12_Nutrient Timing System.qxp:Optimale Sporternaehrung_3. Auflage 2012 23.02.2012 13:24 Uhr 199 12 Das Nutrient Timing System von Ivy und Portman 12.1 Die Grundprinzipien des Nutrient Timing Systems Ausgangspunkt ist die grundsätzliche Unterteilung des Wachstumszyklus des Skelettmuskels in 3 aufeinander folgende, über 24 Stunden verteilte Zyklen. Die Reihenfolge der Zyklen ist nicht austauschbar. Der Übergang zwischen den Phasen ist fließend. Folgende Phasen werden unterschieden: 1. der Zyklus, in dem der Muskel Energie produziert – die Energiephase 2. der Zyklus, in dem der Muskel sich erholt – die Aufbauphase 3. der Zyklus, in dem der Muskel wächst – die Wachstumsphase 12.2 Die Energiephase Die Energiephase fällt mit der körperlichen Belastung, dem Sporttreiben zusammen. Die primäre Aufgabe des Muskels besteht darin, genügend Energie für die Muskelkontraktion zur Verfügung zu stellen. Die meisten Sportler haben mittlerweile verstanden, dass sie während der Belastung Kohlenhydrate zu sich nehmen sollten. Zum einen, um die Entleerung der Muskelglykogenspeicher zu verhindern, um die Belastungsdauer verlängern zu können. Zum anderen, um den Blutzuckerspiegel konstant zu halten, was dazu beiträgt, die Ermüdung hinauszuzögern. Nutrient Timing geht über den Konsum von Kohlenhydraten hinaus. Untersuchungen haben gezeigt, dass durch eine gemeinsame Zuführung von Kohlenhydraten und Proteinen, spezifischen Aminosäuren und Vitaminen Muskelglykogen eingespart werden kann und größere Ausdauerleistungen des Muskels erzielen werden können. Weiterhin wird die Wirkung des Cortisols abgeschwächt und dadurch die Muskelzerstörung vermindert und es werden die Enzyme in ihrer Funktion unterstützt, zu einer schnelleren Erholung nach der Belastung beizutragen. 3. Wachstumsphase Abb. 39: Das Nutrient Timing System mit den 3 aufeinander folgenden Phasen. Damit der Muskel in diesen Zyklen optimal funktioniert, müssen zu geeigneten und vorgegebenen Zeiten die richtigen Nährstoffe sowie die richtige Nährstoffmenge zugeführt werden. 1. Energiephase Nutrient Timing System 2. Aufbauphase Seite 199 12_Nutrient Timing System.qxp:Optimale Sporternaehrung_3. Auflage 2012 200 12.3 13:24 Uhr Das Nutrient Timing System von Ivy und Portman Die Aufbauphase Diese Phase ist ein 45-minütiges Zeitfenster nach einer körperlichen Belastung, in welcher der Muskel, wenn man ihm die richtigen Nährstoffe zur Verfügung stellt, mit der Reparatur von zerstörten Muskelproteinen beginnt und die Muskelglykogenspeicher wieder auffüllt. Unmittelbar nach der Belastung sind die Muskelzellen extrem empfindlich gegenüber dem anabolen Effekt des Hormons Insulin. Diese Empfindlichkeit nimmt relativ schnell ab und schlägt schließlich in eine Insulinresistenz um. Durch Insulinresistenz wird die Wiederauffüllung der Muskelglykogenspeicher, die Reparatur des Muskeleiweißes sowie die Synthese neuen Muskelmaterials drastisch reduziert. In der Aufbauphase ist eine Kohlenhydratzufuhr unerlässlich. Um diesen Vorgang in dieser Phase zu optimieren, sprechen sich Ivy und Portman für den gleichzeitigen Konsum von Kohlenhydraten und Proteinen in flüssiger Form aus. Auch Vitamin C und Vitamin E sollten in den Getränken enthalten sein, da sie in ihrer antioxidativen Wirkung die freien Radikalen neutralisieren, die für die Muskelschäden während der Belastung mitverantwortlich sind. Beide Vitamine wirken entzündungshemmend und synergistisch. 