struktur in syntax und semantik

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Universität Athen, 10. Jänner 2006
STRUKTUR IN SYNTAX UND SEMANTIK
Winfried Lechner, Universität Stuttgart
[email protected]
1. EINFÜHRUNG
(1)
Evidenz für zwei Generalisierungen über die Menschliche Sprache
ZIEL:
I.
Sowohl die Regeln des Satzbaus (Syntax) als auch die Bedeutung (Semantik)
sind von Struktur abhängig.
II. Sowohl Syntax als auch Semantik machen intensiv vom Begriff der
‘Enthaltenseins’ oder der Inklusion Gebrauch.
Analogie: Ein Kartenspiel
! Die Syntax legt fest, was als eine wohlgeformte Sequenz gilt.
Beispiel für wohlgeformte Sequenzen:
!2, !3, !4
Beispiel für nicht wohlgeformte Sequenzen: !2, !5, !9
!2, Í3, " 4
! Die Semantik legt fest, was eine wohlgeformte Sequenz bedeutet.
Bedeutung von !2, !3, !4 entspricht z.B. der Anzahl der Punkte in einem spezifischen
Spiel.
Poker: eine ‘Straße’/’Serie’ etc...
Canasta/Rummy/Biriba: z.B. 10 Punkte je Karte
GRUPPIERUNG DER KARTEN NACH
GRUPPIERUNG DER WÖRTER IM SATZ NACH
I. Farbe (!,",Í,Ê)
I. Kategorie (Adjektiv, Verb, Nomen,...)
II. Position in der Reihe (2, 3, 4,
II. Funktion im Satz (Subjekt, Objekt,
5, ... B, D, K, A).
º HIERARCHIE der Karten im Spiel
Adverb, Modifikator,...)
º
HIERARCHIE der Satzteile
" Hierarchische Ordnungen können in Strukturbäumen ausgedrückt werden (s.a. Stammbäume,
Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Spezies in der Biologie, etc...):
(2)
STRUKTURBAUM EINES KARTENSPIELS (3)
Die Karten eines Spielers
qp
Zwei Paare
Reihe/Serie
3
qVp
Paar
Paar "5
"6
"7
"8
2 2
!K ÊK "2 Í2
STRUKTURBAUM EINES SATZES
Der Roman von Musil gefiel Maria
qp
L der Roman von Musil
gefiel Maria
3
der
3
Roman von Musil
gefiel
Maria
3
Roman
von Musil
3
von
Musil
So wie im Kartenspiel die Spieler ihre Karten bedeckt halten, so legt ein Satz seine Struktur nicht
offen. Sie muß mit verschiedenen Techniken aus dem Verhalten des Satze erschlossen werden.
(Eine) Aufgabe der Linguistik besteht darin, eine Methode zu entwickeln, die einem erlaubt, die
Anatomie eines Satzes zu bestimmen (d.h. die ‘Karten des Gegners zu lesen’).
! Bäume enkodieren die Relation des Enthaltenseins, oder der Inklusion. Der mit L markierte
Knoten in den obenstehenden Bäumen inkludiert z.B.:
" Im Kartenspiel (s. (2))
die Knoten "A, ÊA, ÍA, sowie
alle Knoten, welche diese drei Karten inkludieren ("K, ÊK, ÍK,...)
" Im Strukturbaum für den Satz (s. (3))
die Knoten der und Roman von Musil, sowie
alle Knoten, welche diese drei Wörter inkludieren (Roman, von Musil, von, ...)
Die Baupläne für syntaktische Bäume sind relativ unhandlich. Es ist aber möglich, die wichtigste,
in den Bäumen gespeicherte, Information anhand eines einfachen Beispiels darzustellen.
2. KONGRUENZ
Das Phänomen der Kongruenz dient zur Illustration der wichtigsten strukturellen Relation im Satz.
(3)
Kongruenz:
Das finite Verb (gefallen) stimmt mit dem Subjekt in Numerus (Singular
oder Plural) und Person (1., 2. oder 3. Person) überein:
(4)
a. Der RomanSingular gefielSingular Maria.
b. Die RomanePlural gefielenPlural den Leuten.
(5)
a. *Der RomanSingular gefielenPlural Maria.
b. *Die RomanePlural gefielSingular den Leuten.
(Singular Subjekt mit singular Verb)
(Plural Subjekt mit pluralischem Verb)
(Singular Subjekt mit pluralischem Verb)
(Plural Subjekt mit singular Verb)
L Konvention: ‘*’ markiert ungrammatische, d.h. nicht wohlgeformte Ausdrücke
3

