polnischen Räumen stehen dadurch in Verbindung, dass eine Menge genau dann eine Borel-Menge ist, falls sowohl sie selbst, als auch ihr Komplement analytisch sind. Die Arbeiten von Suslin nahm sein Lehrer Lusin wieder auf und schrieb 1930 ein Buch (s. [Lusi]) über analytische Mengen. Lebesgue selbst schrieb in einem Vorwort zu diesem, dass “(...) l’origine de tous les problèmes dont il va s’agir ici est une grossière erreur de mon Mémoire.... Fructeuse erreur, que je fus bien inspiré de la commettre!” 2 Innerhalb dieser Arbeit werden wir ein konkretes Gegenbeispiel zu der oben zitierten Behauptung konstruieren. Wir werden jedoch zuvor - angelehnt an das Werk von Suslin - im ersten 2(...) die Herkunft all dieser Probleme - von denen dieses hier handeln wird - ist ein grober Fehler in meinem Lebenswerk.... Ein fruchtbarer Fehler, den ich gerne geneigt bin zuzugeben. 4 Teil dieses Textes zeigen, dass die analytischen Mengen eine echte Obermenge der BorelMengen in polnischen Räumen darstellen. Polnische Räume stellen hierbei eine sehr geeignete Abstraktionsebene dar. Eine der Stärken dieses Begriffs wird sich so zum Beispiel im BorelIsomorphismuslemma (s. Theorem 4.12) zeigen. So haben (bis auf geeignete Isomorphie) alle polnischen Räume derselben Mächtigkeit die gleiche Gestalt. Der erste Teil stellt im Grunde genommen einen vollständigen Beweis dar, dass Lebesgues Behauptung falsch ist. Insofern hat der zweite Teil nur Erweiterungscharakter, beleuchtet aber gerade die Gestalt der analytischen Mengen genauer. Im zweiten Teil werden wir somit ergänzend - nach einer kurzen Einführung in die Ordinalzahlen - einen polnischen Raum konstruieren, der eine analytische Menge enthält, die keine Borel-Menge ist. Letzteres zu beweisen, wird sich auch als die eigentliche Herausforderung dieses Kapitels herausstellen. Wir werden hierfür die sogenannte Rangmethode verwenden, d.h. wir konstruieren zu einem gegebenen polnischen Raum eine Abbildung in die abzählbaren Ordinalzahlen. Die Rangmethode sagt aus, dass das Bild einer Borel-Menge unter einem Rang stets durch eine abzählbare Ordinalzahl beschränkt ist. Wir werden zeigen, dass dies in unserem Fall nicht zutrifft. Abschließend werden wir in diesem Teil eine Möglichkeit angeben, unser Beispiel in den R2 einzubetten, und erhalten damit ein konkretes Gegenbeispiel zu Lebesgues Behauptung. In seiner Arbeit verwendete Suslin einen Satz, der auch in dieser Arbeit zentral verwendet wird. Hierbei handelt es sich um eine äquivalente Charakterisierung von Borel-Mengen in polnischen Räumen. Wir benötigen von dieser Äquivalenz jedoch nur eine Richtung; der Vollständigkeit halber werden wir die andere im letzten Abschnitt dieser Arbeit behandeln. Abschließend ein Wort zur Notation: Zu einer gegebenen natürlichen Zahl n ∈ N werden wir mit n die Menge der ersten n natürlichen Zahlen bezeichnen. Mit der Redewendung “fast alle” werden wir desweiteren stets “alle bis auf endlich viele” meinen. 5 Teil 1. Analytische Mengen in polnischen Räumen 2. Grundlagen metrischer und topologischer Räume Die wichtigsten Hilfsmittel, die wir in diesem Teil der Arbeit benötigen werden, liefert die elementare (mengentheoretische) Topologie. Neben den gängigsten Definitionen - wie etwa der Vollständigkeit - werden wir auch einige grundlegende Resultate aus der Analysis Grundvorlesung verwenden. Ansonsten werden alle übrigen Werkzeuge innerhalb dieses Textes bereitgestellt und einzeln explizit bewiesen. 2.1. Topologische Räume. Innerhalb dieses Abschnitts werden wir die Produkttopologie eines topolgischen Raums definieren und einige grundlegende Charakterisierungen angeben. Außerdem werden wir einige Hilfssätze beweisen, die wir zwar im Verlauf immer wieder benötigen werden, aber eher Grundlagen Charakter haben. Der Vollständigkeit halber werden wir mit der Definition eines topologischen Raums beginnen. Definition 2.1. (i) Sei X eine Menge, τ ⊆ P ot(X). Wir nennen τ eine Topologie, falls gilt: (i) ∅, X ∈ τ (ii) ∀U, V ∈ τ : U ∩ V ∈ τ S (iii) Für jede Indexmenge I und alle Familien (Ui )i∈I in τ ist i∈I Ui ∈ τ. Ist τ eine Topologie, so nennen wir (X, τ ) einen topologischen Raum und die Elemente von τ die in X offenen Mengen. Wir nennen die Komplemente von τ in X die in X abgeschlossenen Mengen. (ii) Ist (X, τ ) ein topologischer Raum und Y ⊆ X, so definieren wir durch τY := {U ⊆ Y | ∃V ∈ τ : V ∩ Y = U } die Teilraumtopologie von Y bzgl. (X, τ ). (iii) Seien (X, τX ), (Y, τY ) zwei topologische Räume, f : X → Y eine Abbildung. Wir nennen f stetig, falls f −1 (V ) ∈ τX für alle V ∈ τY ist. Bemerkung 2.2. Eine Teilmenge eines topologischen Raums - versehen mit der Teilraumtopologie - ist ein topologischer Raum. Lemma 2.3. Sind (X, τX ), (Y, τY ) topologische Räume, Z ⊆ Y und f : Abbildung mit f (X) ⊆ Z. X → Y eine Es ist f stetig gdw. f als Abbildung zwischen X und Z stetig ist. Beweis. "⇒": Sei V offen in τZ . Dann existiert ein U ⊆ Y mit Z ∩ U = V . Weiterhin gilt: f −1 (V ) = f −1 (Z ∩ U ) = f −1 (U ) ∈ τX . 6 Damit ist f bzgl. τZ stetig. "⇐: Sei U ∈ τX . Dann ist U ∩ Z ∈ τZ , somit f −1 (U ) = f −1 (U ∩ Z) ∈ τX . Um mit der Topologie eines topologischen Raumes besser arbeiten zu können, verwenden wir einen Basisbegriff, der die Topologie vollständig charakterisiert. Definition 2.4. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum. Eine Basis von X ist eine Menge B ⊆ τ , so dass für alle U ∈ τ gilt: ∀x ∈ U ∃V ∈ B : x ∈ V ⊆ U. Häufig werden auf derselben Menge zwei Topologien vorliegen. Um diese miteinander vergleichen zu können, bedienen wir uns des folgenden Beweisverfahrens: Bemerkung 2.5. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, B eine Basis von τ und τ 0 eine weitere Topologie auf X mit B ⊆ τ 0 . Existiert für alle x ∈ X und jede Umgebung V ∈ τ 0 von x ein U ∈ B mit x ∈ U ⊆ V , dann ist τ ⊇ τ 0 , d.h. jede bzgl. τ 0 offene Menge ist auch offen bzgl. τ . Anders gesagt: Enthält eine Basis von τ eine Basis von τ 0 , so ist τ ⊇ τ 0 . Eine wichtige Rolle werden im Verlauf der Arbeit abzählbare Produkte metrischer Räume spielen. Diese lassen sich auf natürliche Weise mit einer Topologie ausstatten. Das besondere hierbei ist, dass sich diese Topologie stets metrisieren lässt, d.h. es existiert eine Metrik, deren erzeugte Topologie gleich der vorliegenden ist. Wir werden deshalb zunächst unser Augenmerk auf Produkte topologischer Räume richten. Definition 2.6. Sei I eine Menge, (Xi , τi ) für alle i ∈ I topologische Räume. Dann heißt Y [ Xi := {x : I → Xi | ∀i ∈ I : x(i) ∈ Xi } i∈I i∈I die Produktmenge der Mengen Xi . Wir bezeichnen mit Y πi : Xi → Xi , x 7→ x(i) i∈I die natürlichen Projektionen. Die Produkttopologie ist die von den Mengen {πi−1 (Oi ) | i ∈ I, Oi ∈ τi } erzeugte Topologie. 7 Diese Definition ist insofern zweckmäßig, als dass hierdurch gewährleistet ist, dass sämtliche Koordinatenprojektionen stetig sind. Lemma 2.7. Es seien (Xi , τi ) für alle i ∈ I topologische Räume. Dann sind die Projektionen πi stetig. Beweis. Sei j ∈ I, Oj ∈ τj . Dann ist πj−1 (Oj ) ∈ {πi−1 (Oi ) | i ∈ I, Oi ∈ τi }, somit πj stetig. Wir werden nun eine Basis für eine Produkttopologie angeben, mit der wir im Folgenden arbeiten werden. Lemma 2.8. Es seien (Xi , τi ) für alle i ∈ I topologische Räume. Es sei τ die Menge aller Mengen, die durch beliebige Vereinigungen von Mengen Y Y Ui = {x ∈ Xi | ∀i ∈ I : x(i) ∈ Ui } i∈I i∈I mit folgender Eigenschaft erzeugt wird: Für alle i ∈ I ist Ui offen und für fast alle gilt Ui = Xi . Dann ist τ gleich der Produkttopologie. Beweis. Wir zeigen zunächst, dass τ eine Topologie ist. Q Es ist ∅, Xi ∈ τ . Da außerdem beliebige Vereinigungen von Elementen von τ wieder in i∈I τ sind, genügt es zu zeigen, dass endliche Schnitte von Mengen aus τ wieder in τ liegen. Seien also U, V ∈ τ . Dann gibt es Mengen J, K und Uij ∈ τi für alle i ∈ I und j ∈ J mit S Q k S Q j Ui . Ui . Ebenso existieren Vik ∈ τi für alle i ∈ I und k ∈ K mit V = U = j∈J i∈I Außerdem gelte für jedes j ∈ J, dass fast alle für alle k ∈ K. Uij = Xj seien, analog seien fast k∈K i∈I alle Vik = Xi Dann gilt: U ∩V = ( [Y Uij ) ∩ ( j∈J i∈I = [ = Vij ) k∈K i∈I Y Y ( Uij ∩ Vik ) j∈J,k∈K i∈I [ [ Y i∈I Y j (Ui ∩ Vik ). j∈J,k∈K i∈I Da für jedes j ∈ J und k ∈ K gilt, dass Uij ∩Vik ∈ τi für alle i ∈ I und außerdem Uij ∩Vik = Xi für fast alle i ∈ I, ist U ∩ V ∈ τ . Somit ist τ eine Topologie. Für jedes j ∈ I, Oj ∈ τj ist offensichtlich πj−1 (Oj ) ∈ τ , somit ist die Produkttopologie in τ enthalten. Seien Oi ∈ τi für alle i ∈ I, so dass Oi = Xi für fast alle i ∈ I ist. Sei n ∈ N, 8 j1 , . . . , jn ∈ I, so dass Ojk 6= Xjk für alle k ∈ N≤n und Oi = Xi für alle i ∈ I mit i 6= jk , k ∈ N≤n . Dann ist Y \ Oi . πj−1 (Ojk ) = k k∈N≤n i∈I Somit ist τ gleich der Produkttopologie. Abschließend für diesen einleitenden Paragraphen kommen nun noch einige Resultate, die in dieser Arbeit immer wieder verwendet werden und deshalb an dieser Stelle schon eingeführt werden. Definition 2.9. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, x ∈ X. Eine Menge N von offenen Mengen heißt Nachbarschaftsbasis von x, falls für jede Umgebung V von x ein N ∈ N existiert mit x∈N ⊆V. Q Lemma 2.10. Seien (Xi , di ), i ∈ N, metrische Räume, x ∈ X := Xi . Dann ist i∈N {N (x, δ, n) := {y ∈ X | di (xi , yi ) < δ : i ∈ N≤n } | δ > 0, n ∈ N} eine Nachbarschaftsbasis von x. Beweis. Seien j1 , . . . , jn ∈ N, Ui ⊆ Xi offen mit Ui = Xi falls i 6= jk , i ∈ N. O.B.d.A. gelte j1 < . . . < jn . Wähle δjk > 0 für alle k ∈ n so, dass KXjk (xjk , δjk ) ⊆ Ujk ist. Setze δ := min{δjk : k ∈ n}. Dann ist KXi (xi , δ) ⊆ Ui für alle i ∈ jn . Somit gilt: Y N (x, δ, jn ) ⊆ Ui . i∈N Lemma 2.11. Eine kompakte Teilmenge eines topologischen Hausdorff-Raums ist abgeschlossen. Beweis. Sei (X, τX ) ein topologischer Hausdorff-Raum, A ⊆ X kompakt. Sei x ∈ X \ A. Wir wählen für jedes a ∈ A Umgebungen Ua , Va ∈ τX mit x ∈ Ua , a ∈ Va und Ua ∩ Va = ∅. Dann S ist {Vy | y ∈ A} eine Überdeckung von A und es gibt y1 , . . . , yn mit i≤n Vyi ⊇ A. Dann ist U := Uy1 ∩ . . . ∩ Uyn offen, es ist x ∈ U und U ⊆ X \ A. Damit ist X \ A offen, also A abgeschlossen. Lemma 2.12. Eine abgeschlossene Teilmenge eines kompakten Raums ist kompakt. Beweis. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, A ⊆ X abgeschlossen, {Ui | i ∈ I} eine offene Überdeckung von A. Dann existiert ein in X offenes Vi für jedes i ∈ I mit Vi ∩ A = Ui nach Definition der Teilraumtopologie. 9 Damit ist {Vi | i ∈ I} ∪ {X \ A} eine offene Überdeckung von X, somit existiert eine endliche Menge I0 ⊆ I, so dass {Vi | i ∈ I0 } ∪ {X \ A} eine offene Überdeckung von X ist. Damit ist {Ui | i ∈ I0 } eine endliche offene Überdeckung von A. Da somit jede Überdeckung von A eine endliche Teilüberdeckung besitzt, ist A kompakt. Lemma 2.13. Sei (X, τX ) kompakter topologischer Raum, (Y, τY ) Hausdorff und f : X → Y stetig und injektiv. Dann ist f −1 : f (X) → X stetig. Beweis. Sei V ⊆ X abgeschlossen. Dann ist V kompakt, somit f (V ) ebenfalls kompakt. Da Y Hausdorff ist, ist somit f (V ) abgeschlossen und damit f −1 stetig. 2.2. Metrische Räume. In diesem Abschnitt werden wir nun zunächst auf die Metrisierbarkeit abzählbarer Produkte metrischer Räume eingehen. Wir werden zeigen, dass für jede Q abzählbare Indexmenge I und Familie metrischer Räume (Mi , di )i∈I das Produkt Mi mei∈I trisierbar ist. Wir werden zeigen, dass die durch diese Metrik erzeugte Topologie der Produkttopologie entspricht. Lemma 2.14. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann ist B := {KX (x, r) | x ∈ X, r > 0} eine Basis der Topologie und Bx := {KX (x, r) | r > 0} eine Nachbarschaftsbasis von x für jedes x ∈ X. Beweis. Die Basiseigenschaft von B ist direkt über die Definition der offenen Mengen in einem metrischen Raum klar. Für festes x ∈ X erhält man den zweiten Teil der Behauptung direkt aus der Umgebungsdefinition. Definition 2.15. Ist (X, τ ) ein topologischer metrisierbarer Raum, so heißt eine Metrik d auf X kompatibel zu τ , falls die von d erzeugte Topologie gleich τ ist. In diesem Fall sagen wir, dass (X, τ ) sich (mit Metrik d) metrisieren lässt. Man beachte, dass sich ein metrisierbarer topologischer Raum stets durch unendlich viele Metriken metrisieren lässt (für eine Metrik d und c > 0 ist c · d ebenfalls eine Metrik). Da wir die Metrik auf einem abzählbaren Produkt metrischer Räume über eine Reihe definieren werden, müssen wir darauf achten, dass die Metriken keine zu großen Werte annehmen. Wie wir im folgenden kleinen Resultat zeigen werden, können wir eine Metrik stets durch eine die gleiche Topologie erzeugende - durch 1 beschränkte Metrik ersetzen. Lemma 2.16. Sei (M, d) ein metrischer Raum. Dann definiert d0 := mit der von d erzeugten Topologie kompatibel ist. Weiterhin ist M genau dann bzgl. d vollständig, wenn M es bzgl. d0 ist. d 1+d eine Metrik, die 10 Beweis. (i) Es ist d0 ≤ d, somit ist jede bzgl. d offene Menge offen bzgl. d0 . Sei also U offen bzgl. d0 , x ∈ U . Dann existiert ein r > 0 mit K(X,d0 ) (x, r) ⊆ U . Ist r ≥ 1, so ist K(X,d0 ) (x, r) = X, somit K(X,d) (x, 1) ⊆ U . Sei also o.B.d.A. r < 1. r Setze r0 := 1−r > 0. Sei y ∈ K(X,d) (x, r0 ). Dann ist d(x, y) < ist d(x, y) < r + d(x, y) · r und damit d0 (x, y) = r 1−r , d.h. d(x, y)(1 − r) < r. Also d(x, y) < r. 1 + d(x, y) (ii) Wir zeigen, dass die Menge der Cauchy-Folgen für beide Metriken dieselbe ist. Da eine Folge nach (i) genau dann bzgl. d konvergiert, wenn sie bzgl. d0 konvergiert, sind wir damit fertig. Sei (xn )n∈N eine Folge in (M, d), ε > 0. Ist d(xn , xm ) < ε, dann ist d0 (xn , xm ) < ε. Sei also (xn )n∈N Cauchy-Folge bzgl. d0 . Wähle n0 ∈ N, so dass für alle m, n ∈ N≥n0 gilt: ε d0 (xn , xm ) < 1+ε . Seien m, n ∈ N≥n0 . Dann ist d(xn , xm ) ε ε < also d(xn , xm ) < (1 + d(xn , xm )) 1 + d(xn , xm ) 1+ε 1+ε Damit gilt ε ε ε (1 − )d(xn , xm ) < also d(xn , xm ) < 1+εε = ε. 1+ε 1+ε 1 − 1+ε Somit ist (xn )n∈N genau dann eine Cauchy-Folge bzgl. d, wenn sie bzgl. d0 eine Cauchy-Folge ist. Um den zweiten Teil des vorhergehenden Beweises zu würdigen, stellen wir folgenden Sachverhalt fest: Liegen zu einem topologischen Raum zwei kompatible Metriken vor, so kann es durchaus vorkommen, dass der Raum bzgl. der ersten Metrik vollständig ist, bzgl. der anderen dies jedoch nicht. Beispiel 2.17. Sei M :=]0, 1], τ die von der Betragsmetrik auf R induzierte Teilraumtopologie auf M . Dann ist (M, |·|) ein metrischer Raum, n1 n∈N eine nicht-konvergente Cauchy-Folge in (M, |·|). Aber mit 1 1 d : M × M → R, (x, y) 7→ |x − y| + − x y ist eine kompatible Metrik gegeben, bzgl. der (M, d) ein vollständiger metrischer Raum ist. An dieser Stelle verzichten wir auf einen Beweis hierzu. Er wird aber in einer allgemeineren Situation in Lemma 3.10 nachgeholt. 