4 Zusammenfassung Antibiotika sind Medikamente der ersten Wahl bei bakteriellen Infektionen. Das könnte sich jedoch zukünftig ändern, weil immer mehr Bakterien gegen Antibiotika resistent sind bzw. werden. Eine wesentliche Ursache für die Abnahme ihrer Wirksamkeit liegt darin, dass Antibiotika weltweit zu häufig und oft unbegründet angewendet werden, wodurch resistente Bakterien selektioniert werden. Die weltweite Zunahme beim Auftreten von Antibiotika-Resistenzen gehört nach Einschätzung der WHO zu den größten Gefahren für die menschliche Gesundheit und hat dramatische Konsequenzen für die Behandlung von Infektionskrankheiten: Menschen erkranken an Infektionen und selbst bei Kenntnis des Erregers gibt es nur noch wenige, im schlimmsten Fall keine wirksamen Antibiotika mehr, um Infektionen zu behandeln. Es wird dann in erster Linie auf das eigene Immunsystem ankommen, ob dieses in der Lage ist, die Infektion zu bekämpfen. Bei beeinträchtigtem Immunsystem könnten auch kleine, banale Infektionen fatal sein. Antibiotika verbrauchen sich, indem sie eingesetzt werden. Früher oder später gibt es Resistenzen gegen jedes Antibiotikum. Dann ist diese Substanz für die nächsten Generationen unwirksam. Sorgsamer Umgang mit Antibiotika ist daher essentiell. Einsatz Humanbereich: Jährlich bekommen rund ein Drittel der gesetzlich Krankenversicherten ein Antibiotikum verordnet. Am häufigsten nehmen alte Menschen Antibiotika ein und Kinder (<15 Jahre). Die Verordnungsraten sind regional unterschiedlich: Im Westen Deutschlands sind sie am höchsten und im Nord-Osten am niedrigsten. Spitzenreiter im Vergleich sind das Saarland und Rheinland-Pfalz. Die niedrigsten Verordnungsraten zeigen sich in Brandenburg und Sachsen. Die Gründe dafür sind unklar, zeigen jedoch das Verbesserungspotential. Sowohl im ambulanten Bereich als auch im Krankenhaus werden mindestens 30% der Antibiotika nicht adäquat eingesetzt, d.h. unnötig, zu lange oder falsch. Unnötig und falsch ist beispielsweise die Verschreibung von Antibiotika bei viralen Infektionen oder eine zu lange Gabe bei Operationen. Einsatz Tierbereich: Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 1452 Tonnen Antibiotika in der Tiermast eingesetzt, 15% weniger als im Jahr 2011. Zeitgleich sind aber ausgerechnet „Reserveantibiotika“ (Wirkstoffe mit höchster Priorität laut Weltgesundheitsorganisation) hat stark angestiegen: Chinolone von 8 auf 12 Tonnen. Deutschland gehört EU-weit zu den Hochverbrauchern beim Einsatz von Antibiotika in der Tiermast (v.a. Geflügel-, Schweine- Kälbermast). Der Vergleich mit anderen Ländern mit ähnlicher industrieller Ausprägung in Bezug auf die Nutztierhaltung wie Frankreich, den Niederlanden oder Dänemark zeigt, dass ein so hoher Verbrauch deutlich reduziert werden kann und sollte. Antibiotika werden nicht nur zur Behandlung, sondern auch zur Verhinderung von Infektionen eingesetzt - teilweise um strukturelle und hygienische Mängel auszugleichen. Antibiotikaeinsatz in der Tiermast ist gängige Praxis; Einzelbehandlungen sind z.B. bei einer durchschnittlichen Stallgröße mit 40.000 Hühnern die Ausnahme - es wird die ganze Herde behandelt (Metaphylaxe). Neun von zehn Masthähnchen bzw. Puten werden antibiotisch behandelt – oftmals mit einem Cocktail von zeitgleich verabreichten