Wenn die Seele durch den Körper spricht

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DEUTSCHLANDFUNK -Köln
im DeutschlandRadio
Redaktion Hintergrund Kultur
Ulrike Bajohr
Tel. (0221) 345 1503
Dossier
Wenn die Seele durch den Körper spricht
Psychosomatiosche Störungen
Von Burkhard Reinartz
Sprecher:
O-Ton / Atmo / Musik
Regie:
URHEBERRECHTLICHER HINWEIS
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 DeutschlandRadio
Sendung: Freitag, d. 29. September 2006, 19.15 - 20.00 Uhr
Musik 1: John Zorn: Filmworks II: The Building ab 0.20 unter Mann
Mann:
Ich hatte mich so gut auf die Prüfung vorbereitet. Gestern Abend bin ich mit Achim den
Stoff nochmal durchgegangen.
Heute morgen war alles wie weggeblasen.
1
Ich war nervös, hab geschwitzt, herumgestottert, konnte die einfachsten Antworten nicht
mehr abrufen.
Zitator: von weiter weg
Und was versteht man unter einem Gallensäureverlustsyndrom?
Mann:
Totaler Black-Out. Und das zum zweiten Mal.
Im letzten Semester bin ich schon mal durchgefallen.
Musik aus
Erzählerin:
Viele Menschen kennen diese Erfahrung: Unter Prüfungsstress versagt das Gedächtnis.
Es wird einem heiß und die Wahrnehmung verschwimmt.
In Stresssituationen stoßen die Drüsen der Nebenniere das Stresshormon Kortisol aus.
Über den Blutkreislauf gelangt es ins Gehirn. Es schwächt das Gedächtnis und versetzt
den gesamten Körper in Aufruhr. Das kann Angst machen und zu einem Teufelskreis
des Versagens führen. Derartige Stresskaskaden zeigen, wie eng geistig-psychische
Prozesse mit biologisch- körperlichen Prozessen zusammenhängen und sich
wechselseitig bedingen. Die Erkenntnis mehrt sich, dass Gedanken, Gefühle und
Glaubenssrukturen die Gesundheit des Körpers beinflussen können. Und bildet die
Grundlage einer medizinischen Haltung, deren Wurzeln in unserer Kultur bis zur Antike
reichen:
Zitator:
Willst du den Körper heilen, musst du zuerst die Seele heilen
Platon
Musik 2: Alexandra Naumann/Dietmar Fuhr: Drei Könige
Mann:
Wenn die Seele durch den Körper spricht - Psychosomatische Störungen
Zitator:
Ein Feature von Burkhard Reinartz
Musik aus
2
Erzählerin:
Das Wort Psychosomatik besteht aus den griechischen Worten Psyche - gleich Seele und soma - gleich Körper. Es bezeichnet das Wechselspiel von körperlichen und
seelischen Vorgängen, insbesondere in Bezug auf das Entstehen und den Verlauf von
Krankheiten. Psychosomatisch zu reagieren, ist erst einmal eine gesunde
Reaktionsweise. Jedes Gefühl führt zu körperlichen Reaktionen und jede körperliche
Reaktion löst Gefühle auf. Schon der Begriff Emotion zeigt die dynamische Seite des
Geschehens: Emotion heißt Herausbewegung. Ein intensives seelisches Erleben drückt
sich nach außen aus: in den Körper und eventuell in die ihn umgebende Umwelt. So
führt Angst entweder zur inneren Erstarrung, zu einem Fluchtimpuls oder als Flucht
nach vorn zur Aggression. Redewendungen der Alltagssprache zeigen den engen
Zusammenhang von Seele und Körper:
Mann:
Mein Hals war wie zugeschnürt
Zitator.
Da bleibt mit die Luft weg.
Mann:
Ihre Bemerkung lag mir wie ein Kloß im Magen.
Zitator:
Die Haare standen mir vor Angst zu Berge
Erzählerin:
Seele und Körper, Psycho - Somatik. - Der Begriff der Seele hat eine lange und
kontroverse Geschichte. Seine verschiedenen Deutungen in Philosophie, Religion und
Psychologie führten zu teilweise erbitterten Auseinandersetzungen. Die Urfrage, wie
Körper und Geist genau miteinander verwoben sind, ist bis heute ungeklärt. Auch beim
Entstehen von Krankheiten wird die Wechselwirkung von seelischen und körperlichen
Bedingungen unterschiedlich gesehen. Hippokrates, der altgriechische Arzt, vermutete,
dass Gefühle ein Organ regelrecht beherrschen können: Bei Ärger und Wut
kontrahieren Herz, Darm und Magen, bei Freude erweitern sich die Organe.
Die Einheit von Seele und Körper war in der Antike die vorherrschende Sichtweise.
Platon berichtete über die Behandlungsweise der hippokratischen Ärzte:
3
Zitator: unter Cellostrich
So wie man nicht unternehmen dürfe, die Augen zu heilen ohne den Kopf noch den
Kopf ohne den ganzen Leib, so auch nicht den Leib ohne die Seele. Denn alles
entspränge aus der Seele, Böses und Gutes, dem Leibe und dem ganzen Menschen
und ströme ihm von dorther zu.
Erzählerin: start Musik 3
Im Mittelalter vertrat die Kirche die radikale Trennung von Leib und Seele und später, im
siebzehnten Jahrhundert war es der französiche Philosoph, René Decartes , der den
unheilvollen Dualismus von Körper und Seele begründete. Im neunzehnten
Jahrhunderte verschärfte sich die Abwertung der Seele - nicht zuletzt durch die
Fortschritte der Medizin. Durch die Entdeckung der bakteriellen und viralen
Krankheitserreger entstand ein neues Bild von Krankheit: Krankheit als Schlachtfeld.
Der gegnerische Angriff erfolgt grundsätzlich von Außen. Therapie: Vernichtung von
Viren, Bakterien, defekten Zellen.
Musik 3: John Zorn: Filmworks II: Meatlocker, track 6. start unter Erzählerin, bei 0.37 kurz
frei und aus
Erzählerin:
Der Verdacht, Krankheit könne auch etwas mit einem selber zu tun haben, wurde in der
Neuzeit erst im Zuge der aufkommenden Psychoanalyse laut. Pikanterweise verweisen
gerade die neuesten Erkenntnisse der Naturwissenschaft, besonders der Hirnforschung,
auf den seelischen Hintergrund vieler Krankheiten: Jeder Gedanke, jedes Gefühl
verändert das biochemische Gleichgewicht des Körpers. Und beeinflusst die Funktion
jeder einzelnen Zelle. Destruktive Überzeugungen und negative Denkstrukturen können
die Heilung kranker Menschen behindern.