11 Wir werden nun das Hauptresultat dieses Abschnitts - zunächst nur für die Indexmenge I = N - beweisen. Wir lehnen uns hierbei an [Perr, S. 138f] an. Satz 2.18. Es sei (Mi , di )i∈N eine Folge metrischer Räume mit di ≤ 1 für alle i ∈ N. Es sei ∞ ∞ P Q di (xi , yi ) · 2−i . Dann ist (X, d) Mi und d : X × X → R≥0 , ((xi )i∈N , (yi )i∈N ) 7→ X := i=1 i=1 ein metrischer Raum und d mit der Produkttopologie kompatibel. Sind zusätzlich alle (Mi , di )i∈N vollständig, so ist auch X vollständig. Beweis. Wir werden den Beweis in fünf Abschnitte untergliedern. In Teil (i)-(iii) zeigen wir, dass es sich um eine wohldefinierte Metrik handelt. In Teil (iv) zeigen wir die Kompatibilität mit der Produkttopologie. In Teil (v) zeigen wir dann noch, dass - falls (Mi , di ), i ∈ N, alle vollständig sind - X es ebenfalls ist. P (i) Da n∈N 2−n konvergiert, ist d nach Majorantenkriterium wohldefiniert. (ii) Es ist dj (xj , xj ) = 0 für alle (xi )i∈N ∈ X und j ∈ N, also d((xi )i∈N , (xi )i∈N ) = ∞ X di (xi , xi ) · 2−i = 0. i=1 Seien nun (xi )i∈N , (yi )i∈N ∈ X mit d((xi )i∈N , (yi )i∈N ) = 0. Dann ist für alle n ∈ N 0= ∞ X di (xi , yi ) · 2−i ≥ dn (xn , yn ) · 2−n ≥ 0, i=1 somit xn = yn , also (xi )i∈N = (yi )i∈N . (iii) Seien (xi )i∈N , (yi )i∈N , (zi )i∈N ∈ X. Offensichtlich ist d symmetrisch. Außerdem gilt nach dem Umordnungssatz für Reihen: d((xi )i∈N , (zi )i∈N ) = ∞ X di (xi , zi ) · 2−i i=1 ≤ = ∞ X i=1 ∞ X i=1 (di (xi , yi ) + di (yi , zi ))2−i di (xi , yi ) · 2−i + ∞ X di (yi , zi ) · 2−i i=1 = d((xi )i∈N , (yi )i∈N ) + d((yi )i∈N , (zi )i∈N ). Somit ist d Metrik. (iv) Es bleibt zu zeigen, dass die durch die Metrik erzeugte Topologie mit der Produkttopologie übereinstimmt. 12 Sei x = (xn )n∈N ∈ X. Dann besteht eine Nachbarschaftsbasis nach Lemma 2.10 aus Mengen der Form δ > 0, m ∈ N. N (x, δ, m) = {y ∈ X | dj (xj , yj ) < δ, j ∈ m }, Sei also ε > 0, n0 ∈ N so, dass 2−n0 < ε 2 ist. Dann ist n0 P j=1 2−j · 2ε < ε 2 und ∞ P j=n0 +1 2−j = 2−n0 < 2ε . Damit erhalten wir für alle y ∈ N (x, ε/2, n0 ) X d(x, y) = dk (xk , yk ) · 2−k ≤ < k∈N n0 X k=1 n0 X k=1 −k dk (xk , yk )2 ∞ X + 2−k k=n0 +1 ε −k ε · 2 + < ε. 2 2 Somit ist N (x, 2ε , n) ⊆ KX (x, ε) und damit jede bzgl. d offene Menge auch offen bzgl. der Produkttopologie. Sei andererseits U ∈ τ , x ∈ U , 1 > δ > 0. Dann existiert n ∈ N mit N (x, δ, n) ⊆ U . Sei y ∈ KX (x, γ), γ := 2−n−1 δ. Dann ist n X dj (xj , yj ) · 2−j ≤ d(x, y) < γ j=1 und somit gilt für alle j ∈ n: 1 dj (xj , yj ) < 2j · γ = 2j · δ · 2−n−1 < δ · 2j−n−1 ≤ δ. 2 Somit ist KX (x, γ) ⊆ N (x, δ, n) und damit jede bzgl. der Produkttopologie offene Menge offen bzgl. d. Also ist d mit der Produkttopologie kompatibel. (v) Seien nun alle (Mi , di ), i ∈ N, vollständig. Sei (xm )m∈N Cauchy-Folge in X. Dann ist −i di (xni , xm ≤ d(xm , xn ) i )·2 für alle i, m, n ∈ N, somit ist (xm n )m∈N Cauchy-Folge in Mn für jedes n ∈ N, also konvergent. ∞ m Setze xn := limm→∞ xn für alle n ∈ N. Wir zeigen, dass dann (xm )m∈N gegen (x∞ n )n∈N konvergiert: Sei ε > 0, wähle n0 ∈ N, so dass 2−n0 < 2ε ist. Wähle für alle m ∈ n0 ein nm ∈ N≥n0 , so dass für alle i ∈ N≥nm ε ∞ di (xm i , xi ) < 2 ist. Setze N := max{nm : m ∈ n0 }. Dann gilt für alle n ∈ N≥N : 13 d(xn , x∞ ) = = ∞ X i=1 n0 X ∞ 2−i di (xm i , xi ) i=1 ≤ n0 X i=1 ∞ X ∞ 2−i di (xm i , xi ) + ∞ 2−i di (xm i , xi ) i=n0 +1 ε 2−i + 2 ∞ X 2−i < i=n0 +1 ε ε + = ε. 2 2 Somit ist (xm )m∈N konvergent und damit X vollständig. Korollar 2.19. Es sei (Mi , di )i∈N eine Folge metrischer Räume. Es sei X := ∞ Q Mi und i=1 d : X × X → R≥0 , ((xi )i∈N , (yi )i∈N ) 7→ ∞ X i=1 di (xi , yi ) −i 2 . 1 + di (xi , yi ) Dann ist (X, d) ein metrischer Raum und d mit der Produkttopologie kompatibel. Sind zusätzlich alle (Mi , di )i∈N vollständig, so ist auch X vollständig. Beweis. Wir können nach Lemma 2.18 o.B.d.A. für jedes i ∈ N eine Metrik d̃i wählen, die die gleiche Topologie erzeugt und durch 1 beschränkt ist. Nach Satz 2.19 folgt damit die Behauptung. Wir werden uns nun noch von der Einschränkung der Indexmenge lösen und stattdessen beliebige zulassen. Dieser Schritt findet in der angegebenen Literatur nicht statt, wird sich bei uns allerdings später als wichtig erweisen. Der Beweis hierzu ist trivial. Proposition 2.20. Sei I eine abzählbare Indexmenge, (Mi , di )i∈I eine Familie metrischer Räume, b : N → I eine Bijektion und Y Y M := Mi und N := Mb(n) . i∈I n∈N Dann sind diese bezüglich ihrer Produkttopologien homöomorph. Beweis. Es sei f : M → N, (f (m))(n) = m(b(n)). Dann ist f bijektiv, stetig und offen. Um nun noch die Metrisierbarkeit einzusehen, bedienen wir uns der Transportmetrik. 14 Lemma 2.21. Sei (M, d) ein metrischer und (X, τ ) ein topologischer Raum. Sei weiterhin f : X → M ein Homöomorphismus. Dann ist dX : X × X → R≥0 , (x, y) 7→ d(f (x), f (y)) eine Metrik auf X, die kompatibel mit τ ist. Außerdem ist f nun sogar isometrisch. Beweis. Offensichtlich ist dX symmetrisch und erfüllt die Dreiecksungleichung. Da f injektiv ist, ist dX außerdem eine Metrik. Wir stellen fest, dass f nach Konstruktion von dX eine Isometrie ist. Wir zeigen nun noch, dass dX kompatibel zu τ ist: Sei x ∈ X, U ∈ τ eine Umgebung von x. Dann ist f (x) ∈ f (U ) und f (U ) offen, also Umgebung von f (x). Das heißt, es existiert ein ε > 0 mit KM (f (x), ε) ⊆ f (U ). Dann ist - da f isometrisch ist KX (x, ε) = f −1 (KM (f (x), ε)) ⊆ U offen. Sei y ∈ X, δ > 0. Dann ist f (KX (y, δ)) = KM (f (y), δ) offen in M und - da f bezüglich τ ein Homöomorphismus ist - ebenfalls KX (y, δ) ∈ τ . Damit ist dX kompatibel zu τ . Zuletzt zeigen wir, dass Vollständigkeit und Separabilität durch einen solchen Homöomorphismus ebenfalls erhalten bleiben. Lemma 2.22. Sei (M, dM ) metrischer Raum, (X, τ ) topologischer Raum und f : M → X ein Homöomorphismus. Es bezeichne dX die durch Lemma 2.21 definierte, zu τ kompatible Metrik von X. Dann gilt: (i) f bildet Cauchy-Folgen genau auf Cauchy-Folgen ab. (ii) X ist vollständig, falls M vollständig ist. (iii) X ist separabel, falls M separabel ist. Beweis. (i) Ist (xn )n∈N eine Folge in M , dann ist dX (f (xn ), f (xm )) = d(xn , xm ) für alle m, n ∈ N und somit (f (xn ))n∈N eine Cauchy-Folge in X genau dann, wenn (xn )n∈N eine Cauchyfolge in M ist. (ii) Sei M vollständig, (yn )n∈N eine Cauchy-Folge in X. Dann ist f −1 (yn ) n∈N nach (i) eine Cauchy-Folge, d.h. es gibt zu gegebenem ε > 0 ein nε ∈ N, so dass dM (f −1 (ym ), f −1 (yn )) < ε für alle m, n ∈ N≥nε ist. Da M vollständig ist, existiert somit der Grenzwert x∞ . Definiere y∞ := f (x∞ ). Dann ist dX (y∞ , yn ) = d(x∞ , f −1 (yn )) < ε 15 für genügend große n. (iii) Sei D ⊆ M dicht und abzählbar. Setze DX := f (D). Dann ist DX abzählbar. Sei x ∈ X, U ∈ τ eine Umgebung von x. Dann existiert ein ε > 0 mit KX (x, ε) ⊆ U . Dann existiert dm ∈ D ∩ KM (f −1 (x), ε) und damit ist f (dm ) ∈ DX ∩ KM (x, ε). Also ist DX dicht in M . Wir werden diesen Abschnitt mit einem letzten Resultat beschließen, das sich ein wenig von den anderen Resultaten abzuheben scheint. Ging es bislang um die Metrisierbarkeit abzählbarer Produkte metrischer Räume, beschäftigen wir uns nun mit Teilmengen vollständiger Räume, die homöomorph zu einem vollständigen Raum sind. Wir werden sehen, dass diese Räume stets abzählbare Schnitte von - bzgl. des vollständigen Oberraums - offener Mengen sind. Wir werden dies später dafür verwenden, homöomorphe Bilder von vollständigen Räumen als Borel-Mengen des Zielraums zu identifizieren. Innerhalb der hier zugrundeliegenden Fassung aus [Dudl, S. 60] wird der Begriff der Vervollständigung gebraucht, auf den ich hier allerdings nicht näher eingehen möchte, da in unserem Kontext ein vollständiger Oberraum bereits gegeben sein wird. Deshalb werden wir uns hier nicht wie üblich mit der Vervollständigung eines metrischen Raumes arbeiten, sondern - auf die Minimalität verzichtend - lediglich mit einem vollständigen Oberraum arbeiten. Definition 2.23. Wir nennen einen metrischen Raum (M, d) topologisch vollständig, falls es eine zur von d erzeugten Topologie kompatible Metrik dv gibt, so dass (M, dv ) vollständig ist. ˆ ein vollständiger Oberraum, d.h. Proposition 2.24. Sei (M, d) ein metrischer Raum, (M̂ , d) M ⊆ M̂ , dˆ |M ×M = d und M = M̂ (wobei der Abschluss in M̂ gebildet wird). Ist (M, d) topologisch vollständig, dann ist M ein abzählbarer Schnitt von in M̂ offenen Mengen. Beweis. Wir bezeichnen mit diamd (A) := sup{d(x, y) : x, y ∈ A} den Durchmesser einer Menge A ⊆ M bezüglich d, wobei diamd (A) = ∞, falls {d(x, y) : x, y ∈ A} unbeschränkt ist. Sei (M, d) topologisch vollständig, dv eine zur von d erzeugten Topologie kompatible Metrik, (M, dv ) vollständig. Wir definieren Un (ε) := {x ∈ M̂ : diamdv (K(M,d) (x, ε)) < und Un := S ε>0 1 }, ε > 0, n ∈ N n ˆ y) < ε , dann ist y ∈ Un ( ε ). Un (ε), n ∈ N. Ist x ∈ Un (ε) und y ∈ M̂ mit d(x, 2 2 Also ist Un für jedes n ∈ N offen in M̂ . Zunächst ist M ⊆ Un für jedes n ∈ N. In der Tat: Ist x ∈ M , n ∈ N, dann ist 1 1 diamdv K(M,dv ) (x, ) < . 3n n 16 1 Da d und dv die gleiche Topologie erzeugen und damit K(M,dv ) (x, 3n ) offen in (M, d) ist, 1 existiert ein ε > 0 mit K(M,d) (x, ε) ⊆ K(M,dv ) (x, 3n ). Damit ist x ∈ Un (ε) und damit M ⊆ Un . T Wir zeigen, dass n∈N Un = M ist. Sei x ∈ Un für alle n ∈ N. Dann existiert xm ∈ M mit d(xm , x) → 0. Da diamdv (K(M,d) (x, ε)) < n1 für jedes n ∈ N und alle ε > 0 mit x ∈ Un (ε) ist, ist (xm )m∈N Cauchy-Folge bezüglich dv . Somit konvergiert (xm )m∈N gegen ein y ∈ M , da M bezüglich dv vollständig ist. Damit ist - da d und dv dieselbe Topologie erzeugen - x = y ∈ M . T Somit ist M = n∈N Un . 2.3. Borel-Mengen in Topologischen Räumen. Zum Ende dieses Kapitels folgt noch ein kleiner Abschnitt über Borel-Mengen und ihre Charakterisierungen. Definition 2.25. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum. (i) Wir nennen E ⊆ P ot(X) eine σ-Algebra, falls gilt: (i) Die leere Menge ist in E. Zu jeder Menge aus E ist auch das Komplement in E. [ (iii) Für jede Folge von Mengen aus E ist An ∈ E. (ii) n∈N (ii) B sei die kleinste σ-Algebra, die die offenen Mengen enthält. Die Elemente von B heißen Borel-Mengen, B nennen wir die Klasse der Borel-Mengen. c T S c Bemerkung 2.26. Nach De-Morgan gilt Xn = Xn für beliebige Mengen Xn , n ∈ N, n∈N n∈N d.h. !c \ Xn = n∈N [ Xnc . n∈N Damit ist eine σ-Algebra abgeschlossen bezüglich abzählbarer Schnitte. Lemma 2.27. In einem metrischen Raum sind die abgeschlossenen Mengen abzählbare Schnitte offener Mengen. Beweis. Sei A ⊆ X abgeschlossen. Setze für alle n ∈ N Un := {y ∈ X | ∃x ∈ A : d(x, y) < Da Un = S x∈A KX (x, n1 ) ist, ist Un für alle n ∈ N offen. Sei x ∈ Folge (yn )n∈N ∈ AN mit d(yn , x) < T also A = Un . n∈N 1 n 1 }. n T Un ⊇ A. Dann existiert eine n∈N für alle n ∈ N. Dann ist lim yn = x, somit ist x ∈ A, n→∞ 17 Lemma 2.28. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, B die Menge der Borel-Mengen. B ist die kleinste Menge von Teilmengen von X, die die offenen Mengen enthält und unter abzählbaren Schnitten und Vereinigungen abgeschlossen ist. Beweis. Sei F die kleinste Menge von Teilmengen von X, die die offenen Mengen enthält und unter abzählbaren Schnitten und Vereinigungen abgeschlossen ist. Nach Bemerkung 2.26 ist F ⊆ B. Sei C := {A ∈ F | Ac ∈ F}. Dann ist C ⊆ F. Seien An ∈ C für alle n ∈ N, dann ist An , Acn ∈ F für alle n ∈ N und es gilt !c [ An ∈ F und n∈N [ n∈N An = \ Acn ∈ F, n∈N da F bzgl. abzählbarer Schnitte und Vereinigungen abgeschlossen ist. Mit Lemma 2.27 sind ebenfalls die abgeschlossenen Mengen in F. Und damit τ ⊆ C. Damit ist C eine σ-Algebra, die die offenen Mengen enthält. Somit ist B ⊆ C, also B = F. Lemma 2.29. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, B ⊆ X eine Borel-Menge. Sei τB die Teilraumtopologie, A ⊆ B Borel-Menge im topologischen Raum (B, τB ). Dann ist A eine Borel-Menge in X. Beweis. Es bezeichne B die Menge der Borel-Mengen von X. Weiterhin sei BB := {C ∈ P ot(B) : ∃CX ∈ B : CX ∩ B = C}. Dann ist BB eine σ-Algebra und es ist τB ⊆ BB nach der Definition der Teilraumtopologie. Damit enthält BB jede Borel-Menge von B. Insbesondere ist also A ∈ BB und damit existiert eine Borel-Menge AX ∈ B mit AX ∩ B = A. Damit ist A eine Borel-Menge in X. 18 3. Polnische Räume und Analytische Mengen Nun werden wir den allgemeinen Kontext der metrischen Räume verlassen und uns einer speziellen Klasse zuwenden. 3.1. Polnische Räume. Definition 3.1. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum. X heißt polnischer Raum, wenn er vollständig metrisierbar, d.h. metrisierbar und bzgl. einer kompatiblen Metrik vollständig, und separabel ist. Gerade die Separabilität ist für uns von besonderer Wichtigkeit. Wir werden im späteren Verlauf sehen, dass wir dadurch eine Begrenzung der Mächtigkeit der Trägermenge erreichen. So werden wir zeigen, dass polnische Räume höchstens überabzählbare Mächtigkeit (also die Mächtigkeit von R) haben. Bemerkung 3.2. Wir werden häufig die obige Definition im Falle von metrischen Räumen verwenden. Hierbei ist somit nur auf Vollständigkeit und Separabilität zu achten. Bevor wir Beispiele für polnische Räume angeben, geben wir eine äquivalente Charakterisierung für die Separabilität an: Lemma 3.3. Sei (X, τ ) ein metrisierbarer topologischer Raum. X besitzt genau dann eine abzählbare Basis der Topologie, wenn er separabel ist. Beweis. ” ⇒ ” : Sei {Ui : i ∈ N} eine Basis von X. Wähle für alle n ∈ N ein un ∈ Un . Dann ist {un : n ∈ N} dicht in X: Sei x ∈ X, U ∈ τ Umgebung von x. Dann existiert ein n ∈ N mit x ∈ Un ⊆ U aufgrund der Basis-Eigenschaft. Da un ∈ Un ⊆ U ist, ist somit x ein Häufungspunkt von {un : n ∈ N}. ” ⇐ ” : Sei {ui : i ∈ N} eine dichte Menge in X. Sei d eine Metrik von X, so dass die durch die Metrik erzeugte Topologie gleich τ ist. Dann ist {K(ui , n1 ) : (i, n) ∈ N × N} eine abzählbare Basis von X: Sei U ∈ τ , x ∈ U . Wähle ε > 0 mit K(x, ε) ⊆ U . Wähle n ∈ N mit n1 < ε. Dann existiert ein uk ∈ K(x, n1 ), da {ui : i ∈ N} dicht in X ist, somit x ∈ K(uk , n1 ) ⊆ U . Hiermit erhalten wir folgende Beispiele polnischer Räume. Beispiel 3.4. (i) Jeder separable Banachraum ist polnisch. Insbesondere ist für jedes n ∈ N der Rn ein polnischer Raum. (ii) Kompakte metrisierbare Räume sind polnisch. (iii) Lokal-kompakte Hausdorff-Räume mit abzählbarer Basis der Topologie sind polnisch. 