-1- Vorl. #1 (22. Okt. 2010) Molekulare Nanomagnete: Quantenphysik zum Anfassen WS2010/2011 Prof. Oliver Waldmann Hochhaus Zi. 202 Tel.: 5717 Sprechstunde: jederzeit (Ihr seid immer herzlich willkommen) Mi. 10-12 Uhr, SR I, 14 täglich, jeweils ungerade Woche Fr. 10-12 Uhr, HS II, wöchentlich Übungen: Do. 12-14 Uhr, SR I, wöchentlich Vorläufiges Programm: - Einleitung - Allgemeiner Überblick über Magnetismus und magnetische Materialien - Magnetismus einzelner Ionen I: Atome - Magnetismus einzelner Ionen II: Ligandenfeldtheorie - Magnetische Wechselwirkung - "Standardmodel" des molekularen Magnetismus - Einzelmolekülmagnete: langsame Relaxation und Quantentunneln der Magnetisierung - Quantenphaseninterferenzeffekte - Inkohärentes vs. kohärentes Quantentunneln, Mesoskopische Quantenkohärenz - Magnetische Grundzustände und elementare Spin-Anregungen - Effekte der Spinfrustration - Experimentelle Techniken - Effektiver Hamiltonian - entartete Störungstheorie - Gruppentheorie (endliche Gruppen) -2- Vorl. #1 (22. Okt. 2010) I. Molekulare Nanomagnete Die molekularen Nanomagnete zeichnen sich gegenüber den "konventionellen" Magneten durch einige strukturelle Besonderheiten aus, die sich natürlich direkt in Ihren Eigenschaften, insbesondere den magnetischen Eigenschaften, widerspiegeln. Dies wird am Beispiel des Einzelmolekülmagneten Mn12 dargestellt (zur Notation was Einzelmolekülmagnet heisst kommen wir noch). Es werden dabei einige Begriffe ohne grosse Erklärung eingeführt, die Erklärung wird im Laufe der Vorlesung gegeben. Die vollständige chemische Formel für das Mn12 lautet [Mn12O12(CH3COO)16(H2O)4]·2CH3COOH·4H2O Die Notation ist so: Der Teil zwischen den eckigen Klammern die Summenformel für den Cluster (das Molekül was uns interessiert) angibt, wobei manchmal noch Zusatzinformationen wie der Redoxzustand des Metallions oder Bindungsmoden mit eingeflochten werden. Der Teil welcher direkt hinter der ]-Klammer kommt gibt die evtl vorhandenen Gegenionen an, welche für einen evtl Ladungsausgleich vorhanden sein müssen. Beim Mn12 ist keine solche Angabe zu finden, Mn12 ist also bereits elektrisch neutral und es sind keine Gegenionen vorhanden. Die Teile welche mit dem Punkt · angefügt sind, sind die evtl. vorhandenen Kristallmoleküle (oder etwas lax Lösungsmittelmoleküle), welche bei der Kristallisation mit eingebaut werden und in der Regel mit darüber entscheiden wie der Cluster kristallisiert. Der Einfluss der Gegenionen und der Kristallmoleküle auf die magnetischen Eigenschaften ist oft verschwindend gering. Zumindest werden wir uns hier in dieser Vorlesung auf Systeme beschränken bei denen das so ist. Im folgenden Bild ist die Kristallstruktur des Clusters [Mn12O12(CH3COO)16(H2O)4], also dem eigentlichen Molekül, dargestellt. Kristallstrukturen werden üblicherweise mittels X-Ray Diffraktometrie bestimmt (Stichwort: Bragg). Seit dem Aufkommen der computerbasierten Methoden muss man aufpassen ob es sich um eine experimentelle oder theoretische Struktur handelt, hier werden wir immer nur experimentelle Strukturbilder gezeigt [Mn12O12(CH3COO)16(H2O)4]·2CH3COOH·4H2O Weinland, Fischer 1921 T. Lis 1980 OAc Mn4+ Mn3+ Mn12 erste Synthese: Weinland, Fischer 1921 Kristallstruktur: Lis 1980 Magnetismus: Sessoli et al, 1993 Mn O C H -3- Vorl. #1 (22. Okt. 2010) Wie zu erkennen ist Mn12 aus organischen Liganden (hier das Acetat CH3COOH, bzw