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Marc Oestreicher
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Selbstwirksamkeit im Kontext von Körperarbeit und Psychotherapie
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Ich bin also eingeladen, aus der Perspektive von Körperarbeit und Psychotherapie über
Selbstwirksamkeit zu referieren. Aufgrund der doch eher knapp bemessenen Zeit, werde ich mich im
Wesentlichen auf die Körperarbeit beschränken und als erstes darzulegen suchen, wie ich als Biologe,
Feldenkrais-Praktiker und Gestalttherapeut Selbstwirksamkeit verstehe.
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Selbstwirksamkeit basiert auf einem Zutrauen, das eigene Verhalten und Erleben in einer Weise
verändern zu können und auch auf das Umfeld entsprechend Einfluss zu nehmen, dass sich das eigene
Verhältnis zur Situation positiv zu wandeln vermag. Oder, wie Ludwig Wittgenstein den Prozess ‚auf sich
selbst zu wirken‘ so treffend beschrieben hat, besteht die Lösung eines Problems darin, in einer Weise
zu leben, die das Problem zum Verschwinden bringt. Wenn ich nun Krankheit – in unserem Fall die
Schmerzsymptomatik – als einen Unterbruch innerhalb der Gesamtheit organischer Prozesse verstehe,
sehe ich meine Aufgabe darin, einer solchen Unterbrechung zugunsten einer Fortsetzung des
Funktionierens therapeutisch zu begegnen. Als Feldenkrais Praktiker lässt sich die Aussage zur
Selbstwirksamkeit noch insofern konkretisieren, dass Feldenkrais Körperarbeit auf das physikalische
Körperverhalten konzentriert, das insbesondere ein Verhalten zur Schwerkraft ist. In diesem Kontext
besteht die Störung in einem dysfunktionalen Körperverhalten, das zu Schmerzen führt. Entsprechend
bedeutet eine adäquate Fortsetzung des Funktionierens eine Verbesserung eben dieses Verhaltens zur
Schwerkraft. Dazu ist der Körper in seiner Eigenschaft als ‚Bewegungsapparat‘ optimal angelegt, weil
sich seine Strukturen im Einklang mit den Strukturen der Umwelt und mit den Anforderungen an
Funktion über Jahrmillionen zu einem funktionalen Körper entwickelt haben – einem Körper, der damit
auch schon eingebettet ist in eine Situation, in der sich seine Funktionalität zeigen kann. Dies ist, was
von Kybernetik und Konstruktivismus als strukturelle Kopplung bezeichnet wird und auf dieser
Grundlage scheint es naheliegend, Körperarbeit erst einmal an einer Verbesserung der
Bewegungsfunktionen auszurichten. Was wiederum bedeutet, die angelegten Körperstrukturen – das ist
insbesondere der knöcherne Körperbau – für ein adäquates Verhalten zur Schwerkraft – also für
Haltung und Bewegung – besser einsetzen zu lernen. Wie der Organismus seine Körperstrukturen
funktional zu gebrauchen lernt, zeigt sich exemplarisch – weil noch ungestört – in der kleinkindlichen
Bewegungsentwicklung.
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Selbstwirksamkeit gründet also im Vermögen, Funktion zu erlernen, und die Basis dazu bildet die
dynamische Ganzheit des Organismus, der befähigt ist Aufmerksamkeit hinzuwenden, achtsam
vorzugehen, Kontakt aufzunehmen und Bewusstheit zu entwickeln für die Zusammenhänge von
Verhalten und angelegten Strukturen. Wie lässt sich nun dieser Organismus ansprechen und wie
können die somatischen Lernprozesse unterstützt werden, die letztlich zu einer Verbesserung des
Funktionierens führen bzw. einem dysfunktionalen Verhalten zu begegnen vermögen? Dies scheint mir
die zentrale Frage nach einer Methodik. Feldenkrais und andere phänomenologische Ansätze gehen
davon aus, dass sich Verhaltensänderungen nicht direkt vermitteln lassen und weder die exakte Lösung
eines Problems noch die präzise Zusammensetzung der dazu erforderlichen Mittel im Vorhinein bekannt
sein kann. Somit liegt ein Vorgehen nahe, das den Patienten mit einer Aufgabe bzw. mit einer neuen
Situation konfrontiert, um ihn zu veranlassen, sein Verhalten zu hinterfragen und gegebenenfalls
anzupassen. Eine Methodik, die ihr Vertrauen ganz in den Organismus sowie in seine Beziehungen zum
Umfeld setzt und die versucht, das Zusammentreffen von Person und Aufgabenstellung so zu
gestalten, dass der Organismus die Aufgabe zu erfassen vermag und eine suchende Bewegung nach
Lösungen in Gang bringen kann. Sich im Verlauf dieser Suche selbst zu erfahren und sich seiner
Möglichkeiten Gewahr zu werden begünstigt schliesslich die entwickelten Lösungen zu integrieren und
fördert das Vertrauen in die eigene Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit.
