Tanja Krones In-vitro Fertilisation und der Umgang mit Embryonen aus der Perspektive der beteiligten Eltern Der Embryo –Produkt, Rohstoff, Geschenk ? Tutzing 2008 Gliederung • • • • • • Das Konfliktfeld Fortpflanzungsmedizin Formelle und informelle Meinungen Historische und wissenschaftstheoretische Wurzeln Lebensweltliche Vorstellungen: Studienergebnisse Kontextsensitive Ethik in der Fortpflanzungsmedizin Plädoyer für eine basisdemokratischere Biopolitik Fortpflanzung ist... von höchster gesellschaftspolitischer Relevanz..... Kinderkriegen in und für Deutschland?! ....und von höchster Privatheit Mehrere Herangehensweisen + Habermas 1990: Öffentlichkeit und Diskurs „informelle Meinung von Privatleuten ohne Publikum“ „formelle Meinungen der publizistisch wirksamen Institutionen.“ Formelle Ansichten über informelle Ansichten… • „Sie fahren links und essen Würstchen zum Frühstück. Dass in England die Uhren anders gehen als auf dem Kontinent, gehört zur europäischen Vielfalt. Die Sympathie für die Extravaganzen der Briten schlägt jedoch in Unverstand und Entsetzen um, wenn das Inselvolk wieder eine Nachricht aus dem Reich der Biomedizin produziert. Gerade den Deutschen kommt das Land dann vor, wie die Heimstatt des biomedizinischen Grauens.“ • (Martin Spiewak, Der große Unterschied. Die Briten sind im Umgang mit Genforschung und Reproduktionsmedizin das liberalste Volk Europas. Ihr Antrieb ist pragmatische Neugier. Die Zeit, 29. Mai 2008, S. 37) • „(…) Ich (sehe) persönlich das entscheidende moralische Argument gegen die Embryonenforschung nicht darin, dass sie in irgendwelche vorgegebenen `Rechte´ des menschlichen Embryos eingreift (...) sondern einfach in der gesellschaftlichen Nichtakzeptanz dieser Forschung aufgrund starker und ersichtlich stabiler Gefühle von Abwehr und Angst.“ • (Dieter Birnbacher 2006, Bioethik zwischen Natur und Interesse, S. 51) Formelle Ansichten über den Embryo… • „Ich sehe nicht, dass insbesondere beim Embryo, der in vitro erzeugt wurde, Elemente des Menschseins fehlen würden.(…) Wann beginnt menschliches Leben? Das ist nach dem, was wir aus den Wissenschaften wissen, der Zeitpunkt der Verschmelzung von Samenzelle und Ei. So argumentiert auch das Bundesverfassungsgericht. (…) Meiner Ansicht nach kann man daran nicht zweifeln. Auch die Würde des Menschen setzt hier ein“ • Herta Däubler-Gmelin, Die Würde des Embryos ist unbezweifelbar, FAZ 2001 • F: Wird das Embryonenschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode umgewandelt in ein Fortpflanzungsmedizingesetz? • A: Es gibt keine Alternative dafür. ESchG § 8, Abs. 1: „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.“ Printmedienanalyse n=647 Artikel 2000 und 2001 Fokus 2000 und 2001 60 50 48 40 30 32 29 20 21 Prozent 18 Jahr 19 16 10 2000 10 4 0 4 2001 e at k hi et stk Re o Bi rie go . lg al n. lo K z./ m le l ze m ta m /S am D PI St D PI "Forderung nach..." im Jahresvergleich 60 55 53 50 40 30 26 23 20 Prozent 16 17 10 Jahr 1 5 0 Fehlend keine Forderung Verbot 4 2 Zulassung u.U. Zulassung Parlamentsdebatte 2008 • „Mit überwältigender Mehrheit wurde 2002 in diesem Haus kein Zweifel daran gelassen, dass der menschliche Embryo Menschenwürde hat, dass er nicht verfügbar ist.“ • „Es gibt die Sorge, dass der Lebensschutz mit einer Änderung des Stammzellgesetzes beeinträchtigt werden könnte. Deshalb will ich hier als erstes auf eines hinweisen: In keinem der Anträge ist eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes vorgesehen.