Nebennierenhormone 23 4.5. Das Nebennierenmark Das Nebennierenmark (NNM; Medulla suprarenalis) besteht überwiegend aus Nervenzellen und Nervenfasern und gilt somit als Nahtstelle zwischen dem sympathischen Nervensystem und dem Hormonsystem. Im Nebennierenmark werden die Hormone Adrenalin und Noradrenalin produziert und bei Bedarf direkt an das Blut abgegeben. 4.5.1. Adrenalin und Noradrenalin Adrenalin und Noradrenalin gehören zur Gruppe der Katecholamine1 und sind somit biogene Amine2. Genau wie die Glukocorticoide, werden auch sie vermehrt unter psychischem oder physischem Stress freigesetzt. 1 Katecholamine: Gruppenbezeichnung für hydroxylierte Phenethylamine (siehe 4.5.2. Chemische Struktur der Katecholamine) mit Brenzcatechin (englisch: catechol) als Grundgerüst. 2 Biogene Amine werden im Organismus durch Decarboxylierung3 von Aminosäuren hergestellt. 3 Decarboxylierung: Die Abspaltung von Kohlendioxid aus freien Carbonsäuren bzw. ihren Salzen. Die Katecholamine spielen nicht nur als Hormone, sondern auch als Neurotransmitter eine wichtige Rolle im Organismus. In geringen Mengen werden sie auch von bestimmten Nervenenden des sympathischen Nervensystems ausgeschüttet. Adrenalin und Noradrenalin werden aus den Nebennieren durch Exozytose4 direkt in die Blutbahn abgegeben. Ihre Freisetzung erfolgt durch einen Reiz aus dem sympathischen Nervensystem. Für den Transport im Blut sind die Katecholamine an Albumin gebunden. 4 Exozytose: Form der Sekretion, bei der sekretgefüllte Golgi-Vesikel zur Zellmembran wandern und deren Inhalt durch Verschmelzen der Membran nach außen freigesetzt wird. 4.5.2. Chemische Struktur der Katecholamine HO HO Brenzcatechin 1,3-Dihydroxybenzol(en) C C N Phenylethylamin (1-Phenyl-2-aminoethan) Nebennierenhormone 24 HO HO hydroxyliertes Phenethylamin C 1-(3,4-Dihydroxyphenyl)-2-aminoethan C N R HO HO Adrenalin OH C 1-(3,4-Dihydroxyphenyl)-2-methylamino-ethanol od. Brenzcatechin-oxyethyl-methylamin (alt) C N CH3 HO HO Noradrenalin OH C C 1-(3,4-Dihydroxyphenyl)-2-amino-ethanol od. Brenzkatechin-oxyethyl-amin (alt) N NOR: “Stickstoff ohne Rest” 4.5.3. Wirkungsspektrum der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin werden bei körperlicher und seelischer Belastung, aber auch bei Infektionen, Verletzungen und einem niedrigen Blutzuckerspiegel (Hypoglykämie) verstärkt ausgeschüttet. Die Aufgabe der Katecholamine besteht darin, den Menschen auf Kampf- oder Fluchtreaktionen vorzubereiten. Sie sorgen also dafür, dass der Körper sich auf eine kurz andauernde physische Höchstleistung einstellen kann. Kurz gesagt, wird der gesamte Organismus durch das Eingreifen dieser Hormone in Alarmbereitschaft versetzt. Nebennierenhormone Adrenalin • Steigert den Blutdruck durch Verengung der Blutgefäße • Erhöht die Pulsfrequenz und Pumpkraft des Herzens • Weitet die Atemwege und erleichtert so die Aufnahme von • • • • Noradrenalin 25 Sauerstoff Stellt der Skelettmuskulatur eine größere Blutmenge zur Verfügung Fördert in der Leber den Abbau der Glykogenreserven zu Glucose Bewirkt die Aktivierung von Lipasen im Fettgewebe und führt somit zur Steigerung des Fettabbaus Verringert die Magen- und Darmtätigkeit • Steigert den Blutdruck durch Verengung der peripheren Gefäße • Senkt die Pulsfrequenz (entgegengesetzte Wirkung zu Adrenalin) • Verengt Blutgefäße der Haut (Blässe), der Schleimhäute und des • • • • • Magen-Darm-Trakts Hemmt die Insulinausschüttung (erhöht so den Blutzuckerspiegel) Erweitert die Pupillen Verursacht eine vermehrte Schweißsekretion Vermindert die Wahrnehmung von Schmerzen (häufig gemeinsam mit Endorphinen ausgeschüttet) Sorgt im Gehirn und Rückenmark für Anregung und Wachheit Noradrenalin wirkt schwächer als Adrenalin auf die glatte Muskulatur von Darm und Bronchien sowie auf den Stoffwechsel. 4.5.4. Medizinische Verwendung Adrenalin wird parenteral verabreicht, weil es oral eingenommen unwirksam ist. Es wird in Antiasthmatika und Broncholytika1 verwendet. Außerdem führt Adrenalin als Vasokonstriktor2 zur Stillung von Blutungen bei Operationen im Nasen-, Mund- und Rachenraum und bei Blutungen innerer Organe. Adrenalin wird auch zusammen mit Lokalanästhetika injiziert, weil diese infolge der Blutgefäßverengung, die Adrenalin bewirkt, länger wirken und somit auch schon geringere Dosen der lokalen Betäubungsmittel ausreichen. Noradrenalin dient wie Adrenalin als gefäßverengender Zusatz von Lokalanästhetika und wird außerdem auch bei Kreislaufkollaps verabreicht. 