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Zur Vertiefung möchte ich an dieser Stelle Maurice Merleau-Ponty zu Wort kommen lassen, der meines
Erachtens in seiner ‚Phänomenologie der Wahrnehmung‘ neben Goldstein und Lewin den wichtigsten
Beitrag zu einem kohärenten Organismuskonzept geleistet hat (Literaturangaben dazu mache ich ihnen
gerne im Anschluss). Der Leib – den ich als Biologe mit Organismus bezeichne –, schreibt MerleauPonty, ist „nicht einfach ein Gegenstand unter all den anderen Gegenständen, [... sondern] ein für alle
anderen Gegenstände empfindlicher Gegenstand“. Wahrnehmen und praktisches Können erweisen sich
somit als im Organismus miteinander verschmolzen, als zwei Aspekte desselben Vermögens. Es ist das
System dieses Vermögens, das den Organismus als funktionale Einheit repräsentiert und es bilden, so
nochmals Merleau-Ponty, „Wahrnehmung und Bewegung [...] ein System, das als Ganzes sich
modifiziert“. Das ist die Basis meiner Arbeit als Feldenkrais Praktiker und es impliziert, den Organismus
als eine Ganzheit dynamischer Zusammenhänge zu erkennen, der sich nicht limitieren lässt und sich
aus seinem Inneren heraus zur Situation verhält. Auch gilt es die Komplexität von Verhalten und
Empfinden als Grundlage zu verstehen für maximale Kompetenz sich selbst zu organisieren und nicht
als etwas Hinderliches, das es zu reduzieren gilt. Entsprechend muss es gelingen, die Integrität des
Patienten zu bewahren bzw. wieder wachsen zu lassen und es ist besonders darauf zu achten, keine
Spaltungen, Einseitigkeiten und Reduktionen einzubringen und solche nicht zu reproduzieren.
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Ich komme nun zurück auf meine einführenden Bemerkungen zu Krankheit als ein wiederholtes
Unterbrechen des Organischen. Das kann Funktion im engeren Sinne betreffen, jedoch ebenso
Wahrnehmung, Verarbeitung von Störungen, emotionales Erleben, das Selbstbild, soziales Verhalten
und kognitive Funktionen. Im Zusammenhang mit einer Schmerzsymptomatik sehe ich eine
wesentliche Unterbrechung darin, dass die Schwerkraft nicht mehr als unterstützend, Halt gebend und
Orientierung verschaffend wahrgenommen, sondern als Belastung und Behinderung empfunden wird –
als eine Wirkung auf den Körper also, der es entgegenzuwirken gilt. Eine solche Entwicklung, die sich
von den biologischen Grundlagen entfremdet bzw. die Zuordnung von Struktur zu Funktion verliert, ist
fatal. Denn damit wird die Funktionalität des Körpers mehr und mehr verkannt und es muss immer mehr
muskuläre Arbeit aufgewendet werden, um die Stützfunktionen zu gewährleisten, anstatt die Mechanik
des knöchernen Körperbaus zu nutzen. Damit wird wiederum die Beweglichkeit eingeschränkt, die
Geometrie von Bewegung gestört und letztlich wird Bewegung an sich abgebrochen, was einerseits zu
Verkrampfungen, Beschwerden und strukturellen Schädigungen am Bewegungsapparat führt und
andererseits das Empfindungsvermögen für die Funktionalität des Körpers und für seine vielfältigen
Bewegungsmöglichkeiten verkümmern lässt.
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Damit verfestigt sich das Verhalten unweigerlich zu einem konstruierten – gegenüber einem natürlichen
– und es bildet sich nicht nur die Funktion, sondern auch das Selbstbild zurück. Anstelle einer
dynamischen, offenen und ausgewogenen Ordnung – auch als Homöostase oder Homöodynamik
bezeichnet – etabliert sich ein Komplex, in dem bemüht versucht wird Kontrolle und Sicherheit zu
gewährleisten, was die Fixierung nur noch zusätzlich verstärkt – ein geschlossenes System, aus dem
Feldenkrais und ebenso die Gestalttherapie mittels einer experimentellen und auf Achtsamkeit
basierenden Arbeit hinauszuführen suchen. Feldenkrais entwickelte dazu eine eigentliche
Wahrnehmungs-Schule für den Körper und dessen Möglichkeiten im Kontext von Haltung und
Bewegung und unterstützt damit die Integration funktionalen Körperverhaltens. Es ist allerdings nicht
davon auszugehen, dass sich jede noch so vielschichtige Störung allein durch Erlernen von Funktion
auflösen lässt – entsprechend wichtig ist ein multimodaler Ansatz bzw. eine Vielfalt an Methoden und
insbesondere die Psychotherapie vermag hier einen wichtigen Beitrag zu leisten.
