Tagungsdokumentation: „Engagement verändert Freiwilliges Engagement und Entwicklung von Demokratie“ eine Veranstaltung der FreiwilligenAgentur Dortmund mit Unterstützung des Jugendring Dortmund am 29. November 2007 im Rathaus Dortmund 1 Inhaltsübersicht Seite 3 „Der Staat, der die Zivilgesellschaft stärkt, stärkt sich selbst“ Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement Seite 6 „Die Demokratisierung verbandlicher Strukturen durch Personalentwicklung – eine neue Art von Organisationsentwicklung?“ Prof. Dr. Michael Stricker, Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes NRW, Mitglied des ASB-Bundesvorstands und Mitglied des DPWV-Landesvorstands NRW Arbeitsgruppen: Seite 9 Politische Partizipation Wie die Teilhabe an gesellschaftspolitischen Diskussionen und Entscheidungen realisieren? Eberhard Weber (DGB Region Östliches Ruhrgebiet), Thomas Oppermann (SJD – Die Falken Dortmund) Seite 10 Jugend und Partizipation Wogegen – wofür? Und in welcher Form? Oliver Gernhardt (Jugendamt Dortmund), Dieter Grützner (Humanistischer Verband NRW) Seite 12 Demokratische Strukturen in Verbänden und Einrichtungen Können demokratische Strukturen mit dem sozialpolitischen Mandat einer Organisation verknüpft werden? Und wie viel strukturelle Demokratie brauchen Träger, um freiwillig Tätige zu fördern? Anne Rabenschlag (Diakonisches Werk Dortmund und Lünen), Josef Niehaus (Jugendring Dortmund) Seite 12 Freiwilligenkoordination Haben Verbände und Einrichtungen das nötig? Erich Sass (Universität Dortmund), Andreas Gora (Arbeiterwohlfahrt Dortmund) Seite 13 Die Marktplatzmethode als Instrument des Corporate Citizenship Sollen sich Unternehmen an der gesellschaftlichen Entwicklung beteiligen? Gerd Placke (Bertelsmann Stiftung) Seite 14 Presseerklärung zur Fachtagung 2 Dr. Ansgar Klein Der Staat, der die Zivilgesellschaft stärkt, stärkt sich selbst Was ist Zivilgesellschaft? Unter Zivilgesellschaft ist zum einen ein Typus des sozialen Handelns zu verstehen, der auf öffentliche Verständigung – auch im Konflikt – ausgerichtet ist, der durch individuelle wie gesellschaftliche Autonomie und Selbstorganisation gekennzeichnet ist, der Unterschiede und Vielfalt anerkennt, auf Gewaltfreiheit basiert und einen Gemeinwohlbezug bei den verfolgten Anliegen aufweist. Ein solches Handeln kann sich auch in Staat, Wirtschaft und Privatsphäre finden, doch ist es vor allem angesiedelt in einem sozialen Raum zwischen diesen: einem Raum der Vereine, und Zusammenschlüsse der Bürgerinnen und Bürger, der durch ein hohes Maß an Selbstorganisation und durch bürgerschaftliches Engagement gekennzeichnet ist. Während in Zeiten absolutistischer Herrschaft, in denen die Idee der Zivilgesellschaft ihren Ausgang genommen hat, oder auch im Kampf gegen die Diktaturen des 20.Jahrhunderts Zivilgesellschaft in kritischer Gegenstellung zum Staat gestanden hat, steht Zivilgesellschaft in einer demokratischen Gesellschaft mit Rechts- und Verfassungsstaat und funktionierendem Parlamentarismus in einem Verhältnis kritischer Partnerschaft. Staat und Zivilgesellschaft: Kritische Partnerschaft Zivilgesellschaft braucht nicht nur förderliche ökonomische, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen. Sie ist insbesondere angewiesen auf den Rahmen des demokratischen Rechtsstaats, der die Voraussetzung nicht nur für die Gewaltfreiheit des zivilgesellschaftlichen Handelns darstellt, sondern auch für die Legitimität demokratischer Willensbildung und Entscheidungsfindung. Doch andererseits führt die Zivilgesellschaft dem demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat beständig die Gestaltungs- und Beteiligungspotentiale zu, auf die dieser angewiesen ist. Engagement, Selbstermächtigung, Freiwilligkeit und Selbstorganisation gehören – ganz im