Universität Zürich - Zentrum für Gerontologie Vorlesung Sommer-Semester 2002 Prof.Dr.Erhard Olbrich: Altern psychologisch betrachtet: Prozess der Entwicklung oder Bewahrung des "Alten"? Kurzfassung: Gerontolopsychologische Arbeit zielt zum grossen Teil auf die möglichst lange Erhaltung von psychischen, sozialen und somatischen Funktionen, sei es durch Therapie, Rehabilitation oder Prävention. Neben solchem "Bewahren des Alten" gewinnt jedoch der Gedanke von persönlichem Wachsen und schöpferischer Weiterentwicklung mehr Raum, das (Wieder-) Erstarken einer positiven Psychologie der zweiten Lebenshälfte, in der die Kapazität zu lieben, einer Berufung zu folgen, Originalität zu zeigen und Mut zur Wandlung aufzubringen, in der sozial-emotionale Intelligenz, ästhetische Sensibilität, andauernde Verantwortlichkeit, aber auch Verzeihen, nicht zuletzt Spiritualität und das Finden von Sinn und Weisheit im Vordergrund stehen. So verstandene Entwicklung der alternden Person in ihrer sozialen und ökologischen Umwelt lässt sich empirisch nachweisen. Die Grenzen der empirischen Psychologie werden angesprochen, aber sie wird auch durch Gedanken aus der Anthropologie, der Philosophie und der Theologie ausgeweitet. Jetzt zur Beschreibung der Themen, die in acht Blöcken behandelt werden: Mittwoch, 3.4., 14 - 16Uhr: "Erfolgreich altern" - utopische Versprechen oder Ergebnis redlicher Arbeit ? Der schillernde Begriff des "erfolgreichen Alterns" kann die Dynamik, die in diesem Seminar aufgegriffen werden soll, recht gut verdeutlichen: Gronemeyer meint, erfolgreiches Altern sei angesichts der Tatsache des Todes, der unausweichlichen Konsequenz des Alterns, ein "grimmiger Hohn". Dittmann-Kohli charakterisiert die Utopie, die aktuell von der "anti-aging-research" versprochen wird, so: "Das erfolgreiche Altern ist das Nicht-Altern". Neben fehlleitenden Utopien aber gibt es ernsthafte Bemühungen, Programme und Angebote, die helfen wollen, sich auf die (körperlichen, sozialen und psychischen) Veränderungen des Alters vorzubereiten und mit den Anforderungen, die dieser Lebensabschnitt stellt, besser umgehen zu können. Sie beschreiben Entwicklungsmöglichkeiten, verschweigen aber die Grenzen nicht, die alte Menschen akzeptieren müssen. Mittwoch, 17.4. und Mittwoch, 24.4., je 14 - 16Uhr: Persönlichkeitsentwicklung im Alter Die Erhaltung von körperlicher und psychischer Gesundheit und die Sicherung der sozialen Teilhabe, einschliesslich sinnvoller Tätigkeiten im Alter, sind bevorzugte Themen von Gerontologen. Sie sollen in diesem Seminar nur kurz gestreift werden. Als Kernthema für das Verständnis des Alternsprozesses wird vielmehr die Entwicklung der alternden Persönlichkeit gewählt. Moderne Forschung setzt gern psychometrische Methoden ein und bemüht sich mit objektiven Daten, Konstanz und Veränderung alternder Menschen zu erklären. Solche Forschung bleibt aber inhaltlich erstaunlich eng, sie bietet alternden Menschen nur wenig Anregungen zur Vorbereitung auf das Alter und zur Auseinandersetzung mit dessen Anforderungen. So wird im Seminar ein Schwerpunkt auf die aus klinischer Erfahrung gewonnenen Aussagen von Erik H.Erikson und vor allem von C.G.Jung zur Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte gelegt. Sie sollen zum einen kurz vorgestellt, sollen