“ Formelle Ansichten über NutzerInnen der Reproduktions(und Pränatal-)Medizin • Was spricht dagegen, dass man sagt, es ist eben zuzumuten, dass die Mutter darauf verzichtet, den Kinderwunsch zu befriedigen? (F. Schirrmacher) • Für eine Schwangerschaft, die wissentlich-willentlich mit dem Ziel herbeigeführt wird, sie abzubrechen, wenn die Pränataldiagnostik einen Krankheitsbefund ergibt, gilt das gleiche wie für die Präimplantationsdiagnostik: diese Haltung und das entsprechende Handeln ist ethisch unzulässig. (H. Haker) • Es stellt eine Pervertierung der Intention dar, unter deren Annahmen die künstliche Befruchtung entwickelt wurde, wenn Embryonen zur Disposition ihrer Eltern stünden. (R. Kollek) • Man beginne bei dem mißgebildeten Embryo ohne Gehirn und ende schließlich bei dem Kind, dessen Geburt die Urlaubspläne stören würde. (Bischof Sgreccia) • Verfehlen die Eltern, die sich um ihres eigenen Kindeswunsches willen zur Selektion entschließen, eine klinische, am Ziel des Heilens orientierte Einstellung? Oder verhalten sie sich doch, wenn auch unüberprüfbar fiktiv, zum Ungeborenen wie zu einer zweiten Person in der Annahme, dass diese selbst zu einer in bestimmter Weise eingeschränkter Existenz Nein sagen würde? Ich weiß es nicht“ (J. Habermas) Der bundesdeutsche feministische Diskurs Von `mein Bauch gehört mir´ zur `Würde des Embryos von Anfang an´ Von der Selbstbestimmung der Frau zum `Fetisch Selbstbestimmung´ Hauptargumentation der bioethisch-biopolitisch feministischen Debatte • Sozialer Druck • Diskriminierung • Gesundheitliche Risiken • Instrumentalisierung • Scheinlösung ¾Nicht ausreichend, da damit keine Verbote und Einschränkungen von `Gen-und Reprotechniken´ verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden können. Dieses aber ist das eigentliche Ziel: „Eine Rechtfertigung von Verboten muss daher zeigen, dass mit der umstrittenen Praxis (...) direkt die Rechte anderer verletzt werden. Dies aber setzt einen Rechtsträger voraus. Sofern die Frau der Nutzung dieser Praktiken formell zustimmt, kann dieser Rechtsträger nur der Embryo sein.“ K. Braun 2003 Das 19. Jahrhundert Wurzeln unseres Diskurses um den „Bürger Embryo“ und die Verhandlungen von Fortpflanzungsentscheidungen in der Rechtssprache Erst im 19. Jahrhundert wurde das Ungeborene zu einer biologisch definierten Sache; im späten 20ten Jahrhundert ist es in der westlichen Welt zum Emblem geworden: zum `öffentlichen Foetus´ einer Schwangerschaft, die von Beginn an als `Zweiheit in Einheit´ begriffen wird B. Duden 2002 „In der Darwinschen Theorie bewahrt die natürliche Ordnung beides: Die hierarchische Ordnung der (biblischen) Schöpfung und seine gottgegebene Qualität. Der Unterschied ist allein der, dass die Macht und Kraft nicht mehr von Gott, sondern aus der Natur kam(...) Yanagisko/Delaney 1995 Objektive Embryologie oder `Embryo-Geschichten?´ •Embryologen, wie heutige Kreationisten, haben immer genau das in den Embryonen entdeckt, was sie gesucht haben Lynn Morgan, Embryo Tales Lebensweltliche Perspektiven „Um Lebendes zu erforschen, muss man sich am Leben beteiligen“ V.v. Weizsäcker Stichproben (2001-2005) IVF Paare deutscher Experten Paare mit bekanntem und türkischer Humangenetiker, genetischen Risiko Ethiker, Hebammen, Herkunft deutscher und Gynäkologen, Allgemeinbevölkerung türkischer Herkunft Pädiater Deutsch Türkisch Deutsch Türkisch N=1017 N=202 N=50 N=324 N=50 N=879 Qualitative Fertile Paare ohne Qualitative Interviews Qualitative Interviews Interviews mit IVF Paaren mit Hochrisikopaaren bekanntes Risiko Experten aus deutscher und deutscher und türkischer Herkunft türkischer Herkunft allen 5 Gruppen N=298 und Vertretern von Behindertenverbänden + Stammzellforscher 2008 Ergebnisse Ergebnisse der qualitativen Interviews Deutschstämmige IVF/Hochrisikopaare Frau, 6. Zyklus IVF, bisher erfolglos: Die Embryonen, die da jetzt entstanden sind - das wär schon so ein Gag, den man macht, gehen wir es mal besuchen. Natürlich versuche ich dann auch so emotional und geistig eine Beziehung, aber das wäre gelogen würde ich sagen, oh kille kille, das ist jetzt mein Kind. Das ist nen ganz großer Hoffnungsträger, weil es geteilt also ein Embryo ist und wenn es ein Vierzeller ist oder eingesetzt wird dann versuche ich schon einen Bezug zu kriegen. Eine