Sinne des Staats- und Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde – zu den Voraussetzungen, auf denen der demokratische Rechts- und Verfassungsstaat basiert, ohne sie aber mit den eigenen Mitteln herstellen und reproduzieren zu können. Funktionen der Zivilgesellschaft Zivilgesellschaft ist Kontroll- und Frühwarnsystem, öffentlicher Resonanzverstärker und Artikulator gesellschaftlicher Problemlagen. Diese politischen Funktionen der Zivilgesellschaft werden durch das advokatorische Eintreten für die Interessen marginalisierter und sozial schwacher Gruppen sowie den so genannten „Public interestLobbyismus“ ergänzt, der bspw. in der Agenda von Menschenrechts-, Frauen-, Umweltoder Entwicklungshilfeorganisationen eine bedeutende Rolle spielt. Zivilgesellschaft ist aber auch ein bedeutender Ort der politischen Sozialisation. Doch ist aus der Perspektive der Zivilgesellschaft Politik nicht nur eine Angelegenheit der gewählten Repräsentanten und der Parteien– das Verständnis von politischer Gestaltung und Partizipation in der Zivilgesellschaft führt der repräsentativen Demokratie notwendige Energie und Beweglichkeit zu. Der Gestaltungs- und Partizipationsanspruch der Zivilgesellschaft ist ein Wärmestrom, auf den die repräsentative Demokratie angewiesen ist. Die politischen 3 Institutionen können solche Impulse aufnehmen oder ignorieren, stärken wie auch schwächen. In sozialer Hinsicht kann Zivilgesellschaft wesentliche Beiträge zur sozialen Integration leisten. In der wissenschaftlichen Diskussion über das „soziale Kapital“ der Gesellschaft wird mit Recht vor allem die Brücken bauende Funktion des Sozialkapitals hervorgehoben, die der Separierung und Ausgrenzung wie auch den Stereotypen und Feindbildern entgegenwirkt, die die Zivilität auch der demokratischen Gesellschaft bedrohen. Schließlich hat Zivilgesellschaft auch eine Funktion als Koproduzent sozialer Leistungen. Immerhin sind nach neuen Umfragen des Freiwilligensurveys der Bundesregierung von 2004 ca. 25 Millionen Menschen in Deutschland mit mehreren Wochenstunden engagiert. Hier liegt ein enormer Beitrag gesellschaftlicher Gestaltung und für die Qualität auch von Dienstleistungen. Die Funktion des sozialen Koproduzenten reicht von den Nahräumen von Selbst- und Nachbarschaftshilfe über soziale Dienste etwa in Pflege und Hospiz, kulturelle Angebote und Umwelt- und Naturschutz. Ein neuer Gesellschaftsvertrag Auch wenn der Staat keinen direkten Zugriff auf die Aktivitäten der Zivilgesellschaft hat, so kann er durchaus mittels geeigneter und förderlicher Rahmenbedingungen zu ihrer besseren Entfaltung beitragen. Das politische Interesse an einer Stärkung der Zivilgesellschaft speist sich, so der Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung Jürgen Kocka, nicht zuletzt aus der gewachsenen Einsicht in die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Staates. Neue Aufgabenverteilungen zwischen Staat und Gesellschaft müssen diskutiert werden. Diese Diskussion ist schwierig: Was sind dauerhafte Zentralaufgaben des demokratischen Rechtsstaats? Wie verlässlich und belastbar ist bürgerschaftliches Engagement? Wie entgeht man seiner Instrumentalisierung im Zusammenhang mit einem voranschreitenden Sozialabbau nach dem simplen Motto: weniger Staat, mehr Zivilgesellschaft! Auch die Verfechter eines Marktliberalismus würden einer Forderung nach weniger Staat sicher zustimmen. Doch übersehen sie, dass auch der Markt nicht alle Probleme lösen kann und dass die Entwicklung von Zivilgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement nicht einfach weniger Staat, sondern einen Staat benötigen, der ermöglicht, aktiviert und gewährleistet. Reformpolitische Leitbilder Auch wenn die reformpolitischen Diskussionen über einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft voller Fallstricke sind, so setzt sich doch – angeregt nicht zuletzt durch die 2002 publizierten Handlungsempfehlungen der EnqueteKommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ – zunehmend die Einsicht durch, dass der Staat sich durch die Stärkung der Zivilgesellschaft selber stärken kann. Der „ermöglichende Staat“ kann die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement und die Organisationen der Zivilgesellschaft verbessern. Dies reicht von dem Versicherungsschutz für Engagierte über Aus- und Fortbildungsangebote bis hin zu Steuerpolitik und der Förderung von nötigen Infrastrukturen der Engagementförderung. Vor dem Hintergrund der aktuellen Integrationsdebatte sollte in diesem Zusammenhang 4 auch auf die notwendige Förderung von Migrantenselbstorganisationen hingewiesen werden. Der „aktivierende Staat“ kann engagementferne Gruppen näher an das Engagement heranführen – etwa indem Jugendfreiwilligendienste auch für Hauptschüler attraktiv gemacht werden, indem die Netzwerkbildung in einem Stadtteil gefördert oder indem arbeitslosen Menschen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kompetenzen sinnvoll gesellschaftlich einzubringen. Der „gewährleistende Staat“ zieht sich dort aus der unmittelbaren Aufgabendurchführung zurück, wo dies besser durch zivilgesellschaftliche Akteure geschehen kann, behält aber die Verantwortung dafür, dass diese Aufgaben in guter Weise erfüllt werden. Angesichts der Tatsache; dass 80 % des Engagements in den Kommunen erbracht wird, ist das Leitbild der „Bürgerkommune“ von zentraler Bedeutung. Schließlich sind auch die Unternehmen in einer Diskussion über ihre Verantwortung für die Gesellschaft. Mehr Autonomie wagen Für die Anhänger des „starken Staat“ in der Tradition eines in Deutschland ausgeprägten etatistischen Denkens ist die Idee, der Zivilgesellschaft mehr Gestaltungsspielräume zu geben, noch immer eine Provokation: So verwundert es auch nicht, dass – etwa in den aktuellen Diskussionen über eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts – die Vorstellung, der Staat solle nur diejenigen Aktivitäten fördern, die ihn unmittelbar bei seinen Aufgaben entlasten, fröhliche Urstände feiert. Doch wo die Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger ausschließlich in den Schranken eines übergeordneten Staatsinteresses betrachtet werden, werden Eigensinn und Autonomie der Zivilgesellschaft verfehlt. Gibt der Staat der Zivilgesellschaft hingegen mehr Spielraum und geeignete Rahmungen, so wird er letztlich sich selber stärken. Dafür freilich gilt es das Prinzip der Freiwilligkeit zivilgesellschaftlichen Handelns zu respektieren und zugleich staatliche Kernaufgaben zu identifizieren, die der Staat nicht delegieren kann und darf. Diese Debatte dürfte in den künftigen reformpolitischen Diskussionen an Bedeutung gewinnen. Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement und Herausgeber des Forschungsjournal ‚Neue Soziale Bewegungen’ Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) – Bundesgeschäftsstelle – Michaelkirchstraße 17–18 10179 Berlin-Mitte Tel.: (030) 6 29 80 - 110 Fax: (030) 6 29 80 - 151 5 Prof. Dr. Michael Stricker Die Demokratisierung verbandlicher Strukturen durch Personalentwicklung eine neue Art von Organisationsentwicklung? Widersprüche zulassen! Text auf der Rückseite der Postkarte "Ganzer Kerl": Julia B., eine von vielen ASB-Sanitäterinnen und Sanitätern, die in Notfällen professionell zupacken. Mit Leidenschaft und Herz. ASB, Hilfsorganisation seit 1888. ASB – Aktiv. Solidarisch. Beherzt. Stichwort: Verbandliche Strukturen Mehrstufige Gliederung Überregionale Tätigkeit Vertikale Gliederung mit Dachverbänden und lokalen örtlichen Gliederungen Weltanschauliche Zielvorstellung