Struktur in Syntax und semantik
Gibt es eine Methode vorherzusagen, welche Teile des Satzes miteinander kongruieren?
Die schrittweise Annäherung an die Antwort zu dieser Frage motiviert die Verwendung von
Struktur in der Beschreibung von syntaktischen Relationen.
2.1. WORTFOLGE ODER STRUKTUR?
! Kongruenz wird vom Subjekt, nicht jedoch vom Objekt ausgelöst:
(6)
a. Der RomanSingular gefielSingular den LeutenPlural.
z- Kongruenz -m
b. *Der RomanSingular gefielenPlural den LeutenPlural.
z Keine Kongruenz m
(7)
Hypothese: Das finite Verb kongruiert mit dem vorangehenden Nomen.
! Kongruenz wird von einem spezifischen Teil des Subjekts ausgelöst. Diese Komponente kann
aber nicht über Wortfolge bestimmt werden: das Verb kongruiert z.B. nicht mit dem ersten oder
dem letzten Teil des Subjekts:
" Kongruenz wird nicht durch das erste Wort des Subjekts ausgelöst:
(8)
a. [Musils RomanePlural]Subjekt gefielenPlural Maria.
z-- Kongruenz --m
b. *[MusilsSingular RomanePlural ]Subjekt gefielSingular Maria.
z--- Keine Kongruenz ---m
" Kongruenz wird nicht durch das letzte Wort des Subjekts ausgelöst:
(9)
a. [Die RomanePlural über die Wirren der MonarchieSingular]Subjekt gefielenPlural Maria.
z--------- Kongruenz ------------m
b. *[Die RomanePlural über die Wirren der MonarchieSingular]Subjekt gefielSingular Maria.
z- Keine Kongruenz -m
(10)
Konsequenzen
!
Die Position, mit der das finite Verb kongruiert, ist nicht durch die Wortfolge,
sondern durch die Struktur festgelegt.
!
Diese Position kann über den Strukturbaum definiert werden.
W. Lechner
4
2.2. DIE KOMMANDO-RELATION
Das Verb kongruiert mit dem durch L gekennzeichneten Knoten. Strukturell läßt sich dieser
Knoten folgendermaßen beschreiben: das Verb kongruiert mit jenem Knoten, der
A. das Verb nicht enthält und
B. möglichst viele andere Knoten im Baum enthält
(11)
Musils Romane gefielen Maria
qp
L Musils RomanePlural
gefielenPlural Maria
3
3
RomanePlural
gefielenPlural Maria
MusilsSingular
(12)
CP
qp
L DP1
3
DP2
NP1
g
6
RomanePlural
NP2
6
MusilsSingular
C’
ei
V
.....
g
VP
gefielenPlural
6
Maria
Diese Relation wird als Kommando1 bezeichnet. Kommando basiert auf dem Begriff der
‘Enthaltenseins’ oder Inklusion.
º Inklusion ist eine grundlegende Relation in der Syntax.
Anwendung: Welcher Knoten erfüllt die Kommandobedingung?
(13)
a.
b.
c.
d. L
Maria: enthält keinen anderen Knoten
Musils: enthält keinen anderen Knoten
Romane: enthält keinen anderen Knoten
Musils Romane: enthält zwei andere Knoten (Musils und Romane)
± Musils Romane enthält die größte Anzahl an Knoten
± Musils Romane kommandiert das Verb in (11).
(14)
Rezept zur Auffindung der K-Kommandorelation
Gehe einen Knoten nach oben, und dann nach unten.
1
Genauer handelt es sich um ‘k-Kommando’ oder ‘Konstituenten-Kommando’ (Reinhart 1983).
Die Definition von Kommando im Text ist leicht vereinfacht.
5
Struktur in Syntax und semantik
Übung
Welche Knoten kommandiert der Knoten Ø in den untenstehenden Bäumen?2
(15)