1 Broncholytika: Gruppenbezeichnung für Präparate, die auf die glatte Muskulatur der Bronchien krampflösend, also als sogenannte Bronchodila(ta)toren, wirken und deshalb gegen Bronchitiden eingesetzt werden. 2 Vasokonstriktor: Arzneimittel, das eine Kontraktion der Muskulatur der Blutgefäßwände und damit eine Verengung der Gefäße herbeiführt. Dies führt infolge der Erhöhung des Gefäßwiderstandes zur Blutdruck-Steigerung. Nebennierenhormone 26 4.5.5. Labordiagnostische Bedeutung der Katecholamine Von klinischer Bedeutung ist die Bestimmung von Plasma-, Urin- und Gewebe-Katecholaminspiegeln bei der Diagnostik von Phäochromozytomen und anderen Tumorerkrankungen des Nervensystems. Dabei kommt es zu einer stark erhöhten Katecholaminproduktion in dem betroffenen Gewebe und damit zu einer verstärkten Freisetzung der Katecholamine im Blutkreislauf bzw. zu einer erhöhten Ausscheidung im Urin. Die dabei auftretenden Konzentrationen an Katecholaminen und deren Metaboliten liegen ein Vielfaches über der Referenzbereichsgrenze. Die Konzentrationen von Adrenalin und Noradrenalin gelten sowohl als Indikator für die Aktivität des sympathischen Nervensystems, als auch als Kenngröße bei Vorliegen koronarer Herzkrankheit, Diabetes mellitus, Ateriosklerose, akutem Asthma, u.a. Der Nachweis der Katecholaminkonzentration in verschiedenen Körperflüssigkeiten und Gewebeproben ist jedoch nicht nur bei krankhaften Zuständen von Interesse. In der Stressforschung oder der Sportmedizin zum Beispiel liefern Katecholaminspiegel ebenfalls wertvolle Informationen. Für die erste Diagnosestellung eines katecholaminproduzierenden Tumors wird die Ausscheidung im 24-Stunden-Urin des Patienten quantitativ bestimmt. Zur Lokalisation des Tumors ist allerdings die Konzentration der Katecholamine im Plasma zu ermitteln. Die quantitative Bestimmung der Katecholamine und ihrer Metaboliten wird mittels Hochdruckflüssigkeitschomatographie (HPLC) durchgeführt. Die wichtigsten Abbauprodukte der Katecholamine sind Vanillinmandelsäure (VMA), Homovanillinsäure (HVA) und Vanillinsäure (VA). Vanillinmandelsäure (VMA) OH HO CH COOH (3-Methoxy-4-hydroxy-mandelsäure) Hauptabbauprodukt der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin. Die VMA-Bestimmung ist ein Suchtest in der Hypertoniediagnostik. H3CO Homovanillinsäure (HVA) HO H3CO CH2 COOH [(4-Hydroxy-3-methoxy-phenyl)essigsäure] Nebennierenhormone 27 4.5.6. Vom Phenylalanin zum Adrenalin Phenylalanin (2-Amino-3-phenylpropansäure) C NH 2 Formel: C9H11NO2 HO C C COOH NH 2 HO HO C C C COOH COOH Phenylalanin ist eine essentielle, aromatische Aminosäure, die nicht vom menschlichen Organismus synthetisiert werden kann. Durch Hydroxylierung von Phenylalanin entsteht L-Tyrosin. Tyrosin ist eine für den Menschen nicht-essentielle aromatische Aminosäure, die in der Natur als regelmäßiger Bestandteil der Proteine weit verbreitet ist. L-Dopa (3,4-Dihydroxyphenylalanin) entsteht auf enzymatischem Weg mit Hilfe von L-Tyrosin-3-hydroxylase (Tetrahydropteridin als Cofaktor) aus L-Tyrosin durch Hydroxylierung in 3-Stellung des Phenyl-Rings). NH2 HO HO C C NH2 HO HO OH C Als biogenes Amin entsteht Dopamin [1-(3,4-Dihydroxyphenyl)-2-aminoethan] im Organismus durch Decarboxylierung von L-Dopa (katalysiert durch Dopadecarboxylase) als Produkt des Tyrosin-Stoffwechsels. Dopamin ist die Muttersubstanz von Noradrenalin. Noradrenalin [1-(3,4-Dihydroxyphenyl)-2-aminoethanol, 4-(2-Amino-1-hydroxyethyl)brenzcatechin], internationaler Freiname: Norepinephrin, früher: Arterenol C NH2 HO HO OH C C N CH3 Noradrenalin unterscheidet sich chemisch nur durch eine Methylgruppe von Adrenalin. Seine Wirkungen sind jedoch zum Teil schwächer oder gar entgegengesetzt. L-Adrenalin [(–)-(R)-Adrenalin,(R)-Epinephrin, (R)-1-(3,4-Dihydroxyphenyl)-2-methylamino- ethanol] oder [4-((R)-1-Hydroxy-2-methylamino-ethyl)-brenzcatechin]; Freiname: Epinephrin