Normative Vorstellungen Ideelle Ziele Traditionen Themenanwälte / Lobbyfunktion Stellvertretung für den Einzelnen Produzent sozialer Dienstleistungen Jugend-, Familien- und Altenhilfe Behindertenhilfe Aus-, Fort- und Weiterbildung Krankenversorgung Selbsthilfe 6 Beispiel: Caritasverband für die Diözese Augsburg e. V. Stichwort: Personalentwicklung Mit Personalentwicklung werden systematisch und langfristig angelegte Maßnahmen bezeichnet, mit denen die Qualifikation der Mitarbeitenden verbessert werden. Personalentwicklung beinhaltet eine Gegenüberstellung von Anforderungs- und Fähigkeitsprofilen (= Soll-/Ist-Abgleich). Daraus ergibt sich die Fähigkeitslücke. Bei den Mitarbeitenden muss das entsprechende Entwicklungspotential vorhanden sein. Es muss in der Organisation die Möglichkeiten bestehen, den Entwicklungszugewinn einzusetzen. Ansatzpunkte für Organisationsentwicklung Ebene der Funktionäre Trennung von strategischer und operativer Führung Klärung des Rollenverständnisses Schaffung von Freiräumen Ebene der Dienstleistungserstellung Einsatz muss intern organisiert und verlässlich sein Qualitätsstandards sind festzulegen Klare Regelung über Entschädigung Krisenintervention ist nicht Aufgabe von Freiwilligen Abbau von professionellen Vorbehalten 7 Konkrete Schritte der Personalentwicklung Klärung von Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Anforderungen Suche nach Interessentinnen und Interessenten Vorbereitung der Wahl / Abstimmung der Aufgaben (Klärung und Erläuterung der „Spielregeln“) Einführung und Einarbeitung (sachliche/fachliche Einführung) Weiterqualifizierung und Beratung (Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen / Abstimmung mit einem Mentor) Nachfolgeplanung und Ausscheiden Organisations- und Personalentwicklung erfordert Überprüfung der Organisationsstrukturen, Teams und Zuständigkeiten Umdenken unternehmerische Entscheidungen und den Mut zur Veränderung gewissen (Veränderungs-)Druck von außen eine klare Vorstellung vom Ziel Durchsetzungsmacht der Handelnden Widersprüche zulassen! Text auf der Rückseite der Postkarte "Don Juan": Als Freiwilliger beim ASB hilft Klaus S. regelmäßig der schwerbehinderten Berta. Berta nennt ihn ihre große Liebe, weil er ihr immer so schöne Komplimente macht. Prof. Dr. Michael Stricker Berufsakademie in Bad Mergentheim University of Cooperative Education (Staatliche Studienakademie) Schloss 2 97980 Bad Mergentheim Tel. (07931) 530-630 [email protected] 8 Die Arbeitsgruppe „Politische Partizipation“ erarbeitete folgende Thesen: Zur Förderung des Ehrenamts müssen die Strukturen und Formen klar sein. Demokratie und freiwilliges Engagement: Es geht nicht das Eine ohne das Andere. Kernthese: Zwischen den freiwillig Tätigen und den politisch Verantwortlichen fehlt es an Austausch. Es findet kein informelles Networking statt. Frage: Wo kommunizieren sich gesellschaftspolitische Vorstellungen? Forderung: Es sollen Möglichkeiten geschaffen werden, an die Politik heranzutreten (vom Bezirksvertreter bis zum Oberbürgermeister), ohne sich direkt und langfristig politisch engagieren zu müssen. Der Zugang muss auch ohne politische Rolle möglich sein. Zur weiteren Erläuterung der Input von Eberhard Weber: Oskar Negt: „Demokratie ist die einzige politisch verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – nicht ein für alle Mal – so als könnte man sich einen geregelten Regelbestand anlegen, der fürs ganze Leben ausreicht, sondern immer wieder, tagtäglich und bis ins hohe Alter.