Die Wortschatz-Grammatik-Schnittstelle aus der

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Brigitte HANDWERKER *
Die Wortschatz-Grammatik-Schnittstelle aus der
Sprachlernperspektive
Zur Entwicklung lexikalisch-grammatischer Kompetenz am Beispiel der
Klassenbildung beim Verb
Abstract. Lexical classes are useful in vocabulary acquisition, for the class-internal similarities with
respect to semantic, syntactic or morphological properties lead to predictions about the distributional
behaviour of individual words. In the present paper, we discuss German Psych-verbs (“psychological
verbs”) in order to show (a) how utterance meaning can be predicted systematically, and (b) how the
parallelism between the semantic structure of a verb and its morphosyntactic potential can be used for
input processing and language production. The relevant semantic and morphosyntactic properties of
Psych-verbs are discussed in part I. Part II places the focus on the features “state” and “change of state”
as acquisition problems in the context of Psych-Verbs and introduces bootstrapping strategies for
learners. In part III, we exemplify for a particular verb, how different conceptualizations of situations
give rise to different constructions. Finally we characterize subgroups of German Psych-verbs and their
typical uses (part IV) and discuss ideas for the handling of Psych-verbs in the classroom based on using
ready-made sequences for memorization.
0.
Einleitung
Die Zuordnung von Wörtern zu Klassen ist fester Bestandteil des Instrumentariums in der
Wortschatzvermittlung, weil das Erfassen von Ähnlichkeiten der semantischen, syntaktischen und morphologischen Eigenschaften innerhalb einer Wortklasse eine Basis schafft
für die Vorhersage des Verhaltens eines Wortes in einer Anwendungssituation. Wie stark
die Zuordnung einem Sprachenlerner helfen kann auf dem Weg zum „Beherrschen“ eines
Wortes, hängt unter anderem davon ab, ob es sich im konkreten Fall um einen guten
Vertreter der Klasse oder um ein Randexemplar handelt: Sowohl Wortklassen als auch
Konstruktionsklassen lassen sich im Hinblick auf ihre Syntax und Semantik als Kategorien mit einer Prototypenstruktur beschreiben, deren beste Vertreter sich durch ein
Bündel von Eigenschaften auszeichnen, die für die weniger guten nur bedingt zutreffen.
Man vergleiche hierzu TAYLOR (20033), der eingehend die Relevanz des Prototypenbegriffs für das Erfassen sprachlicher Kategorien und ihres Erwerbs diskutiert. Ausgangspunkt für den folgenden Beitrag ist eine Subklasse der deutschen Verben, deren
semantische und morphosyntaktische Eigenschaften auffällig sind; die besten Vertreter
*
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Brigitte HANDWERKER, Univ.-Prof., Humboldt-Universität zu Berlin,
Phil. Fak. II, Unter den Linden 6, 10099 BERLIN
E-mail: [email protected]
Arbeitsbereiche: Deutsch als Fremdsprache: Lexikon und Grammatik, Sprachlern- und -lehrforschung.
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der Subklasse lassen sich durch ein Bündel von semantischen und morphosyntaktischen
Eigenschaften beschreiben, dessen Kenntnis einen Sprachenlerner in zweierlei Hinsicht
in der Entwicklung seiner lexikalisch-grammatischen Kompetenz fördern soll:
(i)
(ii)
Das Erschließen der Bedeutung von Äußerungen, die einen Vertreter der Klasse
enthalten, soll systematisiert werden.
Der Zusammenhang zwischen der lexikalisch-semantischen Struktur der Verben
und ihrem morphosyntaktischen Potenzial soll für die Zwecke einer strategischen
Inputverarbeitung herauskristallisiert werden.
Die beiden Ziele, die sich für verschiedene Verbklassen verfolgen lassen, werden hier
anhand der Klasse der so genannten psychischen Wirkungsverben (von nun an: psychWVerben) des Deutschen angegangen. Abschnitt 1 stellt die semantischen und morphosyntaktischen Eigenschaften der Verbklasse vor; Abschnitt 2 präsentiert die Bedeutungskomponente „Zustand“ bzw. „Zustandswechsel“ der psychW-Verben als Erwerbsproblem und behandelt den Zusammenhang von Verbsemantik und Konstruktion unter dem
Aspekt der Steigbügel-Nutzung als Lernerstrategie. Abschnitt 3 exemplifiziert die Konzeptualisierung von Sachverhalten, die zur Versprachlichung mit psychW-Verben führt.
Abschnitt 4 arbeitet Subgruppen der psychW-Verben mit ihrer typischen Verwendung
heraus und bezieht die Lexikalisierungstendenz ihrer Partizipien ein. Abschnitt 5 gibt
Anregungen zum Umgang mit psychW-Verben in der Vermittlung, wobei der Einsatz
vorgefertigter Sequenzen für die Memorisierung im Vordergrund steht.
1.