a. a
2
Ø
c
3
d
e
2
f
g
b.
a
3
b
3
e
Ø
2
g
h
c
g
f
c.
a
eu
b
2
e
2
Ø
i
|
k
c
2
f
g
|
m
Die Kommando-Relation legt fest, welche Satzteile kongruieren.
Aber wie wird reguliert, welche Werte das Verb und das Subjekt erhalten?
2.3. MERKMALE
Die konkrete Form, in der das Verb und das Subjekt im Satz auftreten werden durch Merkmale
festgelegt. Diese Merkmale spezifizieren Numerus (Singular, Plural) und Person (1., 2., 3.Person):
(16)
Annahmen
" Subjekt und Verb tragen die Werte Singular/Plural,...als Merkmale bei sich.
" Jedes Merkmal muß mit einem kommandierendem Merkmal übereinstimmen.
Einige Beispiele für Wörter mit Merkmalen:
(17)
a. Roman[3. Person Singular]
b. Romane[3. Person Plural]
(18)
a. gefiel[1. Person Singular]
b. gefielst[2. Person Singular]
c. gefielen[3. Person Singular]
2.4. ANALYSE MIT STRUKTURBÄUMEN
Die Analyse erlaubt nun nur die Generierung des wohlgeformten Satzes. Die beiden nicht
wohlgeformten Strukturen werden durch (i) die Bedingung auf Merkmalsübereinstimmung und
durch die (ii) Kommandobedingung ausgeschlossen.
2
Lösung: (15)a: Knoten c,d,e,f,und g. (15)b: Knoten e, g und h. (15)c: Knoten i und k.
W. Lechner
(19)
6
α
qp
Die Romane[Plural]
β
ei
gefielen[Plural]
γ
ei
Maria
" [Plural] an gefielen stimmt mit [Plural] an die Romane überein
" die Romane kommandiert gefiel
º
T
" [Singular] an gefiel stimmt mit [Plural] an die Romane nicht überein º
" die Romane kommandiert gefiel

(20)
α
qp
*Die Romane[Plural]
β
ei
gefiel[Singular]
γ
ei
Maria
(21)
α
qp
*Die Romane
β
ei
gefiel[Singular]
γ
ei
Maria[Singular]
" [Plural] an gefielen stimmt mit [Plural] an Maria überein
" Maria kommandiert gefiel nicht
º

RÉSUMÉ:
9
9
9
9
9
(22)
Sätze besitzen syntaktische Struktur.
Syntaktische Struktur wird in Strukturbäumen erfasst.
Kommandorelation: einen Knoten nach oben, dann nach unten.
Kongruenz zwischen Verb und Subjekt ist über Kommandorelation definiert.
Kongruenz involviert Merkmale und Merkmalsüberprüfung.
Vorschau:
! Phänomen der NPIs: Struktur regelt auch Aspekte der Bedeutung.
! Struktur allein ist nicht ausreichend, um das Phänomen zu erklären.
! Semantische Erklärung
± Inklusionsbegriff in der Semantik
º Semantik besitzt - so wie die Syntax - Struktur.
7
Struktur in Syntax und semantik
3. NEGATIVE POLARITÄTSELEMENTE
Negative Polaritätselemente oder Negative Polarity Items (NPIs) stellen eine Gruppe von
Ausdrücken dar, die typischerweise in negierten Kontexten vorkommen (Ladusaw 1979, Linebarger
1987). Im Deutschen werden NPIs durch so unterschiedliche Kategorien wie jemals, brauchen,
auch nur,... repräsentiert:
(23)
a. Ich glaube nicht, dass er jemals einen Roman gelesen hat.
b. *Ich glaube, dass er jemals einen Roman gelesen hat.
(24)
a. Ich glaube nicht, dass er einen Roman zu lesen braucht.
b. *Ich glaube, dass er einen Roman zu lesen braucht.
(25)
a. Ich glaube nicht, dass er auch nur einen Roman gelesen hat.
b. *Ich glaube, dass er auch nur einen Roman gelesen hat.

Ist es möglich, eine (rein) syntaktische Analyse für NPIs zu erstellen?
3.1. EINE SYNTAKTISCHE ANALYSE
(26)
Hypothese: Das NPI kongruiert mit der Negation (ähnlich wie das Subjekt mit dem Verb).
(27)
Annahmen:
(28)
a. Ich glaube nicht, daß er jemals einen Roman gelesen hat.
b.
"
"
NPI und Negation tragen ein Merkmal [neg] (für ‘negativ’)
Das [neg] Merkmal am NPI muß mit einem kommandierenem [neg]
Merkmal übereinstimmen.
ei
Ich
α
ei
glaube
β
ei
L nicht[neg]
γ
ei
daß
δ
ei
er
ε
ei
L jemals[neg] einen Roman gelesen hat
" [neg] an jemals stimmt mit [neg] an nicht überein
" nicht kommandiert jeder
º
T
W. Lechner
(29)
8
a. *Ich glaubte sehrwohl, daß er jemals einen Roman gelesen hat.
b. *Ich glaubte ei
K sehrwohl
γ
ei
daß
δ
ei
er
ε
6
L jemals[neg] einen Roman gelesen hat
" Dem Merkmal [neg] an jemals fehlt ein zweites [neg] im Satz
(30)
º