“ · Politische Partizipation/Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, an politischer Diskussion und Entscheidungen setzt einiges voraus: - Informationen differenziert aufnehmen und verarbeiten eigene Interessen formulieren, artikulieren können soziale Kontakte/Kompetenzen gemeinsam, kollektiv agieren mutiges, nachhaltiges Engagement · Wo kann ehrenamtliches Engagement/Demokratie ausprobiert, gelernt werden, wo werden (junge) Menschen ermutigt, unterstützt – und von wem, wer hält dagegen und warum? · Welche Einflüsse haben gesellschaftliche Faktoren wie: Medien/neue Kommunikationstechnologien? · Wie müssen Strukturen in Verbänden, Organisationen aussehen, um ehrenamtliches Engagement zu fördern? - orientiert an (unmittelbarer) Alltagskultur/ -problemen - Offenheit - Akteure ernst nehmen - Arbeit/Aktion muss transparent sein - Arbeit /Aktion muss Spaß machen - Aktivität muss überschaubar sein - Erfolge organisieren Immanuel Kant: Aufklärungsparole „Habe Mut, dich deines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen.“ 9 Die Arbeitsgruppe „Jugend und Partizipation“ erarbeitete folgende Kernthese: Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss endlich als Querschnittsaufgabe angesehen werden. Das heißt: in allen Lebensbereichen muss die Mitgestaltung (z.B. über die Bezirksvertretungen und Jugendfreizeitstätten) ermöglicht werden. Zur weiteren Erläuterung der Input von Oliver Gernhardt: Kinder und Jugendliche in Deutschland sind von der Politik enttäuscht. Das zeigt die Untersuchung der Bertelsmann Stiftung, bei der über 12.000 Schülerinnen und Schüler im Alter von 12 bis 18 Jahren nach ihren Mitwirkungsmöglichkeiten und politischen Einstellungen befragt wurden. Die Studie wurde unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Reinhard Fatke vom Pädagogischen Institut der Universität Zürich durchgeführt. Sie ist Bestandteil des Projektes „mitWirkung!“, das die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit UNICEF und dem Deutschen Kinderhilfswerk ins Leben gerufen hat. Der Studie zufolge sind mehr als die Hälfte (52,5 %) der Kinder und Jugendlichen mit der Politik unzufrieden oder sehr unzufrieden. Mehr als zwei Drittel der Befragten (68,5 %) gaben an, von den Politikern nicht ernst genommen zu werden. Dennoch würden sich 78 % der jungen Menschen bei besseren Bedingungen stärker engagieren. Besonders Besorgnis erregend finden die Experten der Bertelsmann Stiftung den Befund, dass immerhin 35,3 % der Kinder und Jugendlichen der Aussage zustimmen, „eine starke Hand müsste wieder mal Ordnung in unseren Staat bringen“. Damit diese Einstellung nicht zum Einfallstor für extremistische Ideologien wird, kommt die Bertelsmann Stiftung zu der Erkenntnis, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in allen gesellschaftlichen Bereichen gestärkt werden müssen. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass es im Hinblick auf die Partizipationsmöglichkeiten vor allem ein Gefälle zwischen den drei Bereichen Familie, Schule und Kommune gibt. Während drei Viertel der Schülerinnen und Schüler angaben, zu Hause viel oder sehr viel mitbestimmen zu können, sehen in den Schulen nur knapp 15 % der Befragten diese Möglichkeit. Lediglich 13,6 % der jungen Menschen gaben an, sich bereits intensiv in der Kommune engagiert zu haben. Als Gründe für die mangelnde Mitwirkung wurden fehlende Informationen, mangelndes Interesse an kommunalpolitischen Themen und zu geringes Vertrauen in die Politiker genannt. Wenn sich Kinder und Jugendliche beteiligen, bevorzugen sie die Teilnahme an konkreten Projekten und Aktionen. Repräsentative Formen wie Jugendparlamente werden kaum genutzt. Die Studie identifiziert Faktoren, mit denen die Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in den Kommunen verbessert werden können: Wichtig seien positive Partizipationserfahrungen in Schule, Verein und Kommune, umfassende Information über Mitwirkungsmöglichkeiten, das Zutrauen in die eigene Kompetenz, ein engagierter Freundeskreis und der eigene Wunsch, etwas verändern zu wollen. 