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Abschliessend lässt sich als grundlegendes Ziel meiner therapeutischen Arbeit formulieren, dass der
Organismus sein Potential zur Geltung bringen kann und Zugänge findet zur eigenen Funktionalität –
einer Funktionalität, die natürlich mehr umfasst als nur Haltung und Bewegung und insbesondere auch
ein organisches Lernvermögen miteinschliesst. Oder – der Argumentation des Gestaltpsychologen
Wolfgang Metzger folgend – Unterstützung anzubieten und Zustände zu unterstützen, damit der Patient
aus sich heraus die Ordnung wieder herzustellen bzw. eine neue Ordnung im Verhältnis von Organismus
und Umfeld zu finden vermag. Dabei stellt sich die eigentliche Arbeit, als eine Arbeit an der ‚Awareness‘
heraus, die ihrerseits ein verbessertes Funktionieren begünstigt. ‚Awareness', auf deutsch
‚Bewusstheit‘, ist dabei als jene Funktion zu verstehen, die aktiv wird, sobald sich ein Kontrast bildet
zwischen dem Gewohnten, dem wenig Unterschiedenen und dem Unbewussten gegenüber einer
aktualisierten und differenzierten Wahrnehmung der Situation und damit beginnt Interesse zu wecken
für den aktuellen Sachverhalt. Um für potentielle Möglichkeiten Bewusstheit zu entwickeln, muss
allerdings ein Perspektivenwechsel gelingen – weg von Defiziten und Symptomen und hin zu einem
achtsamem Erlernen von Funktion sowie einem Zustand bewussten Erlebens von Entwicklung. Erst
damit werden sich die Türen öffnen zu den eigenen Ressourcen, die wiederum den Weg ebnen für
Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit.
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Literaturhinweise
Buytendijk, F. J. J. Allgemeine Theorie der menschlichen Haltung und Bewegung, Berlin 1956
Goldstein, K. Der Aufbau des Organismus, Den Haag 1934
Lewin, K. Feldtheorie, in Graumann, C.-F. (Hrsg.), Kurt-Lewin-Werkausgabe Bd. 4. 1982
Merleau–Ponty, M. Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966 (1945)
Metzger W. Gestalt-Psychologie. ausgewählte Werke aus den Jahren 1950-1982, Frankfurt a.M. 1986
Straus, E. Vom Sinn der Sinne, Berlin 1956 (1935)
Uexküll Th.v., Fuchs M., Müller-Braunschweig H., Johnen R., Subjektive Anatomie. Theorie und Praxis körperbezogener
Psychotherapie. Stuttgart 1994
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Marc Oestreicher, Feldenkrais Praktiker, Gestalttherapeut und Biologe aus Basel, arbeitet seit bald
20 Jahren in eigener körpertherapeutischer Praxis und war mehrere Jahre auch an einer Schmerzklinik
tätig. Er unterrichtet Weiterbildungen für Körpertherapeuten, veröffentlicht regelmässig zu Körperarbeit
und ist Redaktor der Zeitschrift Gestalt&Integration.
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Kontakt
[email protected]
www.koerperlernen.ch
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Wettsteinplatz 8
CH–4058 B a s e l
T: 061 / 681 45 29
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Eine Auswahl an Publikationen
Der Organismus – eine funktionale Einheit, Was die Feldenkrais-Methode mit der Gestalttherapie verbindet, Referat DA-CH-Tagung Kassel 2014
Stimmige Verhältnisse schaffen – Zu den Quellen der Feldenkrais-Methode, Feldenkrais Forum 3/2013
Der Organismus als funktionale Einheit – ein Beitrag zu „Gestalttherapie und Kybernetik“ von Fritz Perls,
Gestalt&Integration 74/2013
Vom „Bewegen lernen“ – zu den Grundlagen von Haltung und Beweglichkeit, Gymnastik 27/9 2013
Präzisionsarbeit – Feldenkrais, Phänomenologie und Wissenschaft, Feldenkrais Forum 4/2012
Eine kurze Wortmeldung zum Thema Schmerztherapie, sfv-Journal 24/2009
Vom Körper lernen – Achtsamkeit als Schlüssel …, Focus Nr. 28 (Gesundheitsförderung CH), 2006
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