Die psychischen Wirkungsverben: Eigenarten einer Verbklasse
1.1 Semantische Eigenschaften und Realisierung der Verbargumente
Die psychW-Verben sind für das Deutsche erstmals von RAPP (1997) als eigene Klasse
etabliert worden; mit HÄRTL (2001) liegt inzwischen eine empirisch gestützte Studie zur
Konzeptualisierung der Verursachung psychischer Zustände und ihrer Versprachlichung
im Deutschen vor. Viel diskutiert wurden die Besonderheiten der Verbklasse unter dem
Aspekt des Argument-Linking, d.h. der Zuordnung von Verbargumenten zu syntaktischen Funktionen. GRIMSHAW (1990) und DOWTY (1991) problematisieren die Argumentrealisierung bei den so genannten frighten-Verben, bei denen das Argument, das den
Stimulus präsentiert, als Subjekt erscheint, obwohl seine semantische Rolle („Theme“ in
der Terminologie von Grimshaw) in der Linking-Hierarchie niedriger angesetzt ist als die
des belebten Experiencers (vgl. Beispiel 1). Eine „gute“ Abarbeitung der Linking-Hierarchie führt zur Realisierung des Agens als Subjekt, wann immer ein Agens vorliegt, und
zur Realisierung des Experiencers als Subjekt, wenn kein Agens, aber eine belebte,
wahrnehmende Entität in der lexikalisch-semantischen Struktur des Verbs gegeben ist.
Letzteres ist erfüllt bei der Klasse der fear-Verben (vgl. Beispiel 2): fear-Verb-Konstruktionen bezeichnen die Zustände, deren Verursachung durch die kausativen frightenVerb-Konstruktionen ausgedrückt wird.
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(1) Thunder frightens them
(2) They fear thunder
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(Thema/Stimulus - Experiencer);
(Experiencer – Thema/Stimulus).
Die 2-Klassen-Situation bei den psych-Verben hat ELLIS (1997) als Ausgangspunkt für
den Entwurf aufmerksamkeitssteuernder Aufgaben mit dem Ziel der Identifikation von
Form-Funktion-Zuordnungen gewählt. Ein für deutsche Englischlerner fehlerträchtiges
Beispiel ist das Paar (ELLIS 1997: 154):
(3) Sometimes people like dogs
(4) Sometimes people disgust dogs
(Experiencer - Stimulus);
(Stimulus – Experiencer).
Durch die 2-Klassen-Situation scheint sich ein ernstes Hindernis aufzutun, nachdem die
prototypische transitive Konstruktion „x verb-t y“ die Möglichkeit des Bootstrapping(Steigbügel)-Verfahrens für Lernzwecke eröffnet hatte. Vor dem Hintergrund der Diskussion zum Bootstrapping im Erstspracherwerb (vgl. PINKER 1994, FISHER [et al.] 1994)
bot sich als Hilfsmittel für die Steuerung im L2-Erwerb ein „Steigbügel“ an, der es
erlauben sollte, von der syntaktischen auf die semantische Ebene zu gelangen: Eine
transitive Konstruktion mit einem unbekannten Verb in einem agentivischen Kontext
lässt in Sprachen, für die der Subjektbegriff definiert ist, den Schluss zu, dass das Subjekt
der Träger der Agens-Rolle ist. Umgekehrt lässt sich bei einem unbekannten Verb, das
ein Argument mit der semantischen Rolle des Agens besitzt, die Realisierung dieses
Arguments in der Subjekt-Position vorhersagen. In den Beispielen (5a) und (5b) wird
deutlich, dass ein neues Verb wie tastebeln mit der Bedeutung von basteln mit Sicherheit
ein Linking-Verhalten aufweisen würde wie in (5a), wo der Agens-Träger als Subjekt
erscheint, und nicht wie in (5b), wo die Linking-Hierarchie durchbrochen wird (vgl.
ENGELBERG 2000: 6):
(5a) Der Klavierlehrer tastebelt einen Notenständer
(5b) *Ein Notenständer tastebelt den Klavierlehrer
(Agens – Thema/Patiens);
(Thema/Patiens – Agens).
Woran aber liegt es nun, dass bei den frighten-Verben die Hierarchie der Rollen, die
vorhersagt, dass bei der Subjektrealisierung ein Experiencer prominenter behandelt wird
als eine unbelebte Entität (wie in Beispiel 6) durchbrochen wird? Wie kommt es dazu,
dass der Experiencer die Subjekt-Funktion an einen „primären Vorgang“ (wie in Beispiel
7) bzw. an eine an einem primären Vorgang beteiligte Stimulus-Entität (wie in Beispiel
8) abgeben muss?
(6) Der Klavierlehrer liebt Getöse
(7) Das Getöse der Glocken ängstigt den Klavierlehrer
(8) Die Glocken ängstigen den Klavierlehrer
(Experiencer – Thema/Stimulus);
(Thema/Stimulus – Experiencer);
(Thema/Stimulus – Experiencer).
Die Qualifikation der Stimulus-Entität für die Funktion des Subjekts erklärt GRIMSHAW
(1990: 35) mit ihrer Position in der aspektuellen Hierarchie innerhalb der lexikalischsemantischen Struktur des frighten-Verbs. Eine verursachende Größe wird in ihrem
Modell prominenter behandelt als ein (belebter) Experiencer, obwohl dieser von der
semantischen Rolle her höher angesiedelt ist. DOWTY (1991: 580) dagegen erklärt die
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Argumentrealisierung durch eine größere Anzahl prototypischer Patiens-Eigenschaften
auf Seiten des Experiencers, wenn man die Charakteristika des Stimulus mit denen des
Experiencers in einer frighten-Verb-Konstruktion vergleicht. Entscheidend ist dabei die
Eigenschaft des Experiencers, eine Zustandsveränderung zu durchlaufen, was ihn in einer
transitiven Konstruktion als gutes Objekt qualifiziert.
