Tagung „Mit psychischer Krankheit älter werden“ Evangelische

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Tagung „Mit psychischer Krankheit älter werden“
Evangelische Akademie Tutzing
25. bis 26. April 2007
Einführungsvortrag von Elke Schurmann
(Diplom Sozialpädagogin FH, Bayerische Gesellschaft für psychische Gesundheit e.V.)
im Rahmen des Gesprächsforums „Betreutes Wohnen“
1. Auswirkungen des Zusammentreffens von psychischer Erkrankung und Alterungsprozessen
Die folgenden Ausführungen, Gedanken und Thesen spiegeln nicht statistisches Datenmaterial wieder und haben auch nicht den Anspruch auf eine absolut generalisierte Verbindlichkeit
hinsichtlich ihres Aussagewertes. Vielmehr sind sie das Ergebnis persönlicher Beobachtungen
und praktischer Erfahrungen im Verlauf jahrelanger sozialpädagogischer WG-Arbeit mit
chronisch psychisch kranken Menschen im Langzeitbereich.
2. Historischer Hintergrund des Themas
Generell ist festzuhalten dass erstmals in Deutschlands jüngerer Vergangenheit und nach den
Verbrechen des Faschismus eine ganze Generation Behinderter und damit auch chronisch
psychisch kranker Menschen in den Alterungsprozess eintritt. Die Lebenserwartung – auch
chronisch psychisch kranker Menschen – steigt stetig an und damit auch die Dauer an Jahren
in denen betroffene Menschen an somatischen und psychischen Abbauprozessen leiden, bzw.
mit diesen zurecht kommen müssen.
3. Differenzierung in zwei Hauptgruppe psychisch kranker alter Menschen
Innerhalb der Gruppe behinderter alternder Menschen sind die psychisch kranken Menschen
in zwei Untergruppen zu unterteilen:
Zum einen gibt es diejenigen, welche im Laufe des fortschreitenden Alters hirnorganische
Abbauprozesse (Stichwort: Demenzen, Alzheimer) entwickeln. Sie können unter dem Stichwort „gerontopsychiatrische Patienten“ zusammengefasst werden. Für diese gibt es oftmals
spezielle Betreuungsangebote (z.B. gerontopsychiatrisches Wohnen).
Zum anderen gibt es die Gruppe der chronisch psychisch Kranken, die neben ihrer chronifizierten psychischen Erkrankung (wie z.B. einer Schizophrenie) altersbedingte körperliche
Einschränkungen und, bzw. oder, das zusätzliche Auftreten gerontopsychiatirscher Krankheitsbilder zu verkraften hat. Es handelt sich also um chronisch psychisch kranke behinderte
Menschen die zusätzlich dem „regulären“ Alterungsprozess ausgesetzt sind.
4. Besonderheiten chronisch psychisch Kranker die den Alterungsprozess durchlaufen
Chronisch psychisch Kranke die in den Alterungsprozess eintreten und mit den daran geknüpften Einschränkungen und Abbauprozessen zurecht kommen müssen, unterscheiden sich
in vielerlei Hinsicht von psychisch gesunden Menschen die altern.
Die ohnehin durch die psychische Erkrankung gegebenen Störungen im Denken, der Wahrnehmung, der Erlebnisinhalte und im Handeln werden durch im Alter zusätzlich auftretende
Beeinträchtigungen verstärkt, ein negativer Synergieeffekt eingeleitet.