10 Hier sind vor allem die Kommunen und die Schulen in der Pflicht. In diesem Erfahrungsfeld entscheidet sich maßgeblich, welche Einstellungen junge Menschen zu Politik und Demokratie entwickeln. Und das ist inzwischen auch gesetzlicher Auftrag! Gem. § 6 Abs. 2 des neuen Kinder- und Jugendförderungsgesetzes sollen Kinder und Jugendliche an allen ihre Interessen berührenden Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen, insbesondere bei der Wohnumfeld- und Verkehrsplanung, der bedarfsgerechten Anlage und Unterhaltung von Spielflächen sowie der baulichen Ausgestaltung öffentlicher Einrichtungen in angemessener Weise beteiligt werden. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass Jugendliche in Großstädten ihre Mitwirkungsmöglichkeiten schlechter beurteilen als in kleineren Gemeinden und die Kommunen ihre Angebote zur Kinder- und Jugendbeteiligung durchgängig besser beurteilen als die Jugendlichen selber. Von daher sind breit gestreute Informationen zu Mitwirkungsmöglichkeiten junger Menschen unabdingbar. Weitergehende Beteiligungsmöglichkeiten bei kommunalpolitischen Entscheidungen müssten eruiert und zeitnah umgesetzt werden. Diese müssen insbesondere in den Stadtbezirken und in enger Kooperation mit Schulen initiiert werden, weil sie dort eher von Jugendlichen wahrgenommen werden können. Im Übrigen scheint nach Einschätzung des Unterzeichners auch in enger Zusammenarbeit mit den Mandatsträgern des Rates und den Bezirksvertretungen noch einiges möglich und machbar zu sein. Für Dortmund bleibt festzustellen, dass es im Vergleich zu den oben genannten Ergebnissen aus 42 Städten und Gemeinden keine signifikanten Unterschiede gibt. Der Fachbereich Kinder- und Jugendförderung hat die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen ein hohes Interesse an politischen Zusammenhängen in ihrem Lebensumfeld haben. Das belegen in erster Linie die Kampagnen, Maßnahmen und Beteiligungsprojekte des Jugendamtes und der Jugendverbände. Allerdings sind nicht alle Jugendlichen bereit, sich in den vorhandenen Strukturen (Parteien und Verbände) zu engagieren. Dies geschieht vielmehr spontan, projektbezogen und zeitlich befristet. Insofern kann nicht von einer Politikverdrossenheit junger Menschen gesprochen werden. Vielmehr stellt sich die Frage, wie Politik auf diese Verhaltensänderung junger Menschen reagiert und welche Antworten sie darauf geben kann. Die freien und der öffentliche Träger sollen und müssen hierfür Dreh- und Angelpunkt sein. Außerdem muss der Kinder- und Jugendausschuss als das zuständige Fachgremium über die Initiativen in den Stadtbezirk informiert und eingebunden werden. Nur so kann es gelingen, die unterschiedlichen Aktivitäten ggf. stadtweit miteinander zu verzahnen und sich über die gemachten Erfahrungen auszutauschen. 11 Die Arbeitsgruppe „Demokratische Strukturen in Verbänden und Einrichtungen“ erarbeitete folgende Kernthesen: Die Entwicklung von Demokratie kann auch durch die gründliche Ausbildung und professionelle Begleitung der freiwillig Tätigen erreicht werden. Denn die Freiwilligen können sich dadurch kompetenter beteiligen. Die Frage, ob ein Wechsel in der Rechtsform (zum Beispiel vom eingetragenen Verein zur GmbH) auch eine Veränderung in der Beteiligung der Freiwilligen zur Folge hat, wurde unterschiedlich beurteilt. Hierin liegt ein Forschungsansatz. Schließlich wurde intensiv thematisiert, welche Auswirkungen die grundlegende Wortwahl hat: Insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund und Jugendliche haben Schwierigkeiten mit dem Begriff „Ehrenamt“, den sie entweder schlecht verstehen können oder als weniger motivierend wahrnehmen als den Begriff „freiwilliges Engagement“. Weiterhin bleibt zu bedenken, dass mit der Begriffswahl