Zurück zu unserem Gegenstand: Die deutschen psychW-Verben, die die Argumentrealisierung der frighten-Verben teilen, laden aus linguistischer wie sprachlernbezogener
Sicht zur näheren Befassung ein, weil mit ihren semantischen Besonderheiten
– einerseits ein auffälliges syntaktisches Verhalten verbunden ist (vgl. 1.2), was sie zu
einem geeignetem Gegenstand für eine grammatikentlastende systematische Wortschatzarbeit macht,
– und weil sie andererseits durch die Existenz des oftmals nur implizit vorhandenen
Primärvorgangs bzw. -sachverhalts den Einsatz von Strategien zur Erschließung der
Äußerungsbedeutung verlangen.
Das Stimulus-Subjekt kann den verursachenden Primärvorgang in Form eines Verbalabstraktums wie in (9) oder eines eingebetteten Satzes wie in (10) explizit machen,
oftmals aber muss der Primärvorgang wie in (11) und (12) über eine Stereotyprelation
erschlossen werden:
(9)
(10)
(11)
(12)
Sein Schweigen irritiert mich
Dass er immer noch schweigt, irritiert mich
Dieses Buch enttäuscht mich
Der Film begeistert mich
Die Stereotyprelation bezieht sich auf die Art und Weise, durch die sich die Wirkung des
Stimulus auf den psychischen Zustand des Experiencers entfalten kann:
zu (11): „ein Buch wird gelesen“
zu (12): „ein Film wird angesehen“ (vgl. RAPP 1997: 77).
Um Hypothesen über die volle Mitteilungsintention ohne weitere Präzisierung von Seiten
des Sprechers aufstellen zu können, ist weiteres Wissen über Typizität notwendig,
diesmal über kulturell gebundene und/oder idiosynkratische typische Verwendungen
eines Ausdrucks für bestimmte Sachverhalte/Vorgänge:
Zu (11): Von einer Äußerung wie Dieses Buch enttäuscht mich wird im Default-Fall
auf eine Situation geschlossen, in der das Lesen des Buches beim Experiencer nicht die
Erwartungen bezüglich Inhalt, Stil, literarischer Qualität etc. erfüllt hat. Ohne weitere
Angaben oder die Kenntnis der Eigenarten des Sprechers wird nicht auf eine Situation
geschlossen, in der ein Buch nicht dick genug war, um darauf bequem sitzen zu können.
Zu (12): von einer Äußerung wie Dieser Film begeistert mich wird im Default-Fall auf
eine Situation geschlossen, in der das Ansehen des Films beim Experiencer hochgradig
die Erwartungen bezüglich Drehbuch, Regie, Kameraführung, schauspielerischer Qualität
etc. erfüllt hat. Denkbar wären aber kultur- und personenabhängig auch gänzlich andere
für begeisternd erachtete Eigenschaften eines Films.
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Um in die Aufbereitung für Vermittlungszwecke einzusteigen, behalten wir – den
genannten Eigenschaften entsprechend – eine kleine Auswahl von psychW-Verben des
Deutschen zurück, zu denen sich viele andere gesellen könnten:
abschrecken, abstoßen, anregen, ärgern, aufregen, beeindrucken, begeistern, beglücken, beruhigen, empören, enttäuschen, entzücken, erfreuen, erheitern, erfreuen, erschrecken, erstaunen,
faszinieren, freuen, interessieren, irritieren, langweilen, schockieren, trösten, überraschen,
überzeugen, verärgern, verwirren, verwundern, wundern
Ein Zugehörigkeitstest, der auf die semantische Eigenschaft des Primärvorgangs/-sachverhalts abzielt, ist die Einbettung eines Satzes in Subjektposition:
(13) Dass ich so fröhlich bin, [psychW-Verb]-t mich.
Evidenz dafür, dass psychW-Verb-Konstruktionen mit einem Experiencer-Objekt weiter
produktiv sind, erbringt eine Studie zu jugendsprachlichen Verben von WEGENER (1999),
die auch einen Anhang mit weiteren „etablierten“ psychischen Verben enthält.
1.2 Morphosyntaktisches Verhalten und kontextuelle Kompatibilität
Kennzeichnend für psychW-Verben sind neben den in 1.1 behandelten semantischen
Eigenschaften die folgenden:
(i)
PsychW-Verben sind transitiv.
(ii)
Sie treten selten im Imperativ auf, was als Niederschlag ihrer indirekten Kausativität (Primärvorgang als Wirkungsursache) zu deuten ist, wodurch (15) als ein
angemessenerer Ausdruck einer Aufforderung erscheint als (14) (vgl. RAPP 1997:
70):
(14) Erheitere ihn!
(15) Tu etwas, wodurch du ihn erheiterst!
(iii) PsychW-Verb-Konstruktionen sind mit durch/mit-Phrasen kombinierbar, durch die
der Primärvorgang erschlossen werden kann (vgl. Rapp 1997: 71ff.):
(16) Er erheiterte mich durch die Sonate/mit der Sonate.
(iv) PsychW-Verben treten in der Kopula+Partizip2-Konfiguration auf, obwohl sie
nicht die dafür notwendigen semantischen Bedingungen wie Telizität erfüllen. Für
eine hier einschlägige Diskussion der Kopula+Partizip2-Konfiguration vergleiche
man BRANDT (1982), RAPP (1997), HANDWERKER (2002). Der Vendlersche Test
zur Feststellung eines Grenzpunktes (vgl. VENDLER 1967) bringt ein negatives
Ergebnis:
(17) ?*Radames benötigte 3 Stunden, um Aida zu faszinieren/zu enttäuschen.