Antibiotika. Antibiotika durften in der EU bis 2006 auch als Wachstumsförderer eingesetzt werden. Um den Effekt (höheres Gewicht) zu erzielen, sind niedrige Dosen von Antibiotika ausreichend, da nur auf eine Seite 52/61 Verschiebung der Darmflora und damit der angekurbelten Stoffwechselprozesse abgezielt wird, nicht auf eine Behandlung von Infektionen, die höhere Dosen erfordern würden. Wachstumsförderer heißt jetzt Metaphylaxe. Problem ESBL-produzierende Bakterien und Carbapenemase-bildende Bakterien Die größte Gefahr derzeit stellen in der Humanmedizin Infektionen mit Carbapenemase-bildenden Bakterien dar. Die Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika sind noch weitaus eingeschränkter als bei Infektionen durch MRSA oder ESBL-bildende Bakterien; die Sterblichkeit liegt deutlich höher als bei Infektionen durch nicht-resistente Bakterien. In Deutschland konzentrieren sich das Auftreten und die Ausbreitung (noch) auf den stationären Bereich. Carbapenemase bildende Bakterien sind in Deutschland in der allgemeinen Bevölkerung, bei Nutztieren und anderen Reservoiren in der Umwelt noch nicht weit verbreitet. ESBL-produzierende Bakterien nehmen in Deutschland und weltweit bei Menschen und Tieren zu. Eine weitere Zunahme ist wahrscheinlich, weil der Eintrag von Resistenzgenen von und aus der Umwelt zunimmt und eine Ausbreitung vor allem im ambulanten Bereich stattfindet. Etwa 7% der Bevölkerung in Deutschland ist mit ESBL produzierenden E. coli im Darm besiedelt – nicht erkrankt. Zu den Erkrankungen, die durch Bakterien hervorgerufen werden können, zählen: Harnwegsinfektionen, Bauchfellentzündungen, Lungenentzündungen, Blutvergiftungen oder Wundinfektionen. Menschen mit geschwächtem Immunsystem (z. B. Frühgeborene, Dialysepatienten, Patienten nach ausgedehnten Operationen oder Chemotherapie), haben ein höheres Risiko, an einer Infektion zu erkranken. Verbreitung multiresistenter Erreger (MRE) in Deutschland: Ausgewählte MRE Besiedlung (%) MRE-Träger Deutschland MRSA 1-2% 1, 1 Millionen Vancomycin resistente Enterokokken 1% 810.000 ESBL bildende E. coli 7% 5,7 Millionen Carbapenemase produzierende Bakterien 0,1-0,3% 162.000 Ca. 10% 7.8 Millionen Nach Schätzungen/Hochrechnungen tragen fast 8 Millionen Bundesbürger die in der Tabelle aufgeführten resistenten Keime in sich; mit Ausnahme von MRSA ist die Tendenz steigend. Bei Nutz- und Haustieren stellt sich die Situation für den Nachweis für ESBL und MRSA in Deutschland so dar: ESBL Besiedlung (E.coli) , Deutschland Nutztier (Mast) Huhn Schwein 73-89% 85% Kalb/ Rind 34% Haustier Hund 14% Sentinel Ratte 16% (33%, wenn aus Abwassersystem Nähe Universitätskrankenhaus) Seite 53/61 MRSA Besiedlung, Deutschland Daten ab 2009 Nutztier (Mast) Huhn Schwein 50% 30-80% Rind mind. 5% Haustier Katze 6% Hund 4% Postantibiotisches Zeitalter Wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen, wird sich die Besiedlung mit antibiotikaresistenten Keimen in Deutschland deutlich zunehmen. Die Entwicklung lässt sich folgendermaßen skizzieren: Resistente Erreger verursachen per se nicht mehr Infektionen wie nicht-resistente Erreger Anzahl der Infektionen im ambulanten Bereich bliebe gleich (vorausgesetzt Immunkompetenz bleibt gleich und Hygiene) Es käme jedoch zu einer Zunahme des Anteils der Infektionen, die durch MRE