19 Beweis. (ii) Sei (X, τ ) ein kompakter Raum, d eine zu τ kompatible Metrik auf X. Dann ist (X, d) folgenkompakt und damit vollständig. Da (X, d) präkompakt ist, existiert für jedes ε ∈ Q+ eine endliche offene Überdeckung Uε von X durch ε-Kugeln. Dann ist {U | ∃ε ∈ Q+ : U ∈ Uε } eine abzählbare Basis der Topologie τ . Mit Lemma 3.3 folgt die Separabilität. (iii) S. [Kec1, Theorem 5.3]. Lemma 3.5. Sei (M, d) ein metrischer separabler Raum, ∅ = 6 A ⊆ M. Dann ist A separabel. Beweis. Sei {xn : n ∈ N} ⊆ M dicht in M und a0 ∈ A beliebig. Wir wählen für alle m, n ∈ N 1 ein am,n ∈ A mit d(am,n , xn ) < m , falls es ein solches gibt und am,n := a0 sonst. Dann ist {am,n : m, n ∈ N} abzählbar und dicht in A: Sei x ∈ A, ε > 0. Dann existiert ein n ∈ N mit d(x, xn ) < 1 minimal mit m < 2ε . Dann ist ε 1 ε d(x, xn ) < < < 4 m 2 1 und somit d(am,n , xn ) < m (da x ∈ A), also d(am,n , x) ≤ d(am,n , xn ) + d(xn , x) < ε 4. Wir wählen nun ein m ∈ N 1 ε + < ε. m 2 Folgendes Kriterium gilt in metrischen Räumen. Da polnische Räume metrisierbar sind, gilt es also ebenfalls in ihnen; auf einen Beweis verzichten wir hier (s. [Köni, S.9]). Bemerkung 3.6. Sei (X, τ ) ein polnischer Raum, A ⊆ X. Es sind äquivalent: (i) A ist abgeschlossen. (ii) Für jede in X konvergente Folge, die vollständig in A verläuft, liegt der Grenzwert auch in A. Wir werden nun eine starke Permanenzeigenschaft der polnischen Räume hervorheben. So ist neben dem abzählbaren Produkt polnischer Räume sogar jede offene Teilmenge eines polnischen Raums polnisch. Dies ist insofern überraschend, als dass die Vollständigkeit einer Metrik auf Teilmengen eines vollständigen Raums nur dann vererbt wird, wenn die Teilmenge abgeschlossen ist. Entscheidend ist hierbei natürlich, dass wir uns eine geeignete Metrik konstruieren können. Wir beweisen zunächst ein Hilfsresultat, das folgende Notation verwendet: 20 Definition 3.7. Sei (M, d) ein metrischer Raum, x ∈ M , A ⊆ M abgeschlossen. Den Abstand von x zu A bezeichnen wir mit d(x, A) := inf d(x, y). y∈A Lemma 3.8. Sei (M, d) ein metrischer Raum, A ⊆ M abgeschlossen. Seien x, y ∈ M . Dann ist |d(x, A) − d(y, A)| ≤ d(x, y). Beweis. Es ist d(x, A) = inf d(x, z) ≤ inf d(x, y) + d(y, z) = d(x, y) + d(y, A). z∈A z∈A Damit ist d(x, A) − d(y, A) ≤ d(x, y). Vertauschen von x und y liefert die Behauptung. Lemma 3.9. Sei (M, d) metrischer Raum, A ⊆ M abgeschlossen und (xn )n∈N ∈ (X \ A)N in X \ A konvergente Folge. eine Cauchy-Folge. Dann ist d(xn1 ,A) n∈N Beweis. Sei ε > 0 gegeben. Bezeichnen wir mit x∞ ∈ X \ A den Grenzwert von (xn )n∈N , dann ist δ := d(x∞ , A) > 0, da A abgeschlossen und x∞ kein Berührpunkt von A ist. Dann existiert ein nδ ∈ N mit d(x∞ , xn ) < 2δ für alle n ≥ nδ und insbesondere d(xn , A) ≥ 2δ . Dann ist d(xm , A) − d(xn , A) 1 1 d(xn , A) − d(xm , A) = d(xn , A) · d(xm , A) 4 < |d(xm , A) − d(xn , A)| δ2 4 ≤ d(xm , xn ) < ε δ2 für genügend große m, n ∈ N. Nun können wir damit beginnen, die technische Hauptarbeit zu leisten, um zu zeigen, dass abzählbare Schnitte offener Mengen in polnischen Räumen polnisch sind. Wir fassen dies in folgendem Lemma zusammen. Lemma 3.10. Jeder abzählbare Schnitt von offenen Teilmengen eines polnischen Raums ist vollständig metrisierbar und die Metrik ist kompatibel zur Teilraumtopologie. Beweis. Sei (X, τ ) ein polnischer Raum und d eine vollständige kompatible Metrik. Seien T Un ∈ τ für alle n ∈ N und sei U := Un . Wir bezeichnen die Komplemente mit Vn := X \Un n∈N 21 für alle n ∈ N. Definiere dˆ : U × U → R, (x, y) 7→ d(x, y) + ∞ X n=1 −n min 2 1 1 . , − d(x, Vn ) d(y, Vn ) Wir zeigen zunächst, dass dˆ eine Metrik ist, danach dass sie kompatibel zur Topologie ist. ˆ vollständig ist. Zuletzt zeigen wir, dass (X, d) (i) Zunächst ist dˆ wohldefiniert, da d(x, Vn ) = 0 genau dann gilt, wenn x ∈ Vn = Vn ist. Außerdem ist dˆ eine mit τ kompatible Metrik auf U : ˆ y) = 0 genau dann, wenn x = y. Wir zeigen Offensichtlich ist dˆ symmetrisch und es gilt d(x, noch die Dreiecksungleichung: Seien hierzu x, y, z ∈ U . Dann gilt: X −n ˆ d(x, z) ≤ d(x, z) + min 2 , 1 1 − d(x, Vn ) d(z, Vn ) n∈N X 1 1 1 1 −n ≤ d(x, y) + d(y, z) + min 2 , − + − d(x, Vn ) d(y, Vn ) d(y, Vn ) d(z, Vn ) n∈N ˆ y) + d(y, ˆ z). ≤ d(x, Somit ist dˆ eine Metrik. (ii) Da d ≤ dˆ und damit Kdˆ(x, ε) ⊆ Kd (x, ε) für alle x ∈ U , ε > 0 ist, genügt es, für die Kompabilität zu zeigen, dass zu gegebenem x ∈ U , ε̂ > 0 ein ε > 0 existiert mit K(U,d|U ×U ) (x, ε) ⊆ Kdˆ(x, ε̂). ε̂ 1 - ein ist. Wähle - nach der Stetigkeit von z 7→ d(z,V n) 4 ε̂ 1 d(y,Vn ) ≤ 4n0 für alle y ∈ Kd (x, ε) ist. Sei y ∈ Kd (x, ε). Dann ist X 1 1 −n ˆ d(x, y) = d(x, y) + min 2 , − d(x, Vn ) d(y, Vn ) n∈N X ε̂ ε̂ 1 1 + ≤ ε̂. + − < 2 d(x, Vn ) d(y, Vn ) 4 P Sei n0 ∈ N, so dass n≥n0 1 0 < ε < 2ε̂ , so dass d(x,V − n) 1 2n < n≤n0 Somit ist dˆ ebenfalls eine zur Teilraumtopologie kompatible Metrik. ˆ Da X vollständig und d ≤ dˆ ist, kon(iii) Sei (xn )n∈N eine Cauchy-Folge in U bezüglich d. vergiert somit (xn )n∈N in X bezüglich d und wir können x∞ := lim xn ∈ X definieren. Wir n→∞ zeigen x∞ ∈ U : Nach Lemma 3.9 ist d(xm1,Vn ) für jedes n0 ∈ N eine Cauchy-Folge und konvergiert somit 0 m∈N in R. Daher existiert für jedes n ∈ N ein rn ∈ R und ein ln ∈ N, so dass für alle m ∈ N≥ln gilt: d(xm , Vn ) > rn . Da limm→∞ d(xm , Vn ) = d(x∞ , Vn ) für jedes n ∈ N ist, ist d(x∞ , Vn ) > 0 für 22 alle n ∈ N und somit ist x∞ ∈ U . Also konvergiert (xn )n∈N in U bezüglich d. Da d und dˆ die ˆ Damit ist (U, d) ˆ gleiche Topologie erzeugen, konvergiert die Folge also ebenfalls bezüglich d. vollständig. Hiermit erhalten wir folgendes Theorem, dass in abgewandelter Form in [Kec1, S. 17] zu finden ist: Satz 3.11. (i) Das Produkt einer abzählbaren Familie polnischer Räume ist polnisch. (ii) Jeder abzählbare Schnitt von offenen Teilmengen eines polnischen Raums ist mit der Teilraumtopologie ein polnischer Raum. (iii) Jede Vereinigung offener Teilmengen eines polnischen Raums ist ein polnischer Raum. Beweis. (i) Seien (Xn , τn ), n ∈ N, polnische Räume. Nach Korollar 2.19 ist X := ∞ Q Xi mit i=1 der Produkttopologie vollständig metrisierbar. Es genügt also, die Separabilität zu überprüfen. Sei Dn ⊆ Xn eine dichte Teilmenge für jedes n ∈ N. Dann ist {KXn (x, q) | x ∈ Dn , q ∈ Q} eine Basis der Topologie τn . Wir definieren ( Uin (x, q) = KXi (x, q), falls i ≤ n, Xi , sonst, für jedes q ∈ Q, x ∈ Mi , n, i ∈ N. Dann ist B := { Y Uin (x, q) | n ∈ N, x ∈ Di , q ∈ Q} i∈N abzählbar als abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen. Außerdem sind sämtliche Elemente von B offen in der Produkttopologie. Wir zeigen, dass B eine Basis der Produkttopologie von ∞ Q X := Xi ist. i=1 Sei U offen in X, x ∈ U . Dann existiert ein ε > 0 mit KX (x, ε) ⊆ U , o.B.d.A. ε ∈ Q. Wir wählen nun ein n ∈ N mit n1 < 4ε . Außerdem wählen wir ein y ∈ X mit yi ∈ Di für alle i ≤ n und d(x, y) < 4e . Dann ist V := ∞ Y i=1 ε Uin (yi , ) ∈ B 2 offen in der Produkttopologie und es ist ε 3ε x ∈ KX y, ⊆ V ⊆ KX y, ⊆ KX (x, ε) ⊆ U. 4 4 23 Somit existiert eine abzählbare Basis der Topologie, d.h. nach Lemma 3.3 ist X separabel. (ii) Die vollständige Metrisierbarkeit folgt mit 3.10. Die Separabilität folgt mit Lemma 3.3 und Lemma 3.5. (iii) Eine beliebige Vereinigung offener Mengen ist offen, somit können wir (ii) verwenden. Beispiel 3.12. (i) Mit der diskreten Metrik d ist ({0, 1}, d) ein polnischer Raum. Mit obigem Satz ist damit auch {0, 1}N ein polnischer Raum. P an N (ii) Es bezeichne C := { 3n : (an ) ∈ {0, 2} } die Cantormenge. Die Cantormenge ist mit n∈N der von R induzierten Metrik als Teilmenge eines separablen metrischen Raums separabel. Wir werden im folgenden Lemma nachweisen, dass C abgeschlossen in R ist, d.h. C ist vollständig, also ein polnischer Raum. Lemma 3.13. Die Cantormenge und {0, 1}N sind homöomorph. Insbesondere ist C abgeschlossen in R. Beweis. Wir definieren f : {0, 1}N → C durch f (a) = ∞ P n=1 2an 3n . Offensichtlich ist f surjektiv. Zum Nachweis der Injektivität seien a, b ∈ {0, 1}N mit f (a) = f (b). Gäbe es ein n0 ∈ N o.B.d.A. minimal gewählt - mit an0 6= bn0 , wäre 0 = f (a) − f (b) = ∞ X an − bn n=1 3n ≥ X 1 1 1 2 = n0 − n0 +1 > 0. − 3n0 n>n 3n 3 3 0 Somit ist a = b und f bijektiv. Wir zeigen zuletzt die Stetigkeit von f . Da {0, 1}N nach Tychonov kompakt ist, ist f damit nach Lemma 2.13 ein Homöomorphismus. Sei a ∈ {0, 1}N , ε > 0. Dann existiert ein n0 ∈ N mit 2 3n0 < ε. Setze Y U := {a1 } × . . . × {an0 } × {0, 1}. n>n0 U ist offen in der Produkttopologie. Dann gilt für jedes (bn )n∈N ∈ U , dass bn = an für n ≤ n0 ist. Damit also: X a −b X 1 2 n n |f (a) − f (b)| = = n0 < ε. ≤ n n n>n n>n 3 3 3 0 0 Damit ist f stetig. Da C kompakt ist, ist C abgeschlossen in R. Im Gegensatz dazu erhalten wir das selbe Resultat für abgeschlossene Teilmengen polnischer Räume direkt: 24 Lemma 3.14. Sei (M, d) ein metrischer Raum, A ⊆ M . Dann ist d|A×A eine Metrik auf A, die zu der von d erzeugten Teilraumtopologie auf A kompatibel ist. Insbesondere ist also eine abgeschlossene Teilmenge eines polnischen Raumes ausgestattet mit der Teilraumtopologie ein polnischer Raum. Beweis. Sei (X, τ ) ein polnischer Raum, A ⊆ X abgeschlossen. Sei d eine Metrik auf X, so dass die von d erzeugte Topologie gleich τ ist. Dann ist dA := d|A×A eine Metrik auf A und die Teilraumtopologie stimmt mit der von dA erzeugten überein: Sei x ∈ A, U ∈ τ mit x ∈ U . Dann existiert ein ε > 0 mit KX (x, ε) ⊆ U . Dann ist KA (x, ε) ⊆ U ∩ A, also U ∩ A in der von dA erzeugten Topologie. Ist andererseits V eine bzgl. dA offene Menge, S so existieren εy > 0 für alle y ∈ V mit KA (y, εy ) ⊆ V . Dann ist KX (y, εy ) offen in X und y∈V somit A∩ [ y∈V KX (y, εy ) = [ KA (y, εy ) ⊆ A y∈V offen bzgl. der Teilraumtopologie. Jede abgeschlossene Teilmenge eines vollständigen Raumes ist abgeschlossen. Damit ist A vollständig und nach Lemma 3.5 separabel. Zusammenfassend erhalten wir also das folgende Korollar 3.15. In einem polnischen Raum sind die offenen und abgeschlossenen Menge ausgestattet mit der Teilraumtopologie polnische Räume. Beispiel 3.16. (i) Sowohl N ausgestattet mit der diskreten Metrik ist ein polnischer Raum als auch jede Teilmenge von N. (ii) Der Baire-Raum NN ausgestattet mit der Produkttopologie ist ein polnischer Raum. Ebenfalls sind auch alle offenen und abgeschlossenen Teilmengen von NN polnische Räume. Beweis. (i) N ist abzählbar, also separabel. Somit ist N mit der von R induzierten Metrik ein separabler metrischer Raum, außerdem vollständig, somit polnischer Raum. Da N diskret ist, ist somit nach Korollar 3.15 jede Teilmenge ein polnischer Raum. (ii) Nach Lemma 3.11 ist NN polnischer Raum. Mit Korollar 3.15 sind auch offene und abgeschlossene Teilmengen von NN polnisch. 25 3.2. Analytische Mengen. Wir werden nun analytische Mengen definieren. Wir werden sehen, dass nicht nur jeder polnische Raum eine analytische Menge ist, bzw. sogar dass jede Borel-Menge in einem polnischen Raum analytisch ist. Definition 3.17. Sei (X, τ ) ein polnischer Raum. Eine Menge A ⊆ X heißt analytisch in X, falls es eine stetige, surjektive Funktion f : NN → A gibt oder falls A die leere Menge ist. Des Weiteren heißt A ⊆ X coanalytisch in X, falls X \ A analytisch ist. Eine analytische Menge, die ebenfalls coanalytisch ist, nennen wir bianalytisch. Eines der Hauptresultate dieser Arbeit wird sein, dass die Borel-Mengen genau die Bianalytischen sind. Im Allgemeinen erweist es sich als schwierig zu zeigen, dass eine Menge in einem topologischen Raum keine Borel-Menge ist. Mittels dieser Charakterisierung genügt es nun jedoch von einer Menge zu zeigen, dass sie nicht analytisch oder coanalytisch ist. Wir werden im 2.Teil eine der Möglichkeiten kennenlernen, wie man zeigt, dass eine Menge nicht coanalytisch ist. Zunächst hängen die analytischen Mengen genau wie die Borel-Mengen von dem polnischen Raum X ab. Es gilt jedoch folgendes Lemma: Lemma 3.18. Sei (X, τ ) ein polnischer Raum, U ⊆ X mit der Teilraumtopologie ein polnischer Raum. Sei A ⊆ U analytisch in U . Dann ist A analytisch in X. Beweis. Sei f : NN → U stetig mit Bild f = A. Sei V offen in X. Dann ist V ∩ U offen in U . Nun ist f −1 (V ) = f −1 (V ∩ U ) offen in NN . Somit ist f : NN → X stetig. Anstelle obiger Definition kann man analytische Mengen dadurch charakterisieren, dass sie stetiges Bild eines polnischen Raums sind. Dies folgt unmittelbar aus folgendem in [Kec1, S. 38] zu findendem Resultat: Satz 3.19. Jeder polnische Raum ist analytisch. Beweis. Sei X ein polnischer Raum. Wir führen den Beweis in vier Schritten. Wir werden zunächst induktiv Folgen von Mengen definieren, die den ganzen Raum überdecken, und mit diesen im zweiten Schritt eine Funktion von NN nach X. Im dritten Schritt zeigen wir dann die Surjektivität und zuletzt die Stetigkeit dieser Funktion. (i) Für jede Teilmenge A ⊆ X sei diam(A) := sup{d(x, y) : x, y ∈ A}. Wir wählen für alle S n ∈ N abgeschlossene nicht-leere Mengen An mit k∈N Ak = X und diam(An ) ≤ 1 (die 26 Mengen müssen nicht paarweise disjunkt sein; die Existenz ist mit Lemma 3.3 gegeben). Sei A(n) := An für alle n ∈ N. Sei k ∈ N, es seien n1 , . . . , nk ∈ N und weiterhin für alle j ∈ k nicht-leere Mengen A(n1 , . . . , nj ) ⊆ X mit diam(A(n1 , . . . , nj )) ≤ 1 j gegeben. Des Weiteren gelte für alle j ∈ k − 1 [ A(n1 , . . . , nj ) = A(n1 , . . . , nj , i). i∈N Sei DA(n1 ,...,nk ) = {yn : n ∈ N} dicht und abzählbar in A(n1 , . . . , nk ). Wir definieren nun für alle n ∈ N 1 A(n1 , . . . , nk , n) := K(yn , ) ∩ A(n1 , . . . , nk ). k+1 1 1 Für alle n ∈ N ist dann diam(A(n1 , . . . , nk , n)) ≤ k+1 und - da yn ∈ K(yn , k+1 )∩A(n1 , . . . , nk ) -∅= 6 A(n1 , . . . , nk ) ⊆ X abgeschlossen als Schnitt zweier abgeschlossener Mengen. Trivialerweise gilt [ A(n1 , . . . , Ank , i) ⊆ A(n1 , . . . , nk ). i∈N Es genügt also zu zeigen, dass [ A(n1 , . . . , nk , i) ⊇ A(n1 , . . . , nk ). i∈N Sei also x ∈ A(n1 , . . . , nk ). Dann existiert ein yn ∈ DA(n1 ,...,nk ) mit d(yn , x) < yn ∈ K(yn , 1 k+1 . Somit ist 1 ) ∩ A(n1 , . . . , nk ) = A(n1 , . . . , nk , n). k+1 (ii) Für jedes (nj )j∈N ∈ NN ist (Fk )k∈N := (A(n1 , . . . , nk ))k∈N eine absteigende Folge abgeschlossener nicht-leerer Mengen. Ist xn ∈ Fn für alle n ∈ N, dann ist (xn )n∈N eine CauchyFolge, somit konvergent gegen ein \ x∞ ∈ Fn . n∈N Da lim diam(Fn ) = 0 ist, ist der Grenzwert eindeutig. Wir definieren nun durch f ((xj )j∈N ) = x∞ eine Funktion f : NN → X. (iii) Wir zeigen: f ist stetig. Sei x∞ ∈ X. Dann existiert ein n1 ∈ N mit x∞ ∈ A(n1 ). Wähle induktiv zu gegebenem (n1 , . . . , nk ) ∈ Nk mit x∞ ∈ A(n1 , . . . , nk ) ein nk+1 ∈ N mit x∞ ∈ A(n1 , . . . , nk , nk+1 ). Dann T ist x∞ ∈ A(n1 , . . . , nm ) und damit f surjektiv. m∈N (iv) Wir zeigen: f ist stetig. 27 Sei σ∞ ∈ NN , (σn )n∈N Folge in NN mit lim σn = σ∞ . Dann konvergiert für jedes n ∈ N die n→∞ Folge (σn (k))k∈N in N. Das heißt - da N diskret ist - es existiert ein kn,0 ∈ N mit σn (k) = σ∞ (k) für alle k ∈ N≥kn,0 und n ∈ N. Sei ε > 0, wähle k0 ∈ N mit k10 < ε. Setze l := max{kn,0 : n ∈ k0 }. Sei n ∈ N≥l . Dann ist σn (k) = σ∞ (k) für alle k ∈ k0 , also f (σn ) ∈ A(σn (1), . . . , σn (k0 )) = A(σ∞ (1), . . . , σ∞ (k0 )) und damit d(f (σn ), f (σ∞ )) < 1 1 < ε. ≤ n k0 Damit ist f stetig. Hiermit erhalten wir die oben angegebene neue Charakterisierung analytischer Mengen. Lemma 3.20. Sei X ein polnischer Raum, ∅ = 6 A ⊆ X. Dann sind äquivalent: (i) A ist analytisch. (ii) Es existiert ein polnischer Raum Y und eine stetige Abbildung g : Y → X, so dass g(Y ) = A ist. (iii) Es existiert eine abgeschlossene Teilmenge F von X × NN , so dass A = π1 (F ) ist. Beweis. ”(ii) ⇒ (i) : ” Sei Y ein polnischer Raum, g : Y → X stetig, so dass g(Y ) = A ist. Nach Satz 3.19 existiert eine stetige und surjektive Funktion h : NN → Y . Dann ist g ◦ h : NN → A surjektiv und stetig, also A analytisch. ”(iii) ⇒ (ii) : ” Sei F abgeschlossene Teilmenge von X × NN , so dass A = π1 (F ) ist. Da X × NN als Produkt zweier polnischer Räume polnisch ist, ist F als abgeschlossene Teilmenge eines polnischen Raums nach Korollar 3.15 polnisch. Da π1 stetig ist, folgt mit der Wahl von Y = X × NN und g = π (ii). ”(i) ⇒ (iii) : ” Sei A analytisch. Dann existiert eine stetige surjektive Abbildung f : NN → A. Dann ist F := {(x, σ) ∈ X × NN | (σ, x) ∈ graph(f )} abgeschlossen, da graph(f ) als Graph einer stetigen Funktion abgeschlossen ist. Damit ist π1 (F ) = A, also gilt (iii). Wir haben mit den bisherigen Resultaten gesehen, dass abgeschlossene und offene Teilmengen von polnischen Räumen analytisch sind. Wir werden nun zeigen, dass die analytischen Mengen sich insbesondere dadurch auszeichnen, dass sie enorm starke Permanenzeigenschaften erfüllen. So ist die Menge der analytischen Mengen in einem topologischen Raum bezüglich jeder abzählbaren Mengenoperation abgeschlossen. Dies ist der verbleibende Schritt für uns, 28 um Borel-Mengen in polnischen Räumen als analytisch zu identifizieren. Beweise hierzu finden sich zum Beispiel in [Sch2, S. 139]. Lemma 3.21. Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, An ⊆ X für alle n ∈ N analytisch. Dann gilt: S (i) n∈N An ist analytisch. T (ii) n∈N An ist analytisch. Q (iii) n∈N An ist analytisch. Beweis. Es seien für alle n ∈ N stetige Abbildungen fn : NN → X mit Bild fn = An gegeben. (i) Definiere f : N × NN → X (n, σ) 7→ fn (σ). Sei V ⊆ X offen. Dann ist fn−1 (V ) für alle n ∈ N offen. Dann ist [ f −1 (V ) = {n} × fn−1 (V ) n∈N offen, also f stetig. Da nach Lemma 3.11 N × NN polnisch ist, ist f (N × NN ) = S An nach n∈N Lemma 3.20 analytisch. (ii) Definiere F : (NN )N → X (σn )n∈N 7→ f1 (σ1 ). F ist stetig. Weiterhin sei 4 := {(σn )n∈N ∈ (NN )N | ∀n ∈ N : f1 (σ1 ) = fn (σn )}. Es ist 4 abgeschlossen in (NN )N : Sei (ρk )k∈N eine Folge in 4 mit limk→∞ ρk = ρ∞ ∈ (NN )N . Wir nehmen an, es gibt ein n ∈ N mit f1 (ρ∞,1 ) 6= fn (ρ∞,n ). Dann existieren offene disjunkte Mengen U, V in X mit f1 (ρ∞,1 ) ∈ U und fn (ρ∞,n ) ∈ V . Wir definieren für alle m ∈ N −1 f1 (U ), m=1; Um := fn−1 (V ), m=n; N N , sonst. Q Dann ist m∈N Um eine offene Umgebung von ρ∞ . Deshalb existiert nun ein k ∈ N mit Q ρk ∈ m∈N Um . Dann ist f1 (ρk,1 ) ∈ U und fn (ρk,n ) ∈ V, 29 d.h. f1 (ρk,1 ) 6= fn (ρk,n ) im Widerspruch zu ρk ∈ 4. Damit ist 4 abgeschlossen. Wir zeigen nun noch, dass F (4) = ∞ \ An n=1 T ist, denn dann ist An mit Lemma 3.20 analytisch. n∈N ” ⊆ ” : Sei x ∈ F (4). Dann existiert ein (σn )n∈N ∈ (NN )N mit F ((σn )n∈N ) = x = f1 (σ1 ). Dann ist f1 (σ1 ) = fn (σn ), somit x ∈ An für jedes n ∈ N. T ” ⊇ ” : Sei x ∈ An . Dann existiert für jedes n ∈ N ein σn ∈ NN mit fn (σn ) = x. Dann ist n∈N F ((σn )n∈N ) = f1 (σ1 ) = x, somit x ∈ F (4). (iii) Definiere N N f : (N ) → ∞ Y X, (σn )n∈N 7→ (fn (σn ))n∈N . i=1 Dann ist f stetig und Bild f = ∞ Q Ai . Da (NN )N polnisch ist, ist somit i=1 ∞ Q Ai analytisch. i=1 Zusammenfassend erhalten wir also: Korollar 3.22. Jede Borel-Menge in einem polnischen Raum ist analytisch. Insbesondere ist jede Borelteilmenge von NN analytisch. Beweis. Nach Korollar 3.15 und Satz 3.19 sind die offenen und abgeschlossenen Mengen eines polnischen Raums analytisch. Da die analytischen Mengen nach Lemma 3.21 bzgl. abzählbarer Schnitte und Vereinigungen abgeschlossen sind, folgt somit mit Korollar 3.15 die Behauptung. Da nach Korollar 3.16 NN ein polnischer Raum ist, gilt der zweite Teil der Aussage. Da das Komplement einer Borel-Menge stets eine Borel-Menge ist, haben wir somit eine der beiden Richtungen (und für uns die entscheidende!) des folgenden Satzes bewiesen. Wir formulieren ihn hier als Äquivalenz, beweisen ihn als solche aber erst später. Anzumerken ist, dass der Beweis der Rückrichtung technisch an dieser Stelle durchaus geführt werden könnte, sich jedoch aus Notationsgründen an einer späteren Stelle besser eingliedert. Satz 3.23. (Suslins Satz) Eine Teilmenge eines polnischen Raums ist genau dann Borel, falls sie bi-analytisch ist. Unser Ziel wird es also letztendlich sein, eine analytische Menge zu konstruieren, die nicht coanalytisch ist. Wir werden diese Menge durch eine stetige Funktion vom Baire-Raum NN aus parametrisieren. Der Graph dieser Funktion ist dann eine Borel-Menge. Wir werden diesen 30 dann in den R2 geeignet einbetten und erhalten damit unser gesuchtes Gegenbeispiel. Bevor wir mit der eigentlichen Konstruktion beginnen, werden wir zunächst allerdings noch die notwendige Theorie für die abschließende Einbettung bereitstellen. Außerdem werden wir uns zum Ende dieses Teils auch noch von der Existenz analytischer Mengen, die keine BorelMengen sind, überzeugen. Diesen Beweis werden wir allerdings nicht-konstruktiv führen. 31 4. Borel-Isomorphismen und Graphen Messbarer Funktionen Im Mittelpunkt dieses Abschnitts stehen zwei Sätze. Einerseits zeigen wir hier, dass Graphen messbarer Funktionen Borel-Mengen sind. Andererseits beweisen wir das Borel-Isomorphismuslemma, eine Folgerung aus dem Satz von Alexandroff-Hausdorff. Ein Borel-Isomorphismus ist eine bijektive Funktion, die genau die Borel-Mengen auf Borel-Mengen abbildet. D.h. ein Borel-Isomorphismus stellt gegenüber dem Homöomorphismus eine Abschwächung dar, ist jedoch a priori ein stärkerer Begriff als der einer bijektiven Funktion. Es stellt sich nun aber heraus, dass in polnischen Räumen die Borel-Isomorphismen genau die bijektiven Funktionen sind. Wir folgen in diesem Kapitel [Dudl, S.487ff] in seiner Argumentation. 4.1. Der Satz von Alexandroff-Hausdorff. Wir werden zunächst einige Vorbereitungen treffen, um dann den Satz von Alexandroff-Hausdorff zu beweisen. Der Satz wurde 1916 von beiden Mathematikern unabhängig voneinander bewiesen. Definition 4.1. Eine Menge S in einem topologischen Raum heißt dicht in sich, falls für jedes x ∈ S und für jede Umgebung U von x gilt, dass (S ∩ U ) \ {x} = 6 ∅. Eine kompakte Menge, die in sich dicht ist, heißt perfekt. Beispiel 4.2. {0, 1}N ist perfekt. Beweis. Da {0, 1} kompakt ist, ist nach Tychonov somit {0, 1}N kompakt. Sei a ∈ {0, 1}N , Q U ⊆ {0, 1}N offene Umgebung von a, o.B.d.A. sei U = Un mit Un = {0, 1} für fast alle n∈N n ∈ N. Sei m ∈ N mit Um = {0, 1}. Dann ist b : N → {0, 1}, b(n) = a(n) für alle n 6= m und b(m) = (1 − a(m))2 in U , somit U \ {a} = 6 ∅. Lemma 4.3. Sei (X, τX ) ein perfekter topologischer Raum, (Y, τY ) ein topologischer Raum, f : X → Y stetig und bijektiv. Dann ist Y perfekt. Beweis. Da X kompakt ist, ist Y kompakt. Sei y ∈ Y , Uy ∈ τY eine Umgebung von y. Nehmen wir an, dass Uy \ {y} = ∅ ist, so ist f −1 (Uy ) = {f −1 (y)} offene Umgebung von f −1 (y) in X, somit X nicht perfekt. Lemma 4.4. Sei X ein separabler metrischer Raum. Dann existiert eine abzählbare Menge C ⊆ X, so dass X \ C dicht in sich ist. Beweis. Sei C die Menge aller y ∈ X, für die eine abzählbare Umgebung Uy existiert. Dann ist {Uy | y ∈ Y } eine Überdeckung von C. Diese hat - da nach Lemma 3.3 eine abzählbare Basis der Topologie existiert - somit eine abzählbare Teilüberdeckung. Somit ist C abzählbar und nach Definition von C ist X \ C dicht in sich. 32 Lemma 4.5. Seien X, Y Metrische Räume, σ1 , σ2 ∈ X mit σ1 6= σ2 , f : X → Y stetig und injektiv. Dann existieren abgeschlossene Mengen F1 , F2 ⊆ X mit σ1 ∈ int(F1 ), σ2 ∈ int(F2 ) und f (F1 ) ∩ f (F2 ) = ∅. Beweis. Sei ε := d(f (σ1 ), f (σ2 )). Dann existiert δ > 0 mit f (KX (σi , δ)) ⊆ KY (f (σi ), 3ε ), i ∈ {1, 2}. Dann ist δ σi ∈ KX (σi , ) ⊆ int(KX (σi , δ)), i ∈ {1, 2}. 2 Setze Fi := KX (σi , δ), i ∈ {1, 2}. Angenommen, es existiert y ∈ f (F1 ) ∩ f (F2 ). Dann existiert xi ∈ Fi mit d(f (xi ), y) < i ∈ {1, 2}. Dann gilt: ε 6, d(f (σ1 ), f (σ2 )) ≤ d(f (σ1 ), f (x1 )) + d(f (x1 ), y) + d(y, f (x2 )) + d(f (x2 ), f (σ2 )) < ε. Widerspruch, somit f (F1 ) ∩ f (F2 ) = ∅. Wir werden nun den berühmten Satz von Alexandroff und Hausdorff formulieren und beweisen. Er wurde 1916 unabhängig von beiden Mathematikern bewiesen. Interessant hierbei ist, dass Alexandroff ebenso wie Suslin ein Schüler des russischen Mathematikers Lusin war. Für den Beweis benötigen wir nicht die Kontinuumshypothese. Satz 4.6. (Alexandroff-Hausdorff ) Jede überabzählbare Borel-Menge B in einem polnischen Raum enthält eine perfekte Menge C, die homöomorph zur Menge {0, 1}N ist. Beweis. Da jede Borel Menge analytisch ist, existiert eine stetige Funktion f : NN → B die surjektiv ist. Wähle für jedes y ∈ B ein σy ∈ NN mit f (σy ) = y. Sei  := {σy : y ∈ B} ⊆ NN . Es ist f | bijektiv und stetig. Wir wählen nun nach Lemma 4.4 eine abzählbare Menge C, so dass A :=  \ C dicht in sich ist. Dann ist f |A injektiv und stetig. Wir werden nun eine stetige injektive Funktion g : {0, 1}N → A ⊆ NN konstruieren. Mittels f ◦ g erhalten wir dann einen Homöomorphismus von {0, 1}N nach Bild f ◦ g. Seien σ0 , σ1 ∈ A mit σ0 6= σ1 . Dann existieren nach Lemma 4.5 abgeschlossene disjunkte Mengen F0 , F1 ⊆ A mit σ0 ∈ int(F0 ) und σ1 ∈ int(F1 ), so dass f (F0 ) ∩ f (F1 ) = ∅. Nach unserer Definition von A ist int(F0 ) überabzählbar. Dadurch können wir nun analog σi0 , σi0 ∈ int(Fi ) mit σi0 6= σi1 zu jedem i ∈ {0, 1} wählen und erhalten dann mit Lemma 4.5 jeweils zwei abgeschlossene disjunkte Mengen Fi0 , Fi1 ⊆ Fi mit nicht-leerem Inneren und f (Fi0 ) ∩ f (Fi1 ) = ∅. Da A dicht in sich ist, erhalten wir induktiv 33 so zu jedem m ∈ N abgeschlossene Mengen Fi(1)i(2)...i(m) mit nicht-leerem Inneren, wobei i(k) ∈ {0, 1} für jedes k ∈ m ist und folgende Eigenschaften gelten: Fi(1)i(2)...i(m) ⊆ Fi(1)...i(m−1) Fi(1)...i(m−1)0 ∩ Fi(1)...i(m−1)1 = ∅ f (Fi(1)...i(m−1)0 ) ∩ f (Fi(1)...i(m−1)1 = ∅. Weiterhin sei o.B.d.A. diam(Fi(1)...i(m) ) ≤ 1 m für jedes m ∈ N. T Dann enthält für jedes ι ∈ {0, 1}N der Schnitt Fι(1)...ι(n) genau ein Element. Wir bezeichnen n∈N es mit g(ι). Auf diese Weise erhalten wir eine Funktion g : {0, 1}N → A. Wir zeigen, dass g injektiv und stetig ist: Sind ι, ι̃ ∈ {0, 1}N , ι 6= ι̃, existiert ein m ∈ N mit ι(m) 6= ι̃(m). Dann ist Fι(1)...ι(m) 6= Fι̃(1)...ι̃(m) , T T somit Fι(1)...ι(n) 6= Fι̃(1)...ι̃(n) . Somit ist g injektiv. n∈N n∈N Sei ε > 0. Wir zeigen nun noch die Stetigkeit von g in ι. Sei n0 ∈ N mit diam(Fι(1)...ι(n0 ) ) < 1 < ε. n0 Wir definieren U := {ι̃ ∈ {0, 1}N | ∀n ≤ n0 : ι(n) = ι̃}. Dann ist U offen und g(ι̃) ∈ Fι(1)...ι(n0 ) , d.h. d(g(ι), g(ι̃)) < 1 n0 < ε. Somit ist also ebenfalls f ◦ g bijektiv und stetig von {0, 1}N auf Bild f ◦ g. Da {0, 1}N kompakt und Bild f ◦ g insbesondere Hausdorff, ist nach Lemma 2.13 f ◦ g ein Homöomorphismus auf das Bild. Da {0, 1}N - wie im Beispiel gezeigt - perfekt ist, ist das Bild von f ◦ g perfekt nach Lemma 4.3. 4.2. Borel-Isomorphismen. Wir werden nun mit Hilfe des Satzes von Alexandroff-Hausdorff das Borel-Isomorphismuslemma beweisen. Hierzu definieren wir zunächst einen Borel-Isomorphismus. Definition 4.7. Zwei Maß-Räume (X, B), (Y, C) heißen Maß-isomorph, falls eine bijektive Funktion f : X → Y existiert, so dass f und f −1 messbar sind. Zwei topologische Räume (X, τX ) und (Y, τY ) heißen Borel-isomorph, insofern sie mit ihren σ-Algebren der Borel-Mengen Maß-isomorph sind. Wir schreiben hierfür X ∼ Y . Bemerkung 4.8. (i) Ist M eine Menge topologischer Räume, dann ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf M . (ii) Sind (X, τX ), (Y, τY ) topologische Räume und f : X → Y homöomorph, dann ist f ein Borel-Isomorphismus. 34 Lemma 4.9. Sei X polnischer Raum, A ⊆ B ⊆ C ⊆ X Borel-Mengen. Gilt jeweils mit der induzierten Topologie A ∼ C, so auch A ∼ B. Beweis. Setze A0 := A, D0 := C \ A. Wähle einen Borel-Isomorphismus f0 : A0 → C = A0 ∪ D0 . Wir definieren nun rekursiv für jedes n ∈ N0 disjunkte Borel-Mengen An+1 := fn−1 (An ) = f0−1 (An ), Dn+1 := fn−1 (Dn ) = f0−1 (Dn ) und fn+1 := fn |An+1 . Dann sind An+1 und Dn+1 disjunkte Borel-Mengen und fn+1 : An+1 → An+1 ∪ Dn+1 ist als Einschränkung eines Borel-Isomorphismus ein Borel-Isomorphismus auf sein Bild. T Es sei E := An . Dann ist E Borel und E, Dn , n ∈ N0 , sind paarweise disjunkte Boreln∈N S Dn , da Dn ⊆ An−1 für jedes n ∈ N ist . Mengen mit A = E ∪ n≥0 Bezeichnen wir nun mit F0 := C \ B und G0 := B \ A liefert die Zerlegung D0 = F0 ∪ G0 mittels Fn = f0−1 (Fn−1 ) und Gn = f0−1 (Gn−1 ) eine Zerlegung Dn = Fn ∪ Gn in disjunkte Borel-Mengen, so dass sowohl Fn ∼ Fn+1 als auch Gn ∼ Gn+1 für alle n ∈ N gilt. Dann ist C = E∪ [ Dn = E ∪ n≥0 ∼ E ∪ [ n≥1 [ Fn ∪ n≥0 Fn ∪ [ [ Gn n≥0 Gn = C \ F0 = B. n≥0 Somit ist A ∼ C ∼ B. Lemma 4.10. Es gibt Borel-Mengen B ⊆ {0, 1}N und C ⊆ {0, 1}N mit B ∼ [0, 1] und C ∼ [0, 1]N . Beweis. (i) Wir bezeichnen mit B die Menge aller Folgen (xn )n∈N ∈ {0, 1}N , so dass entweder xn = 1 für alle n ∈ N oder xn = 0 für unendlich viele n. Dann ist {0, 1}N \ B abzählbar, also P xn Borel. Definieren wir nun f : B → [0, 1], (xn )n∈N 7→ 2n , dann ist f bijektiv auf [0, 1]: n∈N Injektivität: Seien (xn )n∈N , (yn )n∈N ∈ B mit xn 6= yn für ein n ∈ N. Sei n0 := min{n ∈ N : xn 6= yn }, o.B.d.A. xn0 = 1 Dann gilt: X x X yn X n − = 2n 2n n∈N n∈N n∈N≥n0 X xn − yn 1 xn − yn = + > 0, 2n 2n0 2n n∈N>n 0 35 da xn , yn = 0 für unendlich viele n ∈ N. Also ist f ((xn )n∈N ) 6= f ((yn )n∈N ). Surjektivität: Sei x ∈ [0, 1]. Ist x = 1, dann ist f ((1)n∈N ) = x. Sei also x < 1. Definiere nun induktiv x1 = 1, falls x ≥ 21 , x1 = 0 sonst. Dann ist 1 21 >x− x1 21 ≥ 0. Sei n ∈ N, x1 , . . . , xn ∈ {0, 1} mit X xk 1 ≥0 >x− n 2 2k (∗) . k≤n Ist x < P k≤n xk 2k + 1 2n+1 , dann ist mit xn+1 := 0 0≤x− X xk 1 < n+1 . k 2 2 k≤n+1 Ist x ≥ P k≤n xk 2k + 1 , 2n+1 dann ist mit xn+1 := 1 0≤x− X xk 1 < n+1 . 2 2k k≤n+1 Somit erhalten wir eine Folge (xn )n∈N mit der Eigenschaft, dass die Bilder unter f gegen x konvergieren. Ist x = 1, dann ist xn = 1 für alle n ∈ N. Sei also x 6= 1. Wir werden nun zeigen, dass xn = 0 für unendlich viele n ∈ N ist. Denn damit ist f surjektiv: Angenommen, es existiert ein n0 ∈ N, so dass xn = 1 für alle n ≥ n0 ist. Dann ist X xn X xn X xn X 1 X xn 1 x= + = + = + n0 . n n n n n 2 2 2 2 2 2 n>n n>n n≤n0 Damit ist x − P n≤n0 xn 2n 0 = 1 2n0 n≤n0 n≤n0 0 im Widerspruch zu (∗). Um die Stetigkeit von f zu erhalten, betrachten wir die Folge X xk fn : {0, 1}N → [0, 1], (xk )k∈N 7→ . 2k k≤n Da fn für jedes n ∈ N stetig ist, ist somit f als gleichmäßiger Limes stetiger Funktionen stetig. Wir definieren nun noch gn : [0, 1] → {0, 1}N für jedes n ∈ N durch gn (x) = (f −1 (x))(1), (f −1 (x))(2), . . . , (f −1 (x))(n), 0, . . . . Dann ist für jedes n ∈ N die Funktion gn Borel-messbar und f −1 ist der punktweise Grenzwert der Folge (gn )n∈N . (ii) Nach (i) sind B N ∼ [0, 1]N . Weiterhin ist Y Y Y ({0, 1}N )N = ( {0, 1})N = {0, 1} = n∈N m∈N n∈N Y (m,n)∈N×N {0, 1} = {0, 1}N×N 36 und damit {0, 1}N homöomorph zu ({0, 1}N )N nach Proposition 2.20. Somit ist B N ∼ [0, 1]N . Wir können nun einen wunderbaren Charakterisierungssatz für polnische Räume beweisen. Diese sind - bis auf Homöomorphie - nämlich genau die Gδ Mengen des Hilbertwürfels (man beachte, dass Gδ Mengen in polnischen Räumen nach Satz 3.11 polnisch sind). Satz 4.11. Sei X polnischer Raum mit Metrik d, C ⊆ X Borel. Dann existieren Borel-Mengen A ⊆ B ⊆ [0, 1]N mit C ∼ A und X ∼ B. Hierbei ist B sogar eine Gδ Menge in [0, 1]N . Beweis. (i) Wir zeigen zunächst: X ist homöomorph zu einer Borel-Teilmenge von B ⊆ [0, 1]N . Sei (xn )n∈N eine dichte Folge in X. Nach Lemma 2.16 können wir davon ausgehen, dass d durch 1 beschränkt ist. Definiere f : X → [0, 1]N , x 7→ (d(x, xn ))n∈N . Dann ist f injektiv: Sind x, y ∈ X mit x 6= y, dann existiert ein ε > 0, so dass die Kugeln mit Radius ε um x und y disjunkt sind. Da (xn )n∈N dicht in X ist, existiert somit ein n ∈ N mit xn ∈ Kx (x, ε) und damit xn ∈ / KX (y, ε). Also ist d(x, xn ) < ε < d(y, xn ) und damit f injektiv. Weiterhin ist f stetig, da sämtliche Koordinatenfunktionen stetig sind. Es genügt somit zu zeigen, dass die Abbildung offen ist: Sei (yk )k∈N ∈ f (X)N eine konvergente Folge mit limk→∞ yk = y∞ ∈ f (X)N . Dann existiert eine Folge (pk )k∈N ∈ X N mit f (pk ) = yk und p∞ ∈ X mit f (p∞ ) = y∞ . Wir zeigen: lim f −1 (yk ) = lim pk = p∞ = f −1 (y∞ ). k→∞ k→∞ Sei ε > 0, n ∈ N mit d(xn , p∞ ) < 4ε . Dann existiert ein k0 ∈ N, so dass für alle k ∈ N≥k0 nach der Definition der Metrik auf [0, 1]N gilt: X |d(pk , xm ) − d(p∞ , xm )| ε < n+2 . m 2 2 m∈N Sei k ∈ N≥k0 . Dann ist d(pk , xn ) − d(p∞ , xn ) |d(pk , xn ) − d(p∞ , xn )| ε ≤ < n+2 , n n 2 2 2 also d(pk , xn ) < ε ε + d(p∞ , xn ) < . 