Und dennoch ist möglich:
(18) Aida ist fasziniert/enttäuscht.
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(18) entspricht dem Zustandspassiv B bei Brandt (1982: 32), die diesem die Funktion einer Charakterisierung zuspricht, die dem Vorgangspassiv bei nicht-resultativen Verben entspricht. Durch eine solche Analyse wird aber nicht die Relation der
(quasi simultanen) Verursachung durch einen Primärvorgang erfasst.
(v)
Das adjektivierte Partizip 1 der psychW-Verben erlaubt die prädikative Verwendung wie in (19), es sei denn, es liegen lexikalische Blockierungen vor wie in (20):
(19) Das/Aida ist entzückend/enttäuschend.
(20) Aber: Der Zustand der Örtlichkeiten ist entsetzlich, *entsetzend.
(vi) PsychW-Verben erlauben keine Integration in eine Resultativkonstruktion des Typs
(21), da der Resultatszustand des Experiencers in ihnen lexikalisch spezifiziert ist:
(21) Er hat mich müde getanzt – Ich bin müde
Aber nicht:
(22) *Er hat mich fanatisch begeistert – Ich bin fanatisch.
(vii) Das werden-Passiv mit psychW-Verben ist äußerst selten, was sich nicht mit der
fehlenden Agentivität erklären lässt, da auch Zustandsverben wie lieben ein
werden-Passiv bilden. Plausibler erscheint es, auch hier den Grund in der indirekten
Kausativität zu sehen.
Die gemeinsamen Eigenschaften der psychW-Verben lassen die Etablierung einer
eigenen Subklasse als gerechtfertigt erscheinen, auch wenn ihre Notwendigkeit für die
Grammatikschreibung weiter umstritten ist. Für das Wortschatzlernen und -lehren ist sie
unbestreitbar von hohem Nutzen, da vor ihrem Hintergrund die Lernerfragen zum
auffälligen Verhalten der Partizipien und zur Zuordnung von semantischen Rollen und
syntaktischer Funktion eine systematische, einheitliche Behandlung erfahren können.
2.
Zustands(wechsel)komponenten in der Verbsemantik als Erwerbs- und
Lernproblem
Kinder produzieren Antworten in Dialogen wie dem folgenden:
(23) Mutter: „Hast du Opa geweckt?“
Kind: „Ja, aber er ist nicht wach geworden.“
Das, was ein Kind durch die Evidenz der Unangemessenheit einer Äußerung in einer
Situation nach und nach lernt, lässt sich für Lehrzwecke durch die explizite Dekomposition der Verbbedeutung leisten. So wie es zur Lernaufgabe des Kindes gehört, beim
Aufbau des lexikalischen Wissens Bedeutungskomponenten zu identifizieren, die für
ganze Klassen von Verben charakteristisch sind, beinhaltet systematische Wortschatzarbeit die Identifikation der sprachlich festmachbaren semantischen Komponenten. Zur
Bedeutung des Verbs wecken gehört die Information über den Endzustand des Gegenstands, auf den sich der Objektausdruck bezieht, was Kindern bis zum Alter von 6 Jahren
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Schwierigkeiten bereitet: Verben des Zustandswechsels werden wie reine Tätigkeitsverben interpretiert (WITTEK 1999: 291). Im Gegensatz zur für den erwachsenen L2Lerner leicht nachvollziehbaren Konzeptualisierung eines Sachverhalts des Weckens ist
die Zuweisung einer lexikalisch-semantischen Struktur zu den psychW-Verben ein
schwieriges Unterfangen. Zwar ist der lexikalisch fixierte Resultatszustand bei wecken
dadurch verdunkelt, dass die Kopula+P2-Konstruktion wegen des konkurrierenden
Adjektivs wach nicht verwendet wird:
(24) Wenn man Opa geweckt hat, ist er (zumindest einen Moment) wach/*geweckt
Doch besteht für ein Verb wie wecken Einigkeit über das Vorliegen einer semantischen
Komponente „Resultativität“, die, wenn keine lexikalische Konkurrenz besteht, die
Bildung der Kopula+P2-Konstruktion erlaubt. Im Falle der psychW-Verben haben wir
zwar im Allgemeinen die Evidenz der Kopula+P2-Konstruktion, aber die konzeptuellen
Verhältnisse und der Zusammenhang von Verbsemantik und grammatischem Niederschlag sind sehr viel schwieriger herauszuarbeiten, da es keine eindeutige Zuordnung der
Zeitintervalle von primärem Vorgang, Wahrnehmung durch den Experiencer und bewirktem Zustand gibt (vgl. dazu Abschnitt 3).
Ganz allgemein gilt, dass für die Möglichkeit bestimmter Konstruktionen – wie in
Abschnitt 1.2 aufgeführt – der Situationstyp eines Verbs bzw. des Verbkomplexes
entscheidend ist: Der Situationstyp ergibt sich aus den semantischen Eigenschaften
sprachlicher Ausdrücke, die eine Situation charakterisieren, und zwar hinsichtlich einer
inhärenten zeitlichen Grenze oder eines resultierenden Zustands. Recht zuverlässige
Vorhersagen zur Verwendbarkeit der Partizipien bestimmter Verben machen es im
Prinzip möglich, das Bootstrapping- bzw. Steigbügelverfahren für die Vermittlung von
Verben zu nutzen. Zu den syntaktisch relevanten Bedeutungsbestandteilen gehört dabei
zweifelsfrei der Situationstyp [+inhärent telisch] (vgl. HANDWERKER 2003). Entscheidend für gewisse Konstruktionen ist die Frage, ob ein Kulminationspunkt vorliegt wie in:
(25) Der Gipfel ist erreicht
oder ob ein Partizipant einen (plötzlichen) Zustandswechsel bzw. eine (allmähliche)
Zustandsveränderung durchlaufen hat:
(26) Die Frau ist geschminkt.