12.4 23.02.2012 Die Wachstumsphase Diese Phase dauert vom Ende der Aufbauphase bis zur nächsten Belastung an. Während dieser Phase sind die Muskelenzyme damit beschäftigt, die Anzahl der kontraktilen Elemente und die Größe der Muskelfasern zu erhöhen sowie das Muskelglykogen wieder ganz aufzufüllen. Während der Wachstumsphase ist es notwendig, für das optimale Muskelwachstum Kohlenhydrate und Protei- ne zuzuführen. Die Untersuchungen von Ivy und Portman belegen, dass eine entsprechend hohe Zufuhr an Proteinen in dieser Phase für Kraftathleten einen großen Nutzen bringen kann. Das Nutrient Timing System (NTS) hat zum Ziel, mit Hilfe eines konzentrierten Kohlenhydrat-Eiweißgetränks die Muskelglykogenspeicher schnell wieder aufzufüllen, damit eine Minimierung der Muskelgewebszerstörung sofort eingeleitet und neues Muskelgewebe hergestellt werden kann. 12.5 Der Einfluss der Hormone auf Muskelwachstum und Muskelentwicklung Das Nutrient Timing System zielt insbesondere darauf ab, die Freisetzung von Hormonen zu fördern, welche das Muskelwachstum und die Muskelentwicklung maximieren können. Die Hormonfreisetzung im menschlichen Körper erfolgt entweder durch andere Hormone, nervale Impulse oder durch Veränderungen des Gehaltes bestimmter Nährstoffe im Blut. Die Tabelle 61 zeigt eine Übersicht über die wichtigsten Hormone. 12.5.1 Cortisol Dieses katabole Hormon ist vor allem Kraftathleten bekannt. Es wird von der Nebennierenrinde freigesetzt, wenn der Blutzuckerspiegel zu niedrig ist und während sehr intensiver Belastungen wie dem Gewichtheben. Die Hauptfunktion von Cortisol besteht darin, Treibstoff für die Muskelarbeit zu liefern. Bei der Energiebereitstellung geht der Muskel nach einem metabolischen Prioritätssystem vor. Dieses trifft jedoch nur teilweise auf die aerobe Belastung zu, bei der zuerst Kohlenhydrate, dann Fette und schließlich Protei- Seite 200 12_Nutrient Timing System.qxp:Optimale Sporternaehrung_3. Auflage 2012 23.02.2012 13:24 Uhr Der Einfluss der Hormone auf Muskelwachstum und Muskelentwicklung ne verwendet werden. Da Ausdauertraining den Muskeln starken Stress verursacht, wird dieses Prioritätssystem ignoriert. Wenn Cortisol freigesetzt wird, werden Proteine, Kohlenhydrate und Fett abgebaut und es erfolgt ein Anstieg der Plasmaaminosäuren, insbesondere Glutamin und der verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAA). Erhöhte Cortisolspiegel haben sehr starke Auswirkungen auf Kraftsportler. Je härter das Training ist, desto größer ist die Cortisolfreisetzung, und umso größer ist der Proteinabbau. Cortisol kann die Anpassungserscheinungen eines Krafttrainings zunichte machen. 201 mon stimuliert das Muskelwachstum, beschleunigt den Fettabbau und blockiert den Kohlenhydratabbau. Studien bei Ausdauerathleten haben gezeigt, dass es zu einem minimalen Anstieg während der Belastung kommt im Vergleich zu Untrainierten. 12.5.3 IGF-1 Der insulingleiche Wachstumsfaktor ist ebenfalls ein anaboles Hormon. Der Haupteffekt besteht darin, dass es die Proteinsynthese im Knochen, Knorpel und Muskel stimuliert. Die IGF-1-Freisetzung wird von der Belastungsintensität (der Muskelbewegung) kontrolliert. 