MeCOOH, oder OAc) und Metallionen aufgebaut. Dies kann als typisches Merkmal aller molekularen Nanomagnete angesehen werden. Der Chemiker bezeichnet solche Objekte als Metallkomplexe, man kann also sagen Metallkomplex = Metallionen + (organische) Liganden Die Metallionen sind notwendigerweise positiv geladen, man schreibt dies z.B. als Mn(III) oder Mn3+ um eine dreifache Ladung anzudeuten. Im Mn12 Molekül sind sowohl Mn(III) wie auch Mn(IV) Ionen vorhanden. Die Metallionen sind entscheidend für die magnetischen Eigenschaften, den wie wir noch lernen werden kann jedes Metallion als eine Art magnetische Kompassnadel betrachtet werden, physikalisch/quantenmechanisch spricht man von einem lokalisierten magnetischen Moment bzw. lokalisiertem Spin, welchen man dementsprechend auch durch einen SpinOperator beschreibt. Metallionen ↔ magnetisch ⇒ magnetisches Molekül Der Spin des Metallions, sowie dessen Eigenschaften hängen von dem Typ des Metalions sowie dessen Ladungszustands ab. Für die Mn-Ionen in Mn12 gilt z.B. Mn(III) (Mn3+): Mn(IV) (Mn4+): d4 d3 S=2 S = 3/2 V Cr Mn Fe Co Ni Cu d3s2 d5s d5s2 d6s2 d7s2 d8s2 d10s Also: Typ des Metalions + Ladungszustand → Elektronenkonfiguration → Magnetismus Die Metallionen sind also ursächlich für die magnetischen Eigenschaften, das heisst aber nicht dass die Liganden keinen Einfluss hätten. Im Gegenteil, obwohl diese selber eigentlich unmagnetisch sind, haben sie drei sehr wichtige Auswirkungen. Betrachten wir dazu zunächst die Liganden, hier das Acetat, etwas genauer. Schreibweisen und chemische Strukturformel: CH3COOH: Acetat = Essigsäure = Ethansäure (IUPAC) = Lebensmittelszusatzstoff E260 MeCOOH Oktettregel! MeCO2H Ac 4 5 6 7 8 O OH C N O F Ne Sehr häufig wird der Ligand aber nicht so im Cluster eingebaut wie gezeigt, da manche der HAtome (Protonen) chemisch sehr aktiv sind, häufig liegen die Liganden in deprotonierter Form vor (ohne einige der H-Atome). Im Falle des Acetats ist es genau so, das H-Atom am Sauerstoff wird abgegeben: CH3COO-: deprotoniert in wässeriger Lösung = Essig O O -4- Vorl. #1 (22. Okt. 2010) Die Atome des Liganden sind untereinander durch kovalente Bindungen aneinandergebunden, die Liganden widerum gehen mit den Metallionen chemische Bindungen ein, es handelt sich hierbei jedoch um Komplexbindungen (daher auch der Name Metallkomplexe). Übersicht über typische chemische Bindungsarten Bindungsstärke: → Bindungslänge → optische Eigenschaften → mechanischer Eigenschaften stark: - ionisch - metallisch - kovalent mittelstartk: - komplex schwächer ⇒ ca. 2-3 Å Bindungsabstand, sehr farbig schwach: - Wasserstoffbrücken - π-π (Wechselwirkung zwischen aromatischen Ringen) sehr schwach - Van der Waals Die "Stärke" der Bindung äussert sich in auch in den Eigenschaften, wie z.B., den Bindungslängen, der "Härte" von Materialien, Schmelztemperaturen, den optischen Eigenschaften, etc. Die Komplexbindung ist typischerweise etwas schwächer als z.B. kovalente Bindungen, dementsprechend sind die Bindungslängen typisch 2-3 Å, und die Komplexe sind sehr farbig, gehen jedoch bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen (100 °C) schon kaputt. Aufgrund der chemischen Eigenschaften, sind die Liganden offensichtlich entscheidend für die Struktur der resultierenden Moleküle. Also: Liganden → Struktur des Moleküls Daneben haben die Liganden, obwohl selber unmagnetisch, entscheidenden