4 2 37 Dann gilt: d(pk , p∞ ) ≤ d(pk , xn ) + d(xn , p∞ ) < ε ε + < ε. 2 4 Somit ist lim pm = p∞ . m→∞ Somit sind X und f (X) homöomorph bzgl. der Teilraumtopologie von f (X). Es bleibt somit zu zeigen, dass f (X) eine Borel-Menge in [0, 1]N ist. (ii) Nach Proposition 2.21 und Korollar 2.22 finden wir mittels f auf f (X) eine Metrik die kompatibel mit der Teilraumtopologie ist und durch die f (X) zu einem vollständigen metrischen Raum wird. Damit ist f (X) topologisch vollständig und wir erhalten mit Satz 2.24, dass f (X) eine Borel-Menge in f (X) ist; genauer gesagt existieren in f (X) offene Ũn , n ∈ N mit T N n∈N Ũn = f (X). Dann existieren nach der Definition der Teilraumtopologie in [0, 1] offene Mengen Un , n ∈ N mit Un = Ũn ∩ f (X). Dann ist \ \ f (X) = Ũn = Un ∩ f (X) n∈N n∈N Borel-Menge in [0, 1]N . Da nach Lemma 2.27 f (X) eine Gδ Menge in [0, 1]N ist, ist insbesondere f (X) = B eine solche. (iii) Nach (i) und (ii) existiert eine Borel-Menge B ⊆ [0, 1]N und ein Homöomorphismus g : X → B. Dann ist A := g(C) ⊆ B eine Borel-Menge und homöomorph zu C, somit insbesondere Borel-Isomorph. Wir kommen nun zu dem Hauptresultat dieses Kapitels. Man beachte, dass wir auch für diesen Beweis die Kontinuumshypothese nicht verwenden. Satz 4.12. Seien X und Y zwei polnische Räume. Dann sind X und Y Borel-isomorph genau dann, wenn X und Y die gleiche Mächtigkeit haben, die entweder endlich, abzählbar oder c beträgt (wobei c = card[0, 1] die Mächtigkeit des Kontinuums ist). Beweis. ” ⇒ ” : Sind X und Y Borel-isomorph, existiert eine bijektive Abbildung zwischen beiden, d.h. sie sind gleichmächtig. ” ⇐ ” : Seien X, Y gleichmächtig. Ist X abzählbar, so enthält die σ-Algebra der Borel-Mengen alle Mengen, somit sind X und Y Borel-isomorph. Sei also X überabzählbar. Nach Satz 4.11 existiert eine Borel-Menge H ⊆ [0, 1]N mit X ∼ H. Weiterhin existiert nach Lemma 4.10 eine Borel-Menge D̂ ⊆ {0, 1}N mit D̂ ∼ [0, 1]N . Damit existiert eine Borel-Menge D ⊆ D̂ mit D ∼ H ∼ X. 38 Da D überabzählbar ist, gibt es nach dem Satz von Alexandroff-Hausdorff eine Borel-Menge A mit {0, 1}N ∼ A ⊆ D ⊆ {0, 1}N . Damit ist D ∼ {0, 1}N nach Lemma 4.9, also X ∼ {0, 1}N . Da Y gleichmächtig ist, ist analog Y ∼ {0, 1}N . Hieraus erhalten wir X ∼ Y . Da {0, 1}N und [0, 1] nach Lemma 3.13, Lemma 4.10 und dem Satz von Bernstein gleichmächtig sind, haben X und Y die Kardinalität des Einheitsintervalls. Man kann also sagen, dass es bis auf Borel-Isomorphie höchstens einen polnischen Raum von einer vorgegebenen abzählbaren oder überabzählbaren Mächtigkeit gibt. Da ein überabzählbarer polnischer Raum immer gleichmächtig zum Einheitsintervall ist, haben wir somit insbesondere die “Kontinuumshypothese für polnische Räume” bewiesen. 4.3. Graphen Borel-messbarer Funktionen. Um das Borel-Isomorphismuslemma anwenden zu können, müssen wir uns zuletzt davon überzeugen, dass Graphen messbarer Funktion Borel-Mengen sind. Dazu beweisen wir folgenden Satz: Satz 4.13. Seien X, Y polnische Räume und f eine Borel-messbare Funktion von X nach Y . Dann ist der Graph von f eine Borel-Menge in X × Y . Beweis. Sei (Vn )n∈N eine Basis der Topologie von Y , d eine kompatible Metrik für die Topologie von Y . Wir behaupten zunächst (4.1) ∀x ∈ X∀y ∈ Y : (x, y) ∈ graph(f ) ⇔ [∀n ∈ N : y ∈ Vn ⇒ f (x) ∈ Vn ] . Hierbei ist ” ⇒ ” klar. Wir zeigen ” ⇐ ” per Kontraposition: Sind x ∈ X, y ∈ Y , mit f (x) 6= y, so ist d(y, f (x)) > 0, d.h. es existiert ein n ∈ N mit y ∈ Vn und f (x) ∈ / Vn . Damit gilt (4.1). Daraus folgt nun: graph(f ) = \ {(x, y) ∈ X × Y | y ∈ Vn ⇒ f (x) ∈ Vn } n∈N = \ {(x, y) ∈ X × Y | y ∈ / Vn ∨ f (x) ∈ Vn } n∈N = \ {(x, y) ∈ X × Y | y ∈ / Vn ∨ x ∈ f −1 (Vn )} n∈N = \ X × (Y \ Vn ) ∪ f −1 (Vn ) × Y n∈N eine Borel-Menge, da für jedes n ∈ N sowohl X × (Y \ Vn ), als auch f −1 (Vn ) × Y eine BorelMenge ist. 39 Hieraus erhalten wir folgende Ergänzung zur Darstellung analytischer Mengen: Lemma 4.14. Sei Y ein polnischer Raum, ∅ = 6 A ⊆ Y . Dann sind äquivalent: (i) Es existiert eine stetige surjektive Funktion f : NN → A. (ii) Es existiert eine Borel-messbare surjektive Funktion f : NN → A. (iii) Es existiert ein polnischer Raum X und eine stetige surjektive Funktion f : X → A. (iv) Es existiert ein polnischer Raum X und eine Borel-messbare surjektive Funktion f : X → A. (v) Es existiert ein polnischer Raum X und eine Borel-Menge B ⊆ X und eine stetige surjektive Funktion f : B → A. (vi) Es existiert ein polnischer Raum X und eine Borel-Menge B ⊆ X und eine Borel-messbare surjektive Funktion f : B → A. Beweis. (i) ⇒ (ii), (iii) ⇒ (iv) und (v) ⇒ (vi) sind trivial, da jede stetige Funktion Borelmessbar ist. Da NN ein polnischer Raum nach Korollar 3.16 ist, gilt (i) ⇒ (iii) und (ii) ⇒ (iv). Da jeder polnische Raum X in sich abgeschlossen und somit eine Borel-Menge ist, gilt (iii) ⇒ (v) und (iv) ⇒ (vi). Es genügt somit, dass wir (vi) ⇒ (i) zeigen: Sei X ein polnischer Raum, B ⊆ X eine Borel-Menge und f : B → Y eine Borel-messbare Funktion mit f (B) = A. Sei c ∈ A, ( f (x) falls x ∈ B ˆ f : X → A, x 7→ . c falls x ∈ X \ B Dann ist fˆ surjektiv auf A und Borel-messbar. Es ist X ×Y ein polnischer Raum. Nach Lemma 4.13 ist {(x, fˆ(x)) : x ∈ X} eine Borel-Menge in Y und damit nach Korollar 3.22 analytisch. Sei π2 : X × Y → X, (x, y) 7→ y die Projektion auf die zweite Komponente, h : NN → {(x, fˆ(x)) : x ∈ X} stetig und surjektiv. Dann ist (π2 ◦ h)(NN ) = A, also A analytisch. Hiermit haben wir letztendlich unsere Definition des Begriffs der analytischen Menge geeignet gerechtfertigt, indem wir jedes stetige (oder sogar Borel-messbare) Bild einer Borel-Menge als analytisch erkannt haben. Somit sind insbesondere Bilder von Projektionen von Borel-Mengen analytisch. 40 5. Analytische Mengen in überabzählbaren polnischen Räumen Wir werden zum Ende dieses Teils zeigen, dass in jedem überabzählbaren polnischen Raum analytische Mengen existieren, die keine Borel-Mengen sind. Mit diesem Beweis werden wir zeigen, dass Lebesgues Behauptung falsch ist. Allerdings ist dieser Beweis wenig konstruktiv, weshalb wir im zweiten Teil ein konkreteres Beispiel angeben werden. Wir werden für den Existenzbeweis das Konzept der universellen Mengen nutzen. Definition 5.1. Seien X, Y Mengen, S ⊆ X × Y . Weiterhin sei Sy := {x ∈ X | (x, y) ∈ S} für jedes y ∈ Y definiert. Sei C eine Menge von Teilmengen von X. S heißt universell für C, falls {Sy : y ∈ Y } = C ist. Zunächst werden wir zeigen, dass man offene und abgeschlossene Mengen in polnischen Räumen durch universelle Mengen darstellen kann. Lemma 5.2. Sei (X, τ ) ein polnischer Raum. (i) Es existiert eine offene Menge U ⊆ X × NN die universell für die Topologie von τ ist. (ii) Es existiert eine abgeschlossene Menge F ⊆ X × NN , die universell für die Menge der abgeschlossenen Mengen von X ist. Beweis. (i) Sei (Un )n∈N eine abzählbare Basis von τ , U0 := U1 := ∅. Sei [ U := Un × {σ ∈ NN | σk = n + 1}. k,n∈N Dann ist U offen in X × NN . Ist σ ∈ NN , dann ist Uσ = {x ∈ X | (x, σ) ∈ U } = {x ∈ X | ∃k ∈ N ∃n ∈ N : x ∈ Un ∧ σk = n + 1} = {x ∈ X | ∃k ∈ N : x ∈ Uσk −1 } [ = Uσk −1 k∈N offen. 41 Ist andererseits ∅ = 6 V ∈ τ , dann existiert nach der Basiseigenschaft der Topologie eine Folge S Unk , k ∈ N, mit k∈N Unk = V . Definieren wir σ(k) := nk + 1 für jedes k ∈ N, dann ist Uσ = {x ∈ X : ∃n ∈ N ∃k ∈ N : σk = n + 1 ∧ x ∈ Un } = {x ∈ X : ∃k ∈ N : x ∈ Uσk −1 } = {x ∈ X : ∃k ∈ N : x ∈ Unk } [ = Unk . k∈N Außerdem ist U(1,1,...) = ∅. Somit ist U universell für τ . (ii) Wir definieren F := (X × NN ) \ U. Zu gegebenem σ ∈ NN ist Fσ = {x ∈ X | (x, σ) ∈ F } = {x ∈ X | (x, σ) ∈ / U} = X \ Uσ abgeschlossen. Analog existiert zu einer gegebenen abgeschlossenen Menge A ⊆ X ein σ ∈ NN mit Uσ = X \A. Damit ist Fσ = A. Dieses Resultat lässt sich analog für die analytischen Mengen definieren. Lemma 5.3. Sei X ein polnischer Raum. Dann existiert eine analytische Menge A ⊆ X × NN die universell für die Menge der analytischen Mengen in X ist. Beweis. Sei F ⊆ [X × NN ] × NN eine abgeschlossene Menge, die universell für die abgeschlossenen Mengen von X × NN ist. Sei f : X × NN × NN → X × NN , (x, σ, ρ) 7→ (x, ρ). Dann ist A := f (F ) analytisch. Für jedes ρ ∈ NN ist (∗) Aρ = {x ∈ X : (x, ρ) ∈ A} = π1 ({(x, σ) ∈ X × NN : (x, σ, ρ) ∈ F }) = π1 (Fρ ), wobei π1 X × NN → X die Projektion auf die 1. Komponente bezeichne. Damit sind alle Aρ analytische Mengen nach Lemma 3.20. Wir werden nun noch zeigen, dass wir alle analytischen Mengen von X auf diese Weise darstellen können. Zunächst existiert ein ρ ∈ NN mit Fρ = ∅ und damit also mit (∗) ∅ = Aρ gilt. 42 Ist ∅ = 6 AX ⊆ X analytisch, existiert eine stetige surjektive Funktion g : NN → AX , somit ist {(g(σ), σ) : σ ∈ NN } =: g − abgeschlossen in X × NN . Da F universell für die abgeschlossenen Mengen in X × NN ist, existiert ein ρ ∈ NN mit Fρ = g − . Nach der Definition von g und mit (∗) ist π1 (g − ) = AX . Nun können wir die Existenz analytischer Mengen beweisen, die nicht Borel-Mengen sind. Wir führen dies zunächst nur in NN durch, lösen uns aber mittels des Borel-Isomorphismus schnell wieder von dieser Einschränkung. Satz 5.4. In NN existiert eine analytische Menge, die keine Borel-Menge ist. Beweis. Sei C ⊆ NN × NN eine analytische Menge, die universell für die analytischen Mengen in NN ist. Sei 4 := {(σ, σ) ∈ NN × NN }. Da 4 als abgeschlossene Menge analytisch ist, ist somit C ∩ 4 analytisch nach Lemma 3.21. Nun ist A := π1 (C ∩ 4) analytisch, wobei π1 : NN × NN → NN die natürliche Projektion ist. Wir werden zeigen, dass NN \ A =: Ac nicht analytisch ist. Damit ist nach Suslins Satz A keine Borel-Menge. Angenommen, Ac wäre analytisch. Dann existiert ein ρ ∈ NN mit Cρ = Ac . Dann ist σ ∈ / A, genau dann wenn (σ, ρ) ∈ C ist. Wir führen eine Fallunterscheidung durch: 1. Fall: ρ ∈ / A. Dann ist (ρ, ρ) ∈ C, also in C ∩ 4 und damit ρ ∈ A. 2. Fall: ρ ∈ A. Dann ist (ρ, ρ) ∈ / C, also (ρ, ρ) ∈ / C ∩ 4 und damit ρ ∈ / A. In beiden Fällen erhalten wir einen Widerspruch, somit ist Ac nicht analytisch. Korollar 5.5. In jedem überabzählbaren polnischen Raum X existiert eine analytische Menge A, die keine Borel-Menge ist. Beweis. Nach dem Satz 4.12 existiert ein Borel-Isomorphismus f von NN nach X. Außerdem existiert nach Satz 5.4 eine analytische Menge à ⊆ NN , die keine Borel-Menge ist. Dann ist f (Ã) =: A eine analytische Menge und nicht Borel (ansonsten wäre f −1 (A) Borel). Wir zeigen nun, dass Lebesgues Behauptung falsch ist. Wir werden diese Aussage im zweiten Teil erneut beweisen, diesmal allerdings mit einem konkreten Beispiel. Korollar 5.6. (Lebesgues Irrtum, Qualitative Fassung) Es gibt eine Borel-Menge B ⊆ R2 , so dass π2 (B) keine Borel-Menge ist, wobei π2 : R2 → R, (x, y) 7→ y die Projektion auf die 2.Koordinate bezeichnet. 43 Beweis. Da R überabzählbar ist, existiert nach Korollar 5.5 eine analytische Menge A ⊆ R, die keine Borel-Menge ist. Dann existiert eine stetige Surjektion f : NN → A. Nach dem Borel-Isomorphismuslemma, existiert ein Borel-Isomorphismus h : R → NN . Dann ist h ◦ f Borel-messbar, also ist mit Satz 4.13 graph(h ◦ f ) eine Borel-Menge im R2 . Nun ist aber π2 (graph(h ◦ f )) = A keine Borel-Menge. 44 Teil 2. Konstruktion des Gegenbeispiels Nachdem wir uns zum Ende des ersten Teils von der Existenz analytischer nicht-Borel-Mengen in überabzählbaren polnischen Räumen überzeugt haben, werden wir in diesem Teil eine analytische Menge in einem polnischen Raum konstruieren, die keine Borel-Menge ist. Um letzteres zu zeigen, werden einige Mittel aus der Logik vonnöten sein, weshalb wir zunächst mit einem Abschnitt über Ordnungen und Ordinalzahlen starten. 6. Ordnungen und Ordinalzahlen Innerhalb dieses Abschnitts wird nun eine Einführung in die Lehre der Ordinalzahlen gegeben. Um diese studieren zu können, benötigen wir einige Grundbegriffe bzgl. Ordnungen. 6.1. Ordnungen. Wir werden feststellen, dass wir zwei verschiedene Ordnungskonzepte verwenden können, nämlich einerseits die strikte Ordnung, die den Gleichheitsfall ausschließt, und andererseits die “Gleichordnung”, bei der gleiche Elemente stets miteinander in Relation stehen. Diese Konzepte sind allerdings insofern miteinander verträglich, als dass sich die Gleichordnung als die disjunkte Vereinigung der strikten Ordnung mit der Gleichheit ergibt. Wir werden deshalb beide Ordnungstypen einführen, um beide wahlweise verwenden zu können. Definition 6.1. Sei P eine Menge, <, ≤ ⊆ P × P . (i) (P, <) heißt strikte Partialordnung falls gilt: (a) ∀x ∈ P : (x, x) ∈ / < (Irreflexivität) (b) ∀x, y, z ∈ P : (x, y) ∈ < ∧(y, z) ∈<⇒ (x, z) ∈ < (Transitivität). Des Weiteren nennen wir (P, <) total, oder totale strikte Ordnung, falls zusätzlich die Trichotomie erfüllt ist: (c) ∀x, y ∈ P : x = y ∨ x < y ∨ y < x. (ii) (P, ≤) heißt partielle Gleichordnung falls gilt: (a) ∀x ∈ P : (x, x) ∈≤ (Reflexivität) (b) ∀x, y ∈ P : (x, y) ∈≤ ∧ (y, x) ∈≤ ⇒ x = y (Antisymmetrie) (c) ≤ ist transitiv. Ebenso nennen wir ≤ totale Gleichordnung falls die Trichotomie erfüllt ist. 45 Bemerkung 6.2. (i) Eine strikte Partialordnung ist stets antisymmetrisch, d.h. insbesondere gilt ∀x, y ∈ P : ¬(x < y ∧ y < x). (ii) Eine partielle Gleichordnung (P, ≤) ist genau dann total, wenn gilt: ∀x, y ∈ P : x ≤ y ∨ y ≤ x. Lemma 6.3. (i) Ist (P, <) eine strikte Partialordnung, dann ist (P, ≤) mit ≤:=< ∪{(x, x) : x ∈ P } eine partielle Gleichordnung. Ist (P, <) total, dann auch (P, ≤). (ii) Ist (P, ≤) eine partielle Gleichordnung, dann ist (P, <) mit <:=≤ \{(x, x) : x ∈ P } eine strikte Partialordnung. Ist (P, ≤) total, dann auch (P, <). Beweis. (i) Es ist ≤ transitiv und reflexiv. Seien x, y ∈ P mit (x, y), (y, x) ∈≤. Wäre x 6= y, wäre x < y und y < x im Widerspruch zur Transitivität. Somit ist (P, ≤) eine partielle Gleichordnung. Sei nun (P, <) total und seien erneut x, y ∈ P . Dann ist x < y, y < x oder x = y. Somit ist also x ≤ y oder y ≤ x und damit (P, ≤) total. (ii) Nach Definition ist < irreflexiv und transitiv. Wie in (i) erkennt man, dass (P, <) total ist, falls (P, ≤) dies ist. Wir werden nun diese Konzepte nutzen, um die Ordinalzahlen einzuführen. Definition 6.4. Eine Menge A heißt transitiv, falls jedes Element von A Teilmenge von A ist, d.h. ∀x ∈ A : x ⊆ A. Lemma 6.5. Eine Menge A ist genau dann transitiv, wenn gilt: ∀x ∈ A ∀y ∈ x : y ∈ A. Beweis. ” ⇒: ” Sei x ∈ A, y ∈ x. (Ist x = ∅, dann ist nichts zu zeigen.) Dann ist x ⊆ A, also y ∈ A. S ” ⇐: ” Sei x ∈ A. Für alle y ∈ x gelte y ∈ A. Dann ist x = {y} ⊆ A, also x ⊆ A. y∈x Mit diesem Lemma erhält man sofort die Transitivität von (ii) des folgenden Beispiel 6.6. (i) Ist M eine Menge von Mengen, dann ist ⊆ eine partielle Gleichordnung auf M. (ii) Ist M transitiv, dann ist ∈ eine strikte Ordnung auf M . 