M P AC Mathe Plus Aachen Schülerarbeitsheft FOLGEN UND REIHEN Sebastian Walcher Karolina Helmin Johanna Heitzer FOLGEN UND REIHEN Sebastian Walcher Karolina Helmin Johanna Heitzer Prof. Dr. S. Walcher Lehrstuhl A für Mathematik RWTH Aachen University D-52056 Aachen E-Mail: [email protected] Internet: http://www.mathA.rwth-aachen.de/ Mathe Plus AaChen (MPAC) ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird. Diese Unterlagen befinden sich noch in der Erarbeitung und sind nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Erlaubt ist eine Vervielfältigung zur Nutzung im Unterricht bei der Endversion, die Anfang 2011 im Netz hinterlegt wird unter: http://www.matha.rwth-aachen.de:8062/ © S. Walcher, Aachen, Dezember 2010 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte 9 Folgen und Reihen: Übersicht 1 2 3 4 11 Folgen: Fakten und Beispiele Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Unendliche) Folgen . . . . . . . . . . . . . . . Exkurse: Populationsmodelle und Grenzwerte Graphische Darstellung von Folgen . . . . . . Geometrische Folgen und Reihen . . . . . . . . Geometrische Summenformel . . . . . . . . . . Spezialfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reihen: Begriff und erste Beispiele . . . . . . . Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . Rück- und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurse: Paradoxien, Primzahlen und ein Gasgesetz Geometrische Folgen und Reihen in der Anwendung Die Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen . . . Anwendungen in der Physik . . . . . . . . . . . . . . Fraktale geometrische Figuren . . . . . . . . . . . . . Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzübergänge und Grenzen des Rechners Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harmonische Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Divergenz der harmonischen Reihe . . . . . . . . . Reziproke Quadratsumme . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Reziproke Quadratsumme und Kreiszahl Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ungleichungen und Betrag Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung auf R . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Minimalität von Regelsystemen Betrag und Abstand reeller Zahlen . . . Exkurs: Warum gerade ε . . . . . . . . . Gleichheit mittels ε . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 15 16 20 21 23 24 25 26 28 29 . . . . . . . 31 31 33 34 35 37 38 41 . . . . . . 43 43 44 46 47 48 49 . . . . . . 51 51 51 53 54 55 55 6 Inhaltsverzeichnis Die Bernoulli-Ungleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5 6 7 8 9 Grenzwerte: Die Definition Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konvergenz und Divergenz von Folgen Exkurs: Konvergenz anschaulich . . . . Exkurs: ε-n0 -Beweise rückwärts . . . . . Konvergenz geometrischer Folgen . . . Bestimmte Divergenz . . . . . . . . . . . Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzwert der doppelten Folge . . . . . . . . . . . . . Exkurs: ε-Trick-Beweis?! . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechenregeln für Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . Geometrische Reihe: Partialsummen und Grenzwert Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilfolgen und Häufungspunkte Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eindeutigkeit des Grenzwerts . . . . . . . . . . . . . Teilfolgen und Häufungspunkte . . . . . . . . . . . Häufungspunkt mittels ε . . . . . . . . . . . . . . . . Häufungspunkt bei Konvergenz . . . . . . . . . . . Für rekursiv definierte Folgen hilfreicher Spezialfall Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monotonie und Beschränktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . Monotonie-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konvergenz von Dezimalbruchentwicklungen . . . . . . . . Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 59 60 60 61 62 63 64 . . . . . . 65 65 65 66 67 68 70 . . . . . . . 71 71 72 72 73 74 74 76 . . . . . 77 77 77 78 79 81 Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen 83 Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Iterationsverfahren Quadratwurzeln . . . . . . . . . . . . . . . 83 Exkurs: Die Idee des Iterationsverfahrens . . . . . . . . . . . . 84 10 Näherungswerte für die Kreisfläche Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trigonometrische Grundlagen . . . . . . . . . Flächenberechnung Viertelkreis . . . . . . . . Flächenberechnung Einheitskreis . . . . . . . Exkurs: Kreisberechnung nach Archimedes . Exkurs: Die Folgen der Rechenungenauigkeit MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 87 87 88 88 88 89 Inhaltsverzeichnis 7 11 Populationsmodelle Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Populations-Bilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Malthus-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . Idealisierung des Populationsmodells . . . . . . . . Exkurs: Zur Realitätsnähe der Idealisierung . . . . . Das Beverton-Holt-Modell . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Zur Entstehung des Beverton-Holt-Modells Mathematik des Beverton-Holt-Modells . . . . . . . Das Ricker-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Unterschiede der Modelle . . . . . . . . . . Konvergenzverhalten der Ricker-Folge . . . . . . . . Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 91 91 92 93 94 94 94 95 95 96 96 97 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 9 Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte MathePlus ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird. Was ist MathePlus? Die Initiative ist entstanden, weil der reguläre Mathematikunterricht, durch Curriculumsreformen bedingt, in immer geringerem Maß auf die Mathematikanforderungen in vielen Studienfächern, insbesondere in MINT-Fächern, vorbereitet. MathePlus will hier Akzente setzen und den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern Wissen und Können vermitteln, das den Einstieg in solche Studiengänge erleichtert. Warum MathePlus? MathePlus ist ein zusätzliches Unterrichtsangebot für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II, das von teilnehmenden Schulen in Kooperation mit der FH Aachen und der RWTH Aachen entwickelt und durchgeführt wird. MathePlus kann und soll den regulären Mathematikunterricht nicht ersetzen und kann und soll auch nicht als vertiefendes Angebot für die Abiturvorbereitung dienen. Vielmehr werden mathematische Strukturen und Anwendungsbereiche präsentiert, die im regulären Unterricht keinen Platz finden, für ein MINT-Studium oder andere mathematikhaltige Studiengänge aber sehr nützlich und wichtig sind. Den Schülern und Schülerinnen sollen über einen frühzeitigen Kontakt mit mathematischen Strukturen mögliche Ängste vor Abstraktem genommen werden. Über geeignete Inhalte und Aufgabenstellungen soll die Freude am logischen Denken geweckt werden. Auch echte und relevante Anwendungen der Mathematik sind Thema. Material zum Download finden Sie (nach Registrierung) unter dem Punkt »Materialien«. Grundsätzlich stellen die Autoren Texte und Aufgaben allen Interessierten zur Verfügung (einzige Voraussetzung ist eine Registrierung). Einsetzbar sind diese Materialien zum Beispiel im Wahlunterricht, insbesondere im künftig vorgesehenen Projektunterricht. Die Unterrichtseinheiten (Lehrtexte und Aufgaben) sind konzipiert für ein Halbjahr mit 2 Wochenstunden; sie bauen aufeinander auf. Einsetzbarkeit 10 Schülerarbeitshefte Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte Die Schülerarbeitshefte sind als Unterrichtsgrundlage konzipiert, mit deren Hilfe sich Schülerinnen und Schüler weitgehend selbständig in das Thema einarbeiten können. Sie beginnen mit einer Einführung in das übergeordnete Thema und einem Überblick über die nötigen Vorkenntnisse. Am Ende stehen eine Zusammenfassung und übergeordnete Aufgaben zum Thema. Die Teilkapitel enthalten Einführungen und Einführungsaufgaben, Basiswissen, Beispiele, einfache Übungsaufgaben, komplexere Aufgaben, Anwendungen und Probleme sowie Zusammenfassungen des jeweiligen Themengebiets. Neben diesem »roten Faden« gibt es (am Rand) auch historische und sonstige Anmerkungen, Tipps und Hilfen sowie Merkkästen. Jedes Heft sollte bei zwei Wochenstunden etwa die Grundlage für ein Schulhalbjahr bilden. Die Themen der bisher geplanten beziehungsweise erschienenen MathePlus Schülerarbeitshefte sind: Themen • Mathematische Notation und Beweisverfahren • Mengenlehre und Aussagenlogik • Folgen und Reihen • Komplexe Zahlen MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 11 Folgen und Reihen: Übersicht Was sind Folgen? Sieht man in Wikipedia nach, so wird eine Folge als „eine Auflistung (Familie) von endlich oder unendlich vielen fortlaufend nummerierten Objekten (beispielsweise Zahlen)“ bezeichnet. In dieser Lehreinheit sind die Objekte immer Zahlen, wir interessieren uns fast ausschließlich für den Fall „unendlich vieler Objekte“ und nummeriert wird meistens mit natürlichen Zahlen (1,2,3,...) oder mit natürlichen Zahlen einschließlich Null (0,1,2,3,...). Außerdem werden die so genannten Folgenglieder meist nach einer festen Vorschrift gebildet. Thema Ein Beispiel für eine Folge ist ( n1 )n>1 = (1, 21 , 13 , 41 , ...) , ein weiteres Beispiel ist (2−n )n>0 = (1, 12 , 41 , 18 , ...) . Hier wird auch schon die Schreibweise angedeutet. Allgemein wird eine Folge „ordentlich“ in der Gestalt ( a n ) n >1 dargestellt (oder ( an )n>0 , wenn die Nummerierung bei 0 beginnt). Jeder natürlichen Zahl wird also in eindeutiger Weise (z.B. durch eine Formel) eine reelle Zahl an zugeordnet. Die Schreibweise ( a1 , a2 , a3 , ...) mit „Undsoweiterpünktchen“ ist nützlich, wenn man sich eine Vorstellung verschaffen will, wie die Folge aussieht, und sie wird auch benutzt, wenn man davon ausgehen kann, dass dem Publikum klar ist, wie die Folge weiter geht. Formal gesprochen, ist eine Folge eine Abbildung von N (oder N0 , oder ..) in die reellen Zahlen. Warum interessiert man sich in der Mathematik für Folgen? √ Viele reelle Zahlen (wie 1/3 oder π oder 2) lassen sich in Dezimalbruchschreibweise nicht „exakt“ angeben; man muss auf Näherungswerte zurückgreifen (wie 0.3333, 3.1415, 1.4142). Will man diese Näherungswerte immer weiter verbessern, so landet man bei einem „unendlichen Dezimalbruch“. Wenn jemand fragt, was das ist, sagt man am besten, das sei eine Folge von endlichen Dezimalbrüchen. Ausserdem lassen sich viele Gleichungen in der Mathematik nicht „exakt“ lösen, man ist aber mit einer Folge immer besserer Näherungslösungen durchaus glücklich. Bedeutung 12 Folgen und Reihen: Übersicht Schliesslich gibt es viele mathematische Modelle in den Naturwissenschaften (z.B. Modelle für die zeitliche Entwicklung von Pflanzenoder Insektenpopulationen), die am besten mit Hilfe von Folgen beschrieben und analysiert werden. Folgen sind also für die Mathematik und ihre Anwendungen von grossem Interesse. Wichtige Inhalte Wir starten mit zahlreichen Beispielen, unter besonderer Betonung der sogenannten geometrischen Folgen und Reihen. Dadurch werden Sie auch besser verstehen, was es mit den periodischen unendlichen Dezimalbrüchen auf sich hat. Was an einer Folge ( an )n>1 besonders interessiert, ist ihr „Verhalten für n gegen Unendlich“. Viele interessante Folgen und Reihen „streben gegen einen gewissen Wert (Grenzwert), wenn n gegen Unendlich geht“. Eine präzise Fassung und Erkundung dieses Phänomens („Konvergenz“) hat die Mathematiker lange Zeit beschäftigt, und sie waren erst vor etwa 150 Jahren erfolgreich in dem Sinn, dass sie klar sagen konnten, was mit dem Grenzwert einer Folge eigentlich gemeint ist. Schon deshalb starten wir langsam in die Thematik. In Beispielen hat man natürlich eine intuitive Vorstellung: Als Grenzwert von (1/n), also den Wert, gegen den die Folge für wachsendes n strebt, würde man wohl die 0 bezeichnen. Aber es gibt schwierigere Fälle. Wir machen uns an Hand von Beispielen klar, dass man sich bei der Untersuchung der Grenzwertproblematik nicht auf Rechner verlassen kann. Also beißen wir in den saueren Apfel einer formal sauberen Definition und sehen uns an, dass und wie man damit weiterkommt. Theoretisches Highlight ist das sogenannte „Monotoniekriterium“ − sowohl eine tief liegende Aussage über die Struktur der reellen Zahlen als auch ein gutes Mittel zur Bestimmung einiger Grenzwerte. Anwendungen und Beispiele spielen in allen Phasen eine wichtige Rolle. Historisches Folgen und Grenzwerte sind ein zugleich altes und neues Thema. Schon die Babylonier kannten ein Verfahren, Quadratwurzeln näherungsweise (und sukzessive immer besser) zu berechnen. Die (näherungsweise und Schritt für Schritt bessere) Berechnung etwa einer Kreisfläche durch einbeschriebene und umbeschriebene Polygone geht auf Archimedes zurück. Die alten Griechen waren aber − aus philosophischen Gründen − sehr genau darauf bedacht, dieser Prozedur keinen „Grenzwert“ zuzuordnen. Der Grenzwertbegriff, so wie wir ihn kennen, wurde informell erst zu Beginn der Neuzeit mit der Erfindung der Differentialrechnung (Newton, Leibniz) eingeführt. Eine „saubere“ Formulierung des Begriffs gelang erst Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem zahlreiche Mathematiker schon lange fröhlich mit Grenzwerten rumhantiert hatten. (Die Notwendigkeit einer ordentlichen Definition entstand daraus, dass machmal bei diesem Rumhantieren Unsinn herauskam.) MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 13 Folgen und Reihen: Übersicht Heutzutage gelten Folgen als Fundament der Analysis. In der Forschung und in den Anwendungen (Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften etc.) spielen Folgen eine enorm wichtige Rolle: Zahlreiche Berechnungen und Simulationen benutzen Folgen und ihre Eigenschaften. Zusammenfassung Das MathePlus Schülerarbeitsheft zum Thema Folgen und Reihen ist in die folgenden Teilkapitel eingeteilt: Gliederung • Folgen: Fakten und Beispiele • Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen • Grenzübergänge und Grenzen des Rechners • Ungleichungen und Betrag • Grenzwerte: Die Definition • Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung • Teilfolgen und Häufungspunkte • Monotonie, Beschränktheit und Konvergenzkriterium • Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen • Näherungswerte für die Kreisfläche • Populationsmodelle MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 15 Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele Folgen sind in der Mathematik und ihren Awendungen von großer Bedeutung. Allerdings ist das Thema „Folgen“ anscheinend (auch an der Uni) nicht sehr beliebt: Es gilt als trocken, abstrakt und langweilig. Wir beginnen deshalb hier mit einer Reihe von Beispielen, die zwei Funktionen haben: Erstens sollen sie belegen, dass Folgen in der Mathematik und ihren Anwendungen wirklich wichtig sind; zweitens sollen sie zeigen, dass Folgen „gar nicht so schlimm“ sind. Einführung Hier kommen ein paar mathematische und nicht so mathematische Anlässe, Folgen näher anzusehen. 1. Sie möchten lange in einer Wirtschaft sitzen bleiben, haben aber nur für ein großes Glas Wasser (d.h. 0.3`) Geld und das Personal guckt alle zwei Minuten nach, ob Sie auch trinken. Angenommen, Sie verfahren nach folgender Strategie: Sie trinken tatsächlich alle zwei Minuten, und zwar jedesmal exakt die Hälfte des noch im Glas befindlichen Wassers. a) Wie viel Wasser haben Sie nach dem zweiten (fünften) Trinken noch übrig? b) Wie viel Wasser haben Sie nach dem zehnten (zwanzigsten) Trinken schon intus? c) Wie oft können Sie insgesamt trinken und wie lange auf diese Weise weiter machen, bevor Sie die Wirtschaft verlassen oder das nächste Getränk bestellen müssen? √ 2. Was ist eigentlich 2? Ein nicht so guter Taschenrechner liefert √ 2 = 1.41421, aber wenn man nachrechnet, ist √ 1.414212 = 1.99999 6= 2. Ein etwas besserer Taschenrechner liefert 2 = 1.41421356237, aber das Quadrat dieser Zahl ist (bei genauem Nachrechnen) ebenfalls von √ 2 verschieden. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass 2 eine irrationale Zahl ist, also nicht als Bruch mit ganzzahligem Zähler und Nenner darstellbar ist. Erst recht lässt sich √ 2 dann nicht als endlicher Dezimalbruch darstellen. (Das geht ja schon für viele rationale Zahlen schief, etwa 4/9 = 0.444 . . . = √ 0.4, oder 37/99 = 0.37.) Wir haben also keinen “exakten” Wert für 2, Anmerkung Da ein reales Glas nur endlich viele Wassermoleküle enthält, handelt es sich hier um ein idealisiertes Gedankenexperiment. 16 Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele sondern nur Näherungswerte, √ welche wir immer weiter verbessern können. Offenbar existiert 2 als Länge der Diagonale im Einheitsquadrat. Denkt man aber nur an die √Darstellung im Dezimalsystem, könnte man sogar fragen: Gibt es 2 überhaupt? 3. In der Populationsbiologie (z.B. für Insekten oder einjährige Pflanzen) werden Modelle verwendet, über die im Exkurs auf S.20 genaueres zu finden ist. Hier ein erstes Beispiel: Die Grösse der Population in Generation 1, 2, 3,. . . wird (sagen wir in Tausend) durch Zahlen c1 , c2 , c3 , . . . beschrieben. Die Grösse der folgenden Generation ist festgelegt durch die Grösse der momentan existierenden, und zwar in folgender Weise (dabei ist e ≈ 2.72 die Eulersche Zahl): cn+1 = 3cn · e−cn a) Berechnen Sie für die Anfangspopulation c1 = 2 (Tausend) näherungsweise die Populationsgrößen in der zweiten, dritten und vierten Generation. b) Berechnen Sie für die Anfangspopulation c1 = 0, 2 näherungsweise die Populationen in der zweiten, dritten und vierten Generation. c) Äußern Sie eine Vermutung über das Verhalten der Populationsgröße auf Dauer. d) Es sei cn+1 = 1. Bestimmen Sie cn näherungsweise. e) Gibt es eine Populationsgröße cn für die die der Folgegeneration cn+1 genau gleich groß ist; sich also ein Gleichgewicht einstellt? Bestimmen Sie diese gegebenenfalls. (Unendliche) Folgen Anmerkung Eine Folge kann statt 1 auch 0 oder N ∈ N als Startindex haben (d.h. N0 oder N> N als Definitionsmenge). Die Buchstaben a und n können durch beliebige andere ersetzt werden. Zum Beispiel: (bm )m>3 In diesem Abschnitt werden (unendliche) Folgen einschließlich der zugehörigen Begriffe und Schreibweisen eingeführt. Das ist grundlegend für das gesamte Schülerarbeitsheft. (Unendliche) Folgen Eine Folge ist eine Abbildung N → R. Statt N → R, n 7→ an schreibt man für die Folge kurz ( an )n>1 . Bezeichnungen: W = { an |n ∈ N} Wertemenge der Folge n Laufindex der Folge Drei Arten, eine Folge aufzuschreiben: explizit durch Folgenglieder: (1, 4, 9, 16, . . .) explizit durch Folgenterm: an = n2 oder (n2 )n>1 √ rekursiv: a 1 = 1 , a n +1 = a n + 2 a n + 1 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele 17 Die folgenden Beispiele dienen dem Vertrautmachen mit dem Folgenbegriff. Zugleich werden einige wichtige Bezeichnungen eingeführt. (A) Zu den einfachsten Folgen gehören solche, bei denen die Differenz aufeinander folgender Glieder konstant ist. Solche Folgen nennt man arithmetisch. Beispiele sind (n)n>1 = (1, 2, 3, 4, 5, . . .) oder auch (7 − 0.3k )k>2 = (6.4, 6.1, 5.8, 5.5, . . .). Cafebesuchers kann man (B) Beim Problem des unterfinanzierten 1 1 1 1 1 1 − n einerseits die Folge 2n−1 = 2 = 1, 2 , 4 , 8 , 16 , . . . n >1 n >1 der “Pegelstände” im Glas betrachten, andererseits aber auch die Folge ( an )n>1 der getrunkenen Flüssigkeitsmengen. (C) Man könnte auf die √ Idee kommen, die zunehmend bessere Approximation von 2 durch die Folge Beispiele Arithmetische Folge Achtung! Bei expliziter Angabe durch endlich viele Folgenglieder muss klar sein, was „. . .