O-Ton 1 a Karl Köhle
56 22 S. Es können natürlich auch Denkstrukturen in der Wissenschaft dazu beitragen.
Erzählerin:
Karl Köhle, Professor für medizinische Psychotherapie,Köln.
O-Ton 1 b Karl Köhle
Seit Descartes war die Entwicklung der Medizin ja deshalb so erfolgreich, weil sie
reduktionistisch vorgegangen war, das heißt, bestimmte Phänomene aussortiert wurden.
4
Das war ein bisschen wie beim Zauberkünstler, der vor aller Augen Teile der Wirklichkeit
verschwinden lassen kann. So ist es auch in der Medizin gegangen, dass man die
seelischen Phänomene im gewissen Sinn außen vor gelassen hat, die Phänomene
gegliedert hat in solche, die man mit bestimmten Methoden der exakten Naturwissenschaft
nach bestimmten Modellen der Technik in den Binnenraum der wissenschaftlichen
Medizin aufgenommen hat und alles andere ist außen vorgeblieben, war nicht mehr
sichtbar, wurde nicht mehr bezeichnet und hat man dafür einen blinden Fleck entwickelt,
Zitator: unter Cellostrich !
Ich habe tausend Körper seziert, aber eine Seele habe ich nie gefunden
Rudolf Virchow
Erzählerin:
Solche simplen Vorstellungen, welche die Seele als lokalisierbares Phänomen dingfest
machen wollen, gehören der Vergangenheit an.
O-Ton 2 Karl Köhle
58/59 Die moderne Hirnforschung mit Hilfe der bildgebenden Verfahren zeigt tatsächlich,
wie eng Körper und Seele oder zumindest die körperlichen Voraussetzungen oder Anteile
der seelischen Prozesse miteinander verbunden sind.
Erzählerin:
Der Begriff der Seele kommt in den Naturwissenschaften heute kaum noch vor.
Wegen seines metaphysischen Beigeschmacks wurde er durch Psyche ersetzt . Doch
auch in Zeiten von Nanotechnologie und Hirnforschung haben Menschen die Tendenz,
ihr inneres Erleben mit dem alten Bild der Seele zu umschreiben. Die Seele gilt auch im
21. Jahrhundert als Inbegriff der geistigen Innenausstattung eines Menschen, als
individuelles Spektrum von Gedanken, Empfindungen und Gefühlen.
Professor Christian Albus, Leiter der Psychosomatischen Abteilung der Uniklinik Köln:
O-Ton 3 Christian Albus:
37 Der Begriff der Seele, verstanden als gewissermaßen andere Seite des Körpers, ist
keineswegs veraltet, sondern ist letztlich Ausdruck unseres Menschseins. Das Seelische
ist im Körperlichen verankert, 38 es schwebt nicht unabhängig von ihm, aber was
faszinierend ist, dass das Seelische eben nicht nur platter Ausfluss und Konsequenz des
Körperlichen ist, sondern seinerseits auch wieder Rückwirkungen hat.
5
Erzählerin:
Es war Sigmund Freud, der an der Wende zum 20. Jahrhundert die Frage stellte, wie
der rätselhafte Sprung vom Psychischen ins Körperliche geschieht. Mit dem Modell der
"Konversion” zeigte er , dass sich psychische Spannungen in körperliche Symptome
"konvertieren”, sprich umwandeln können. 1950 vermutete der Arzt und
Psychoanalytiker Franz Alexander: Seelische Konflikte wie der nach liebevollem
Umsorgtwerden und dem gleichzeitigem Drang nach Unabhängikeit führen zur
Übererregung des vegetativen Nervensystems, was sich zum Beispiel in
Verdauungsstörungen niederschlägt. Alexander entwickelte für sieben typische
psychosomatische Störungen wie Reizdarm oder Neurodermitis seelische
Entsprechungen. Inzwischen gilt die Auffassung als überholt, dass Patienten mit den
selben körperlichen Beschwerden auch seelisch gleich wären. Der
aggressionsgehemmte Migränetyp, der liebessüchtige Magenkranke sind falsche
Verkürzungen. Körper und Seele sind unendlich feiner verwoben als die alten
psychosomatischen Konzepte annahmen.
Musik 4: Louis Sclavis: Dia, dia 18 Sek frei und aus
Zitator:
Stell dich nicht so an, alles Einbildung!
Zweimal die Woche joggen und deine Hirngespinste sind wie weggeblasen! "
Erzählerin:
Das sind Sätze, die Bodo M. nicht mehr hören kann.
Musik 5: John Zorn: Filmworks II: The Building, track 5, unter Mann
Mann:
Die Leute haben keine Ahnung, wie ich mich fühle.
Ich bilde mir meine Schmerzen nicht ein. Die Enge in der Brust. Der Schwindel und das
Herzrasen. Manchmal, besonders nachts, kommt die Angst: Jetzt ist es vorbei.
Ich bin doch erst fünfundvierzig.
Irgendwie weiß ich auch, dass meine Ängste übertrieben sind. Aber bei jedem fremdem
Körpersignal ist mein erster Gedanke immer der drohende Tod.
Erzählerin:
6
Bodo M. ist kein Woody Allen oder Harald Schmidt, die mit ihren Krankheitsängsten und
kleinen Wehwehchen kokettieren und beim Publikum für Lachsalven sorgen. Menschen
wie Bodo M. leiden unter einer schweren hypochondrischen Störung. Sie bilden sich ihre
Symptome nicht ein, sondern empfinden sie ganz real. Der Ausdruck Hypochondrie
kommt aus dem griechischen und bedeutet: unter den Rippen, dort wo das subjektive
Gefühlszentrum lokalisiert ist.
O-Ton 4 Michael Schonnebeck
33 Der Hypochonder ist ein zutiefst innerlich verängstigter, aufgescheuchter Mensch, der
von Babyzeiten an, es nicht gut gelernt hat, zur Ruhe zu kommen, Vertrauen zu
entwickeln und vor allem die Körpersignale nicht als störend, irritierend und ängstigend zu
erleben.
