WERNER HEISENBERG HIRZEL Die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie Werner Heisenberg Die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie W erner Heisenberg Die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie 5. Auflage mit einer Einführung von Harald Fritzsch und einem Geleitwort von Anton Zeilinger S. Hirzel Verlag Stuttgart Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, auch wenn ein Hinweis auf etwa bestehende Schutzrechte fehlt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://d n b .d -n b .d e abrufbar. ISBN 978-3-7776-1616-2 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. 5. 4. 3. 2. 1. Auflage, Auflage Auflage Auflage Auflage unveränderter Nachdruck 2 0 0 8 1944 1942 1941 1930 © 2 0 0 8 S. Hirzel Verlag Birkenwaldstraße 4 4 , 70191 Stuttgart Printed in Germany Einbandgestaltung: Neil McBeath, Stuttgart Druck: Hofmann, Schorndorf www.hirzel.de V Geleitwort Wer meint, Heisenbergs physikalische Prinzipien der Quantentheorie, die Niederschrift seiner Vorlesungen an der Universität Chicago im Jahr 1929, wären lediglich von historischem oder philosophischem Interesse, der irrt. Im Gegenteil, seine Darstellung des, wie er es nennt, „Kopenhagener Geistes der Quantentheorie“ ist eine klare Analyse der neuen Bedeutung und Rolle des Experiments in der Quantenphysik, die heute aktueller ist als je zuvor. Heisenberg konnte in seinen Analysen damals nur auf einige wenige Experimente Bezug nehmen, eine Tatsache, die auch dem Gedankenexperiment, gerade in den Frühzeiten der Quantentheorie, zu einer großen Blüte verhalf. Heute sind Experimente mit einzelnen Quantensystemen Routine in vielen Laboratorien. Die meisten der frühen Gedankenexperimente fanden direkte oder analoge Realisierung, und es gibt sehr viel mehr fundamentale Experimente zur Quantenphysik als zu Heisenbergs Zeiten. Die Interpretationsfragen sind jedoch heute genauso aktuell, wenn nicht aktueller als damals. Einiges in der heutigen Diskussion könnte jedoch durch Rückgriff auf die Wurzeln an Klarheit gewinnen. Ein konkretes Beispiel ist der Welle-Teilchen-Dualismus, heute noch immer im Zentrum der Diskussion. Heisenberg stellt klar, dass sowohl das Wellenbild als auch das Teilchenbild nur Analogien darstellen, die manchmal zutreffen, manchmal versagen, jedoch beide ihre Grenzen haben. Er stellt auch klar, dass viele Phänomene sowohl durch das Teilchen- als auch durch das Wellenbild erklärbar sind. Ein konkretes und sehr lehrreiches Beispiel ist etwa, wie eine Teilchenbahn in der Wilsonschen Nebelkammer in beiden Bildern verstehbar ist. Sofort intuitiv einsichtig ist ja das Teilchenbild: Danach stößt eben ein Alphateilchen der Reihe nach an verschiedene Atome entlang seiner Bahn. Genauso lässt sich das jedoch mit Hilfe des Wellenbildes verstehen. Hier kommt es durch Vorwärtsstreuung dazu, dass Atome de facto nur innerhalb von Streifen, wie Heisenberg sie nennt, in der Vorwärtsrichtung angeregt werden können. Dadurch bilden sich die Bahnen in der Nebelkammer aus. Analog zeigt Heisenberg umgekehrt, wie VI Geleitwort die Beugung an einem periodischen Gitter, die wir üblicherweise im Wellenbild sehen, auch im Teilchenbild verstanden werden kann. Diese Dualität der Betrachtungsweise wäre sicher etwas, das man auch für heutige Experimente schärfen sollte. Widersprüche in der Interpretation treten nur dann auf, wenn man eine Aussage aus ihrem experimentellen Zusammenhang löst. Es hat also nur Sinn, im Kontext desjenigen Experiments über eine bestimmte Eigenschaft eines Systems zu sprechen, das gestattet, diese Eigenschaft tatsächlich zu messen. Die Übertragung von einem Experiment zu einem anderen muss zwangsläufig zu Widersprüchen führen. Es hat keinen Sinn, über Eigenschaften zu sprechen, die ein System „in Wirklichkeit“ besitzt. Ein