Spende an andere Paare würde ich schon machen. aber es ist nicht so einfach (...) da blieb dann im Kopf ups vielleicht ist dann irgendwo jemand. Und ich bin auf jeden Fall für Forschung. Also wenn versprochen oder versiegelt wird das da seriös mit umgegangen wird, wär ich glaub ich auch eher dafür. Dann hat das ganze vielleicht noch etwas genützt. Paar, 1 Kind IVF, mit zweitem nach IVF schwanger Frau: Die Embryonen sind natürlich Zellen, realistisch gesehen, aber aus denen Kinder entstehen könnten. Sie sind beides, Zellen und Kind, es ist schwer auszudrücken. Aber es lebt in dem Sinne noch nicht. Da ist noch kein Herz, das schlägt. Mann: Ich sehe das ähnlich: Ich finde, es ist schon ein Mensch, aber mir Einschränkungen. Es ist irgendwas, es ist in dem Moment noch kein richtiger Mensch, meiner Meinung nach, aber es ist auch nichts, was irgendwie technisch verwertet werden sollte, oder dürfte. Es ist kein Zellhaufen, mit dem ich machen kann, was ich will. Beide: An die Forschung spenden würden wir eher weniger als an andere Paare. Frau: Die Spende an andere Paare würd ich mir auch gut überlegen, weil, es bleibt im Hinterkopf. Dann sieht man vielleicht irgendwann mal eins rumlaufen, wo man sich denkt, Gott dass kommt uns doch bekannt vor. PND/PID: Vertrauen in eigenverantwortliche Entscheidung (n= 58, alle qualitativen Interviews außer eine Interviewpartnerin) „Ich find s ist grundsätzlich wichtig, dass man so ne Entscheidung jeder Frau überlässt, und ich würde auch niemals eine andere Frau verurteilen, die des für sich sagt, ich will des Kind net haben,, und man kann, find ich, man kann ne Frau nicht zwingen, ein Kind zu kriegen, wenn sie des nicht, absolut nicht will“ (Mutter eines Kindes mit lebensbedrohlicher Stoffwechselstörung, die selbst eine PND, jedoch keinen Abbruch bei einer zweiten Schwangerschaft durchführen lassen möchte). Sozialer Druck in zwei Richtungen: PND/PID anzuwenden..... F: Das haben wir schon gesagt gekriegt, ja hätte man das denn nicht verhindern können –das haben wir gesagt gekriegt. Von ner Frau eines katholischen Religionslehrers, möchte ich jetzt zu Protokoll geben, ja, ähm M: Also es wird auch öfter schon gefragt, ja, hätte man denn nichts dann sehen können? ...und nicht anzuwenden F: Also ich mein, wenn man ethisch denkt, ist das natürlich grundsätzlich besser, wenn man das Kind kriegt, und dann versucht, das Kind gesund zu bekommen. Ich hab von einer Frau gelesen, die wusste genau, das ihr Kind stirbt, das es nur eine Stunde hat. Die hats ausgetragen und hat das in ihrer Familie im kleinen Kreis beerdigt, find ich ganz toll, find ich super, das man dem Kind die Chance gegeben hat- Ich könnte das nichtwenn man das von der Seite betrachtet, dann müsste man alle Kinder bekommen, und wenn der liebe Gott meint, dass er sie zu sich nimmt, dann soll er sie holen. Aber wenn man, wenn man, damit muss man auch klarkommen, neI: Hm. Für Sie wär das nichts gewesenF: Ne. Ich bin damit sehr gut klar gekommen, ich hab das zweite Kind abgetrieben, das war nicht schön, aber ich wusste genau, das ist die richtige Entscheidung. Ganz schlimm wars für mich, ähm, die Einleitung war da gewesen, meine Schwägerin und meine Schwiegermutter kamen ans Krankenbett, und haben mir die größten Vorhaltungendie Wehen fingen an , wirklich, ich wollte auch meinen Mann nicht dabeihaben, ich wollte keinen dabei haben, ich habs keinem gesagt, ich hab gesagt, bitte, erzähl keinem was, ich will jetzt einfach nur mein Kind, ich will ins Krankenhaus, ich will darüber nicht nachdenken, und ja- wie´s so kam, irgendwie haben sie´s erfahren, sie kamen nach X gefahren und haben mir die – ich kann das nicht beschreiben, die größten Vorhaltungen gemacht, ich habe zwei Jahre nicht mit ihnen gesprochen. „Katholische Frauen treiben genauso ab, nur haben sie ein viel schlechteres Gewissen dabei“ Türkeistämmige IVFHochrisikopaare Paar, bislang 