Wenn ein Fremdsprachenlerner eine Äußerung der Form Kopula+Partizip2 (von nun an:
P2) verarbeitet, kann er im Allgemeinen auf das Vorliegen eines Nachzustands zu einem
vorangehenden Geschehen schließen. Ein viel diskutierter Ausreißer sind die Zustandsverben wie bewohnen, deren Kopula+P2-Konstruktion quasi synomym zum werdenPassiv ist.
In umgekehrter Perspektive ergibt sich für die Lernerproduktion aus der Kenntnis des
Niederschlags der Verb(komplex)semantik, dass eine Kopula+P2-Konstruktion mit
einem reinen Aktivitätsverb wie streicheln nicht möglich ist.
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(27) *Sie ist gestreichelt.
Wohin gehören nun die psychW-Verben? Der Zustandswechsel bezüglich des Experiencers wird ihnen in der Literatur nicht durchgehend zugesprochen. Mit dem Terminus
„emotives Resultativ“ ordnen LITVINOV/NEDJALKOV (1988: 70 f) den bewirkten Zustand
zwar als Resultat einer Veränderung ein; sie verweisen aber gleichzeitig auf die Problematik des Begriffs „vorangehende Handlung“. RAPP (2001) verwirft im Gegensatz zu
RAPP (1997) den Begriff der Resultativität für psychW-Verben gänzlich. Es verbleibt
jedoch für die Zwecke der Vermittlung bei aller theoriebezogenen Umsicht die Aufgabe,
die kausale Beziehung zwischen dem Primärvorgang/-sachverhalt und dem ExperiencerZustand als konzeptuelle Größe zu erfassen. Letzterer wäre ohne Ersteres nicht gegeben.
Will man terminologisch vorsichtig sein, so bietet sich die Lösung von KLEIN (1999: 59)
an, der die Beziehung einer Art simultaner Kausalität bzw. Bedingtheit mit dem Terminus
der „Hume-Relation“ bezeichnet. So bleibt offen, ob der bewirkte Zustand als Nachzustand eines innerhalb der Situation konzeptualisierten Wechsels oder als bewirkte
Begleiterscheinung des Primärvorgangs/-sachverhalts aufzufassen ist. Die verschiedenen
Möglichkeiten der Konzeptualisierung, die der Verwendung einer psychW-Verb-Konstruktion zugrunde liegen können, werden in Abschnitt 3 durchgespielt.
Das Phänomen, dass die psychW-Verben zu einer einheitlichen Behandlung einladen,
dass aber die semantischen Eigenschaften, die das überraschend einheitliche Verhalten
auslösen, für den nativen Sprecher nicht klar ablesbar sind, erinnert an die Beschreibung
des sprachlichen Kryptotyps bei WHORF (1956: 70 ff): Als Kryptotyp bezeichnet er eine
verdeckte linguistische Klasse, die durch die linguistische Analyse als funktionell wichtiges Element in der Grammatik aufgezeigt werden kann. Einer solchen Klassenbildung
kann ein schwer fassbares Bedeutungselement zugrunde liegen. Eines seiner Beispiele
sind die transitiven englischen Verben, die eine Präfigierung mit un- erlauben: to uncover
/ to untie / to unfold. Ihnen gegenüber gestellt werden die nicht akzeptierten Bildungen
*to unbreak / *to unopen / *to undry. Durch erfundene Testwörter zeigt Whorf den
Konsens in der Zuordnung von Bedeutung und Konstruktionsverhalten auf: Das Verb to
flimmick lässt sich in der angenommenen Bedeutung von „to tie a tin can to“ mit unpräfigieren: He unflimmicked the dog. In der angenommenen Bedeutung von „to take
apart“ ist die un-Präfifierung ausgeschlossen: *He unflimmicked the set of radio parts.
Nicht nur für den Bereich der psychW-Verben stellt sich mithin die Frage, wie verdeckte Klassen ans Tageslicht befördert – und für die Sprachvermittlung greifbar gemacht – werden können. Ohne Zweifel sind sie mit dafür verantwortlich, dass selbst
fortgeschrittene Lerner häufig unnatürlich klingen und weder Sprachvermittler noch gar
„normale“ native Sprecher ihnen sagen können, woran es denn liegt. Unsichtbar bleibt
zudem das, was Kryptotypen auf der Rezeptionsseite anrichten. Ob es einem Lerner
gelingt, die Konzeptualisierung eines Sachverhalts durch einen nativen Sprecher in der
Sprechsituation nachzuvollziehen, wird nicht notwendigerweise offensichtlich. Ein
Versuch, die möglichen Zusammenhänge zwischen Konzeptualisierung und sprachlichem
Ausdruck bei den dunklen psychW-Verben ein wenig zu lichten, wird im folgenden
Abschnitt unternommen.
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3.
