A dv e n t i st e n un d P o l i t i k 17 Kommunalpolitiker und Adventist – geht das? in ihren Augen nicht gab. So sah man dem politischen Geschehen zwar interessiert – als „Zeichen der Zeit“ –, aber doch eher als passiver Beobachter zu. Frühadventistisches Engagement in den USA In den Vereinigten Staaten war man schon im 19. Jahrhundert der Auffassung, dass Adventisten auch Verantwortung für ihre Gesellschaft zu übernehmen hätten, zum Beispiel in der Sklavenfrage, doch lehnte Frankfurt am Main – eine faszinierende Stadt mit zahlreichen Betätigungsmöglichkeiten für Kommunalpolitiker. © Heino Pattschull - Fotolia.com W W er in den 50er Jahren den größten Teil seiner Kindheit im nordhessischen Bergland, im überschaubaren kleinstädtischen Milieu, als Kind eines adventistischen Pastors aufwächst, der weiß um die Ambivalenz des Themas Christ und Politik in der Adventgemeinde. Es gab Gemeindeglieder, die ihr Wohnzimmer mit der allseits bekannte Darstellung des breiten und des schmalen Weges schmückten – der breite, der „böse“ Weg führte an einem großen Gebäude, dem Parlament vorbei. Jüngere Nachdrucke machten aus dem Parlament einen Ballsaal. Es gab aber auch eine Adventistin im Kreistag. In der volkskirchlichen Provinz war für Freikirchler die religiöse und damit gesellschaftliche Minderheitensituation noch deutlich im Alltag spürbar. Auch wenn die Mitglieder der kleinen Adventgemeinden in Nordhessen häufig darunter litten, gingen sie kämpferisch damit um. Ebenso ließen sie sich durch den häufig in Sabbatschule und Predigt formulierten Gegensatz zwischen „Gemeinde Gottes“ und der „bösen Welt“ nicht hindern, ihre staatsbürgerlichen oder nachbarschaftlichen Pflichten zu erfüllen. Aber das staatsbürgerliche Engagement hielt sich in Grenzen, zumal die Gemeinde Heimat und Subkultur war, somit viel Zeit beanspruchte, und weitere politische oder gesellschaftliche Betätigung ihre Grenzen durch den traditionellen adventistischen Lebensstil fand. Die Erfahrungen seit der Kaiserzeit und der noch sehr lebendige Gedanke der nahen Wiederkunft Christi ließ es für manche auch sinnlos erscheinen, sich für die kurze verbleibende Zeit zu engagieren – Zeit, die man besser für die Mission nutzen konnte. An Parteien wollte man sich nicht binden, zumal es die „ideale“ Partei Erfahrungen aus der Praxis man politischen Streit und „Parteienhader“ ab. Die Adventisten folgender Generationen in vielen Teilen der Welt stellten und stellen aber – gut ausgebildet durch das adventistische Erziehungswerk – selbstverständlich 9/2009 AdventEcho 18 Th e m a d e s m o n at s Stützen der Gesellschaft, Parlamentarier, Minister, Regierungschefs oder Staatsoberhäupter. Das in Deutschland sehr stark durch das Gemeinschaftschristentum (Pietismus) geprägte kollektive adventistische Gedächtnis jedoch konnte sich mit dieser Entwicklung nicht anfreunden – obwohl man auf hochrangige adventistische Politiker aus dem Ausland stolz war. Deutsche Adventisten, die sich in der Politik und bei den Gewerkschaften engagierten, taten das möglichst so unauffällig, dass ihre Gemeinden es kaum mitbekamen. Pastorentagung als Schlüsselerlebnis Walter Bromba Jahrgang 1946, DiplomTheologe, Religionslehrer am Schulzentrum Marienhöhe (Darmstadt), begeistert wohnhaft in Frankfurt am Main und Mitglied der Adventgemeinde FrankfurtZentrum. Seit 1999 Ortsvorsteher eines Frankfurter Stadtbezirks (2001 und 2006 wiedergewählt). AdventEcho 9/2009 Politisch von Jugend auf interessiert und ausgehend vom biblischen Menschenbild der Freiheit und Verantwortung sowie dem Eindruck, dass man doch gerade für die Menschenrechte „etwas tun kann“, versuchte ich schon früh, mich sporadisch einzubringen. Allerdings war ein festes, dauerhaftes Engagement aus beruflichen Gründen lange Zeit nicht möglich. Ein Schlüsselerlebnis war eine adventistische Pastorentagung im Jahr 1993, zu der ich als Referent eingeladen worden war. In der Diskussion vertraten einige Pastoren massive Verschwörungstheorien: „Bonn“ und „Brüssel“, „die Politik überhaupt“, im Kampf gegen die Gläubigen als Vorboten der „großen Verfolgung“. Das wurde festgemacht an einzelnen geplanten Gesetzen und Verordnungen im Arbeitsrecht, der Sonntagsruhe etc. Bei Nachfrage zeigte es sich zu meinem großen Erstaunen, dass niemand dieser Beschwerdeführer seine zuständigen Landtags-, Bundestags- oder Europaabgeordneten kannte und dass sie auch keinen Kontakt mit Regierungsinstitutionen oder Parteien hatten. Gerechtfertigt wurde diese Widersprüchlichkeit mehrmals mit dem Satz: „Man kann ja doch nichts tun!