Problem ist, dass unsere klassische Sprache, die aus der Alltagserfahrung entstanden ist, uns gestattet, auch Sätze zu formulieren, die keinen Sinn ergeben. Heisenberg zählt dazu auch die Behauptung, dass es eine Welt gäbe, zu der es prinzipiell keine Verbindung geben kann. Eine Besinnung auf Aussagen dieser Art würde so manche der heutigen Interpretationsdiskussionen beträchtlich abkürzen. Der „Kernpunkt“ der Quantentheorie, wie ihn Heisenberg nennt, liegt darin, dass eine Superposition verschiedener Möglichkeiten prinzipiell verschieden ist von einer statistischen Mischung. Daran ändern auch die heutigen Diskussionen zur Dekohärenz nichts, wie schon John Bell bemerkte, der davon sprach, dass die durch Dekohärenz erhaltenen Zustände nur „for all practical purposes“ äquivalent zu den quantenmechanischen Zuständen sind. In der klassischen Physik beschreibt eine statistische Mischung ein gedachtes Ensemble verschiedener klassischer Systeme. Die Messung identifiziert dann lediglich, welcher dieser Fälle tatsächlich vorliegt. Im Gegensatz dazu hat die statistische Mischung der Quantenphysik eine doppelte Rolle: Einerseits kann sie ein Ensemble vieler verschiedener Systeme beschreiben, genauso wie in der klassischen Physik; andererseits kann jedoch auch die Situation eine solche sein, dass sich ein einzelnes quantenmechanisches System durch Kopplung an die Umgebung nicht mehr in einem reinen Zustand befindet. In diesem Fall wählt die Messung nicht eines der Systeme aus, da wir ja nur ein einziges System vor uns haben, sondern reduziert den Zustand auf eine der Möglichkeiten. Interessant ist die Frage, wo auf diesen Übergang vom einzelnen System zum Resultat der Beobachtung die Grenze zwischen quantenphysikalischer Beschreibung und klassischer Beschreibung zu legen ist. Diese Grenze ist, wie Heisenberg wieder anhand der Wilson’schen Nebelkammerspuren sehr schön zeigt, bis zu einem gewissen Punkt willkürlich. Wenn es nur um die Beschreibung der Spur selbst geht, macht es keinen Unterschied, ob man die Atome, an denen das Alphateilchen streut, noch in das Quantensystem einbezieht oder nicht. Aus moderner Sicht kann man ergänzen, dass es dann einen Unterschied macht, wenn man die Verschränkung zwischen Geleitwort VII dem beobachteten Alphateilchen und den Atomen mit in die Betrachtung einbezieht. Die Entstehung dieser Verschränkung ist eine unitäre Evolution, die im Prinzip reversibel sein müsste, eine Herausforderung an künftige Experimentatoren. Aus heutiger Sicht könnte man einige der Aussagen Heisenbergs vielleicht etwas schärfen, insbesondere in Hinblick auf den enormen experimentellen Fortschritt, den es seit damals gab. So zeigen zum Beispiel Experimente an der Quanteninterferenz von Makromolekülen sehr klar, dass es tatsächlich eine Frage des experimentellen Apparates ist, ob ein einzelnes System sich quantenmechanisch verhält oder klassisch. An den grundsätzlichen Aussagen würde Heisenberg wohl nichts ändern, obwohl er vielleicht stellenweise etwas vorsichtiger wäre. Zum Beispiel ist die oft sprachlich implizierte Identifikation von „makroskopisch“ mit „klassisch“ und ebenso die Identifikation von „mikroskopisch“ mit „quantenmechanisch“ heute nicht mehr haltbar. Dies dürfte jedoch schon bei Heisenberg eine aus der damaligen experimentellen Situation verstehbare, naheliegende Assoziation gewesen sein. Heute kann man wohl auch die Rolle des Beobachters im Quantenexperiment gegenüber Heisenbergs Zeiten schärfen. Der Übergang von Superposition zu einem statistischen Gemisch ist als Informationsfluss des Quantensystems zu einem anderen System verstehbar, der im Prinzip reversibel ist. Es geht darum, dass es durch die Kopplung an ein anderes System nicht zu einer Kenntnis durch den Beobachter kommt, sondern zur Möglichkeit, dass