verursacht werden (also nicht insgesamt mehr Infektionen, aber mehr schwerer behandelbare) Im Krankenhaus würde die Zahl der Infektionen ansteigen. Invasive Eingriffe bergen immer das Risiko einer Infektion. Würden Antibiotika ihre Wirkung verlieren, stiegen beispielsweise Wundinfektionen nach Operationen an; gleiches gilt für Chemotherapie, Dialyse, Transplantationen etc. Komplikationen/ Sterblichkeit verursacht durch nicht mehr/ schwer behandelbare Infektionen stiege an Definiert man ein „postantibiotisches Zeitalter“ nicht als Panresistenz gegenüber allen verfügbaren Antibiotika, sondern als eingeschränkte Therapieoption, dann ist eine solche Schwelle bereits erreicht. Werden keine Maßnahmen ergriffen, steht zu befürchten, dass insbesondere bei einer Zunahme von Carbapenemase-bildenden Erregern und deren Ausbreitung in der Bevölkerung, tatsächlich viele Infektionen nicht mehr therapiert werden können. Wenn man die Entwicklung der Resistenzraten fortschreibt und wirksame Gegenmaßnahmen unterlässt: werden antibiotikaresistente Keime weltweit gesehen im Jahr 2050 zu den Haupttodesursachen gehören mit Schwerpunkt in Asien und Afrika in Europa dürfte sich die Todesrate durch antibiotikaresistente Keime von aktuell rund 23.000 Fällen auf knapp 400.000 im Jahr 2050 erhöhen Was kann getan werden? Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, dieser Entwicklung gegenzusteuern: Erstens eine Senkung des Antibiotikaeinsatzes bei Mensch und Tier, damit weniger resistente Keime selektioniert und weniger resistente Keime in die Umwelt eingetragen werden. Zweitens eine Begrenzung der Ausbreitung durch Übertragung (Infektionsprävention/ Hygiene). Interdisziplinäre und internationale Forschung ist notwendig, um Wissenslücken zu schließen und Komplexität des Problems Rechnung zu tragen. Valide Verordnungsdaten in der Human- und Tiermedizin – Voraussetzung für Feedback, Intervention, Kontrolle Konkrete Ziele formulieren, überprüfen und durchsetzen Rationaler Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin o durch Antibiotic Stewardship (ABS) und mehr Kompetenz im Bereich Infektiologie o In kleinen und mittleren Krankenhäusern Verknüpfung der Funktion ABS-Experte und Krankenhaushygiene Seite 54/61 Sinnvolle Diagnostik, um unnötige Antibiotikagabe zu verhindern Information und Kommunikation der Öffentlichkeit zum bewussten Umgang mit Antibiotika Unnötigen Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin minimieren o durch Präventionsmaßnahmen wie verbesserte Stallhygiene und Impfungen o tiergerechte Haltung (Besatzdichte, Reduzierung des Sozialstresses, Auslauf und Beschäftigung) o Abschaffung der Rabatte, die Tierärzte von den Arzneimittelherstellern erhalten, wenn sie große Mengen von Arzneimitteln einkaufen o Alternative Instrumente der Preisgestaltung überdenken (z.B. Preisbindung von Antibiotika oder Mindestpreise) o Verbot von Antibiotika, die bei spezifischen Infektionen beim Menschen gebraucht werden (Chinolone und Cephalosporine der dritten und vierten Generation) Infektionsprävention/Hygienemaßnahmen o Mindestausstattung mit Pflegepersonal (analog zu bestehen Vorgaben für Ausstattung mit Hygienepersonal) o Effektive Verwendung von Ressourcen: risiko-angepasstes Screening auf MRE, kein universelles Aufnahmescreening o o Seite 55/61