Die Hierarchie der Erregungsleitung des Herzens

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Die Hierarchie der Erregungsleitung des Herzens
Wolfgang Herzberg
28.10.2014
Die Hierarchie der Erregungsleitung des Herzens – beginnend am av-Knoten - basiert auf einer
Kaskade zunehmender Membranpotentiale (MRP) bei identischen Membranschwellen: das
niedrigste MRP im av-Knoten, das höchste MRP im terminalen Purkinje-Netz am Übergang zu den
Myozyten – also streng genommen schon nicht mehr dem Reizleitungssystem zugeordnet. Damit bei
Ausfall eines höher gelegenen Zentrums das darunter liegende jederzeit die impulsgebende Führung
übernehmen kann, müssen alle Stufen der Kaskade in gleicher Weise funktionell autark ausgestattet
sein.
Diese Ausstattung hat folgende Merkmale:
1. Die Abgrenzung einer Stufe zur voraufgehenden und zur folgenden ist durch eine scharfe
Trennung der MRP definiert.
2. Alle Stufen sind durch Na+ Ionen-Leckströme (vermutlich in gleicher Rate pro
Membranfläche) charakterisiert.
3. Mit Beginn der Erregung einer Stufe läuft ein fortschreitender Depolarisationsvorgang ab,
der vor Erreichen des Stufen-Endes ein „Ereignis“ erzeugt. Dieses „Ereignis“ ist der Schlüssel
zur Übertragung der Erregung auf die Folgestufe.
4. Damit das Ausbleiben des „Ereignisses“ dazu führt, dass die Erregungsleitung am Ende der
Stufe zum Stehen kommt, besitzt jede Stufe ein „Ausgangshindernis“.
5. Da alle Vorgänge elektrophysiologisch betrachtet auf einer Membranerregung fußen, kann
das „Ereignis“ eigentlich nur eine kollektiv-synchrone Erregung der gesamten
Membranoberfläche der betreffenden Stufe sein.
6. Das bedeutet, dass die fortschreitende Erregung einzelner Fasern schließlich eine kollektive
Depolarisation der gesamten Membranoberfläche der Stufe erzeugen muss, die wiederum
nur durch eine wachsende extrazelluläre Negativität ausgelöst sein kann.
7. Was aber steckt elektrophysiologisch hinter dem „Ausgangshindernis“ ? Da die Erregung bei
Ausbleiben der kollektiven Depolarisation am Ende der Stufe „stirbt“, müssen dort die
Abstände der Faserzellen so groß sein, dass die Intensität der induktiv-magnetischen Felder
zu gering ist, um jenseits dieses Zellabstandes den nächstliegenden Na+ Ionen Kanal noch
depolarisieren zu können. Es bestünde alternativ auch die Möglichkeit, dass die Abstände der
Na+ Ionen Kanäle am Ende der Stufe zu groß werden – gewissermaßen außer Reichweite
geraten, was auch durch eine MRP-Stufe bei gleichen Abständen erzeugt würde.
8. Da nun aber die membranöse Oberflächenmorphologie der Fasern (siehe „Der AV-Knoten“)
so beschaffen ist, dass sie die Erzeugung stärkerer induktiv-magnetischer Felder nicht zuläßt,
was auch als ein Schutz der kardiomyozytären Umgebung vor akzidentieller Depolarisation
begriffen werden kann, sind Erwägungen, die den Einsatz stärkerer Induktionsfelder
einschließen, nicht realistisch.
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9. Ferner läßt sich zeigen, dass der Bau der Fasern kaum geeignet ist, um etwa durch eine
breitere interzelluläre Spalte eine Erregung „sterben“ zu lassen. Vielmehr wird diese solange
immer tiefer in den interzellulären Spalt eindringen, bis die Verengung so groß geworden ist,
dass die Erregung über eine wachsende zunehmend hermetisch gefangene extrazelluläre
Negativität auf die Gegenseite überspringen kann. „Sterben“ wird eine Erregung erst dann,
wenn eine breite Diskontinuität der gesamten Faser besteht – eine Unterbrechung – das
Ende der Faser.
10. Wenn man diesen Ansatz vertieft, dann besteht das Ausgangshindernis aus dem Ende aller
orthograden – primären - Fasern der Stufe. Eine Erregung dieser Fasern kommt also immer
am Ende der Stufe zum Stehen. Wird vor dem Erreichen des Faserendes die kollektive
Depolarisation ausgelöst, dann werden interstitiell ruhende – proximalwärts blind endende –
sekundäre Fasern depolarisiert, die dann das Erregungssignal synchron zur folgenden Stufe
transportieren und dort die Funktion primärer Fasern übernehmen (Abb.1).
