Neue Gesichtspunkte zur Diagnostik und Therapie des vesikoureteralen Refluxes D.Weitzel, Fachbereich Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Deutsche Klinik für Diagnostik, Aukamm-Allee 33, 65191 Wiesbaden Zusammenfassung eines Vortrags anlässlich des Qualitätszirkels Nierenscreening 7.6.2002 Nierenbeckenerweiterung allein stellen keine Indikation zu einer Refluxprüfung dar. Dies ist nicht nur eine persönliche Erfahrung sondern wurde mittlerweile auch in mehreren Arbeiten eindrucksvoll belegt. Als Beispiel sei hier nur die 2003 in Pediatric Nephrology veröffentlichte Arbeit zitiert.. Prävalenz des Refluxes bei Nierenbeckendilatation postnatal 100% 80% 60% 40% 20% 0% 0-4 mm 5-9 mm 10-15 mm >15 mm Nierenbeckentiefe Kein Reflux 31 27 30 4 Refluxnachweis 6 4 4 2 V. Phan et al Vesicoureteral reflux in finants with isolated antenatal hydronephrosius. Pediatric Nephrology 2003 Bemerkenswert ist jedoch, dass in der Literatur auf die indirekten sonographischen Hinweise auf einen Reflux und die nichtinvasive sonographische oder nuklearmedizinische Darstellung des dilatierenden Refluxes in der Regel nicht hingewiesen wird. Eine mögliche Erklärung mag darin liegen, dass in keiner Arbeit im methodischen Teil auf die Blasenfüllung eingegangen wird. Dabei können 4- und 5- gradige Refluxe sehr sicher indirekt sonographisch nachgewiesen werden, wenn eine volle Base vorliegt und eine Miktionsuntersuchung d.h. eine sonographische Nierendarstellung während des Wasserlassens durchgeführt wird. Gegebenenfalls ist eine Diurese-Sonographie sinnvoll, weil durch die starke, innerhalb weniger Minuten erfolgende Harnflut der vesiko-ureterale Übergang, die Lokalisation der Uretermündung und innerhalb einer halben Stunde in der Regel eine Miktion provoziert werden kann. Der beweisende farbdopplersonographische Nachweis des retrograden Flusses im Ureter gelingt in der Regel nur bei infiziertem Urin durch die zellulären Bestandteile im Urin. Sonographische Refluxdiagnostik ohne Kontrastmittel Miktionssonographie Ostienmorphologie Ostienposition Dopplernachweis Keine Methode zum direkten Refluxnachweis durch Kontrastmittel (Luft, Levovist, Sonovue, Techneticium oder Röntgenkontrastmittel) weist alle Refluxe nach. Mit der Anzahl der Blasenfüllungen nimmt jedoch die Wahrscheinlichkeit zu auch geringgradigere Reflux zu entdecken. Fraglich ist nur, ob diese bedeutsam sind. Ich meine nein. Refluxdiagnostik im Methodenvergleich 165 Patienten =330 Ureteren NUk 100 Refluxe nachweisbar 16 Nur 35 Refluxe mit allen Methoden nachweisbar 9 7 24 Refluxe mit zwei Methoden nachweisbar 35 41 Refluxe nur mit einer Methode nachweisbar MCU 10 8 LuftMCS 15 G.Alzen Refluxstudie 1996 Aachen Das Risiko der Harnblasenkatheterisierung ist die Infektion. Dies muss nicht unbedingt Folge einer Keimverschleppung durch die Katheterisierung sein. Sie kann auch durch eine Detrusor–SphinkterDyskoordination bedingt sein. Als Folge der Reizung der Harnröhre wird eingehalten, d.h. der Beckenboden stemmt sich gegen die Blasenentleerung. Dies führt zu einer sägeblattförmigen Flusskurve, im Extremfall zu Harnstottern. Die Einschneidungen sind bedingt durch Muskelaktivitäten des Beckenbodens. Detrusor-Spinkter-Dyskoordination