Sprecherin:
weiß Michael Schonnebeck, Oberarzt und Psychiater an der Röher Park-Klinik bei
Aachen. Die medizinische Forschung wollte lange Zeit mit Hypochondern wenig zu tun
haben. Schließlich gab es sie seit der Antike in allen Kulturkreisen. Im achtzehnten
Jahrhundert galt die Hypochondrie als Modekrankheit exzentrischer Künstler. Erst im
Zuge der explodierenden Gesundheitskosten nehmen Mediziner die Krankheit wirklich
ernst. Hypochonder verursachen durch die Vielzahl ihrer Arztbesuche in Schnitt fast
zehnmal höhere Behandlungskosten als "Normalkranke". Doch wo beginnt Krankheit
und wo handelt es sich um körperliche Beschwerden, die jeder Gesunde im Laufe
seines Lebens erlebt? Wenn es irgendwo im Darm rumort oder im Brustraum sticht, sind
die meisten Menschen verunsichert. Solche Irritationen sind ganz normal, sagt Winfried
Rief. Gefährlich wird es dann, wenn Menschen sich in die Angst hineinsteigern,
lebensgefährlich krank zu sein.
O-Ton 6 Winfried Rief
1.02 Der Körper sendet permanent Signale an den Kopf und die meisten der Signale
nehmen wir gar nicht wahr, die werden herausgefiltert. Wenn Sie auf einem Stuhl sitzen,
dann spüren sie ja üblicherweise nicht die Druckstellen oder wenn man aufsteht nach nem
längeren Sitzen hat man manchmal nen leichten Schwindel, der einem gar nicht richtig ins
Bewusstsein gerät. Aber bei Menschen mit Hypochondrie ist dieser Filterprozess gestört.
Sodass alle möglichen, sonst weniger relevanten Signale zum Gehirn durchkommen und
als bewusstes und intensives Signal wahrgenommen werden und damit die Betroffenen
stark verunsichern.
Musik 6: Louis Sclavis: La fuite unter Mann
7
Mann:
Ich habe Angst, dass in meinem Körper etwas vor sich hinwächst, das man zu spät
erkennt; eine Geschwulst, etwas, das mich irgendwann vernichtet.
Jedes Jahr lass ich mich komplett durchchecken. Blutbild, die Organe, alles, was
machbar ist. Wenn ich in die Praxis komme, gucken mich die Frauen an der Rezeption
schon so merkwürdig an.
Seit Ostern ist es besonders schlimm. Ich habe so einen Druck im Kopf.
Keine Kopfschmerzen, eher ein langsames Ziehen, als würde mir jemand mit einem
Magneten über den Kopf streichen. Hoffentlich ist es kein Tumor...
O-Ton 7 Mechthild Kütemeyer
12 Sie lauern ja direkt auf jedes Kleine, Normale - es wird einem mal ein bisschen heiß
oder es gluckert etwas im Bauch - und das wird hellhörigst aufgegriffen. Da greift
sozusagen das Grundproblem dieses Gluckern auf und macht daraus gleich eine schwere
Krankheit.
Erzählerin:
Mechthilde Kütemeyer hat zwanzig Jahre lang die psychosomatische Abteilung des
Kölner St. Agatha-Hospitals geleitet. Sie weiß, dass hypochondrische Patienten auch für
die Ärzte oft eine Provokation sind.
O-Ton 8 Mechthild Kütemeyer
5 Das ist ja für die Medizin die Schwierigkeit, dieses Gefühl, was ein ganz intensives
Körperbedrohungsgefühl ist, als real zu nehmen, obwohl man nichts sieht. 13 6 S Und das
ist für ihn schwer auszuhalten, nicht Angst zu kriegen: ich übersehe da doch was.
Musik 7: Michael Galasso: Crossing colours unter Mann
Mann:
"Sie können erleichtert sein. Nach den ersten Untersuchungen ist es höchst
wahrscheinlich, dass sie keinen Krebs haben!" hat mein Hausarzt gerade gesagt.
Was meint er mit: "höchst wahrscheinlich?" Das heißt doch: es ist nicht ausgeschlossen,
dass ich Krebs haben könnte. Warum spricht er von höchst wahrscheinlich?
Traut er sich nicht, mir offen zu sagen, dass es doch was bösartiges sein könnte?
O-Ton 9 Michael Schonnebeck
8
36 Das ist eine typische Situation und da tut mir der Patient auch erst mal leid.
37 Da hätte man sich dann doch gewünscht, dass noch mal nachgefragt wird, wie es ihm
damit geht und möglicherweise hätte der Patient dann gesagt: "Na ja Sie haben "höchst
wahrscheinlich" gesagt, was ist denn nicht so wahrscheinlich. Und da hätte der Doktor
noch etwas ergänzen können. Da fehlen noch eins, zwei Werte, deshalb hab ich nicht von
absoluter Sicherheit sprechen können. Die werden in den nächsten Tagen kommen. Ich
bin da ganz zuversichtlich.
Erzählerin:
Je drängender die Angst, desto häufiger gehen die Menschen zum Arzt. Findet sich
keine organische Diagnose, beginnt häufig ein Teufelskreis, der Ärzte zur Verzweiflung
treibt, Patienten unnötig belastet und am Ende das Gesundheitssystem Unsummen
kostet. Winfried Rief hat herausgefunden, dass Hypochonder bis zu 30 mal im Jahr
einen Arzt besuchen, einige bis zu hundertmal. In Sachen Gesundheitsangst und
Arztbesuche sind wir in Europa Spitzenreiter: Deutsche besuchen fast doppelt so häufig
einen Arzt wie Franzosen, Niederländer, Schweden oder Dänen.
Musik 8: Louis Sclavis: Mauvais Reve unter Mann
Mann:
"Lieber Herr Berger", hat der Doktor gesagt. "Ich kann sie erleichtern: sie haben nichts."
Was meint er mit "Sie haben nichts". Hält der mich für einen Simulanten?
Nur weil er nichts findet, erklärt er mich für gesund.
Begreift der nicht, dass ich unerträgliche Schmerzen habe?
Ich muss sofort einen kompetenten Facharzt finden, der mich versteht.
O-Ton 10 Winfried Rief
8.05 Der Moment der Entwertung der eigenen Wahrnehmung, das ist etwas, was wir ganz
schlecht aushalten können. Aber genau das ist, wenn der Arzt zu ihm sagt: sie haben
nichts, weil er ja ganz intensiv etwas spürt. Durch eine solche Aussage wird der
Hypochonder enttäuscht sein und darin keine Hilfe sehen.