a. *Ich glaubte jemals, daß er den Roman nicht gelesen hat.
(vgl. Es stimmt nicht, daß ich jemals glaubte, daß er den Roman nicht gelesen hat.)
b. *Ich glaubte ei
jemals[neg]
γ
ei
daß
δ
ei
er
ε
6
den Roman K nicht[neg] gelesen hat
" [neg] an jemals stimmt mit [neg] an nicht überein
" Die Negation nicht (K) kommandiert jemals jedoch nicht
º
(31)
Vorhersage:
(32)
a. *Jemand, der ihn nicht kennt, glaubte, daß er jemals einen Roman gelesen hat.

Ein Satz, in dem eine Negation dem NPI vorangeht, aber in dem die
Negation das NPI nicht kommandiert, sollte ungrammatisch sein.
b.
qp
α
β
ei
ei
Jemand,
τ
glaubte
γ
6
ei
daß
δ
der ihn K nicht[neg] kennt
ei
er
ε
6
L jemals[neg] einen Roman gelesen hat
" Die Negation nicht (K) kommandiert jemals nicht
(33)
Resume:
º

! NPIs benötigen einen spezifischen semantischen Kontext (Negation).
! NPIs sind nur in spezifischen Positionen zulässig/lizensiert (Kommando).
L NPIs sind sowohl syntaktischen als auch semantischen Bedingungen unterworfen.
9
Struktur in Syntax und semantik
3.2. PROBLEME FÜR DIE SYNTAKTISCHE ANALYSE
! NPIs sind nicht auf Kontexte mit Negation beschränkt, sondern können auch mit gewissen
‘zählenden Artikeln’ (sogenannten Quantoren) kombiniert werden:
(34)
a.
b.
c.
d.
Keiner hat jemals einen Roman gelesen.
Wenige haben jemals einen Roman gelesen.
*Alle haben jemals einen Roman gelesen.
*Viele haben jemals einen Roman gelesen.
(35)
a.
b.
c.
d.
Keiner brauchte einen Roman zu lesen.
Wenige brauchten einen Roman zu lesen.
*Alle brauchten einen Roman zu lesen.
*Viele brauchten einen Roman zu lesen.
(36)
a.
b.
c.
d.
Keiner hat auch nur einen Roman gelesen.
Wenige haben auch nur einen Roman gelesen.
*Alle haben auch nur einen Roman gelesen.
*Viele haben auch nur einen Roman gelesen.
! (37) zeigt, dass es im Prinzip möglich ist, die Bedeutungen, die (34)c/d zugrunde liegen,
sprachlich auszudrücken. Es kann daher kein außersprachlicher Grund vorliegen, der (34)c/d
verbieten würde (vgl. Lügnerparadox).
(37)
a. Alle haben einmal einen Roman gelesen.
b. Viele haben einmal einen Roman gelesen.
NPI GENERALISIERUNG (1. VERSION)
! Die Quantoren kein und wenige lizensieren NPIs.
Gleiches Verhalten zeigen nicht jeder, weder A noch B, höchstens 3, weniger als 2....
! Die Quantoren alle und viele lizensieren keine NPIs.
Gleiches Verhalten zeigen alle, viele, manche, mindestens 20, mehr als 7,..
(38)
Annahmen
" Quantoren, die NPIs lizensieren (keiner, wenige) tragen ein Merkmal [neg].
" Quantoren, die keine NPIs lizensieren (alle,viele) tragen kein Merkmal [neg].
W. Lechner
(39)
a. Keiner hat jemals einen Roman gelesen.
b.
α
ei
β
L Keiner[neg]
ei
hat
γ
ei
L jemals[neg] einen Roman gelesen
" Der Quantor keiner (L) trägt ein [neg] Merkmal
(40)
º
T
º

