Kurzessay: Regulationstheorie und Reproduktionsarbeit

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Aufgabe 5
WS 13/14
Se: Themen der Gegenwartssoziologie
LVA-Leiterin: Almut Bachinger
Vorname Nachname
0921553 | 505
Kurzessay: Regulationstheorie und Reproduktionsarbeit
Grundlagen der Regulationstheorie
Die Wirtschaftskrise der 1974/75er hat die Entwicklung der Regulationstheorie maßgeblich
vorangetrieben. Das oberste Erkenntnisziel vieler Vertreter_innen der Regulationstheorie war
es, neuen Analyse- und Antwortmöglichkeiten zum Verständnis (ökonomischer) Krisen zu
entwickeln. Hierbei standen zunächst vor allem die Prozesse der Erosionskrise, welche zum
Zerfall des Fordismus und zur Herausbildung des Postfordismus beitrug, im Vordergrund.
(vgl. Aulenbacher/Riegraf 2012: 92)
Grundsätzlich befasst sich die Regulationstheorie mit der Analyse von Krisen, welche im nur
phasenweise stabilen Kapitalismus immer wieder auftreten. Eine Grundannahme der
Regulationstheorie lautet daher, dass es sich bei Krisen um strukturelle Brüche innerhalb der
kapitalistischen Gesellschaft handelt, welche in weiterer Folge stets eine Veränderung und
Neustrukturierung ihrer Funktionsweise bedingen. (vgl. Aulenbacher/Riegraf 2012: 92)
„Die Gestalt der neuen Gesellschaftsformation ist demzufolge das Resultat des
Zusammenspiels von Marktökonomie sowie sozialen und politischen Auseinandersetzungen
kollektiver Akteur_innen, das in komplexe historische Suchprozesse zu institutionellen
Innovationen führt.“ (ebda.)
Von großem Interesse ist aber auch die Fragen, warum und wie es dem kapitalistischen
System immer wieder gelingt sich nach den oben beschriebenen krisenhaften Umbrüchen
stets neu zu formieren und zu stabilisieren. (vgl. Aulenbacher/Meuser/Riegraf 2013: 7)
„Der Regulationstheorie geht es nicht um die Suche nach abstrakten ökonomischen
Gesetzmäßigkeiten für die Erklärung von Wandel oder Stabilität, sondern um die Frage nach
der Art und Weise wie sich das Kapitalverhältnis trotz und wegen seines konfliktorischen und
widersprüchlichen Charakters reproduziert, wie also Gesellschaft als soziales System
überhaupt möglich ist.“ (Sauer 2013: 117)
Diese Krisen sind für die (Weiter-)Entwicklung von Gesellschaften unverzichtbar, allerdings
kann die daraus resultierende gesellschaftliche Entwicklung nie genau vorhergesehen bzw.
determiniert werden und entzieht sich daher den ausschließlich marktökonomischen
Analysen. Somit müssen auch andere soziale sowie politische Prozesse und Faktoren
mitgedacht und miteinbezogen werden. (vgl. Aulenbacher/Riegraf 2012: 92)
Regulationstheoretische
Ansätze
versuchen
qualitativ
ökonomische
sowie
soziale
Veränderungsprozesse kapitalistischer Gesellschaften zu beschreiben. Hierzu wird die
kapitalistische Gesellschaftsentwicklung nach qualitativ veränderten Stufen systematisiert.
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Der Übergang vom Fordismus zum Postfordismus, welcher als Neuformierung des
Kapitalismus gesehen werden kann, entstand – wie oben bereits kurz angeschnitten – über
krisenhafte Erneuerungsprozesse. Diese Neuformierungen des Kapitalismus werden in der
Regulationstheorie als Herausbildung neuer Akkumulationsregime verstanden. (vgl.
Aulenbacher/Meuser/Riegraf 2013: 8) Akkumulationsregime summieren alle „Produktionsund Konsumbedingungen im Kontext der dominanten Produktions- und Konsumnormen sowie
das Verhältnis von kapitalistischen und nicht-kapitalistischen Bereichen“. (ebda.) Jedes
Akkumulationsregime bzw. jeder Akkumulationsprozess bedarf laut den Vertreter_innen der
Regulationstheorie jedoch einer spezifischen Regulationsweise, denn erst jene garantiert den
gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie die Reproduktion der Individuen und somit in
weiterer Folge auch die Stabilität der kapitalistischen Gesellschaft. (vgl. Sauer 2013: 117) Die
Regulationstheorie betrachtet die Regulationsweise somit als eine „institutionalisierte
Perspektive, das institutionelle Rahmenwerk und Reglement, das in Verbindung mit dem
Akkumulationsregime dem kapitalistischen System seine phasenweise Stabilität garantiert.“
(Aluenbacher/Meuser/Riegraf 2013: 8) Regulationsweisen sind des Weiteren als Modus der
Bearbeitung von gesellschaftlichen Widersprüchen (zB. Wohlfahrtsstaat) zu denken. (vgl.