Mann:
"Stell mir endlich eine Diagnose",
Erzählerin:
denkt der Patient, und der Arzt denkt:
9
Zitator:
"Glaub mir endlich, dass ich dich ordentlich untersucht habe".
Erzählerin:
Dieses Dilemma versucht der Patient oft durch einen Arztwechsel zu lösen, dem
sogenannten "Doktor-Hopping". Beim nächsten Arzt beginnt das Drama von vorn. In
Skandinavien wird dieser Teufelskreis schneller durchbrochen. Die Ärzte sind
miteinander vernetzt und stimmen ihre Strategie für die einzelnen Patienten besser ab.
Michael Schonnebeck:
O-Ton 11 Michael Schonnebeck
25 Das ist ja das, was bei Hypochondern so anstrengend ist: permanent treten sie in
Kontakt mit dritten, mit medizinisch-ärztlichen Autoritäten und sagen, ist das noch in
Ordnung? Es gibt keine Selbstberuhigung. Es muss immer eine Außenberuhigung
passieren.
Erzählerin:
Ein bis zwei Prozent aller Patienten, die zum Hausarzt kommen, sind von dieser
schwersten Krankheitsangst betroffen. Die Anzahl der sogenannten somatoformen
Störungen ist weitaus höher. Gemeint sind Menschen, die psychisch bedingte
körperliche Beschwerden haben. Was heute fast auf jeden zweiten Patienten zutrifft.
Auch diese Menschen neigen zu starker Selbstbeobachtung und Krankheitsängsten.
Im Unterschied zu Hypochondern können sie sich aber besser selbst beruhigen. Auch
bedrängen ihre Ängste sie nur phasenweise. Beim Hypochonder steht dagegen die
ständige Angst vor einer tot bringenden Krankheit im Zentrum seiner Not.
Musik 9: Michael Galasso: Crossing colours ab 0.24 weiter unter Erzählerin
Erzählerin:
Jede Fachdisziplin kennt inzwischen ihre eigene psychosomatische Störung:
die Internisten den Reizdarm, die Urologen die Reizblase. Beim Gynäkologen ist es der
chronische Unterbauchschmerz. Die Ursachen dieser Störungen sind noch nicht
eindeutig bestimmt. Manche Menschen reagieren auf Reize relativ träge, andere sehr
empfindlich. Studien legen nahe, dass neben genetischen Prägungen frühkindliche
Erfahrungen einen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob Menschen mit ihren
Körpersignalen entspannt umgehen können.
Musik aus
10
O-Ton 12 Michael Schonnebeck
22 Bei Menschen mit hypochondrischen Störungen ist das nicht so ganz gelungen. Da
werden dann vielleicht von einer Mutter, die selbst sehr besorgt ist oder unsicher Signale
überbewertet. Das Kind erlebt dann, dass die Mutter erschrickt. Es erschrickt dann noch
mehr, sone kleine Kaskade. Wenn man diese Kaskaden oft ungünstig einübt, dann gibt es
Bahnungen, Prägungen, die ziehen sich dann so durch.
O-Ton 13 Winfried Rief
3.30 Wir wissen, dass bei vielen Personen mit späterer Hypochondrie Krankheit bereits in
der Kindheit ein wichtiges Thema in der Familie war, weil zum Beispiel ein
Geschwisterkind oder ein Elternteil eine schwere körperliche Krankheit hatte.
Erzählerin:
Eltern sollten ihren Kindern einen möglichst gelassenen Umgang mit Krankheiten
vorleben, empfiehlt Winfried Rief. Es stärkt das Vertrauen in den eigenen Körper, wenn
Eltern dem Kind zu vermitteln, dass viele körperliche Beschwerden auch ausgehalten
werden können und wieder von allein vergehen. Nicht bei jeder Erkältung muss gleich
der Hausarzt gerufen werden.
O-Ton 14 Winfried Rief
5. 10 Das Sinnvolle bei Körperbeschwerden ist also zu lernen, auch ein bisschen
abwarten zu können, aber wichtige Signale nicht zu übersehen.
Erzählerin:
Michael Schonnebeck hat etliche Patienten behandelt, deren Ängste sich nicht auf den
Angriff feindlicher Viren oder Bakterien von außen beziehen. Für sie ist die Richtung,
aus der die Krankheit kommt, noch bedrohlicher:
O-Ton Michael 15 Michael Schonnebeck
24 8 S Der Feind sitzt innen. Der Körper ist dann keine Quelle von Lust und Orientierung
und Befriedigung, sondern er ist ein dunkler Kontinent, aus dem immer wieder Signale
hervorbrechen, die irritieren, die erschrecken, die wie eine Katastrophe wirken, sodass er
das permanent kontrollieren muss, beobachten muss und sich auch immer rückversichern
muss.
Musik 10: Louis Sclavis: Le travail unter Mann
Mann:
11
"Haben Sie schon mal dran gedacht, sich von einem Psychotherapeuten helfen zu
lassen?" hat mich mein Hausarzt gefragt.
Ich hatte ihn gerade um eine neue Überweisung zum Gasteroenterologen gebeten.
"Ich bin doch nicht depressiv oder sonst wie gestört!" hab ich geantwortet.
"Ich hab seit Monaten Bauchkrämpfe und Blähungen, manchmal fünfmal am Tag
Durchfall."
Erzählerin:
Für den Arzt ist das der schwierigste Schritt bei der Behandlung psychosomatischer
Störungen: Den Patienten so anzusprechen, dass dieser seine Fixierung auf körperliche
Beschwerden lockern kann und bereit ist, anders auf seine Krankheit zu schauen. Dem
Patienten nahe bringen, dass die Signale seines Körpers auch eine Hilfe sind, um zu
verstehen, was in seinem Leben quer läuft.
O-Ton 16 Michael Schonnebeck
26 Wenn man sich auf diese Ebene einlässt, die der Patient gewählt hat, nämlich, die der
Körpersprache, wenn man das symbolisch wertschätzend aufgreift, dann kann man das
erfreuliche Erleben haben, dass die Patienten plötzlich ruhiger werden.