“ bedeutet. (bm )m>0 = (1, 1.4, 1.41, 1.414, 1.4142, . . .) zu beschreiben. Dann sollte man aber die Pünktchen (. . .) genauer erklären können. Invielen Fällen scheint intuitiv klar, wie es weiter geht (auch wenn man nur die ersten paar Folgenglieder kennt); im vorliegenden Beispiel aber wohl erst mal nicht. (D) Bei einer rekursiv definierten Folge wie im dritten Einstiegsbeispiel hat man einen Anfangswert c1 und eine Vorschrift, wie aus einem Folgenglied jeweils das nächstfolgende gebildet wird. Eine explizite Darstellung (c1 , c2 , c3 , . . .) eines endlichen Abschnitts erfordert (unter Umständen viel) Rechenarbeit. Harmonische Folge (E) Bekannte Folgen sind die „harmonische Folge“ 1 1 1 1 1 = 1, , , , , . . . n n >1 2 3 4 5 sowie 1 n2 = n >1 1 1 1 1 1, , , , , . . . 4 9 16 25 . (F) Bei der Folge ( p m ) m >0 = 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1, 1, , 1, , , 1, , , , 1, , , , , . . . 2 2 3 2 3 4 2 3 4 5 sagen einem „scharfes Hinsehen“ oder Intuition vermutlich, wie es weitergehen könnte. (Wäre es angenehm, p99999 bestimmen zu müssen?) Alternierende Folgen (G) Die Folge ((−1)k )k>0 = (1, −1, 1, −1, 1, −1, 1, −1, . . .) MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 18 Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele nennt man eine „alternierende Folge“, weil das Vorzeichen der Folgenglieder hin- und herspringt (alterniert). Auch die Folge „geschlossene Darstellung“ = „Darstellung durch Folgenterm“ ((−1)` · 3` )k>0 = (1, −3, 9, −27, 81, −343, . . .) ist alternierend. (H) Bei der Folge 3 + 4n 6 + 7n = n >0 1 7 11 5 19 , , , , ,... 2 13 20 9 34 ist die geschlossene Darstellung links wohl übersichtlicher als die Auflistung der ersten paar Folgenglieder. Übungsaufgaben 1. Der Folgenterm kann auch in Form einer Summe gegeben sein. Jedes Folgenglied geht dann aus dem vorangegangenen durch Hinzunahme eines weiteren Summanden hervor. Zum Beispiel ist ! n 1 1 1 1 1 1 1 3 7 −k = , + , + + , ... = , , , ... ∑2 2 2 4 2 4 8 2 4 8 k =1 n >1 eine Folge von Partialsummen. a) Berechnen Sie die nächsten drei Folgenglieder. b) Sehen Sie einen Zusammenhang mit Beispiel (B)? 2. Gegeben ist die Folge ( gk )k>1 = (0.3, 0.37, 0.373, 0.3737, 0.37373, . . .). a) Nennen Sie g6 und beschreiben Sie g1000000 . b) Weisen Sie für gerade Indizes k = 2` nach: ! ` g2` = 37 ∑ 100− j `−1 = 37 j =1 ∑ 100j ! /100` j =0 c) Bestimmen Sie einen ähnlichen Ausdruck für ungerades k. n 3. Folgen der Form ∑ j=0 (c + j · d) mit c, d ∈ R nennt man arithArithmetische Reihe n>1 metische Reihen. Die arithmetischen Reihen zu den arithmetischen Folgen aus Beispiel (A) sind (1, 3, 6, 10, 15, . . .) (mit c = 1, d = 1) und (6.4, 12.5, 18.3, 23.8, . . .) (mit c = 6.4, d = −0.3). a) Was sagt Ihnen der Begriff „Gauß-Trick“? (Falls nichts, recherchieren Sie!) b) Berechnen Sie die Summe aller natürlichen Zahlen von 1 bis 17. Geben Sie einen allgemeinen Ausdruck für die Summe von 1 bis n an. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele 19 c) Berechnen Sie die Summe der ganzen Zahlen 37, 35, 33, 31, . . . , −5. Was sind hier c, d und n? Geben Sie einen allgemeinen Ausdruck für die Summe von 137 bis z ∈ Z an. 4. Wie stellt sich Aufgabe 3 bei der Folge aus Beispiel (F) dar? Würden Sie der Aussage zustimmen, dass die Folge “unendlich viele Werte unendlich oft annimmt”? Kurzkontrolle 1. Wiederholen Sie die Begriffe Relation, Funktion und Abbildung, Injektivität, Surjektivität und Bijektivität. 2. Bestimmen Sie die Definitions- und Wertemengen der Funktionen mit den folgenden Termen. 1 b) ln( x ) c) x! d) sin( x ) a) x+3 3. Schreiben Sie mit Hilfe des Summenzeichens: a) 1 + 4 + 9 + . . . + 144 b) 1 − 12 + 14 − 81 ± . . . c) 1 + 3 + 6 + 10 + . . . + 5050 4. Schreiben Sie ausführlicher und vereinfachen falls möglich: 37 ∞ 100 1 1 i k −1 − a) ∑ 5 b) ∑ (−1) · (k!) c) ∑ j j+1 i =0 j = 5 k =1 1. Finden Sie eine geschlossene Darstellung für die pm aus Beispiel (F), also einen Folgenterm, welcher eine Bestimmung von pm aus m (ggf. mit Fallunterscheidungen) gestattet. (Tipp: Sie kennen eine Formel für ∑nk=1 k. Das sollte Ihnen helfen.) 2. Übungsaufgabe 1 legt die Formel ∑nj=1 2− j = 1 − 2−n nahe. Können Sie diese beweisen? 3. Geben Sie eine Folge an, welche jede natürliche Zahl unendlich oft als Wert annimmt. Geben Sie eine Folge an, welche jede ganze Zahl unendlich oft als Wert annimmt. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Probleme und Anwendungen 20 Exkurse Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele Populationsmodelle Die Gleichung für das Populationsmodell wird von Biologen wirklich verwendet; wir haben nur einige Zahlenwerte willkürlich fixiert. Allgemein werden Gleichungen der Gestalt c n +1 = r · c n · e − k · c n betrachtet, wobei r und k positive Konstanten sind, welche an die spezielle Population angepasst werden. Allerdings entspringt die Gleichung einer Näherung, welche auf einem komplizierteren Modell beruht. (Eigentlich sind stochastische Effekte mit zu berücksichtigen. Wenn diese vernachlässigt werden können, ist das Modell nützlich.) Grenzwerte in der Mathematikgeschichte Ab S.25 werden Ausdrucksweisen wie „strebt gegen 0“, „strebt gegen ∞“ usw. benutzt. Was will man mit solchen und ähnlichen Sprechweisen ausdrücken? Eine präzise Fassung des Begriffs „Grenzwert“ stellen wir noch zurück; wir kümmern uns später darum. Diese präzise Fassung hat auch in der geschichtlichen Entwicklung der Mathematik auf sich warten lassen: Es dauerte bis Mitte des 19. Jahrhunderts, ehe eine einwandfreie Definition stand. Andererseits haben schon die alten Griechen mit Folgen hantiert, und seit der Erfindung der Infinitesimalrechnung (im 17. Jahrhundert durch Newton und Leibniz) wurde wild mit Grenzwerten herumgearbeitet, auf der Basis von Intuition und Rechenregeln. Auch solche „unpräzisen Phasen“ gehören zur Mathematik und ihrer Entwicklung. An irgend einer Stelle ist es dann aber so weit, dass einem die fehlende Präzision Ärger macht. Dann ist Handeln nötig. „Das Unendliche hat wie keine andere Frage von jeher so tief das Gemüt des Menschen bewegt; das Unendliche hat wie kaum eine andere Idee auf den Verstand so anregend und fruchtbar gewirkt; das Unendliche ist aber auch wie kein anderer Begriff so der Aufklärung bedürftig.“ David Hilbert MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele Ein wichtiges Mittel zur Veranschaulichung von Folgen und ihren Eigenschaften ist deren graphische Darstellung durch Punkte in einem Koordinatensystem. Darum geht es im folgenden Abschnitt. 21 Graphische Darstellung von Folgen Graphische Darstellung von Folgen: Man kann sich die Folge ( an )n>.. veranschaulichen, indem man jedes Wertepaar (n| an ) als Koordinatenpaar eines Punktes Pn in der Ebene auffasst. Auf diese Weise entsteht der Graph der Folge als einer diskreten Funktion. (A) Die Glieder der harmonischen Folge sind die Kehrwerte der natürlichen Zahlen: ( f m )m>1 = ( m1 )m>1 = (1, 21 , 13 , 14 , · · · ) . Der Graph dieser Folge (für die ersten zwanzig Folgeglieder) ist in Abb.1.1 abgebildet. Man kann sehen, dass die Folgenglieder für grösser werdendes m immer kleiner werden und der Null immer näher kommen, aber wegen m ∈ N nicht negativ werden können. Das Bild legt die Vermutung nahe, dass die Folgenglieder für grosse m „gegen Null streben“. Abbildung 1.1: Ausschnitt von ( f m )m>1 (B) (ek )k>3 = ( 1k + k )k>3 : Bei dieser Folge beginnt der Laufindex erst 17 26 bei 3. Es gilt: (ek )k>3 = ( 10 3 , 4 , 5 , · · · ). In Abb.1.2 ist der Graph der Folge zu sehen (die ersten zwanzig Folgenglieder). Man kann Abbildung 1.2: Ausschnitt von (ek )k>3 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Beispiele Anmerkung Der Graph einer Folge zeigt das Verhalten „auf einen Blick“ und lässt häufig erahnen, wie sich die Folge für große n entwickelt. 22 Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele sehen, dass die Folgeglieder immer grösser werden. Es liegt die Vermutung nahe, dass sie mit wachsendem k „gegen Unendlich strebt“. Anmerkung Bei den hier veranschaulichten Folgen ist mehrfach davon die Rede, dass sie „für n → ∞ gegen Null, gegen Unendlich oder gegen eine andere reelle Zahl streben“. Was das genau heißt, wird in Kapitel 5 klar. (C) (hm )m>1 = 10 · 2−m + 1 = (6, 3.5, 2.25, 1.625, · · · ). Für m = 10 gilt beispielsweise: h10 = 1.0098. In diesem Fall liegt also die Vermutung nahe, dass die Folgeglieder „gegen 1 streben“, wenn der Laufindex gross wird. Man vergleiche hierzu auch Abb.1.3. Abbildung 1.3: Ausschnitt der Folge (hm )m>1 (D) (ik )k>1 = (−1)k · 2k: Es handelt sich hierbei um eine alternierende Folge mit (ik )k>1 = (−2, 4, −6, 8, −10, 12, · · · ). Ihr Graph ist in Abb.1.4 zu sehen. Man entnimmt der graphischen Darstellung, dass sich diese Folge wohl keinem Wert annähert, wenn n gross wird, sondern immer „hin und her springt“. Abbildung 1.4: Ausschnitt der Folge (ik )k>1 Übungsaufgaben Was ging hier schief? (1/k)k>4 = (1, 1/2, 1/3, 1/4, . . .) 1. Skizzieren Sie Graphen zu den Folgen: √ a) ( k )k>0 b) ( 2 − 1k )k>1 c) ( 1 + (−1)k · k )k>3 2. Formulieren Sie für die Beispiele aus Aufgabe 1. Aussagen darüber, wie sich die Folgen für n → ∞ entwickeln. 3. Geben Sie jeweils selbst eine Folge an, die für n → ∞ a) gegen 0 strebt, b) gegen 7 strebt, c) gegen −∞ strebt. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele 23 4. Skizzieren Sie die Graphen zu den selbst gewählten Folgen aus Aufgabe 3. 5. Wie sieht der Graph einer arithmetischen Folge aus? Wo findet man die Parameter des Folgenterms im Graphen wieder? 6. Geben Sie einen zu Abb.1.5 passenden Folgenterm an. (Die exakten Funktionswerte sind 0.25, 0.0625, 0.015625, 0.00390625.) Abbildung 1.5: Ausschnitt der Folge ( gn )n>1 Wir wollen uns jetzt spezielle Folgen genauer ansehen, die sowohl in der reinen als auch in der angewandten Mathematik eine wichtige Rolle spielen: Geometrische Folgen und Reihen Eine Folge, bei der der Quotient aufeinanderfolgender Glieder konstant ist, nennt man geometrisch. Die allgemeine Form einer geometrischen Folge mit dem konstanten Quotienten q (6= 0) ist: ( a n ) n> N = c · q n N ∈ N0 , c, q ∈ R , Ist eine geometrische Folge (c · qk )k>0 gegeben, so nennt man für jedes n ∈ N die Zahl Geometrische Folgen und Reihen Die Folge (0, 0, 0,. . .) mit q = 0 kann man ebenfalls als geometrisch bezeichnen, aber nicht über Quotientengleichheit definieren. n sn := ∑ c · qk k =0 die n-te Partialsumme dieser Folge. Die Folge (sn )n>0 dieser Partialsummen nennt man auch geometrische Reihe und schreibt kurz k ∑∞ k =0 c · q . (A) Die Folge der Zweierpotenzen (1, 2, 4, 8, 16, . . .) ist eine geometrische Folge mit dem konstanten Quotienten q = 2. Die zugehörige geoetrische Reihe hat die Form (1, 3, 7, 15, 31, . . . ). 1 n (B) Die Folge (0.37 · ( 100 ) )n>0 = (0.37, 0.0037, 0.000037, . . .) ist eine 1 n geometrische Folge; und ∑∞ n=0 0.37 · ( 100 ) ist eine geometrische Reihe: Die Abkürzung für die Folge (0.37, 0.3737, 0.373737, . . .). MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Beispiele Merke: Eine nicht konstante arithmetische Folge ist niemals zugleich geometrisch! 24 Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele (C) Es gibt eine geometrische Folge ( an )n>1 mit a0 = 2 und a1 = 7: Man muss nur q = a1 /a0 = 7/2 und c = a1 /q = 4/7 setzen. Es gibt hingegen keine geometrische Folge, welche an = 56, an+1 = 57 und an+2 = 58 für irgendein n erfüllt, denn man hätte dann q = 57/56 einerseits und q = 58/57 andererseits. Übungsaufgaben 1. Geben Sie jeweils die ersten fünf Glieder der (mit N = 0 beginnenden) geometrischen Folgen mit den folgenden Parametern an: 1 d) c = 1000, q = −0.3 a) c = 3, q = 2 b) c = −7, q = 10 2. Geben Sie jeweils die ersten fünf Glieder der zu den Folgen in Aufgabe 1. gehörenden geometrischen Reihen an. 3. Untersuchen Sie, ob es eine geometrische Folge gibt, welche die angegebenen Teilabschnitte enthält. Geben Sie im Fall einer positiven Antwort passende Konstanten c und q an. Sind diese eindeutig? a) 3, 3, 3, 3, 3 b) 2, 3, 5, 9, 12 c) 64, 256, 1024, 4096 3 3 3 4 8 16 32 e) 3; 4 , 16 , 64 f) 1, −3, 9, −27, −81 d) 3 , 9 , 27 , 81 Tipp zu 4. Betrachten Sie jeweils die zugehörige Differenzenfolge (s0 , s1 − s0 , s2 − s1 , s3 − s2 , . . .) . Geometrische Summenformel 4. Untersuchen Sie, ob es eine geometrische Reihe gibt, welche die angegebenen Teilabschnitte enthält. Geben Sie im Fall einer positiven Antwort passende Konstanten c und q an. Sind diese eindeutig? a) 1, 4, 13, 40, 121 b) −5, −5.5, −5.55, −5.555, −5.5555 c) 7, 17, 30, 46, 65, 87 d) 1536, 768, 1152, 960, 1056, 1008 Bei geometrischen Folgen kann man die zugehörigen Partialsummen statt durch sukzessive Addition auch auf elegante Weise direkt berechnen. Wer die zugehörige Summenformel kennt und korrekt anwendet, kann sich in vielen Aufgaben eine Menge Arbeit ersparen. Geometrische Summenformel Seien c ∈ R, q ∈ R gegeben und q 6= 1. Dann gilt n ∑ c · qk = c · k =0 1 − q n +1 1−q für alle n > 0. Beispiele 5 (A) Es gilt: ∑ k =0 10 (B) Es gilt: ∑ 1 − 25 + 1 3 · 2k = 3 · = 189 1−2 −1 · 0.5 k = −1 · k =0 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 1 − 0.510+1 −2047 = ≈ −1.999 1 − 0.5 1024 Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele 1. Betrachten Sie noch einmal die Aufgabe mit dem ewigen Glas Wasser. Wo tritt dort die Summenformel für die geometrische Reihe auf? 25 Übungsaufgaben k 2. Betrachten Sie die geometrische Reihe 0.1 = ∑∞ k=1 (0.1) . Was ergibt die Summenformel hier? Würden Sie auf Grund dieser Information zustimmen, dass gilt: 0.1 = 19 ? 3. Wie sieht es mit 0.37 aus? 4. Beweisen Sie die geometrische Summenformel mit vollständiger Induktion. Probleme und Anwendungen 5. Beweisen Sie diese Formel durch Ausmultiplizieren des Terms (1 + q + · · · + q n ) · (1 − q ). 6. Was ist im Fall q = 1 zu sagen? 7. Bestimmen Sie auch eine Formel für ∑nk= N c · qk , wobei N ∈ Z beliebig und q 6= 1. 8. Betrachten Sie eine geometrische Folge (c · qn )n>0 mit c 6= 0. Wie verhält sich die Folge für grosse n? Die Antwort wird von q und c abhängen. Nehmen Sie geeignete Fallunterscheidungen vor. Abhängig vom Betrag der Basis q lassen sich die Eigenschaften geometrischer Folgen in drei Klassen aufteilen. Besonders wichtig und auf den ersten Blick erstaunlich ist die Tatsache, dass für |q| < 1 die „unendlichen Summen“ nur endliche Werte annehmen. Feststellung und Arbeitsdefinition Seien c ∈ R, c 6= 0 und q ∈ R gegeben. Dann gilt: (a) Für |q| < 1 strebt die Folge (c · qk )k>0 gegen 0, wenn k über alle Grenzen wächst. Die Folge der Partialsummen (∑nk=0 c · qk )n>0 strebt in diesem Fall gegen c/(1 − q). (b) Für q = 1 ist die Folge (c · qk )k>0 konstant; für q = −1 ist sie alternierend und nimmt genau zwei Werte an. (c) Im Fall q > 1 wächst die Folge (c · qk )k>0 über alle Grenzen (“strebt gegen Unendlich”), wenn k über alle Grenzen wächst. Im Fall q < −1 ist die Folge (c · qk )k>0 alternierend. Die Folge der Beträge (|c · qk |)k>0 “strebt gegen Unendlich”, wenn k über alle Grenzen wächst. Hier wurden Ausdrucksweisen wie „strebt gegen unendlich“ einfach in den Mund genommen, ohne weiter darüber nachzudenken. Einige historische Bemerkungen dazu finden sich auf S.20. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Spezialfälle 26 Übungsaufgaben Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele 1. Was lässt sich in den Fällen mit |q| > 1 zu den Partialsummen sagen? 2. Geben Sie die Werte an, gegen die die folgenden Partialsummen für n → ∞ streben: a) ∑nk=0 5 · (0.3)k n>0 b) ∑nk=0 −2 · (−0.9)k n>0 c) ∑nk=0 0.2 · 41k n >0 Reihen: Begriff und erste Beispiele Anmerkung Es geht also bei unendlichen Reihen nicht darum, „unendlich viele Additionen“ auszuführen. Das sieht nur durch die Schreibweise so aus. Wir kommen später darauf zurück (und machen die verwirrenden Bezeichnungen dann noch ein bisschen verwirrender). Beispiele Zum Abschluss dieses Abschnittes notieren wir noch eine Definition, welche wir im Spezialfall der geometrischen Reihen schon vorgenommen haben. (Unendliche) Reihen: Sei eine Folge ( an )n>0 = ( a0 , a1 , a2 , · · · )n>0 gegeben. Man bildet ausgehend von dieser Folge eine neue Folge (s0 , s1 , s2 , · · · ) mit der Vorschrift: s0 = a0 , s1 = a0 + a1 , s2 = a0 + a1 + a2 , · · · , sn = a0 + a1 + · · · + an = ∑nk=0 ak . Man nennt sn die n-te Teilsumme oder Partialsumme von ( an )n>0 . Umgekehrt nennt man ( an )n>0 die Differenzenfolge von (sn )n>0 . Die Folge der Teilsummen (sn )n>0 ) = (s0 , s1 , s2 , · · · ), nennt man unendliche Reihe, oder kurz Reihe und benutzt dafür die Schreibweise: ∑∞ k=0 ak . Es sei betont, dass diese „unendliche Summe“ nur eine neue Bezeichnung für die Folge der Partialsummen ist. Startet man mit einer Folge ( an )n>1 oder allgemeiner ( an )n> N , so bildet man analog die Folgen der Teilsummen und bezeichnet ∞ diese mit ∑∞ k=1 ak bzw. ∑k= N ak . (A) Zur Folge der natürlichen Zahlen (i )i>1 = (1, 2, 3, 4, . . .) gehört alsReihe der Partialsummen die Folge der Dreieckszahlen i ·(i +1) 2 i >1 = (1, 3, 6, 10, . . .) . (B) Zur Folge der Quadratzahlen (i2 )i>1 = (1, 4, 9, 16, . . .) gehört als Differenzenfolge die Folge der ungeraden Zahlen (2 · i + 1)i>0 = (1, 3, 5, 7, . . .) . Übungsaufgaben 3. Geben Sie für jede der Folgen die ersten fünf Glieder der zugehörigen Reihe an: a) (5, 5, 5, 5, 5, . . .) b) (3, 6, 9, 12, . . .) c) (1, 12 , 31 , 14 , 15 , . . .) d) (−1)k · 2 k>1 e) (0.5) j j>0 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele 4. Geben Sie für jede der (als Reihe aufzufassenden) Folgen die ersten fünf Glieder der zugehörigen Differenzenfolge an: a) (5, 5, 5, 5, 5, . . .) b) (1, 8, 27, 64, 125, . . .) c) (1, 3, 7, 15, 31, . . .) d) (7, 1, 6, 2, 5, . . .) n · ( n + 1) e) 2 n >0 5. Sehen Sie sich die Aufgaben 3. und 4. in Hinblick auf interessante, eventuell als Formel verallgemeinerbare Zusammenhänge an. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 27 28 Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele Wissensspeicher Eine unendliche reelle Folge lässt sich als eine geordnete Liste reeller Zahlen auffassen, die den natürlichen Zahlen ab einem Startwert N ∈ N0 zugeordnet sind. Folge Häufig sind Folgen auf eine der drei folgenden Arten gegeben: Explizit durch Auflistung endlich vieler Folgenglieder (mit „Pünktchen“), explizit durch einen Term, der die Berechnung des Folgenwertes aus dem Laufindex der Folge beschreibt, oder rekursiv durch Angabe eines Startwertes (bzw. mehrerer Startwerte) und einer Formel, nach der jedes Folgenglied aus dem (den) vorangegangenen zu berechnen ist. Folge ( an )n> N , N ∈ N0 Folgenterm (2n + 1)n>4 Besondere Folgen: arithmetisch, geometrisch, alternierend Folgen, bei denen die Differenz aufeinanderfolgender Glieder konstant ist, nennt man arithmetisch. Folgen, bei denen der Quotient aufeinanderfolgender Glieder (sofern definiert) konstant ist, nennt man geometrisch. Folgen, deren Glieder abwechselnd positives und negatives Vorzeichen haben, nennt man alternierend. Arithmetische Folge Geometrische Folge Alternierende Folge Reihen (c + k · s)k>0 , c, s ∈ R z. B. (11, 8, 5, 2, −1, . . .) (c · qk )k>0 , c , q ∈ R (6, 12, 24, 48, 96, . . .) z. B. ((−1)k · (k2 + 1))k> N oder (5, −6, 8, −9, . . .) Folgen, deren Glieder in Form von Partialsummen gegeben sind, nennt man Reihen. Reihen sind also selbst Folgen, zu denen es aber eine weitere Folge (ihre Differenzenfolge) gibt, aus denen Sie durch Summieren der Folgenglieder entstehen: n-tes Glied der Reihe ist die Summe der ersten n Glieder der (Differenzen-)Folge. Folge ( a n ) n >0 Summenformeln Werteliste (9, 11, 13, 15, 17, . . .) Rekursive Definition a 4 = 9 , a n +1 = a n + 2 Partialsumme sn = ∑nk=0 ak Reihe (sn )n>0 oder ∑∞ n =0 a n Für einige Reihen, insbesondere für arithmetische und geometrische Reihen gibt es Summenformeln. Sie liefern einen geschlossenen Term zur Berechnung der Reihenglieder ohne Summenzeichen. n Arithmetische Reihe ∑ ( c + s · k ) = ( n + 1) · c + s · k =0 n Geometrische Reihe ∑ c · qk = c · k =0 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer q n +1 − 1 q−1 , n · ( n + 1) 2 q ∈ R \ {1} Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele In diesem Kapitel haben Sie Folgen als geordnete Zahlenreihen oder Abbildungen von N oder N0 nach R kennengelernt. Sie haben einfache Beispiele dazu gesehen oder selbst konstruiert und Aufgaben dazu gelöst. Eine wichtige Rolle spielten dabei drei Darstellungsformen für Folgen: Durch explizit aufgezählte Folgenglieder (mit „Pünktchen“), durch einen Folgenterm oder durch eine Rekursionsformel. Exemplarisch wurden dabei auch schon die Zusammenhänge zwischen diesen Darstellungsformen beleuchtet. Gegen Ende des Kapitels wurden Reihen als besondere Folgen eingeführt, bei denen die Summenschreibweise eine wichtige Rolle spielt und geschickte Umformungen oder der „mathematische Blick“ zu erheblichen Vereinfachungen führen können. Im Rahmen des Kapitels haben Sie bereits einige spezielle Folgen kennengelernt wie die harmonische Folge, alternierende, arithmetische und geometrische Folgen. Letztere nahmen dabei zusammen mit den geometrischen Reihen eine besonders wichtige Rolle ein. Sie sind wegen ihrer großen Bedeutung auch Gegenstand des nächsten Kapitels, wobei es verstärkt um Anwendungen geht: Es wird sich herausstellen, dass geometrische Folgen und Reihen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auftauchen und ihre Kenntnis einem viele Probleme lösen helfen kann. Die nachfolgenden Aufgaben sind von etwas höherem Anspruch, weil Sie entweder mehrere Zusammenhänge gleichzeitig erfordern oder über den im Kapitel behandelten Stoff hinaus gehen. Sie können sie also gerne ansehen, um Ihr Verständnis auf die Probe zu stellen oder Ausblicke auf weitere Aspekte des Themas oder noch offene Fragen zu erhalten. Sie sollten sich allerdings keine Sorgen machen, wenn Ihnen diese Aufgaben noch nicht ohne weiteres gelingen. 1. Weitere Fragen zur Populationsbiologie (Aufgabe 3 S.16): a) Generation für Generation auszurechnen, wie gross die Population nach 10 oder 50 Generationen ist, ist zwar möglich aber ausgesprochen mühsam. Gibt es einen einfacheren Weg, sich einen Überblick zu verschaffen? b) Skizzieren Sie den Graphen der Funktion f mit f ( x ) = 3x · e− x . Beschreiben Sie ein Verfahren, mittels dessen sich bei gegebener Anfangspopulation die Populationen der Folgegenerationen graphisch bestimmen lassen. c) Angenommen es gäbe zwei aufeinanderfolgende Generationen mit gleicher Populationsgröße cn = cn+1 = c. Wie groß müsste die dafür in Frage kommende Populationsgröße c sein? (Können Sie auch dieses Ergebnis anhand des Funktionsgraphen interpretieren?) MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 29 Rück- und Ausblick 30 Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele 2. Der Jäger und sein Hund: Ein Jäger spaziert mit seinem Hund zur 10km entfernten Jagdhütte. Weil der Jäger für den Geschmack des Hundes allerdings deutlich zu langsam läuft, verfährt letzterer wie folgt: Er läuft alleine vor bis zur Jagdhütte, kehrt dort unverzüglich um und läuft seinem Herrchen entgegen. Sobald er dieses erreicht, dreht er wieder um, läuft vor bis zur Jagdhütte und so weiter. a) Fertigen Sie eine dem Verständnis der Sachlage dienende Skizze an. b) Angenommen, der Hund läuft exakt doppelt so schnell wie der Jäger: Wo werden sich die beiden zum ersten (zweiten, dritten) mal wieder treffen? c) Welche Gesamtstrecke hat der Hund bis zu diesen Begegnungen jeweils zurückgelegt. d) Welche Gesamtstrecke hat der Hund zurückgelegt, wenn der Jäger schließlich die Jagdhütte erreicht? e) Inwiefern ist auch diese Problemstellung sehr theoretisch: Wie oft treffen sich Jäger und Hund insgesamt, bevor der Jäger die Hütte erreicht? Erwarten den Hund irgendwelche technischen Probleme? MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 31 Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen In diesem Kapitel wird an Beispielen klar, warum die geometrischen Folgen und Reihen eine Sonderstellung einnehmen. Sie treten in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auf. Die Kenntnis ihrer Eigenschaften und der flexible Umgang mit Parametern und Summenformeln sind deshalb unverzichtbar für das Lösen vieler Probleme. Viele davon erwachsen aus Anwendungen in anderen Wissenschaften oder kommen scheinbar spielerisch daher. Andere sind dagegen absolut innermathematisch und rühren an wichtige Grundlagen wie den Zahlbegriff. 1. Achilles und die Schildkröte Einer antiken Legende nach wurde Achilles zum Wettlauf mit einer Schildkröte aufgefordert. Da er (immerhin) zehnmal so schnell war wie die Schildkröte, sollte diese allerdings zehn Meter Vorsprung erhalten. Nach einem Gespräch mit Zenon (vgl. S. 33) weigerte sich Achilles anzutreten mit der Begründung, er habe keine Chance, die Schildkröte einzuholen: In der Zeit, die er für die ersten 10m benötige, sei die Schildkröte schon wieder 1m voraus. In der Zeit, die er für diesen Meter benötige, sei sie schon wieder 10cm weiter. In der Zeit, die er für diese 10cm benötige, wäre sie wieder 1cm voraus und so weiter. a) Was meinen Sie dazu? (Bearbeiten Sie Aufgabenteil b) bis e) nur, wenn Sie mit dieser allgemeinen Frage nicht recht weiter kommen.) b) Wo ist die Schildkröte, wenn Achilles 20m zurückgelegt hat? c) Wo ist die Schildkröte, wenn Achilles 12m zurückgelegt hat? d) Versuchen Sie durch Annäherung aus beiden Richtungen, möglichst genau den Ort zu bestimmen, an dem Achilles die Schildkröte einholt. e) Ignorieren Sie Achilles’ Argumentation einmal vollständig: Ordnen Sie ihm und seiner Widersacherin konkrete Geschwindigkeiten zu und bestimmen dann Ort und Zeitpunkt des Einholens. Einführung 32 Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen f) Trotzdem hat Achilles doch irgendwie recht?! Die Geschichte ist in der Logik als Paradoxon von Zenon bekannt. Warnung: Wie überzeugend Sie Zenons Erklärung auch finden: Rennen Sie bitte nicht Richtung Wand! 2. Nachdem ihm logisch einwandfrei klar gemacht wurde, dass er das Rennen nicht gewinnen kann, will Achilles aus Wut mit vollem Schwung gegen die Stadionwand rennen. Aber auch das klappt nicht, wie ihm Zenon gleich erklärt: Bis er die Strecke zwischen seinem Standpunkt und der Wand zurücklegt, muss er ja erst mal die Hälfte zurücklegen, und dann vom Rest wieder die Hälfte, und so weiter. Bis er an der Wand ankommt, muss er also unendlich viele Teilstrecken durchlaufen. Versuchen Sie mit einfachen Worten, das Paradoxon aufzulösen. Können Sie auch diesen Widerspruch für Achilles auflösen? 3. Gehen Sie Aufgabe 1. noch einmal aus einer anderen Richtung an: Setzen Sie sich in das mitbewegte Bezugssystem der Schildkröte. 4. Eine umständliche Art, eine Dreiecksfläche zu berechnen: a) Gegeben sei ein gleichschenkliges rechtwinkliges Dreieck ∆, wobei die Schenkel die Länge a haben. (Für Skizzen können Sie a = 5cm wählen.) Berechnen Sie die Fläche von ∆. b) Bestimmen Sie nun näherungsweise die Fläche von ∆ (die Näherungswerte heissen im Folgenden A1 , A2 , . . .), indem Sie sie in mehreren Schritten durch die Flächensummen von Quadraten, die im Dreieck liegen, annähern. (Siehe Skizze: Im ersten Schritt nimmt man ein Quadrat, im zweiten zwei weitere hinzu, im dritten vier weitere, usw.) Dreiecksnäherung durch Quadrate Erstellen Sie auch eine Tabelle, in der Sie die Berechnungen und Näherungswerte protokollieren. (Falls Ihnen dies mit a = 5 angenehmer ist, rechnen Sie mit diesem konkreten Wert. Aber es geht eigentlich einfacher mit allgemeinem a.) c) Zeigen Sie, dass Teil b) zur allgemeinen Flächenformel für gleichschenklig rechtwinklige Dreiecke führt. d) Lässt sich irgendein Informationsgewinn aus dieser Aufgabe ziehen? MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen Paradoxien in der griechischen Philosophie Der griechische Philosoph Zenon (auch Zeno) von Elea lebte um 450 v. Chr. und beschäftigte sich vor allem mit dem Verhältnis von Raum, Zeit und Bewegung. Er tat dies in Form sogenannter Paradoxien, unter denen „Achilles und die Schildkröte“ eine der bekanntesten ist. Im Wesentlichen geht es dabei um die Frage, ob die Welt in diskrete Einheiten zerlegbar oder kontinuierlich ist. Die Paradoxien sind ähnlich angelegt wie indirekte Beweise: Der zu widerlegende Standpunkt (z.B. dass eine Strecke in unendlich kleine Teile geteilt werden kann) wird angenommen, um daraus die Unmöglichkeit der Alltagserfahrung nach sehr wohl möglicher Vorgänge (z.B. das Einholen eines langsameren Läufers durch einen schnelleren) zu folgern. Insofern spielen mathematische Begriffe wie der des Unendlichen oder des Grenzwerts in den Paradoxien eine wichtige Rolle. Tatsächlich gehen die Grundfragen Zenons und seines Lehrers Parmenides noch wesentlich weiter. Es wird zum Beispiel bezweifelt, ob Raum und Zeit überhaupt teilbar und Bewegungen überhaupt möglich sind. Ad absurdum führen dabei Annahmen wie die, das ein Ereignis nie eintritt, wenn man unendlich viele Zeitpunkte benennen kann, zu denen es noch nicht eingetreten ist. 33 Exkurse Zenon aus Elea (Die beiden folgenden Exkurse stehen hier „auf Vorrat“. Wie sie mit dem Thema zusammenhängen, wird einige Seiten später klar.) Interessantes über Primzahlen Umgekehrt zur Aussage im Kasten auf S.36 lässt sich jede rationale Zahl in einen periodischen Dezimalbruch entwickeln, wie Sie vielleicht in der Sekundarstufe I gelernt haben. Wenn man das als gegeben annimmt, folgt eine seltsame Aussage: Zu jeder Primzahl p 6∈ {2, 5} existiert ein n ∈ N so, dass p Teiler von ∑nk=1 9 · 10k−1 ist. Unter den Teilern der Zahlen 9, 99, 999, 9999, . . . sind also alle Primzahlen ausser der 2 und der 5 zu finden. Das Boyle-Mariotte-Gesetz Befindet sich ein („ideales“) Gas in einem Gefäss (mit variablem Volumen) und hält man die Temperatur konstant, so ist das Produkt aus Druck und Volumen konstant: p · V = const. Verdoppelt man also z.B. das Volumen, so halbiert sich der Druck. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 13 - 9 13 - 99 13 - 999 13 - 9999 13 - 99999 13 | 999999 34 Geometrische Folgen und Reihen in der Anwendung Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen Thema des folgenden Abschnitts ist die Anwendung des neu erworbenen mathematischen Fachwissens auf inner- und außermathematische Probleme: Geometrische Folgen und Reihen sind in vielen Bereichen von Bedeutung und die Übertragung der Mathematik auf das jeweilige Problem will gelernt sein. Geometrische Folgen und Reihen in der Anwendung Sowohl geometrische Folgen als auch geometrische Reihen kommen in zahlreichen inner- und außermathematischen Anwendungen vor. Wichtige Beispiele sind Wachstumsprozesse und Abbauvorgänge aus den Naturwissenschaften, die Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen und fraktale geometrische Figuren. In den jeweiligen Anwendungen ist es wichtig zu erkennen, • ob es sich überhaupt um ein geometrisches Bildungsgesetz handelt, • ob jeweils die geometrische Folge oder die geometrische Reihe gefragt sind, • welches die jeweiligen Parameter c und q sind bzw. wie man sie aus den gegebenen Informationen bestimmen kann und • bei welchem Startwert N die Folge oder Reihe beginnt. Beispiele (A) Ein Schilfrohr, das am ersten Tag der Messung 17cm hoch ist, wächst von da an täglich um 4mm. Wann wird es eine Höhe von 1m erreichen? Hier handelt es sich gar nicht um einen geometrischen Vorgang, da in jedem Schritt ein fester Summand hinzukommt. (B) Beim Entladen eines Kondensators wurde alle zwei Sekunden die Restspannung gemessen. Gefragt ist, ob die Messwerte zu einer geometrischen Folge gehören könnten und welches gegebenenfalls die Parameter sind. Zeit in s Spannung in V Un+2 /Un 0 12.5 2 4 6 10.1 7.95 6.45 0.81 0.79 0.81 8 5.1 0.79 10 4.1 0.80 Um das Vorliegen einer geometrischen Folge zu prüfen, berechnet man am besten die Quotienten aufeinanderfolgender Spannungen zu äquidistanten Zeitpunkten, wie es hier in der dritten Zeile bereits geschehen ist. Bis auf durch Messungenauigkeiten erklärbare Schwankungen scheint der Quotient konstant zu sein, d. h. es handelt sich um eine geometrische Folge. Möchte man Sekunden als Zeiteineinheiten haben entspricht der hier errechnete Quotient allerdings dem Quadrat des Parameters: q2 = 0.8. Der Startwert zur Zeit t = 0 (s) beträgt c = 12.5 (V). Zur Zeit t (in s) erhält man also √ t die Spannung U (in V) mittels: U (t) = 12.5 · 0.8 ≈ 12.5 · 0.89t MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen 35 (C) Weil Robin schon 14 Jahre alt ist, hat er anstelle eines Adventskalenders einfach eine 100g-Tafel Schokolade bekommen. Statt nun aber jeden Tag eines der 24 Stücke zu essen, isst er jeden Tag die Hälfte dessen, was noch übrig ist. Wie viel g Schokolade hat er am Nikolaustag bereits verdrückt? Da hier die Summe sukzessive immer kleiner werdender Teile gesucht ist, geht es um eine geometrische Reihe. Die bereits gegessene Menge in g ist nach sechs Tagen gegeben durch: 100 · ∑6j=1 0.5 j ≈ 98.44 1. Woran erinnert Sie Aufgabe 2. aus dem Einstieg? Können Sie das Paradoxon damit auflösen? Übungsaufgaben 2. Ein Ball („Flummi“) wird senkrecht fallen gelassen. Jedes Mal, wenn er auf dem Boden auftrifft, springt er wieder hoch und erreicht jeweils 90% der vorherigen Höhe. Welche Gesamtstrecke legt er zurück, wenn er ursprünglich aus 1.5m Höhe losgelassen wird? Wie gross wird die Gesamtstrecke, wenn der Ball beim Hochspringen 99% der vorherigen Höhe erreicht? 3. Bearbeiten Sie das Problem vom Jäger und seinem Hund (S.30) unter Nutzung der neu gewonnenen Kenntnisse noch einmal. 4. Cäsium137 zerfällt infolge seiner Radioaktivität; und zwar halbiert sich die vorhandene Menge etwa alle dreißig Jahre. a) Handelt es sich hierbei überhaupt um einen durch eine geometrische Folge beschreibbaren Vorgang? b) Falls ja, wie viel Prozent des Cäsiums sind nach 90 (15, 40) Jahren noch vorhanden? 5. Schaffen Sie es, die Situation aus „Achilles und die Schildkröte“ allgemein mathematisch zu fassen? Den anfänglichen Abstand können Sie d nennen (oder auch als 1 annehmen; das ist nur eine Frage der Längenskala). Die Geschwindigkeit des Läufers geben Sie allgemein als v2 = v > 0 vor, und setzen dann v1 = q · v für die Geschwindigkeit der Schildkröte an. (Dabei ist 0 < q < 1, um die Ehre des Läufers zu retten.) Probleme und Anwendungen 6. Können Sie das Paradox allgemein auflösen? Wo steckt der Fehlschluss? (Hat Ihnen die Wand beim Aufdecken geholfen, oder eher nicht?) Wie der folgende Abschnitt zeigt, sind geometrische Reihen auch von großer Bedeutung für die Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen. Dies ermöglicht neue Einsichten insbesondere über periodische Dezimalbrüche. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Die Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen 36 Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen: Gegeben seien eine natürliche Zahl m sowie m Zahlen d1 , . . . , dm ∈ {0, . . . , 9}. Dann gilt für den Wert des rein periodische Dezimalbruchs: m−k ∑m k=1 dk · 10 0.d1 · · · dm = k −1 ∑m k=1 9 · 10 „Man übernimmt die Periode in den Zähler und im Nenner stehen soviele Neunen, wie die Periode Ziffern hat.“ Beispiele Für einen gemischt periodischen Dezimalbruch benutzt man 0.a1 · · · as d1 · · · dm = 0.a1 · · · as + 10−s · 0.d1 · · · dm und benutzt dann den oberen Zusammenhang. (A) Soll ein abbrechender Dezimalbruch wie 0.375 als gewöhnlicher Bruch dargestellt werden, wählt man zuerst eine Zehnerpotenz als Nenner und kürzt dann gegebenenfalls. (Es sei denn man erkennt den Bruch direkt.) 3 375 = . 0.375 = 1000 8 (B) Soll ein rein periodischer Dezimalbruch wie 0.517 als gewöhnlicher Bruch dargestellt werden, nutzt man die Darstellung von oben: 0.517 = 517 999 Manchmal kann auch hier im Anschluss noch gekürzt werden: 0.407 = 11 · 37 11 407 = 3 = 999 81 3 · 37 (C) Soll ein gemischt periodischer Dezimalbruch wie 0.4123 als gewöhnlicher Bruch dargestellt werden, spaltet man ihn zunächst wie oben angegeben auf und fasst dann falls gewünscht noch zusammen: 41 23 4082 2041 −2 23 0.4123 = 0.41 + 10 · = + = = 99 100 9900 9900 4950 Übungsaufgaben Primfaktor-Tipps: 11, 73, 101, 239, 271 1. Stellen Sie die folgenden Dezimalbrüche als gewöhnliche Brüche dar. a) 0.25 f) 2.01 b) 0.142857 g) 105.05 c) 0.09 d) 4.0625 h) 54.54 i) 0.743 e) −7.076923 j) 0.267 2. Lesen Sie sich den mittleren Exkurs auf S.33 durch. Bestimmen Sie die Primfaktorzerlegungen der Zahlen mit der 9 als einziger Ziffer bis einschließlich 109 − 1. Markieren sie jeweils die Stelle, an der ein bestimmter Primfaktor dabei zum ersten mal auftaucht. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen 3. Beweisen Sie detailliert die Aussagen aus dem Kasten der vorangegangenen Seite. 