Sauer 2013: 117) Art und Typus der Regulationsweise beziehen sich dabei jeweils auf die
nationale Ökonomie während das Akkumulationsregime den gesellschaftlichen bzw. sozialen
Zusammenhang beschreibt. (vgl. ebda.) Allerdings muss angemerkt werden, dass beiden
jeweils ein soziales Element immanent ist und diese stets Ergebnisse komplexer sozialer
Aushandlungsprozesse sind.
„Beides muss als Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen und Kämpfe auf verschiedenen
gesellschaftlichen Ebenen betrachtet werden, deren Ausgang nicht objektiv vorherbestimmt
ist, sondern von der Stärke, den Strategien und Erfolgen der beteiligten Akteuren [sic!]
abhängt. […] Akkumulationsregime und Regulationsweise stehen also nicht in einem kausalen
oder funktionalen, sondern in einem Verbindung- und Artikulationsverhältnis.“ (Hirsch 2005:
8 zit. n. Aulenbacher/Riegraf 2012: 97)
Erweisen sich Akkumulationsregime und Regulationsweise als stabil, kann von einer
Hegemonie bzw. einer hegemonialen Struktur gesprochen werden, welche eine Art
Vorherrschaft
innerhalt
des
kapitalistischen
Systems
einnimmt.
(vgl.
Aulenbacher/Meuer/Riegraf 2013: 10)
Wie weiter oben bereits kurz angedacht, analysiert die Regulationstheorie die kapitalistische
Gesellschaft stufenweise. Dabei unterscheidet sie zwischen vier Phasen, welche sich jeweils
durch ein spezifisches Akkumulationsregime und eine damit einhergehende Regulationsweise
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konstituieren. Die erste Phase als „extensive Akkumulation mit einer régulation á l’ancienne
(Frühkapitalismus)“ (Aulenbacher/Riegraf 2012: 93) zeichnete sich durch die Ausweitung
der industriellen Produktionsweise auf ländliche, traditionelle Regionen in den USA aus.
Hierbei stand der Ausbau der Infrastruktur (zB. Eisenbahn) im Vordergrund während die
Konsumgüterindustrie noch in den Kinderschuhen steckte. Die zweite Phase wird von
Aulenbacher und Riegraf (2012: 93) in Anlehnung an Aglietta als das „intensive Regime ohne
Massenkonsum mit einer régulation concurrentielle“ bzw. als „Herausbildung und
Etablierung des Fordismus“ bezeichnet, während die dritte Phase von den Autorinnen „das
intensive Regime mit Massenkonsum mit einer régulation monopoliste (Blütezeit des
Fordismus nach dem 2. Weltkrieg)“ (ebda.) benannt wurde. Diesen beiden Phasen ist (jeweils
im unterschiedlichen Ausmaß) eine neue spezifische Form der Ausbeutung der Arbeitskraft,
politischer Regulationen, der sozialen Strukturierung und der Vergesellschaftungsform
gemein. (vgl. ebda.) Durch die Herausbildung von Massenproduktionstechnologien, dem
Auftreten neuer gesellschaftlicher Konflikte und Antagonismen bildete sich schließlich die
vierte Phase als „postfordistisches Akkumulationsregime“ (Aulenbacher/Riegraf 2012: 97)
heraus. (vgl. ebda.)
Regulationstheorie und Reproduktionsarbeit
„Die Vorstellung, dass der Bereich der Ökonomie nicht ohne gesellschaftliche und politische
Vermittlung existiert, macht es erstens möglich, neben produktiver Arbeit auch reproduktive
Arbeit als Dimension kapitalistischer Akkumulation und Vergesellschaftung und zweitens
Geschlechterverhältnisse als zentrale Dimension der Regulation zu denken.“ (Sauer 2013:
117)
Zur Erinnerung: die Regulationstheorie verknüpft in ihren Überlegungen Ökonomie,
Gesellschaft und Staat. Regulationsweisen dienen in jenem Gefüge als Modus der
Bearbeitung gesellschaftlicher Widersprüche. (vgl. ebda.) Damit kann anhand von
regulationstheoretischen Ansätzen auch der Geschlechterwiderspruch genauer analysiert
werden, da die geschlechtliche Arbeitsteilung von zentraler Bedeutung für den
Akkumulationsprozess ist. Gleiches gilt auch für die Reproduktionsarbeit. Produktive und
Reproduktive Arbeit ergeben gemeinsam die Ökonomie. Kapitalistische Produktion basiert
neben
der
spezifischen
Produktionsweise
Reproduktionsweise. (vgl. Sauer 2013: 117f.)
