Auswirkungen und Chancen für das genossen

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Niedrigzinspolitik der EZB
Auswirkungen und Chancen für das genossenschaftliche Geschäftsmodell und seine Produkte
Das Bankgeschäft der deutschen Genossenschaftsbanken befindet sich im Umbruch. Die Kollateraleffekte der Geldpolitik der EZB entziehen den Raiffeisenbanken
und Volksbanken die Ertragsgrundlage des klassischen Einlagen- und Kreditgeschäfts. Ihr Geschäftsmodell steht damit vor strukturellen Herausforderungen.
Ole Poppinga, Andreas Schenkel
Die aktuellen Herausforderungen verlangen
von regionalen Genossenschaftsbanken Neuausrichtungen in fast allen Geschäftsbereichen:
Die Digitalisierung erfordert Umstellungen von
ganzen Geschäftsprozessen und Vertriebsformen. Die erhöhten Regulierungsanforderungen belasten zunehmend die Kostenstrukturen. Das Zinsniveau nahe der Nullzins-Grenze
hat weitreichende Folgen für die Erträge aus
dem klassischen Bankgeschäft. Und da die
EZB derzeit von einer Abkehr der expansiven
Geldpolitik absieht, ist auch mittelfristig mit
entsprechenden Friktionen zu rechnen.
Die Finanzkrise 2008 markiert eine Trendwende
der europäischen Zins- und Liquiditätspolitik.
Die „unkonventionelle Geldpolitik“ wird zur
normalen monetären Strategie. Umfassende
Staats- sowie zuletzt auch Unternehmensanleihenkäufe und wiederholte Leitzinssenkungen sorgen für eine deutliche Abflachung
der Zinsstrukturkurve. Die Spanne zwischen
lang- und kurzfristigen Geldmarktzinsen verringert sich deutlich. Aber, so formuliert es
das EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré:
„If very low or negative rates are here for a
prolonged time, […] banks might have to rethink
their business models.“
Entwicklung der Einlage- und Kreditzinsen Quelle: Deutsche Bundesbank
desto profitabler können die Banken ihrer
Fristentransformation nachkommen. Die
erreichte Nullzins-Grenze auf der Einlagenseite in Kombination mit sinkenden Kreditzinsen bedeutet im Zuge der EZB-Politik eine
erhebliche Verengung dieser Zinsmarge.
Auswirkungen des Niedrigzinses
Die Ertragslage der Genossenschaftsbanken
ist in besonderem Maße von dieser Entwicklung betroffen. Das Kunden- und damit vorrangig das Zinsgeschäft bilden mit circa 80 Prozent den herausragenden Anteil am Gesamtergebnis deutscher Genossenschaftsbanken.
Je höher die Differenz der kurzfristigen Einlagezinsen und der langfristigen Kreditzinsen,
Die kurzfristig negativen Folgen für die Erträge
der Banken bleiben derzeit noch überschaubar. Verantwortlich dafür sind vorrangig die
langfristigen Laufzeiten der Kreditverträge
der Bestandsgeschäfte. Der eintretende positive Effekt einer sinkenden Durchschnittsverzinsung durch schneller angepasste Einlagezinsen ist somit zeitlich begrenzt. Es ist
deshalb davon auszugehen, dass die Auswir-
kungen mit verzögerter Wirkung auf den Zinsüberschuss der Genossenschaftsbanken
durchschlagen werden. Grund dafür ist die
effektive Nullzins-Grenze, die eine Parallelverschiebung der Einlagen- und Kreditzinsen
verhindert, da negative Geldmarktzinsen nicht
ohne Weiteres an die Kunden weitergereicht
werden können.
Bei gleichbleibendem Zinsniveau bis 2019
prognostizieren die BaFin und die Deutsche
Bundesbank auf Basis einer Ergebnissimulation mit 1.500 kleinen bis mittelgroßen Kreditinstituten Ergebniseinbußen von bis zu 25 Prozent. Die strategische Ausrichtung der Volksbanken und Raiffeisenbanken liegt kurzfristig
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in einer Ausweitung der Kreditvergabe, um die
verringerten Zinsmargen zumindest teilweise
durch ein erhöhtes Kreditvolumen auszugleichen.
Auch die negativ verzinste Einlagefazilität der
EZB ist eine strukturelle Herausforderung: Die
vormals im Vergleich zum Interbankenmarkt
unabhängige und günstige Refinanzierung über
regionale Kundeneinlagen verliert nunmehr
massiv an Nutzen. Denn im Gegensatz zu den
Einlagezinsen für Bankkunden können sich die
Refinanzierungssätze am Geldmarkt in den
Negativbereich entwickeln. Hinzu kommt, dass
die Funktion des Liquiditätsausgleichs über
die DZ BANK mit Kosten der Anlage einer
hohen Überschussliquidität am Geldmarkt
einhergeht. Seit August 2016 leitet das Zentralinstitut daher erstmals einen Teil der Belastungen durch die negativ verzinste Einlagefazilität an die Regionalinstitute weiter. Die Folge:
zusätzlicher Ertragsdruck, der insbesondere
das Einlagengeschäftbetrifft.