ein Beobachter eine bestimmte Kenntnis erlangen könnte. Erst damit, dass ein Beobachter diese Kenntnis tatsächlich erlangt, wird die Situation endgültig und für alle Zeiten reversibel, und der Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit findet statt. Die Lektüre von Heisenbergs Analyse verschiedener Experimente sei jedem Experimentator empfohlen, der heute Experimente zu den Grundlagen der Quantenphysik durchführt. Es würde sicher zu Heisenbergs Ziel beitragen, das er mit diesem Buch verfolgt hat, nämlich den Glauben an die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie durch tatsächliches Verständnis zu ersetzen. Heisenberg drückt am Ende seines Buchs auch die Erwartung aus, dass die Zukunft eine noch stärkere Einschränkung der klassischen Begriffswelten mit sich bringen wird. Dazu kann sicherlich eine saubere Analyse aktueller Experimente in seinem Sinn wesentlich beitragen. Wien, Juni 2008 Prof. Dr. Anton Zeilinger IX Werner Heisenberg und die Quantenphysik Die Quantenphysik ist die Wissenschaft der Mikrophysik: der Moleküle, der Atome und der Atomkerne. Darüber hinaus spielt sie eine große Rolle in der Festkörperphysik. Sie liefert die Grundlagen für die Lasertechnik, die Transistoren, das Tunnelmikroskop, die Mikroelektronik und die Mobiltelefone. Mehr als ein Drittel des Bruttosozialprodukts der Welt beruht heute auf der Quantenphysik. Kosmologen verwenden sie, um den Ursprung des Universums zu erkunden. Astrophysiker beschreiben mit ihr die Dynamik der Sterne. Die Quantenphysik ist die Grundlage der Elementarteilchenphysik und soll erklären, was die Welt im Innersten zusammenhält. In der Geschichte der Physik gibt es eine Reihe von wichtigen Schritten, die unsere Vorstellungen über die Natur vertieft haben. Der erste wichtige Schritt war die Einführung der klassischen Mechanik durch Isaac Newton im 17. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert erklärten Faraday und Maxwell, warum die Elektrizität und der Magnetismus Manifestationen eines elektromagnetischen Feldes sind. Das war die Geburt der Elektrodynamik, die durch die Maxwell’schen Gleichungen beschrieben wird. Einsteins Spezielle Relativitätstheorie zeigte auf, dass Raum und Zeit eine Einheit bilden, die vierdimensionale Raum-Zeit. Die Einführung der Quantenmechanik war der wichtigste Schritt seit Einführung der klassischen Mechanik. Eine kleine Gruppe hochbegabter junger Physiker, an ihrer Spitze Werner Heisenberg, Wolfgang Pauli und Erwin Schrödinger, entwarf die neue Lehre von den Quantenprozessen und den Atomen, aufbauend auf den Ideen von Max Planck, Niels Bohr und Arnold Sommerfeld, in den Jahren nach 1926. Es gibt in der Physik eine ganze Reihe von Phänomenen, die man mit der klassischen Physik nicht beschreiben kann. Beispiele sind die Größe der Atome, der Moleküle und der Atomkerne, die chemischen Bindungen und die Stabilität der Atome und der Atomkerne. Mit Hilfe der Quantenphysik ist es möglich geworden, diese Phänomene zu verstehen und oft auch zu berechnen. Um die Hohlraumstrahlung zu verstehen, hat sich Max Planck jahrelang mit der Wellentheorie des Lichtes beschäftigt, ohne jedoch eine Lösung zu X Werner Heisenberg und die Quantenphysik finden. Schließlich nahm er an, dass das Licht nicht als Welle von den Wänden des Hohlraums reflektiert wird, sondern in kleinen elementaren Quanten, die eine ganz bestimmte Energie besitzen. Diese wird allein durch die Frequenz des Lichtes bestimmt und durch eine neue Konstante, die Planck damals in die Physik einführte und die heute mit Recht seinen Namen trägt, das Planck’sche Wirkungsquantum h. Es ist tatsächlich ein Quantum der Wirkung, nämlich der Größe Energie x Zeit, so dass das Produkt des Wirkungsquantums mit der Frequenz des Lichtes eine Energie ist. Diese Konstante ist die