Ingenieure für Brandschutz UNGESCHÜTZTE STAHLTRAGWERKE Ein Traum für Architekten, ein Albtraum für Brandschützer? Realisierungsmöglichkeiten mit Hilfe der Heißbemessung Von Dr.-Ing. Jochen Zehfuß und Dipl.-Ing. Matthias Stamm, hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH Es ist ein aktueller Trend: Tragende Bauteile werden immer häufiger in brandschutztechnisch ungeschützter Stahlbauweise realisiert. Die schlanken Tragwerke aus „nacktem“ Stahl sind ein beliebtes und ästhetisch wertvolles Gestaltungsmittel in der heutigen Architektur. Als Nebeneffekt können die Kosten für eine brandschutztechnische Bekleidung gespart werden, wodurch die Gesamtkosten für den Brandschutz und das Gebäude insgesamt sinken. Eine grundsätzliche Anforderung, die die geplanten Brandschutzmaßnahmen in einem Gebäude erfüllen müssen, ist - neben der Verhinderung der Brandentstehung und -ausbreitung - der Schutz der Rettungs- und Angriffswege sowie die Gewährleistung der Standsicherheit im Brandfall. Die Vorschriften der Bauordnungen sehen deshalb vor, dass tragende und aussteifende Bauteile - abhängig von der Höhe und der Nutzung des Gebäudes - in eine Feuerwiderstandsklasse (F-Klasse) eingestuft werden müssen. Die Berechnung Ermittelt wird die Feuerwiderstandsklasse von Bauteilen auf Grundlage der Einheitstemperaturzeitkurve (ETK) nach DIN 4102. Die ETK beschreibt als umhüllende Kurve konservativ die zeitliche Entwicklung der auf die Bauteile einwirkenden Temperatur unter Standardbedingungen. Für Stahlbauteile sind üblicherweise Bekleidungsmaßnahmen wie Putze, Brandschutzplatten oder dämmschichtbildende Anstriche notwendig, um sie in die erforderliche Feuerwiderstandsklasse einstufen zu können. adidas Laces im Querschnitt zur Heißbemessung der Dachträgerkonstruktion Bild: Mit freundlicher Unterstützung der adidas AG hhpberlin · Ingenieure für Brandschutz GmbH · Hauptsitz: Rotherstraße 19 · 10245 Berlin · Phone +49 (0)30-89 59 55-0 Fax +49 (0)30-89 59 55-100 · www.hhpberlin.de · [email protected] · Amtsgericht Berlin-Charlottenburg · HRB 78 927 Geschäftsführer: Dipl.-Ing. Margot Ehrlicher, Dipl.-Inf. BW (VWA) Stefan Truthän, Dipl.-Ing. Karsten Foth · Beirat: Prof. Dr.-Ing. Dietmar Hosser, Dr.-Ing. Karl-Heinz Schubert · Bankverbindung: Deutsche Bank P+G AG · BLZ 100 700 24 · Konto-Nr. 1419100 IBAN-Nr. DE52100700240141910000 · Swift-Code: DEUTDEDBBER · Ust-IdNr. DE217656065 Mit den Eurocodes werden die Bemessungsregeln europaweit vereinheitlicht. Auch der Bereich der brandschutztechnischen Nachweise ist davon betroffen: Die entsprechenden rechnerischen Nachweisverfahren sind in den speziellen Brandschutzteilen der Eurocodes normiert. Anhand dieser können die realistische Temperatureinwirkung auf die Bauteile (Naturbrandkurven) sowie die brandschutztechnische Bemessung mit vereinfachten bzw. allgemeinen Berechnungsverfahren durchgeführt werden. Durch die Berücksichtigung von Naturbrandkurven gelingt es, die Brandszenarien realistischer abzubilden als mit der bisher verwendeten ETK. Die Temperaturen, die im Brandfall auf das Tragwerk einwirken, können mit Einzonen-, Mehrzonen- oder Feldmodellen berechnet werden hhpberlin setzt das Mehrraumzonenmodell CFAST und die Feldmodelle FDS und ANSYS-CFX ein. Für die Untersuchung einzelner Bauteile können die vereinfachten Berechnungsverfahren verwendet werden. Hierbei handelt es sich um Handrechenverfahren, die z.B. in Form von Tabellenkalkulationen automatisiert werden können. Die Verfahren funktionieren grundsätzlich ähnlich wie die „Kaltbemessung“. Zusätzlich werden