Brigitte Handwerker
Konzeptualisierung und Versprachlichung
Am Beispiel verschiedener Primärvorgänge/-sachverhalte, die den psychischen Zustand
des Begeistertseins auf Seiten eines Experiencers auslösen, sollen in diesem Abschnitt
mögliche Konzeptualisierungen, die einer psychW-Verb-haltigen Äußerung zugrunde
liegen können, aufgezeigt werden.
Schaubild 1 [S. 185] steht für einen Primärvorgang „Radames singt“, der in Form des
Stimulus-Subjekts „Radames’ Gesang“ als Ursache für die Wirkung auf den Experiencer
„Aida“ explizit gemacht wird. Für die Konzeptualisierung des Sachverhalts im Hinblick
auf seine Versprachlichung bieten sich die folgenden Optionen:
I
Der Sprecher wählt den Stimulus als zentrale Größe. Der Stimulus wird zum Subjekt
einer aktivischen Konstruktion.
Ia Der Stimulus, der in Schaubild 1 identisch mit dem Primärvorgang gesetzt ist, wird
als andauernd und eventuell sogar den bewirkten Zustand überdauernd angesehen; es
ergeben sich als mögliche Versprachlichungen:
(28) Radames’ Gesang begeistert Aida seit zwei Stunden.
(29) Radames’ Gesang begeisterte Aida zwei Stunden lang, dann wurde es ihr zuviel/verstarb sie.
Ib Der Stimulus wird entweder als vor dem unbestimmten Ende des bewirkten Zustands
endend oder als gleichzeitig mit dem bewirkten Zustand endend angesehen; es ergibt
sich als mögliche Versprachlichung:
(30) Radames’ Gesang begeisterte Aida zwei Stunden lang, dann erstarb er.
II Der Sprecher wählt den Experiencer als zentrale Größe. Der Experiencer wird zum
Subjekt einer Kopula+P2-Konstruktion.
IIa Wird die Perspektive des Wirkungsgeschehens selbst eingenommen, so ergibt sich
als mögliche Versprachlichung (nicht im Schaubild aufgeführt):
(31) Aida wird von Radames’ Gesang begeistert.
Das werden-Passiv ist für psychW-Verben in Korpora äußerst selten belegt (vgl.
Abschnitt 4).
IIb Wird die Perspektive des Resultatzustands eingenommen, so ergibt sich als mögliche
Versprachlichung im Falles seines Andauerns:
(32) Aida ist von Radames’ Gesang (immer noch) begeistert.
Die Kompatibilität mit immer noch weist die psychW-Verb-Partizipien als „Target
State Participles“ aus, die im Gegensatz zu den in der Terminologie von Kratzer
(2000) „Resultant State Participles“ genannten Partizipien einen Zustand als reversibel auszeichnen (zu Nachzuständen verschiedenen Typs vgl. auch Parsons
1990). „Resultant State Participles“ sind z.B. bewiesen und gewaschen mit der
entsprechenden Verwendungsbeschränkung:
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(33) *Das Theorem ist immer noch bewiesen.
(34) *Die Kinder sind immer noch gewaschen.
Für das „Target State Participle“ ist dagegen möglich:
(35) Aida ist von Radames’ Gesang nicht mehr begeistert.
Um die Konzeptualisierung des Sachverhalts durch den Sprecher nachzuvollziehen, muss
der Rezipient - dank des expliziten Primärvorgangs im Stimulus - nur die Stereotyprelation „Gesang => gehört werden“ (vgl. 1.1) erschließen. Im Schaubild 2 [S. 186] dagegen
wird ein Partizipant des Primärvorgangs als zentrale Größe gewählt und damit zum
Stimulus-Subjekt. Zusätzlich zum Erschließen des Typs der Wahrnehmung, die den
bewirkten Zustand auslöst (Sehen, Hören, Fühlen, Erfahren von Seiten Aidas), muss der
Primärvorgang (Radames besiegte die Äthiopier) aus dem Wissen über geeignete Primärvorgänge gewählt werden, da in der Versprachlichung nur ein Teil dieses Vorgangs
explizit gemacht wird. Im Falle von Eigennamen oder unspezifischen Kennzeichnungen
wie der Mann wird keine interpretationssteuernde Stereotyprelation ausgelöst (vgl. dazu
Schaubild 3 [S. 187]).
Schaubild 1
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Brigitte Handwerker
Schaubild 2
Schaubild 3 [S. 187] illustriert das für den interkulturellen Aspekt des Wortschatzlernens
relevante Phänomen, dass Implizites über die Annahme revidierbarer Eigenschaftszuschreibungen erschlossen wird:
(36) Liz Taylor ist von ihrem neuen Ehemann begeistert.
Der erste Schluss betrifft wieder die Art der Wahrnehmung des Primärsachverhalts. Hier
bieten sich viele Kandidaten, z.B. „Spüren“. Der zweite Schluss aber betrifft das Bündel
von Eigenschaften (das Stereotyp), das kulturell abhängig Ehemännern zugeordnet wird,
die ihre Ehefrauen begeistern. Ein solches Stereotyp kann aus kontextabhängig hierarchisch geordneten Eigenschaften bestehen: in unserem Beispiel etwa „treu, intelligent,
stark, reich, etc.“ (für einen Überblick vgl. HANDWERKER 1989). Ohne Präzisierung lässt
die Versprachlichung vielfache Hypothesen über den verursachenden Primärsachverhalt
zu.