Grundlage der heutigen Quantenphysik. Der genaue Wert ist h = 6,62608 · 10-34 kg m2/s. Damit konnte Planck das Gesetz für die Hohlraumstrahlung ableiten. Es stellte sich heraus, dass er mit seinem neuen Gesetz die Beobachtungen sehr gut beschreiben konnte, etwa die Strahlung von heißen Metallkugeln. Eine heiße Kugel aus Eisen glüht - sie sendet Lichtstrahlung aus. Niemand war in der Lage, diese Strahlung mathematisch zu beschreiben. Dies gelang schließlich Max Planck. Er nannte seine Hypothese einen Akt der Verzweiflung, und insgeheim hoffte er, dass sich seine Idee als unsinnig erweisen würde. Aber sie funktionierte sehr gut und hatte durchschlagenden Erfolg. Im Dezember 1900 stellte Planck seine Ideen bei einer Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin vor. Das war die Geburtsstunde der Quantenphysik. In diesem neuen Gebiet der Physik sind Vorgänge erlaubt, die nach den Vorstellungen der klassischen Mechanik gar nicht möglich sind. Wir sind nicht in der Lage, mit Hilfe der anschaulichen Vorstellungen, die sich im Laufe der biologischen Evolution herausgebildet haben, die Dynamik der Atome im Detail zu erfassen. Trotzdem ist es möglich, die bei den Atomen stattfindenden Prozesse mit Hilfe der Quantenphysik zu berechnen. Die Ergebnisse sind in glänzender Übereinstimmung mit den Messungen. Albert Einstein griff Plancks These auf. Im Jahr 1905 publizierte er seine Photonentheorie. Nach Einstein existiert das Licht nur in kleinsten Quanten, den Photonen. Bis dahin nahm man an, dass Licht ein Wellenphänomen ist. Jetzt war man gezwungen, die Vorstellungen von Wellen und Teilchen zu vereinigen. Louis de Broglie schlug im Jahre 1923 sogar vor, dass nicht nur Licht einen solchen dualen Charakter hat, sondern alle Teilchen der Materie. Diese Teilchen sind zugleich Wellen, und die Wellen sind zugleich Teilchen. Man spricht seither von einer Dualität von Wellen und Teilchen. Ein Beispiel mag den Unterschied zwischen der klassischen Physik und der Quantenphysik verdeutlichen. Die Erde kann sich entsprechend den Gesetzen der klassischen Mechanik in einem beliebigen Abstand um die Sonne bewegen. Ganz anders sind die Bahnen der Elektronen um den Atomkern. Sie bewegen sich auf ganz bestimmten Bahnen. Beliebige Bahnen sind nicht möglich, nur ganz wenige sind erlaubt. Man sagt, die Bahnen der Elektronen sind „gequantelt“. Diese Quantelung wurde bereits 1912 von Niels Bohr erkannt. Die Elektronen können von einer Bahn auf eine andere Bahn Werner Heisenberg und die Quantenphysik XI wechseln. Man spricht dann von einem „Quantensprung“. In der Welt der Quanten gibt es keine stetigen Übergänge wie in der klassischen Mechanik. Die klassische Mechanik ist in der Welt der Atome ungültig, stattdessen gilt hier die neue Quantenmechanik, die nach 1926 von Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger, Max Born und Wolfgang Pauli entwickelt wurde. Werner Heisenberg war bis 1924 Doktorand bei Arnold Sommerfeld an der Universität in München. Nach seiner Promotion wurde er Assistent von Max Born in Göttingen. Gleichzeitig arbeitete er auch mit Niels Bohr in Kopenhagen. Heisenberg erkannte, dass die klassische Mechanik bei den Atomen nicht mehr gültig war. Er arbeitete in der Folge nur mit den beobachtbaren Frequenzen und mit den messbaren Übergangswahrscheinlichkeiten, die er in Schemata einordnete. Max Born erkannte sofort, dass es sich dabei um Matrizen handelte. Heisenberg eliminierte nicht beobachtbare Größen wie die Bahnen der Elektronen in den Atomen. Er nannte seine neue Mechanik die Matrizenmechanik. Eine der wesentlichen Aussagen dieser neuen Mechanik ist, dass die für die Beschreibung der Bewegung eines Elektrons um den Atomkern erforderlichen physikalischen Größen wie Geschwindigkeit und Ort niemals genau gemessen werden