46 Im Allgemeinen müssen nun Mengen von Mengen bezüglich ⊆ nicht total geordnet sein. Dies ist T jedoch immer der Fall, wenn für jedes A ⊆ M der Schnitt A := {x ∈ M | ∀B ∈ A : x ∈ B} T in M ist. In diesem Fall handelt es sich bei A um ein kleinstes Element im Sinne folgender Definition: Definition 6.7. (i) Sei (P, ≤) [(P, <)] eine partielle [strikte] Ordnung, A ⊆ P . Wir nennen x ∈ A kleinstes Element von A, falls für alle y ∈ A \ {x} gilt: x ≤ y [x < y]. (ii) Eine partiell geordnete Menge heißt wohlgeordnet, falls jede nicht-leere Teilmenge ein kleinstes Element besitzt. (iii) Sei (P, ≤) eine totale Ordnung, A ⊆ P . Wir nennen s ∈ P das Supremum von A, falls gilt: (i) ∀x ∈ A : x ≤ s (ii) ∀s̃ ∈ P : (∀x ∈ A : x ≤ s̃) ⇒ s ≤ s̃. Das Supremum einer Menge bezeichnen wir mit sup A Lemma 6.8. Jede wohlgeordnete Menge ist total geordnet. Beweis. Sei (A, ≤) wohlgeordnet. Seien x, y ∈ A, x 6= y. Dann existiert in {x, y} ein kleinstes Element, also ist x ≤ y oder y ≤ x. 6.2. Ordinalzahlen. Wir definieren nun die Ordinalzahlen und zeigen einige grundlegende Eigenschaften auf. Definition 6.9. Eine Menge α heißt ordinal bzw. Ordinalzahl, falls α transitiv und bzgl. ∈ wohlgeordnet ist. Beispiel. (i) ∅ ist eine Ordinalzahl. (ii) {∅, {∅}}, {∅, {∅}, {∅, {∅}}} usw. sind Ordinalzahlen. Lemma 6.10. Seien α, β Ordinalzahlen. (i) Ist α ⊂ β, dann ist α ∈ β. (ii) α ∩ β ist Ordinalzahl. (iii) Es gilt α ⊆ β oder β ⊆ α. (iv) Es ist α ∈ β ∨ α = β ∨ β ∈ α. Beweis. (i) Sei α ⊂ β. Dann ist β \ α 6= ∅. Wähle γ ∈ β \ α minimal. Wir zeigen α = γ. ” ⊆: ” Sei δ ∈ α. Dann ist δ ∈ β. Falls δ ∈ / γ, dann ist γ = δ oder γ ∈ δ (da (β, ∈) total geordnet ist). Es ist δ ∈ α, aber γ ∈ / α, somit γ 6= δ. Wäre γ ∈ δ, wäre γ ∈ α, da α transitiv ist. Somit ist δ ∈ γ. 47 ” ⊇: ” Sei δ ∈ γ. Da β transitv, folgt δ ∈ β. Da γ minimal, folgt δ ∈ α, denn wäre δ ∈ / α, wäre δ kleiner in β \ α. (ii) Sei x ∈ α ∩ β. Dann ist x ∈ α und x ∈ β, also x ⊆ α und x ⊆ β, also x ⊆ α ∩ β, also α ∩ β transitiv. Sei ∅ 6= γ ⊆ α ∩ β. Dann ist γ ⊆ α, besitzt also ein kleinstes Element bzgl. ∈. Also ist α ∩ β ordinal. (iii) Angenommen, α * β und β * α. Dann ist α ∩ β ⊂ α und α ∩ β ⊂ β. Setze γ := α ∩ β. Dann ist γ nach (ii) ordinal. Dann ist nach (i) γ ∈ α und γ ∈ β, also γ ∈ γ. Widerspruch zur Irreflexivität von ∈ auf α bzw. β. (iv) Seien α, β ordinal. Nach (iii) gilt α ⊆ β oder β ⊆ α, nach (i) also α ∈ β, β ∈ α oder β = α. Definition 6.11. (i) Wir definieren für eine Ordinalzahl α den Nachfolger α + 1 := α ∪ {α}. Dies ist die kleinste Obermenge von α, die ebenfalls Ordinalzahl ist. (ii) Wir nennen α 6= ∅ Grenzordinal, falls für alle Ordinalzahlen β gilt: β + 1 6= α. In folgendem Lemma ist gerade der Punkt (iv) für uns von enormer Bedeutung. Der Vollständigkeit halber zeigen wir außerdem, dass die Ordinalzahlen eine echte Klasse, also keine Menge sind. Eine formale Definition hierzu findet man etwa in [Ebbi, S.11ff]. Lemma 6.12. Es gilt: (i) ∈ ist eine totale Ordnung auf jeder Ordinalzahl. (ii) Sei α ordinal. Dann ist α = {β ∈ Ord : β ∈ α}. (iii) Sei C eine nicht-leere Menge von Ordinalzahlen. Dann ist T C = min C, d.h. \ ∀x ∈ C : C ⊆ x. T C ordinal, T C ∈ C und Insbesondere hat jede nicht-leere Menge von Ordinalzahlen ein kleinstes Element. S S (iv) Sei C eine nicht-leere Menge von Ordinalzahlen mit C 6= Ord. Dann ist C ordinal, S außerdem gilt C = sup C. (v) Falls α ordinal, so auch α + 1. Es ist α + 1 = min{β ∈ Ord : α ∈ β}. (vi) Ord ist eine echte Klasse, d.h. keine Menge. Beweis. (i) Dies folgt unmittelbar aus Lemma 6.8. (ii) Dies ist klar. (iii) a) Wir zeigen zunächst, dass min C existiert: Sei δ ∈ C. Wir definieren A := {δ ∩ γ | γ ∈ C} ⊆ δ. Da δ wohlgeordnet ist, existiert min A. Ist β ∈ C mit β ⊆ γ für alle γ ∈ C, dann ist β ⊆ δ ∩ γ, somit β ⊆ min A. Es genügt somit zu 48 zeigen, dass min A eine untere Schranke von C ist. Da aber min A ⊆ δ ∩ γ ⊆ γ für alle γ ∈ C ist, ist dies klar. T T b) Da min C ⊆ γ für alle γ ∈ C ist, ist min C ⊆ C. Da weiterhin C ⊆ γ für alle γ ∈ C, T T ist C ⊆ min C. Damit ist C = min C ∈ C und insbesondere ordinal. S T S (iv) Nach (iii) ist ∅ = 6 Ord \ C nach unten beschränkt und es ist (Ord \ C) = min(Ord \ S S C) =: α. Dann ist β ⊆ α für alle β ∈ C und damit C ⊆ α. Insbesondere ist somit C S ordinal und C ≤ α. S Wir zeigen noch sup C = C. ” ⊆ ” : Sei α ∈ sup C. Dann ist α < sup C, d.h. es existiert ein β ∈ C mit α < β. Damit ist S α ∈ β ⊆ C. S ” ⊇ ” : Sei α ∈ C. Dann existiert ein β ∈ C mit α ∈ β und damit α < β ≤ sup C und damit α ∈ sup C. (v) α + 1 ist ordinal und α ∈ α + 1. Sei α ∈ β, β ordinal. Also α ⊂ β. Also α + 1 ⊆ β, damit α + 1 = β oder α + 1 ∈ β (obiges Lemma (ii)). (vi) Annahme: Ord ist eine Menge. Dann ist Ord ordinal, ebenso Ord + 1. Also ist Ord + 1 ∈ Ord und nach (v) ist Ord ∈ Ord + 1. Widerspruch zur Antisymmetrie von ∈ auf Ord. Wir identifizieren im Folgenden 0 = ∅, 1 = {∅} und n + 1 = {n} ∪ n. Dann ist N = ω0 die Menge aller natürlichen Zahlen. Da ω0 eine transitive Menge von Ordinalzahlen ist, ist ω0 Ordinalzahl. Des Weiteren bezeichne ω1 die kleinste überabzählbare Ordinalzahl (siehe zur Existenz einer solchen etwa in [Sch2, S.13]). Die Nachfolgerstruktur ermöglicht es, wie in den natürlichen Zahlen auch bei den Ordinalzahlen eine Form der Induktion einzuführen: Satz 6.13. Prinzip der transfiniten Induktion. Sei α eine Ordinalzahl und P (·) eine Aussagenform über α. Es gelte: (i) P (0) und (ii) falls β ∈ α und für alle γ ∈ β die Aussage P (γ) gilt, so auch P (β). Dann gilt für alle β ∈ α die Eigenschaft P (β). Beweis. Annahme: A = {β ∈ α : Es gilt nicht P (β)} 6= ∅. Da α wohlgeordnet ist, enthält A ein kleinstes Element β0 . Wegen (i) gilt β0 6= 0. Aufgrund der Minimalität gilt P (β) für alle β ∈ β0 . Wegen (ii) gilt somit auch P (β0 ) im Widerspruch zur Annahme. 49 6.3. Ränge. Zuletzt führen den Begriff des Rangs ein. Definition 6.14. Sei X eine Menge, C ⊆ X. Ein (regulärer) Rang auf C ist eine Abbildung ϕ : C → ω1 . Mit einem Rang können wir nun eine Relation auf C gemäß ∀x, y ∈ C : x ≤ϕ y ⇔ ϕ(x) ≤ ϕ(y) definieren. Des Weiteren erweitern wir ϕ auf ganz X, indem wir ϕ(x) = ω1 für alle x ∈ X \ C setzen. Ebenso erweitern wir ≤ϕ zu ≤∗ϕ durch ∀x, y ∈ X : x ≤∗ϕ y ⇔ x ∈ C ∧ [y ∈ / C ∨ (y ∈ C ∧ ϕ(x) ≤ ϕ(y))]. Analog definieren wir die Relation <∗ϕ durch ∀x, y ∈ X : x <∗ϕ y ⇔ x ∈ C ∧ [y ∈ / C ∨ (y ∈ C ∧ ϕ(x) < ϕ(y))]. Wir stellen nun den Zusammenhang zwischen dem Konzept der analytische Menge und dem Rangbegriff her. Hierzu definieren wir: Definition 6.15. Sei X ein polnischer Raum und C ⊆ X sei coanalytisch. Ein Rang ϕ auf C Q heißt ein 11 -Rang, falls die Relation x ≤∗ϕ y als Teilmenge von X × X coanalytisch ist. Q Wir werden zeigen, dass eine Borel-Menge auf der ein 11 -Rang definiert ist, immer von einer abzählbaren Ordinalzahl beschränkt ist, d.h. sein Supremum in ω1 an. Indem wir dies beweisen, erhalten wir ein Kriterium dafür, dass eine Menge keine Borel-Menge ist. 50 7. Das Fundamentalbeispiel einer analytischen nicht-Borel Menge Wir werden in diesem Abschnitt eine Teilmenge eines polnischen Raums konstruieren, die analytisch ist, aber nicht coanalytisch. Hierzu werden wir eine Menge von Sprachen konstruieren. Unter einer Sprache verstehen wir hierbei eine Menge von Tupeln über einer Grundmenge, welche wir als Alphabet bezeichnen. Bei dieser Auswahl von Sprachen handelt es sich um die Präfixtreuen Sprachen. Wir werden solche im folgenden als Bäume bezeichnen. Zunächst führen wir jedoch die Konstruktion formal durch: 7.1. Die Menge der wohl-fundierten Bäume. Generalvoraussetzung 7.1. Zu einer gegebenen Menge Σ sei im folgenden Σ<N := S Σn n∈N0 die Vereinigung aller n-Tupel über Σ. Wir fassen die Elemente von Σ<N als endliche Worte über dem Alphabet Σ auf: Definition 7.2. Seien x, y ∈ Σ<N ∪ ΣN . Ist x ∈ Σn , dann heißt |x| := n die Länge von x. Ist x ∈ ΣN , so ist die Länge |x| := ∞. Ist |x| ≤ |y| (wobei wir ∞ ≤ ∞ zulassen) und gilt x(i) = y(i) für alle i ∈ N≤|x| , so heißt x Präfix von y und wir schreiben x ≤ y, bzw. x < y falls zusätzlich x 6= y ist. Ist n ∈ N mit n ≤ |y|, dann ist y | n := (y1 , . . . , yn ) die Projektion auf das Anfangsstück der Länge n von y. Des Weiteren definieren wir für jedes x ∈ Σ<N die Einbettung in ΣN gegeben durch Ex := {σ ∈ ΣN : x < σ}, d.h. die Menge aller Folgen über Σ von denen x Präfix ist. Zuletzt sei die Konkatenation von x und y gegeben durch ( x(i), falls i ≤ |x|; x _ y : |x| + |y| → Σ, i 7→ y(i − |x|), sonst. Ist a ∈ A, schreiben wir auch x _ a statt x _ (a). Bemerkung 7.3. Im Spezialfall Σ = N ist für jedes s ∈ N<N die Menge Es offen und abgeschlossen. Beweis. Setze Ui := N, falls i > |s| und Ui = {s(i)} falls i ≤ |s| für alle i ∈ N. Dann ist Y Es = Ui i∈N offen und abgeschlossen in der Produkttopologie. 51 Lemma 7.4. ≤ ist eine partielle Ordnung auf Σ<N . Beweis. Seien x, y, z ∈ Σ<N . Nach Definition ist ≤ reflexiv. Es gelte x ≤ y ≤ z. Dann ist |x| ≤ |z|. Ferner gilt x(i) = y(i) für alle i ∈ N≤|x| und y(i) = z(i) für alle i ∈ N≤|y| . Somit ist x(i) = z(i) für alle i ∈ N≤|x| , also ≤ transitiv. Ist außerdem noch y ≤ x, dann ist |x| = |y| und außerdem x(i) = y(i) für alle i ∈ N≤|x| und damit x = y. Definition 7.5. Sei Σ eine Menge. Eine Teilmenge T ⊆ Σ<N heißt Baum, falls für alle s ∈ T und alle s0 < s gilt: s0 ∈ T . Die Menge aller Bäume über Σ bezeichnen wir im Folgenden mit TΣ , bzw. im Spezialfall Σ = N einfach mit T. Wir werden in vielen Fällen nur mit Bäumen über N arbeiten. Da wir allerdings für einen Beweis einen allgemeinen Baum benötigen, werden wir auch mit der allgemeinen Form umgehen und die notwendigen Hilfsmittel auch für diesen Fall definieren. Bemerkung 7.6. Ist T ein Baum über Σ, dann können wir ihn als Element von {0, 1}Σ auffassen mittels der kanonischen Projektion ( Σ<N → {0, 1}, x 7→ 1 0 <N falls x ∈ T . sonst <N Insbesondere betrachten wir T als Teilmenge von {0, 1}N . Wir hatten in Beispiel 3.12 gesehen, dass {0, 1}N polnisch ist. Da N<N als abzählbare Vereinigung abzählbar unendlicher <N Mengen abzählbar unendlich ist, ist somit {0, 1}N nach Korollar 2.22 und Proposition 2.20 ebenfalls polnisch. <N Lemma 7.7. Wir betrachten T ⊆ {0, 1}N =: K. Dann ist T in K ausgestattet mit der Produkttopolgie abgeschlossen. Insbesondere ist T eine Borel-Menge in K. Beweis. Wir zeigen, dass das Komplement von T in K offen ist. Sei x ∈ K \ T. Dann existiert ein t ∈ x−1 (1) und ein s ≤ t mit s ∈ x−1 (0). Definieren wir nun falls y = s {0} Uy := {1} falls y = t , {0, 1} sonst Q Q dann ist Uy offen in K. Es gilt für alle z ∈ Uy , dass z −1 (s) ∈ {0} und z −1 (t) ∈ {1} y∈N<N ist. Somit ist z ∈ / T. y∈N<N 52 Definition 7.8. Sei Σ eine Menge, T ein Baum. Wir definieren mit [T ] := {σ ∈ ΣN | ∀s ∈ Σ<N : s ≤ σ ⇒ s ∈ T } die Beschränkung von T . Wir nennen T wohl-fundiert, falls [T ] = ∅. Des Weiteren bezeichnen wir mit W FΣ die Menge aller wohl-fundierten Bäume und IFΣ := TΣ \ W FΣ die Menge aller schlecht-fundierten Bäume (engl.: ill-founded). Analog zum Vorgehen bei T verzichten wir im Falle Σ = N auf die Indizierung. Die Menge IF ist analytisch, die Menge W F jedoch nicht. Insbesondere ist IF keine BorelMenge. Ziel dieses Kapitels ist es, dies beides zu zeigen. Hierbei wird die Tatsache, dass IF analytisch ist, relativ elementar folgen. Allerdings wird es uns einige Mühe kosten, zu zeigen, dass IF nicht coanalytisch ist. Lemma 7.9. (i) Ist T ein Baum, so ist [T ] abgeschlossen in NN . (ii) Ist A ⊆ NN abgeschlossen, so existiert ein Baum T mit [T ] = A. Beweis. (i) Sei T ein Baum, o.B.d.a [T ] 6= ∅. Sei (σn )n∈N ∈ [T ]N eine Folge mit lim σn =: σ∞ ∈ NN . n→∞ Annahme: σ∞ ∈ / [T ]. Dann existiert ein s ≤ σ∞ mit s ∈ / T . Da Es nach Bemerkung 7.3 eine offene Umgebung von σ∞ ist, existiert ein n ∈ N mit σn ∈ Es . Damit ist s ≤ σn und damit s ∈ T . Dies ist ein Widerspruch. (ii) Sei A ⊆ NN abgeschlossen. Ist A = ∅, dann ist {∅} ein Baum mit [{∅}] = A. Sei also o.B.d.A. A 6= ∅. Setze T := {s ∈ N<N | ∃σ ∈ A : s < σ}. Wir zeigen zunächst, dass T ein Baum ist: Sei s ∈ T , t ≤ s. Dann existiert ein σ ∈ NN mit s ≤ σ. Dann ist t ≤ σ, also t ∈ T . Es genügt also zu zeigen, dass [T ] = A ist. Da hierbei offensichtlich A ⊆ [T ] ist, werden wir nur [T ] ⊆ A zeigen: Sei σ ∈ [T ]. Wir betrachten (σ | n)n∈N ∈ T N . Dann existiert für jedes n ∈ N ein ϑn ∈ A mit σ | n ≤ ϑn nach Definition von T . Dann ist (ϑn )n∈N eine Folge in A mit limn→∞ ϑn = σ. Da A abgeschlossen ist, ist somit σ ∈ [T ]. Lemma 7.10. W F ist coanalytisch in T. Beweis. Sei A := {(T, σ) ∈ T × NN : σ ∈ [T ]}. Wir erhalten dann - unter der Beachtung dass T × NN ein polnischer Raum ist - IF = π1 (A), wobei mit π1 : T × NN → T die Projektion auf die erste Komponente gemeint ist. D.h. mit Lemma 4.14 genügt es zu zeigen, dass A eine Borel-Menge ist. Wir werden zeigen, dass A sogar abgeschlossen ist. 53 Sei (Tn , σn )n∈N eine Folge in A, (T∞ , σ∞ ) ∈ T × NN mit der Eigenschaft, dass lim (Tn , σn ) = n→∞ (T∞ , σ∞ ) ist. Zunächst ist Eσ∞ |n n∈N eine fallende Folge offener Umgebungen von σ∞ . Wir können - durch Übergang zu einer Teilfolge - davon ausgehen, dass σn ∈ Eσ∞ |n für alle n ∈ N ist. Das heißt, σn | n = σ∞ | n für alle n ∈ N. Angenommen, σ∞ ∈ / [T∞ ]. Dann existiert ein s0 ≤ σ∞ mit s0 ∈ / T∞ . Wähle n0 ∈ N mit s0 = σ∞ | n0 . Insbesondere ist s0 ∈ Tn für alle n ≥ n0 . Wir definieren nun Us0 = {1} und Us = {0, 1} für alle s 6= s0 . Dann ist Y Us Ũ := s∈N<N N<N abgeschlossen in {0, 1} - damit U := Ũ ∩T auch in T - und es ist Tn ∈ U für alle n ≥ n0 . Da (Tn )n≥n0 eine Folge in U mit limn→∞ Tn = T∞ ist, ist somit - da U abgeschlossen - T∞ ∈ U . Dann ist s0 ∈ T∞ im Widerspruch zur Annahme. Also ist σ∞ ∈ [T∞ ] und damit (σ∞ , T∞ ) ∈ A. Also ist A abgeschlossen. 