Erzählerin:
Es kann Jahre dauern bis Hypochonder und Menschen mit anderen psychosomatischen
Störungen erkennen, dass ihr Leiden keine körperlichen Ursachen hat, sondern in der
Psyche angesiedelt ist. Der richtige Ansprechpartner ist letztlich nicht der OrganMediziner, sondern der Psychotherapeut. Oft vergehen Jahre von der Ersterkrankung
bis zum Beginn einer Therapie, auch weil viele Hausärzte die seelische Ursache der
Leiden erst spät erkennen. Knapp acht Minuten nimmt sich der deutsche Hausarzt im
Schnitt seiner Patienten an. Karl Köhle:
O-Ton 17 Karl Köhle
51 19 Ein Hausarzt, der seine Patienten ganzheitlich untersuchen möchte, wird seinen
Patienten zunächst mal gut zuhören und seine Klagen, seine Beschwerden vortragen
lassen. 52 Es wurde lange angenommen, dass Patienten das gar nicht mitteilen, gar nicht
ausdrücken können, aber wenn man dann Tonbandaufnahmen von solchen Gesprächen
mit Ärzten gemacht hat, hat sich gezeigt, dass sie durchaus Signale aussenden, aber dass
sie von den Ärzten nicht erkannt oder aufgegriffen werden.
Erzählerin:
12
Das Bewusstsein für den Zusammenhang von Körper und Seele fehlt bei vielen Ärzten
noch immer, weiß die Hautärztin Christina Hecker aus eigener Erfahrung. Das
Psychische wird zur Restkategorie, wenn die körperlichen Untersuchungen keine
Ursache der Beschwerden ergeben.
O-Ton 18 Christina Hecker
11 Es ist so, dass man in der niedergelassenen Praxis sehr wenig Zeit hat und ständig
unter Zeitdruck ist und möchte so viele Informationen so schnell wie möglich aus den
Patienten herausholen. Also fragt man nach dem Schema wie man es in der somatischen
Medizin gelernt hat, die Patienten ab: Wie lange geht das schon? Was haben sie dagegen
gemacht?
Erzählerin:
Die seelischen oder sozialen Hintergründe der jeweiligen Erkrankung fallen bei dieser
Vorgehensweise oft durch das Diagnoseraster. Dabei haben gerade Hauterkrankungen
eine starke psychosomatische Seite.
O-Ton 19 Christina Hecker
17 Kopfhauptprobleme sind ein typisches Beispiel - in Form von Schuppung, Juckreiz,
Rötung. Wenn man unerfahren ist, ist man geneigt an Allergie zu denken und macht dann
etliche Teste, die dann kein Ergebnis bringen und inzwischen frag ich nicht mehr: "Haben
Sie Stress?", sondern: was haben Sie für Stress oder seelische Spannungen? Dann
kommt die Geschichte sofort.
Zitator: unter Cellostrich
Nicht die Tabletten oder die Flasche Medizin sind ausschlaggebend.
Das wichtigste Heilmittel ist der Arzt selbst.
Michael Balint
Erzählerin:
Für Michael Balint, einer der Pioniere der Psychosomatik, war es eine zentrale ärztliche
Aufgabe, die hinter den Symptomen wirkenden inneren Konflikte und sozialen
Spannungen wahrzunehmen und sensibel aufzuzeigen. Seit Christina Hecker an
Fortbildungen in "psychosomatischer Grundversorgung" teilgenommen hat, hat sich ihr
Verhältnis zu ihren Patienten gewandelt. Sie gibt mehr - Zeit und Zuwendung - bekommt
allerdings auch mehr zurück. Was die Ärztin inzwischen praktiziert, galt für Paracelsus
von Hohenheim schon im 15. Jahrhundert als wichtigstes Heilmittel: die einfühlsame
Beziehung zwischen Arzt und Patient: Beziehungsmedizin
13
Zitator:
unter Cellostrich
Der höchste Grunt der Arzney ist die Liebe
O-Ton 20 Christina Hecker
22 Heute war eine Patientin bei mir zur Operation. Und es war eine kleine Operation, ein
harmloses kleines Hautkrebschen. Hab ich ihr erklärt, dass es nicht gefährliches ist, aber
sie hatte eben Angst. Und früher, vor diesem Kurs, hätt ich bestimmt gesagt; "Sie
brauchen aber keine Angst zu haben", hätt ich das abgewiegelt. Jetzt habe ich aber
verstanden, die Angst ist ja nicht grundlos da, hab sie gefragt, woher das kommt, ob sie
früher schlimmes erlebt hat. Sie hatte ein Bein gebrochen und wurde einfach in nem
Krankenhaus sechs Wochen liegengelassen und fühlte sich furchtbar hilflos damals und
hatte große Angst und das wird eben wiederbelebt in solchen Situationen. Ich hab dann
gesagt: "das kann ich aber gut verstehen, das war ja eine schlimme Situation damals".
Und da hat sie geweint und gesagt: "Ja, genauso ist es." Und hinter her war die Situation
gelöst. Früher hätt ich da auch hart reagiert und gesagt: Was soll denn das?
Musik 11: Nik Bärtsch's Ronin: Modul 33
Erzählerin:
Hypochonder und Menschen mit anderen psychosomatischen Störungen brauchen
Hilfe, in der Einfühlung und Abgrenzung stimmig ausbalanciert sind. Oft ist es sinnvoll,
wenn der Arzt dem Wunsch des Patienten nach immer neuen Untersuchungen nicht
nachgibt.
Musik aus
O-Ton 21 Michael Schonnebeck
42 5 S Patienten, die schon zehn Darmspiegelungen gemacht haben oder sich schon so
und so oft mit Röntgenstrahlen haben beschießen lassen um noch irgendwelche
verborgenen Winkel des Körpers zu durchleuchten, da sag ich, ich möchte das nicht.
Musik 12: Louis Sclavis: La fuite unter Mann
Mann:
Ich weiß noch genau, wie mich der Notarztwagen nachts mit Blaulicht in die nächste
Klinik fuhr.
Das Herzrasen, der Angstschweiß, das Ziehen im linken Arm. Mir war kalt und heiß
zugleich. Todsicher ein Herzinfarkt, hab ich gedacht
14
Eine Nacht haben sie mich auf der Intensivstation behalten Dann ging's nach Hause.
"Alles nur psychisch" sagte der junge Assistenzarzt am anderen Morgen.
Wie der mich angeschaut hat....