können, sondern stets nur innerhalb gewisser Unschärfen. Diese sind festgelegt durch die Unschärferelationen, die Heisenberg 1927 aufstellte. Eine Folge dieser neuen Deutung der im Innern der Atome ablaufenden Dynamik ist, dass man die atomaren Vorgänge nicht mehr exakt beschreiben kann. Man kann nur jeweils die Wahrscheinlichkeit dafür angeben, dass der Prozess stattfindet. Es ist unmöglich, gleichzeitig den Ort und die Geschwindigkeit eines Elektrons genau anzugeben. Legt man Wert auf eine möglichst genaue Angabe des Ortes, ist die Geschwindigkeit sehr ungenau bekannt, und umgekehrt. Die Größe der Unschärfe wird dabei vom Wirkungsquantum h bestimmt. Im Grenzfall h => 0 gilt die klassische Mechanik, und es gibt keine Unschärfen. Die Unschärferelationen sind eine Folge der Tatsache, dass die physikalischen Größen, etwa der Ort oder der Impuls, nicht durch Zahlen, sondern durch mathematische Operatoren beschrieben werden. Diese sind nicht miteinander vertauschbar. Daraus folgt die Unschärferelation. Unschärfebeziehungen gibt es auch bei makroskopischen Körpern, etwa bei einer durch den Raum fliegenden Metallkugel. Nur sind hier die von der Quantentheorie erzwungenen Unschärfen zwischen dem Ort und der Geschwindigkeit so winzig, dass man sie problemlos vernachlässigen kann, und dies ist letztlich der Grund für die Tatsache, dass unser intuitives Erfassen der Naturprozesse die Quantennatur der Wirklichkeit völlig ausblendet. In der Atomphysik ist dies jedoch nicht möglich. Es ist genau diese Unschärfe, die etwa die Größe eines Wasserstoffatoms festlegt. Jedes Wasserstoffatom ist genau so groß wie ein benachbartes Wasserstoffatom. In der klassischen Mechanik könnte man dies nicht verstehen. XII Werner Heisenberg und die Quantenphysik Im Atom ist die Größe der Unschärfe des Ortes des Elektrons durch den Durchmesser der Atomhülle gegeben, also etwa ein Hundertmillionstel eines Zentimeter. Nehmen wir jetzt an, wir würden ein Wasserstoffatom betrachten, dessen Hülle viel kleiner ist, sagen wir 100-mal kleiner. Jetzt wäre das Elektron viel stärker lokalisiert als im normalen Wasserstoffatom. Infolge der Unschärferelation besitzt das Elektron jetzt eine hundertmal größere Unschärfe der Geschwindigkeit, so dass es sich im Mittel viel schneller bewegen muss als im normalen Atom. Eine höhere Geschwindigkeit bedeutet jedoch eine höhere Energie, mithin würde das kleinere Atom eine größere Energie besitzen als ein normales Atom. Ein wichtiges Prinzip der Natur wäre damit verletzt - jedes System versucht, in den Zustand der niedrigsten Energie zu wechseln. Das kleinere Atom wäre mithin nicht stabil, sondern würde sich in kurzer Zeit unter Energieabstrahlung ausdehnen, bis es die Größe des normalen Atoms angenommen hat. Analog können wir ein künstliches Atom betrachten, dass 100-mal größer als ein normales Atom ist. Um ein solches Atom herzustellen, müssten wir das Elektron vom Kern wegziehen. Es müsste also Energie aufgewendet werden, um ein solches Atom herzustellen. Wiederum ist die Energie des neuen Atoms größer als die Energie des normalen Atoms. Auch das größere Atom wird nach kurzer Zeit in den Normalzustand übergehen, also den Zustand mit der geringsten Energie. Man kann das Elektron nicht zwingen, noch mehr Energie abzugeben. Heisenberg erkannte: Es ist die Unschärfebeziehung zwischen Ort und Geschwindigkeit, die die Größe der Atome fixiert. Deshalb ist ein Wasserstoffatom auf der Erde genau so groß wie ein Wasserstoffatom auf einem Planeten in der Andromeda-Galaxie. In der Unschärferelation erscheint jedoch nicht die Geschwindigkeit, sondern der Impuls, also das Produkt von Geschwindigkeit und Masse. Die Größe der Atomhülle hängt deshalb auch direkt von der Elektronenmasse ab. Wäre die Masse des Elektrons 100-mal kleiner, so wäre die Atomhülle 