37 Probleme und Anwendungen 4. a) Begründen Sie die Aussage über Primzahlen aus dem Exkurs. b) Entdecken Sie einen Zusammenhang mit der Periodenlänge bestimmter Brüche? Wichtige Anwendungen haben geometrische Folgen und Reihen auch in der Physik. Davon wollen wir uns im Folgenden einige genauer ansehen. Anwendungen in der Physik Exponentielle Vorgänge in der Physik: In der Physik verlaufen zum Beispiel Entladevorgänge von Kondensatoren exponentiell. Auch Abläufe, bei denen sukzessive derselbe Vorgang wiederholt wird, führen auf geometrische Folgen. 1. Eine einfache Vakuumpumpe mit Hubraum Vh pumpt ein Gefäss mit Volumen Vg schrittweise leer. In jedem Pumpschritt (siehe Skizze) wird (i) ein Ventil zwischen Pumpe (Pumpenvolumen auf 0) und Gefäss geöffnet, (ii) das Pumpenvolumen um Vh vergrössert, (iii) das Zwischenventil geschlossen und die Pumpe über ein anderes Ventil nach aussen entleert. Übungsaufgabe Für den Druck pn nach dem n-ten Schritt (n > 1, Anfangsdruck p0 ) gilt dann Vg p n = p n −1 · , Vg + Vh wie man mit physikalischen Argumenten (siehe unten) zeigen kann. Anmerkung Vergleichen Sie auch den Exkurs auf S.33 unten. Vg . VVgs Vh Abbildung 2.1: Einfache Vakuumpumpe MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 38 Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen a) Zeigen Sie, dass die pn eine geometrische Folge bilden. b) Wie viele Pumpschritte benötigt man im Fall Vg = Vh , um den Druck auf 1/1000 des Anfangsdrucks abzusenken? Wie sieht es im Fall Vg = 10Vh aus? Probleme und Anwendungen 2. Leiten Sie die Formel für die Druckänderung beim n-ten Pumpschritt aus dem Boyle-Mariotte-Gesetz her. (Beachten Sie insbesondere Teilschritt (ii) hierfür, und nehmen Sie Vs = 0 an.) 3. Bei den obigen Überlegungen wurde die Tatsache vernachlässigt, dass auch die Anschlussrohre ein positives Volumen Vs besitzen. Wie sieht die Formel unter Berücksichtigung dieses Faktums aus? (Hier spielt auch der Druck p∗ im Aussenraum eine Rolle!) Was lässt sich hier für sehr grosse n sagen? 4. Andererseits kann man auch Gas in den Behälter hineinpumpen. Was ergibt sich für die Folge der Drücke qn im Behälter, wenn im Aussenraum und anfangs auch im Behälter der Druck gleich p∗ ist? (Nehmen Sie erst mal wieder einfachheitshalber Vs = 0 an. Führt auch dieses Problem auf eine geometrische Folge?) Fraktale geometrische Figuren Helge von Koch Manchmal haben Folgen und Reihen ihren Usprung auch (ganz dem Namen nach) in der Geometrie: Iterativ fortgesetzte Konstruktionsvorschriften können zu Figuren mit interessanten Eigenschaften führen, bei denen zum Beispiel die Frage nach der Endlichkeit des Umfangs nicht mehr trivial ist. Solche Figuren fallen in das Themengebiet der Fraktale. Wir behandeln hier ein bekanntes Beispiel. Die Kochsche „Schneeflocke“ Helge von Koch, ein schwedischer Mathematiker, untersuchte 1906 eine interessante Figur: Man kann sie aus einem gleichseitigen Dreieck konstruieren, indem man folgendes Verfahren iteriert (also die selbe Prozedur immer wieder vornimmt): Man unterteilt jede Seite in drei gleichgrosse Stücke und setzt auf das mittlere Stück ein gleichseitiges Dreieck. Man hat damit eine Strecke durch vier zusammengesetzte Strecken ersetzt; jede von diesen ist 1/3 so lang wie die ursprüngliche. Fängt man mit einem gleichseitigen Dreieck an, so ersetzt man im ersten Schritt die drei Seiten des Dreiecks durch 3· 4 = 12 Strecken. Nach dieser ersten Durchführung des Verfahrens liegt nun anstatt des gleichseitigen Dreiecks ein sechseckiger Stern vor. Man fährt weiter fort. Helge von Koch stellte fest: “Führt man unendlich viele Iterationen durch, so stellt man fest, dass die so entstehende Schneeflocke einen endlich grossen Flächeninhalt, aber einen unendlich grossen Umfang besitzt.” MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen Abbildung 2.2: Die ersten sechs Schneeflocke Iterationen der 39 Kochschen Aufgaben zur „Kochschen Schneeflocke“ 1. Konstruieren Sie eine Kochsche Schneeflocke und führen Sie vier Iterationen durch. Nehmen Sie dabei an, dass das gleichseitige Dreieck, mit dem Sie starten, eine Seitenlänge von a hat. Für die Zeichnung im Heft wählen Sie ein geeignetes a. Probleme und Anwendungen 2. Weisen Sie Helge von Kochs Feststellung über die Fläche und den Umfang nach, indem Sie: • eine Tabelle aufstellen, die die jeweilige Seitenanzahl, den Umfang und die Fläche der Figur angibt (vier Iterationen), • für jeden Iterationsschritt eine allgemeine Formel für den Umfang und die Fläche angeben (in Form einer Folge) und • betrachten, wie die Folge sich verhält, wenn man „unendlich viele Iterationen“ durchführt. Hilfreiche Tipps: • Zerlegen Sie den Stern in gleichgrosse Dreiecke. • Berechnen Sie die Höhe eines gleichseitigen Dreiecks (Seitenlänge a) mit dem Satz des Pythagoras. • Zerlegen Sie die Brüche so, dass eine wiederkehrende Struktur deutlich wird. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Erste Iteration der Kochschen Schneeflocke 40 Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen Für den Umfang gilt also: Un = 3a ( 43 )n−1 = 3a · 34 ( 43 )n . Lässt man n gegen ∞ laufen, so gilt wegen q = 34 > 1: Die Folge (Un ) strebt gegen ∞. Der Umfang wächst über alle Schranken. Für die Fläche gilt: −2 4 k An = A1 + 31 (1 + 94 + ( 49 )2 + ( 49 )3 + · · · + ( 49 )n−2 ) A1 = A1 + A31 ∑nk= 0(9) . Lässt man n gegen ∞ laufen, so gilt wegen q = 49 < 1: Die Folge der An strebt gegen A1 + A31 · 1 4 = 58 A1 und hat somit einen endlichen 1− 9 Wert. Damit ist die Feststellung von Helge von Koch nachgewiesen. Kurzkontrolle 1. Führen Sie die Polynomdivision durch: (3x3 − 7x2 − 2x + 8) : ( x + 1) 2. Berechnen Sie: 17 a) ∑ 27 + 4k k =0 20 b) ∑ 3·2 m m =5 7 c) ∑ 15 + (−1) j · 3 j =1 3. Geben Sie die Produkt-, Quotienten- und Kettenregel für Ableitungen an. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen Geometrische Folgen und Reihen kommen in zahlreichen Anwendungen vor. Um die mathematischen Kenntnisse einsetzen zu können muss man erkennen, ob eine entsprechende Struktur vorliegt. Dafür spricht zum Beispiel das Auftreten bestimmter Schlagworte. Typische Schlagworte für geometrische Verhältnisse: wird in jedem Durchgang halbiert, verdreifacht sich alle sieben Tage, nimmt jährlich um 12% zu, ändert sich proportional zum Bestand, . . . 41 Wissensspeicher typische Schlagworte Ob eine gegebene Werteliste zu einer geometrischen Folge oder Reihe gehört, untersucht man (sofern definiert) mittels Quotientengleichheit. Fall ( an )n> N ( an 6= 0) geom. Folge ⇔ ( an )n> N ( an 6= an+1 ) geom. Reihe ⇔ Erkennungsmerkmal a n +1 = q für alle n > N an a n +2 − a n +1 = q f. alle n > N a n +1 − a n Werteliste Zu den innermathematischen Anwendungen geometrischer Reihen zählen periodische Dezimalbrüche und fraktale Figuren. Innermathematische Anwendungen Periodische Dezimaldarstellungen ∞ 0.4 + 0.027 · ∑ (0.001)i = 0.4270 = i =0 4 27 79 + = 10 999 185 Fraktale Iterationsprozesse rrr 1 1+4· 1 9 1 + 4 · 19 + 4 · 31 · 2 1 9 ∞ i +2 1 1+4· ∑ 3 i =0 Zu den außermathematischen Anwendungen geometrischer Folgen oder Reihen zählen vor allem Wachstums- und Zerfallsprozesse. Wachstumsprozesse in der Biologie Im Bereich zwischen 1mm und 1cm nimmt der Durchmesser eines Bambushalms jede Woche etwa um 10% zu: (rn )n>0 = (r0 · 1.1n )n>0 , r0 = 1 (n Zeit in Wochen, rn Bambusdurchmesser in mm) Zerfallsprozesse in der Physik In lebenden Organismen wird der Anteil des instabilen Isotops 14 C am gesamten Kohlenstoffgehalt durch Stoffwechsel konstant auf 10−12 gehalten. Stirbt der Organismus, zerfällt 14 C mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren: (tn )n>0 = (10−12 · 2−n/5730 )n>0 (n Zeit ab Tod in Jahren, tn 14 C-Anteil) MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Außermathematische Anwendungen 43 Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners Die Auseinandersetzung mit der geometrischen Reihe hat uns gezeigt, dass unendliche Summen einen endlichen Wert haben können. Obwohl also immer noch etwas hinzukommt, übersteigt die Gesamtsumme einen vorgegebenen Wert nie. Dafür muss allerdings das was hinzukommt (also die Folgenglieder) immer kleiner werden. Einführung In diesem Kapitel wird es darum gehen, ob das immer so ist. Das heißt: Wenn die Folge eine Nullfolge ist, ist dann der Wert der zugehörigen Partialsummen immer begrenzt? (Dabei drücken wir uns noch immer um eine ordentliche Begriffsbildung, erhöhen aber langsam den Leidensdruck.) 1. Ein wichtiges Untersuchungsmittel wird der Taschenrechner sein. Betrachten Sie einige geometrische Folgen oder Reihen mit verschiedenen |q| < 1 und verfolgen das Verhalten mit dem Rechner. Inwiefern wird diese Untersuchung mühsamer, wenn |q| sehr nah an 1 liegt? 2. Im hinteren Teil wird eine so genannte „Teleskopsummen“ eine Rolle spielen. Damit wollen wir uns in dieser Aufgabe schon einmal auseinandersetzen. a) Schreiben Sie die ersten vier Glieder der Reihe ausführlich und ∞ berechnen Sie sie dann: ∑ i2 − (i + 1)2 Vereinfachen Sie den Term in der Klammer ausnahmsweise nicht! i =1 b) Was ist da los? Formulieren Sie eine Erklärung und geben Sie n 2 2 eine kürzere Formel für ∑ i − (i + 1) an. i =1 c) Weisen Sie folgende Beziehung für alle k ∈ N>1 nach: 1 1 1 = − k ( k − 1) k−1 k Teleskopsummen 44 Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners n d) Geben Sie eine einfachere Formel an für: ∑ k =2 1 1 − k−1 k e) Diskutieren Sie mit Ihrem Nachbarn die Bezeichnung „Teleskopsumme“. Harmonische Reihe Als harmonisches Mittel von a und b bezeichnet man 2/( 1a + 1b ). Dies führt in der Musik zu harmonischen Klängen. Beispiele Eines der wichtigsten Beispiele im Zusammenhang mit dem Verhalten unendlicher Reihen ist die harmonische Reihe. Die harmonische Reihe Man nennt die Folge ( an )n>1 = ( n1 )n>1 bekanntlich harmonische Folge. Die Folge ihrer Partialsummen heisst die harmonische Reihe. n ∞ 1 1 Mit sn = ∑ ist also (sn )n>1 = ∑ . k k n =1 k =1 (A) Der einfachste Weg, die harmonische Reihe ein wenig kennenzulernen, ist natürlich das Berechnen einiger Werte: n 1 3 4 5 ... 1 n 1 1 2 = 0.5 1 3 ≈ 0.33 1 4 = 0.25 1 5 1 j k =1 1 3 2 = 1.5 11 6 ≈ 1.83 25 12 ≈ 2.08 137 60 ≈ 2.28 ... 2 + 1 2 an = n sn = 2 ∑ (B) Das harmonische Mittel der Zahlen 1 und 2 ist 1 1 = 0.2 = ... 4 . 3 In Frequenzverhältnissen gesprochen bedeutet dies: Das harmonische Mittel eines Tons und der Oktave darüber ist die Quart über dem unteren Ton. Übungsaufgaben 1. a) Berechnen Sie das harmonische Mittel von 4 und 5. b) Berechnen Sie das harmonische Mittel von 1 und 3/2. c) Informieren Sie sich über die Frequenzverhältnisse wichtiger Intervalle und interpretieren das Ergebnis von b) musikalisch. Die folgenden Aufgaben haben die Untersuchung der harmonischen 1 Reihe ∑∞ k=1 k zum Ziel; und zwar insbesondere die Frage, welchen Wert sie − wenn überhaupt − hat. 2. Begründen Sie möglichst genau, dass die Folge (1/n)n>1 gegen 0 strebt. (Strebt sie nicht auch gegen −5?) 3. Für diese Aufgabe muss zunächst Ihr Taschenrechner präpariert werden, so dass er „primitiver“ wird. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners a) Tippen Sie 0.12345678 in Ihren Rechner ein und kleben Sie dann alle Ziffernanzeigen hinter der ersten Nachkommastelle ab. Sie haben sich somit einen Taschenrechner gebastelt, der nur eine Nachkommastelle hat (und auch nicht rundet). b) Untersuchen Sie die harmonische Reihe, indem Sie die Summe mit dem Primitivrechner bestimmen. Berechnen Sie dazu zunächst die Glieder der harmonischen Folge ( an )n>1 = ( n1 )n>1 , und addieren diese dann. Wie viele Summanden müssen berücksichtigt werden? Welchen Wert hat die harmonische Reihe gemäß dieser Prozedur? 45 1/k 1/1 1/2 1/3 1/4 ... Näh. 1.0 0.5 0.3 0.2 ... Sum. 1.0 1.5 1.8 2.0 ... c) Etwas weniger primitiv: Der Rechner führt weiterhin nur eine Stelle hinter dem Komma, aber er rechnet zunächst zwei Stellen aus und rundet dann. Was kommt nun als Ergebnis heraus? d) Basteln Sie einen wesentlich besseren Taschenrechner, der zwei Nachkommastellen hat, indem Sie analog zu a) verfahren, aber alle angezeigten Ziffern hinter der zweiten Nachkommastelle abkleben. Wie viele Summanden müssen nun berücksichtigt werden? Wie ändert sich die Angelegenheit mit verbesserter Rundung? 4. Ein normaler Taschenrechner hat eine Anzeige, die 10 Stellen umfasst. Nimmt man an, dass dies auch seiner Rechengenauigkeit entspricht, so wird er für jede Zahl a > 1 und jedes b < 10−9 als Ergebnis von a + b den Wert a liefern. Begründen Sie das. 5. Die „Bestimmung“ des Wertes der harmonischen Reihe mit einem solchen Taschenrechner liefert also einen endlichen Wert. Begründen Sie auch diese Tatsache. (Oder wollen Sie die Rechnung ausführen? Wenn nein, warum nicht?) 6. Nehmen Sie jetzt einen Superrechner, der über beliebig (aber endlich) viele Stellen verfügt. Was können Sie darüber sagen? Kurzkontrolle 1. Ein Guthaben von 2400e wird 7 Jahre lang zu einem Zinssatz von 3% verzinst. Berechnen Sie das Endguthaben. 2. Geben Sie die Terme für das arithmetische und das geometrische Mittel zweier Zahlen a und b an. Berechnen Sie beides konkret für a = 1 und b = 2. 3. Skizzieren Sie frei Hand die Graphen der Sinus-, Cosinus- und Tangensfunktion. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Lösungen: 4.82 2.7 3.9 6.46 Probleme und Anwendungen Anmerkung Wenn der Rechner intern genauer ist, als es seiner Anzeige entspricht, dann wird die Schranke für b eben kleiner, aber es ändert sich nichts Grundsätzliches. 46 Divergenz der harmonischen Reihe Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners Die harmonische Reihe ist das wichtigste Beispiel einer Reihe, die − obwohl aus einer Nullfolge gebildet − jeden beliebigen Wert irgendwann übersteigt. Sie wird auch bei der Untersuchung anderer Reihen häufig zu Rate gezogen. Divergenz der harmonischen Reihe 1 Die harmonische Reihe ∑∞ k=1 k strebt gegen ∞. Rechner sind bei der Begründung dieser Aussage keine Hilfe. Aber folgendes geniale Argument hilft weiter: 1 1 1 1 1 1 1 + > 1+ + + = 1+2· . 1+ + 2 3 4 2 4 4 2 Weiter gilt 1 + 12 + 13 + 14 + 15 + 16 + 71 + 18 > 1 + 2 · 12 + 18 + 18 + 18 + 18 = 1 + 3 · 12 und so weiter. Allgemein findet man so 2m 1 1 > 1+m· . k 2 k =1 ∑ Also strebt die harmonische Reihe gegen ∞. Beispiele (A) Eine Abschätzung für das zwanzigste Glied der harmonischen Reihe ist 24 20 1 1 1 ∑ k > ∑ k > 1+4· 2 = 3 . k =1 k =1 Diese Abschätzung ist natürlich recht grob − tatsächlich gilt 1 ∑20 k=1 k ≈ 3.60 (B) Möchte man wissen, ab der wievielten Partialsumme die harmonische Reihe den Wert 10 übersteigt, kann man wie folgt überlegen: Anmerkung Die harmonische Reihe strebt sehr langsam gegen Unendlich, z.B. liegt erst die 12367-ste Partialsumme über 10. Probleme und Anwendungen 218 1 > 10 . Geht man bis zum 218 -ten k k =1 (d.h. 262144-sten) Glied, liegt man sicher über zehn. Es ist 10 = 1 + 18 · 1 2, also 12367 Tasächlich ist schon ∑ k =1 ∑ 1 > 10 k 218 und 1 ≈ 13.05. k k =1 ∑ 1. Zeigen Sie jedes Detail des obigen Beweises. Als Zwischenschritt ist der Nachweis der Ungleichung 2m m 2 1 1 > ∑ k ∑ 2m −1 k =2m −1 +1 k =2m −1 +1 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners 47 für alle m > 1 von Nutzen. 2. Melden Sie sich bei Ihrer Lehrkraft und sagen Sie Folgendes: „Es ist ja klar, dass das alles gegen Unendlich strebt. Man addiert ja immer wieder eine positive Zahl dazu.“ Übungsaufgaben 3. Beschreiben Sie anschliessend in einem kurzen Aufsatz das Entsetzen im Gesicht Ihrer Lehrkraft. 4. Erklären Sie Ihrer Lehrkraft nun, dass Sie das nur als kleinen Scherz gemeint haben und überzeugen Sie sie - etwa durch Nennen von Beispielen - dass Sie es in Wirklichkeit besser wissen. 5. In dieser Aufgabe wollen wir uns eine besondere Reihe ansehen und erkunden, ob und wie der Rechner bei ihrer Untersuchung helfen kann a) Berechnen Sie mit Ihrem Taschenrechner (jetzt wieder auf voller Power) die zehnte Partialsumme von 1 +···. ∑ k12 = 1 + 41 + 19 + 16 b) Wenn Sie Lust und Zeit haben, bestimmen Sie noch weitere Partialsummen. Erreichen Sie 1.7? Es folgt ein Beispiel für die Tatsache, dass schon kleinere Änderungen gegenüber der harmonischen Reihe das Verhalten grundlegend ändern können: Sorgt man zum Beispiel durch Quadrieren der Nenner dafür, dass die Folgenglieder schneller gegen Null streben, wächst die Summe nicht mehr über alle Grenzen. Eine obere Schranke für die Partialsummen von ∑ k12 Definiert man die Folge (bm )m>1 durch b1 = 1 sowie bm = für alle m > 1, so gilt: (a) bm > 1 m2 Reziproke Quadratsumme Lösungen: ≈ 1.5498 nein, nie! Reziproke Quadratsumme 1 m ( m −1) für alle m > 1. n (b) n 1 6 bk ∑ k2 k =1 k =1 ∑ n (c) 1 ∑ bk = 2 − n für alle n > 1. für alle n > 1. k =1 (A) Offenbar ist 1 22 < 1 2·1 , 1 32 < 1+ 1 2·1 + 1 3·2 < 1 3·2 , 1 42 < 1 4·3 Beispiele usw. (B) Es ist z.B. 1+ 1 22 + 1 32 = 1+ 1− 1 2 + = 1 + 1 + − 12 + 1 2 1 2 − 1 3 − 1 3 = 2− 1 3 . MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 48 Probleme und Anwendungen Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners 1. Beweisen Sie die Aussagen aus dem Kasten im Detail. Tipp: Für Teil (c) ist es zwar nicht zwingend notwendig, aber sehr erhellend, zunächst die Beziehung 1 1 1 = − k ( k − 1) k−1 k ( k > 1) zu beweisen. Zusammenfassung: Eigenschaften der reziproken Quadratsumme n 1 Für die reziproke Quadratsumme mit sn = ∑ 2 gilt: k k =1 • sn+1 > sn für alle n ∈ N (d.h. die Folge ist streng monoton wachsend) • sn < 2 Probleme und Anwendungen Exkurs für alle n ∈ N (d.h. die Folge ist beschränkt). 2. Der guten Ordnung halber: Begründen Sie das nochmal im Detail! 3. Würden Sie sagen, dass die Folge (sn )n>1 , bedingt durch diese Eigenschaften, gegen (irgend-) eine Zahl streben muss? Oder wären prinzipiell andere Verhaltensweisen möglich? Reziproke Quadratsumme und Kreiszahl Die Folge der sn strebt gegen π 2 /6 ≈ 1.6445; prägnanter ausgedrückt: Es gilt ∞ π2 1 ∑ k2 = 6 . k =1 Dass die Folge der Partialsummen gegen eine gewisse reelle Zahl strebt, werden Sie bald (im Rahmen dieser Einheit) verstehen. Dass diese Zahl etwas mit der bekannten „Kreiszahl“ π zu tun hat, ist schwieriger zu begründen. Solche überraschenden Einsichten und Entdeckungen machen für manche Leute den Reiz (um nicht zu sagen den Suchtfaktor) der Mathematik aus. (Mathe ist nachweislich gesünder als Rauchen.) MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners 49 Die Partialsummen aus Nullfolgen gebildeter Reihen können für n → ∞ trotz der unendlichen Zahl von Summanden beschränkt bleiben. Sie können aber auch jeden beliebigen Wert irgendwann überschreiten. Das wichtigste Beispiel für den zweiten Fall ist die harmonische Reihe. Die Folge der Partialsummen der harmonischen Folge heisst harmonische Reihe: sn = 1 k k =1 ∑ Die harmonische Reihe ∞ n Mit Wissensspeicher ist ( s n ) n >1 = 1 . k n =1 ∑ Obwohl aus einer Nullfolge gebildet, übersteigt die harmonische Reihe auf Dauer jeden beliebigen Wert. Das beweist man zum Beispiel durch geschicktes Bündeln und Abschätzen der Folgenglieder. Divergenz der harmonischen Reihe Für beliebiges J ∈ N gilt: 2J J 1 = 1 + ∑ ∑k j =1 k =1 2j ∑ k =2 j −1 +1 1 k ! > 1+ J· 1 2 für beliebiges J ∈ N Demnach übersteigen die Partialsummen der harmonischen Reihe auf Dauer jeden vorgegebenen Wert. Das Verhalten für n → ∞ kann sich allerdings ändern, sobald die Summanden einer Reihe etwas schneller gegen Null streben als bei der harmonischen Reihe. Ein einfaches Beispiel dafür ist die Reziproke Quadratsumme. n 1 Für alle e > 1 werden die endlichen Partialsummen ∑ e auch k k =1 für n → ∞ nicht beliebig groß. Für e = 2 zeigt man das mittels einer geschickten Abschätzung gegen eine Teleskopsumme: Für beliebiges N ∈ N gilt N N N 1 1 6 1 + = 1 + ∑ k2 ∑ k · ( k − 1) ∑ k =2 k =2 k =1 1 1 − ( k − 1) k = 1+1− 1 . N Demnach übersteigt die reziproke Quadratsumme auch für n → ∞ nie den Wert 2. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Konvergenz für Exponenten > 1 51 Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag Das vorangegangene Kapitel hat Sie hoffentlich überzeugt, dass vor einer weiteren Untersuchung von Folgen eine begriffliche Klärung notwendig ist: Wenn man nicht weiss, worüber man im Grunde redet, wird es schwer, belastbare Aussagen zu treffen. Die Mathematikerzunft hat sich (unbewusst) beachtlich lange davor gedrückt, in diesem Bereich Ordnung zu schaffen. Erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts gelang dies, obwohl schon Jahrtausende früher (und in der Neuzeit immerhin Jahrhunderte früher) mit Grenzwerten hantiert wurde. Der Fortschritt gelang interessanterweise dadurch, dass man aufhörte, nebulös von ünendlich kleinen Grössenünd Ähnlichem zu reden und sich statt dessen auf handfeste Dinge wie Betrag und Ungleichungen zurückzog. In diesem zutiefst trockenen Abschnitt packen wir deshalb Werkzeuge wieder aus, die Sie vielleicht schon vergessen oder verdrängt haben. Einführung 1. Was kann man über Zahlen sagen, die „unendlich nahe beieinander liegen“? Können solche Zahlen verschieden sein? 2. Wie kann man überhaupt die "Nähe"von Zahlen zueinander quantifizieren? Würden Sie zustimmen, dass −3 näher bei 5 liegt als 17? Wie würden Sie das begründen? Würden Sie zustimmen, dass eine Zahl, welche „sehr nahe bei 5 liegt“, zwischen 4 und 6 liegen sollte? Wie würden Sie das begründen? 3. Was ist überhaupt der Abstand zweier reeller Zahlen? Gibt es dafür eine Formel? Im folgenden Abschnitt geht es um die Anordnung der reellen Zahlen. Das ist als Vorbereitung wichtig, weil es bei Ungleichungen und Beträgen sonst regelmäßig zu Fehlern kommt. Anordnung auf R 52 Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag Anordnung auf R Anmerkung Neben > und < benutzt man auch > („grösser oder gleich“) sowie 6 - („kleiner oder gleich")’. Anmerkung Alle Regeln zur Verträglichkeit mit der Addition bleiben richtig, wenn man > durch > und < durch 6 ersetzt. Achtung! Hier muss man mit Vorzeichen enorm aufpassen! So ist etwa −4 < −3 und −7 < 1, aber (−4) · (−7) > (−3) · 1. Nutzen Sie keine Regel ungeprüft! Beispiele a) Man kann reelle Zahlen ihrer Grösse nach (mit > und < ) vergleichen. Sind a und b reelle Zahlen, so gilt genau eine der folgenden drei Beziehungen: a < b a = b a > b a „ist kleiner als“ b a „ist gleich“ b a „ist größer als“ b Wir sammeln einige wichtige Eigenschaften dieser Anordnung. b) Die Anordnung reeller Zahlen ist mit der Addition verträglich: Gilt a < b, so auch a + c < b + c für alle reellen Zahlen c. Gilt a < b und c < d, so auch a + c < b + d. Für die Negativen kehrt sich die Anordnung um: Ist a < b, so folgt (− a) > (−b). c) Die Anordnung reeller Zahlen ist mit der Multiplikation mit positiven Zahlen verträglich: Gilt a < b und ist c > 0, so ist auch ac < bc. Gilt 0 < a < b und 0 < c < d, so ist auch ac < bd. Für die multiplikativ Inversen positiver reeller Zahlen kehrt sich die Anordnung um: Ist 0 < a < b, so folgt 1/a > 1/b > 0. (A) Sind die Zahlen −7, 2.5, −1.3, 4, −5.1, 0, −0.4, 23/9 mit > zu ordnen, so gilt: 23 > 2.5 > 0 > −0.4 > −1.3 > −7 9 Für den Vergleich von Brüchen muss man ggf. gleichnamig machen. 4> (B) Zur Lösung der Gleichung x − 5 > −11 kann man auf beiden Seiten 5 addieren und erhält x > −6 . (C) Zur Lösung der Gleichung 3x < 4 kann man beide Seiten mit 1/3 multiplizieren und erhält x < 43 . Multipliziert man dagegen zur Lösung von − 15 x > 2 mit −5 , so muss man das Ordnungszeichen umkehren und erhält x < −10 . (D) Multipliziert man zur Lösung einer Gleichung mit der Variablen, muss man Fallunterscheidungen bzgl. deren Vorzeichen machen: Aus 3x 6 6 , x ∈ R \ {0} folgt 1 6x ∧ x>0 2 ∨ 1 >x ∧ x<0 2 1 2 ∨ x<0. also x> MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag 53 Übungsaufgaben 1. Ordnen Sie folgende Zahlen gemäß <: 4 37 5 36 , − , −2, , 5, − 23 3 24 4 2. Skizzieren Sie auf der Zahlengeraden die Mengen { x ∈ R : 3 − r < x < 3 + r }, r ∈ {1, 1/2, 1/5} 3. Gegeben sind reelle Zahlen a 6= 0 und b 6= 0, mit a < b. Geben Sie Beispiele an, wo 1/a < 1/b. Gehen Sie systematisch die möglichen Vorzeichenkombinationen von a und b durch und versuchen Sie, dafür jeweils allgemeine Regeln aufzustellen. 4. Zeigen Sie mit Hilfe der oben aufgestelten Regeln: Ist die reelle Zahl x 6= 0, dann gilt x2 > 0. 5. Gegeben sind reelle Zahlen a > 0 und b > 0. a) Zeigen Sie mit Hilfe der oben aufgestellten Regeln: Tipp: Unterscheiden Sie die Fälle x > 0 und x < 0. Probleme und Anwendungen a < b ⇔ a2 < b2 b) Folgern Sie √ 2 > 1.4142. Nicht minimales Regelsystem Im Prinzip haben wir oben „zu viele“ Regeln angegeben, weil sich einige davon aus anderen herleiten lassen. (Dies ist ein beliebter Sport für Studienanfänger im Fach Mathematik.) So kann man die zweite Regel unter (b) mit zweifacher Anwendung der ersten herleiten. (Probieren Sie es, wenn Sie Lust haben!) Wir haben hier den intellektuell vielleicht weniger zufriedenstellenden, aber bequemeren Weg gewählt, einen praktischen (aber nicht unübersichtlich grossen) Vorrat an Regeln anzugeben. Wiederholung Kurzkontrolle 1. Veranschaulichen Sie in einem Mengendiagramm: a) A ∪ B Exkurs b) A ∩ B c) ( A ∪ B) ∩ C 2. Bestimmen Sie die Scheitelpunktsform der durch y = 5x2 − 2x + 7 gegebenen Parabel. 3. Ein Kapital von 2400e ist nach dreijähriger Verzinsung auf 2699,67e angewachsen. Bestimmen Sie den Zinssatz. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 54 Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag Betrag und Abstand reeller Zahlen Wir kommen nun zum Abstandsmessgerät für reelle Zahlen, dem Betrag. Alle wissen, was das ist, aber wir definieren es lieber nochmal. Betrag und Abstand reeller Zahlen a) Der Betrag | x | einer reellen Zahl x bestimmt sich wie folgt: | x | = x, | x | = − x, Zeile zwei nennt man wegen der anschaulichen Bedeutung bei Vektoren Dreiecksungleichung. ε-Umgebung Beachte: Ist ε klein, so liegen alle Elemente von Uε ( a) nahe bei a. falls x > 0 falls x < 0 b) Es gelten folgende Rechenregeln für beliebige reelle Zahlen x und y: | x | > 0 für x 6= 0 | x + y| 6 | x | + |y| | x · y| = | x | · |y| c) Der Abstand zweier reeller Zahlen x und y ist definiert als | x − y|. Ist a ∈ R und ε > 0, so nennt man Uε ( a) := { x ∈ R : | x − a| < ε} die ε-Umgebung von a. -10 -5 0 5 10 - U0.5 (8) |2 − (−7)| = 9 Beispiele (A) Es ist: |5 + 7| |5 + (−7)| |(−5) + 7| |(−5) + (−7)| = |12| = | − 2| = |2| = | − 12| = 12 = 2 6 12 = | ± 5| + | ± 7| = 2 = 12 (B) Es ist: |5 · 7| |5 · (−7)| |(−5) · 7| |(−5) · (−7)| = |35| = | − 35| = | − 35| = |35| = 35 = | ± 5| · | ± 7| (C) Die 5-Umgebung von −2 ist ] − 7; 3[ . 1 -Umgebung von 2.4 ist ]2.39; 2.41[ . Die 100 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag 1. Welche Glieder der Folge (1/n)n>1 liegen in der 1/1000-Umgebung von 0? Welche Folgenglieder liegen in der 1/3-Umgebung von 1/2? Wie viele Folgenglieder liegen in einer beliebigen ε-Umgebung von 0? 55 Übungsaufgaben 2. Skizzieren Sie Uε ( a) für verschiedene Werte von a und ε auf derZahlengerade. 3. Weisen Sie nach, dass Uε ( a) := { x ∈ R : a − ε < x < a + ε} Warum gerade ε? Das berüchtigte ε hat soeben seinen ersten Auftritt gehabt. Es wird nicht der letzte sein. Statt ε kann man auch andere Buchstaben (δ, r, d usw.) verwenden, und das tun wir auch manchmal. Die Verwendung dieses speziellen Buchstabens bei zahlreichen Definitionen hat keine tieferen mathematischen Gründe, sondern vor allem historische. Das ist so ähnlich wie die massenhafte Verwendung des Buchstabens x als Unbekannte bei Gleichungen oder als Variable. Im Folgenden stellen wir eine seltsame Art vor, Gleichheit zu testen. Für reelle Zahlen wirkt sie sehr umständlich, für Folgen und Reihen hat sie aber durchaus ihre Berechtigung. Exkurs Gleichheit mittels ε Gleichheit mittels ε a) Sind a und x reelle Zahlen und gilt x ∈ Uε ( a) für jede reelle Zahl ε > 0, so ist a = x. b) Sind a und x reelle Zahlen und gilt x ∈ Uε ( a) für jede rationale Zahl ε > 0, so ist a = x. 1. Können Sie das begründen? Teil a) ist der leichtere. Für Teil b) müssen Sie auf eine offensichtlich erscheinende Eigenschaft der reellen Zahlen zurückgreifen: Ist y ∈ R, so gibt es ein n ∈ N derart, dass n > |y| („Archimedisches Axiom“). Mit Ungleichungen als Werkzeugen kann man in der Mathematik viel anrichten. Wir sehen uns eine spezielle Ungleichung an, die sich bald als nützlich erweisen wird. Die Bernoulli-Ungleichung Ist a eine positive reelle Zahl und n ∈ N, so gilt (1 + a)n > 1 + n · a. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Probleme und Anwendungen Tipp: Beweis mit Widerspruch! Die BernoulliUngleichung Anmerkung Die Bernoulli-Ungleichung gilt sogar für alle a > −1 und n ∈ N. 56 Beispiele Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag (A) Es ist (1 + 0.04)3 ≈ 1.125 > 1.12 = 1 + 3 · 0.04 . (B) Für a > 0 ist (1 + a)5 = 1 + 5a + 10a2 + 10a3 + 5a4 + a5 > 1 + 5a . Übungsaufgaben 1. Beweisen Sie die Bernoulli-Ungleichung für n = 2 mit der Binomischen Formel. 2. Schreiben Sie (1 + a)n mittels Binomialkoeffizienten (Pascalsches Dreieck) als Summe. Begründen Sie dann die Bernoulli-Ungleichung für a > 0 . 3. Für welche natürlichen Zahlen n gilt sicher die Ungleichung (3/2)n > 10000? (Das können Sie ohne Rechner!) 4. Gegeben sei ε > 0. Zeigen Sie, dass es nur endlich viele n ∈ N gibt, so dass (3/2)−n 6∈ Uε (0). MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag 57 Das Wissen über Ungleichungen und Beträge ist grundlegend für die Untersuchung von Folgen und Reihen und erfahrungsgemäß recht fehleranfällig. Es wird hier noch einmal zusammengefasst. Wissensspeicher Die reellen Zahlen können mittels der Relation < angeordnet werden. Anordnung auf R Man kann reelle Zahlen in eindeutiger Weise ihrer Größe nach anordnen. Die Anordnung ist mit der Addition und der Multiplikation mit positiven Zahlen verträglich. Bei Multiplikation mit negativen Zahlen kehrt sich die Anordnung um. Grundsätzlich ist bezüglich der Vorzeichen Vorsicht geboten; gegebenenfalls sind Fallunterscheindungen nötig. Über den Betrag erhält man einen Abstands- und Umgebungsbegriff. Beides braucht man zur Untersuchung von Folgen und Reihen. Betrag und Abstand, ε-Umgebung x, falls x > 0 . − x, falls x < 0 | x | > 0 für x 6= 0 Dabei gilt für beliebige x, y ∈ R | x + y| 6 | x | + |y| . | x · y| = | x | · |y| Der Betrag einer reellen Zahl ist | x | = Der Abstand von Zahlen x und y ∈ R ist | x − y|. -10 -5 0 5 10 - U0.5 (8) |2 − (−7)| = 9 Für a ∈ R und ε > 0 nennt man Uε ( a) := { x ∈ R : | x − a| < ε} die ε-Umgebung von a. Um das Verhalten unendlicher Folgen und Reihen zu untersuchen, braucht man die folgende Aussage über Gleichheit. Gleichheit mittels ε Sind a und x reelle Zahlen und gilt x ∈ Uε ( a) für jede reelle Zahl ε > 0, so ist a = x. Die Gleichheit gilt bereits, wenn x ∈ Uε ( a) für jede rationale Zahl ε > 0 gilt. Die folgende spezielle Ungleichung lässt sich mittels binomischer Formeln begründen und erweist sich als nützlich für Folgen und Reihen. Ist a eine positive reelle Zahl und n ∈ N, so gilt (1 + a)n > 1 + n · a. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Die BernoulliUngleichung 59 Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition Sehen wir uns nochmal einige verbale Ansätze an, dem Problem Grenzwert auf den Leib zu rücken. Wir tun dies erst mal anhand der Folge (1/n)n∈ N , deren Grenzverhalten wir intuitiv gut im Griff haben. Wir sagen, dass 1/n für wachsendes n "gegen 0 strebt", aber was meinen wir damit? Einstieg Erster Versuch: „Für wachsendes n wird der Abstand von 1/n und 0 immer kleiner.“ Das ist eine richtige Aussage, aber auch die folgende ist richtig: „Für wachsendes n wird der Abstand von 1/n und −37 immer kleiner.“ Wir meinen aber wohl eher nicht, dass die Folge gegen −37 strebt in dem Sinn, dass −37 Grenzwert der Folge ist. (Man kann in dem Argument übrigens −37 durch jede negative Zahl ersetzen. Zweiter Versuch: „Der Abstand der Folgenglieder zu 0 wird unendlich klein, wenn n unendlich gross wird.“ Das ist intuitiv ganz akzeptabel, aber was heisst „unendlich klein“? Wir haben im vorigen Abschnitt gesehen, dass ein „unendlich kleines“ x > 0 schon gleich 0 sein muss, aber wir wollen ja eben nicht sagen, dass 1/n = 0, wenn n nur gross genug ist gross wird, oder was auch immer. (Und was heisst eigentlich „unendlich gross“? Eine natürliche Zahl n würde man wohl nicht so nennen, denn es ist ja leicht, eine grössere anzugeben (etwa n + 1). Definitionen stehen in der Mathematik oft nicht am Anfang eines Verstehensprozesses, sondern am Ende. Die folgende Definition stammt von A.L. Cauchy und ist durchaus als Geniestreich zu sehen. Augustin-Louis Cauchy Cauchy war ein bedeutender französischer Mathematiker. Er leistete wesentliche Beiträge zur Infinitesimalrechnung, komplexen Analysis und abstrakten Algebra sowie zur theoretischen Physik. Seine Karriere als Professor der Pariser Universität schwankte mit den politischen Veränderungen der Nachrevolutionszeit. Als gläubiger Katholik und entschiedener Royalist ging er zwischenzeitlich ins Exil. Nichtsdestotrotz veröffentlichte Cauchy mehr als achthundert Forschungsbeiträge und fünf Lehrbücher. A. L. Cauchy 1789 − 1857 60 Konvergenz und Divergenz von Folgen Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition Hier kommt eine mathematisch exakte Definition dessen, was man im Zusammenhang mit Folgen unter Formulierungen wie „strebt gegen...“ versteht. Konvergenz und Divergenz von Folgen Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 und eine reelle Zahl a. Man sagt, dass die Folge gegen a konvergiert (symbolisch: lim an = a), Anmerkung Der Startindex der Folge tut nichts zur Sache. Die selbe Definition geht auch für ( an )n > N. Es kommt ohnhin nur darauf an, was die Folge für grosse n tut. Exkurs Ein Folgenglied liegt genau auf dem Rand der (offenen) Umgebung. wenn es zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass n→∞ | an − a| < ε für alle n > n0 . (Hierbei ist n0 abhängig von ε; dies drückt man manchmal durch die Schreibweise n0 = n0 (ε) aus.) Wenn dies der Fall ist, nennt man a auch Grenzwert oder Limes der Folge ( an )n>1 . Ist eine Folge nicht konvergent, so nennt man sie divergent. Konvergenz anschaulich Man kann sich diesen Begriff auch so klar machen: ( an ) konvergiert gegen a dann und nur dann, wenn sich in einer beliebigen ε-Umgebung von a nur endlich viele an nicht befinden (denn jedenfalls liegen alle mit einem Index > n0 (ε) in Uε ( a)). Graphisch kann man sich das Ganze mit einem „ε-Streifen um a“ darstellen, der ab einem gewissen Index alle Folgenglieder enthält. 0 1s sssssssss s s s 2ss U0.2 (1) Nur 5 Folgenglieder liegen außerhalb der Umgebung. Die Pointe ist, dass diese Eigenschaft für alle positiven ε gilt. So wird aus der schwammigen Ausage im Einstieg etwas ganz Klares, das auch noch die intuitive Vorstellung trifft. Beispiele (A) Im Kasten ist die Folge 1+ 1 n n >1 = 2, 32 , 43 , . . . abgebildet. Von ihr liegen nur 5 Folgenglieder außerhalb der 0.2-Umgebung von 1. Für beliebiges ε > 0 findet man das passende n0 wie folgt. Ist ε > 0 gegeben, so gibt es ein n0 ∈ N derart, dass n0 > 1/ε. 1 Also gilt 1 + − 1 < ε, und für alle n > n0 gilt n0 1 = 1 < 1 < ε, 1− − 1 n n n0 was zu beweisen war. In der Tabelle sind einige konkrete Werte angegeben: MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition ε n0 Folgenglieder außerhalb der Umgebung 0.2 6 5 0.1 11 10 61 0.05 21 20 0.01 101 100 1 735 736 735 10−9 109 + 1 109 Wir haben die Rechenregeln für Ungleichungen mehrfach benutzt. 1 = 0 , denn: n → ∞ n2 q 1 Ist ε > 0 gegeben, so gibt es ein n0 ∈ N derart, dass n0 > ε. 1 Also gilt 2 < ε, und für alle n > n0 gilt n0 1 − 0 = 1 < 1 < ε, n2 n2 n20 (B) Es gilt lim was zu beweisen war. Wieder zeigt die Tabelle einige konkrete Werte: ε n0 Folgenglieder außerhalb der Umgebung 0.2 3 2 0.1 4 3 0.05 5 4 0.01 11 10 1 735 28 27 −9 √ 10 [ √ 109 ] + 1 [ 109 ] Vollziehen Sie die Beweise in den Beispielen Schritt für Schritt nach. Geben Sie genau an, welche Regeln benutzt werden. Die Gauß-Klammer [..] schneidet von jeder positiven reellen Zahl sämtliche Nachkommastellen ab. Es ist also z.B. [12.374] = 12 . Übungsaufgabe Hier sollten noch konkretere Beispielaufgaben rein! ε-n0 -Beweise rückwärts Der Beweis in Beispiel (A) ist sicher nachvollziehbar, aber wie kommt man auf so etwas? Man arbeitet sozusagen "rückwärts": Zu gegebenem ε sucht man ein n0 so, dass |1/n − 0| < ε, also 1/n < ε für alle n > n0 . Diese Bedingung ist äquivalent zu n > 1/ε für alle n > n0 . Die Wahl n0 = 1/ε liegt nahe, hat aber den Schönheitsfehler, dass 1/ε nicht unbedingt eine natürliche Zahl ist. Also wählt man n0 als (irgend) eine natürliche Zahl, die > 1/ε ist. (C) Ist an = c für alle n, also ( an )n>1 eine konstante Folge, so gilt auch lim an = c. Ist ε > 0 gegeben, so kan man stets n0 = 1 wählen. n→∞ (−1)n = 0: Zu ε > 0 wähle n0 > √1ε . n → ∞ n2 (E) Die Folge ((−1)n )n>0 konvergiert nicht. Anschaulich ist dies klar, weil die Folgenglieder zwischen 1 und −1 hin- und herspringen, sich also keinem einzelnen festen Wert nähern können. Ein wasserdichter Beweis geht mit Widerspruch: Angenommen, lim (−1)n = (D) Es ist lim n→∞ MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Exkurs Weitere Beispiele 62 Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition a existiert. Dann gilt | a − 1| > 1 oder | a − (−1)| > 1. Wähle ε = 1. Im ersten Fall gilt |(−1)n − a| > ε für alle geraden n, im zweiten Fall ist |(−1)n − a| > ε für alle ungeraden n. Also kann es kein n0 geben, so dass |(−1)n − a| 6 ε = 1 für alle n > n0 . Übungsaufgaben 1. Führen Sie alle Schritte beim Nachweis der obigen Beispiele im Detail aus. 2 2. Bestimmen Sie lim 1 + und beweisen Sie Ihre Aussage. n→∞ n Konvergenz geometrischer Folgen Wir wollen uns nun noch um die geometrischen Folgen kümmern, und auch diese mit Epsilons verarzten. Konvergenz geometrischer Folgen a) Für 0 6 q < 1 ist lim qn = 0. n→∞ b) Allgemeiner gilt lim qn = 0 für alle reellen Zahlen q mit n→∞ |q| < 1. Um Teil a) nachzuweisen, benutzt man die Bernoulli-Ungleichung: Es ist 1q > 1, also gilt 1q = 1 + a, wobei a > 0. Mit der BernoulliUngleichung folgt nun (1 + a)n > 1 + na > na für alle n ∈ N. Daraus ergibt sich 0 < qn 6 1/(1 + na) < 1/(na) für alle n ∈ N. Ist ε > 0 gegeben, so wähle n0 > 1/( aε). Es folgt dann Sie finden das alles ganz furchtbar? Halten Sie durch und lesen Sie weiter! |qn − 0| = qn < 1/(na) < ε für alle n > n0 . Also limn→∞ qn = 0, was zu beweisen war. Teil b) ist nun (dank |q|n = |qn |) eine einfache Folgerung. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition 63 Nun soll auch noch die Sprechweise „strebt gegen Unendlich“, die wir in einem früheren Abschnitt eingeführt hatten, präzise gefasst werden. Bestimmte Divergenz Bestimmte Divergenz Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Man sagt, dass die Folge bestimmt gegen ∞ divergiert (symbolisch: lim an = ∞), wenn n→∞ es zu jedem M > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass an > M für alle n > n0 . Man sagt, dass die Folge bestimmt gegen −∞ divergiert (symbolisch: lim an = −∞), wenn es zu jedem M > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass n→∞ an < − M für alle n > n0 . Hierbei ist jeweils n0 abhängig von M; dies drückt man manchmal durch die Schreibweise n0 = n0 ( M) aus. (A) Es ist lim (2n) = −∞. Beispiele n→∞ (B) Ist q > 1, so gilt lim qn = ∞. n→∞ (C) Ist q < −1, so ist die Folge (qn )n>1 divergent, aber nicht bestimmt divergent. Alternierende Folgen sind naturgemäß nie bestimmt divergent. 1. Weisen Sie die Aussagen der Beispiele nach! 2. Was halten Sie von folgender verbaler Definition: „Eine Folge ( an ) konvergiert gegen a, wenn an mit wachsendem n der Zahl a beliebig nahe kommt.“ Falls Sie nicht gut allein weiterkommen betrachten Sie das folgende Beispiel: 1 n an = (1 + (−1) ) · 1 + n 3. Beweisen oder widerlegen Sie folgende Aussage: Ist ( an )n>1 eine Folge mit an 6= 0 für alle n, so gilt: Ist a1n bestimmt divergent, so gilt lim an = 0. n→∞ 4. Beweisen oder widerlegen Sie folgende Aussage: Ist ( an )n>1 eine Folge mit an 6= 0 für alle n, so gilt: Ist lim an = 0, so ist a1n bestimmt divergent. n→∞ MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Übungsaufgabe Probleme und Anwendungen Tipp: Zum Widerlegen einer Aussage reicht ein Gegenbeispiel. 64 Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition Wissensspeicher Hier werden die wichtigsten Fakten über das Grenzwertverhalten von Folgen in mathematisch exakter Fassung zusammengefasst. Konvergenz und Divergenz von Folgen Zunächst die mathematisch exakte Definition dessen, was man im Zusammenhang mit Folgen unter Formulierungen wie „strebt gegen...“ versteht. Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 und eine reelle Zahl a. Man sagt, dass die Folge gegen a konvergiert (symbolisch: lim an = a), wenn es zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass n→∞ | an − a| < ε für alle n > n0 . Wenn dies der Fall ist, nennt man a auch Grenzwert oder Li1 mes der Folge. Die Abbildung zeigt das Beispiel 1 + n : n >1 0 1s sssssssss s s s s 2s- U0.2 (1) Für alle n > 5 = n0 liegen die Folgenglieder weniger als ε = 0.2 von 1 entfernt. Da sich für jeden noch so kleinen Abstand ε ein passender Startwert n0 finden lässt, konvergiert die Folge gegen 1. Ist eine Folge nicht konvergent, so nennt man sie divergent. Bestimmte Divergenz Hier kommt die mathematisch präzise Fassung der Sprechweise „strebt gegen Unendlich“. Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Man sagt, dass die Folge bestimmt gegen ∞ bzw. −∞ divergiert (symbolisch: lim an = ∞ bzw. lim an = −∞ ), n→∞ n→∞ wenn es zu jedem M > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass an > M für alle n > n0 . an < − M Konvergenzverhalten wichtiger Folgen Wir haben von einigen Folgen das Konvergenzverhalten bestimmt und bewiesen. Hier kommt nochmal eine Liste: Konstante Folgen Es ist lim (c) = c. Harmonische Folge Es ist lim Geometrische Folgen Es ist lim qn = 0, falls |q| < 1, n→∞ 1 = 0. n→∞ n n→∞ und lim qn = ∞, falls q > 1. n→∞ Für q < −1 ist (qn )q>0 unbestimmt divergent. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 65 Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung Man könnte aus dem letzten Abschnitt den Eindruck gewinnen, dass beim Arbeiten mit Folgen und Grenzwerten die Epsilons nur so umher fliegen. Das ist aber in vielen Fällen nicht so. In der Praxis reicht es oft, einen Vorrat bekannter Folgen, Grenzwerte und Rechenregeln zu benutzen, um Grenzwerte mit relativ wenig Mühe zu bestimmen. Die Regeln und ihre Anwendung sehen wir uns in diesem Abschnitt an. Einführung 1. Wenn lim an = a, kann man dann folgern, dass lim (2an ) = 2a? n→∞ n→∞ Erst mal ist durch die Definition bn = 2an eine Folge (bn ) definiert, also ist die Frage nach dem Grenzwert legitim. Und eigentlich scheint die Aussage auch ganz plausibel. Aber wie sieht es mit den Epsilons aus? a) Betrachten Sie erst mal das Beispiel an = 1 + n1 . Ist die vermutete Regel hier richtig? b) Betrachten Sie nun den allgemeinen Fall mit beliebigen an und bn = 2an . Welche Ungleichung können Sie aus | an − a| < ε für |bn − 2a| schliessen? Reicht das für Ihre Zwecke? c) Die Folge (cn ) sei definiert durch cn = a2n , n ∈ N. Zeigen Sie, a dass aus lim an = a folgt lim cn = . Warum geht dieser Fall n→∞ n→∞ 2 leichter? Für den Nachweis der eigentlich interessierenden Aussage muss man sich vielleicht von einigen geistigen Fesseln verabschieden. Der folgende Satz stellt erst einmal fest, dass man den Faktor 2 beim Grenzwertbilden konvergenter Folgen ausklammern darf. Grenzwert der doppelten Folge Ist ( an )n>1 eine Folge mit lim an = a, und ist bn = 2an für alle n, so gilt lim (bn ) = 2a. Kurz: n→∞ n→∞ Es gilt lim (2an ) = 2a. n→∞ Grenzwert der doppelten Folge 66 Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung Zum Beweis sei ε > 0 vorgegeben. Weil ( an )n>1 gegen a konvergiert, existiert eine natürliche Zahl n0 derart, dass | an − a| < ε/2 für alle n > n0 . Für alle n > n0 gilt dann aber |bn − 2a| = |2an − 2a| = 2 · | an − a| < 2 · ε =ε. 2 Nach Definition folgt lim bn = 2a . n→∞ Exkurs Merke: ρ („rho“), δ („delta“), σ („sigma“) sind einige weitere Buchstaben des griechischen Alphabets, die bei Mathematikern populär sind. Aber auch das ist alles nur Konvention, und historisch bedingt. Mathe ginge auch ganz ohne griechische Buchstaben (ausser vielleicht in Griechenland). Beispiele ε-Trick-Beweis?! Wieso plötzlich 2ε ? Das sieht nach einem üblen Trick aus! Ist so ein Vorgehen legal? Ja, aber man sollte noch was dazu sagen. a) Scheinbar etwas ganz anderes: Löse 3x + 2 = 8! Lösung: x = 2. Nun löse 2x + 3 = 11. Lösung: x = 4. Einwand: „Aber wir haben doch eben erst gesagt, dass x = 2 ist.“ Wer diesen Einwand vorbringt, hat die Rolle von x missverstanden. Natürlich kann man diesem Missverständnis vorbeugen, wenn man die zweite Gleichung in der Form 2y + 3 = 11 schreibt, aber das wird nicht immer geschehen. b) In ähnlicher Weise geht es um ein richtiges Verständnis der Rolle von ε im Beweis oben. Auch hier kann man durch bessere Bezeichnungen Abhilfe schaffen, und zwar wie folgt: Zum Beweis sei ε > 0 vorgegeben. Weil ( an )n>1 gegen a konvergiert, existiert zu jedem ρ > 0 eine natürliche Zahl n0 derart, dass | an − a| < ρ für alle n > n0 . Wähle nun ρ = 2ε . Für alle n > n0 gilt dann ε |bn − 2a| = |2an − 2a| = 2 · | an − a| < 2 · = ε. 2 Nach Definition folgt lim bn = 2a. n→∞ Besser? Sie sollten immer daran denken, dass die griechischen oder sonstigen Buchstaben (ε, ρ . . .) nur für irgendwelche positiven Zahlen stehen. 8 5 4 7 n+1 4 und (A) Es ist , 1, , , , , . . . = 2 · 3 9 6 5 9 3n n+1 n+1 1 2 lim 2 · = 2 · lim = 2· = . n→∞ n→∞ 3n 3n 3 3 1 1 (B) Es ist lim 2 · cos = 2 · lim cos = 2·1 = 2 . n→∞ n→∞ n n MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung 67 Nun wollen wir uns ernsthaft an Rechenregeln für Folgen machen. Rechenregeln für Grenzwerte Rechenregeln für Grenzwerte Gegeben seien konvergente Folgen ( an )n>1 mit Grenzwert a und (bn )n>1 mit Grenzwert b. Dann gelten folgende Aussagen: a) Für jede Konstante c ∈ R ist die Folge (c · an )n>1 konvergent und es gilt lim (c · an ) = c · a. n→∞ b) Die Folge ( an + bn )n>1 ist konvergent und es gilt lim ( an + bn ) = a + b . n→∞ c) Die Folge ( an · bn )n>1 ist konvergent und es gilt lim ( an · bn ) = a · b . n→∞ d) Sind alle bn 6= 0 sowie b 6= 0, so ist die Folge an a konvergent und es gilt lim = . n → ∞ bn b an bn n >1 Alle diese Regeln werden „mit ε und n0 “ nachgewiesen. Wir wollen uns nur den Beweis der zweiten ansehen. (Die letzten beiden sind ein bisschen komplizierter.) Also: Sei ε > 0 vorgegeben. Weil ( an )n>1 gegen a konvergiert, existiert zu jedem ρ > 0 eine natürliche Zahl n1 derart, dass | an − a| < ρ für alle n > n1 . Weil (bn )n>1 gegen b konvergiert, existiert zu jedem σ > 0 eine natürliche Zahl n2 derart, dass | an − a| < σ für alle n > n2 . Wähle nun ρ = σ = 2ε , und n0 als das Maximum von n1 und n2 Für alle n > n0 gilt dann | an + bn − ( a + b)| = |( an − a) + (bn − b)| ε ε 6 | a n − a | + | bn − b | < + =ε. 2 2 Nach Definition folgt lim ( an + bn ) = a + b. n→∞ 1. Gehen Sie jeden Schritt im Beweis von (b) durch. Begründen Sie insbesondere die 6-Abschätzung. Probleme und Anwendungen 2. Können Sie a) beweisen? (Den Fall c = 0 nicht vergessen!) Wir wissen schon, dass limn→∞ 1/n = 0. Daraus und aus den Rechenregeln können wir weitere Grenzwerte bestimmen. (A) Die Folge 1 n2 n >1 konvergiert gegen den Grenzwert 0. (Benutzen Sie Teil c) mit an = bn = 1/n). MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Beispiele 68 Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung (B) Ist k eine beliebige natürliche Zahl, so konvergiert die Folge 1 gegen 0. (Induktion nach k und Teil c).) nk n >1 (C) Für alle reellen Zahlen c und d ist c+ d n n >1 konvergent mit Grenzwert c. (Regeln a) und b) benutzen.) +3 2 (D) Die Folge 2n 3n+4 n>1 ist konvergent mit Grenzwert 3 . (Das geht etwas umständlicher: Man kann (d) nicht direkt anwenden, weil die Folge (2n + 3)n>1 der Zähler (und auch die Folge der Nenner) nicht konvergent ist. Aber Bruchrechnen hilft: Erweitern des Bruches mit n1 ergibt 2+ 2n + 3 = 3n + 4 3+ 3 n 4 n und jetzt klappt es mit a), b) und d).) Übungsaufgaben 2. Vollziehen sie die Beispiele oben nochmal genau nach, inklusive aller nötigen Rechnungen. 3. Untersuchen Sie auf Konvergenz und bestimmen Sie gegebenenfalls den Grenzwert: 2 n+7 2n + (−1)n 4n + 2n + 5 a) b) c) 6n + 2 n>0 n+4 3n2 + 4 n>1 n >1 d) 2n2 + 3 3n + 4 e) n>−2 n−3 3n2 + 4 n >1 4. Untersuchen Sie auf Konvergenz und bestimmen Sie gegebenenfalls den Grenzwert: n 7 + 3n 2 + 3n 4 · 2n + (3/2)n a) b) c) 2 n − 3 n n >2 2n + 8 2 n + 6 n >2 n >0 Geometrische Reihe: Partialsummen und Grenzwert Achtung! Irritierende Mathematikermarotte: mit ein und demselben ∞ Symbol ∑ c · qn zugleich Mit den Beispielen und Übungsaufgaben von oben haben wir schon viele von unseren „intuitiven Grenzwerten“ aus früheren Abschnitten auf ein sicheres Fundament gestellt. Jetzt kommt noch einer dazu: Geometrische Reihe: Partialsummen und Grenzwert Ist |q| < 1 und c ∈ R beliebig, so gilt ∞ c ∑ c · qn = 1 − q . n =0 n =0 die Folge der Partialsummen und (im Falle der Konvergenz) den Grenzwert zu bezeichnen. m Genauer: Die Folge der Partialsummen sm = c konvergiert gegen . 1−q MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer ∑ c · qn n =0 Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung ∞ (A) Es ist n 1 3 ∑ 3· 2 = 1− n =0 1 2 =6. ∞ (B) Es ist 69 Beispiele 0.4 ∑ 0.4 · (−0.6)n = 1 − (−0.6) = 0.25 . n =0 1. Vergleichen Sie die Aussage dieses Kastens mit der Geometrischen Summenformel auf S.24. Wo ist der Zusammenhang? Probleme und Anwendungen 2. Weisen Sie die Aussage im Kasten ausführlich nach. 3. Wie ist die berühmt-berüchtigte Formel 0.9 = 1 zu verstehen? Wie ist es mit 0.37 = 37/99? ∞ 4. Was sagen Sie zu 1 ∑ 2n = 1 − 2 = −1 ? n =0 5. Geben Sie eine allgemeine Formel für ∞ ∑ c · qn (|q| < 1) n=m an und beweisen Sie sie. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Übungsaufgaben 70 Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung Wissensspeicher Hier werden die Rechenregeln zur Berechnung von Grenzwerten zusammengefasst. Rechenregeln für Grenzwerte Sofern die einzelnen Grenzwerte existieren ist die Grenzwertberechnung mit Addition und Multiplikation verträglich. Dehalb kann man aus bekannten Grenzwerten auf weitere schließen. Gegeben seien konvergente Folgen ( an )n>1 mit Grenzwert a und (bn )n>1 mit Grenzwert b, sowie eine reelle Zahl c. Dann gelten für die Grenzwerte folgende Rechenregeln: a) lim (c · an ) = c · a n→∞ b) lim ( an + bn ) = a + b n→∞ c) lim ( an · bn ) = a · b n→∞ d) Sind außerdem alle bn 6= 0 sowie b 6= 0, dann gilt: a an = lim n → ∞ bn b Grenzwert der geometrischen Reihe Einer der wichtigsten Grenzwerte ist der für die geometrische Reihe. Ist |q| < 1 und c ∈ R beliebig, so gilt: ∞ c ∑ c · qn = 1 − q n =0 Konvergenzverhalten wichtiger Reihen Um das Konvergenzverhalten von Reihen ohne ε-δ-Beweis nach den oben angegebenen Regeln berechnen zu können, greift man auf eine Liste weiterer bekannter Grenzwerte zurück. Hier sind einige davon. (Man beachte das Auftreten der Kreiszahl π!) ∞ Harmonische Reihe Es ist Quadratreziproke Es ist Spezielle Teleskopreihe Es ist 1 =∞. n n =1 ∑ ∞ 1 π2 = ∑ n2 6 ≈ 1.645 . n =1 ∞ 1 =1. n · ( n + 1) n =1 ∑ ∞ Exponentialreihe Es ist n =0 MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer e ∑ e−n = e − 1 ≈ 1.582 . 71 Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte In Zusammenhang mit dem Konvergenzverhalten von Folgen und Reihen treten einige auf den ersten Blick verwirrende Phänomene auf. Wir wollen uns in diesem Abschnitt den nötigen Begriffsapparat zum Umgang mit solchen Phänomenen verschaffen. 1. Wie würden Sie das Verhalten der Folge 1 n (−1) + n + 1 n >0 charakterisieren? Ist sie konvergent? Welche Rolle spielen die Zahlen 1 und −1? 2. Die Folge ( b n ) n >1 = 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1, 1, , 1, , , 1, , , , 1, , , , , . . . 2 2 3 2 3 4 2 3 4 5 ist uns schon früher begegnet. (Wir haben auch schon gesehen, dass sich ihre Glieder auch genauer als durch . . . angeben lassen.) a) Diese Folge ist nicht konvergent. Weisen Sie das nach. b) Gewisse Zahlen spielen für das „Grenzverhalten“ dieser Folge dennoch eine besondere Rolle. Welche? 3. Die Folge ( a n ) n >1 = 1 1 2 1 2 3 1 2 3 4 , , , , , , , , , , ... 2 3 3 4 4 4 5 5 5 5 soll zunächst präzise beschrieben werden: a) Jede natürliche Zahl n lässt sich eindeutig in der Gestalt n= m ( m + 1) + k, 2 m > 1, 0 6 k < m + 1 darstellen. Begründen sie das. Man setzt dann an = k +1 m +1 . b) Verifizieren Sie, dass die Folge jede rationale Zahl r mit 0 < r < 1 als Wert annimmt. c) Welchen reellen Zahlen „kommt die Folge beliebig nahe“? Einstieg 72 Eindeutigkeit des Grenzwerts Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte Im ersten Beispiel könnte man versucht sein zu sagen, dass sich die Folgenglieder für n → ∞ „sowohl 1 als auch −1 immer mehr nähern“. Man sollte aber keinesfalls sagen, dass „die Folge gegen 1 und −1 konvergiert“. Das passt nicht mit unserer Definition von Konvergenz zusammen. Allgemein gilt nämlich: Eindeutigkeit des Grenzwerts Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt. Zum Beweis (per Widerspruch) nehmen wir an, dass es eine Folge ( an )n>1 gibt, welche zwei verschiedene Grenzwerte b und c besitzt. |b−c| Dann ist b − c 6= 0 und zu ε := 2 gibt es ein n1 derart, dass | an − b| < ε für alle n > n1 und ein n2 derart, dass | an − c| < ε für alle n > n2 . Was hier im ersten Schritt passiert ist, nennt man das Einfügen einer konstruktiven Eins. Es hilft oft. Ist n > n1 und n > n2 , so folgt |b − c| = |(b − an ) + ( an − c)| 6 |b − an | + | an − c| < ε + ε = |b − c| . Das ist ein Widerspruch, denn die Zahl |b − c| kann nicht kleiner als sie selbst sein. Also war die Annahme falsch: Es kann nur einen Grenzwert geben! Übungsaufgabe 1. Falls Ihnen die Abschätzung oben zu wenig instruktiv ist, skizzieren Sie für selbst gewähltes b und c und hinreichend kleines ε die Mengen { x; | x − b| < ε} und { x; | x − c| < ε} auf der Zahlengeraden. Welche gemeinsamen Punkte haben diese beiden Mengen? Teilfolgen und Häufungspunkte Zur Beschreibung von Phänomenen wie den oben genannten sind die folgenden Begriffe hilfreich. Teilfolgen und Häufungspunkte Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Anmerkung Ist der Startindex der Folge von 1 verschieden, so gilt die Definition mit entsprechenden Modifikationen. a) Ist (m(k ))k>1 eine strikt monoton wachsende Folge natürlicher Zahlen, also 1 6 m(1) < m(2) < m(3) < · · · , so nennt man ( b k ) k >1 : = ( a m ( k ) ) k >1 eine Teilfolge von ( an )n>1 . b) Eine reelle Zahl c heisst Häufungspunkt von ( an )n>1 , wenn es eine Teilfolge von ( an )n>1 gibt, welche gegen c konvergiert. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte 73 (A) Die Folge (cn )n>1 aus der ersten Einstiegsaufgabe besitzt die Teilfolge 1 (c2k )k>0 = 1 + 2k + 1 k>0 Beispiele der Folgenglieder mit geraden Indizes, welche gemäss bekannter Grenzwertregeln gegen 1 konvergiert. Also ist 1 ein Häufungspunkt der Folge. (B) Die Folge ( an )n>1 aus der dritten Einstiegsaufgabe besitzt die Teilfolge 1 ( am(m+1)/2 )m>1 = m + 1 m >1 mit Grenzwert 0. Also ist 0 ein Häufungspunkt dieser Folge. 1. Geben Sie zur Folge (cn )n>1 aus der ersten Einstiegsaufgabe eine Teilfolge an, welche gegen −1 konvergiert. Übungsaufgaben 2. Welche konstanten Teilfolgen besitzt die Folge (bn ) aus der zweiten Einstiegsaufgabe? Welche Zahlen sind deshalb sicher Häufungspunkte? Gibt es noch weitere Häufungspunkte dieser Folge? 3. Geben Sie eine Folge an, die sicher keinen Häufungspunkt besitzt. 4. Welche Häufungspunkte können Sie bei der Folge [1 + (−1)n ] · 2n + [1 + (−1)n+1 ] · 2−n n>1 finden? Es gibt noch eine andere Charakterisierung von Häufungspunkten, die manchmal besser in der Handhabung ist. Häufungspunkt mittels ε Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Genau dann ist eine reelle Zahl c Häufungspunkt dieser Folge, wenn gilt: Zu jedem ε > 0 und zu jedem n0 ∈ N gibt es ein n > n0 derart, dass | an − c| < ε gilt. In Worten: Es gibt Folgenglieder mit beliebig großem Index, die c beliebig nahe kommen. Wir werden diese Aussage nicht beweisen, obwohl wir das könnten. Sehen wir uns lieber eine Anwendung an, die zeigt, dass Folgen ein ziemlich verrücktes Verhalten an den Tag legen können. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Häufungspunkt mittels ε 74 Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte Beispiel (A) Jede reelle Zahl zwischen 0 und 1 ist Häufungspunkt der Folge ( an )n>1 aus der dritten Einstiegsaufgabe. Dazu muss man nur wissen, dass jede reelle Zahl zwischen 0 und 1 als Grenzwert einer Folge paarweise verschiedener rationaler Zahlen darstellbar ist (denn alle rationalen Zahlen zwischen 0 und 1 kommen unter den an vor). Für alle irrationalen Zahlen und alle rationalen Zahlen mit unendlicher Dezimalbruchentwicklung folgt dies durch Betrachten der Dezimalbruchentwicklung. Problem 1. Was machen Sie mit den restlichen rationalen Zahlen? Häufungspunkt bei Konvergenz Zum Abschluss dieses Abschnittes wollen wir noch eine Eigenschaft konvergenter Folgen ansehen, die eine Nutzanwendung zur Berechnung von Grenzwerten besitzt. Häufungspunkt bei Konvergenz Konvergiert eine Folge ( an )n>1 gegen den Grenzwert a, so gilt dies auch für jede ihrer Teilfolgen. (Der einzige Häufungspunkt einer konvergenten Folge ist ihr Grenzwert.) Zum Beweis: Ist ε > 0 vorgegeben, so gibt es ein n0 derart, dass | an − a| < ε für alle n > n0 . Ist ( am(k) )k>1 eine Teilfolge, also 1 6 m (1) < m (2) < m (3) < · · · , so ist insbesondere m(n) > n für alle n, und es folgt | am(k) − a| < ε für alle k > n0 ; also Konvergenz. Für rekursiv definierte Folgen hilfreicher Spezialfall Der Satz über Häufungspunkte im Konvergenzfall hat eine hilfreiche Konsequenz für rekursiv definierte Folgen: Ohne zu wissen, ob tatsächlich Konvergenz vorliegt, kann man den potentiellen GrenzwertsKandidaten aus der Rekursionsformel berechnen. Für rekursiv definierte Folgen hilfreicher Spezialfall Konvergiert eine Folge ( an )n>1 gegen den Grenzwert a, so gilt auch lim an+1 = a. n→∞ (Zum Beweis wähle m(k ) = k + 1.) Beispiel (A) Ein spezielles Beverton-Holt-Modell: Gegeben sei die Folge (cn )n>0 mit c0 = 1 und der Rekursion c n +1 = 10cn . cn + 3 Angenommen, die Folge konvergiert gegen einen Grenzwert b. Dann ist b = 0 oder b = 7. Denn geht man auf beiden Seiten Beverton und Holt bei der Arbeit MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte 75 der Rekursionsgleichung zum Grenzwert über, so erhält man mit bekannten Grenzwertregeln 10 limn→∞ cn 10cn = , n→∞ cn + 3 limn→∞ cn + 3 lim cn+1 = lim n→∞ also Anmerkung Wir haben nicht gezeigt, dass die Folge konvergiert. Das ist ein Problem für sich. 10b b= . b+3 Falls b 6= 0, ergibt sich hieraus 10/(b + 3) = 1, also b = 7. 1. Das allgemeine Beverton-Holt-Modell: Gegeben sind positive Konstanten r und K, sowie eine Folge (cn )n>1 mit einem Anfangswert c0 > 0 und der Rekursionsvorschrift c n +1 rcn = . cn + K Was können Sie über mögliche Grenzwerte aussagen? (Betrachten Sie auch den Fall r 6 K.) (B) Im ersten Abschnitt haben wir schon ein anderes Modell (das Ricker-Modell, S.20) kennen gelernt. Hier sind r und k positive Konstanten und die Rekursion ist gegeben durch Probleme und Anwendungen Das Beverton-HoltModell ist ein zeitdiskretes, rekursives Populationsmodell, dass 1957 für die Fischerei entwickelt wurde. Beispiel cn+1 = rcn e−kcn . Versuchen wir den selben Trick hier: Angenommen, (cn )n>0 konvergiert gegen die Zahl b. Mit den Grenzwertregeln erhalten wir b = lim cn+1 = r lim cn · lim e−kcn = rb · lim e−kcn . Hier kommen wir nicht weiter, weil in unserem Repertoire eine Regel fehlt, welche das Vertauschen von „ehoch “ und Grenzwertbildung erlauben würde. Eine solche Regel existiert (und sie gilt wegen der Stetigkeit der Exponentialfunktion, was immer das auch wieder ist). Wenn wir sie glauben und benutzen, kommen wir weiter: b = rb · e−kb , also b = 0 oder re−kb = 1. Zweiteres ist äquivalent zu b = ln r k . Rechnungen und Argumente dieser Art werden in der Mathematischen Biologie regelmässig genutzt. Wir kommen später nochmal zu diesem Anwendungsbereich. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Das Ricker-Modell ist eine Verallgemeinerung des BevertonHolt-Modells unter Berücksichtigung von Konkurrenz-Effekten. Es wurde ebenfalls in Zusammenhang mit Fischerei-Fragen entwickelt. 76 Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte Wissensspeicher Wichtige Phänomene im Zusammenhang mit Folgen und Reihen bekommt man durch Berücksichtigung von Teilfolgen und Häufungspunkte in den Griff. Hier werden die wichtigsten Fakten darüber noch einmal zusammengefasst. Eindeutigkeit des Grenzwerts Zwar gibt es Folgen, die mehreren verschiedenen Werten beliebig nahe kommen, doch spricht man in diesem Fall weder von Konvergenz noch von Grenzwert. Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt. Teilfolgen und Häufungspunkte Zur Beschreibung solcher Phänomenen sind vielmehr die Begriffe Teilfolge und Häufungspunkt hilfreich: Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Ist (m(k))k>1 eine strikt monoton wachsende Folge natürlicher Zahlen, also 1 6 m(1) < m(2) < m(3) < · · · , so nennt man ( b k ) k >1 : = ( a m ( k ) ) k >1 eine Teilfolge von ( an )n>1 . Eine reelle Zahl c heisst Häufungspunkt von ( an )n>1 , wenn es eine Teilfolge von ( an )n>1 gibt, welche gegen c konvergiert. Häufungspunkt mittels ε Eine alternative Charakterisierung von Häufungspunkten ist manchmal besser zu handhaben: Es gibt Folgenglieder mit beliebig großem Index, die dem Häufungspunkt beliebig nahe kommen. Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Genau dann ist eine reelle Zahl c Häufungspunkt dieser Folge, wenn gilt: Zu jedem ε > 0 und zu jedem n0 ∈ N gibt es ein n > n0 derart, dass | an − c| < ε gilt. Häufungspunkt bei Konvergenz Der kommende Satz stellt fest, dass der einzige Häufungspunkt einer konvergenten Folge ihr Grenzwert ist. Konvergiert eine Folge ( an )n>1 gegen den Grenzwert a, so gilt dies auch für jede ihrer Teilfolgen. Für rekursiv definierte Folgen hilfreicher Spezialfall Für rekursiv definierte Folgen hat dieser Satz eine hilfreiche Konsequenz: Man kann man potentielle Grenzwert-Kandidaten aus der Rekursionsformel berechnen, ohne zu wissen, ob tatsächlich Konvergenz vorliegt. Konvergiert eine Folge ( an )n>1 gegen den Grenzwert a, so gilt auch lim an+1 = a. n→∞ MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 77 Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium In Kapitel 3 haben wir gesehen, dass alle Partialsummen der Reihe ∞ 1 ∑ n2 durch 2 nach oben beschränkt sind, also n =1 Einstieg m 1 < 2 für alle m. n2 n =1 ∑ Ist es nicht ganz klar, dass diese Reihe konvergieren muss? Zur genaueren Beschreibung von Folgeneigenschaften, insbesondere von Konvergenzfragen, sind die folgenden Begriffe hilfreich: Monotonie und Beschränktheit von Folgen Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Die Folge heißt a) monoton wachsend, streng monoton wachsend, monoton fallend, streng monoton fallend, b) nach oben beschränkt, nach unten beschränkt, für ein geeignetes M ∈ R bzw. K ∈ R (A) Die Folge 1 n n>1 wenn an+1 > an , wenn an+1 > an , wenn an+1 6 an , wenn an+1 < an für alle n ∈ N gilt. unten) beschränkt. Denn es ist 1 1 n+1−n 1 − = = >0 n n+1 n ( n + 1) n ( n + 1) 0< Sinngemäss gelten die Definitionen auch für Folgen mit anderen Startindizes. Man spricht auch zusammenfassend von monotonen, streng monotonen und beschränkten Folgen. wenn an 6 M, wenn an > K für alle n ∈ N gilt. ist streng monoton fallend und (nach oben und für alle n, und Monotonie und Beschränktheit 1 6 1 für alle n ∈ N . n Beispiele 78 Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium (B) Die Folge (−2n )n>0 ist streng monoton fallend und (durch 0) nach oben beschränkt, aber nicht nach unten beschränkt. (C) Die Folge ((−1)n · 2n )n>0 ist weder monoton noch beschränkt. (D) Die Folge ((−1)n )n>0 ist nicht monoton, aber nach oben und unten beschränkt. ∞ 1 (siehe Einstieg) ist n2 n =1 streng monoton wachsend und nach oben beschränkt. (E) Die Folge der Partialsummen der Reihe Es ist 9, 8 6 9, 83 6 9, 837 6 9, 8370 6 9, 83704 6 . . . 6 10. ∑ (F) Es sei (dk )k>1 eine Folge ganzer Zahlen mit 0 6 dk 6 9 für alle k. Dann ist die Partialsummenfolge (sn )n>1 mit n sn = ∑ dk · 10−k k =0 monoton wachsend und (durch 10) nach oben beschränkt. Übungsaufgaben 1. Weisen Sie die Aussagen in den Beispielen (B), (C) und (D) im Detail nach. 2. Weisen Sie die Aussagen in den Beispielen (E) und (F) im Detail nach. (Tipp für (F): Vergleichen Sie mit einer geeigneten geometrischen Reihe.) 3. Begründen Sie: Eine monoton wachsende Folge ist nach unten beschränkt. Eine monoton fallende Folge ist nach oben beschränkt. MonotonieKriterium Eine Kombination aus Monotonie und Beschränktheit ist oft die einfachste Möglichkeit, die Konvergenz einer Folge nachzuweisen. Monotoniekriterium Eine monoton wachsende und nach oben beschränkte bzw. monoton fallende und nach unten beschränkte Folge reeller Zahlen ist konvergent. Das Monotoniekriterium scheint, wie bereits in der Einstiegsaufgabe angedeutet, anschaulich praktisch trivial: „Was soll eine solche Folge denn sonst tun, außer konvergieren?“ Vollständigkeit der reellen Zahlen Der lückenlose Nachweis des Kriteriums berührt aber eine grundlegende Eigenschaft von R, die sogenannte Vollständigkeit. (Man kann auch sagen, dass die Gültigkeit des Monotoniekriteriums gerade die Vollständigkeit ausdrückt.) Wer denkt, dass man eine solche Eigenschaft auch für die rationalen Zahlen Q haben müsste, sollte weiter lesen. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium (A) Die Reihe 1 ∑ n2 konvergiert nach dem Monotoniekriterium. (B) Für jedes ganze k > 2 konvergiert die Reihe Monotoniekriterium. (−1)n (C) Die Folge n n ∈N 1 ∑ nk 79 Beispiele nach dem ist nicht monoton, aber konvergent. Das Monotoniekriterium liefert also eine hinreichende Bedingung für Konvergenz, ist aber nicht notwendig dafür. 1. Weisen Sie die Aussagen des zweiten Beispiels nach. (Tipp: Vergleim m 1 1 chen Sie die Partialsummen ∑ 2 und ∑ k .) n `=1 n `=1 Übungsaufgabe Das nächste Beispiel ist so wichtig, dass es einen prominenten Platz bekommt. Konvergenz von Dezimalbruchentwicklungen Konvergenz beliebiger Dezimalbruchentwicklungen Es sei (dk )k>1 eine Folge ganzer Zahlen mit 0 6 dk 6 9 für alle k. Dann konvergiert die Partialsummenfolge der n sn = ∑ dk 10−k k =0 gegen eine reelle Zahl. Jeder (endliche oder unendliche, periodische oder nicht periodische) Dezimalbruch stellt also ein reelle Zahl dar. Es folgen Beispiele, von denen das zweite zeigen soll, wie Monotoniekriterium und bekannte Fakten zu Teilfolgen die explizite Bestimmung von Grenzwerten ermöglichen. ∞ (D) Durch ∑ 10−k! wird eine reelle Zahl bestimmt, welche nicht ra- k =0 tional ist. (E) Die rekursiv definierte Folge ( an )n>0 sei gegeben durch a0 = 1, a n +1 = 3an . 1 + an Man benötigt ein bisschen Anlauf. Es gilt: (i) an > 0 für alle n ∈ N0 . (Leichte Induktion.) (ii) an < 2 für alle n ∈ N0 . Dies ist eine nicht ganz so leichte Induktion: Der Induktionsanfang ist klar. Weil wegen an > 0 gilt: an+1 < 2 ⇔ 3an < 2(1 + an ) ⇔ an < 2, ist auch der Induktionsschritt erledigt. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Beispiele 80 Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium (iii) an+1 > an für alle n ∈ N: Dies folgt aus a n +1 − a n = 3an − an − a2n a n (2 − a n ) 3an − an = = >0 1 + an 1 + an 1 + an wegen (i) und (ii). (iv) Dank Monotoniekriterium ist die Folge konvergent. (v) Zur Bestimmung des Grenzwertes benutzen wir den Trick aus dem vorhergehenden Abschnitt: Es ist 3 lim an 3an n→∞ = , n→∞ 1 + an 1 + lim an lim an+1 = lim n→∞ n→∞ also erfüllt der Grenzwert a die Gleichung a= 3a , somit a ∈ {0, 2}. 1+a Ist a = 0 möglich? Nein, denn mit der Anfangsbedingung und (iii) gilt an > 1, also | an − 0| > 1 für alle n. Wir schliessen a = 2. Übungsaufgaben 1. Diskutieren Sie sie Folge (bn )n>0 mit der selben Rekursionsvorschrift und Anfangsglied b0 = 4. 2. Diskutieren Sie die Folge (cn )n>0 mit c0 = 2, c n +1 = 5cn . 2 + cn in ähnlicher Weise wie das Beispiel oben. (Tipps: Die möglichen Grenzwerte kann man schon vorab ausrechnen. Wenn das Monotoniekriterium klappt, was wir als Arbeitshypothese annehmen wollen, können Sie einen naheliegenden Kandidaten für eine obere bzw untere Schranke (je nachdem, was benötigt wird) angeben.) MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium 81 Zur Beschreibung und Untersuchung von Folgen sind Monotonie und Beschränktheit wichtige Hilfsmittel. Hier werden die entsprechenden Begriffe und Aussagen noch einmal zusammengefasst. Wissensspeicher Zunächst die Begriffe: Monotonie und Beschränktheit von Folgen Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . a) Die Folge heisst monoton wachsend, wenn an+1 > an für alle n ∈ N gilt, und streng monoton wachsend, wenn an+1 > an für alle n ∈ N. Die Folge heisst monoton fallend, wenn an+1 6 an für alle n ∈ N gilt, und streng monoton fallend, wenn an+1 < an für alle n ∈ N. Die Folge heisst monoton bzw. streng monoton, wenn sie eine der obigen Eigenschaften besitzt. b) Die Folge heisst nach oben beschränkt, wenn es ein M ∈ R derart gibt, dass an 6 M für alle n ∈ N. Die Folge heisst nach unten beschränkt, wenn es ein K ∈ R derart gibt, dass an > K für alle n ∈ N. Die Folge heisst beschränkt, wenn sie nach oben und nach unten beschränkt ist. Häufig lässt sich die Konvergenz von Folgen mittels einer Kombination von Monotonie und Beschränktheit nachweisen. Monotoniekriterium Eine monoton wachsende und nach oben beschränkte Folge reeller Zahlen ist konvergent. Eine monoton fallende und nach unten beschränkte Folge reeller Zahlen ist konvergent. Das folgende Beispiel ist besonders wichtig: Es sei (dk )k>1 eine Folge ganzer Zahlen mit 0 6 dk 6 9 für alle k. Dann konvergiert die Partialsummenfolge der n sn = ∑ dk 10−k k =0 gegen eine reelle Zahl. Jeder (endliche oder unendliche, periodische oder nicht periodische) Dezimalbruch stellt also ein reelle Zahl dar. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Konvergenz von Dezimalbruchentwicklungen 83 Kapitel 9 Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen √ Um 2 auszurechnen, drückt man die entsprechende Tastenkombination auf dem Rechner und erhält einen Näherungswert. Aber wie kriegt der Rechner eigentlich den Wert? Ist das alles fest gespeichert? Typischerweise sind einige Werte von Funktionen in der Tat fest gespeichert, aber bei weitem nicht alle. Wesentlich sind hier sogenannte Iterationsverfahren, die auf rekursiv definierte Folgen basieren. Das folgende Verfahren zeigt, wie man den Wert von Quadratwurzeln mittels einer rekursiv definierten Folge immer genauer bestimmen kann. Einstieg Iterationsverfahren Quadratwurzeln Ein Iterationsverfahren zur Berechnung von Quadratwurzeln Gegeben sei eine positive reelle Zahl q. Die rekursiv definierte Folge mit (beliebigem) Startwert a0 > 0 und a n +1 konvergiert gegen √ 1 = 2 q an + an = a2n + q 2an q. Bevor wir das begründen, sehen wir erst mal Beispiele an: √ (A) Zur Bestimmung von 9 beginnen wir mit dem Startwert a0 = 1. Dann ist: a1 = 12 +9 2·1 a3 = 3.42 +9 2·3.4 =5 ≈ 3.0235 (B) Zur Bestimmung von Dann ist: a1 = 1.52 +2 2·1.5 √ a2 = 52 +9 2·5 a4 ≈ 3.02352 +9 2·3.0235 = 3.4 ≈ 3.0000 2 beginnen wir mit dem Startwert a0 = 1.5. = 1.416 a2 = 2 1.416 +2 2·1.416 ≈ 1.4142 Beispiele 84 Kapitel 9 Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen Übungsaufgaben 1. Führen Sie jeweils vier Iterationsschritte des Verfahrens durch und vergleichen Sie dann mit dem "Taschenrechnerwert". Bei Aufgabe a) wählen Sie a0 = 4. In den Aufgabn b) bis h) sollen Sie selbst einen (vermutlich möglichst günstigen, ganzzahligen) Startwert wählen. Wie viele Iterationssschrite benötigen Sie, um die selbe Genauigkeit wie der Taschenrechner zu erreichen? √ √ √ √ a) √25 b) √111 c) √2 d) √77 e) 3 f) 41 g) 737 h) 63 Probleme und Anwendungen 2. Die Begründung für die Konvergenz der Folge mit dem behaupteten Grenzwert gehen wir stückchenweise an. Gegeben ist eine positive reelle Zahl q. Tipp: Hier gibt es die Möglichkeit, eine Kurvendiskussion mit Minimumsbestimmung durchzuführen. Sie koennen die Behauptung auch in eine quadratische Ungleichung umwandeln. a) Zeigen Sie, dass für alle x > 0 gilt 1 q √ x+ > q. 2 x b) Zeigen Sie: Für jeden Anfangswert a0 > 0 ist a1 > c) Zeigen Sie: Ist an > Achtung: Auf Startindex achten! Exkurs √ √ q. q, dann ist an − an+1 > 0. d) Zeigen Sie: Die Folge ( an )n>1 ist monoton fallend und nach unten beschränkt. √ √ e) Zeigen Sie, dass limn→∞ an = q. (Warum nicht − q?) Die Idee des Iterationsverfahrens Wir haben jetzt gesehen, dass das Verfahren zur iterativen Berech√ nung von q funktioniert. Es ist noch nicht so klar, wie man auf die Idee dazu kommt. Das wollen wir jetzt ansehen, erst an einem Beispiel und dann allgemein. √ a) Im Folgenden soll ein Näherungswert für a = 18 berechnet werden. Da 42 = 16 und 52 = 25 kann zu Beginn festgehalten werden, dass 4 < a < 5 gilt. Somit setzt man a0 = 4 und weiter an: √ 18 = 4 + r1 , 0 < r1 < 1 Wegen 4.52 = 20.25 > 18 gilt sogar r1 < 0.5. Fortsetzung auf der nächsten Seite MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 9 Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen a) Zur Bestimmung von r1 wird quadriert: 18 = 16 + 8r1 + r12 . Da |r1 | < 0.5, ist r12 „sehr viel kleiner“ als 8r1 und auch „sehr viel kleiner als“ 16. noch kleiner ist vernachlässigt werden kann. Dann gilt näherungsweise: 18 ≈ 16 + 8r1 , also r1 ≈ 18 − 16 1 = . 8 4 Also setzt man a1 = a0 + r1 = 4 + 0.25 = 4.25 und macht weiter mit √ 18 = 4.25 + r2 , 85 Das hier gebrachte Argument ist mathematisch nicht wasserdicht, aber eine sehr nützliche Überlegung, die einen auf den richtigen Weg bringt. Natürlich ersetzt das nicht den Konvergenzbeweis, aber solche Überlegungen sind wichtige Ideengeneratoren. |r2 | < 1 . Nun wiederholt man den Trick von oben und erhält 18 ≈ 18.0625 + 8.5r2 , also r2 ≈ 18 − 18.625 ≈ 0.00735 . 8.5 Man setzt a2 = a1 + r2 = 4.2426 (hier wird nochmal gerundet) mit a22 = 17.9997. Das kann man zufriedenstellend finden oder weiter machen. b) Jetzt die allgemeine Version des Arguments: Ist q > 0 und hat √ man einen (vermutlich) guten Näherungswert a0 für q, so setzt man an a1 = a0 + r1 mit zu bestimmendem r1 . Man hätte gerne a21 = q, also q = ( a0 + r1 )2 ≈ a20 + 2a0 r1 Also r1 = q − a20 2a0 , , a1 = da r12 „klein“. q + a20 2a0 und das ist der Anfangsschritt des Iterationsverfahrens. Sie kennen das vielleicht aus einem anderen Zusammenhang: Dies ist gerade das Newton-Verfahren zur Nullstellenbestimmung einer quadratischen Funktion. 1. Warum spricht man hier vom „babylonischen“ Wurzelziehen? Dazu müsste doch Information zu finden sein. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Aufgabe 87 Kapitel 10 Näherungswerte für die Kreisfläche Es wird gesagt, dass die alten Griechen keinen Grenzwertgebriff hatten. Das scheint richtig zu sein, aber das hat sie nicht daran gehindert, beliebig gute Näherungswerte für die Kreisfläche (also effektiv für π) anzugeben und - in heutiger Sprache - Folgen zu konstruieren, deren Grenzwert gleich π ist. Die Idee wird Archimedes zugeschrieben; sie besteht darin, einem Kreis regelmässige 2n -Ecke mit wachsendem n einzubeschreiben. Die Flächen dieser Polygone konvergieren (anschaulich gesehen) gegen die Kreisfläche. Wir kürzen die Argumentation an einigen Stellen ziemlich zusammen und verwenden auch mal ungeniert die trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus (die den alten Griechen nicht bekannt waren), um auf schnellerem Weg zum Ziel zu kommen. Einstieg Die folgende Vorüberlegung aus der Trigonometrie wird uns die weitere Darstellung erheblich erleichtern. Trigonometrische Grundlagen Etwas Trigonometrie: Gegeben ist ein gleichschenkliges Dreieck mit Schenkellänge r und Öffnungswinkel α; seine Fläche wird mit F1 bezeichnet. Weiter ist gegeben ein gleichschenkliges Dreieck mit Schenkellänge r und Öffnungswinkel α2 ; seine Fläche wird mit F2 bezeichnet. Dann gilt: s p α 2 sin( 2 ) 2F2 1 − 1 − sin2 α = =2 >1 F1 sin α 2 sin2 α 1. Beweisen Sie die Aussage oben. Ein bisschen Hilfe kriegen Sie: i) Dass 2F2 > F1 , ist aus der Skizze ersichtlich. ii) Drücken Sie Grundseite und Höhe des Dreiecks mit Scheitelwinkel α durch α und r aus. (Tipp: Rechtwinklige Dreiecke in der Skizze, Formeln benutzen.) Als Ergebnis sollten Sie F1 = 21 r2 sin α erhalten. Additionstheoreme: sin(2β) q = 2 sin β cos β 1−cos 2β sin β = 2 sin2 β + cos2 β = 1 Übungsaufgabe 88 Kapitel 10 Näherungswerte für die Kreisfläche iii) Damit können Sie die erste Gleichung bestätigen. iv) Die zweite Gleichung erhalten Sie durch kreatives Herumschaufeln mit der Formelsammlung. (Wegweiser: Sie wollen sin( α2 ) loswerden.) Flächenberechnung Viertelkreis Jetzt können wir eine Folge angeben, deren Grenzwert dem Flächeninhalt des Viertelkreises entspricht: Eine Folge zur Flächenberechnung eines Viertelkreises Wir starten nun mit einem gleichschenklig-rechtwinkligen Dreieck (also α1 = π2 ), setzen allgemein αn = 2πn und definieren gn := sin αn . Dann gilt s p 1 − 1 − gn2 g n +1 . g1 = 1, = gn 2 gn2 Jawoll: Wir sind den Sinus wieder los! Man hat also eine Rekursionsformel für die gn . Bezeichnet An die Fläche des "Viertel-2n -Ecks", welches dem Viertelkreis einbeschrieben ist, so ergibt sich: r2 A1 = 2 , A n +1 = 2 · g n +1 · An gn Übungsaufgabe 2. Vollziehen Sie alle Schritte der Überlegung im letzten Kasten nach. Flächenberechnung Einheitskreis Nun ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Berechnung der Fläche des Einheitskrieses und damit der Kreiszahl π. Verfahren zur Berechnung der Fläche des Einheitskreises (r = 1) Die rekursiv definierte Folge der An , mit A1 = 1/2, ist monoton wachsend und (durch die Fläche eines Viertelkreises mit Radius 1) nach oben beschränkt. Also konvergiert sie gegen die Fläche eines Viertelkreises vom Radius 1. Übungsaufgabe Exkurs 3. Diese Argumentation hat ziemlich viele Löcher. Finden Sie zumindest die wesentlichen. (Stopfen werden wir sie aber nicht.) Kreisberechnung nach Archimedes Archimedes war viel besser! Archimedes hat nicht nur eine Folge einbeschriebener 2n -Ecke (mit monoton wachsender Flächenfolge) betrachtet, sondern auch noch eine Folge umbeschriebener 2n Ecke (mit monoton fallender Flächenfolge) und gezeigt, dass die Differenz der umbeschriebenen und einbeschriebenen Polygonflächen mit wachsendem n beliebig klein wird. (Wenn man mal den Konvergenzbegriff hat, konvergieren also beide Flächenfolgen gegen den selben Grenzwert. Nun besteht kein vernünftiger Zweifel mehr, dass der Grenzwert die Kreisfläche ist. Archimedes ca. 287−212 v.Chr. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 10 Näherungswerte für die Kreisfläche 89 (A) Nun rechnen wir mal: Wir haben g1 = 1 und die Rekursionsformel ergibt unter Berücksichtigung von vier Nachkommastellen: r √ q 1− 1− g12 g2 1 = = g1 2 = 0.7071 2 g2 Beispiel 1 g3 g2 g5 g4 r = r = 1− 1− √ 1− g22 2 g22 = 0.5412 g4 g3 = 0.5194 g6 g5 r = √ 1− g42 2 g42 r = 1− 1− √ 1− g32 2 g32 = 0.5212 √ 1− g52 2 g52 = 0.5192 Die genäherten Kreisflächen sind nun (bei Radius 1) wie folgt: 4A1 = 2 r2 g 4A2 = 2 g12 · 4A1 = 2 · 0.7071 · 2 = 2.8284 g 4A3 = 2 g32 · 4A2 = 2 · 0.5412 · 2.8284 = 3.0615 4A4 = 2 g4 g3 · 4A3 = 2 · 0.5212 · 3.0615 = 3.1912 Die Folgen der Rechenungenauigkeit Da haben Ihnen Ihre Lehrerinnen und Lehrer immer eingetrichtert, dass π = 3.14159usw, und da oben steht π > 3.19. Was nun? Es liegt wieder ein Fall von Problemen mit der Rechengenauigkeit und Rechnergenauigkeit vor: Die gn werden zusehends kleiner, und die Folge ihrer Quotienten nähert sich 1/2, aber zur Flächenberechnung kommt im Effekt eine Multiplikation mit 2n (oder so) hinzu. Auch kleine Rundungsfehler bei den gn können sich so stark auf die Verfälschung es Ergebnisses auswirken. (Und Rundungsfehler entstehen leicht bei der Abfolge von Quadrieren und Wurzelziehen mit kleinen Zahlen.) Wenn Sie Lust haben, gehen Sie der Sache mit verbesserter nach, und verbessern q Genauigkeit p Sie die Formel zu gn+1 = (1 − 1 − gn2 )/2. Können Sie sehen, dass dies eine Verbesserung ist? Das Problem des Teilens durch kleine Zahlen bleibt aber noch. Wenn Sie solche Dinge interessant finden, haben Sie vermutlich ein Herz für die Numerische Mathematik. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Achtung! Was stimmt hier nicht?! Exkurs 91 Kapitel 11 Populationsmodelle Die Entwicklung der Grösse von Populationen wird oft durch Folgen beschrieben oder auch modelliert. Man betrachtet zum Beispiel die Populationsgrösse in festen Zeitabständen: In der folgenden Tabelle ist die Entwicklung der US-amerikanischen Bevölkerung von 1930 bis 1960 abgebildet. Jahr Pop./1000 1930 122988 1935 127252 1940 131684 1945 131976 1950 151345 1955 164301 Einstieg 1960 179990 Man versucht nun - neben einer rein deskriptiven Darstellung - auch eine Erklärung für die Entwicklung zu finden, also im Idealfall eine Gesetzmässigkeit anzugeben, welche eine Prognose gestattet. Wir machen also jetzt ein bisschen mathematische Modellierung. Als ersten Schritt zur Modellierung von Populations-Entwicklungen brauchen wir eine mathematische Darstellung der Verhältnisse. Populationsbilanzen Wir wählen uns feste Zeitschritte (Tage, Jahre, . . .), die wir mit t = 0, 1, 2, . . . bezeichnen, und betrachten die jeweilige Grösse Pt der Population. Hier legen wir fest, dass Pt proportional zur Anzahl der Individuen in der Population ist (also z.B. auch in Tausenden, Millionen oder bei Mikroben durch die Gesamtmasse gemessen werden kann). Dann hat man die Bilanzgleichung Pt+1 − Pt = Geburten − Todesfälle bezogen auf den Zeitraum zwischen t und t + 1. (Die Geburten und Todesfälle sind ggf. auch mit der vorgegebenen Proportionalitätskonstante zu multiplizieren.) Die Bilanzgleichung ist reine Buchhaltung; darin ist noch keine Annahme und kein Erklärungsansatz enthalten. PopulationsBilanzen 92 Das Malthus-Modell Kapitel 11 Populationsmodelle Ein frühes Populationsmodell wurden bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in Großbritannien entwickelt. Das Malthus-Modell Nimmt man an, dass sowohl die Anzahl der Geburten wie auch die Anzahl der Todesfälle im betrachteten Zeitraum proportional zur Populationsgrösse Pt ist (Proportionalitätsfaktoren a > 0 bzw. b > 0), so wird die Bilanzgleichung zu Pt+1 − Pt = a · Pt − b · Pt , Pt+1 = q · Pt , Thomas Malthus 1766 − 1834 Übungsaufgaben also mit q = 1 + a − b. Das Malthus-Modell führt also auf eine geometrische Folge mit Parameter c. 1. Begründen Sie, dass c > 0. 2. Beschreiben Sie das Verhalten der Folge ( Pt )t>0 für t → ∞, in Abhängigkeit von c. 3. Ist die Entwicklung der US-Bevölkerung (siehe Einstieg) mit dem Malthus-Modell gut zu beschreiben? Können Sie Abweichungen ggf. begründen? Beispiel (A) Beispiel für eine Population (mit getrennten Generationen und einem starren Lebenszyklus) liefert eine Eintagsfliegenpopulation, die in einem Labor untersucht wird. Allgemein ist zu sagen, dass eine weibliche, fortplanzungsfähige Eintagsfliege in der kurzen Lebensdauer (etwa 2-4 Tage) begattet wird und ihre Eier im Flug auf einer Wasseroberfläche ablegt. In dieser Lebensphase nimmt sie keine Nahrung mehr auf und stirbt. Die Larven der Eintagsfliege verbringen jedoch bis zu drei Jahre unter Wasser, während derer sie sich mehrmals häuten, bevor sie das Wasser verlassen und geschlechtsreif werden. Im Labor wird das Larvenstadium in einem Inkubator durchlaufen und die Muttertiere werden nach der Eiablage von dem Laich getrennt. Dadurch verhindert man eine Überlappung der Generationen. Im Folgenden wird angenommen, dass eine weibliche Eintagsfliege im Mittel 6000 Eier legt (europäische Gemeine Eintagsfliege), von denen im Mittel 50 weibliche Larven das Fortpflanzungsalter erreichen und sich fortpflanzen können. Stellt man diese Population nun durch das Malthus-Modell dar, so nimmt man vereinfachend an, dass die Anzahl von Nachkommen für jede geschlechtsreife weibliche Eintagsfliege gleich 50 sei und zu Beginn der Beobachtungen P0 = 500 geschlechtsreife Fliegen vorhanden sind. Die Betrachtung der Population beschränkt sich hierbei nur MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 11 Populationsmodelle 93 auf die weiblichen Tiere. Ebenso wird angenommen, dass die Larven nach einem Jahr geschlechtsreif sind und dass alle weiblichen Tiere zur gleichen Zeit Eier legen, sodass keine Überschneidungen vorliegen. Die Anzahl der Fliegen wächst somit immer nach einem Jahr an. (Im Labor lassen sich die Umstände entsprechend kontrollieren!) Die Individuenanzahl im t + 1-ten Jahr ergibt sich aus dem vorherigen t-ten Jahr durch: Pt+1 = 50Pt . Es liegt also eine geometrische Folge vor. Man kann nun feststellen, dass die Population nach diesem Modell über alle Grenzen wächst. (Die geometrische Folge divergiert bestimmt gegen ∞.) Eine Illustration dazu wird in der folgenden Aufgabe geliefert. Deshalb ist das Modell für grosse Populationen unrealistisch. Die Begrenzung des Lebensraums, der Nahrungsvorräte etc. bremst das Wachstum der Population. Dies wird auf verschiedene Weisen in realistischeren Modellgleichungen berücksichtigt. 1. Wie lange würde es in dem obigen Beispiel mit dem Malthus-Modell dauern, bis die ganze Erde nur noch aus Eintagsfliegen besteht? (Die Erde wiegt etwa 6 · 1024 kg, das Gewicht einer Eintagsfliege können Sie selbst schätzen.) Übungsaufgabe Bevor wir weitere Modelle betrachten, wollen wir uns unter der Vielzahl möglicher Generationenabfolgen und Verteilung von Nachkommen - der Einfachheit halber - auf eine der einfachsten einschränken. Idealisierung des Populationsmodells Spezielle Annahmen über das Populationsmodell Wir gehen im Folgenden von Populationen aus, die folgende (idealisierende) Bedingungen erfüllen: • Die Generationen sind getrennt, d.h. die Elterngeneration ist ausgestorben, wenn die Tochtergeneration in das fortpflanzungsfähige Alter kommt. • Aus jedem fortpflanzungsfähigen Individuum geht die gleiche Anzahl von Nachkommen hervor; diese Anzahl ist nur von der Grösse der Gesamtpopulation abhängig. Man hat also die Bilanzgleichung Pt+1 = Geburten , Anzahl abhängig von Pt . In jedem Fall hat man also eine rekursiv definierte Folge, welche die Entwicklung beschreibt. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer 94 Exkurs Das Beverton-HoltModell Kapitel 11 Populationsmodelle Zur Realitätsnähe der Idealisierung Die Annahme getrennter Generationen ist für einjährige Pflanzen, Insekten etc. recht gut erfüllt. Die Annahme, dass die Nachkommenzahl nur vom Zustand der Population abhängt, bedeutet zum einen konstante Umweltbedingungen und zum anderen vernachlässigbaren Einfluss der Wechselwirkung mit anderen Spezies. Das ist nicht immer der Fall: So sind für Insekten natürlich die Temperaturen im Winter vor dem Schlüpfen wesentlich, und für Beutetiere macht es einen grossen Unterschied, ob viele oder wenige Räuber präsent sind. Wir betrachten also eine sehr einfache Idealsituation. Im Malthus-Modell ist die Geburtenzahl proportional zu Pt . Auf das folgende Modell wurde bereits in Kapitel 7 (S. 74 f.) eingegangen. Das Beverton-Holt-Modell Dieses Modell stellt eine modifizierte Version des MalthusModells dar und beinhaltet einen Faktor, der das Wachstum der Population begrenzt. Die Grösse der Population wird durch eine rekursive Folge beschrieben; deren Darstellung lautet: Pt+1 = q Pt , 1 + Pt /K q > 0, K > 0. Die aus dem Malthus-Modell bekannte Konstante q für den Vermehrungsfaktor wird nun also ersetzt durch q 1 + Pt /K Mit wachsendem Pt nimmt dieser Faktor ab. Exkurs Aufgabe Zur Entstehung des Beverton-Holt-Modells Beverton und Holt haben ihr Modell für Fischpopulationen (in Zuchtteichen) entworfen. Dabei ging es ihnen vor allem um die Frage der optimalen Aufzucht und Befischung, welche wir hier nicht diskutieren wollen. Der Korrekturfaktor (1 + Pt /K )−1 zur Berücksichtigung begrenzten Lebensraums wurde “experimentell” gefunden und erwies sich in vielen Situationen als adäquat. (Die Konstanten q und K werden dann aus Populationsdaten für die ersten Generationen bestimmt. 1. Es seien folgende Grössen gemessen worden (je in Tausend): P0 = 5, P1 = 7, P2 = 8. Wie müssen die Konstanten q und K gewählt werden, wenn die Populationsentwicklung dem Beverton-Holt-Modell gehorcht? MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 11 Populationsmodelle 95 Kommen wir zurück zu den mathematischen Eigenschaften des Modells. Verhalten der Populationsgrösse im Beverton-Holt-Modell Gegeben seien positive Konstanten q und K und die rekursiv definierte Folge mit Vorschrift Pt+1 = q Pt , 1 + Pt /K Mathematik des Beverton-HoltModells P0 > 0. Dann gilt: (a) Falls q 6 1, so ist die Folge konvergent mit limt→∞ Pt = 0. (b) Falls q > 1, so ist die Folge konvergent mit lim Pt = P∗ := K · (q − 1). t→∞ (Biologisch interpretiert: Im Fall (a) stirbt die Population aus, im Fall (b) stellt sich ein positives Gleichgewicht ein.) Wir wollen das nun beweisen. 3. Zeigen Sie der Reihe nach Folgendes: i) Falls der Grenzwert limt→∞ Pt existiert, so ist er im Fall q 6 1 gleich 0 und im Fall q > 1 entweder gleich 0 oder gleich P∗ . ii) Im Fall q 6 1 ist die Folge für jeden positiven Anfangswert monoton fallend. Also konvergiert sie gegen 0. iii) Im Fall q > 1 gilt: Ist P0 > P∗ , so fällt die Folge monoton. Ist 0 < P0 < P∗ , so wächst die Folge monoton. In beiden Fällen konvergiert sie gegen P∗ . In diesem Modell liefert also die Mathematik eine solide Prognose für die Entwicklung der Population. Betrachten wir noch kurz ein anderes: Das Ricker-Modell, das ebenfalls bereits in Kapitel 7 erwähnt wurde (siehe S.75). Das Ricker-Modell Wie das Beverton-Holt-Modell ist das Ricker-Modell ursprünglich für Fischpopulationen entwickelt worden und stellt eine Modifikation des Malthus-Modells dar. Die Rekursionsgleichung des Ricker-Modells lautet Pt+1 = qPt e−k· Pt , q > 0, k > 0 Konstanten wobei nur positive Startwerte interessieren. Wir sprechen auch von Ricker-Folgen. MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Probleme und Anwendungen Tipp: Das letzte Beispiel und die letzte Übungsaufgabe aus Abschnitt 8 können als Leitlinie dienen. Dort steht eine Beverton-HoltGleichung mit konkreten Zahlenwerten. Das Ricker-Modell 96 Exkurs Kapitel 11 Populationsmodelle Unterschiede der beiden Modelle Diese Modifikation unterscheidet sich wesentlich von derjenigen beim Beverton-Holt-Modell. Beim Beverton-Holt-Modell führt eine grössere Individuenanzahl in der Elterngeneration stets zu einer grösseren Individuenanzahl in der Filialgeneration. Beim Ricker-Modell ist dies nicht mehr unbedingt der Fall: Wegen lim x · e−kx = 0 (wir borgen hier mal einen Grenzwert aus dem "normalenÜnterricht, ohne weiter darüber zu philosophieren) wird Pt+1 sehr klein, wenn Pt gross ist. Das macht die Analyse deutlich schwieriger, das Verhalten aber - wenigstens für Mathematiker - deutlich interessanter. Je nach Wahl von k, q und P0 kann es zu sehr unterschiedlichem Konvergenzverhalten Verhalten der Folgen kommen. Eine tiefergehende Analyse werden der Ricker-Folge wir hier nicht durchführen können. Immerhin halten wir fest: Die zweite Aussage können wir nicht beweisen (vgl. Kap. 7). Übungsaufgaben Konvergenzverhalten der Ricker-Folge Die Ricker-Folge konvergiert gegen 0, falls q 6 1. Falls q > 1 und die Ricker-Folge konvergiert, ist der Grenzwert gleich P∗ ln q/k. 1. Weisen Sie die erste Aussage zur Ricker-Folge nach. 2. Zum Abschluss sollen Sie mit Hilfe des Rechners das Verhalten der Populationen für einige Generationen verfolgen. Probieren Sie folgende Kombinationen für die Konstanten aus, um zu sehen, wie sich die Population nach dem Ricker-Modell entwickelt. Berechnen Sie jeweils die Zahl der Indivuen für die ersten zehn Generationen nach dem Ricker-Modell mit folgenden Konstanten: a) P0 = 10, q = 1.5, k = 0.01. Berechnen Sie P∗ . Tragen Sie Pt gegen t auf. Was fällt auf? b) Wiederholen Sie Aufgabe (a) für P0 = 100, q = 1, k = 0.01. c) Wiederholen Sie Aufgabe (a) für P0 = 10, q = 2, k = 0.4. d) Wiederholen Sie Aufgabe (a) für P0 = 1, q = 10, k = 0.4. e) Wiederholen Sie Aufgabe (a) für P0 = 1, q = 10, k = 2.7. f) Wählen Sie Ihre eigenen Werte und experimentieren Sie damit. (Tipp: Grosses q macht die Sache interessanter. Natürlich müsste man auch nach der Zuverlässigkeit von Rechnern bei solchen Experimenten fragen.) MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Kapitel 11 Populationsmodelle 97 Hier werden die wichtigsten Inhalte der letzten drei Kapitel zusammengefasst, die allesamt wichtige Anwendungen des Themas Folgen und Reihne betreffen. Gegeben sei eine positive reelle Zahl q. Die rekursiv definierte Folge mit (beliebigem) Startwert a0 > 0 und a n +1 konvergiert gegen √ 1 = 2 q an + an = Wissensspeicher Berechnung von Quadratwurzeln a2n + q 2an q. Mittels Näherung durch eine immer größere Zahl gleichschenkliger Dreiecke findet man für den Flächeninhalt des Einheitskreises folgende rekursiv definierte Folge: A1 = 4 · 1 2 , A n +1 = 2 · wobei g1 = 1 , g n +1 = gn s 1− Berechnung der Kreisfläche g n +1 · An gn p 1 − gn2 . 2 gn2 Diese Folge ist monoton wachsend und (durch die Fläche des Einheitskreises) nach oben beschränkt. Also konvergiert sie gegen die Fläche π des Einheitskreises. Das Malthus-Modell: Sind sowohl die Anzahl der Geburten wie auch die Anzahl der Todesfälle im betrachteten Zeitraum proportional zur Populationsgrösse Pt (Proportionalitätsfaktoren a > 0 bzw. b > 0), so gilt: Pt+1 − Pt = a · Pt − b · Pt , Pt+1 = q · Pt , also mit q = 1 + a − b Das Beverton-Holt-Modell: Dieses Modell beinhaltet einen Faktor, der das Wachstum der Population begrenzt. Die Grösse der Population wird durch folgende rekursive Folge beschrieben: Pt+1 = q Pt 1+ Pt K , q > 0, K > 0 Konstanten Das Ricker-Modell Bei diesem Modell hat eine größere Elterngeneration nicht mehr notwendig eine größere Filialgeneration zur Folge: Pt+1 = qPt e−k· Pt , q > 0, k > 0 Konstanten MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer Populationsmodelle