kommunalpolitiker und Adventist – geht das? - Advent

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A dv e n t i st e n un d P o l i t i k
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Kommunalpolitiker und
Adventist – geht das?
in ihren Augen nicht gab. So sah man dem politischen
Geschehen zwar interessiert – als „Zeichen der Zeit“ –,
aber doch eher als passiver Beobachter zu.
Frühadventistisches Engagement
in den USA
In den Vereinigten Staaten war man schon im 19.
Jahrhundert der Auffassung, dass Adventisten auch
Verantwortung für ihre Gesellschaft zu übernehmen
hätten, zum Beispiel in der Sklavenfrage, doch lehnte
Frankfurt am Main –
eine faszinierende Stadt
mit zahlreichen Betätigungsmöglichkeiten für
Kommunalpolitiker.
© Heino Pattschull - Fotolia.com
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er in den 50er Jahren den größten Teil
seiner Kindheit im nordhessischen
Bergland, im überschaubaren kleinstädtischen Milieu, als Kind eines adventistischen Pastors aufwächst, der
weiß um die Ambivalenz des Themas Christ und Politik
in der Adventgemeinde. Es gab Gemeindeglieder, die
ihr Wohnzimmer mit der allseits bekannte Darstellung
des breiten und des schmalen Weges schmückten –
der breite, der „böse“ Weg führte an einem großen
Gebäude, dem Parlament vorbei. Jüngere Nachdrucke
machten aus dem Parlament einen
Ballsaal. Es gab aber auch eine Adventistin im Kreistag.
In der volkskirchlichen Provinz war
für Freikirchler die religiöse und damit gesellschaftliche Minderheitensituation noch deutlich im Alltag spürbar. Auch wenn die Mitglieder der
kleinen Adventgemeinden in Nordhessen häufig darunter litten, gingen
sie kämpferisch damit um. Ebenso
ließen sie sich durch den häufig in
Sabbatschule und Predigt formulierten Gegensatz zwischen „Gemeinde
Gottes“ und der „bösen Welt“ nicht
hindern, ihre staatsbürgerlichen oder
nachbarschaftlichen Pflichten zu erfüllen. Aber das staatsbürgerliche
Engagement hielt sich in Grenzen,
zumal die Gemeinde Heimat und
Subkultur war, somit viel Zeit beanspruchte, und weitere politische
oder gesellschaftliche Betätigung ihre
Grenzen durch den traditionellen adventistischen Lebensstil fand.
Die Erfahrungen seit der Kaiserzeit
und der noch sehr lebendige Gedanke der nahen Wiederkunft Christi ließ
es für manche auch sinnlos erscheinen, sich für die
kurze verbleibende Zeit zu engagieren – Zeit, die man
besser für die Mission nutzen konnte. An Parteien wollte man sich nicht binden, zumal es die „ideale“ Partei
Erfahrungen aus der Praxis
man politischen Streit und „Parteienhader“ ab. Die Adventisten folgender Generationen in vielen Teilen der
Welt stellten und stellen aber – gut ausgebildet durch
das adventistische Erziehungswerk – selbstverständlich
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AdventEcho
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Th e m a d e s m o n at s
Stützen der Gesellschaft, Parlamentarier, Minister, Regierungschefs oder Staatsoberhäupter.
Das in Deutschland sehr stark durch das Gemeinschaftschristentum (Pietismus) geprägte kollektive
adventistische Gedächtnis jedoch konnte sich mit dieser Entwicklung nicht anfreunden – obwohl man auf
hochrangige adventistische Politiker aus dem Ausland
stolz war. Deutsche Adventisten, die sich in der Politik
und bei den Gewerkschaften engagierten, taten das
möglichst so unauffällig, dass ihre Gemeinden es kaum
mitbekamen.
Pastorentagung als Schlüsselerlebnis
Walter Bromba
Jahrgang 1946, DiplomTheologe, Religionslehrer
am Schulzentrum Marienhöhe (Darmstadt), begeistert
wohnhaft in Frankfurt am
Main und Mitglied der
Adventgemeinde FrankfurtZentrum. Seit 1999 Ortsvorsteher eines Frankfurter
Stadtbezirks (2001 und
2006 wiedergewählt).
AdventEcho
9/2009
Politisch von Jugend auf interessiert und ausgehend
vom biblischen Menschenbild der Freiheit und Verantwortung sowie dem Eindruck, dass man doch gerade
für die Menschenrechte „etwas tun kann“, versuchte
ich schon früh, mich sporadisch einzubringen. Allerdings war ein festes, dauerhaftes Engagement aus beruflichen Gründen lange Zeit nicht möglich.