a. *Alle haben jemals einen Roman gelesen.
b.
α
ei
K Alle
β
ei
haben
γ
ei
L jemals[neg] einen Roman gelesen
" Der Quantor alle (K) trägt kein [neg] Merkmal
(41)
10
Problem I: Im Gegensatz zu kein und wenige, die intuitiv eine negative Bedeutung
besitzen, ist es nicht klar, warum Ausdrücke wie höchstens drei ein [neg] Merkmal tragen
sollten.
(42)
Höchsten drei haben jemals einen Roman gelesen.
(43)
Problem II: NPIs treten auch in Kombination mit alle und jeder auf, sofern das NPI in
einen Relativsatz eingebettet wird. Dies widerspricht der NPI-Generalisierung.
(44)
a. Alle, die jemals einen Roman gelesen hatten, wurden belohnt.
(vgl. *Alle haben jemals einen Roman gelesen.)
b. Jeder, der jemals einen Roman gelesen hatte, wurden belohnt.
(vgl. *Jeder hat jemals einen Roman gelesen.)
º Die syntaktische Analyse ist zu beschränkt. Es erweist sich, daß die Bedeutung
(Semantik) ebenso an der Lizensierung von NPIs beteiligt, wie die Form (Syntax).
± Konkret ist es notwendig, die semantischen Eigenschaften der Quantoren zu
berücksichtigen. Hier ist vor allem der Einfluß, den Quantoren auf logische Folgerungen
haben, von Bedeutung.
11
Struktur in Syntax und semantik
4. SEMANTISCHE ANALYSE
Die Analyse erfolgt in zwei Schritten:
Schritt I:
Darstellung einer generellen Eigenschaft von Quantoren - Monotonizität.
Schritt II: Demonstration, dass diese Eigenschaft das Verhalten von NPIs steuert.
4.1. LOGISCHE FOLGERUNGEN (MONOTONIZITÄT)
Aus (45)b folgt der Satz (45)a: wenn (45)b wahr ist, dann muß auch (45)a wahr sein (signalisiert
durch den Pfeil von unten nach oben ‘[’). Umgekehrtes gilt jedoch nicht.
(45)
a. Maria hat einen Roman gelesen.
b. Maria hat einen Roman von Musil gelesen.
[
Die gleichen Beobachtungen kann man für Paare wie (46) und (47) machen. Aus dem ‘längeren’
Sätzen (46)b und (47)b folgen die ‘kürzeren’ Sätze (46)a und (47)a:
(46)
(47)
a. Alle haben einen Roman gelesen.
b. Alle haben einen Roman von Musil gelesen.
[
a. Viele haben einen Roman gelesen.
b. Viele haben einen Roman von Musil gelesen.
[
Ob das Subjekt durch einen Namen (Maria in (45)) oder durch einen die Quantoren jeder oder viele
besetzt ist, scheint also keinen Einfluß auf die Richtung zu haben, in der die Folgerungsbeziehung
gilt. In beiden Fällen folgt aus dem längeren Satz (die b-Beispiele) der kürzere Satz (die a-Bspe).
º Die Quantoren alle, viele, jeder,... verändern die logischen Folgerungsverhältnisse nicht.
Genau umgekehrt verhalten sich Sätze, in denen kein, wenige oder höchstens 3 als Subjekt
fungieren. Hier folgt aus dem ‘kürzeren’ Satz der ‘längere’ Satz. Wenn z.B. (48)a wahr ist, dann
muß auch (48)b wahr sein. Umgekehrtes gilt jedoch nicht.
(48)
a. Keiner hat einen Roman gelesen.
b. Keiner hat einen Roman von Musil gelesen.
\
(49)
a. Wenige haben einen Roman gelesen.
b. Wenige haben einen Roman von Musil gelesen.
\
(50)
a. Höchstens drei haben einen Roman gelesen.
\
b. Höchstens drei haben einen Roman von Musil gelesen.
º Die Quantoren kein, wenige, höchstens 3, ... kehren die logischen Folgerungsverhältnisse um.
W. Lechner
12
Die Eigenschaft eines Quantors die Folgerungsbeziehung zu erhalten oder umzukehren ist aus der
Logik und Mathematik bekannt. Sie wird als Monotonizität bezeichnet (s. z.B. van Eijck 1991):
(51)
a. Ausdrück, die die Folgerungsbeziehung erhalten sind monoton steigend (Symbol ‘[’).
b. Ausdrück, die die Folgerungsbeziehung umkehren sind monoton fallend (‘\’).
4.2. MONTONIZITÄT UND NPIS
Die Monotonizität von Quantoren variiert systematisch mit ihrer Fähigkeit, NPIs zu lizensieren:
(52)
a.
b.
c.
d.
Keiner hat jemals einen Roman gelesen.
Wenige haben jemals einen Roman gelesen.
*Alle haben jemals einen Roman gelesen.
*Viele haben jemals einen Roman gelesen.
Monotonizität
\
\
[
[
NPI GENERALISIERUNG
(Ladusaw 1979)
NPIs werden nur von monoton fallenden Quantoren (kein, wenige, höchstens drei,..) lizensiert.
Übung
Welche Monotonizitätseigenschaften besitzen die folgenden Ausdrücke?
(53)
a.
b.
c.
d.
manche
weniger als die Hälfte
weder Hans noch Peter
genau 1000
Lösung von Problem I
! höchstens drei enthält keine Negation. Aber höchstens drei ist monoton fallend:
(54)
a. Höchsten drei haben einen Roman gelesen.
\
b. Höchsten drei haben einen Roman von Musil gelesen.
! Es wird daher korrekt vorhergesagt, dass höchstens drei NPIs zuläßt:
(55)
Höchsten drei haben jemals einen Roman gelesen.
Lösung von Problem II
! Interessanterweise verhalten sich alle und jeder nicht einheitlich hinsichtlich ihrer Monotonizität:
Alle in (56) ist z.B. monoton steigend. Aus (56)b folgt (56)a.
(56)
a. Alle haben einen Roman gelesen.
b. Alle haben einen Roman von Musil gelesen.
[
13
Struktur in Syntax und semantik
! Bezüglich eines nahestehenden Relativsatzes verhält sich alle jedoch monoton fallend! Wenn
(57)a wahr ist, dann muß auch (57)b zutreffen. In (nahestehenden) Relativsätzen kehrt alle also die
Folgerungsrichtung um!
(57)
a. Alle, die einen Roman gelesen hatten, wurden belohnt.
b. Alle, die einen Roman von Musil gelesen hatten, wurden belohnt.
\
º alle ist monoton fallend im Relativsatz. Daher lizensiert alle im Relativsatz auch NPIs.
(58)
Alle, die jemals einen Roman gelesen hatten, wurden belohnt.
4.3. WEITERE EVIDENZ FÜR EINE SEMANTISCHE ANALYSE
! Indefinita wie einer sind (auch im Relativsatz) monoton steigend. Aus den b-Sätzen folgen die
a-Sätze, aber nicht umgekehrt:
(59)
(60)
a. Einer hat einen Roman gelesen.
b. Einer hat einen Roman von Musil gelesen.
[
a. Einer, der einen Roman gelesen hat, wurde belohnt.
b. Einer, der einen Roman von Musil gelesen hat, wurde belohnt.
[
! Indefinita lizensieren daher keine NPIs:
(61)
a. *Einer hat jemals einen Roman gelesen.
b. *Einer, der jemals einen Roman gelesen hat, wurde belohnt.
! Indefinita wie ein Mensch können aber auch generisch gelesen werden. In diesem Fall bedeuten
sie ungefähr das gleiche wie jeder Mensch, und lizensieren NPIs im Relativsatz:
(62)
Ein Mensch, der auch nur einen Funken von Verstand hat, macht sowas nicht.
\
! Wird das Indefinitum in Kontexte eingebettet, die generische Lesarten nicht zulassen, wird auch
ein NPI nicht länger lizensiert:
(63) *Ein Mensch, der auch nur einen Funken von Verstand hat, kam bei der Tür herein.
º Die Prinzipien welche die Verteilung von NPIs regeln dürfen nicht auf die Form - die
Syntax - referieren, sondern müssen sich auf die Bedeutung - die Semantik - beziehen.
RÉSUMÉ:
9
Der lizensierende Ausdruck muß das NPI kommandieren
º NPIs sind syntaktischen Bedingungen unterworfen.
9 Semantische Kriterien legen fest, welche Elemente NPIs lizensieren.
º NPIs sind auch semantischen Bedingungen unterworfen.
W. Lechner
14
5. QUANTOREN UND MONOTONIZITÄT