100-mal größer, also etwa ein Millionstel eines Zentimeters groß. Wäre die Elektronenmasse nur 0,5 eV, also etwa so groß wie die Masse eines Neutrinos, hätten die Atomhüllen die stattliche Größe von etwa einem Zehntel eines Millimeters. Wegen der quantenmechanischen Unschärfe ist es unmöglich, die Bewegung des Elektrons um den Kern genau zu verfolgen. Heisenberg erkannte, dass es keinen Sinn hat, überhaupt von einer Bahn zu sprechen. Man kann nur die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der sich das Elektron in einem bestimmten Bereich des Raumes um den Kern befindet. Die durch die Quantentheorie erzwungene universelle Größe der Atome bringt ein wesentliches Element von Stabilität in die Natur ein. Heisenberg hat dies als erster erkannt. Die Tendenz der Natur, trotz ständiger Änderungen letztlich immer wieder dieselben stabilen Formen hervorzubringen, etwa in der Atomphysik, in der Chemie oder in der Biologie, lässt sich nur im Rahmen der Quantenphysik verstehen. Werner Heisenberg und die Quantenphysik XIII Die Verteilung eines Elektrons im Atom wird durch die Wellenfunktion des Elektrons beschrieben, eine Funktion, die man mit Hilfe der Gleichungen der Quantentheorie genau berechnen kann. Diese Wellenfunktion beschreibt den Zustand des Atoms. Zwar kann man in der Quantentheorie keine genauen Aussagen über Fakten machen, sondern nur über Wahrscheinlichkeiten, aber die sind dann exakt. Die Dynamik der Wellenfunktionen wird durch eine Differentialgleichung beschrieben, die 1926 von Erwin Schrödinger entdeckt wurde und heute als Schrödinger-Gleichung bezeichnet wird. In der Atomphysik gibt es viele Phänomene, die im Rahmen der klassischen Mechanik nicht verstanden werden können. Jemand, der das Wasserstoffatom im Rahmen der klassischen Physik beschreibt, würde dem Elektron, das sich um das Proton bewegt, einen gewissen Drehimpuls zuordnen. In der Quantenmechanik besitzt jedoch das Elektron im Grundzustand des Wasserstoffatoms gar keinen Drehimpuls. Es bewegt sich auch nicht auf einer stetigen Bahnkurve, wie in der klassischen Mechanik. Es schwingt vielmehr um den Atomkern, wobei keine Richtung ausgezeichnet ist. Von einer Teilchenbahn kann keine Rede sein. Eine andere Eigentümlichkeit der Quantentheorie, die sich auch in der Kern- und Teilchenphysik manifestiert, ist die Existenz angeregter Zustände. Wenn man einem Wasserstoffatom Energie zuführt, etwa durch die Bestrahlung mit elektromagnetischen Wellen, wird das Elektron für kurze Zeit in einen anderen Zustand überführt, der einer höheren Energie entspricht. Solche Zustände heißen angeregte Zustände, und sie besitzen eine ganz spezifische Energie. Deswegen spricht man auch von einem diskreten Energiespektrum. Der niedrigste Energiezustand wird als Grundzustand des Systems bezeichnet. Wird ein Atom oder ein Atomkern angeregt, springt das System in einen angeregten Zustand, verbleibt dort aber nur eine kurze Zeit und springt wieder zurück, wobei die freiwerdende Energie in Form von Licht oder anderer elektromagnetischer Strahlung, z. B. Röntgenstrahlung oder Gammastrahlung, abgestrahlt wird. Damit so eine Anregung erfolgt, muss dem System genau die Energie zugeführt werden, die für die Anregung erforderlich ist. Die Quantenmechanik erlaubt es, die Energien der Anregungen genau zu berechnen. Die Anwendungen der Quantenmechanik in der Industrie sind sehr vielfältig geworden. Die moderne Festkörperphysik wäre ohne die Quantenphysik nicht vorstellbar. Nur mit Hilfe der Quantenphysik war es möglich, Transistoren zu entwickeln und Computer zu bauen. Auch für die Beschreibung der Atomkerne im Rahmen der Kernphysik ist die Quantenmechanik unverzichtbar. Atombomben oder Atomreaktoren konnten nur gebaut werden, weil man die Quantenmechanik auf die Kernprozesse anwenden konnte.