Erzählerin:
Das Verhältnis der Menschen zu ihren Körpersignalen zeigt ein paradoxes
Missverhältnis: Die einen Patienten kommen zu oft, die anderen zu spät. So kennen die
meisten Laien die Zeichen eines Herzinfarkts - dennoch wartet die Hälfte aller Patienten
mit typischen Symptomen viel zu lange, bis sie den Notarzt ruft. Anderen fehlt dagegen
die gesunde Geduld, bei den ersten Anzeichen einer körperlichen Störung, erst einmal
abzuwarten. Es ist schon merkwürdig:
O-Ton 22 Winfried Rief
13.40 Je mehr die Versorgung sich verbessert, je genauer unsere Meßmethoden werden,
desto kränker fühlen die Menschen sich. Man könnte meinen, wir haben doch die beste
Gesundheitsversorgung und eigentlich müssten wir uns doch aufgehoben fühlen, aber
subjektiv ist offensichtlich das Gegenteil der Fall. 8.00 Vor hundert Jahren waren das oft
psychogene Krampfanfälle, die medizinisch nicht erklärt werden konnten, heute sind das
mehr Schmerzsymptome, Erschöpfungssyndrome - gerade in der westlichen Welt.
Erzählerin:
Schmerzen und seelisch-körperliche Missempfindungen sind nichts objektivierbares,
sondern eng an die subjektive Wahrnehmung gekoppelt.
O-Ton 23 Christian Albus:
14 Der Volksmund sagt ja schon: "Das hat mir weh getan". Und meint aber eigentlich gar
nicht körperlichen Schmerz, sondern seelischen Schmerz. Gleichzeitig liegt schon in der
Formulierung "Das hat mir weh getan" ein recht passendes Modell, warum manche
Menschen seelische Schmerzen als körperliche Schmerzen wahrnehmen, man vielleicht
sogar sagen kann, dass die Wahrnehmung von körperlichem Schmerz immer noch in
Anführungsstrichen besser ist als die Wahrnehmung von seelischem Schmerz, weil es
dann umgeleitet werden kann in eine hektische Ursachensuche.
Erzählerin:
Christian Albus, Uniklinik Köln, Direktor der Psychosomatischen Abteilung
O-Ton 24 Christian Albus:
15
14 10 S : Da muss doch was, sein. Warum hab ich denn so Schmerzen und dann beginnt
sehr häufig so eine über viele, viele Stationen laufende Suche nach Hilfe. 15 Die Hilfe wird
natürlich nicht effektiv sein, wenn sie sich nur auf den körperlichen Schmerz bezieht, weil
die subjektive Schmerzwahrnehmung letztlich Ausdruck einer seelischen
Schmerzproblematik ist.
Musik 13: John Zorn: Filmworks II: The Building, unter Mann
Mann:
Ich erinnere mich genau an diesen Teil meiner Kindheit. Als stände keine Zeit zwischen
mir, dem 48jährigen, und dem damals dreizehnjährigen Jungen.
Ich kann den Ausdruck in den Augen meiner Mutter heute noch exakt abrufen.
Vier Wochen lang hat sie nicht mit mir geredet. Aber dafür geschaut.
Mit einem Blick, der mich erfrieren ließ. Der lebende Vorwurf.
Wenn ich daran denke, zieht sich mir heute noch der Magen zusammen.
O-Ton 25 Christian Albus:
16 Zum Verständnis von Schmerz ist ja von zentraler Bedeutung, dass Schmerz immer
subjektiv ist. Und wenn er im kleinen Zeh ist, ist Schmerz immer, wie er wahrgenommen
wird im Gehirn und nicht im Zeh. Selbst wenn eine Verletzung im Zeh vorliegt, kann die
Intensität des Schmerzes sehr sehr unterschiedlich sein.
Erzählerin:
Amerikanische Wissenschaftler haben nachgewiesen: buddhistische Meditationsmeister
und indische Yogis können die Wahrnehmung von Schmerz durch
Bewusstseinssteuerung verhindern. Der Fakir auf dem Nagelbrett, Sadhus, die in
religiöser Ekstase ihre Wangen mit spitzen Pfeilen durchbohren. Sie fügen sich extreme
Schmerzreize zu und verhindern durch geistige Konzentration, dass die Schmerzsignale
in ihren Gehirnen ankommen.
Zitator: unter Cellostrich
Wunder geschehen nicht im Widerspruch zur Natur, wohl aber zu dem, was wir von der
Natur wissen.
Augustinus
Erzählerin:
Schmerz wird meist an der sogenannten Peripherie ausgelöst: In Armen, Beinen,
inneren Organen oder der Haut. Verarbeitet und wahrgenommen wird der Schmerz
16
allerdings im zentralen Nervensystem, im Gehirn. Eine psychisch ausgelöste
Schmerzwahrnehmung kann so stark sein, dass bei manchen Patienten im Gehirn ein
massiver Schmerz wahrgenommen wird, ohne dass ein körperlicher Schmerzreiz
nachweisbar ist. Eine der bedeutsamsten Erkenntnisse der Hirnforschung ist die
lebenslange Formbarkeit des menschlichen Gehirns, seine Plastizität.
O-Ton 26 Christian Albus:
18 Unser Gehirn ist im Prinzip plastisch - und zwar erheblich plastischer als man sich das
früher vorgestellt hat. Da hat man gemeint, das Gehirn reift anhand simpler biologischer
Programme.
Erzählerin:
Psychische und soziale Erfahrungen können Größe, neuronale Verschaltungen und
Aktivitätsmuster des Gehirns verändern. Wenn Musiker durch intensives Üben ihre
Musikalität und die Koordination der Hände schulen, vergrößern sich die
entsprechenden Hirnareale. Ähnliches gilt für seelische Erfahrungen. Frühe Erfahrungen
von Schmerz führen zu Hirnverschaltungen, welche die spätere Schmerzwahrnehmung
intensivieren.
O-Ton 27 Christian Albus:
19 26 Sek. Es entsteht eine Art Bereitstellung, wie eine Autobahn für verstärkte
Schmerzwahrnehmung.
Erzählerin:
Jeder seelischer Konflikte ist in das Beziehungsnetz menschlicher Kommunikation
eingebunden. Und alle wichtigen Beziehungserfahrungen hinterlassen Spuren im
zentralen Nervensystem. Besonders die wichtigste Beziehung, die Menschen in ihrem
Leben eingehen: die Beziehung zu sich selbst. Die Art und Weise wie ein Mensch sich
selber sieht, bestimmt die Qualität seines Lebens. Menschen mit einem niedrigen
Selbstwertgefühl können jede Menge äußeres Lob erfahren. Doch solange sie sich
selbst ablehnen, wird die äußere Anerkennung den Riss in ihrem Inneren nicht kitten
können.