Warum erhalten monton steigende Quantoren logische Folgerungen, und warum kehren
fallende Quantoren diese um?
! Die Erklärung, warum Quantoren in diese zwei Gruppen fallen, erfolgt in drei Schritten.
SCHRITT I. Darstellung der Bedeutung von Quantoren.
SCHRITT II. Folgerungen und Teilmengenrelation (ohne Quantoren).
SCHRITT III. Teilmengenrelation mit Quantoren.
5.1. DIE BEDEUTUNG VON QUANTOREN
Quantoren regeln gültige Schlußfolgerungen. Sie tun dies, je nach Quantor, auf unterschiede Art
und Weise. Sie beschreiben Verhältnisse zwischen Objekten. Man nehme z.B. als Ausgangspunkt
die Ansammlung von Objekten in (64), die sich in Bezug auf Form und Farbe unterscheiden.
(64)
Ansammlung (oder Menge) von Figuren:
•, , —, 9, F, 
Unter anderem kann man folgende Klassifizierung vornehmen:
(65)
a. schwarze Figuren:•, , —
b. weiße Figuren: 9, F, 
c. eckige Figuren: •, , —, 9, 
5.1.1. ‘Alle’
Die Verhältnisse in (64) lassen sich sprachlich wie in (66) beschreiben (gleiches gilt für jeder):
(66)
Alle schwarzen Figuren sind eckig.
(wird in (64) als wahr interpretiert)
" Die Tatsache, daß auch andere Objekte (9, ) eckig sind, ist irrelevant für die
Bedeutung des Satzes.
" Die Tatsache, daß Objekte, die nicht in die Klasse der schwarzen Figuren fallen (F)
nicht eckig sind, ist irrelevant für die Bedeutung des Satzes.
! Aussagen mit den Quantoren alle und jeder drücken die Teilmengenrelation (‘f’) aus:
A ist eine Teilmenge von B (‘A fB’) genau dann wenn jedes Element das
in A enthalten ist, auch in B enthalten ist.
(67)
Teilmenge:
(68)
Alle A sind B
(69)
Alle schwarzen Figuren sind eckig. ±
±
AfB
SCHWARZ
f eckig
‘Jedes Element das in den schwarze Figuren enthalten ist, ist
auch in den eckige Objekten enthalten.’
15
Struktur in Syntax und semantik
! Das Darstellung im Mengendiagramm (70) legt die Verhältnisse zwischen eckigen und schwarzen
Objekten dar. Da die schwarzen Objekte in den eckigen Objekten enthalten sind, ist es unmöglich,
daß etwas schwarz ist, ohne gleichzeitig eckig zu sein.
(70)
Alle schwarzen Figuren sind eckig.
SCHWARZ
f eckig
eckig
9