Einfluss auf die magnetischen Eigenschaften. Einmal beeinflussen sie das Verhalten des an den Metallionen lokalisierten magnetischen Moments bzw Spins. Dies führt zu einer sogenannten magnetischen Anisotropie, welche mittels der Ligandenfeldtheorie beschrieben wird. Darüber hinaus können die Liganden einen magnetische Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Metallionen in dem Cluster vermitteln, d.h. die einzelnen Metallionen, bzw., deren Spins, in einem Cluster sind nicht unabhängig voneinander, sondern "sprechen" sozusagen miteinander. Der Mechanismus welcher für diese Wechselwirkung verantwortlich ist, ist im Regelfall der sogenannte Superaustausch. Da diese magnetischen Wechselwirkungen sich auf Wechselwirkungen zwischen den Metallionen innerhalb eines Clusters/Moleküls beziehen, spricht man von intramolekularer magnetischer Wechselwirkung. Ohne diese magnetischen Wechselwirkungen wären die magnetischen Eigenschaften der Moleküle sehr langweilig. Also: Liganden → magnetische Anisotropie, intra-molekulare magnetische Wechselwirkungen -5- Vorl. #1 (22. Okt. 2010) Nun kommen die Moleküle typischerweise im Experiment nicht einzeln vor, sondern in kristalliner Form, z.B. als Einkristall oder als mikrokristallines Pulver. Die Kristallstruktur für Mn12 ist im Folgenden dargestellt (die Kristallmoleküle wurden nicht eingezeichnet) Der Kristall wird jetzt nicht wie z.B. bei Metallen oder Salzen durch starke chemische Bindungen zusammengehalten, sondern im Regelfall durch die schwächste chemische Bindung, nämlich der Van-der-Waals-Bindung; man spricht von Molekülkristallen. Dies liegt an dem Aufbau der Liganden, d.h., die Details der Kristallstruktur sind wieder durch die Liganden wesentlich mitbestimmt. Diese Tatsache, dass die Clusters im Kristallverbund nur durch diese schwachen Bindungen zusammengehalten werden, äussert sich wieder in den Eigenschaften, wir z.B. dem "Schmelzpunkt" der Kristalle, deren Härte, etc, und auch in den magnetischen Eigenschaften. Die sehr schwache chemische Bindung bedeutet unter anderem, dass auch evtl. magnetische Wechselwirkungen zwischen den Metallionen verschiedenere Cluster, man spricht von den intermolekularen magnetischen Wechselwirkungen, verschwindend gering sind. Also: Liganden → keine inter-molekulare magnetische Wechselwirkung Dies ist nun für die physikalischen/magnetischen Eigenschaften entscheidend, da es sich aus magnetischer Sicht um null-dimensionale (0D) Systeme handelt, um echte Nanocluster. Dies macht den grossen Unterschied zu den in den letzten 80 Jahren untersuchten "konventionellen" Magneten, auch dem Quantenmagnetismus aus, welche sich immer auf eindimensionale (1D), zwei-dimensionale (2D), und drei-dimensionale (3D) Systeme bzw Anordnungen von miteinander wechselwirkender Metallionen bezog. Dies bringt die molekularen Nanomagnete physikalisch in einen neuen Grenzbereich. Dies hat aber auch experimentelle Vorteile, da es nun möglich wird einfach durch Messung an einer makroskopischen Probe (Pulver/Kristall) die Eigenschaften einzelner Moleküle zu bestimmen. Zusammenfassend: Molekulare Nanomagnete: - Metallionen → lokaliserte magnetische Momente/Spins, ursächlich für Magnetismus - Liganden → Molekülstruktur → intra-molekulare mag. Wechselwirkungen, magnetische Anisotropie → verschwindende inter-molekulare magetische Wechselwirkungen ⇒ null-dimensionales Quantensystem