Musik 14: Ketyl Björnstadt/David Darling: The River Part VIII
Mann:
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Je erfolgreicher die Ausstellung gelaufen ist, desto schlechter fühle ich mich. Die Reden
der Kuratoren, die freundlichen Reaktionen bei der Vernissage. Als würde das an mir
abprallen.
Natürlich freu ich mich auch über eine gelungene Vernissage. Aber die Anspannung
bleibt. - Ich fühle mich hinterher seltsam leer.
Manchmal, wenn ich nachts aus dem Atelierfenster schaue, kommt die Angst.
Als würde eine unsichtbare Hand nach mir greifen.
O-Ton 28 Christian Albus:
26 Ein exemplarisches Beispiel für eine typische psychosomatische Störung ist ja die
Panikattacke 27 Von der Definition her ist es ja so, dass die Panikattacke ein schwerer
vegetativer Anfall ist. Das heißt, was die Menschen zunächst wahrnehmen ist einen
massiven vegetativen Erregungszustand: Herzjagen, Schweißausbruch, Kurzluftigkeit. Der
innere Auslöser, nämlich das Angstgefühl, wird nicht wahrgenommen. Sondern die Angst
setzt erst hinterher ein. 27 Das Angstgefühl bezieht sich eher auf den erlebten vegetativen
Zustand, der seinerseits vom Patienten überhaupt nicht verstanden wird. Was ist
eigentlich die innere Voraussetzung, die mich in die Panikattacke hat reingleiten lassen?
Zitator: unter Cellostrich
Was wir im Bewußtsein verbannen, der Konflikt - wird im Körper als Symptom sichtbar.
Viktor von Weizsäcker
Erzählerin:
Wenn das Gehirn die Tendenz hat, subjektive Erfahrungen in objektive biologische
Signale umzuwandeln und in Zellverschaltungen abzuspeichern, könnte das erklären,
warum es Menschen oft so schwer fällt, ihre psychischen Probleme zu lösen.
Doch führt die Formbarkeit des Gehirns auch zu einer guten Nachricht:
O-Ton 29 Christian Albus:
22 7 S So wie traumatische biografische Beziehungserfahrungen ihre Spuren hinterlassen,
so hinterlässt auch eine heilsame Beziehungserfahrung ihre Spuren. 23 Die Güte einer
therapeutischen Beziehung als bester Vorhersagefaktor für die Rückbildung von
psychischen Symptomen, also für das Gelingen einer Psychotherapie, übersetzt sich aus
einem Kommunikationsprozess in eine biologische Struktur.
Erzählerin:
Tatsächlich zeigen Messungen vor und nach einem Zyklus von Therapiesitzungen, dass
das krankhafte Erregungsniveau der Patienten in Hirnabschnitten, die Angst und
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Stressempfindungen verarbeiten, deutlich gesunken ist. Genauso stark gesunken wie
nach der Gabe von beruhigenden Psychopharmaka. Was die Vermutungen eines
Philosophen bestätigte, der bereits vor 2500 Jahren lehrte:
Zitator: unter Cellostrich
Die Seele aber werde behandelt durch schöne Worte und Besprechungen, denn durch
diese entstehe in der Seele Heilung.
Platon
Erzählerin:
Und bei Hippokrates hieß es:
Zitator: unter Cellostrich
Erst das Wort, dann die Arznei, dann das Messer.
Musik 15: Louis Sclavis: Les deux visages bei 0.47 aus
Erzählerin:
Seit der Antike stand außer Zweifel, dass das Wort das wirkungsvollste Instrument des
Arztes ist. Antiphon, der im Jahr 500 vor Christus in Griechenland lebte, galt als Erfinder
der "Tröstungskunst". Über eine Methode, die man heute als "Spiegeln" bezeichnet, ließ
Antiphon den Kranken über sein Leiden sprechen. Emphatisch versuchte er die
Wirklichkeit des Patienten zu erfassen und ihn seelisch zu entlasten. Musik aus
Eine ärztliche Haltung, wie sie heute in den psychosomatischen Kliniken praktiziert wird.
Zum Beispiel der Röher Parkklinik bei Aachen. Chefarzt Wolfgang Hagemann ist Leiter
der Klinik.
O-Ton 30 Wolfgang Hagemann:
25 Meines Erachtens sind wir in einer Zeit, wo wir bewahrheiten, was uns die Griechen
und die Philosophen aus unserem Kulturkreis schon immer gesagt haben, dass das Wort
ganz vorne anstehen sollte. Gleichzeitig möchte ich betonen: es gibt nicht das Wort, das
jeden heilt und wir können als Therapeuten nicht bestimmen welches das Passende ist,
sondern das bestimmt der Patient, was für ihn wieder die Seite ins Schwingen bringt, die
solange verstummt war. 24 Wenn ein Klavier verstimmt ist, hol ich einen Klavierstimmer,
wenn mein Körper verstimmt ist, warum sollte ich da nicht auch jemand holen, der mich
wieder so stimmt, dass ich nicht verstimmt bin?
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Erzählerin:
Peter Blank ist als Spediteur den ganzen Tag unterwegs. Manchmal sechzehn Stunden
lang. Der Konkurrenzdruck innerhalb der Branche ist enorm. Seine Frau trennt sich von
ihm, die Firma bricht ein. Er kann nicht mehr. Der seelische Druck des 44jährigen entlud
sich in heftigen Herzschmerzen
O-Ton 31 Peter Blank:
48 als wenn einer mit nem Nadelkissen im Herz am rumstechen wär. Unerträglich.
42 Wenn ich dann nach Hause kam, ich bin alleinerziehender Vater von zwei Kindern,
wenn die mir dann was schönes vom Tag erzählen wollten, hab ich einfach mürrisch
darauf reagiert und das nieder gemacht. 48 Ich konnt das gar mehr nicht ertragen, dass
ich dann praktisch auf dem Niveau von den fröhlichen Menschen war. Das war schon
ganz schlimm. Dann zieht man sich zurück. Wenn man dann allein ist, hat man auch
Angst und dadurch hab ich dann sehr starke Panikattacken bekommen, wo ich dann von
jetzt auf gleich schweißgebadet war, kalter Schweiß, überall am zittern war und da hat
man schon an Suizid gedacht. Es ging einfach nicht mehr.