• O —


º
SCHWARZ
Inklusion ist eine grundlegende Relation in der Semantik.
5.1.2. ‘Keiner’
Um die Bedeutung von keiner/niemand zu erfassen, erweist es sich als günstig, eine weitere, von
(64) verschiedene Menge von Objekten zu betrachten:
(71)
Menge von Objekten: !, , k, , 9, 
(72)
a. schwarze Figuren: !, , k
b. weiße Figuren: , 9, 
c. eckige Figuren: , 9, 
! Aussagen mit den Quantoren kein und niemand drücken aus, daß die Schnittmenge zwischen den
beiden Mengen leer ist.
(73)
Leere Schnittmenge: A und B haben eine leere Schnittmenge (‘A1B=i’) genau dann
wenn kein Element das in A enthalten ist, auch in B enthalten ist.
(74)
Kein A ist B
±
(75)
Keine schwarze Figur ist eckig.
±
A1B=i
SCHWARZ
1 eckig = i
‘Kein Element, das in den schwarzen Figuren enthalten
ist, ist auch in den eckigen Objekten enthalten.’
W. Lechner
16
! Im Mengendiagramm wird die durch kein und niemand bezeichnete Relation dadurch
gekennzeichnet, daß die beiden Mengen (Kreis und Rechteck) einander nicht überschneiden:
(76)
Keine schwarze Figur ist eckig.
SCHWARZ
1 eckig = i
eckig
!  k

9

SCHWARZ
5.2. FOLERGUNGEN UND TEILMENGEN
Objekte können in einer Teilmengenrelation zueinander stehen, ohne daß ein Quantor involviert ist.
Im Diagramm (77) bilden z.B. die dreieckigen Figuren eine Teilmenge der eckigen Objekte:
(77)
DREIECKIG f eckig
eckig


• 


9
DREIECKIG
Die Teilmengenrelation erlaubt es, logische Folgerungen abzuleiten: Für (77) kann gefolgert
werden, daß immer wenn etwas die Eigenschaft der Dreieckigkeit besitzt, es auch die Eigenschaft
der Eckigkeit hat. Dies folgt, da in (77) die dreieckigen Objekte eine Teilmenge der eckigen
Objekte sind. Es kann daher kein Objekt dreieckig, aber nicht eckig sein.

