Aneignungen und Modifikationen des Lebensraums Großsiedlung in Recife|Brasilien Katharina Kirsch–Soriano da Silva 28. Jahrestagung der LAF Austria, Workshop 5A „Laboratorio Urbano“, 02.06.2012 Zum Entstehen der Forschungsarbeit . Dissertation im Rahmen eines Forschungsaufent- Recife halts in Recife im Nordosten Brasiliens . Postgraduate-Programm in Stadtentwicklung an der Bundesuniversität von Pernambuco in Recife . Betreuung durch FB Städtebau der TU Wien Universidade Federal de Pernambuco - Recife Einleitung und Themenstellung Informelle und formelle Stadtentwicklung . ein großer Teil der Stadt entsteht auf „informelle“ Weise, ohne Berücksichtigung städtischer Richtlinien und ohne behördliche Genehmigungen . Eigeninitiative der BewohnerInnen . Stadtgebiete mit unterschiedlichen „informellen“ und „formellen“ Entwicklungslogiken Hochhausbebauung und kleinteilig strukturierte Favelas Einleitung und Themenstellung Fallbeispiele: Periphere Großwohnsiedlungen . top down implementierte Stadtplanung und bottom up initiierte bauliche Tätigkeiten . großmaßstäbliche Wohnsiedlungen mit mehreren tausend Wohneinheiten, „sozialer Wohnbau“ aus 1970-80ern . standardisierte Gebäudetypen und spätere Interventionen der BewohnerInnen Großwohnsiedlungen in der Großstadtregion Recife 1) Fallbeispiele: Lebensraum Großwohnsiedlung Rechtliche Rahmenbedingungen und Eigentumsverhältnisse . Teil eines landesweiten Wohnbauprogramms der nach 1964 herrschenden Militärdiktatur, Umsetzung durch regionale Wohnbaugesellschaften . Wohneinheiten durch staatliche Bank vorfinanziert, aber als Eigentumswohnungen konzipiert und in Ratenzahlungen über 20-25 Jahre erworben . der Selbstverwaltung durch die BewohnerInnen überlassen, wurde der Lebensraum Großsiedlung zum „Laboratório Urbano“ Stark uniformisierte viergeschossige Wohnblöcke 1) Fallbeispiele: Lebensraum Großwohnsiedlung Bauliche Weiterentwicklungen durch die NutzerInnen . möglichst kostengünstige, monofunktionale und stark uniformisierte architektonische Lösungen (viele mehrgeschossige Wohnblöcke) . im Laufe der Zeit Modifikationen und Mutationen der errichteten großmaßstäblichen Komplexe durch kleinteilige Eingriffe der NutzerInnen . Auswirkungen auf Gebäudetypen und Siedlungsräume, kreative Potenziale dieser „informellen“ Aneignungs- und Gestaltungsprozesse Bauliche Interventionen seitens der BewohnerInnen 1) Fallbeispiele: Lebensraum Großwohnsiedlung Gebäudeaufnahmen . Gebäudeaufnahmen in ausgewählten Ausschnitten der untersuchten Siedlungen . Erhebung und Analyse der baulichen Veränderungen Art der Veränderung, Häufigkeit, Einfluss auf Gebäudetypen Marcos Freire Muribeca Maranguape I Rio Doce IV Untersuchungsausschnitte in den 4 Großsiedlungen 2) Mutationen der Gebäudetypen Original - Wohnblocktypen TYP G TYP G Pil 4 Wohnetagen 32 WE mit je 42m² - 52m² 3 Wohnetagen, Pilotis im EG 24 WE mit je 42m² - 52m² 2) Mutationen der Gebäudetypen Mutationen - Räumliche Organisation R1 Erweiterung bestehender Wohneinheiten R2 Schaffung neuer räumlicher Einheiten R3 Schließung und Nutzung der Halbhöfe 2) Mutationen der Gebäudetypen 2) Mutationen der Gebäudetypen Mutationen - Belichtung B1 Überdachung der Halbhöfe B2 Schaffung neuer Belichtungsfassaden 2) Mutationen der Gebäudetypen 2) Mutationen der Gebäudetypen Mutationen - Erschließung E1 Erweiterung | Veränderung der Zugangszonen und -wege E2 Schaffung neuer Zugangsfassaden 2) Mutationen der Gebäudetypen 2) Mutationen der Gebäudetypen Mutationsverteilung in den Siedlungen Häufigkeit der Mutationen (in % der untersuchten Wohnblöcke) Ausprägung - komplexes Zusammenwirken unterschiedlicher