zum zweiten unter Heranziehung von empirischen Arbeiten geprüft und diskutiert werden, vor allem aber sollen sie mit der Frage verbunden werden, wieweit sie alternden Menschen zu einem Verstehen verhelfen, das ihnen ihr eigenes Altern besserr zu gestalten erlaubt. Mittwoch, 15.5., 14 - 16Uhr: "... nimm Abschied und gesunde" Am Beispiel des Burn-out, des Ausbrennens aller Motivation und aller psychischen und physischen Kräfte für berufliche, aber genauso für ausserberufliche Aktivitäten, wird eine Polarität in der Entwicklung deutlich gemacht: Zwar brennen im bisherigen Leben hauptsächlich genutzte Funktionen aus, zurück bleibt aber keineswegs nur ein "Häufchen Asche". Burn-out kann dazu anregen, "aus der alten Rille zu springen", also als Chance, bislang wenig genutzte Funktionen der Person einzusetzen und mit diesen gleichsam eine Ergänzung oder sogar ein Ganzwerden als Person zu erreichen. - Das Thema lässt sich anhand des Burn-out von Angehörigen psychosozialer und anderer Berufe konkretisieren, es kann auch zum Verständnis der Krise in der Mitte des Lebens und der Möglichkeiten des Neubeginns herangezogen werden. Mittwoch, 29.5., 14 - 16Uhr: Der Weg der zweiten Lebenshälfte geht nach innen. Biographien von Menschen, die ein produktives Altern gelebt haben, lassen Jung'sche Aussagen zur Entwicklung der alternden Persönlichkeit kokret werden. Das Leben alternder Naturwissenschaftlern und das Altern von künstlerisch tätigen Menschen soll Ausgang zur Diskussion der These sein, dass intuitive Funktionen und Introversion zu einem psychisch "erfolgreichen Leben" führen können. Mittwoch, 5.6., 14 - 16Uhr: Der "Archetypische Heilsweg Günter Baumann hat versucht, Erkenntnisse und Einsichten, die Hermann Hesse im Verlauf eines halben Jahrhunderts gewonnen hat, auf die Mythen der Menschheit zu beziehen und zugleich anhand der Lebenswege von Kirchenvätern, von Buddha und Lao-tse zur Verdeutlichung eines Entwicklungsweges beizutragen, der von unbewusst-unschuldiger Verbundenheit mit der Welt über monistische Dominanz zur bewussten Kontrolle über die Welt zu einer Ueberwindung des beschränkten Ichs und zu einer Oeffnung nach innen ebenso wie nach aussen führt. - Die These wird als Anregung, nicht etwa als "Wahrheit" genommen und diskutiert. Mittwoch, 19.6., 14 - 16Uhr: Entwicklung durch Coping und die Grenzen des Coping Belastung und Krise bedeuten nicht nur Störung menschlicher Entwicklung. Vielmehr können Stressoren im Lebenslauf zu einer aktiven, oft sogar zu einer produktiven Auseinandersetzung anregen. In der Tat scheinen viele "erfolgreich" alternde Menschen Krisen nicht ausgewichen zu sein, sondern sie scheinen in der Auseinandersetzung mit kritischen Lebensereignissen und in der Bewältigung von Belastungen gewachsen zu sein. Allerdings trägt Coping in existenziellen Grenzsituationen nicht weiter. Wie weit kann die Philosophie von Karl Jaspers dann helfen ? Mittwoch, 26.6., 14 - 16Uhr: Sinn - auch im Alter ! Mit Aussagen ganz normaler Menschen zum Sinn, den sie in ihrem Alter gefunden haben, wird das Seminar beendet. Fragen bleiben offen und eine kritische Diskussion der ohne Zweifel ergänzungswürdigen Konzeption des Seminars soll erfolgen. Zur Homepage Zum Archiv Vorlesungen Sommersemester 2002 Last update: R.Müller am 14.05.02