auch schon ein Wertbezug hergestellt wird. Die Arbeitsgruppe „Freiwilligenkoordination“ erarbeitete folgende Kernthese: Die Koordination der Freiwilligen muss ernster genommen werden, da sie für das Fundament einer jeden Organisation wichtiger ist als häufig angenommen. Dabei muss die Verantwortung für diese Koordination eindeutig festgelegt sein, wobei nicht zwangsläufig eine zusätzliche Stelle dafür geschaffen werden muss. Zur weiteren Erläuterung der Input von Erich Sass: Vorbemerkungen 1 (Recherche: FreiwilligenkoordinatorInnen in Organisationen scheinen noch nicht weit verbreitet / Freiwilligengewinnung und -begleitung ist für viele Organisationen ein Problem) Ausgangsthese: Die Organisation, Einrichtung und die Freiwilligen gibt es nicht. Die Eingangsfrage muss umformuliert werden: „Freiwilligenkoordination: Welche Verbände und Einrichtungen (und welche Freiwilligen) haben das nötig?“ „Alte“ und „neue“ Freiwillige? Untersuchungsergebnisse: (Freiwilligensurvey, eigene Erhebung) zu Bereitschaft, Motiven, Erwartungen, Anstoß zum Engagement, Umfeldbedingungen, Ansprechpartner, Hauptberufliche, Mitsprachemöglichkeiten, Vorstands- Leitungspositionen Gemeinsamkeiten und Unterschiede 12 2 Passungen: Was hält Engagierte in den Organisationen? 6 Stellschrauben: 3 Identifikation Partizipation Altruismus Anerkennung Sachinteresse Gemeinschaft Fragen für die Diskussion: Arbeitsgruppe Citizenship“: Wie können die Organisationen an diesen Stellschrauben drehen und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von „alten“ und „neuen“ Freiwilligen eingehen? Welche Rolle können FreiwilligenkoordinatorInnen in diesem Prozess spielen? Welche Organisationen brauchen FreiwilligenkoordinatorInnen? Welche nicht? Was brauchen FreiwilligenkoordinatorInnen? (Ausbildung, Rückhalt in der Organisation, Anbindung an die Leitungsebeneù) “Die Marktplatzmethode als Instrument des Corporate Gerd Placke von der Bertelsmann Stiftung hielt ein engagiertes Plädoyer für die Beteiligung von Unternehmen an der gesellschaftlichen Entwicklung über dieses ‚SpeedDating für Unternehmen und gemeinnützige Organisationen’. Informationen unter: www.gute-geschaefte.org Die Möglichkeiten dieser Marktplatzmethode wurden ebenso hinterfragt wie die Hintergründe für das Engagement der Bertelsmann Stiftung. Zur Erläuterung dieser Hintergründe hier das Thesenpapier „Neue gesellschaftliche Kooperationen als Paradigma für ein gemeinsames Politikverständnis von Kommunen, bürgerschaftlichen Organisationen und Unternehmen“ von Dr. Gerd Placke: Gesellschaftspolitischer Hintergrund Neue soziale Partnerschaften zwischen gemeinnützigen Organisationen und der Wirtschaft sind in Europa keine Alternative zu sozialstaatlichen Leistungsangeboten, aber eine unverzichtbare Ergänzung, wollen wir alle gesellschaftlichen Möglichkeiten für die Zukunftsfähigkeit einbringen. Die gesellschaftliche Verantwortungsübernahme von Unternehmen beinhaltet nicht weniger Sozialstaat, sondern eine andere Qualität in der Erbringung sozialstaatlicher Leistungen. 13 Neue soziale Partnerschaften stellen eine Herausforderung für die Kooperationsfähigkeit unserer Gesellschaft dar. Wir benötigen hierfür das Bewusstsein von einer „Verantwortungsverschränkung“ der gesellschaftlichen Akteure bei der Erbringung sozialstaatlicher Leistungen. Rahmenbedingungen für neue soziale Partnerschaften Noch ist die Anbahnung von Kooperationsprozessen zwischen Unternehmen, Gemeinnützigen und Kommunen von vielen Zufälligkeiten geprägt. Nur gute Rahmenbedingungen für gesellschaftlichen Austausch schaffen den Nährboden für den flächendeckenden Erhalt und den Ausbau gemeinsam getragener Verantwortung. Gute Rahmenbedingungen sind getragen von Know-how und Strukturen, in denen sich Akteure bewegen können. Ein