12.5.2 Wachstumshormon Das anabole Wachstumshormon wird von der Hypophyse freigesetzt. Das WachstumshorKatabole Hormone Wirkungsweise Anabole Hormone Wirkungsweise Glucagon (Peptidhormon: wichtigstes Hormon, um den Blutzuckerspiegel anzuheben) stimuliert die Fettfreisetzung sowie den Glykogenabbau in der Leber sowie die Gluconeogenese; findet vorwiegend in Leber und Niere statt Testosteron blockiert das Cortisol und die Proteinsynthese Adrenalin stimuliert den Fett-, Muskel- und Muskelglykogenabbau Wachstumshormon stimuliert Knochen- und Knorpelwachstum sowie Proteinsynthese Noradrenalin stimuliert den Fett- und Leberglykogenabbau IGF-1 stimuliert Wachstum von Knochen, Knorpel, Muskel Cortisol stimuliert den Fett-und Leberglykogenabbau und Muskelproteinabbau Insulin vielfältige Auswirkungen auf Muskelproteinsynthese, Proteinabbau und Glykogenwiederauffüllung Tab. 61: Die Stoffwechseleffekte der katabolen und anabolen Hormone (mod. nach Ivy/Portman 2004). Seite 201 12_Nutrient Timing System.qxp:Optimale Sporternaehrung_3. Auflage 2012 202 12.5.4 Insulin Die Wirkungsweise von Insulin, welches von der Bauchspeicheldrüse produziert wird, wird häufig nur mit Kohlenhydraten in Verbindung gebracht. Hohe Insulinspiegel und hoher Kohlenhydratverzehr steigern die Fettsynthese und vermindern den Fettabbau. So entsteht auf lange Sicht Diabetes. Insulin fördert nicht nur die Kohlenhydratwiederauffüllung, sondern auch die Muskelproteinsynthese. Je sensibler die Muskelzellen gegenüber Insulin sind, umso mehr wird Insulin dazu führen, die Glykogenresynthese in den Muskeln und die Proteinsynthese zu unterstützen. Die Muskelzellen sind dabei besonders nach der körperlichen Belastung für das Insulin sensibel. Wenn Glukose und Aminosäuren in dieser Zeit zur Verfügung stehen, wird das Insulin dabei helfen, Muskelproteine und Muskelglykogen in einer hohen Rate zu synthetisieren und gleichzeitig wird sehr wenig Fett synthetisiert und in den Fettspeichern gelagert. Körperliche Bewegung (insbesondere Sport) und eine moderate Kohlenhydratdiät, welche vollkorn- und ballaststoffreich sein sollte, kann die Sensibilität der Muskelzelle gegenüber Insulin steigern. Umgekehrt kann eine kohlenhydratarme und fettreiche Diät die Insulinsensibilität verringern, was negative Auswirkungen auf Muskelmasse und Kraft haben kann. Wegen seiner vielfältigen Auswirkungen, welche das Insulin auf den Muskel hat, wird es von Ivy und Portman als der anabole Muskelregler bezeichnet. Insulin ist das wichtigste Hormon, um die Muskelkraft und Muskelmasse ansteigen zu lassen. Diesen Stellenwert hat Insulin auch im Nutrient Timing System. Funktionen, welche Insulin erfüllt: Insulin fördert die Proteinsynthese Insulin fördert den Aminosäuretransport in die Muskelzelle 23.02.2012 13:24 Uhr Das Nutrient Timing System von Ivy und Portman Insulin verhindert den Proteinabbau Insulin steigert die Glukoseaufnahme in der Muskelzelle Insulin fördert die Muskelglykogenresynthese Insulin unterdrückt die Cortisolfreisetzung Insulin fördert die Muskeldurchblutung Entgegen der landläufigen Meinung ist Insulin das wirkungsvollste anabole Hormon. Es ist das wichtigste im Hinblick auf das Muskelwachstum. Wenn zu viele Kohlenhydrate verzehrt werden, fördert Insulin allerdings den Aufbau von Fettreserven. Man muss also die Essmenge sowie den richtigen Verzehrzeitpunkt nutzen, um optimal von der natürlichen Wirkung der Hormone zu profitieren. 