Abb.1 Das Bau-Prinzip der „Stufe“: Die Erregungsrichtung weist nach rechts. Die primären Fasern (schwarz) erzeugen eine kollektive
Depolarisation und erregen die Sekundärfasern (grau). Da diese Fasern im Falle eines Blockes ektopische Erregungen erzeugen, sind alle
sekundären Fasern vor Verlassen der Stufe miteinander vernetzt, damit die Synchronizität des Signaltransportes gewährleistet bleibt.
11. So betrachtet wird die Synchronizität der Signalübertragung durch die kollektive
Depolarisation erzeugt, das „Ausgangshindernis“ aber durch das Ende der primären StufenFasern.
12. Die MRPsec der sekundären Fasern ist immer höher als das der primären.
13. Damit die kollektive Depolarisation der primären Fasern die Membranschwelle der
sekundären Fasern depolarisieren kann, müssen die verbliebenen unerregten Endstücke der
primären Fasern vor Beginn der kollektiven Depolarisation noch lang genug sein, damit das
kollektiv und synchron verschobene Na+ Ionen Kontingent ausreicht, um über das Maß der
extrazellulären Negativität die höhere Potentialdifferenz (∆MPsec) aus Membranschwelle
(MPM) und MRPsec kompensieren zu können.
14. Die kollektive Depolarisation der primären Fasern wird also dann ausgelöst, wenn die
extrazelluläre Negativität der unmittelbaren Faser-Umgebung die Potentialdifferenz
(∆MPprim) aus Membranschwelle (MP) und MRPprim der primären Fasermembran
kompensiert. Die kollektive Depolarisation der primären noch unerregten Restfasern aber
hebt die extrazelluläre Negativität in Form eines Überschusses auf das Niveau der
sekundären Potentialdifferenz (∆MPsec).
15. MRPprim – MPM = ∆MPprim
MRPsec – MPM = ∆MPsec
∆MPprim < ∆MPsec
16. Wenn die kollektive Depolarisation in ihrer Kapazität zu gering ist, um die sekundären Fasern
zu depolarisieren oder sogar ganz ausbleibt, dann schreitet die schon früh-diastolisch
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begonnene Selbstdepolarisation der sekundären Fasern aufgrund der Tätigkeit ihrer Na+
Leckkanäle weiter fort. Ist die Signal-Erregungsfrequenz der primären Fasern doppelt so groß
wie die Automatie-Frequenz der sekundären Fasern, dann wird die Automatie der
sekundären Fasern mit der kollektiven Depolarisation der nächsten Erregungswelle gelöscht.
Ist die Signal-Frequenz aber geringer, so wird die Automatie der sekundären Fasern eine
Erregung erzeugen. Da alle sekundären Fasern einer Stufe gleichermaßen zur Automatie
befähigt sind, wird die Erregung zuerst an der schnellsten sekundären Faser ausgelöst,
gefolgt von den langsameren. Damit die asynchronen Einzelsignale nicht unabhängig
voneinander die Stufe verlassen können, sind die Fasern untereinander so vernetzt, dass das
schnellste Automatiesignal das gesamte sekundäre Faserbündel depolarisieren muss und
damit die Erregungswelle synchronisiert.
17. Die Kaskade der MRP sorgt dafür, dass die Automatiefrequenz der sekundären Fasern jeweils
kleiner ist als die der primären. Auf diese Weise ist gesichert, dass das höhere Zentrum
immer wieder – z.B. nach einer passageren Störung - die Frequenzführerschaft übernehmen
kann.
18. Da die sekundären Fasern passiv depolarisiert werden, während die primären
Fasermembranen die kollektive Depolarisation aktiv erzeugen müssen, werden große
Gesamtoberflächen der primären Fasern benötigt und nur kleine bis kleinste Oberflächen der
sekundären Fasern derselben Stufe. Somit befinden sich nur wenige sekundäre Fasern in der
Nachbarschaft der vielen primären. Da die sekundären Fasern mit Verlassen der Stufe
nunmehr als primäre Fasern den aktiven Part übernehmen müssen, nimmt die Anzahl der
Fasern durch Teilungen bei Verlassen der Stufe erheblich zu.
19. Alle physikalischen Vorgänge der Depolarisation laufen ohne extramembranöse
Energiezufuhr ab – im wesentlichen wird potentielle Energie, die in der Repolarisation und
der diastolischen Erholungsphase regeneriert wird, umgewandelt.