7.2. Die Rangmethode. Unter der Rangmethode wird in der deskriptiven Mengenlehre eine Methode verstanden, um von einer Teilmenge einer coanalytischen Menge in einem polnischen Raum zu zeigen, dass sie nicht analytisch ist. Wir folgen hier dem Vorgehen aus [Ker2, S.104ff]. Q Hierbei wird auf einer coanalytische Menge ein 11 -Rang definiert und anschließend gezeigt, dass dieser auf der jeweiligen Teilmenge nicht durch eine abzählbare Ordinalzahl beschränkt Q wird. Um dies zu erreichen, werden wir mit dem 11 -Rang eine wohl-fundierte Relation ein Analogon zu wohl-fundierten Bäumen - konstruieren. Da eine solche stets beschränkt ist, Q erreichen wir hiermit die Beschränktheit des 11 -Rangs auf analytischen Teilmengen von W F . Wir werden nun auf W FΣ einen Rang definieren. Von diesem werden wir dann im Verlauf des Q Kapitels zeigen, dass es sich um einen 11 -Rang handelt. Ist T ∈ W FΣ , dann setzen wir h(s, T ) = 0, falls s ∈ / T und h(s, T ) = sup{h(s _ a, T ) + 1 : a ∈ Σ} [ = (h(s _ a) + 1) falls s ∈ T. a∈Σ Diese Funktion ist für abzählbares Σ auf W F wohldefiniert, denn es gilt: Lemma 7.11. Sei Σ abzählbar. Dann gilt: ∀T ∈ W FΣ : ∀s ∈ T : h(s, T ) ∈ ω1 . Beweis. Sei T ∈ W FΣ , s ∈ T . Annahme: h(s, T ) ≥ ω1 . Wäre h(s _ a, T ) < ω1 für alle a ∈ Σ, so wäre sup{h(s _ a, T ) + 1 : a ∈ Σ} abzählbar als abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen. 54 Es existiert deshalb x1 ∈ Σ mit s _ x1 ∈ T und h(s _ x1 , T ) ≥ ω1 . Induktiv definieren wir nun zu gegebenen x1 , . . . , xn ∈ Σ mit h(s _ (x1 , . . . , xn ), T ) ≥ ω1 ein xn+1 ∈ Σ mit s _ (x1 , . . . , xn+1 ) ∈ T und h(s _ (x1 , . . . , xn+1 ), T ) ≥ ω1 . Dies liefert eine Folge (xn )n∈N ∈ ΣN . Nun ist s _ (x1 , . . . , xn ) ∈ T für alle n ∈ N, somit s _ (xn )n∈N ∈ [T ]. Dies ist ein Widerspruch zu T ∈ W F und damit [T ] = ∅. Definition 7.12. Wir bezeichnen mit h(T ) := h(∅, T ) die Höhe eines Baumes T ∈ W FΣ . Bemerkung 7.13. (i) Ist Σ abzählbar, so ist die Funktion h ein Rang auf W FΣ . (ii) Für alle T ∈ W FΣ und s ∈ T gilt h(s, T ) = sup{h(t, T ) + 1 : s < t}. Beweis. (i) Da zu gegebenem T ∈ W FΣ stets ∅ ∈ T ist, ist h(T ) ∈ ω1 mit Lemma 7.11 und damit h ein Rang auf W FΣ . (ii) Es ist offensichtlich h(s, T ) ≤ sup{h(t, T ) + 1 : s < t}. Angenommen, es ist h(s, T ) < sup{h(t, T ) + 1 : s < t}. Dann gibt es ein t > s mit h(s, T ) < h(t, T ) + 1. Wähle n ∈ N und x ∈ An mit s _ x = t. Dann ist h(s, T ) = sup{h(s _ a, T ) + 1 : a ∈ Σ} ≥ h((s _ x1 ), T ) + 1 = sup{h((s _ x1 ) _ a, T ) + 1 : a ∈ Σ} + 1 ≥ . . . ≥ h(t, T ) + n. Dies ist ein Widerspruch, somit h(s, T ) = sup{h(t, T ) + 1 : s < t}. Wir werden häufig die Höhe zweier Bäume vergleichen müssen. Hierzu wird uns der folgende Begriff behilflich sein. Definition 7.14. Sei Σ̃ ein weiteres Alphabet. Wir bezeichnen die Präfixordnung auf Σ̃<N ebenfalls mit ≤. (i) Eine Funktion f : Σ<N → Σ̃<N heißt monoton, falls für alle s, t ∈ Σ<N gilt: s < t ⇒ f (s) < f (t). (ii) Zu gegebenem T ∈ TΣ und a ∈ Σ bezeichnen wir mit T a := {s ∈ Σ<N : (a) _ s ∈ T } den a-Ast von T . 55 Bemerkung 7.15. Ist Σ̃ ein weiteres Alphabet, T1 ∈ TΣ , T2 ∈ TΣ̃ und f : T1 → T2 monoton, dann ist T1 ∈ W FΣ , falls T2 ∈ W FΣ̃ ist. Beweis. Sei T1 ∈ / W F , σ ∈ [T1 ]. Dann ist f (σ | n) ∈ T2 und |f (σ | n)| ≥ n für jedes n ∈ N. Außerdem ist f (σ | m) < f (σ | n) für alle m, n ∈ N mit m < n aufgrund der Monotonie von f . Definieren wir ρ : N → N, n 7→ f (σ | n)(n), so erhalten wir mit ρ ∈ [T2 ], dass T2 ∈ / W FΣ̃ ist. Lemma 7.16. Sei Σ̃ ein weiteres Alphabet. Für alle T1 ∈ TΣ , T2 ∈ TΣ̃ gilt: h(T1 ) ≤ h(T2 ) ⇔ Es existiert eine monotone Funktion f mit f (T1 ) ⊆ T2 . Beweis. Sei also T1 ∈ TΣ , T2 ∈ TΣ̃ . ” ⇐ ” : Sei f : Σ<N → Σ̃<N eine monotone Funktion mit f (T1 ) ⊆ T2 . Ist T2 ∈ W FΣ̃ , so muss nach Bemerkung 7.15 auch T1 ∈ W FΣ sein. Sei s ∈ Σ<N . Wir zeigen mit Induktion über h(s, T1 ), dass h(s, T1 ) ≤ h(f (s), T2 ) ist: Ist h(s, T1 ) = 0, so ist h(s, T1 ) ≤ h(f (s), T2 ). Sei α := h(s, T1 ), es gelte h(t, T1 ) ≤ h(f (t), T2 ) für alle t ∈ Σ<N mit h(t, T1 ) < h(s, T1 ). Dann gilt insbesondere h(s _ a, T1 ) ≤ h(f (s _ a), T2 ) für alle a ∈ Σ. Damit folgt: h(s, T1 ) = sup{h(s _ a), T1 ) + 1 : a ∈ Σ} ≤ sup{h(f (s _ a), T2 ) + 1 : a ∈ Σ} ≤ sup{h(t, T2 ) + 1 : f (s) < t} = h(f (s), T2 ). ” ⇒ ” : Es gelte h(T1 ) ≤ h(T2 ). Ist T2 ∈ / W FΣ̃ , existiert ein σ ∈ [T2 ]. Dann definiert f (s) := <N (σ(1), . . . , σ(|s|)), s ∈ Σ , eine monotone Funktion und f (T1 ) ⊆ {σ | n : n ∈ N} ⊆ T2 . Sei also T2 ∈ W FΣ̃ . Wir zeigen die Behauptung mittels transfiniter Induktion über α := h(T2 ). Ist h(T1 ) ≤ h(T2 ) = 0, dann ist T1 = T2 = ∅. Es gebe für alle T˜1 ∈ TΣ , T˜2 ∈ TΣ̃ mit h(T˜1 ) ≤ h(T˜2 ) < α eine monotone Funktion f : Σ<N → Σ̃<N mit f (T˜1 ) ⊆ T˜2 . Für jedes a ∈ Σ ist T1a ∈ W FΣ und h(T1a ) = h((a), T1 ) < h(T2 ). g(a) Da h(T2 ) = sup{h(T2b ) + 1 : b ∈ Σ̃}, können wir ein g(a) mit h(T1a ) ≤ h(T2 ) für alle a ∈ Σ wählen. Nach der Induktionsvoraussetzung existiert dann für jedes a ∈ Σ eine monotone g(a) Funktion fa : Σ<N → Σ<N mit fa (T1a ) ⊆ T2 . Wir definieren nun f : Σ<N → Σ̃<N durch f (∅) = ∅ und f ((a) _ s) = (g(a)) _ fa (s) für alle a ∈ Σ und s ∈ Σ<N . Wir zeigen, dass f die gewünschten Eigenschaften aufweist: 56 Seien s, t ∈ Σ<N mit s < t, o.B.d.A. s 6= ∅. Dann ist - da s1 = t1 f (s) = (g(s1 )) _ fs1 ((s2 , . . . , s|s| )) = (g(t1 )) _ ft1 ((s2 , . . . , s|s| )) < (g(t1 )) _ ft1 ((t2 , . . . , t|t| )) = f (t), also f monoton. Ist s ∈ T1 , dann gilt f (s) = (g(s1 )) _ fs1 ((s2 , . . . , s|s| )), g(s1 ) wobei fs1 ((s2 , . . . , s|s| )) ∈ T2 g(s1 ) ist. Nach Definition von T2 ist dann f (s) = (g(s1 )) _ fs1 ((s2 , . . . , s|s| )) ∈ T2 . In den meisten Fällen werden wir obiges Lemma im Falle Σ = Σ̃ einsetzen. Da wir jedoch in einem Beweis die Höhe zweier Bäume über unterschiedlichen Alphabeten vergleichen müssen, können wir das Lemma auch hierfür verwenden. Q Wir wollen nun einsehen, dass h ein 11 -Rang auf W F ist. Dazu zeigen wir zunächst folgendes Lemma, in dem ein großer Teil der technischen Arbeit enthalten ist. Wir verwenden hierfür die Bezeichnung h := {(T1 , T2 ) ∈ W F × W F | h(T1 ) h(T2 )} (bzw. analoge Definitionen für ≮h und die jeweiligen Erweiterungen auf ganz T × T). Wir schreiben diese Relationen auch wie üblich in Infix-Notation. Außerdem verwenden wir in (ii) die Bezeichnung aus Definition 7.14. Lemma 7.17. Seien T1 , T2 ∈ T. Sei ρ : N → N<N eine Bijektion. (i) Es ist (T1 , T2 ) ∈∗h ⇔ ∀g ∈ NN : [{∀m, n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))} ⇒ ∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) ∈ / T2 )] (ii) Es ist für jedes M ∈ N B M := {(g, T1 , T2 ) ∈ NN × T × T : [∀m, n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))] ⇒ [∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) ∈ / T2M )]} eine Borel-Menge. 57 Beweis. (i) ” ⇒ ” : Sei zunächst h(T1 ) h(T2 ), das heißt für jede monotone Funktion f : N<N → N<N ist f (T1 ) * T2 . Sei g ∈ NN , es gelte für alle m, n ∈ N mit ρ(m) < ρ(n), dass ρ(g(m)) < ρ(g(n)) ist. Wir definieren f : N<N → N<N , s 7→ ρ(g(ρ−1 (s))). Seien s, t ∈ N<N mit s < t. Dann ist ρ(ρ−1 (s)) < ρ(ρ−1 (t)) und damit gilt f (s) = ρ(g(ρ−1 (s))) < ρ(g(ρ−1 (t))) = f (t), also ist f monoton. Dann ist f (T1 ) * T2 , d.h. es existiert ein m ∈ N mit ρ(m) ∈ T1 und f (ρ(m)) = ρ(g(m)) ∈ / T2 . ” ⇐ ” : Es gelte nun ∀g ∈ NN : [∀m, n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))] ⇒ [∃m ∈ N : ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) ∈ / T2 ]. Sei f : N<N → N<N monoton. Wir definieren g : N → N, m 7→ ρ−1 (f (ρ(m))). Dann gilt für jedes m, n ∈ N mit ρ(m) < ρ(n): ρ(g(m)) = f (ρ(m)) < f (ρ(n)) = ρ(g(n)). Dann existiert ein m ∈ N mit ρ(m) ∈ T1 und ρ(g(m)) = f (ρ(m)) ∈ / T2 . Somit ist f (T1 ) * T2 . (ii) Sei M ∈ N. Es ist (g, T1 , T2 ) ∈ / B M ⇔ [∀m, n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))] ∧ [∀m ∈ N : ρ(m) ∈ / T1 ∨ ρ(g(m)) ∈ T2M ]. Wir zeigen B1 := {(g, T1 , T2 ) ∈ NN × T × T | ∀m, n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))} und B2 := {(g, T1 , T2 ) ∈ NN × T × T | ∀m ∈ N : ρ(m) ∈ / T1 ∨ ρ(g(m)) ∈ T2M } sind Borel-Mengen, denn dann ist B1 ∩ B2 = (B M )c eine Borel-Menge, somit ebenfalls B M . B1 ist Borel: Wir zeigen, dass B1 sogar abgeschlossen ist. Sei (gk , T1k , T2k )k∈N ∈ B1N eine in NN × T × T konvergente Folge mit lim (gk , T1k , T2k ) =: (g∞ , T1∞ , T2∞ ) ∈ NN × T × T. k→∞ 58 Seien m, n ∈ N mit ρ(m) < ρ(n). Da N diskret ist, existiert ein k0 ∈ N mit gk0 (m) = g∞ (m) und gk0 (n) = g∞ (n). Dann gilt: ρ(g∞ (m)) = ρ(gk0 (m)) < ρ(gk0 (n)) = ρ(g∞ (n)). Somit ist (g∞ , T1∞ , T2∞ ) ∈ B1 . B2 ist Borel: Definiere für jedes m ∈ N / T1 ∨ ρ(g(m)) ∈ T2M }. B2m = {(g, T1 , T2 ) ∈ NN × T × T | ρ(m) ∈ Dann ist T B2m = B2 . Sei m ∈ N, wir zeigen B2m ist offen: m∈N Sei (ĝ, T̂1 , T̂2 ) ∈ B2m . Sei Uĝ := {g ∈ NN | ∀n ∈ m : g(n) = ĝ(n)}. Dann ist Uĝ offen in NN . Weiterhin ist UT̂1 := {T1 ∈ T | ρ(m) ∈ / T1 } offen in {0, 1}N <N . Dann ist UT̂2 := {T2 ∈ T | ρ(ĝ(m)) ∈ T2M } ebenfalls offen in {0, 1}N <N . Hieraus erhalten wir, dass Uĝ × UT̂1 × UT̂2 = B2m offen in NN × T × T ist, was den Beweis abschließt. Mit Hilfe dieses Lemmas erhalten wir nun den folgenden Satz: Satz 7.18. Die Funktion h ist ein Q1 1 -Rang auf W F . Beweis. Wir müssen zeigen, dass ≤∗h coanalytisch in T × T ist. Hierzu werden wir ≮∗h zunächst als stetiges Bild einer Borel-Menge erkennen. Hieraus werden wir schließlich folgern, dass ∗h analytisch ist. Wir stellen zunächst fest, dass h(T ) = sup{h(T n ) + 1 : n ∈ N} ≥ h(T M ) + 1 > h(T M ) für alle M ∈ N gilt. 59 Für alle T1 , T2 ∈ T ist nach Lemma 7.16 deshalb T1 ≮∗h T2 ⇔ h(T1 ) ≮ h(T2 ) ⇔ ∀M ∈ N : h(T1 ) h(T2M ) ⇔ Für alle monotonen f : N<N → N<N und M ∈ N ist f (T1 ) * T2M . Sei ρ : N → N<N eine Bijektion. Wir erhalten mit Lemma 7.17 also (T1 , T2 ) ∈∗h ⇔ ∀g ∈ NN : [{∀m, n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))} ⇒ ∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) ∈ / T2 )]. Sei M ∈ N. Ebenso folgt nach Lemma 7.17, dass B M := {(g, T1 , T2 ) ∈ NN × T × T : [∀m, n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))] ⇒ [∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) ∈ / T2M )]} eine Borel-Menge ist. Wir definieren nun die stetige Funktion π23 : NN × T × T → T × T , (g, T1 , T2 ) 7→ (T1 , T2 ). Setzen wir noch für alle g ∈ NN BgM := {(T1 , T2 ) ∈ T × T : ∀m, n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n)) ⇒ ∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) ∈ / T2M )}, dann ist P M := π23 (NN × T × T \ B M ) = {(T1 , T2 ) ∈ T × T : ∃g ∈ NN : (T1 , T2 ) ∈ / BgM } = {(T1 , T2 ) ∈ T × T : ¬(∀g ∈ NN : (g, T1 , T2 ) ∈ B M )} = {(T1 , T2 ) ∈ T × T : (T1 , T2M ) ∈ / ∗h } = {(T1 , T2 ) ∈ T × T : (T1 , T2M ) ∈≤∗h } analytisch. Somit ist P := \ PN = {(T1 , T2 ) ∈ T × T : ∀N ∈ N : (T1 , T2N ) ∈≤∗h } N ∈N = {(T1 , T2 ) ∈ T × T : (T1 , T2 ) ∈<∗h } = {(T1 , T2 ) ∈ T × T : (T1 , T2 ) ∈∗h } 60 analytisch und damit ist ebenfalls - mittels der stetigen Abbildung (T1 , T2 ) 7→ (T2 , T1 ) {(T1 , T2 ) ∈ T × T : (T2 , T1 ) ∈∗h } = {(T1 , T2 ) ∈ T × T : (T1 , T2 ) ∈∗h } analytisch. Wir werden nun den Begriff der wohl-fundierten Relation einführen. Definition 7.19. Sei X ein polnischer Raum. Eine Relation ≺ auf X ist wohl-fundiert, falls keine Folge (xn )n∈N ∈ X N existiert mit xn+1 ≺ xn für alle n ∈ N. Ist ≺ wohl-fundiert, definiere L(x, ≺) := 1 für alle x ∈ X, für die es kein y ∈ X mit y ≺ x gibt und L(x, ≺) := sup{L(y, ≺) + 1 | y ≺ x}. Die Länge der wohl-fundierten Relation ≺ ist L(≺) := sup{L(x, ≺) + 1 | x ∈ X}. Wir nennen ≺ analytisch, falls {(x, y) ∈ X × X : y ≺ x} analytisch ist. Wir werden im Folgenden zeigen, dass eine wohl-fundierte analytische Relation stets abzählbare Länge besitzt. Da wir mittels h eine solche Relation konstruieren können, werden wir hieraus die Unbeschränktheit der Höhe analytischer Teilmengen von W F erhalten. Lemma 7.20. Sei X polnischer Raum, ≺ eine wohlfundierte Relation. Es sei T ⊆ X <N definiert durch T := {(s1 , . . . , sn ) ∈ X <N | n ∈ N, sn ≺ . . . ≺ s1 } ∪ {∅}. Dann ist T ein Baum und es gilt h((x1 , . . . , xn ), T ) = L(xn , ≺) für jedes (x1 , . . . , xn ) ∈ T . Insbesondere ist h(T ) = L(≺). Beweis. Sei s = (s1 , . . . , sn ) ∈ T , m ≤ n. Dann ist sm ≺ . . . ≺ s1 , also (s1 , . . . , sm ) ∈ T und damit T ein Baum. Sei (x1 , . . . , xn ) ∈ T . Dann ist h((x1 , . . . , xn ), T ) ≥ 1. Wir führen eine Induktion über 0 < α := h((x1 , . . . , xn ), T ) durch. Ist h((x1 , . . . , xn ), T ) = 1, dann ist (x1 , . . . , xn , x) ∈ / T für jedes x ∈ X, damit x ⊀ xn und L(xn , ≺) = 1. Sei also 1 < α. Zunächst ist dann (∗) {x ∈ X : (x1 , . . . , xn ) _ x ∈ T } = 6 ∅. 61 Es gelte h((y1 , . . . , ym ), T ) = L(ym , ≺) für alle γ < α mit h((y1 , . . . , ym ), T ) = γ. Dann gilt für jedes x ∈ X mit (x1 , . . . , xn ) _ x ∈ T : h((x1 , . . . , xn ), T ) = sup{h((x1 , . . . , xn ) _ x, T ) + 1 | x ∈ X} Mit (∗) : = sup{h((x1 , . . . , xn ) _ x, T ) + 1 | (x1 , . . . , xn ) _ x ∈ T } = sup{L(x, ≺) + 1 : (x1 , . . . , xn ) _ x ∈ T } = L(xn , ≺). Nun ist L(≺) = sup{L(x, ≺) + 1 | x ∈ X} = sup{h(x, T ) + 1 : x ∈ X} = h(∅, T ) = h(T ). Satz 7.21. Sei X polnischer Raum. Jede analytische wohl-fundierte Relation auf X hat abzählbare Länge. Beweis. Sei ≺ eine analytische wohl-fundierte Relation auf X. Wir definieren einen allgemeinen Baum T ⊆ X <N durch s = (s1 , . . . , sn ) ∈ T ⇔ sn ≺ sn−1 ≺ . . . ≺ s1 . Nach Lemma 7.20 ist T ein Baum und es ist L(≺) = h(T ). Es genügt also zu zeigen, dass h(T ) ∈ ω1 ist. Hierzu konstruieren wir einen wohl-fundierten Baum T ∗ ∈ W F und eine monotone Funktion f : T → T ∗ . Mit Lemma 7.16 folgt hieraus h(T ) ≤ h(T ∗ ). Da nach Bemerkung 7.13 h(T ∗ ) ∈ ω1 ist, sind wir damit fertig. Es ist X × X ein polnischer Raum, also existiert nach Lemma 3.3 eine abzählbare Basis der Topologie, die wir mit (Vn )n∈N bezeichnen. Des Weiteren können wir - da ≺ analytisch ist nach Lemma 3.20 eine abgeschlossene Menge F ⊆ X × X × NN wählen, so dass y ≺ x ⇔ ∃σ ∈ NN : (x, y, σ) ∈ F. Für alle (x, y) ∈ X × X mit y ≺ x und alle m ∈ N wählen wir nun ein nx,y (m) ∈ N mit (x, y) ∈ Vnx,y (m) und diam(Vnx,y (m) ) ≤ 2−m und ein σx,y ∈ NN mit (x, y, σx,y ) ∈ F . Nun 62 definieren wir für alle x, y ∈ X mit y ≺ x Funktionen ( σx,y ( m falls m gerade; 2 ), gx,y : N → N, m 7→ m+1 nx,y ( 2 ), falls m ungerade. Die Funktionen gx,y haben folgende Eigenschaft: (∗) Sind (xn )n∈N und (yn )n∈N Folgen von Punkten in X und ist yn ≺ xn für jedes n ∈ N und ist für jedes m ∈ N die Folge (gxn ,yn (m))n∈N ab einem gewissen nx,y,m ∈ N konstant, d.h. (gxn ,yn )n∈N konvergiert in NN , dann existieren x, y ∈ X mit limn→∞ xn = x, limn→∞ yn = y und y ≺ x. Wir zeigen dies: Seien (xn )n∈N , (yn )n∈N ∈ X N mit yn ≺ xn und (gxn ,yn )n∈N konvergent in NN . Wir setzen g := limn→∞ gxn ,yn . Für jedes m ∈ N sind dann (xn , yn ) ∈ Vg(2m+1) für alle n ∈ N mit n ≥ nx,y,m . Da außerdem diam(Vg(2m+1) ) ≤ 2−m ist, sind (xn )n∈N und (yn )n∈N CauchyFolgen. Da X vollständig ist, existieren x, y ∈ X mit limn→∞ xn = x und limn→∞ yn = y. Wir definieren weiterhin σn := σxn ,yn für jedes n ∈ N. Dann ist (σn (m))n∈N = (gxn ,yn (2m))n∈N für jedes m ∈ N konvergent, etwa gegen σ∞ (m). Dann konvergiert (σn )n∈N gegen σ∞ , d.h. (xn , yn , σn )n∈N ist eine konvergente Folge, die in F verläuft. Da F abgeschlossen ist, ist (x, y, σ∞ ) ∈ F und damit gilt (∗). Wir konstruieren nun f : T → N<N durch f (∅) = ∅, f ((x0 )) = (0), f ((x0 , x1 )) = (0, gx0 ,x1 (0)), f ((x0 , x1 , x2 )) = f ((x0 , x1 )) _ (gx1 ,x2 (0), gx1 ,x2 (1)), bzw. für beliebiges n ∈ N: f ((x0 , x1 , . . . , xn )) := f ((x0 , . . . , xn−1 )) _ (gxn−1 ,xn (0), gxn−1 ,xn (1), . . . , gxn−1 ,xn (n − 1)). Weiter definieren wir T ∗ := {s ∈ N<N : ∃u ∈ T : s ≤ f (u)}. Offensichtlich ist T ∗ ein Baum und Bild f ⊆ T ∗ . Außerdem ist f monoton und hat die Eigenschaft (∗∗) ∀s ∈ N<N : |f (s)| = 1 + |s| X i=1 was eine leichte Induktion zeigt. Es genügt also zu zeigen, dass T ∗ ∈ W F ist. (i − 1) =: l|s| , 63 Annahme: T ∗ ∈ / W F . Dann existiert σ ∈ [T ∗ ], d.h. es existiert für jedes n ∈ N ein u ∈ T mit σ | n ≤ f (u), da σ | n ∈ T ∗ ist. Wir wählen nun für jedes n ∈ N ein solches un := (xn1 , . . . , xnñ ) ∈ T, ñ ∈ N, so dass σ | ln ≤ f (un ) ist. Da |f (s)| = l|s| für