12.6 Ziele des NTS in der Energiephase In der Energiephase, also während der Belastung in Training und/oder Wettkampf, sind die wichtigsten Ziele: 1. Nährstoffmaterial für die Muskel liefern und Muskelglykogen sowie Protein einsparen, 2. die Immunsystemsuppression begrenzen, 3. Muskelzerstörung begrenzen, 4. die Voraussetzungen schaffen, um sich nach der Belastung schneller zu erholen. Tabelle 62 zeigt, welche physiologischen und metabolischen Veränderungen während intensiver Bewegung auftreten. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei einem Krafttraining die Zufuhr einer Kombination aus Kohlenhydraten und Proteinen folgende Vorteile brachten: das Muskelprotein wurde geschützt, die Proteinsynthese stieg an Seite 202 12_Nutrient Timing System.qxp:Optimale Sporternaehrung_3. Auflage 2012 Ernährungsempfehlungen für NTS in der Energiephase Parameter Veränderung ATP Level entleert Muskelglykogenspeicher teilweise entleert Cortisolspiegel steigt an Insulinspiegel steigt an Muskeldurchblutung steigt an Proteinabbau steigt an Muskelzerstörung steigt an Immunsystem unterdrückt Flüssigkeitsverlust steigt an akute entzündliche Antwort wird stimuliert Tab. 62: Physiologische und metabolische Veränderungen während intensiver Belastung (Ivy und Portman 2004). und sogar die Ausdauerleistung verbesserte sich. Wenn zu Beginn einer körperlichen Belastung ein Kohlenhydrat-Proteingemisch konsumiert wird, kommt es sogar unmittelbar nach Belastungsende zu einer Proteinsynthese. Untersuchungen der Universität Texas (vgl. Ivy 2003) ergaben, dass eine Ausdauerbelastung mit einem Kohlenhydrat-Proteingemisch länger aufrechterhalten werden konnte als mit einem konventionellen Kohlenhydratgetränk. Während sehr intensiver körperlicher Belastung wird das menschliche Immunsystem unterdrückt, und die Gefahr von Infektionen steigt an. Mit steigender Belastungsintensität steigt der Cortisolspiegel im Blut an. Cortisol senkt die Konzentration und Aktivitäten vieler wichtiger Immunzellen, welche Infektionen bekämpfen. Interessanterweise lässt sich der Blutcortisolspiegel senken, wenn Glukose während der Belastung substituiert wird. 23.02.2012 13:24 Uhr 203 Insofern ist es auch wichtig zu wissen, dass im Kraftbereich eine bestimmte Menge an Kohlenhydraten ratsam ist, um keine Infektion zu bekommen. Ein weiterer wichtiger Punkt beim NTS ist, dass die Muskelbeschädigung reduziert werden kann. Bis zu einem gewissen Grad ist diese Zerstörung nützlich, denn sie stimuliert den Wiederaufbauprozess, der zu größerer Muskelmasse und stärkeren Muskeln führt. Kohlenhydratsupplementation während der Belastung reduziert den Cortisolanstieg und wirkt dadurch einer Entzündung entgegen. Supplementation durch die Antioxidantien Vitamin E, Vitamin C sowie die verzweigtkettigen Aminosäuren kann ebenfalls der Muskelschädigung entgegenwirken. Um positive Veränderungen im Muskel zu bewirken, ist ein bestimmtes Maß an Belastungsumfang und Belastungsintensität notwendig. Wenn man jedoch ohne entsprechende Nährstoffzufuhr hart trainiert, führt das zu einer längeren Erholung und zu einer schwächeren Trainingsanpassung. Die Entleerung der Energiespeicher sowie die Muskelbeschädigung lässt sich allerdings auch durch Ernährung nicht vollkommen verhindern. Wenn während der Belastung bestimmte Proteine zugeführt werden, so verhindern diese, dass Muskelprotein abgebaut wird, ähnlich wie Kohlenhydrate den Abbau von Muskelglykogen verhindern. Die Wiederauffüllung der Muskelspeicher erfolgt umso schneller, je mehr gegen die Entleerung während der Belastung unternommen wurde. Seite 203