Kann persistieren – Nach HWi – Nach Katheterisierung Kann HWI verursachen Schlußfolgerung: Es ist nicht sinnvoll asymptomatische Patienten zu katheterisieren. Ein solch falsches Miktionsmuster wieder abzugewöhnen ist schwierig. Ein solches Biofeedbacktraining dauert ca 3-6 Monate. Diese Funktionsstörung macht oft auch verständlich, warum Blasenentzündungen oft kurz hintereinander auftreten. Einerseits führt diese Funktionsstörung zu einem Rückstrom von Harnröhrenurin in die Blase. Da der vordere Harnröhrenabschnitt oft mit Bakterien besiedelt ist, kann auf diesem Weg infizierter Urin in die Blase kommen. Andererseits kommt es durch die Störung auch zu keiner vollständigen Entleerung der Harnblase, was ebenfalls durch den Restharn leicht zu Infekten führt. Aus diesen Überlegungen heraus halte ich es für notwendig, den Harnröhrenkatheterismus streng zu indizieren. Wir führen dieses Biofeedback-Training mit einem EMG durch, das die Muskelaktivitäten in die Bewegungen des Rüssels eines Elefanten überträgt. Spannt das Kind den Beckenboden an, hebt der Elefant den Rüssel, entspannt es ihn, lässt er den Rüssel fallen und wirft bei einer einzustellen Entspannung sich Heu ins Maul. Dieses Training wird zu Hause durchgeführt. Es bedarf jedoch regelmäßiger Kontrollen. Hierbei können einerseits die Muskelaktivitäten ausgelesen werden. Anderseits kann der Effekt durch Uroflowkontrollen überprüft werden. Beispiel mit guten Anspannungen und Entspannungen Beispiel mit schlechten Anspannungen und deutlichen Muskelaktivitäten während der Entspannungsphase. Die Bedeutung eines geringgradige n Refluxes für die Entstehung von Harnwegsinfekten wird m. E. überschätzt. Natürlich kann eine Nierenbeteiligung aszendierend nur durch einen Reflux erfolgen. Aber die Ursachen der Harnwegsinfektion beruhen bei I- bis III-gradigen Refluxen nicht auf dem Pendelurin sondern auf Blasenfunktionstörungen oder auf lokale immunologische Störungen. Erstmals wurde jetzt in einer Studie nachgewiesen, dass der nicht dilatierende Reflux anders bewertet werden muss als der dilatierende Reflux. Das Studiendesign ist nachfolge nd skizziert. Randomisierte Studie zur Untersuchung der klinischen Bedeutung des VUR Pyelonphritiden N=236 Reflux N=113 Keine Prophylaxe N=58 Prophylaxe N=55 46 f/9 m Kein Reflux N= 105 Prophyalxe N=45 45 f/13 m 3 Jahre 3 Mo-12 J. Keine Prophylaxe N =60 36 f/ 9 m 2 Jahre 3 Mo-9 J 51 f/ 9 m 2 Jahre 3 Mo-15 J Grad I 9 (16.2%) Grad I 10 (17,2%) Grad II 28 (51,1%) Grad II (29 (50,5%) Grad III 18 ( 32,5%) Grad III (19 (32,7%) 2 Jahre 6 Mo- 17 j Garin E.H., Olavarria F., Nieto V. G., Valanciano B., Campos A., Young L. Clinical significans of primary vesicoureteral reflux and urinary antibiotic prophylaxis after acute pyelonephritis: A multicentrer, randomized, controlled study.Pediatrics 117:626-632, 2006 Wie man unschwer erkennen kann, lässt sich ein Effekt der Infektionsprophylaxe in dem Studienzeitraum nicht nachweisen. Pyelonphritiden N=236 Reflux N=113 Kein Reflux N= 105 Keine Prophylaxe N=58 Prophylaxe N=55 Asympt. HWI 0 Cystitis 6 (9,2%) Pyelonephritis 7(12,9%) Kein HWI 42 (79,6%) Narben 5 (9,0%) Keine Prophylaxe N =60 Prophyalxe N=45 Asympt. HWI 3(%,1%) Asympt. HWI 1 (2,2%) Asympt. HWI 4 (6,6%) Cystitis 9 (15,5%) Cystitis 1 (2,2%) Cystitis 8 (13,8%) GrPyelonephritis 1(1,7%) Pyelonephritis 2(4,5%) Pyelonephritis 2(3,3%) Kein HWI 45(75,6%) Kein HWI 41(91,1%) Kein HWI 46 (76,6%) Narben 2 (3,4%) Narben 2 (4,5%) Narben 4 (6,6%) Garin E.H., Olavarria F., Nieto V. G., Valanciano B., Campos A., Young L. Clinical significans of primary vesicoureteral reflux and urinary antibiotic prophylaxis after acute pyelonephritis: A multicentrer, randomized, controlled study.Pediatrics 117:626-632, 2006 Randomisierte Studie zur Untersuchung der klinischen Bedeutung des VUR/Resumee Refluxe Grad I bis III führen nicht zu einer erhöhten Inzidenz von Harnwegsinfekten Pyelonephritiden oder Nierennarben Die antibiotische Prophylaxe schützt weder vor Rezidiven der Harnwgsinfektion Noch vor Narbenentwicklungen Garin E.H., Olavarria F., Nieto V. G., Valanciano B., Campos A., Young L. Clinical significans of primary vesicoureteral reflux and urinary antibiotic prophylaxis after acute pyelonephritis: A multicentrer, randomized, controlled study.Pediatrics 117:626-632, 2006 Welche Konsequenzen ziehen wir aus diesen Untersuchungen für Kleinkinder und Säugling? Die Bewertung des Refluxes ist vom Geschlecht und vom Alter abhängig. Das Infektionsrisiko ist beim Jungen geringer als beim Mädchen. Beim Jungen erhöht allerdings im Säuglingsalter die Phimose das Infektionsrisiko. Mit zunehmenden Alter nimmt die Wachstumsgeschwinndigkeit und damit auch die Wahrscheinlichkeit der Maturation des Refluxes ab. Von grundsätzlicher Bedeutung ist jedoch das Vorhandensein von Harnwegsinfekten, insbesondere wenn durch Ultraschall oder durch Entzündungszeichen im Blut nachgewiesen wird, dass die Nieren beteiligt sind. Wenn kein Infekt vorliegt und sonographisch auf indirektem Wege ein dilatierender Reflux festgestellt wird, empfehlen wir zur Bestätigung des dilatierenden Refluxes und zur Funktionsdiagnostik der Nieren eine Diurese-Szintgraphie. Die Lasix-Gabe ist sinnvoll, da durch die Harnflut meist auch eine Miktion ausgelöst werden kann. Dadurch kann einerseits die Strahlenbelastung der Gonaden gemindert werden und andererseits ermöglicht die Miktion oft auch den Nachweis des renalen Refluxes. Eine direkte Refluxprüfung führen wir erst durch, wenn ein gesicherter Harnwegsinfekt mit Beteilung des oberen Harntraktes vorliegt. Eine Wiederholung der Funktionsuntersuchung führen wir durch, wenn der Reflux früher diagnostiziert wurde und keine Infektionsprophylaxe erfolgte, weil nur auf diesem Weg nachgewiesen werden kann, dass eine früh behandelte Harnwegsinfektion keine bleibenden Schäden an der Niere verursacht. Vorgehen bei sonographischen Verdacht auf VUR oder HWI/ Säuglinge und Kleinkinder Sonographische Zeichen für dilatierenden VUR Lateralisiertes Ostium Hydroureter m. Urothelzeichen Nierenbeckenwanverdickung Pathologisch kleine Niere Diurese-Szintigraphie mit Miktion Urinselbstkontrollen Behandlung der Phimose Gesicherte HWI Miktionssonographie oder Lasixsonographie VUR Kein VUR Urinselbstkontrollen Weitere Diagnostik bei HWI Sonographische RefluxZystogramm Diurese-Szintigraphie mit Miktion ? Ist das Kind älter, so erfolgt bei afebrilen Harnwegsinfekten und sonographisch