Schlüsselfaktor sind individuelle wie institutionelle „Grenzgänger“, Mittlerstrukturen wie Seniorenbüros, Freiwilligenagenturen, Selbsthilfekontaktstellen und andere Netzwerke, die solche Prozesse initiieren und begleiten. Es gibt in Deutschland eine Fülle von Initiativen für soziale Kooperationsprozesse. Ebenso gibt es eine große Bandbreite von potentiellen lokalen und regionalen Partnern, die in solche Prozesse einsteigen wollen. Was allerdings weitgehend fehlt, ist ein politischer Wille, solche Träger nachhaltig zu machen. Im Management neuer sozialer Partnerschaften geht es nicht nur um gutes Projektmanagement im hergebrachten Sinne, sondern um spezielle Kompetenzen, Kenntnisse und Fertigkeiten (soziale und interkulturelle Kompetenzen, Gestaltungskompetenz, Beratungskompetenz). Das „Mantra“ eines solchen Projektmanagements lautet: „Welchen Nutzen haben die beteiligten Partner von der Kooperation?“ Abschließend an dieser Stelle noch ein Auszug aus der Presseerklärung zu unserer Fachtagung: „Freiwilliges Engagement“ und „Demokratie“ im Blickpunkt der Fachtagung von FreiwilligenAgentur und Jugendring „Wir sind positiv überrascht über die Beteiligung an dieser Veranstaltung“, so Josef Niehaus, Geschäftsführer des Jugendring auf der gemeinsamen Fachtagung der FreiwilligenAgentur Dortmund und des Jugendring Dortmund am 29. November im Rathaus Dortmund. Dort diskutierten 80 Interessierte aus Politik, Wirtschaft, Wohlfahrtspflege, freien Trägern und freiwillig Engagierte zum Thema „Freiwilliges Engagement und Demokratie“. Für Niehaus stand im Mittelpunkt dieser Fachtagung, wie sich diese beiden Punkte gegenseitig bedingen. „Denn das sind einfach zwei Seiten derselben Medaille“, so Niehaus. 14 Weitere Themen waren, wie Wirtschaftsunternehmen durch freiwilliges Engagement ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und welche Rahmenbedingungen Einrichtungen ihren Freiwilligen bieten sollten. „Wir möchten den Blick dafür schärfen, dass freiwilliges Engagement nur optimiert werden kann, wenn man es als eigenständiges Profil neben den hauptberuflich Mitarbeitenden wahrnimmt“, so Niehaus weiter. In der Veranstaltung wurde daher sowohl die Frage diskutiert, ob Freiwilligenkoordination nötig ist als auch neue Ansätze zur Organisationsentwicklung im Freiwilligensektor erörtert. „Unsere Gesellschaft wird nur durch freiwilliges Engagement so bunt, lebendig und solidarisch“, so Oliver Hesse, Leiter der FreiwilligenAgentur Dortmund. „Gleichzeitig möchten Menschen nicht nur helfen, sondern auch mitgestalten. Hier liegt ein unglaubliches Potential für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft. Wir wollten mit dieser Veranstaltung und den Ergebnissen einen Beitrag hierzu leisten. Und ich glaube, das ist uns gelungen.“ Bürgermeister Adolf Miksch betonte in seinem Grußwort, wie wichtig das freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger für den Zusammenhalt und die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft ist. Die Fachreferate im Rahmen der Veranstaltung waren hochkarätig besetzt. Auch in den Arbeitsgruppen erarbeiteten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen verschiedene Facetten von Demokratieentwicklung durch freiwilliges Engagement. „Insgesamt eine gelungene Veranstaltung, die gezeigt hat, dass Dortmund eine engagementfreundliche Stadt mit engagierten und diskussionsbereiten Menschen ist“, so das abschließende Resümee von Oliver Hesse. Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an: Oliver Hesse FreiwilligenAgentur Dortmund Südwall 2 – 4 44122 Dortmund Tel.: (0231) 50 - 10 600 Fax: (0231) 50 - 27 592 Mail: [email protected] Web: www.FreiwilligenAgenturDortmund.de v.l.n.r.: Michael Stricker, Peter Spaenhoff, Ansgar Klein, Oliver Hesse, Adolf Miksch 15