Einflussfaktoren 2) Mutationen der Gebäudetypen Mutationsprozess Schematische Darstellung des Mutationsprozesses 3) Mutationsbestimmende Faktoren Soziale Faktoren . Haushaltsgröße . Identifikation mit der Wohnumgebung Wertvorstellungen, Wahrnehmung, Wohlfühlen in der Nachbarschaft, ... . Verfügbares Kapital und Know-How . SiedlungsWohnblockHaushaltsinterne Organisation Grundlage für kollektives | individuelles Handeln 3) Mutationsbestimmende Faktoren Lokale Faktoren . Einbindung in das städtische Siedlungsgebiet periphere Lage in geographischer | sozialer Hinsicht . Verkehrsanbindung . Infrastrukturausstattung monofunktionale Anlagen wenig technische | kommerzielle | soziale Infrastruktur . Natürliche klimatische und topographische Bedingungen Niveauunterschiede 3) Mutationsbestimmende Faktoren Architektonische Potenziale . Gebäudelokalisation Anordnung auf Parzelle, Lage zueinander, zur Straße, im Gelände. . Gebäudeeigenschaften Siedlungsausschnitt Muribeca Material, Konstruktion, Form. . Wechselwirkungen mit unterund übergeordneten Maßstabsebenen Wohneinheiten, Siedlung. Entstehen von Geschäftsräumen an den Straßen 3) Mutationsbestimmende Faktoren Architektonische Potenziale . Erweiterungsmöglichkeiten Typ G . Erweiterungsmöglichkeiten Typ G Pil Morphologische Entwicklungsspielräume für Veränderungen 3) Mutationsbestimmende Faktoren Freiräume und sozialräumliche Prozesse . Herausbildung unterschiedlicher Raumqualitäten und Zonierungen . Ausformung unterschiedlicher Sichtachsen und Blickwinkel . Entwicklung unterschiedlicher und komplexer Wegführungen Siedlungsausschnitt Muribeca 4) Transformationen der Siedlungsräume Transformationen durch zusätzliche Gebäude . Garagen, Geschäfte, etc. auf bestehenden Freiräumen und an Blockrändern . zusätzliche neue Siedlungsstrukturen mit kleinteiligen Wohngebäuden LEGENDE LEGENDE Original Gebäude Original Gebäude Spätere Bauten Spätere Bauten Rio Doce IV LEGENDE Marcos Freire LEGENDE Original Gebäude Original Gebäude Spätere Bauten Spätere Bauten Maranguape I 4) Transformationen der Siedlungsräume Muribeca Mutation als Grundlage für Evolution . Modifikationen bei untersuchten Fallbeispielen nicht geplant | gewünscht, sie materialisierten aber vorhandene Bedürfnisse, Wünsche und Praktiken . zahlreiche kleinteilige bauliche Interventionen im Laufe der Nutzung veränderten großmaßstäbliche Siedlungsstrukturen Schritt für Schritt . Erfahrungen, die auch für zukünftige Planungen fruchtbar sein können: Innovatives Potenzial, das der Gemeinschaft für das Hervorbringen weiterer baulicher Evolutionen zur Verfügung steht (vgl. Biologie: Mutation = Veränderung im Erbgefüge). . Ableitung von möglichen weiteren, adaptierten Gebäudetypen 5) Impulse und Potenziale für sozial nachhaltige Planungsstrategien Prozessorientiertes Planen . Stadtplanung als Konzipieren und Initiieren der darauf folgenden Nutzungs-, Gestaltungs- und Aneignungsprozesse . Einbeziehen der BewohnerInnen und NutzerInnen z.B. bei der Planung von Gemeinschaftsräumen . Schaffung von Offenheiten für verschiedenartige Entwicklungen, Möglichkeiten der individuellen Anpassung an Wünsche und Bedürfnisse . Sozial nachhaltige Architektur, die immer wieder adaptiert werden kann 5) Impulse und Potenziale für sozial nachhaltige Planungsstrategien Die Forschungsarbeit wurde 2010 publiziert. Katharina Kirsch-Soriano da Silva: Wohnen im Wandel Mutationen städtischer Siedlungsstrukturen in Recife/Brasilien Reihe: Stadt- und Raumplanung/ Urban and Spatial Planning - Bd. 6. LIT Verlag: Wien/Berlin, 2010. 168 S. ISBN 978-3-643-50170-7 Danke für die Aufmerksamkeit!