4 erfolglose ICSI: Frau: Früher habe ich immer gedacht, dass wenn es ein Embryo ist, es ein Mensch ist. Jetzt denke ich aber erst an einen späteren Zeitpunkt. Also wenn es in meinem Bauch ist und schon größer. Sobald ich Leben sehe, sobald es in mir wächst und ich es spüre. Aber einen kleinen Embryo im Reagenzglas kann ich jetzt nicht mehr als Mensch sehen. Mann: Ich denke auch so. Wenn man sich jetzt mal das mit unseren Eiern anguckt, von den 8 Embryonen haben wir nur 3 genommen. Jetzt muss man sich natürlich überlegen, ob das nun schon menschliches Leben war oder nicht. Vielleicht fängt es ja dann schon da an. Wenn man jetzt aber denkt, dass es da schon anfängt, man aber auch 5 weggeschmissen hat, wird man ja verrückt. Frau :Er scherzt manchmal und sagt: „Was ist denn jetzt mit unseren anderen Kindern passiert?“ Mann: Das kann man sich alles kaum vorstellen. Wichtigkeit genetischer und ehelicher Verwandtschaftsbeziehungen Frau, Akademikerin, genetische Erkrankung: Eine Auswahl zu treffen ist schon ein bisschen eigenartig. Das ist wie ein Handel mit Gott. Aber ich habe gehört, dass es so was in der Türkei gibt. Sie machen so was und dann werden diese Embryonen an andere Menschen gegeben. Doch, das habe ich vielmals gehört. Das heißt, dass man dann Geschwister haben könnte, die man gar nicht kennt. Und wenn man das nicht weiß, können die sogar heiraten. Ich weiß nicht, dass ist doch auch so ein Problem. Da muss es eigentlich ein Gesetz geben, womit das geschützt ist. Verhältnis Religion und Wissenschaft: Pragmatismus Frau/Mann, Arbeiter, genetische Erkrankung, sehr religiös: Wenn mir die Ärzte sagen würden, dass das schon Leben ist, dann könnte ich das nicht zur Seite schieben. Wobei ich mir eben Auskunft holen würde, von der Moschee. Du hast ja sicher schon gehört, dass es im Koran heißt, das man mit der Wissenschaft mitgehen soll und und nicht stehen bleiben soll (...) Also man kann ja auch nicht sagen, dass alles so bleiben soll, wie es vor 100 Jahren war. Frau, IVF, sehr religiös: Ich hab ja die Geschichte erzählt, wo eine Frau eine künstliche Befruchtung gemacht hat. Und die haben dann einen Hodja gefragt (...) und er meinte dass man das im Islam auch nicht darf. Er meinte so. Aber der eine sagt ja, der andere sagt nein- so etwas können wir nicht machen. So ist das. PND/PID : Viel Vertrauen in Ärzte Frau, 2 Kinder, eines mit Downsyndrom, 3. Kind mit Downsyndrom abgetrieben: Für mich beginnt Leben, sobald Ei und Samenzelle zusammenkommen. Es ist schon ein Problem, wenn Embryonen einfach weggeschmissen werden. Das ist ja auch das mit den abgetriebenen Embryonen. Was passiert mit denen? Aber bei begründeten Fällen-und die Paare sollten bei zwei bis drei Ärzten in Beratung gehen, so wie das ja auch beim Schwangerschaftsabbruch der Fall ist. Wenn man so von außen guckt verurteilt man Menschen oft. Man denkt sich so: Wie konnte Sie ein Kind bloß abtreiben? Aber man muss sich in die Menschen hineinversetzen. Ansichten gegenüber der Auffassung in Deutschland Frau, IVF, Mitte 20, Mittelstand: Ich verstehe nicht, warum diese ganzen Sachen in Deutschland nicht erlaubt sind. Ich weiss es nicht, aber der Embryo, ok, es ist ein Lebewesen, vielleicht, aber wenn ich doch weiss, dass es denn doch krank ist. Ich meine viele, die wissen, dass sie ein behindertes Kind erwarten, können es doch auch abtreiben lassen. Dann ist es doch nicht so schlimm, wenn es noch so klein ist und gar nicht entwickelt ist. Frau/Mann, Arbeiter, ICSI: Frau Embryonen sehe ich noch nicht als einen Menschen an. Für mich fängt der Mensch erst an, wenn er sich im Bauch der Mutter bemerkbar macht. Ich verstehe nicht, warum das hier ein Problem ist. Wenn Muslime zum Kopftuchstreit schon so wenig zu sagen haben, wie dann zu Themen wie PID? Muslimischer Arzt im Experteninterview Statt Schwarz-WeißDeutungen Ambivalenzen Mehr gemeinsame Auffassungen als Unterschiede!