vereinfachte Annahmen bezüglich des Steifigkeits- und Festigkeitsabfalls der Baustoffe und gegebenenfalls der Ausbildung von Zwangschnittgrößen angesetzt. Mit den allgemeinen Berechnungsverfahren kann das tatsächliche Trag- und Verformungsverhalten von Bauteilen und Tragwerken unter Brandbedingungen untersucht werden. Dazu werden computergestützte numerische Simulationen durchgeführt - das heißt, es wird ein Brandversuch simuliert. Mit einer thermischen Analyse wird die Erwärmung der Bauteile berechnet. Das Tragund Verformungsverhalten wird mit einer mechanischen Analyse bestimmt. hhpberlin verwendet dafür die Programme ANSYS und STABA-F. Die Heißbemessung eines Tragwerks ist ein vergleichsweise aufwändiges Verfahren. In der Regel ist die Anwendung nur dann sinnvoll und unter ökonomischen Gesichtspunkten vertretbar, wenn ein Naturbrandszenario unterstellt wird. Das bedeutet, dass den Betrachtungen nicht die pauschalen Annahmen der ETK zu Grunde gelegt werden. Vielmehr werden die tatsächlich zu erwartenden Temperatureinwirkungen während eines realistischen Brandes mit Hilfe eines so genannten Bemessungsbrandes (Naturbrandszenario) untersucht. In diesem Zusammenhang berechnet man das zeitabhängige Temperaturfeld und die Brandausbreitung des Naturbrandes, welches abhängig von der Nutzung (Brandlasten), den vorherrschenden Ventilationsverhältnissen und der Brandraumgeometrie ist. Auf diese Weise können die auf das Tragwerk einwirkenden Temperaturen sehr viel genauer und individueller ermittelt werden, denn die ETK beschreibt die Temperaturänderungen häufig pauschal und ist daher in vielen Fällen unangemessen. Abhängig von den temperaturabhängigen thermischen Materialeigenschaften der Bauteile kann mit einer thermischen Analyse anschließend die zeitlich veränderliche (instationäre) Temperaturverteilung in den Bauteilquerschnitten berechnet werden. Mit einer mechanischen Analyse kann wahlweise das Trag- und Verformungsverhalten einzelner Bauteile oder ganzer Tragsysteme unter Berücksichtigung brandbedingter Erwärmung und thermischer Dehnungen simuliert werden. Grundlage hierfür sind die temperaturabhängig formulierten Spannungs- und Dehnungsbeziehungen. Im Ergebnis der Heißbemessung kann nachgewiesen werden, dass das Bauteil bzw. Tragwerk dem zu erwartenden Bemessungsbrand (Naturbrandszenario) widersteht ohne zu versagen. So kann beurteilt werden, ob und inwiefern die Standsicherheit im Brandfall - ggf. unter Berücksichtigung eines Teileinsturzes untergeordneter Bauteile - gewährleistet ist. Seite 2 Beim Naturbrandszenario wird das zeitabhängige Temperaturfeld und die Brandausbreitung des Naturbrandes berechnet Bild: Mit freundlicher Unterstützung der adidas AG Fazit Wird die brandschutztechnische Bemessung mit Hilfe einer Heißbemessung durchgeführt, kann für Stahlbauteile eine Reduzierung von Bekleidungsmaterialien bzw. Schutzanstrichen erreicht werden. In vielen Fällen sind sogar ungeschützte Stahlbauteile möglich. In bestehenden Gebäuden kann für Stahlbetonbauteile mit zu geringem Achsabstand der tragenden Bewehrung nach DIN 4102 mit einer Heißbemessung ein ausreichender Feuerwiderstand nachgewiesen werden. So ist eine zusätzliche Putzbekleidung nicht mehr oder nur reduziert erforderlich. Bis die nationalen Anhänge der Eurocodes erarbeitet und die Eurocodes in die Liste der technischen Baubestimmungen aufgenommen sind, können die Verfahren der Naturbrandbemessung sowie der allgemeinen Berechnungsverfahren nur im Einzelfall und mit Zustimmung der Bauaufsichtsbehörde angewendet werden. Seite 3