Erzählerin:
Der Hausarzt verschrieb Peter Blank Psychopharmaka. Als diese nicht anschlugen
überwies ihn der Arzt in die Röher Parkklinik. Die therapeutische Situation war für den
Spediteur anfangs völlig ungewohnt - und bedrohlich. Noch nie hatte er offen über seine
Gefühle gesprochen. Dankbar sei er, dass die einfühlsamen Gespräche ihm wieder
Boden unter den Füßen gegeben hätten, sagt er heute. Nach sieben Wochen ist die
stationäre Phase der Behandlung für ihn vorbei. Konzentriert spricht Peter Blank über
seine Erfahrungen. Er möchte eine Therapiepause einlegen, bevor er danach in die
ambulante Betreuungsphase einsteigt.
O-Ton 32 Peter Blank:
51 Ich mache jetzt erst mal einen Schnitt, um alles zu verarbeiten, was in mir frei
geworden ist, so wie ich wirklich bin, ein fröhlicher sensibler Mensch. Vor allen, dass ich
wieder mit mir im Reinen bin. Und das hat mir hier den Weg gezeigt. 55 Die Angst, die hab
ich noch manchmal, das kann ich nicht von jetzt auf gleich ablegen, aber mir geht's schon
sehr viel besser, aber ich hab vor allem gelernt, wie man damit umgehen kann. 57 Ich
empfinde jetzt eine große Leichtigkeit in mir, sodass ich wieder Kraft habe, mich auch der
Welt wieder zu stellen.
O-Ton 33 a Wolfgang Hagemann:
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16 Von dem Patienten wünsch ich mir, dass sie am Ende einer Behandlung erkennen,
worauf der Körper sie hinweist
Erzählerin:
Wolfgang Hagemann
O-Ton 33 b Wolfgang Hagemann:
17 Der Patient sollte seinen Körper wieder als den Tempel der Seele verstehen. Und ein
Tempel ist ein Heiligtum, mit dem ich sehr sorgfältig umgehe. Aber es nutzt mir nichts,
wenn ich nur drum rum gehe. Ich muss auch reingehen, muss ihn mir vertraut machen. Es
soll ein Ort sein, an dem ich mich wohlfühle und wenn der Körper mir ein Signal gibt, dass
ich dem einen sehr hohen Wert beimesse, denn es ist mein Körper. Ich bin es, der mir da
etwas sagt.
Musik 16: Nik Bärtsch's Ronin: Modul 33
Erzählerin:
Auch Berndt Radtke hat die stationäre Behandlung in der psychosomatischen Klinik
abgeschlossen und freut sich auf zuhause. Der 46jährige Werbefotograph war lange
Zeit im Labyrinth von Stress und seelischer Überforderung gefangen. Musik aus
O-Ton 34 Berndt Radtke
29 Ich bin in die Klinik gekommen, weil ich mit meinem Leben auf der beruflichen Seite
nicht mehr klar gekommen bin. Ich wollte das selbst nicht wahrhaben, bin dann mit nem
Burn-Out-Syndrom, nennt man das wohl, hier eingeliefert worden, mehr oder weniger
unfreiwillig, weil ich selbst keine Einsicht hatte. 31 Meine körperlichen Reaktionen, waren
starke Herzprobleme, Herzrhythmusstörungen und die Angst vor Herzinfarkten und
extreme Hautprobleme. Wie jemand, der eine Neurodermitis hat, blühte die Haut überall
auf. 32 Ich habe zwar die Symptome festgestellt und beklagt, hab aber selbst gar nicht
bemerkt, was da wirklich los war und in einem Sonntag auf Montag Nacht sind die
Symptome, was das Herz anbelangt, so schlimm geworden, dass meine Frau die
Notbremse gezogen hat und zwei Stunden später war ich in der Klinik.
Erzählerin:
Sein Zusammenbruch sei gleichzeitig seine Rettung gewesen, erzählt Berndt Radtke.
Entspannt und fast heiter wirkt er, wenn er von seinen Erfahrungen und Wünschen für
die Zukunft berichtet.
21
O-Ton 35 Berndt Radtke
36 Die Symptome sind nach wie vor da. Der Unterschied ist, dass ich früher mit großer
Panik dagegen gearbeitet habe. Heut versuch ich in die Symptome eher reinzugehen und
zu fragen: Was will das jetzt gerade sagen. Ich habe hier Vertrauen gefasst, dass es
wirklich nur psychosomatische Symptome sind und nicht wirklich eine organische
Erkrankung dahinter steckt. 37 Ich hab das Gefühl, dass ich meinen Körper erst ganz neu
wieder kennen lernen muss. Da sind viele alte Gefühle verschüttet, die ich heute wie eine
neue Sprache wieder lernen muss.
Erzählerin:
Patienten wie Berndt Radtke berichten, dass ihnen neben der Psychotherapie
besondern die kreativtherapeutischen Angebote der Klinik weitergeholfen hätten.
Klinikchef Wolfgang Hagemann:
O-Ton 36 Wolfgang Hagemann:
18 Um einem Menschen das zu vermitteln: du bist dein Körper, sind die
kreativtherapeutischen Ansätze sehr, sehr hilfreich, dass wir über sein inneres Leben in
der Maltherapie Zugang finden zu seinen inneren Bildern und zu seinem Selbst, dass er
den Schmerz ausdrückt in einem Bild - oder in der Musik: dass er seinem Schmerz einen
Ton gibt und darüber mit sich in Verbindung kommt. 19 Es ist für diese Menschen leichter,
wenn sie das, was sie innerlich fühlen, einmal äußerlich zum Ausdruck bringen.
Musik 17: Musik 2: Alexandra Naumann/Dietmar Fuhr: Drei Könige bis Absage
Zitator:
Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare
Christian Morgenstern
Musik hoch
Zitator
Willst du den Körper heilen, musst du zuerst die Seele heilen
Platon
O-Ton 37 Christian Albus:
35 Wenn wir Psychosomatik im heutigen Licht der neueren Forschungsergebnisse
betrachten, dann ist es in der Tat ein Wiederzusammenfügen der alten Trennung von
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Körper und Geist, in dem wir beobachten, dass sich unsere Seele im Körperlichen
ausdrückt, aber unser Körper eben auch durch Seelisches.
Erzählerin:
Wenn die Seele durch den Körper spricht - Psychosomatische Störungen
Zitator:
Sie hörten ein Feature von Burkhard Reinartz
Mann:
Es sprachen: Gisela Claudius, Rainer Delventhal und Hüseyin Michael Cirpici.
Ton und Technik: Jürgen Hille und Hans-Martin Renz
Regie: Burkhard Reinartz
Redaktion: Michael Röhl
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2006
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