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auch
auf
einer
ganz
spezifischen
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Gerade das von Klaus Dörre entwickelte Landnahme-Theorem hat sich als sehr geeignet
erwiesen um Reproduktions- bzw. Care Arbeit zu untersuchen. (vgl. Aulenbacher/Riegraf
2013: 99) Unter Landnahmen sind soziale wie geographische Verschiebungen der Grenzen
kapitalistischer Akkumulation zu verstehen, welche „durch ‚äußere‘ Märkte, durch
nichtkapitalistische Milieus und Schichten, aber auch die menschliche und außermenschliche
Natur gesetzt werden.“ (Dörre 2011: 98 zit. n. Aulenbacher/Riegraf 2012: 100) Landnahmen
auf Basis des von Dörre titulierten finanzmarktgetriebenen Akkumulationsregimes und der
damit verbundenen Regulationsweise, zeichnen sich durch Prozesse der Prekarisierung und
Entdemokratisierung aus. (vgl. ebda.) Jene angesprochenen Prozesse sind bei der
Reorganisation des öffentlichen Sektors – zB. Wissenschaft oder Care-Sektor – ersichtlich,
welche eine Landnahme staatlicher oder gemeinwirtschaftlicher Sektoren darstellt. Andere
Bereiche hingegen werden aufgrund der zu geringen Rentabilität wieder verlassen oder
abgegeben. Dabei wird auf unterschiedliche Regulationsweisen, wie etwa Pflege- oder
Kindergeld, zurückgegriffen. Dies geht mit der Auf- und Abwertung von Arbeit einher,
welche
mit
der
geschlechterspezifischen
Arbeitsverteilung
korreliert.
(vgl.
Aulenbacher/Riegraf 2012: 101) Daneben bedingte die nun hegemoniale Ideologie des
Neoliberalismus die Kommerzialisierung und zunehmende Kommodifizierung von affektiver
sowie Care Arbeit. (vgl. Sauer 2013: 127) Dies wiederrum treibt aber die Landnahme jenes
Sektors an seine
„Sorge bzw. Solidaritätsgrenzen, und die kapitalistische Vergesellschaftung kann an der
Konflikthaftigkeit
und
Instabilität
der
damit
verbundenen
hierarchischen
Geschlechterverhältnisse scheitern, ist doch die Bestandsicherung des Zusammenlebens durch
kapitalistische Vernutzung permanent gefährdet.“ (ebda.)
Care Arbeit zeichnet sich nicht durch eine unbegrenzte Inwertsetzung sowie ständiges
Wachstum aus, daher spiegelt sie die „geschlechterpolitische Dimension“ (ebda.) der
aktuellen ökonomischen Krisen wider. (vgl. ebda.)
Allerdings
bleibt
in
Akkumulationsregime
Dörres
und
Landnahme-Theorem
Landnahmen
aufbauen
offen,
sowie
worauf
welche
die
jeweiligen
Ausrichtung
die
gesellschaftliche Entwicklung damit verliehen bekommt. Die Regulationstheorie, welche in
der Tradition der materialistischen Theorien steht, tendiert zu einer Überfokussierung der
Ökonomie. Die Unterbewertung der Reproduktionsarbeit sowie die Unterordnung aller
gesellschaftlichen Bereiche durch die Marktökonomie, wird nur historisch untersucht.
Alltägliche Praktiken oder Aushandlungsprozesse, welche wesentlich zur Konstitution jener
Handlungslogik beitragen, bleiben weitgehen ausgespart. Die Regulationstheorie baut hierbei
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wieder strikt auf der Ökonomie und der Warenförmigkeit vieler gesellschaftlicher Bereiche
auf. (vgl. Aulenbacher/Riegraf 2012: 107)
Dennoch eignet sich die Regulationstheorie laut Sauer dafür
„die
Herausbildung
institutioneller
(staatlicher)
Arrangements
–
auch
von
Geschlechterarrangements -, deren Stabilität und Veränderung im Zusammenspiel mit
ökonomischen Veränderungen [zu] analysieren und vor allem soziale Auseinandersetzungen
mit[zu]denken.“ (Sauer 2013: 123)
Um dies zu ermöglichen müssen aber die Begriffe der Akkumulation und der Regulation neu
formuliert werden, da Geschlechterregime nicht nur in der ökonomischen sondern auch in der
politischen Struktur sowie unseren alltäglichen sozialen Praktiken verortet werden können.
Ein solches Unterfangen bedarf laut Sauer jedoch eines enormen Perspektivenwechsels. (vgl.
Sauer 2013: 123)
Literatur- und Quellenverzeichnis
Aulenbacher, Brigitte/Riegraf, Birgit (2013): Kapitalismus und Krise - eine Frage von
Ökonomie und Klasse? Über kapitalismustheoretische Öffnungen in Sachen Reproduktion,
Geschlecht und Ethnie. In: Atzmüller, Roland et. al (Hrsg.): Fit für die Krise? Münster:
Westfälisches Dampfboot. S. 90-110.
Aulenbacher, Brigitte/Meuser, Michael/Riegraft, Birgit (2012): Geschlecht, Ethnie, Klasse im
Kapitalismus – Über die Verschränkung sozialer Verhältnisse und hegemonialer Deutungen
im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess. In: Berliner Journal für Soziologie. o. Jg., H. 22,
S. 5-27.
Sauer, Birgit (2013): “Putting Patriarchy in its place”. Zur Analysekompetenz der
Regulationstheorie für Geschlechterverhältnisse. In: Atzmüller, Roland et. al (Hrsg.): Fit für
die Krise. Münster: Westfälisches Dampfboot. S. 111-131.
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