eindeutig normalem oberen Harntrakt keine Nierenfunktionsdiagnostik, weil der Nachweis des normalen Nierenvolumens, der normalen Rinden-Mark-Differenzierung und der normalen Durchblutung mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch mit einer normalen Nierenfunktion verbunden ist. Dieser Rückschluß ist im frühen Säuglingsalter nicht möglich. Da das Wachstum der Niere mit der Funktionsübernahme verbunden ist, kann eine normal erscheinende Niere durchaus dysplastisch sein. Im Vordergrund steht nach Beherrschen der Blasenfunktion die Blasenfunktionsdiagnostik. Nur wenn sonographisch Hinweise für eine Reflux bestehen, erfolgt die nuklearmedizinische Diagnostik und direkte Reflux-Untersuchung mit Kontrastmittelfüllung der Harnblase. Vorgehen bei sonographischen afebriler HWI Klein-, Schulkinder, Jugendliche Sonographische Zeichen für dilatierenden VUR Lateralisiertes Ostium Hydroureter m. Urothelzeichen Nierenbeckenwanverdickung Pathologisch kleine Niere Diurese-Szintigraphie mit Miktion Direkte RefluxZystogramm Sonographisch normaler Harntrakt Miktions-Trinkprotokol Uroflowmetrie mit EMG Miktionssonographie oder Lasixsonographie VUR nein VUR ja Therapie Diurese-Szintigraphie Blasenfunktionsstörung mit Miktion Oxybutenin Miktonetten Keine Blasentraining Weitere Diagnostik Biofeedback Unklares Fieber und/oder den Verdacht auf Pyelonephritis behandeln wir tagesklinisch. Der Nachweis der Beteiligung des oberen Harntraktes erfolgt sonographisch und durch die Bestimmung der Entzündungsparameter im Blut. Die bakteriologische Sicherung erfolgt durch Blasenpunktion. Die antibiotische Therapie erfolgt in den ersten 2 Tage intravenös, da in diesen Fällen die Einnahme gesichert ist und die hohen Blutspiegel auch bei teilresistenten Keimen die Infektion unterdrücken. Nach zwei Tagen kann dann gezielt die Behandlung nach dem Antibiogramm erfolgen. Tagesklinisches Vorgehen bei unklarem Fieber/ Verdacht auf HWI/ pos. Teststreifen (Nitrit oder Leukozyten) bei dilatativen Uropathien Keine Leukozyturie Sono keine PN Andere Fieberursache? Klinisch Verdacht auf HWI oder unklares Fieber Standardisierte Vorgehen 1.BE:BB,CRP Routine 2.Ceftriaxon 75 mg iv.1ED/die Nach Erhalt der Kultur 3. Iv Flüssigkeit 4-6 Std Nach bakteriologischer Diagnose-Sicherung Sonographie Blasenpunktion Pyelonephritis Leukozyturie Weitere Vorgehen: individuell Abhängig von Geschlecht Vorbefunden Compliance 4.Orale Antibiose nach Vorliegen des Antibiogramms 10 -14 Tage 5.Kontrollsonographie 6. Gegen Ende der Antibose Miktions-Sonographie/ Miktions-Zystogramm 7. Nierenvolumenasymmetrie Oder dilatierender Reflux Mag3 Clearance 8. Uroflowmetrie mit EMG u. Restharn 9. Miktion- und Stuhlprotokoll www.nierenscreening.de Zusammenfassung Bei asymptomatischen Patienten – keine direkte RefluxReflux-Zystographie Funktionsdiagnostik zur Verlaufsbeurteilung Derzeit kein evidenzbasiertes Vorgehen Dilatierende Reflux ( Sgl/ Kleinkind) – Präventive Maßnahme Antibiotika- Prophylaxe (bei eingeschränkter Funktion AntibiotikaUrin -Selbstkontrollen mit Dokumentation Zirkumzision Dilatierender Reflux Schulkind – Präventive Maßnahme Behandlung einer Blasenfunktionsstörung Bei Refluxnephropathie: Hypertonie -Behandlung