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Exemplarisch soll kurz beispielhaft auf einige wichtige Aspekte von Alterungsprozessen und
deren besonderen Wechselwirkungen und Auswirkungen auf chronisch psychisch Erkrankte
hingewiesen werden:
So werden z.B. die durch die psychische Erkrankung gegebenen Wahrnehmungs- und Kontaktstörungen durch zusätzliche altersbedingte Schwerhörigkeit oder Einschränkung der Sehfähigkeit abermals verstärkt. Die Wirklichkeit wird also noch weniger erfasst, die Kontaktaufnahme zur Umwelt abermals erschwert. Sind dann in der Folge operative Eingriffe nötig –
z.B. bei einem grauen Star – so bedürfen psychisch kranke alte Menschen bei der Nachsorgebehandlung oftmals pflegerische Unterstützung, die ein psychisch gesunder Mensch höchstwahrscheinlich nicht notwendig hätte da er die Nachsorgebehandlung selbst bewerkstelligen
könnte. Im Hinblick auf das genannte Beispiel des grauen Stars bedeutet dies beispielsweise
Folgendes: Die durch die psychische Krankheit gegebene Antriebsstörung und die durch die
durch die psychische Erkrankung (oder als Folge von jahrelangem Psychopharmakakonsum)
eingeschränkte bzw. veränderte Motorik machen ein regelmäßiges Eintropfen einer bestimmten Menge Augentropfen durch einen Pflegedienst mehrmals täglich notwendig. Zudem bedarf es ergänzend pflegerischer Hilfe bei der Körperpflege, um zu vermeiden dass Shampoo
oder Duschgel in die Augen kommen und den Heilungsprozess verschlechtern. Ein psychisch
gesunder Mensch hätte die genannten Handlungen höchstwahrscheinlich selbst und ohne das
frisch operierte Auge zu gefährden durchführen können.
Häufige altersbedingte Einschränkungen oder Abbauprozesse liegen in der Entwicklung eines
Altersdiabetes. Auch hier verstärken sich chronische psychische Erkrankung und altersbedingter Abbauprozess. Psychisch Kranke geraten bei der Durchführung einer entsprechenden
somatischen Behandlung oftmals an ihre Grenzen, sind überfordert. So ist zum Beispiel die
Selbstwahrnehmung aufgrund der psychischen Erkrankung häufig stark eingeschränkt bzw.
verändert. Müdigkeit – z.B. wegen Überzucker nach dem Genuss von Kuchen – wird von den
Patienten bisweilen als Symptom ihrer chronischen psychischen Erkrankung eingestuft
(Stichwort Antriebsstörung). In der Folge bleibt das notwendige Spritzen des Insulins aus.
Schwerste diabetesbedingte Folgeerkrankungen wie z.B. Neuropathien oder Erblindung können hierdurch generiert werden.
Eine weitere Problematik stellt in diesem Zusammenhang der Aspekt dar, dass die Rekonvaleszenszeit chronisch psychisch kranker Menschen, die somatisch behandelt werden müssen,
oftmals deutlich länger dauert als bei psychisch gesunden Menschen. Psychisch Kranke die
z.B. eine krankheitsbedingte Antriebsstörung haben und motorisch nur eingeschränkte Fähigkeiten aufweisen, können Rehamaßnahmen, wie z.B. nach einem Beinbruch / Oberschenkelhalsbruch oder anderen orthopädischen Gebrechen, nicht so schnell wie psychisch gesunde
Menschen durchlaufen. Auch ist die Kommunikation zwischen dem für körperliche Krankheiten geschulten Personal und dem psychisch erkrankten Patienten oftmals gestört, was wiederum der Rehaplanung nicht zuträglich ist. Oftmals stellen die üblichen Rehaprogramme eine
massive Überforderung der psychisch kranken Menschen dar, da sie in ihrer Intensität und
dem Anspruch auf eigenverantwortliches und regelmäßiges Handeln den psychisch kranken
Menschen überfordern. Eigens auf die Bedürfnisse psychisch kranker Menschen zugeschnittene Rehamaßnahmen gibt es nicht.
Vor diesem Hintergrund finden inzwischen durch die Krankenkassen sogenannte
Überprüfungen der Rehafähigkeit von Patienten statt. Noch im Krankenhaus befindlich – z.B.
wegen eines Armbruchs – wird der chronisch psychisch kranke Mensch im Hinblick auf seine
Bereitschaft und seine Fähigkeiten eine Rehamaßnahme zu durchlaufen überprüft, mit der
Folge dass es zuweilen auch zu einem Rehaausschluss kommt. Als Folge solch eines Ausschlusses von der Rehamaßnahme musste eine unserer Langzeit-WG-Bewohnerinnen mit
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einem versteiften Schultergelenk, sprich einem nur noch bedingt beweglichen Arm – mit all
seinen Konsequenzen für die Selbstversorgung – leben. Die Bewohnerin konnte schlussendlich nicht mehr in der ambulanten Einrichtung versorgt werden, sondern musste in eine stationäre Pflegeeinrichtung wechseln, da sie den Anforderungen des Alltags aufgrund der unzureichenden Funktionsfähigkeit ihres Arms nicht mehr gewachsen war. Das gewohnte soziale
gemeindenahe Umfeld und die wichtigen über Jahre gewachsenen Beziehungen zu ihren Mitbewohnerinnen gingen somit verloren. Psychisch kranke ältere Menschen erfahren also gerade im Bereich der somatischen Rehagewährung- und durchführung zuweilen eine massive
Benachteiligung.