Unter normalen Bedingungen wird bis zur kollektiven Depolarisation eine konstante Mindestzeit
benötigt. Diese Zeit ist für jede Sufe spezifisch. Liegt eine Repolarisationsstörung vor, die häufig
nutritiv verursacht ist, dann verringert sich zum einen in Folge schwächerer Aktionspotentiale die
Ausbreitungsgeschwindigkeit der Erregung und zum anderen nimmt die Gesamtzeit bis zum
Erreichen der kollektiven Depolarisation aufgrund geringerer Kontingente transmembranös
verschobener Na+ Ionen zu. Wenn die Erregung der primären Fasern die Faserenden erreicht, bevor
die kollektive Depolarisation ausgelöst worden ist, bricht die Erregung ab. Erkennbar wird der
drohende Erregungsabbruch an einer Verlängerung der jeweiligen Überleitungszeit. Somit hat jede
Stufe mit einem Ausgangshindernis ihre eigene Grenzüberleitungszeit. Da die Überleitungszeit des
av-Knotens mit etwa 50 ms von insgesamt etwa 90 ms (nach Wiggers aus Schütz, 9) die bei weitem
längste einer einzelnen Stufe ist, fallen die Zeiten der mindestens drei weiteren Stufen nicht so sehr
ins Gewicht und entziehen sich somit einer oberflächlichen elektrokardiographischen
Nachweisbarkeit. Diese drei weiteren Stufen sind folgende:
1. His-Bündel
2. Terminales Purkinje-Netz der Papillarmuskulatur
3. Terminales Purkinje-Netz der Kammermuskulatur
Ob es noch weitere zwischengeschaltete Stufen gibt, ist unklar.
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Wird aufgrund einer Repolarisationsstörung die Grenzüberleitungszeit überschritten, fällt die
kollektive Depolarisation aus und schafft so im nachgeschalteten Reizleitungssystem eine
unverbrauchte Energiereserve, die für die Weiterleitung der folgenden Erregungen wieder
ausreichend ist. Diese Energiereserve entsteht dadurch, dass die Substrattransportrichtung des
Reizleitungssystems der Erregungsausbreitungsrichtung entgegen gerichtet ist. Wenn somit eine
Erregung abbricht, dann wird einmalig die Repolarisationsarbeit und die myozytäre
Kontraktionsarbeit des gesamten nachgeschalteten Erregungsleitungssystems gespart und somit
steigt der Substratgehalt der systolisch gepumpten Ernährungsflüssigkeit für die nächsten
Erregungssalven kurzfristig an. In den Nutzen dieser Reserve gehen die Fließgeschwindigkeit der
Ernährungsflüssigkeit und ihre qualitative und quantitative Zusammensetzung ein.
Die Störung der Erregungsleitung im His-Bündel kann aufgrund seiner normalerweise nur geringen
Überleitungszeit im EKG nicht nachvollzogen werden. Ist zudem auch die Erregungsleitung im avKnoten verzögert, was aufgrund nutritiver Ursachen wahrscheinlich ist, dann gehen die Vorgänge des
His-Bündels im av-Geschehen unter.
Man muss aber dennoch davon ausgehen, dass die Mobitz-Block-Störungen ebenfalls einem
„Wenckebach-Mechanismus“ folgen. Dieses wird auch dadurch gestützt, dass in Abhängigkeit vom
Grad der Störung eine Kaskade der Blöcke bekannt ist: 4:1, 3:1, 3:2, 2:1. Auch im His Bündel werden
die Überleitungszeiten abgestuft länger und schließlich fällt eine kollektive Depolarisation aus.
Vielleicht ist dieser Vorgang bei ungestörtem av-Knoten im EKG gerade noch erkennbar. Die Schritte
der zeitlichen Verzögerung lägen aber sicherlich nur im einstelligen Millisekunden-Bereich.
Komplexer aber als der „Wenckebach-Mechanismus“ des av-Knotens sind die Ursachen der
veschiedenen Mobitz-Blöcke; denn wie ist es möglich, dass bei überleitendem av-Knoten das HisBündel Blöcke erzeugen kann, wenn doch der av-Knoten die „letzte Wiese“ der nutritiven Versorgung
ist und darum eigentlich vor dem His-Bündel ausfallen müßte. Um dieses Phänomen dennoch
schlüssig durch die alles verursachende nutritive Mangelversorgung erklären zu können, muss man
sich genauer mit dieser Versorgung befassen.
