Im Dickicht der Städte am Theater Augsburg Postmoderne Kopfakrobatik Die fallende Stecknadel, man hätte sie hören können bei der über zweistündigen Premiere von Im Dickicht der Städte am Theater Augsburg. Welch ein Unterschied zur mit Stinkbomben garnierten Münchner Uraufführung von 1923! Neunzig Jahre später verdünnt die israelische Regisseurin Ofira Henig das vor aufplatzender Lebensgier und entfesselter Sexualität strotzende Jugendstück des Bühnenstürmers Brecht zu einer langwierigen Etüde angestrengter und anstrengender Kopfakrobatik. Ein überdimensional langer Holztisch, auf die Bühne gestellt von Miriam Guretzki-Bilu, symbolisiert im Wechsel das Dickicht der Millionenstadt Chicago, die Allmacht des Holzhändlers Shlink und das proletarische Interieur der Familie Garga, alles süffig untermalt von Klängen meist aus der Latino-Folklore. Das Chaos des Kampfes zweier Männer, des kapitalistischen Holzhändlers Shlink mit dem Leihbücherei-Angestellten George Garga, erschließt sich dem Zuschauer vor allem bei genauem Hinhören auf Brechts sperrig-explosive Bildersprache. Keinerlei Gefahr also des „romantischen Glotzens“ auf poetische Schönheit, pralle Geilheit oder animalische Großstadtdschungel-Vegetation. Die Inszenierung verlegt die Handlung in eine Welt der internationalen Verflechtungen und nimmt dem Stück damit seine ursprüngliche Bodenhaftung. Das Ensemble schlägt sich mutig durch die Postmoderne, allen voran Tjark Bernau als zuerst miefig schwitzender, dann von Geld und Macht zerfressener Kleinbürger Garga mit viel Raum für variantenreiches Spiel, etwa für eine zirkusreife Lachorgie im Stil italienischer Opernkoloraturen. Toomas Täht ist als Shlink ein eckiger, kantiger Kapitalist und gleich darauf eine servile speichelleckerische Lakaienseele. Kleine Wünsche bleiben bei den Frauenrollen: Sarah Bonitz hätte als Prostituierte Jane einen Schuß mehr Vulgarität vertragen und Ute Fiedler ist als Gargas Mutter schlicht zu jung. Anrührend bis täppisch hingegen Gargas Schwester Marie, gut gespielt von Olga Nasfeter. Der Schlussapplaus war ganz wie der Weg nach Hause leicht mit Eis überzogen. Hanspeter Plocher