Damit einher geht die oftmals offene Finanzierungsfrage. Trotz des Grundsatzes „ambulanter
vor stationärer Behandlung“ kann dies zur Folge haben dass chronisch psychisch Kranken, die
normalerweise wegen eben dieser Erkrankung ambulant im Rahmen einer Langzeitwohngemeinschaft betreut werden, selbige verlassen müssen. Die Finanzierung derselben ist nämlich
nicht mehr gesichert, wenn psychisch erkrankte Menschen länger als 30 Tage außerhalb der
Wohngemeinschaft versorgt werden müssen (z.B. in einer Klinik; Stichwort Platzfreihaltegebühr). Oft ist der Bettendruck (Stichwort Belegtage) in den Krankenhäusern so groß, dass der
psychisch kranke Patient - ohne genesen und zur Selbstversorgung wieder befähigt zu sein entlassen wir. Werden dann zusätzlich zur Eingliederungshilfe ergänzende Pflegeleistungen
benötigt, so ist oftmals nicht klar welcher der Kostenträger zuständig ist. Eine Pflicht nach
einer gewissen Zeit in Vorleistung treten zu müssen gibt es nicht. Wird eine „Rundumversorgung“ auf Dauer benötigt so ist es kaum möglich einen geeigneten Platz zu finden. Pflegeheime für chronisch psychisch kranke Menschen in der Nähe ihres gewohnten sozialen Umfeldes gibt es kaum.
Besonders beachtenswert ist im Zusammenhang mit somatischen (altersbedingten) Erkrankungen auch die oftmals sehr schwierige Auseinandersetzung mit den Themen Sterben und
Tod. Gerade in (ambulanten) Langzeiteinrichtungen (wie z.B. Therapeutischen Langzeitwohngemeinschaften) in welchen die Kontakte zwischen den Bewohnerinnen oftmals schon
über Jahrzehnte bestehen, also auch teilweise familiäre Ersatzbindungen darstellen, fällt der
Abschied schwer und wird zuweilen psychotisch verarbeitet. Die Trauerphase dauert oftmals
länger als bei psychisch gesunden älteren Menschen. Dem entgegen steht die aus Refinazierungsgründen in der Regel notwendige relativ kurzfristige Nachbesetzung, die von den Bewohnern oftmals als pietätlos empfunden wird und sich nachhaltig auf das Gruppengefüge in
der Einrichtung auswirkt.
5. Resümee
Grundsätzlich ist die Schwierigkeit gegeben dass die Versorgung chronisch psychisch Erkrankter Menschen im Alter nur sehr unzureichend ist. Entweder gibt es Pflegeangebote für
psychisch gesunde aber körperlich pflegebedürftige Menschen. Oder es bestehen Pflegeangebote für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen. Qualifizierte Betreuungs- und Pflegeangebote die auf die chronische psychische Erkrankung eingehen und ihre besonderen Bedürfnisse
berücksichtigen und zudem altersbedingte Abbauprozesse abfangen, also beide Krankheitsdimensionen berücksichtigen, gibt es im Rahmen des sozialstaatlichen Angebotsstruktur fast
nicht. Eine angemessene Versorgung im gewohnten ambulanten Umfeld ist kaum zu organisieren, bzw. zu finanzieren.
Der Gesetzgeber hat zwar das Instrument der häuslichen psychiatrischen Krankenpflege eingeführt; dieses ist praktisch aber nicht abrufbar, da sich die Kostenträger im Hinblick auf die
Finanzierung dieser Leistung, bzw. auf die praktische Umsetzung der geforderten Rahmenbedingungen mit den Pflegediensten noch nicht einigen konnten.
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