Was ist die sprachliche Entsprechung der Relation in (77)?
! (77) entspricht der Bedeutung eines Prädikats, und nicht eines Satzes! Konkret stellt (77) die
beiden Prädikate in (78) dar:
(78)
a. eckig sein
b. dreieckig sein
[
DREIECKIG f eckig
± Um zu einem Satz zu gelangen, fehlt ein Argument: das Subjekt
º Wird dieses Argument mit einem Quantor besetzt, läßt sich Monotonizität ableiten.
17
Struktur in Syntax und semantik
5.3. FOLGERUNGEN UND DER EINFLUSS DES QUANTORS
(79)
Beobachtung: Die Wahl des Quantors beeinflußt die logischen Eigenschaften des Satzes.
" Alle erhält logische Schlußfolgerungen.
±
" Kein invertiert logische Schlußfolgerungen. ±
alle ist monoton steigend
kein ist monoton fallend
5.3.1. ‘Alle’
" Wie oben gezeigt, folgt aus der Eigenschaft des ‘dreieckig seins’ die Eigenschaft des ‘eckig
seins’.
(78)
a. eckig sein
b. dreieckig sein
[
DREIECKIG f eckig
! In den beiden Sätze in (80) wurden die Prädikate in (78) mit dem quantifizierten Subjekt alle
schwarze Figuren ergänzt. Der Quantor alle erhält die steigende Monotonizität: Wenn (80)b gilt,
dann muß auch (80)a zutreffen. Umgekehrt folgt aus (80)a aber nicht (80)b.
(80)
a. Alle schwarzen Figuren sind eckig.
b. Alle schwarzen Figuren sind dreieckig.
f eckig
SCHWARZ f DREIECKI
SCHWARZ
[
! Die Teilmengenverhältnisse im Mengendiagramm (81) legen dar, warum die Schlußfolgerung
von (80)b nach (80)a zwingend ist.Das Quadrat für die schwarzen Figuren ist in dem Kreis für die
dreieckigen Figuren enthalten. Weiters ist dieser Kreis Teil eines größeren, jenem der alle eckigen
Objekte einschließt. Daher muß das Quadrat, das die schwarzen Figuren auch in den eckigen
Figuren enthalten sein.
(81)
º
SCHWARZ
f DREIECKIG und
SCHWARZ
f eckig
DREIECKIG f eckig
eckig
9
 
SCHWARZ
•



DREIECKIG
º Der Quantor alle erhält die Teilmengenverhältnisse - und somit die Folgerungen - der
Prädikate, mit denen er kombinert wird.
± alle ist monoton steigend.
W. Lechner
18
5.3.2. ‘Keiner’
" Aus der komplexeren Eigenschaft (78)a folgt die einfachere Eigenschaft (78)b:
(78)
b. eckig sein
a. dreieckig sein
[
DREIECKIG f eckig
! Wird (78) nun mit dem Quantor kein kombiniert, drehen sich die Folgerungsverhältnisse um. Es
gilt nun, daß vom Satz mit der einfacheren Prädikat (82)a auf den Satz mit dem komplexeren
Prädikat (82)b gefolgert werden kann (aber nicht umgekehrt). Kein ist also monoton fallend.
(82)
\
a. Keine schwarzen Figuren sind eckig.
b. Keine schwarzen Figuren sind dreieckig.
SCHWARZ
SCHWARZ
1 eckig = i
1 DREIECKIG = i
! Das Mengendiagramm in (83) belegt, warum die Folgerung gültig ist. Aus der Tatsache, daß
keine schwarzen Figuren eckig sind ((82)a) folgt, daß die Schnittmenge zwischen schwarzen und
eckigen Objekten leer ist. Da die dreieckigen Objekte in den eckigen enthalten sind, ergibt sich
weiters, daß die schwarzen Figuren notwendigerweise außerhalb der dreieckigen Objekte liegen.
Somit ist die Schnittmenge zwischen schwarzen und dreieckigen Objekten auch leer. Es gilt also
(82)b.
(83)
1 eckig = i und
SCHWARZ 1 DREIECKIG = i
SCHWARZ
º
DREIECKIG f eckig
eckig
9
SCHWARZ
 
"
!  k
DREIECKIG
º Der Quantor kein kehrt die Teilmengenrelation - und daher logische Folgerungen - um.
± kein ist monton fallend.
Referenzen
Eijck, Jan van. 1991. Quantification. In A. von Stechow and D. Wunderlich (eds.), Semantik: Ein
Handbuch der zeitgenössischen Forschung/Semantics: An International Handbook of
Contemporary Research, pp. 459-87. Berlin/New York: de Gruyter.
Ladusaw, William. 1979. Polarity Sensitivity and Inherent Scope Relations. Ph.D. Dissertation,
University of Texas, Austin.
Linebarger, Marcia. 1987. Negative polarity and grammatical representation. Linguistic Inquiry 10.2:
325-387.
Reinhart, Tanya. 1983. Anaphora and Semantic Interpretation. Chicago: University of Chicago Press.
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