jedes s ∈ N<N ist, ist ñ ≥ n. Sei p ∈ N. Für jedes n ∈ N≥p+1 erhalten wir dann mit (∗∗) und σ | n ≤ f (un ): f (xn1 , . . . , xnp , xnp+1 ) = σ | lp+1 = f (xn+1 , . . . , xn+1 , xn+1 p 1 p+1 ) (m) für alle m ≤ n − 1. und damit gxnp ,xnp+1 (m) = gxn+1 ,xn+1 p p+1 für alle n ≥ m + 1, p + 1 konstant. Damit ist für alle m ∈ N die Folge gxnp ,xnp+1 (m) n∈N Außerdem ist xnp+1 ≺ xnp für jedes n ≥ p, deshalb können wir (∗) anwenden. Hiermit erhalten wir für jedes q ∈ N ein xq ∈ X mit limn→∞ xnq = xq und xq+1 ≺ xq im Widerspruch zur guten Fundierung von ≺. Einen ähnlichen Beweis für den letzten Satz findet sich auch in [Kec1, S. 239]. Hiermit können wir nun zeigen, dass W F unbeschränkt ist, denn es gilt folgendes allgemeines Satz 7.22. Sei X polnischer Raum, C ⊆ X coanalytisch, ϕ ein analytisch. Dann ist ϕ auf A beschränkt, d.h. Q1 1 -Rang auf C. Sei A ⊆ C sup{ϕ(x) | x ∈ A} < ω1 . Insbesondere gilt: Ist C Borel, dann ist ϕ beschränkt auf C. Beweis. Wir betrachten die Relation y ≺ z ⇔ y, z ∈ A und ϕ(y) < ϕ(z). Es ist y ≺ z ⇔ y, z ∈ A und z ∗ϕ y und damit ≺ analytisch, da ≤∗ϕ coanalytisch und A × A analytisch ist. Wir zeigen nun noch, dass ≺ wohl-fundiert ist: Angenommen, es existiert eine Folge (xn )n∈N in A mit xn+1 ≺ xn für alle n ∈ N. Dann ist {ϕ(xn ) : n ∈ N} ⊆ Ord nicht-leer, enthält also ein kleinstes Element, etwa ϕ(xn0 ). Dann ist ϕ(xn0 ) ≤ ϕ(xn0 +1 ) im Widerspruch zu xn0 +1 ≺ xn0 und damit ϕ(xn0 +1 ) < ϕ(xn0 ). Wir können also Satz 7.21 anwenden. Hiermit hat ≺ abzählbare Länge, d.h. L(≺) = sup{L(x, ≺) + 1 | x ∈ X} 64 ist abzählbar. Wir zeigen, dass damit {ϕ(x) | x ∈ A} abzählbar ist: Für jedes x ∈ A ist ϕ(x) abzählbar. Wir nehmen an, [ sup{ϕ(x) | x ∈ A} = {ϕ(x) | x ∈ A} ist überabzählbar. Dann gibt es eine überabzählbare Indexmenge I und eine Familie xi , i ∈ I, so dass {ϕ(xi ) | i ∈ I} überabzählbar ist und ϕ(xi ) 6= ϕ(xj ) für alle i, j ∈ I mit i 6= j ist. Seien nun i, j ∈ I mit i 6= j, o.B.d.A. ϕ(xi ) < ϕ(xj ). Dann ist L(xj , ≺) = sup{L(y, ≺) + 1 |y ≺ xj } ≥ L(xi , ≺) + 1 > L(xi , ≺). Insbesondere ist dann {L(xl , ≺) | l ∈ I} überabzählbar. Dies ist ein Widerspruch. Damit ist sup{ϕ(x) | x ∈ A} = [ {ϕ(x) | x ∈ A} < ω1 abzählbar als abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen. Ist C Borel, dann ist C analytisch, somit ϕ auf C beschränkt. Es verbleibt uns somit nur noch zu zeigen, dass h auf W F unbeschränkt ist. Damit erhalten wir das Korollar 7.23. W F ist in T nicht analytisch und damit nicht Borel. Insbesondere ist IF eine analytische Menge, die nicht Borel ist. Beweis. Wir zeigen: Zu jedem α ∈ ω1 existiert ein T ∈ W F mit h(T ) ≥ α. Dann ist T nach Satz 7.22 nicht analytisch, also nach dem Satz von Suslin nicht Borel. Genauer werden wir zeigen, dass zu jedem wohl-fundierten Baum der Höhe α ∈ ω1 ein wohlfundierter Baum der Höhe α + 1 existiert und zu 0 ∈ Ord bzw. jedem Grenzordinal der Höhe δ ein höherer wohl-fundierter Baum existiert. Zunächst ist {∅} ⊆ W F ein Baum mit h({∅}) = 0 ∈ ω1 . (i) Sei nun α ∈ ω1 und T ∈ W F mit h(T ) = α. Definiere T̂ := {n _ s ∈ N<N | s ∈ T, n ∈ N} ∪ {∅}. Offensichtlich ist T̂ ein Baum. Außerdem ist h(T̂ ) = sup{h(n, T̂ ) + 1 : n ∈ N} = sup{h(∅, T ) + 1 : n ∈ N} = h(T ) + 1. Somit ist T̂ wohl-fundiert und hat die gewünschte Höhe. 65 (ii) Wir konstruieren nun zu einem Grenzordinal δ ∈ ω1 einen wohl-fundierten Baum mit h(T ) ≥ δ. Sei (αn )n∈N eine Folge paarweise disjunkter Ordinalzahlen mit δ = sup{αn | n ∈ N}, so dass für jedes n ∈ N ein Tn ∈ W F existiert mit h(Tn ) = αn . Setze T := {∅} ∪ {(n) _ s | n ∈ N, s ∈ Tn }. Nun ist T ∈ W F : Annahme: [T ] 6= ∅. Dann existiert ein σ ∈ NN , so dass für alle t ≤ σ gilt, dass t ∈ T ist. Nun ist aber σ(1) = t(1) für alle t ≤ σ, d.h. s ∈ Tσ(1) für alle s ∈ N<N mit (σ(1)) _ s ≤ σ. D.h. σ̃ : N → N, n 7→ σ(n − 1) ist in [Tσ(1) ], also [Tσ(1) ] 6= ∅ und damit Tσ(1) ∈ / W F . Dies ist ein Widerspruch, also ist [T ] = ∅ und damit T ∈ W F . Offensichtlich ist h(T ) = sup{h(Tn ) + 1 | n ∈ N} ≥ δ. Somit hat T die geforderte Höhe. Wir können mittels des Borel-Isomorphismuslemmas eine messbare Surjektion von R auf IF und von T eine weitere nach R wählen. Führen wir diese hintereinander aus und betrachten den Graphen, erhalten wir erneut eine Borel-Menge im R2 , so dass die Projektion auf die zweite Koordinate keine Borel-Menge ist. Wir werden die Einbettung in den R2 jedoch nun durch konkrete Funktionen durchführen. 66 8. Analytische Mengen in den Reellen Zahlen Wir werden im Folgenden den metrischen Raum [0, 1] \ Q (den wir als erstes als polnisch identifizieren werden) stetig und surjektiv auf NN abbilden. Damit können wir jede analytische Menge als stetiges Bild von [0, 1] \ Q darstellen. Wir verwenden hierzu Kettenbrüche. Die Einführung, an der wir uns hier orientieren, wird in [Sch3, S. 59] gegeben. Lemma 8.1. Der metrische Raum ([0, 1] \ Q, |·||[0,1]\Q ) ist ein polnischer Raum. Beweis. Zunächst ist [0, 1] mit der Teilraumtopologie als abgeschlossene Teilmenge des polnischen Raums (R, |·|) ein polnischer Raum. Für festes q ∈ Q ist [0, 1] \ {q} offen in [0, 1] also ein polnischer Raum nach Korollar 3.15. Damit ist \ [0, 1] \ {q} = [0, 1] \ Q q∈Q ein polnischer Raum nach Theorem 3.11. Definition 8.2. Es sei x = (xn )n∈N ∈ NN . Wir bezeichnen mit E(x, m) := 1 x1 + 1 x2 + 1 .. . + x1m den m-ten Kettenbruch der Folge (xn )n∈N . Lemma 8.3. Es seien p−1 = 1 , p0 = 0, q−1 = 0 , q0 = 1 und pn = xn pn−1 + pn−2 qn = xn qn−1 + qn−2 für alle n ∈ N. Dann ist (i) (ii) pn qn ∀n ∈ N : pn+1 qn − pn qn+1 = (−1)n ∀n ∈ N : E(x, n) = (iii) ∀n ∈ N : E(x, n + 1) − E(x, n) = (−1)n+1 qn+1 qn (iv) ∀n ∈ N : qn ≥ n. Beweis. (i) Es gilt E(x, 1) = 1 und p1 = x1 p0 + p−1 = 1 und q1 = x1 q0 + q−1 = x1 , x1 67 d.h. es ist E(x, 1) = p1 . q1 Es sei n ∈ N. Wir definieren ( x̂k := xk xn + 1 xn+1 falls k ∈ n − 1, falls k = n. Es bezeichne p̂k , q̂k die analog zu x̂ definierten k-ten Koeffizienten und es gelte E(x̂, n) = p̂q̂nn . Dann gilt für alle k ∈ n − 1, dass p̂k = pk und q̂k = qk . Außerdem gilt nach Induktionsvoraussetzung: E(x, n + 1) = E(x̂, n) = = 1 )pn−1 + pn−2 (xn + xn+1 x̂n p̂n−1 + p̂n−2 p̂n = = 1 q̂n x̂n q̂n−1 + q̂n−2 (xn + xn+1 )qn−1 + qn−2 xn+1 (xn pn−1 + pn−2 ) + pn−1 xn+1 pn + pn−1 pn+1 = = . xn+1 (xn qn−1 + qn−2 ) + qn−1 xn+1 qn + qn−1 qn+1 (ii) Es ist p1 = 1, p0 = 0 , q1 = x1 und q0 = 1. Hieraus folgt p1 q0 − p0 q1 = 1 = (−1)0 . Sei n ∈ N. Es gelte pn+1 qn − pn qn+1 = (−1)n . Dann gilt pn+2 qn+1 − pn+1 qn+2 = (xn+2 pn+1 + pn )qn+1 − pn+1 (xn+2 qn+1 + qn ) = pn qn+1 − pn+1 qn = (−1)n+1 . (iii) Mit (ii) folgt direkt E(x, n + 1) − E(x, n) = pn+1 pn pn+1 qn − pn qn+1 (−1)n+1 − = = . qn+1 qn qn qn+1 qn qn+1 (iv) Es ist q1 = x1 ≥ 1. Sei n ∈ N≥2 , es gelte qk ≥ k für alle k ≤ n. Dann ist qn+1 = xn+1 qn + qn−1 ≥ qn + qn−1 ≥ n + n − 1 ≥ n + 1. Satz 8.4. Für alle z ∈ [0, 1] \ Q existiert genau ein (xn )n∈N ∈ NN mit lim E(x, m) = z. m→∞ 68 Beweis. Es sei z ∈ [0, 1]\Q. Wir erhalten nun induktiv eine Folge (xn )n∈N : Sei x1 ∈ N maximal mit 1 . z< x1 Dann ist 1 1 , <z< x1 + 1 x1 da z ∈ / Q. Wir können also ein r2 > 1 wählen mit z= 1 x1 + 1 r2 , Wir wählen nun zu gegebenen x1 , . . . , xn , r1 , . . . , rn , rn+1 induktiv xn+1 ∈ N0 maximal mit rn+1 > xn+1 und rn+2 > 1 mit rn+1 = xn+1 + 1 rn+2 . Die Wohldefiniertheit von rn+2 erhalten wir, da x ∈ / Q ist. Auf diese Weise haben wir für alle n ∈ N≥2 die Gleichung 1 z= x1 + 1 .. 1 . + rn bewiesen. Wir erhalten hieraus 1 1 1 1 < und rn = xn + < xn + rn xn rn+1 xn+1 und damit 1 1 1 < < . 1 rn xn xn + xn+1 Es folgt xn−1 + und hieraus 1 1 1 < xn−1 + < xn−1 + 1 rn xn xn + xn+1 1 xn−1 + > 1 1 n+1 xn + x 1 xn−1 + 1 rn > 1 xn−1 + 1 xn . Führen wir dieses Verfahren bis x1 fort, erhalten wir somit für gerades n ∈ N E(x, n) ≤ z ≤ E(x, n + 1), bzw. für ungerades n ∈ N E(x, n) ≥ z ≥ E(x, n + 1). 69 Mit obigem Lemma folgt |z − E(x, n)| ≤ |E(x, n) − E(x, n + 1)| ≤ 1 , n(n + 1) wobei qn+1 , qn wie im Lemma 8.3 gewählt sind, d.h. lim E(x, n) = z . n→∞ Sei (x̃n )n∈N eine weitere Folge in N mit limn→∞ E(x̃, n) = z. Angenommen, es existiert ein n ∈ N mit xn 6= x̃n , o.B.d.A. sei n minimal. Dann ist E(x, n − 1) = E(x̃, n − 1), d.h. es ist mit r̃n+1 > 1 analog gewählt 1 1 = 1 1 , xn + rn+1 x̃n + r̃n+1 d.h. 1 − 1 = xn − x̃n ∈ Z r̃n+1 rn+1 wodurch wir einen Widerspruch erhalten, da rn+1 , r̃n+1 > 1 sind. 0 6= Lemma 8.5. Sei n ∈ N, z ∈]0, 1[\Q, (xn )n∈N ∈ NN mit E(x, n + 2) ≤ z ≤ E(x, n + 3) falls n gerade, bzw. E(x, n + 3) ≤ z ≤ E(x, n + 2) falls n ungerade ist. Ist (yn )n∈N die nach Satz 8.4 eindeutig bestimmte Kettenbruchentwicklung von z, dann ist E(y, n) = E(x, n). Beweis. Wir betrachten nur den Fall, dass n gerade ist. Wir führen eine Induktion durch. Man beachte zunächst, dass für jedes gerade k ∈ N E(x, k) ≤ E(x, k + 2) ≤ E(x, k + 3) ≤ E(x, k + 1) ist. Damit ist zunächst 1 1 < x1 + 1 x1 + 1 x2 = E(x, 2) < z < E(x, 1) = 1 . x1 Sei k ∈ n, E(y, k) = E(x, k). Wir zeigen: E(y, k + 1) = E(x, k + 1). Sei hierzu rk+1 > 0 mit z= 1 x1 + . 1 .. .+ r 1 k+1 Ist k ungerade, dann ist E(x, k + 2) ≥ E(x, n + 3) ≥ z ≥ E(x, n + 2) ≥ E(x, k + 1). 70 Hiermit folgt, dass xk+1 < rk+1 < xk+1 + 1 < xk+1 + 1 xk+2 ist, d.h. xk+1 ist maximal mit xk+1 < rk+1 . Damit ist E(x, k + 1) = E(y, k + 1), was zu zeigen war. Analog geht man vor, wenn k gerade ist. Wir erhalten hieraus: Korollar 8.6. Es gibt eine stetige Bijektion f : [0, 1] \ Q → NN . Beweis. Wir wählen für jedes z ∈ [0, 1] \ Q das eindeutig bestimmte f (z) = (f (z)n )n∈N ∈ NN mit limn→∞ E(f (z), n) = z nach Satz 8.4. Da für jede Folge (xn )n∈N ein x̃ ∈ [0, 1] \ Q nach Lemma 8.3 existiert mit lim E(x, n) = x̃, ist f surjektiv, also bijektiv. n→∞ Sei z0 ∈ [0, 1] \ Q, f (z0 ) ∈ U ⊆ NN offen, (xn )n∈N := f (z0 ). Da N diskret ist, existiert dann ein n ∈ N mit Y f (z0 ) ∈ {x1 } × . . . × {xn } × N ⊆ U. k>n Wir wählen ein δ > 0, so dass δ 2 ist. Sei z ∈]z0 − δ, z0 + δ[\Q, f (z) =: (yn )n∈N . Dann ist nach Lemma 8.5 min{|E(x, n + 2) − z0 | , |E(x, n + 3) − z0 |} < E(f (z), n) = E(f (z0 ), n) somit f (z) ∈ U . Damit ist f eine stetige Bijektion. Nun werden wir die Konstruktion unseres Beispiels abschließen. Wir werden IF als stetiges Bild der irrationalen Zahlen darstellen und diese in die Cantormenge einbetten. Damit haben wir eine stetige Abbildung von einer Borel-Menge von R nach R. Der Graph dieser Funktion stellt somit eine Borel-Menge im R2 dar; die Projektion auf die zweite Koordinate ist aber eine analytische, nicht-coanalytische Menge. Also ist sie insbesondere nach dem Satz von Suslin keine Borel-Menge. Dies formalisieren wir noch in zwei abschließenden Sätzen: Satz 8.7. Es gibt eine Borel-Menge B ⊆ C, so dass B und T homöomorph sind. <N <N Beweis. Nach 2.20 sind {0, 1}N und {0, 1}N homöomorph. Somit sind C und {0, 1}N ho<N <N möomorph. Sei f : C → {0, 1}N ein Homöomorphismus. Da T abgeschlossen in {0, 1}N ist, ist somit f −1 (T) abgeschlossen in C. Nun ist C wiederum abgeschlossen in R und damit ebenfalls f −1 (T) in R. Somit ist B := f −1 (T) eine zu T homöomorphe Borel-Menge. 71 Korollar 8.8. (Lebesgues Irrtum, Konstruktive Fassung) Es gibt eine Borel-Menge in R2 , so dass das Bild dieser Menge unter einer Koordinatenprojektion keine Borel-Menge in R ist. Beweis. Sei f : [0, 1] \ Q → NN eine stetige Surjektion nach Korollar 8.6, g : NN → IF stetig und surjektiv nach Korollar 7.23 und h : T → B ein Homöomorphismus auf eine Borel-Menge B ⊆ R nach Satz 8.7. Dann ist h ◦ g ◦ f : [0, 1] \ Q → R stetig und der Graph dieser Funktion ist - da [0, 1] \ Q eine Borel-Menge ist - nach Korollar 4.13 eine Borel-Menge in R × R. Nun ist π2 (graph(h ◦ g ◦ f )) = h(IF ) stetiges Bild von IF , damit nach Lemma 4.14 analytisch. Wäre h(IF ) Borel, wäre IF als Urbild einer Borel-Menge unter einer stetigen Funktion ebenfalls Borel, somit also coanalytisch nach Satz 9.4 im Widerspruch zu Korollar 7.23. 72 9. Suslins Satz Wir werden nun der Vollständigkeit halber den (schon oben zitierten) Satz von Suslin beweisen. Wir führen zunächst folgenden Begriff ein: Definition 9.1. Sei X ein polnischer Raum, P, Q ⊆ X. Das Paar (P, Q) heißt Borel-separabel, wenn eine Borel-Menge R ⊆ X existiert, so dass P und Q durch R getrennt werden, d.h. P ⊆ R und R ∩ Q = ∅. Um den Satz von Suslin zu beweisen, werden wir zunächst den Trennungssatz von Lusin beweisen. Dieser sagt aus, dass zwei disjunkte analytische Mengen Borel-separabel sind. Lemma 9.2. Seien Pm , Qn ⊆ X, (Pm , Qn ) Borel-separabel für alle m, n ∈ N. Dann ist das S S Paar ( Pm , Qn ) Borel-separabel. m∈N n∈N Beweis. Wähle für jedes m, n ∈ N eine Borel-Menge Rm,n , die das Paar (Pm , Qn ) trennt. T S S T Für jedes m ∈ N ist Pm ⊆ Rm,n , somit ist Pm ⊆ Rm,n . Weiterhin sind n∈N m∈N m∈N n∈N Qn ∩ Rm,n = ∅ für alle m, n ∈ N. T Also ist Qn ∩ ( Rm,k ) = ∅ für alle m, n ∈ N und damit k∈N [ Qn ∩ ( n∈N Also trennt die Borel-Menge S T [ \ Rm,k ) = ∅. m∈N k∈N Rm,k das Paar ( m∈N k∈N S m∈N Pm , S Qn ). n∈N Satz 9.3. (Lusins Trennungssatz) Sei X ein polnischer Raum, A, B ⊆ X zwei disjunkte analytische Mengen. Dann ist (A, B) Borel-separabel. Beweis. Es seien f : NN → A, g : NN → B surjektiv und stetig. Für jedes s ∈ N<N sei S S As := f (Es ), Bs := g(Es ). Dann ist As = As_m , Bs = Bs_n für alle s ∈ N<N und m∈N n∈N A∅ = A, B∅ = B. Annahme: Das Paar (A, B) ist nicht Borel-separabel. Dann existieren nach Lemma 9.2 x1 , y1 ∈ N, so dass (Ax1 , By1 ) nicht Borel-separabel ist. Wir definieren nun rekursiv für jedes n ∈ N nach Lemma 9.2 xn , yn ∈ N, so dass das Paar (A(x1 ,...,xn ) , B(y1 ,...,yn ) ) nicht Borel-separabel ist. Wir wählen nach dem 2. Trennungsaxiom disjunkte offene Mengen U, V ⊆ X mit f (x) ∈ U und g(y) ∈ V . Nach der Stetigkeit von f folgt, dass es ein n ∈ N gibt, so dass f (Ex|n ) ⊆ U , g(Ey|n ) ⊆ V , so dass (Ax|n , Bx|n ) von U getrennt wird. Dies ist jedoch ein Widerspruch. Satz 9.4. (Suslins Satz) Eine Teilmenge eines polnischen Raums ist genau dann Borel, falls sie bi-analytisch ist. 73 Beweis. Sei X polnisch, A ⊆ X. Ist A bi-analytisch, dann existiert eine Borel-Menge C ⊆ X, die (A, X \ A) trennt, also C = A. Ist B Borel-Menge, dann auch X \ B und nach Lemma 3.22 sind beide analytisch. Somit ist B bi-analytisch. 74 Literatur [Dudl] [Ebbi] [Elst] [Kec1] [Kec2] [Leb1] [Lusi] [Köni] [John] [Maza] [Perr] [Sch1] [Sch2] [Sch3] [Wern] R. M. Dudley, Real Analysis and Probability, Cambridge University Press, Cambridge, 2003 H.-D. Ebbingshaus, Einführung in die Mengenlehre, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2003 J. Elstrodt, Maß- und Integrationstheorie, New York, 2000 A. S. Kechris, Classical Descriptive Set Theory, Springer-Verlag, New York, 1995 A. S. Kechris & A. Louveau, Descriptive Set Theory and the Structure of Sets of Uniqueness, Cambridge University Press, Cambridge 1987 H. Lebesgue, Sur les fonctions représentables analytiquement, Journal de Mathémathiques (Ser. 6), 1905 N. N. Lusin, Le cons sur les ensembles analytiques et leurs applications, Gauthier-Villars, Paris, 1930 K. Königsberger, Analysis 2, Springer-Verlag, New York, 2000 W. B. Johnson, J. Lindenstrauss, Handbook of the Geometry of Banach Spaces, Elsevier B.V., Amsterdam, 2001 P. 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