Negativzinsen aktuell keine Alternative
Wie schaffen es also Genossenschaftsbanken,
sich ausreichende Erträge zu sichern? Negativzinsen werden zwar intensiv diskutiert, bieten
für Genossenschaftsbanken jedoch kein strategisches Lösungspotenzial. Denn im Zuge
der geringen Inflation sorgen Negativzinsen
auf Einlagen dafür, dass Kunden eine Bargeldhaltung vorziehen. Ein Abzug der Kundeneinlagen kann zu Liquiditätsrisiken führen, da
insbesondere für Genossenschaftsbanken
diese Einlagen die Basis zur Refinanzierung
der Kreditvergabe bilden.
Parallel sind die Auswirkungen der Negativzinsen auf die Funktion der Einlagen als Ankerprodukte als problematisch einzuschätzen.
Durch die Einführung eines Verwahrentgeltes
können langfristige Geschäftsbeziehungen und
weiterführende Ertragspotenziale gefährdet
werden.
können möglicherweise aufgrund der derzeitigen Attraktivität von Immobilieninvestitionen
als alternative Anlageform profitieren. Die Ertragspotenziale des Cross-Selling der Verbundprodukte sind daher weitestgehend eingeschränkt.
Gebühren als Substitut
Als Substitut zu den fehlenden Zinserträgen
kommt den Kontoführungs- und Zahlungsverkehrsgebühren deshalb eine entscheidende
Ersatzfunktion zu Negativzinsen zu. In der
Folge werden sich Genossenschaftsbanken
daher notgedrungen mit Gebührenerhöhungen
befassen. Inwieweit diese am Markt durchsetzbar sind und ein realisierbares Potenzial
darstellen, ist vor dem Hintergrund der hohen
Preissensibilität der Kunden zu betrachten.
Gemäß einer aktuellen repräsentativen Studie
von Ernst & Young verweisen 32 Prozent der
befragten Bankkunden auf Gebühren als
Hauptgrund eines Wechsels.
Qualitätsführerschaft als
Differenzierungsmerkmal
Es gilt für Genossenschaftsbanken, die für das
Kundengeschäft essenzielle Dezentralität und
regionale Verbundenheit in eine ertragsorientierte Anpassungsstrategie einzubeziehen.
Eine Forcierung des Provisionsgeschäfts mit
dem Ziel einer reduzierten Abhängigkeit vom
Zinsgeschäft widerspricht der realwirtschaftlichen Verankerung der Banken. Das genossenschaftliche Modell steht somit vor dem besonderen Dilemma, bei der strukturellen Neuausrichtung gerade auf die zentralen Merkmale zu setzen, die durch die Niedrigzinspolitik grundsätzlich in Frage gestellt werden.
Vor dem Hintergrund der Kundeneinlage als
Ankerprodukt für langfristige Geschäftsbezie-
hungen kommt der Qualitätsführerschaft der
Genossenschaftsbanken deshalb eine hohe
Bedeutung zu. Die Frage, in welchem Umfang die hohe Preissensibilität der Kunden
notwendige Gebührenerhöhungen zulässt,
hängt von der tatsächlichen Qualität der
Genossenschaftsbanken im Wettbewerb und
der entsprechenden Wertschätzung des Kunden ab. So kann der für den Kunden durch
individuelle Beratung und Kundennähe geschaffene Mehrwert die Kosten der Gebühren
kompensieren. Nur unter dieser Voraussetzung
stellen deshalb Gebühren als Substitut für
Negativzinsen ein wichtiges Ertragspotenzial
dar, ohne weiterführende Geschäftsbeziehungen zu gefährden. Die Chancen für Genossenschaftsbanken liegen somit insbesondere darin,
ihre besondere Kundennähe und die damit
verbundene Qualitätsführerschaft als Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb verstärkt
zu positionieren.
Der vorliegende Artikel entstand aus der
Bachelorarbeit von Ole Poppinga, die er
im Sommersemester 2016 am Institut
für Genossenschaftswesen unter der
Leitung von Univ.-Prof. Dr. Theresia
Theurl verfasste.
Ole Poppinga, B.Sc.
Student der Volkswirtschaftslehre
Universität Münster
[email protected]
Andreas Schenkel, M.Sc.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Institut für Genossenschaftswesen
Universität Münster
[email protected]
Ertragspotenziale im Cross-Selling
Volksbanken und Raiffeisenbanken können
ihre Kundennähe nutzen, um alternative
Finanzprodukte der Genossenschaftlichen
FinanzGruppe zur zinslosen Kundeneinlage
zu vermitteln. Damit zielen sie insbesondere
auf einen erhöhten Absatz der Geldanlageprodukte von Union Investment ab. Jedoch leidet
auch die Attraktivität der Anlageprodukte unter
dem Niedrigzinsniveau. Die langfristig sinkenden Renditen belasten auch Versicherungsprodukte, wie insbesondere die Renten- und
Lebensversicherung. Einzig Bausparprodukte
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Kreislauf des genossenschaftlichen Geschäftsmodells Quelle: Eigene Darstellung
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