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Schaubild 3
Für alle Schaubilder gilt, dass offen bleibt,
– ob der Eintritt des bewirkten Zustands punktuell ist oder einer allmählichen Entwicklung unterliegt
– und ob die Ursache für den bewirkten Zustand allein beim Stimulus festgemacht wird:
Eine sekundäre Ursache kann auch beim Experiencer liegen (Liz Taylor ist Männern
gegenüber zunächst einmal unkritisch).
4.
Psychische Wirkungsverben: Verwendungen und Beschränkungen
In Abschnitt 1 und 2 wurden die semantischen und morphosyntaktischen Gemeinsamkeiten der psychW-Verben herausgestellt, Abschnitt 3 war dem Zusammenspiel von
Konzeptualisierung und grammatischer Realisierung gewidmet. Im folgenden Abschnitt
soll deutlich gemacht werden, dass die Klasse der psychW-Verben sich genau so verhält,
wie es WUNDERLICH (1985: 189) für jede Verbklasse voraussagt: Je nach Verwendung
lässt sich ein Verb verschiedenen Situationstypen zuordnen; mal wird es eher als Ausdruck eines Handlungsprädikats, mal eher als Ausdruck eines Zustandsprädikats verstanden. Die folgenden Beispiele sind dem Korpus „Cosmas I – Version R.2.9-4“ des
Instituts für deutsche Sprache entnommen. Die Daten zeigen, dass die psychW-Verb33 (2004)
188
Brigitte Handwerker
Konstruktionen sowohl in der gesprochenen als auch in der geschriebenen Sprache
vielfache Verwendung finden; sie sind flexibel im Hinblick auf die Verwendung in mehr
oder weniger agentivischen Kontexten, und sie weisen unterschiedlich starke Affinitäten
zu bestimmten lexikalischen Umgebungen und zu bestimmten grammatischen Konstellationen auf.
I
Werden psychW-Verben mit belebten Subjekten verwendet, so ergibt sich tendenziell ein Bedeutungseffekt: In den Beispielen (37) bis (39) liegt der Fokus auf dem
Erregen der Aufmerksamkeit des Experiencers durch eine Stimuluseigenschaft oder
-aktivität:
(37) Robert Vaughn in der Rolle des Agenten Napoleon begeisterte mit seinem Kampf gegen ein
Gangstersyndikat bereits die Fernsehzuschauer in den USA.
(38) Larissa Jeltschaninowa entzückte wieder in Volksliedern durch ihren blutvollen, metallischen
Sopran und humorige Darstellungsgabe.
(39) der Co-Chef einer privaten Befruchtungsklinik faszinierte wieder einmal mit jenem Gemisch
aus moralisch anmutenden Appellen, ganz nach persönlichem Geschmack von Ethik, und
wissenschaftlich-therapeutischen Heilsversprechungen.
In Kombination mit unbelebten Subjekten fallen die psychW-Verben tendenziell in
zwei Gruppen: Bei einer Subgruppe der Verben, die z.B. beeindrucken, begeistern,
entzücken enthält, bleibt der Fokus erhalten. Bei Verben wie z.B. faszinieren dagegen
verschiebt sich der Fokus auf die Aufnahmebereitschaft des Experiencers; die
Konzeptualisierung entspricht mehr einem Zustand, einer Disposition, als einer
Zustandsveränderung des Experiencers:
(40) Ihr vielgepriesener architektonischer Reiz entzückte damals die Besucher, als vielgenutzte
Veranstaltungsstätte konnte sich die Halle mit der kühn geschwungenen Zeltdachkonstruktion
allerdings nie so recht durchsetzen.
(41) Autos faszinierten ihn.
II PsychW-Verben zeigen unterschiedliche Präferenzen in der Kombination mit ZeitAdverbialen. Verben wie überraschen und verblüffen werden in der Umgebung eines
Spannenadverbials wie lange Jahre lang wegen ihrer punktuellen Bedeutung als
Ausdruck eines repetitiven Geschehens aufgefasst. Dagegen lässt das potenziell
ebenfalls punktuelle beglücken im „Friedens“-Kontext von (42) die Durativlesart zu:
(42) denn dieses große Fest sollte ja das Pfand eines dauerhaften Friedens werden, der auch
wirklich lange Jahre hindurch Deutschland beglückte.
III Die Partizipien von psychW-Verben zeigen je nach Verwendungskontext eine mehr
oder weniger große Nähe zum voll-lexikalisierten Adjektiv. Mit voll-lexikalisiert ist
hier gemeint, dass durch die Adjektivierung nicht nur die Argumentstruktur des
Basisverbs verändert wurde wie beim prädikativ verwendeten Partizip 1 in (43),
sondern dass sich die Bedeutung weiter verändert hat: Die Beispiele (44) bis (46)
stehen für die Charakterisierung einer Entität auf einer Gradskala von Zustandsintensität, aber nicht mehr für einen im Verb kodierten (Nach)Zustand des Experiencers:
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(43) Die Katze entzückt den Hund / die den Hund entzückende Katze / *die Katze ist den Hund
entzückend.
(44) je faszinierter wir in das unheimliche Dunkel dieser Abgründe starren, um so unwiderstehlicher werden wir in sie hineingezogen.
(45) nur die Bonner Herren sind mini-begeistert.
(46) die Kinder durften ihn sogar streicheln und waren ganz und gar begeistert von dem kleinen
süßen Kerl.