“ Ich war anderer Meinung und besuchte von nun an regelmäßig Veranstaltungen von Bündnis 90/Die Grünen, trat 1994 in die Partei ein, wurde 1997 in ein Stadtteilparlament (Ortsbeirat) von Frankfurt am Main gewählt, das für etwa 55.000 Menschen zuständig ist. Bei der Kommunalwahl im März 1997 wurde ich Fraktionsvorsitzender und bin seit 1999 in unterschiedlichen Koalitionen Ortsvorsteher, das heißt Vorsitzender des Ortsbeirats, der diesen „nach innen und außen“ vertritt. Nah am Menschen Politik ist die Aufgabe, menschliche Gesellschaft so zu organisieren, dass sowohl der Einzelne als auch gesellschaftliche Gruppen sich frei entfalten können. Dazu müssen Grenzen gesetzt und Kompromisse geschlossen werden. Gerade in der Kommunalpolitik gilt, dass die Balance zwischen den verschiedenen Interessen erhalten oder geschaffen wird: Arbeit und Wohnen, Alteingesessene und Zugezogene, Alte, Junge und Kinder, arm und reich … Mein Ortsbezirk be­- herbergt Menschen aus mehr als 130 Nationen und noch mehr Sprachen. In den Grundschulen hat oft weniger als die Hälfte der Schüler Deutsch als Muttersprache. Was bedeutet diese Zusammensetzung der Bevölkerung für Kindergärten, Spiel- und Sportplätze, Schulen, Bibliotheken, Alteneinrichtungen, Krankenhäuser? Das Grundgesetz garantiert Religionsfreiheit – Gotteshäuser aber werden in den Kommunen gebaut. In meiner Zeit als Ortsvorsteher wurde ein neues, großes Stadtviertel vollendet, eines geplant und fast vollendet, die Universität innerhalb des Ortsbezirks verlegt und das alte Universitätsviertel wird neuen Raum für Tausende von Wohn- und Arbeitsplätzen bieten. Was bedeutet das für die Geschäftswelt, die Infrastruktur, die Parks und Plätze? Das benachbarte Messegelände vergrößert sich, was bedeutet das für die Anwohner? Was bedeutet die Kaufhauskrise für die Haupteinkaufsstraße und die von vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten abhängigen Menschen? Eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn sich möglichst viele Menschen mit ihrem Stadtteil und ihrem Wohnort identifizieren, daher hat der Ortsvorsteher eine begegnende, vermittelnde Aufgabe. Es ist wichtig, dass er an Vereinsjubiläen, Kirchenfesten, Grundsteinlegungen, Einweihungen, Ortsterminen, Diskussionsveranstaltungen, der Eröffnung des Weihnachtsmarktes und anderen Ereignissen teilnimmt, um die Menschen und ihre Nöte besser kennenzulernen, damit er dann dieses Wissen in Entscheidungen und in die Zusammenarbeit mit den Ämtern, dem Magistrat, der Stadtverordnetenversammlung oder in Aufsichtsräten einbringen kann. Christliche Ethik verwirklichen Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Möglichkeiten, christliche Ethik in aktives politisches Handeln umzusetzen, ungemein groß sind. Bei der Fülle der Entscheidungen in der Politik, allein im kommunalen Bereich, ist es nicht gleichgültig, welches Menschenbild, welche ethische Grundkonzeption die Handelnden haben. Denn auch das scheinbar Unspektakuläre trägt zur Normbildung bei, so wie ein Mosaik aus vielen kleinen Steinchen besteht. Nun ist auch die Kommunalpolitik keine heile Welt, sondern eine menschliche mit allen ihren Schattierungen. Doch meine Erfahrung ist, dass die überwiegende Mehrheit der Kommunalpolitiker guten Willens und ehrlichen Herzens engagiert ihren Dienst tun, der ja zum größten Teil ehrenamtlich ist und oft genug Verdruss bringt, weil man es nicht allen recht machen kann. Die Verwirklichung christlicher Prinzipien in konkretes politisches Handeln birgt immer die Gefahr von Fehlern in sich. Wer aber nichts tut, muss die Fehler der Anderen verantworten, die er hätte verhindern können. ■