Ein Schlüsselerlebnis war eine adventistische Pastorentagung im Jahr 1993, zu der ich als Referent eingeladen worden war. In der Diskussion vertraten einige
Pastoren massive Verschwörungstheorien: „Bonn“ und
„Brüssel“, „die Politik überhaupt“, im Kampf gegen die
Gläubigen als Vorboten der „großen Verfolgung“. Das
wurde festgemacht an einzelnen geplanten Gesetzen
und Verordnungen im Arbeitsrecht, der Sonntagsruhe
etc. Bei Nachfrage zeigte es sich zu meinem großen Erstaunen, dass niemand dieser Beschwerdeführer seine
zuständigen Landtags-, Bundestags- oder Europaabgeordneten kannte und dass sie auch keinen Kontakt mit
Regierungsinstitutionen oder Parteien hatten. Gerechtfertigt wurde diese Widersprüchlichkeit mehrmals mit
dem Satz: „Man kann ja doch nichts tun!“
Ich war anderer Meinung und besuchte von nun
an regelmäßig Veranstaltungen von Bündnis 90/Die
Grünen, trat 1994 in die Partei ein, wurde 1997 in ein
Stadtteilparlament (Ortsbeirat) von Frankfurt am Main
gewählt, das für etwa 55.000 Menschen zuständig ist.
Bei der Kommunalwahl im März 1997 wurde ich Fraktionsvorsitzender und bin seit 1999 in unterschiedlichen
Koalitionen Ortsvorsteher, das heißt Vorsitzender des
Ortsbeirats, der diesen „nach innen und außen“ vertritt.
Nah am Menschen
Politik ist die Aufgabe, menschliche Gesellschaft so
zu organisieren, dass sowohl der Einzelne als auch
gesellschaftliche Gruppen sich frei entfalten können.
Dazu müssen Grenzen gesetzt und Kompromisse geschlossen werden. Gerade in der Kommunalpolitik
gilt, dass die Balance zwischen den verschiedenen
Interessen erhalten oder geschaffen wird: Arbeit und
Wohnen, Alteingesessene und Zugezogene, Alte, Junge und Kinder, arm und reich … Mein Ortsbezirk be­-
herbergt Menschen aus mehr als 130 Nationen und
noch mehr Sprachen. In den Grundschulen hat oft
weniger als die Hälfte der Schüler Deutsch als Muttersprache. Was bedeutet diese Zusammensetzung der
Bevölkerung für Kindergärten, Spiel- und Sportplätze,
Schulen, Bibliotheken, Alteneinrichtungen, Krankenhäuser? Das Grundgesetz garantiert Religionsfreiheit
– Gotteshäuser aber werden in den Kommunen gebaut.
In meiner Zeit als Ortsvorsteher wurde ein neues,
großes Stadtviertel vollendet, eines geplant und fast
vollendet, die Universität innerhalb des Ortsbezirks verlegt und das alte Universitätsviertel wird neuen Raum
für Tausende von Wohn- und Arbeitsplätzen bieten. Was
bedeutet das für die Geschäftswelt, die Infrastruktur,
die Parks und Plätze? Das benachbarte Messegelände
vergrößert sich, was bedeutet das für die Anwohner?
Was bedeutet die Kaufhauskrise für die Haupteinkaufsstraße und die von vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten
abhängigen Menschen?
Eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn sich möglichst viele Menschen mit ihrem Stadtteil und ihrem
Wohnort identifizieren, daher hat der Ortsvorsteher
eine begegnende, vermittelnde Aufgabe. Es ist wichtig,
dass er an Vereinsjubiläen, Kirchenfesten, Grundsteinlegungen, Einweihungen, Ortsterminen, Diskussionsveranstaltungen, der Eröffnung des Weihnachtsmarktes
und anderen Ereignissen teilnimmt, um die Menschen
und ihre Nöte besser kennenzulernen, damit er dann
dieses Wissen in Entscheidungen und in die Zusammenarbeit mit den Ämtern, dem Magistrat, der Stadtverordnetenversammlung oder in Aufsichtsräten einbringen kann.
Christliche Ethik verwirklichen
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die
Möglichkeiten, christliche Ethik in aktives politisches
Handeln umzusetzen, ungemein groß sind. Bei der
Fülle der Entscheidungen in der Politik, allein im kommunalen Bereich, ist es nicht gleichgültig, welches
Menschenbild, welche ethische Grundkonzeption die
Handelnden haben. Denn auch das scheinbar Unspektakuläre trägt zur Normbildung bei, so wie ein Mosaik
aus vielen kleinen Steinchen besteht.
Nun ist auch die Kommunalpolitik keine heile Welt,
sondern eine menschliche mit allen ihren Schattierungen. Doch meine Erfahrung ist, dass die überwiegende
Mehrheit der Kommunalpolitiker guten Willens und
ehrlichen Herzens engagiert ihren Dienst tun, der ja
zum größten Teil ehrenamtlich ist und oft genug Verdruss bringt, weil man es nicht allen recht machen
kann.
Die Verwirklichung christlicher Prinzipien in konkretes politisches Handeln birgt immer die Gefahr
von Fehlern in sich. Wer aber nichts tut, muss die Fehler der Anderen verantworten, die er hätte verhindern
können. ■
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