IV Das werden-Passiv findet sich äußerst selten im Bereich der psychW-Verben. Beispiel (47) aus ZIFONUN (1992: 267) soll illustrieren, dass das werden-Passiv eher in
Frage kommt, wenn „Menschen oder menschliche Verhaltenweisen als Auslöser des
kognitiven oder emotionalen Prozesses benannt werden“:
(47) Als er wieder einmal geärgert wurde, nahm er die Mütze ab – drei Spatzen flogen weg.
V Die Blockierungen durch lexikalische Konkurrenten zu den Partizipien sind zahlreich. Wie im letzten Beispiel zu ärgern eine entsprechende Kopula+P2-Konstruktion *geärgert sein nicht existiert, dafür aber ein Adjektiv ärgerlich und ein präfigierter Konkurrent verärgert zur Verfügung stehen, finden sich häufig präfigierte
psychW-Verben, die den Vendlerschen Tests nach eindeutig inhärent telisch und
damit bessere Kandidaten für die Kopula+P2-Konstruktion sind als ihre unpräfigierten Pendants:
(48) *gefreut sein, aber: erfreut sein
(49) *gewundert sein, aber: verwundert sein
Diese musterbildenden Beschränkungen müssen zweifellos Bestandteile einer systematischen Wortschatzvermittlung sein; doch auch die Tendenzen und Präferenzen konstituieren einen eigenen Lerngegenstand für Fortgeschrittene, wenn es um das Nachvollziehen der Konzeptualisierung eines Nativen durch den Lerner einerseits und um eine
unmarkierte Wortschatzverwendung durch den Lerner andererseits geht.
5.
Psychische Wirkungsverben in der Vermittlung
Die Beispiele in Abschnitt 4 vermitteln einen ersten Eindruck davon, welchen Ertrag
Korpora für die Fremdsprachenvermittlung liefern können, damit (a) rekurrente Muster
identifiziert werden können, (b) das Zusammenspiel von lexikalischer Bedeutung und
Konstruktionsbedeutung herauskristallisiert werden kann und (c) typische Verwendungen
eines psychW-Verbs im Kontext bzw. in einer bestimmten Textsorte exemplifiziert
werden können.
Im Bereich des Sprachverstehens lassen sich dabei Ausdrücke wie Kopula+P2-Konstruktionen als eine Art Zoom für den Rezipienten auffassen, dessen Aufmerksamkeit auf
eine perspektivische Auswahl eines Sachverhalts gelenkt wird. Sieht man in den Schaubildern in Abschnitt 3 Leerstellen vor, so kann der Lerner die verschiedenen expliziten
oder erschlossenen Sachverhaltskomponenten einsetzen. Im Bereich der Sprachproduktion liefern die Konzeptualisierungsschemata eine Basis für die Entwicklung einer
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Brigitte Handwerker
Lernerstrategie, die einen eigenen potenziellen Output abgleichen lässt mit den psychWVerb-Konstruktionen eines Korpus.
Rekurrente Muster in Korpora entsprechen nicht zwingend holistisch abgespeicherten
formelhaften Sequenzen beim nativen Sprecher (vgl. SCHMITT [et al.] 2004); sie bieten
aber einen Ausgangspunkt für die Erstellung vorgefertigter Sequenzen für den Lerner, die
– die Verarbeitung des Inputs durch den Lerner entlasten und
– in Kombination mit der expliziten Vermittlung semantischer und morphosyntaktischer
Verbeigenschaften die lexikalisch-grammatische Kompetenz des Lerners in einer
Weise fördern, die weder in Lehrbüchern noch in gängigen Lerngrammatiken geboten
wird.
Die ‘Pattern Grammar’ von HUNSTON/FRANCIS (2000) will den Weg bereiten für eine
lexikalische Grammatik des Englischen; dieser Beitrag weist in die gleiche Richtung:
Klassenbildung beim Verb und ihre Exemplifizierung als kleiner Schritt auf dem Weg zu
einer linguistisch und lerntheoretisch fundierten Wortschatzarbeit. Nichts spricht dagegen, psychW-Verb-Konstruktionen als formelhafte Sequenzen im Unterricht einzuführen,
um beim Lerner über das Erkennen der Syntax-Semantik-Abbildung ein Tuning für das
hereinkommende Material zu bewirken, dem ein Fine-Tuning für bevorzugte Paare von
Konzeptualisierung und Konstruktion beim nativen Sprecher folgen kann. Theorien zur
Verarbeitung des Inputs und zu den mentalen Repräsentationen, die sich beim Lerner
aufbauen, wie die, die in CARROLL (1999, 2001) entwickelt wird, zeigen Wege auf für
fundierte Verfahren zur Umsetzung der linguistischen Erkenntnisse; bereits jetzt lassen
sich auf der Basis der hier präsentierten Beschreibung und anwendungsbezogener Überlegungen zum Status von formelhaften Sequenzen (vgl. AGUADO 2002) transparente
psychVerb-Konstruktionen aus Korpora, aus Alltagsdiskursen und aus der Eigenfabrikation nutzen. Die Lernaufgabe besteht in der formalen Unterscheidung zwischen den
Subklassen deutscher Verben und in der Identifikation von cues, die die Zugehörigkeit
eines Verbs zu einer Subklasse anzeigen; der direkte Gewinn des Erlernens von vorgefertigten Sequenzen mit psychW-Verben ergibt sich schon in der sozialen Interaktion,
in der einem Zustand der Enttäuschung oder Begeisterung häufig angemessen Ausdruck
verliehen werden muss.
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