Die Substratherkunft ist der interstitielle Raum des Myokards. Dort wird es über die coronare
Versorgung angereichert – wir nennen es darum Sc (S = Substrat, c = coronar). Der Substratfluß durch
das Schlauchsystem der Reizleitung erfolgt mit der Geschwindigkeit
Sc/T = Sc ∙ ν
(T = P-P-Zeit, ν = Sinusfrequenz)
Wenn dieReizleitung durch einen Block unterbrochen wird und eine Herzaktion bei fortgesetztem
Sinusrythmus ausfällt, dann bleibt das kontraktionsbezogene Substratkontingent im Interstitium des
Myokards unverbraucht liegen. Mit der folgenden Systole wird somit ein hochwertiges
Substratkontingent (Sc/T) aus der Myokardwand in das Schlauchsystem exprimiert. Je nach Blocktyp
wird dieses Kontingent dann von drei (4:1), zwei (3:1) oder einem (2:1) Kontingent(en)
minderwertiger Substratqualität gefolgt. Alle Einzelkontingente sind bei gleicher Sinusfrequenz gleich
groß (Sc/T). Da die Fließgeschwindigkeit der Substratsäule davon abhängt, wie hoch die Rate der
Aussetzer ist, verhalten sich die Geschwindigkeiten wie
2/3 ( 2:1 Block) zu 3/4 ( 3:1 Block) zu 4/5 ( 4:1 Block).
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Wenn man nun annimmt, dass die Abfolge der konstanten räumlichen Längsausdehnungen der
einzelnen Substratkontingente in dem Hohlraumabschnitt von av-Knoten und Hisbündel gerade so
positioniert ist, dass die Grenze benachbarter Kontingente mit der Grenze zwischen av-Knoten und
Hisbündel in etwa übereinstimmt und mit jeder Systole genau eine komplette Substrat-Periode
(Abb.2) befördert wird, dann gerät mit jeder Systole immer die folgende Substrat-Periode mit der
vorhergehenden in räumliche Deckung. Dieses Geschehen folgt einem zufälligen und individuellen
Zusammentreffen verschiedener Parameter des Herzens. Wenn es nun auch noch der Zufall so
einrichtet, dass der av-Knoten mit jeder systolischen Substratverschiebung immer den hochwertigen
Abschnitt aus der „Myokard-Pause“ erhält, dann ist die av-Knoten Aktivität nicht beeinträchtigt und
nur das Hisbündel ist durchgehend unterversorgt.
Abb.2 Die Substratsäulen in den basisnahen Kammerschenkeln. Die Bewegung dieser Säule erfolgt Richtung av-Knoten (nach oben). Die
Abfolge der systolisch erzeugten Substratabschnitte unverbrauchter (+) und verbrauchter (-) Substratqualität wird durch den Block-Typ
vorgegeben. Die Fließgeschwindigkeit ermöglicht bei geeigneten räumlichen Verhältnissen ein stets gleiches Verteilungsmuster am avKnoten (a) und am Hisbündel (h).
Mit den Mobitz-Block-Pausen verschafft sich auch das Hisbündel eine begrenzte Verbesserung der
Substratqualität, da die Grenzen der Substrat-Tranchen nicht so scharf sind, wie es das Diagramm der
Abbildung 2 suggeriert. Da aber mit der Entstehung eines Blockes der Substrattransport pro Zeit
abnimmt, wird das im Fluß befindliche Substrat vom gesamten Reizleitungssystem abhängig vom
Block-Typ intensiver ausgebeutet. Somit schafft das „Ausweichen“ in einen Block generell keine
dauerhaft stabile Ergodynamik sondern besitzt eine Tendenz hin zur weiteren Zunahme der Störung.
In dem Moment aber, wo ein spezieller Mobitz-Block-Typ aufgrund dieser schleichend wachsenden
Minderversorgung auf den höherfrequenteren Block-Typ umschaltet, wird die „Schrittlänge“ der
bisherigen Periodik verkürzt und damit wird aus einer „stehenden Welle“ eine „wandernde Welle“
erzeugt. Der av-Knoten erhält nun unweigerlich auch die ausgelaugten Substratabschnitte. Die Folge:
av-Block !
Wenn man nach den Ursachen fragt, die hinter den nutritiven Störungen des kardialen
Reizleitungssystems diese stereotypen Überleitungsstörungen erzeugen, dann wird die coronare
Minderperfusion wahrscheinlich die häufigste Ursache sein, gefolgt von jeglicher Schwächung der
myokardialen Kontraktionsfähigkeit (Herzdilatation, Myokardnarbe). Wenn das tatsächlich zutrifft,
ergäbe sich daraus die Indikation, für jegliches Neuauftreten einer Überleitungsstörung die mögliche
Ursache einer coronaren Stenose durch eine Coronar-Katheteruntersuchung auszuschließen.
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